Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62012CC0251

    Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 8. Mai 2013.
    Christian Van Buggenhout und Ilse Van de Mierop gegen Banque Internationale à Luxembourg SA.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de commerce de Bruxelles - Belgien.
    Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen - Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 - Insolvenzverfahren - Art. 24 Abs. 1 - Leistung ‚an einen Schuldner ..., über dessen Vermögen … ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist‘ - Zahlung an einen Gläubiger dieses Schuldners.
    Rechtssache C-251/12.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:295

    SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

    JULIANE KOKOTT

    vom 8. Mai 2013 ( 1 )

    Rechtssache C‑251/12

    Christian van Buggenhout und Ilse van de Mierop (Konkursverwalter der Grontimmo SA)

    gegen

    Banque Internationale à Luxembourg

    (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de commerce de Bruxelles, Belgien)

    „Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 — Insolvenzverfahren — Leistung an den Insolvenzschuldner — Zahlung durch einen Dritten an einen Gläubiger des Insolvenzschuldners — Unkenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“

    I – Einleitung

    1.

    Die vorliegende Rechtssache hat erstmals die Auslegung von Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ( 2 ) zum Gegenstand. Diese Norm schützt den guten Glauben desjenigen, der in Unkenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzschuldner leistet, obwohl er wirksam nur noch an den Insolvenzverwalter hätte leisten können.

    2.

    Im Ausgangsrechtsstreit verlangen Konkursverwalter von einer Bank die Auszahlung eines ursprünglichen Guthabens der Insolvenzschuldnerin, das die Bank gegen Vorlage eines von ihr – aufgrund einer durch die Insolvenzschuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilten Weisung – ausgestellten Schecks bereits an einen Dritten ausgezahlt hat. Die Bank will nicht ein zweites Mal, diesmal an die Konkursverwalter, zahlen und beruft sich zu ihrer Verteidigung auf Art. 24 der Verordnung.

    II – Rechtlicher Rahmen

    3.

    Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt:

    „Leistung an den Schuldner

    (1)   Wer in einem Mitgliedstaat an einen Schuldner leistet, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, obwohl er an den Verwalter des Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, wird befreit, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war.“

    III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

    4.

    Am 11. Mai 2006 beantragte die Association des Copropriétaires du Quartier des Arts beim Tribunal de commerce de Bruxelles die Eröffnung des Konkursverfahrens über die Gesellschaft GRONTIMMO SA ( 3 ).

    5.

    Am 22. und 24. Mai 2006 stellten zwei Gesellschaften Schecks zugunsten von Grontimmo in Höhe von insgesamt 1400000 Euro aus, um ihre bestehenden Verbindlichkeiten bei Grontimmo teilweise zu begleichen.

    6.

    Am 29. Mai 2006 wurden bei Grontimmo neue Direktoren ernannt. Am selben Tag unterzeichneten Grontimmo und KOSTNER DEVELOPMENT INC. ( 4 ), eine Gesellschaft panamaischen Rechte, die erst kurz zuvor gegründet worden war, eine Vereinbarung, der zufolge Grontimmo von Kostner eine Kaufoption zum Preis von 1400000 Euro erwarb. Diese Kaufoption hatte Aktien einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts sowie einer Gesellschaft nach dem Recht der niederländischen Antillen zum Gegenstand.

    7.

    Am 2. Juni 2006 erteilten die neuen Direktoren von Grontimmo der Dexia Internationale Luxembourg ( 5 ) den Auftrag, i) ein Konto zu eröffnen, um die Schecks über zusammen 1400000 Euro einzulösen und ii) einen DEXIA Bankscheck in Höhe von 1400000 Euro zulasten von Grontimmo auf Kostner auszustellen. Am 14. Juni 2006 wurden die Schecks mit einem Gesamtbetrag von 1399900 Euro dem Konto von Grontimmo bei der Bank gutgeschrieben.

    8.

    Am 4. Juli 2006 eröffnete das Tribunal de Commerce de Bruxelles das Konkursverfahren gegen Grontimmo. Nach Darstellung des vorlegenden Gerichts wurde der Konkursschuldnerin damit nach belgischem Recht die Verwaltung der Gesamtheit ihrer Güter entzogen, wobei dieser Entzug von Rechts wegen ab der ersten Stunde dieses Tages wirksam wurde. Insbesondere konnten fortan nach belgischem Recht Drittschuldner nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an die Konkursschuldnerin leisten. Die Konkursverwalter machten die Verfahrenseröffnung nur in Belgien, nicht aber in Luxemburg öffentlich bekannt.

    9.

    Am 5. Juli 2006, also am Tag nach der Konkurseröffnung, stellte die Bank aufgrund des von Grontimmo bereits am 2. Juni 2006 erteilten Auftrags einen Scheck über den Preis der Kaufoption von 1400000 Euro zugunsten von Kostner aus. Kostner löste diesen Scheck noch am gleichen Tag ein, und die Bank belastete das Konto von Grontimmo entsprechend.

    10.

    Die Konkursverwalter von Grontimmo forderten die Bank in der Folge auf, den an Kostner gezahlten Betrag auf das Konto von Grontimmo einzuzahlen. Diese Auszahlung sei unter Missachtung des Entzugs der Verwaltung der Güter der Konkursschuldnerin erfolgt und könne daher der Masse nicht entgegengehalten werden.

    11.

    Die Bank berief sich auf Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000 und wies darauf hin, dass sie bei weisungsgemäßer Ausstellung und Auszahlung des Schecks am 5. Juli 2006 vom Konkurs der Grontimmo nichts gewusst habe, so dass sie nicht zur Rückzahlung des vorgenannten Betrags an das konkursbefangene Vermögen verpflichtet sei. In der Folge erhoben die Konkursverwalter Zahlungsklage gegen die Bank vor dem vorlegenden Gericht.

    IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

    12.

    Mit Entscheidung vom 26. April 2012 setzte das vorlegende Gericht sein Verfahren aus und legte dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

    1.

    Wie sind die Worte „Leistung an den Schuldner“ in Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 auszulegen?

    2.

    Sind diese Worte dahin auszulegen, dass eine Zahlung mit einzubeziehen ist, die an einen Gläubiger des in Konkurs geratenen Schuldners auf dessen Verlangen geleistet wurde, wenn die Partei, die dieser Zahlungsverpflichtung für Rechnung und zugunsten des in Konkurs geratenen Schuldners nachgekommen ist, dies in Unkenntnis eines Konkursverfahrens getan hat, das in einem anderen Mitgliedstaat gegen den Schuldner eröffnet worden ist?

    13.

    Am Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich die Konkursverwalter von Grontimmo, die Banque Internationale à Luxembourg, die belgische Regierung und die Europäische Kommission schriftlich und mündlich beteiligt. Die französische und die portugiesische Regierung haben schriftliche Stellungnahmen abgegeben. An der mündlichen Verhandlung beteiligte sich darüber hinaus auch die deutsche Regierung.

    V – Rechtliche Würdigung

    14.

    Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um Auslegung der Wendung „Leistung an den [Insolvenz-]Schuldner“ in Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000. Es möchte wissen, ob hierunter auch eine Zahlung fallen kann, die nicht an den Insolvenzschuldner erfolgte, sondern auf dessen Weisung an einen Gläubiger des Insolvenzschuldners, und zwar auf Rechnung und zugunsten des Insolvenzschuldners.

    15.

    Bevor ich mich der Auslegung von Art. 24 zuwende, ist diese Bestimmung kurz in den allgemeinen Regelungskontext der Verordnung einzuordnen. Die Verordnung Nr. 1346/2000 sieht die unmittelbare Anerkennung von Entscheidungen über die Eröffnung von Insolvenzverfahren vor. ( 6 ) Durch diese automatische Anerkennung werden die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, auf alle übrigen Mitgliedstaaten ausgedehnt. ( 7 ) Die Verordnung enthält primär kollisionsrechtliche Regelungen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts und des zuständigen Gerichts. So bestimmt Art. 4 Abs. 1 der Verordnung, dass sich die Wirkungen des Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Mitgliedstaats richten, in dem das Verfahren eröffnet wird.

    16.

    Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Insolvenzschuldner nach dem Recht der Mitgliedstaaten in der Regel die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Damit verliert er auch die Empfangszuständigkeit: Ein Schuldner des Insolvenzschuldners (Drittschuldner) kann an den Insolvenzschuldner nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung leisten. Leistet der Drittschuldner gleichwohl an den Insolvenzschuldner, wirkt diese Leistung nicht schuldbefreiend. Der nunmehr empfangszuständige Insolvenzverwalter muss sich die Leistung nicht entgegenhalten lassen. Der Drittschuldner ist daher in diesem Fall grundsätzlich verpflichtet, ein weiteres Mal zu leisten und zwar an den Insolvenzverwalter.

    17.

    Da die Verordnung die automatische Anerkennung der Wirkungen der Insolvenzverfahrenseröffnung in allen Mitgliedstaaten anordnet, sehen sich Drittschuldner folglich der Gefahr ausgesetzt, in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat an den Falschen zu leisten. Diese Gefahr ist bei Insolvenzverfahrenseröffnungen in anderen Mitgliedstaaten besonders groß, da es für den Drittschuldner kaum möglich ist, sich tagesaktuell einen Überblick über in allen anderen Mitgliedstaaten erfolgte Verfahrenseröffnungen zu verschaffen. Der Drittschuldner kann sich insbesondere nicht einfach auf die Kenntnisnahme der in seinem Mitgliedstaat erfolgenden Bekanntmachungen von Insolvenzverfahrenseröffnungen beschränken, da die Verordnung keine Verpflichtung vorsieht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in allen Mitgliedstaaten bekannt zu machen. So wurde auch vorliegend die Konkurseröffnung gegen Grontimmo in Luxemburg nicht bekannt gemacht.

    18.

    Vor diesem Hintergrund geht es Art. 24 um den Schutz derjenigen Drittschuldner, die gutgläubig im Widerspruch zur neuen Rechtslage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens leisten. ( 8 ) Zum Schutz von Personen, die in Unkenntnis der ausländischen Verfahrenseröffnung eine Leistung an den Schuldner erbringen, obwohl diese an sich an den ausländischen Insolvenzverwalter hätte geleistet werden müssen, sieht die Verordnung eine schuldbefreiende Wirkung der Leistung vor. ( 9 )

    19.

    Meiner Auffassung nach fallen in den Anwendungsbereich von Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000 nicht nur Leistungen an den Insolvenzschuldner, die in einer unmittelbaren Zahlung an diesen oder in der unmittelbaren Zuwendung eines sonstigen Vermögenswerts an diesen liegen, sondern allgemein auch Zuwendungen an Dritte, wenn der Drittschuldner diese auf Weisung des Insolvenzschuldners und für dessen Rechnung erbringt. Auch solche Zuwendungen sind als „Leistung an den Insolvenzschuldner“ im Sinne des Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000 zu qualifizieren. Dies ergibt die Auslegung des Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks von Art. 24 der Verordnung.

    A – Wortlaut

    20.

    Die Kläger des Ausgangsverfahrens sowie die belgische, die deutsche und die portugiesische Regierung argumentieren für eine Auslegung des Begriffs „Leistung“, die auch eine Zuwendung durch eine Bank (Drittschuldnerin) an einen Gläubiger des Insolvenzschuldners umfasst, die auf Weisung des Insolvenzschuldners hin erfolgt ( 10 ) bzw. mit dessen Einwilligung ( 11 ).

    21.

    Der Wortlaut von Art. 24 der Verordnung steht einem solchen Verständnis nicht entgegen. Dies gilt umso mehr u. a. für die englische, französische, spanische und italienische Fassung der Verordnung, die von „Erfüllung zugunsten des Schuldners“ ( 12 ) sprechen. Zugunsten des Insolvenzschuldners erfolgt nämlich die Erfüllung einer vertraglichen Verbindlichkeit nicht nur dann, wenn der Insolvenzschuldner durch sie unmittelbar einen Geldbetrag oder einen sonstigen Vermögenswert erhält und somit bildlich gesprochen durch die Leistung unmittelbar etwas in den Händen hält.

    22.

    Eine „Erfüllung zugunsten des Schuldners“ liegt nach allgemeinem Wortsinn ohne Weiteres auch dann vor, wenn der Drittschuldner zwar eine Zuwendung an einen Dritten vornimmt, damit aber gerade eine ihm, dem Drittschuldner, gegenüber dem Insolvenzschuldner bestehende Verpflichtung erfüllt. Besteht z. B. die gegenüber dem Insolvenzschuldner eingegangene Verpflichtung gerade darin, einem Dritten eine Sache zu übergeben, liegt die Erfüllung dieser Verpflichtung zugunsten des Schuldners gerade in der Übergabe an den Dritten.

    23.

    Und auch unter einem weiteren Aspekt kann in einer solchen Zuwendung an einen Dritten eine Erfüllung zugunsten des Insolvenzschuldners gesehen werden. Denn sofern der Insolvenzschuldner gegenüber dem Dritten zu einer entsprechenden Leistung verpflichtet ist, etwa zur Zahlung zwecks Erfüllung einer Kaufpreisforderung, wird der Insolvenzschuldner durch die Leistung an den Dritten von seiner Verpflichtung befreit. Die Zuwendung des Drittschuldners an den Dritten wirkt somit auch in diesem Sinne „zugunsten“ des Insolvenzschuldners. So ist es auch im vorliegenden Fall: Die Auszahlung an Kostner erfolgt zugunsten von Grontimmo, da diese hierdurch von der Kaufpreisforderung befreit wird, der sie seitens Kostner ausgesetzt war.

    24.

    Die deutsche Fassung der Verordnung verwendet in Art. 24 die Formulierung „wer an einen Schuldner leistet“. Bei wörtlicher Übertragung beispielsweise in die französische Sprache wäre dies eher mit „celui qui exécute une obligation à l’égard du débiteur“ zu übersetzen. Die deutsche Fassung könnte somit enger sein als einige der anderen Sprachfassungen, die die Wendung „zugunsten des Schuldners“ verwenden. Aber auch die deutsche Formulierung „wer an einen Schuldner leistet“ lässt das vorgeschlagene Verständnis der Norm ohne Weiteres zu. Nach allgemeinem Sprachverständnis liegt in einer Zuwendung dann eine „Leistung“, wenn die Zuwendung in Bezug auf ein bestimmtes Schuldverhältnis erfolgt. Deshalb liegt sprachlich eine „Leistung an den Schuldner“ auch dann vor, wenn ein Drittschuldner wegen eines zwischen ihm und dem Insolvenzschuldner bestehenden Schuldverhältnisses an einen Dritten eine Zuwendung vornimmt. Dieses Schuldverhältnis macht die Zuwendung an den Dritten zu einer Leistung an den Insolvenzschuldner.

    25.

    Dieses Verständnis von Art. 24 der Verordnung bestätigt auch ihr 30. Erwägungsgrund, aus dem folgt, dass der Leistungsbegriff in Art. 24 nicht nur Zahlungen erfasst, sondern auch alle anderen Arten von Leistungen an den Insolvenzschuldner. ( 13 ) Eine Leistung an den Insolvenzschuldner muss anders als eine Zahlung an diesen aber nicht zwingend mit einer unmittelbaren Zuwendung an diesen verbunden sein.

    26.

    Ob ein solches Schuldverhältnis zwischen Drittschuldner und Insolvenzschuldner begründet wurde, richtet sich, wie die deutsche Regierung zu Recht vorgetragen hat, nach nationalem Recht. Im vorliegenden Fall ist freilich kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, weshalb ein solches nicht zu bejahen sein sollte. Durch die Zuwendung an den Dritten (Kostner) leistet die Drittschuldnerin (Bank) an den Insolvenzschuldner (Grontimmo) in Erfüllung der Verpflichtung des zwischen ihr und dem Insolvenzschuldner bestehenden Vertrags. Denn die Bank war gegenüber Grontimmo vertraglich verpflichtet, Guthabenbeträge auf Weisung von Grontimmo an diese selbst oder an Dritte auszuzahlen oder aber – wie vorliegend – zulasten des Kontos Schecks auszustellen und einzulösen. Diese gegenüber Grontimmo eingegangene Verpflichtung wollte die Bank vorliegend durch Scheckausstellung und -einlösung erfüllen.

    27.

    Meiner Ansicht nach ist daher eine Konstellation wie die streitgegenständliche ohne Weiteres vom Wortlaut des Art. 24 der Verordnung erfasst, ohne dass es einer erweiternden Auslegung dieser Vorschrift bedürfte. In der die Kontobelastung auslösenden Scheckausstellung und -einlösung zugunsten von Kostner liegt eine Leistung der Bank an ihren Kunden, den Insolvenzschuldner.

    B – Teleologische Auslegung

    28.

    Wie bereits ausgeführt statuiert die Verordnung die automatische Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens, ohne dabei gleichzeitig eine Bekanntmachung der Eröffnung in allen Mitgliedstaaten obligatorisch vorzusehen. Vor diesem Hintergrund geht es Art. 24 um den Schutz derjenigen dritten Personen, die gutgläubig im Widerspruch zur neuen Rechtslage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch an den nicht mehr empfangszuständigen Insolvenzschuldner leisten. Diese gutgläubigen Dritten sollen nicht doppelt – nunmehr an den Insolvenzverwalter – leisten müssen.

    29.

    Die Schutzbedürftigkeit des gutgläubigen Dritten, dessen Leistung an den Insolvenzschuldner in einer Zuwendung an einen Dritten aufgrund dessen Weisung liegt, unterscheidet sich insofern nicht von der Schutzbedürftigkeit des Dritten, der durch eine unmittelbare Zuwendung an den Insolvenzschuldner leistet. Denn in beiden Fällen kommt der Drittschuldner nur deshalb seiner gegenüber dem Insolvenzschuldner eingegangenen vertraglichen Verpflichtung nach, weil er nichts von dessen Insolvenz weiß.

    30.

    Dies bestätigt auch eine Betrachtung des Ausgangssachverhalts. Wenn eine Bank keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Kunden in einem anderen Mitgliedstaat hat, ist kein Grund ersichtlich, warum sie dann, wenn sie aufgrund einer noch vor Insolvenzeröffnung wirksam eingegangenen Verpflichtung zur Scheckausstellung und -einlösung einen Guthabenbetrag des Insolvenzschuldners in Unkenntnis der Insolvenz an einen Dritten auszahlt, schlechter gestellt sein soll als bei einer unmittelbaren Auszahlung des Guthabenbetrags an den Insolvenzschuldner.

    31.

    Das vorlegende Gericht verweist insofern zu Recht darauf, dass man von einer Bank nicht erwarten könne, täglich vor der Durchführung von Zahlungsaufträgen ausländischer Kunden die Bekanntmachungen über Insolvenzen in anderen Mitgliedstaaten zu prüfen oder sich eine Bestätigung über das Nichtvorliegen eines Insolvenzverfahrens ausstellen zu lassen, die ohnehin nur Aussagekraft hätte für den Tag ihrer Ausstellung. Eine andere Auslegung würde, wie einige der Mitgliedstaaten zu Recht vorgetragen haben, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs führen.

    32.

    Dass es sich hier konkret um ein Geschäft handeln könnte, mit dem der Insolvenzschuldner möglicherweise in schädigender oder betrügerischer Absicht die Insolvenzmasse verringert hat, rechtfertigt keine einschränkende Auslegung des Art. 24 der Verordnung zulasten der Bank. Denn gerade deren guter Glaube soll durch diese Vorschrift doch geschützt werden. Hätte sie Kenntnis von einer missbräuchlichen Verfügung der Insolvenzschuldnerin, wäre die Bank ohnehin nicht gutgläubig und könnte aus Art. 24 der Verordnung keine Rechte herleiten.

    33.

    Auch das Argument der Kommission, das hier vertretene Verständnis würde eine Verringerung der Insolvenzmasse begünstigen, überzeugt nicht. Es macht insofern keinen Unterschied, ob der Insolvenzschuldner die Masse verringert, indem er einen Guthabenbetrag an sich auszahlen lässt und dann diesen Betrag bar an einen nicht greifbaren Dritten weiterleitet, oder sich für die Zahlung seiner Bank bedient. In beiden Fällen wird er gegen nationales Recht verstoßen, was aber gegebenenfalls strafrechtlich oder auf anderem Weg gegenüber dem Insolvenzschuldner zu verfolgen ist. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum nur im zweiten Fall die Bank haften soll.

    34.

    Soweit die Kommission der Auffassung ist, dass es dem nationalen Recht obliegt, zu bestimmen, ob dieses eine Gutglaubensvorschrift enthält, nach der eine Bank in einer Konstellation wie der vorliegenden von einer Zahlungsverpflichtung befreit werden kann, widerspricht dies dem Harmonisierungsgedanken des Art. 24 der Verordnung Nr. 1346/2000. Art. 24 der Verordnung verweist nämlich, anders als die meisten anderen Bestimmungen der Verordnung, gerade nicht auf das nationale Recht, sondern enthält eine eigenständige, materiell-rechtliche Regelung, die auch in allen Mitgliedstaaten einheitlich zur Anwendung kommen muss. Deshalb ist auch die dargelegte unionsautonome Auslegung dieser Norm geboten.

    35.

    Die Kommission vertritt schließlich die Auffassung, als Ausnahmevorschrift vom Grundsatz der automatischen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung sei Art. 24 von vornherein eng auszulegen. Dieses Argument greift vorliegend jedoch nicht, da die vertretene Auslegung unmittelbar vom Wortlaut der Vorschrift umfasst ist und nicht etwa – wie die Kommission meint – eine unzulässige erweiternde Auslegung darstellt.

    VI – Ergebnis

    36.

    Ich schlage daher vor, das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu beantworten:

    Eine Zahlung an einen Gläubiger des Insolvenzschuldners stellt dann eine Leistung „an den Schuldner“ im Sinne von Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren dar, wenn diese Zahlung zur Erfüllung einer gegenüber dem Insolvenzschuldner eingegangenen Verpflichtung erfolgt.


    ( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

    ( 2 ) ABl. L 160, S. 1.

    ( 3 ) Im Folgenden: Grontimmo.

    ( 4 ) Im Folgenden: Kostner.

    ( 5 ) Mittlerweile Banque Internationale à Luxemburg, im Folgenden: die beklagte Bank oder die Bank.

    ( 6 ) Siehe den 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000.

    ( 7 ) Siehe den 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000.

    ( 8 ) Siehe den 30. Erwägungsgrund der Verordnung.

    ( 9 ) Siehe ebenfalls den 30. Erwägungsgrund der Verordnung.

    ( 10 ) Die belgische und die portugiesische Regierung sowie die Kläger des Ausgangsverfahrens.

    ( 11 ) Die deutsche Regierung.

    ( 12 ) „Exécution au profit du débiteur“, „where an obligation has been honoured in a Member State for the benefit of a debtor“, „ejecución a favor del deudor“ und „prestazioni a favore del debitore“.

    ( 13 ) Virgós, M., und Schmit, E., Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, deutsche Fassung nach Überarbeitung durch die Gruppe der Rechts- und Sprachsachverständigen, Der Rat der Europäischen Union, Doc. 6500/1/96 REV 1, Randnr. 187.

    Top