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Document 62011CJ0511

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 13. Juni 2013.
Versalis SpA gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Kartelle – Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk – Festlegung von Preiszielen, Aufteilung der Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen und Austausch von Geschäftsinformationen – Beweis – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Höhe der Geldbuße – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Erschwerender Umstand – Wiederholungsfall.
Rechtssache C‑511/11 P.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:386

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

13. Juni 2013 ( *1 )

„Rechtsmittel — Kartelle — Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk — Festlegung von Preiszielen, Aufteilung der Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen und Austausch von Geschäftsinformationen — Beweis — Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung — Höhe der Geldbuße — Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung — Erschwerender Umstand — Wiederholungsfall“

In der Rechtssache C-511/11 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. September 2011,

Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA, mit Sitz in Brindisi (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Siragusa, F. Moretti und L. Nascimbene, avvocati,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, L. Malferrari und G. Conte als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und J.-J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA (im Folgenden: Versalis oder Rechtsmittelführerin), die vollständige oder teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Polimeri Europa/Kommission (T-59/07, Slg. 2011, II-4687, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Versalis betrifft, und, hilfsweise, auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.

2

Die Europäische Kommission hat ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls teilweise für nichtig erklärt und dementsprechend die gegen die Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße herabgesetzt hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

3

Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) betreffend den Markt für Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR), synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: erste Mitteilung) u. a. an Versalis, an die Eni SpA, die Muttergesellschaft der Rechtsmittelführerin, deren Kapital sie zu 100 % hält, und an die Syndial SpA (vormals EniChem SpA, im Folgenden: Syndial), eine weitere Gesellschaft des Eni-Konzerns.

4

Am 6. April 2006 erließ die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: zweite Mitteilung). Nachdem sie am 22. Juni 2006 eine Anhörung der Unternehmen durchgeführt hatte, beschloss die Kommission, das Verfahren u. a. gegen Syndial einzustellen.

5

Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung. Nach Art. 1 dieser Entscheidung hatten Versalis, die Eni SpA und die übrigen Unternehmen, die Adressaten der streitigen Entscheidung waren, nämlich die Bayer AG (im Folgenden: Bayer), The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH und die Dow Europe GmbH (im Folgenden zusammen: Dow), die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV und die Shell Nederland Chemie BV (im Folgenden zusammen: Shell), die Unipetrol a.s., die Kaučuk a.s. (im Folgenden: Kaučuk) und die Trade Stomil sp. z o.o. (im Folgenden: Stomil) gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie ‐ was Versalis betrifft, in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 ‐ an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festgelegt, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor ausgetauscht hatten.

6

Nach den Erwägungsgründen 26 ff. der streitigen Entscheidung wurde in diesem Zeitraum der Geschäftsbereich für die fraglichen Produkte im Eni-Konzern ursprünglich von der EniChem Elastomeri Srl geführt, einer Gesellschaft, die von der Eni SpA mittelbar durch ihre Tochtergesellschaft EniChem SpA kontrolliert wurde. Zum 1. November 1997 wurde die EniChem Elastomeri Srl mit der EniChem SpA verschmolzen. Die Eni SpA kontrollierte die EniChem SpA zu 99,97 %. Am 1. Januar 2002 übertrug die EniChem SpA ihren strategischen Geschäftsbereich Chemie, einschließlich BR und ESBR, auf Versalis. Versalis steht seit dem 21. Oktober 2002 unmittelbar und vollständig unter der Kontrolle der Eni SpA.

7

Die mit der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße war anhand der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), bemessen worden.

8

Die Kommission hielt den Verstoß für „besonders schwerwiegend“ und setzte zunächst den Ausgangsbetrag für die Bemessung der Geldbuße fest, indem sie anhand der BR- und ESBR-Verkäufe jedes einzelnen der betroffenen Unternehmen im Jahr 2001 unterschied. Für EniChem, d. h. alle im Besitz der Eni SpA befindlichen Unternehmen, beliefen sich nach dem 468. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung die BR- und ESBR-Verkäufe im Jahr 2001 auf 164,902 Mio. Euro. Unter Berücksichtigung dieses Betrags war EniChem, gemessen an den BR- und ESBR-Verkäufen, das führende unter den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission den Ausgangsbetrag der Geldbuße für Versalis auf 55 Mio. Euro fest.

9

Anschließend wandte die Kommission zu Abschreckungszwecken Multiplikatoren an, die nach Maßgabe der Weltumsätze der beteiligten Unternehmen im Jahr 2005 gestaffelt waren. Sie entschied, dass gegen Stomil, deren Umsatz 38 Mio. Euro betrug, und gegen Kaučuk, deren Umsatz sich auf 2,718 Mrd. Euro belief, kein Multiplikator anzuwenden sei, und wandte Multiplikatoren von 1,5 gegen Bayer, von 1,75 gegen Dow, von 2 gegen die Eni SpA und Versalis sowie von 3 gegen Shell an, deren Umsätze sich auf 27,383 Mrd. Euro, 37,221 Mrd. Euro, 73,738 Mrd. Euro bzw. 246,549 Mrd. Euro beliefen.

10

Außerdem wurde bei Versalis und der Eni SpA der Betrag der Geldbuße um 65 % erhöht, weil diese Unternehmen sechs Jahre und sechs Monate an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien.

11

Schließlich erhöhte die Kommission den gegen Versalis festgelegten Grundbetrag wegen eines Wiederholungsfalls um 50 %, weil „EniChem“ bereits Adressatin zweier früherer Entscheidungen gewesen sei, mit denen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union festgestellt worden seien, nämlich der Entscheidungen 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.149 – Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1) (im Folgenden: Entscheidung Polypropylen) und 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.865 – PVC II) (ABl. L 239, S. 14) (im Folgenden: Entscheidung PVC II).

12

Dementsprechend setzte die Kommission in Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung gegen Versalis und deren Muttergesellschaft Eni SpA gesamtschuldnerisch eine Geldbuße von 272,25 Mio. Euro fest.

Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

13

Mit am 20. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hatte Versalis eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und, hilfsweise, auf Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße erhoben. Versalis stützte ihre Anträge im Wesentlichen auf 16 Klagegründe.

14

Mit diesen Klagegründen rügte sie u. a., dass ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien (dritter Klagegrund), dass ihr die Verantwortung für die Zuwiderhandlung zu Unrecht zugerechnet worden sei (siebter Klagegrund) und dass die Feststellung des Bestehens eines Kartells sowie ihrer Beteiligung an diesem Kartell unbegründet sei (achter und neunter Klagegrund). In Bezug auf die Höhe der gegen sie festgesetzten Geldbuße machte die Rechtsmittelführerin geltend, dass die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung der Grundlage entbehre (zehnter Klagegrund), dass der Multiplikator zu Abschreckungszwecken falsch festgelegt worden sei (zwölfter Klagegrund) und dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls ungerechtfertigt sei (14. Klagegrund).

15

Im angefochtenen Urteil hat das Gericht u. a. Folgendes ausgeführt.

16

Zur behaupteten Verletzung der Verteidigungsrechte, die sich aus einer Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ergeben haben soll, hat das Gericht in Randnr. 84 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass diesem Klagegrund die Prämisse zugrunde liege, dass „die Kommission in den Mitteilungen der Beschwerdepunkte für den Zeitraum vom 20. Mai 1996 bis 1. Januar 2002 von der Verantwortlichkeit der EniChem SpA (später Syndial) ausgegangen sei, während sie in der [streitigen] Entscheidung allein [Versalis] auch für diesen Zeitraum in Haftung genommen habe, in dem [Versalis] sich nicht mit der Herstellung und dem Vertrieb der betroffenen Produkte befasst habe“.

17

In Randnr. 85 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch darauf hingewiesen, dass es in der zweiten Mitteilung heiße, dass Versalis „für die Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 20. Mai 1996 bis 28. November 2002 zur Verantwortung zu ziehen sei“, und dass, „wie in der [streitigen] Entscheidung (Erwägungsgründe 365 bis 373), von der Verantwortlichkeit von [Versalis] für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung ausgegangen“ werde. In Randnr. 86 seines Urteils hat das Gericht festgestellt, dass in dieser Mitteilung weiter ausgeführt worden sei, dass, „da die EniChem SpA im Zeitraum vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 das Kapital von [Versalis] zu 100 % kontrolliert habe, … Syndial für die Zuwiderhandlung von [Versalis] in dieser Zeit gesamtschuldnerisch zur Verantwortung zu ziehen [sei]“. Für das Gericht ergab sich daraus, dass „[i]n der zweiten Mitteilung … Syndial also nur für einen begrenzten Zeitraum, in ihrer Eigenschaft als Muttergesellschaft von [Versalis] vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002, und nicht für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen [wird]“. In Randnr. 87 des angefochtenen Urteils ist das Gericht aufgrund dessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Prämisse von Versalis falsch sei.

18

Zur Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Rechtsmittelführerin hat das Gericht ausgeführt, dass, wenn zwei Einheiten eine wirtschaftliche Einheit bildeten, der bloße Umstand, dass die Einheit, die die Zuwiderhandlung begangen habe, noch bestehe, für sich allein nicht daran hindere, der Einheit, auf die die wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen worden seien, eine Sanktion aufzuerlegen. Dies gelte insbesondere dann, wenn diese Einheiten der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien angewandt hätten.

19

In Randnr. 126 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, im vorliegenden Fall stehe „fest, dass die EniChem SpA und [Versalis] bei der Begehung ihrer Zuwiderhandlungen unmittelbar oder mittelbar vollständig im Besitz derselben Gesellschaft, nämlich [der Eni SpA], standen“. Unter diesen Umständen habe „der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit nicht daran [gehindert], dass die zunächst von der EniChem SpA begangene und dann von [Versalis] fortgeführte Zuwiderhandlung insgesamt durch Verhängung einer Sanktion gegen [Versalis] geahndet wird“. In Randnr. 129 dieses Urteils heißt es sodann, dass bei einer „Sanktion gegen ein Unternehmen, das rechtlich fortbesteht, aber keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr ausübt, die Gefahr besteht, dass sie keine Abschreckungswirkung hat“, und dass „Unternehmen Sanktionen einfach dadurch entgehen könnten, dass ihre Identität durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art verändert wird“.

20

Zu dem Klagegrund, mit dem gerügt wurde, dass die Feststellung des Bestehens eines Kartells unbegründet sei, hat das Gericht zunächst in Randnr. 168 des angefochtenen Urteils entschieden, dass das von Versalis gegen Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung geltend gemachte Vorbringen, „[dessen] wesentliche tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte nur in den Anlagen A23 bis A25 der Klageschrift dargelegt sind, nicht den Anforderungen von Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs [der Europäischen Union] und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung [des Gerichts entspricht]“. Das Gericht hat daher entschieden, dass dieses Vorbringen unzulässig sei.

21

Zu den behaupteten Widersprüchen zwischen bestimmten Erklärungen von Bayer und Dow im Verwaltungsverfahren und weiteren Erklärungen von Mitarbeitern dieser Unternehmen hat das Gericht in den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils u. a. festgestellt, dass „Antworten, die im Namen eines Unternehmens als solches gegeben werden, glaubhafter [sind] als die Antwort eines seiner Mitarbeiter, unabhängig von dessen Erfahrung oder persönlicher Meinung“.

22

Zur Einstufung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“ hat das Gericht in Randnr. 222 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass durch die streitige Entscheidung der Abschluss von Vereinbarungen über Preisziele, die Aufteilung des Marktes und der Austausch sensibler Geschäftsinformationen geahndet worden sei und dass diese Praktiken aufgrund ihrer Natur besonders schwerwiegend seien. Zudem habe die Kommission in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, „dass die konkreten Auswirkungen des Kartells“, das den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) betroffen habe, „nicht messbar seien“, auch wenn „die Kartellvereinbarungen von den betroffenen Unternehmen umgesetzt worden [seien] und … damit Auswirkungen auf den Markt gehabt [hätten]“. In Randnr. 228 dieses Urteils hat das Gericht das Vorbringen von Versalis zum Fehlen solcher Auswirkungen zurückgewiesen. Zur Marktgröße, die nur einer von mehreren Faktoren sei, denen die Kommission Rechnung tragen könne, hat das Gericht in Randnr. 229 dieses Urteils entschieden, dass „[n]ichts … die Annahme [erlaubt], dass der Kommission in der [streitigen] Entscheidung mit der Schätzung des relevanten Marktes auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 … ein Fehler unterlaufen ist [und] dass ein [möglicherweise] zu niedriger Ansatz dieser Zahl [Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“.

23

Was den Klagegrund betrifft, mit dem eine rechtswidrige Anwendung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken gerügt wurde, war das Gericht in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils der Auffassung, dass die Faktoren, die es der Kommission ermöglicht hätten, den Multiplikator für die Eni SpA und Versalis zu bestimmen, der streitigen Entscheidung eindeutig zu entnehmen seien und dass aus dieser nicht hervorgehe, dass die Kommission andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen herangezogen hätte. In Randnr. 251 dieses Urteils hat das Gericht festgestellt, dass sich die Weltumsätze des Jahres 2005 bei Bayer auf 27,383 Mrd. Euro, bei Dow auf 37,221 Mrd. Euro (d. h. 35,93 % höher als bei Bayer) und bei EniChem auf 73,738 Mrd. Euro (d. h. 169,28 % höher als bei Bayer und 98,11 % höher als bei Dow) belaufen hätten.

24

Unter diesen Umständen habe es keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung darstellen können, dass der Multiplikator bei Versalis 14,28 % höher festgesetzt worden sei als bei Dow (Verhältnis 2 zu 1,75) und bei Dow wiederum 16,66 % höher als bei Bayer (Verhältnis 1,75 zu 1,5). Vielmehr – so das Gericht in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils – hätte die Kommission auf dieser Grundlage einen noch höheren Multiplikator festlegen können. Da die Kommission zudem bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße nicht verpflichtet sei, eine genaue mathematische Formel anzuwenden, habe sie bei der Bestimmung der von ihr herangezogenen Multiplikatoren die unterschiedliche wirtschaftliche Fähigkeit der betroffenen Unternehmen beurteilungsfehlerfrei berücksichtigt.

25

Zur Erhöhung der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls hat das Gericht in den Randnrn. 296, 298 und 299 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass in der streitigen Entscheidung auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II sowie darauf Bezug genommen worden sei, dass „EniChem“ Adressat dieser Entscheidungen gewesen sei. Die Kommission habe im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass eine erneute Zuwiderhandlung desselben Unternehmens im Sinne von Art. 101 AEUV vorliege. In diesem Zusammenhang hat das Gericht jedoch darauf hingewiesen, dass die Kommission „im 487. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung allgemein auf ‚EniChem‘ Bezug nimmt und dass dieser Begriff nach der Definition im 36. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung ‚für alle im Besitz der Eni SpA befindlichen Unternehmen‘ steht“. Dieser Begriff ist nach Auffassung des Gerichts „unscharf, jedenfalls was die juristischen Personen angeht, die die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffene wirtschaftliche Einheit bilden sollen“. Außerdem habe „die von der Entscheidung Polypropylen betroffene Gesellschaft, [die] Anic [SpA], nicht zu den … juristischen Personen gehört [, die in den Erwägungsgründen 26 bis 35 der streitigen Entscheidung genannt sind, in denen] im Wesentlichen die Entwicklung der Gesellschaften geschildert werden [soll], die sich während der – nach dem Erlass der Entscheidungen Polypropylen und PVC II begangenen – Zuwiderhandlung im Besitz [der] Eni [SpA] befanden“.

26

In Randnr. 300 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass die Kommission zwar „in Fn. 262 der [streitigen] Entscheidung auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II [verweist] und [ausführt], ‚Eni‘ sei von ihnen betroffen gewesen“, dass aber der Begriff „Eni“„in der [streitigen] Entscheidung … nicht definiert wird“, da die Kommission zur Bezeichnung der Gesellschaft Eni SpA „als Muttergesellschaft der anderen Gesellschaften … den Begriff ‚Eni SpA‘ verwendet“. In Randnr. 301 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch befunden, dass „unterstellt, mit dem Begriff ‚Eni‘ … seien die Gesellschaften gemeint, die zu dem ‚Unternehmen‘ im Sinne von Art. 81 EG gehören sollen, das die von Eni kontrollierten juristischen Personen bilden – festzustellen [ist], dass die Kommission dafür in der [streitigen] Entscheidung keine substantiierten und genauen Anhaltspunkte angeführt hat“. „Die Kommission [habe] in ihren Schriftsätzen gegenüber dem Gericht lediglich darauf [hingewiesen], dass die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffenen Gesellschaften ‚vollständig‘ unter der Kontrolle von Eni gestanden hätten. Dies wird jedoch durch keinen Beweis untermauert und in der [streitigen] Entscheidung auch nicht erwähnt“.

27

In Randnr. 302 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch die Auffassung vertreten, dass „im vorliegenden Fall die Entwicklung der Struktur und der Kontrolle der betroffenen Gesellschaften besonders komplex [ist]“ und dass „[d]ie Entscheidung Polypropylen … an [die] Anic [SpA] gerichtet [wurde], ohne dass der Name ‚Eni [SpA]‘ darin vorkommt“. Was die Entscheidung PVC II betreffe, „erwähnt die Kommission im achten Erwägungsgrund, dass [die] Anic [SpA] ‚jetzt‘ Enichem SpA sei, und im 43. Erwägungsgrund, dass diese Entwicklung auf einer ‚mehrfachen Neuordnung‘ beruhe, ohne dies näher zu erläutern. Zudem kommt auch in dieser Entscheidung der Name ‚Eni [SpA]‘ nicht vor … [v]or diesem Hintergrund oblag es der Kommission, besonders genau vorzugehen und sämtliche substantiierten Anhaltspunkte anzuführen, die für die Annahme erforderlich waren, dass die von der [streitigen] Entscheidung betroffenen Gesellschaften und die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffenen Gesellschaften dasselbe ‚Unternehmen‘ … bildeten“, was die Kommission nicht getan habe.

28

Dementsprechend hat das Gericht dem Klagegrund, mit dem gerügt wurde, dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls ungerechtfertigt sei, stattgegeben, Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin die Geldbuße gegen die Rechtsmittelführerin auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird, und hat diese Geldbuße auf 181,5 Mio. Euro festgesetzt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und jeder Partei ihre eigenen Kosten auferlegt.

Anträge der Parteien

29

Versalis beantragt,

das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit damit ihre Klage in der Rechtssache T-59/07 abgewiesen wurde, und dementsprechend

die streitige Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären;

und/oder die mit dieser Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben oder zumindest herabzusetzen;

hilfsweise, das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm ihre Klage in der Rechtssache T-59/07 abgewiesen hat, und die Rechtssache zur Entscheidung über die Begründetheit unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen;

der Kommission die Kosten des vorliegenden Verfahrens und die Kosten des Verfahrens in der Rechtssache T-59/07 aufzuerlegen und

das Anschlussrechtsmittel der Kommission zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen;

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls teilweise für nichtig erklärt und dementsprechend die Geldbuße herabgesetzt hat, und

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

31

Versalis stützt ihre Anträge auf sechs Rechtsmittelgründe, die auf eine Abänderung des angefochtenen Urteils und die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung gerichtet sind.

32

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen sei und es die zweite Mitteilung falsch ausgelegt habe, indem es das Vorliegen einer aus einer Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung resultierenden Verletzung der Verteidigungsrechte ausgeschlossen habe. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund werden ein Rechtsfehler in Bezug auf die Zurechnung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung an Versalis und eine insoweit unzureichende Begründung des angefochtenen Urteils gerügt. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen Unionsrecht, eine Verfälschung von Beweismitteln und die fehlende Ausübung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle durch das Gericht geltend gemacht. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen eine falsche Berechnung der Geldbußen und eine ungerechtfertigte Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“, ein Begründungsmangel sowie eine unvollständige Ausübung der gerichtlichen Kontrolle geltend gemacht. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen ein Beurteilungsfehler und eine unzureichende Begründung in Bezug auf die fehlerhafte Festsetzung des Multiplikators sowie ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Kommission gerügt. Mit dem sechsten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass das Gericht das Unionsrecht verletzt und falsch angewandt und das angefochtene Urteil mangelhaft begründet habe, als es bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt habe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen sei und es die zweite Mitteilung offensichtlich falsch ausgelegt habe, indem es eine aus einer Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung resultierende Verletzung der Verteidigungsrechte verneint habe

Vorbringen der Parteien

33

Versalis trägt vor, die Kommission habe sie in der zweiten Mitteilung und bereits in der ersten Mitteilung für praktisch den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung gemeinsam mit der EniChem SpA (jetzt Syndial) verantwortlich gemacht, obwohl sie im BR- und im ESBR-Sektor erst seit dem 1. Januar 2002 tätig gewesen sei. Demgegenüber habe die Kommission in der streitigen Entscheidung jede unmittelbare Zurechenbarkeit an Syndial ausgeschlossen und die Rechtsmittelführerin für die gesamte Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht. Das Gericht habe den auf diese Abweichung gestützten Klagegrund mit der Bemerkung zurückgewiesen, dass in der zweiten Mitteilung nur für einen begrenzten Zeitraum von einer Verantwortlichkeit von Syndial ausgegangen werde und sich daraus ergebe, dass die Prämisse von Versalis falsch sei. In den Randnrn. 415 und 416 der zweiten Mitteilung sei die Kommission jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass Syndial vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002 individuell an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei.

34

Nach Ansicht von Versalis hätte das Gericht, da ihre Prämisse in Wirklichkeit zutreffend sei, dem Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte stattgeben müssen. Sie habe nämlich keine Gelegenheit gehabt, auf die Zuweisung der Verantwortlichkeit in der streitigen Entscheidung zu erwidern. Es mache einen Unterschied, ob eine Gesellschaft gesamtschuldnerisch mit einer anderen Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werde oder aber alleine oder gemeinsam mit einer einzigen Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werde, da die Gesellschaften, gegen die eine Geldbuße verhängt werde, die gesamtschuldnerisch zu entrichten sei, grundsätzlich verpflichtet seien, zu deren Zahlung zu gleichen Teilen beizutragen. Außerdem habe die Rechtsmittelführerin gegenüber der Kommission ihre Verteidigungsstrategie unter Berücksichtigung des Umstands gewählt, dass in der zweiten Mitteilung eine gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit von Syndial für praktisch die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung ins Auge gefasst worden sei. Versalis habe sich daher entschlossen, ihre Verteidigung auf die Ereignisse zu konzentrieren, die in den Zeitraum gefallen seien, in dem sie selbst die in Rede stehende Tätigkeit ausgeübt habe, also vom 1. Januar bis 28. November 2002.

35

Die Kommission erwidert im Wesentlichen, dass sie in Randnr. 416 der zweiten Mitteilung die individuelle Verantwortlichkeit von Versalis für die in Rede stehende Zuwiderhandlung in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 und die von Syndial in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002 klar herausgestellt habe. In Randnr. 353 dieser Mitteilung sei sie ferner davon ausgegangen, dass Syndial für die von Versalis in der Zeit vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 begangene Zuwiderhandlung gesamtschuldnerisch zur Verantwortung habe gezogen werden können. In dieser Mitteilung sei der Rechtsmittelführerin daher eine individuelle Verantwortlichkeit für die gesamte Dauer des Kartells angelastet worden.

36

Die Kommission hält es für wenig glaubhaft, dass Versalis sich nur deshalb entschlossen habe, sich nicht angemessen zu verteidigen, weil ein Teil der Sanktion, der der Verantwortlichkeit für die Zeit vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 entsprochen habe, gesamtschuldnerisch mit einer anderen Gesellschaft desselben Konzerns habe getragen werden können. Versalis und Syndial hätten beschlossen, ihre Verteidigung zu koordinieren, indem sie sich auf unterschiedliche Zeiträume konzentrierten und für die übrigen Zeiträume jeweils ausdrücklich auf den Schriftsatz des Anderen verwiesen. Versalis habe gar nicht versucht, nachzuweisen, dass das Verfahren einen anderen Ausgang hätten nehmen können, wenn in der zweiten Mitteilung die Verantwortlichkeit von Syndial ausgeschlossen worden wäre.

Würdigung durch den Gerichtshof

37

Zu den Feststellungen des Gerichts in den Randnrn. 84 bis 87 des angefochtenen Urteils, wonach zum einen in der zweiten Mitteilung Syndial nur für einen begrenzten Zeitraum, in ihrer Eigenschaft als Muttergesellschaft von Versalis vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002, und nicht für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werde und zum anderen der von Versalis vor dem Gericht geltend gemachte, auf eine Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung gestützte Klagegrund daher auf einer falschen Prämisse beruhe, ist zu bemerken, dass diese Feststellungen tatsächlich falsch sind.

38

Wie Versalis in der Rechtsmittelschrift zu Recht ausgeführt hat, wird in Randnr. 416 der zweiten Mitteilung nämlich festgestellt, dass Versalis vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002, und nicht nur vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002 Teil des von der Eni SpA, Versalis und Syndial gebildeten Unternehmens gewesen sei, das die in Rede stehende Zuwiderhandlung begangen habe. Das Gericht konnte daher bei der Zurückweisung des von Versalis erhobenen Klagegrundes, der darauf gestützt wurde, dass eine Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ‐ die anders als diese Mitteilung nicht an Syndial gerichtet gewesen sei ‐ bestehe, nicht allein auf die Erwägung abstellen, dass dieser Klagegrund auf einer „falschen“ Prämisse beruht habe.

39

Jedoch ist dem Gericht kein Fehler unterlaufen, als es entschieden hat, dass die streitige Entscheidung in diesem Zusammenhang keinen die Verteidigungsrechte von Versalis verletzenden Fehler aufweise.

40

Wie genau dieser Randnr. 416 zu entnehmen ist, ging die Kommission nämlich davon aus, dass die Eni SpA, Versalis und Syndial jedenfalls in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002, also praktisch während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung, ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV gebildet hätten. Folglich konnte für Versalis kein Zweifel daran bestehen, dass jegliches wettbewerbswidrige Verhalten des so umschriebenen Unternehmens und mithin das gesamte wettbewerbswidrige Verhalten von Syndial ihr zugerechnet werden würde. Wenn sich Versalis dessen ungeachtet entschlossen hat, zu dem behaupteten wettbewerbswidrigen Verhalten in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 1. Januar 2002 nicht Stellung zu nehmen und die Verteidigung insoweit Syndial zu überlassen, beruht dieser Entschluss auf einer Entscheidung dieses Unternehmens, die keinen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte darstellen kann. Übrigens ist nicht ersichtlich, dass diese Verteilung der Aufgaben hinsichtlich der Erwiderung auf die von der Kommission erhobenen Vorwürfe Versalis zum Nachteil gereicht hätte.

41

Der Umstand, dass die Kommission in Randnr. 353 der zweiten Mitteilung ausgeführt hat, dass Versalis und Syndial in der Zeit vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002 für die Zuwiderhandlung darüber hinaus gesamtschuldnerisch zur Verantwortung zu ziehen seien, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. In Randnr. 353 wird nämlich, wie aus den Randnrn. 354 bis 356 dieser Mitteilung eindeutig hervorgeht, lediglich hervorgehoben, dass selbst während dieser Zeit, in der Versalis von der Eni SpA nur mittelbar kontrolliert wurde, bei dem von der Eni SpA, Versalis und Syndial gebildeten Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV eine ununterbrochene wirtschaftliche Kontinuität bestand.

42

Im Übrigen tut Versalis, wenn sie vorträgt, dass es einen eindeutigen Unterschied mache, ob sie nur gesamtschuldnerisch mit zwei weiteren Gesellschaften für eine Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werde oder ob sie mit einer einzigen weiteren Gesellschaft gesamtschuldnerisch zur Verantwortung gezogen werde, in keiner Weise dar, inwieweit die streitige Entscheidung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, wenn sie im Verfahren vor der Kommission gewusst hätte, dass die streitige Entscheidung nicht an Syndial, sondern lediglich an die Eni SpA und an sie selbst gerichtet werde.

43

Folglich entbehrt das Vorbringen zur Stützung des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird, die sich aus einer Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ergeben haben soll, da diese letztlich nicht an Syndial gerichtet war, einer rechtlichen und sachlichen Grundlage. Aus diesem Grund, durch den der vom Gericht angenommene Grund zu ersetzen ist, ist dieser Rechtsmittelgrund daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Rechtsfehler in Bezug auf die Zurechnung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung an Versalis und eine unzureichende Begründung der Zurückweisung der von der Rechtsmittelführerin hierzu vorgebrachten Argumente gerügt werden

Vorbringen der Parteien

44

Nach Ansicht von Versalis hat das Gericht gegen den fundamentalen Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit verstoßen, indem es den Klagegrund zurückgewiesen hat, mit dem eine fehlerhafte Zuweisung der sich aus den Ereignissen in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 1. Januar 2002 ergebenden Verantwortlichkeit gerügt worden war. Die Kommission hätte für diesen Zeitraum nämlich zwei getrennte Verantwortlichkeiten, die von Syndial und die von Versalis, feststellen müssen.

45

Die Möglichkeit, vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit abzuweichen, habe der Gerichtshof nur ausnahmsweise und unter konkreten Voraussetzungen zugelassen, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien. Syndial habe nämlich weder rechtlich noch wirtschaftlich aufgehört zu bestehen, die Tätigkeit im BR- und im ESBR-Sektor sei nicht zu dem Zweck übertragen worden, sich den Regeln zum Schutz des Wettbewerbs zu entziehen, und Versalis sowie Syndial hätten nicht derselben öffentlichen Stelle unterstanden. Die Rechtsmittelführerin habe auch keine spontane Erklärung abgegeben, um die Verantwortung für das Verhalten von Syndial zu übernehmen.

46

Zudem bestehe keinerlei Gefahr, dass es an einer Abschreckungswirkung fehlen könnte, falls die Verantwortlichkeit anstatt ihr selbst Syndial zugewiesen werde, da diese Gesellschaft noch wirtschaftlich tätig und in der Lage sei, eine Sanktion zu begleichen. Nach der Rechtsprechung sei jedoch die Gefahr einer Verfehlung der Abschreckungswirkung der grundlegende Faktor, der eine Abweichung vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit erlaube. Versalis verweist hierzu insbesondere auf Randnr. 144 des Urteils vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission (C-352/09 P, Slg. 2011, I-2359).

47

Jedenfalls habe das Gericht versäumt, die Intensität der wirtschaftlichen und organisatorischen Bindungen zwischen Versalis und Syndial zu prüfen, und sich mit der Feststellung begnügt, dass diese beiden Gesellschaften „unmittelbar oder mittelbar vollständig im Besitz [der Eni SpA] standen“. Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen. Auch habe es die Zurückweisung des entsprechenden Vorbringens nicht hinreichend begründet.

48

Die Kommission erwidert, dass der Gerichtshof die Verantwortlichkeit einer übernehmenden Gesellschaft nicht auf die Fälle beschränkt habe, in denen die übertragende Gesellschaft jede wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt habe. Nach der Rechtsprechung sei allein das Bestehen „struktureller Beziehungen“ zwischen zwei demselben Konzern angehörigen Unternehmen ausschlaggebend, und dieser Grundsatz sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen die beteiligten Unternehmen derselben öffentlichen Stelle unterstünden.

49

Für unbeachtlich hält die Kommission das Vorbringen von Versalis, wonach, da Syndial eine bestehende und tätige Gesellschaft sei, nicht die Gefahr bestehe, dass es an einer Abschreckungswirkung fehlen könnte, falls die Verantwortlichkeit anstatt der Rechtsmittelführerin Syndial zugewiesen werde, da die Rechtsprechung die Möglichkeit, eine Sanktion gegen das übernehmende Unternehmen zu verhängen, nicht allein auf den Fall beschränke, in dem die übertragende Gesellschaft rechtlich oder wirtschaftlich aufgehört habe zu bestehen.

50

Was die wirtschaftlichen und organisatorischen Bindungen zwischen Versalis und Syndial angehe, habe der Gerichtshof im Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Slg. 2004, I-123), schon deshalb auf das Bestehen struktureller, die Verhängung einer Sanktion gegen die übernehmende Gesellschaft rechtfertigender Beziehungen geschlossen, weil das am Kartell beteiligte Unternehmen die fraglichen Tätigkeiten auf eine andere Gesellschaft übertragen habe, die es zu 50 % kontrolliert habe. Im vorliegenden Fall liege daher auf der Hand, dass eine wirtschaftliche Kontinuität bestanden habe, da der übernehmende Teil zu 100 % kontrolliert worden sei. Das angefochtene Urteil sei insoweit hinreichend begründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

51

Nach ständiger Rechtsprechung betrifft das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen; der Begriff des Unternehmens umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Verstößt eine solche Einrichtung gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 11. Dezember 2007, ETI u. a., C-280/06, Slg. 2007, I-10893, Randnrn. 38 und 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass, wenn zwei Einrichtungen eine wirtschaftliche Einheit bilden, der bloße Umstand, dass die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, noch besteht, für sich allein nicht daran hindert, der Einrichtung, auf die sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen hat, eine Sanktion aufzuerlegen. Eine solche Ahndung ist insbesondere dann zulässig, wenn diese Einrichtungen der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit in Anbetracht der zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene bestehenden engen Bindungen im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien anwandten (vgl. Urteil ETI u. a., Randnrn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Im vorliegenden Fall ging die Kommission ausweislich der Erwägungsgründe 368 und 369 der streitigen Entscheidung davon aus, dass die Eni SpA, Versalis und Syndial während der Dauer der in Rede stehenden Zuwiderhandlung ein einziges Unternehmen gebildet hatten. Da die Eni SpA darüber hinaus während dieser ganzen Zeit unmittelbar oder mittelbar das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital nicht nur von Versalis, sondern auch von Syndial hielt, was Versalis nicht bestreitet, durfte sich die Kommission im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung auf die Vermutung stützen, dass die Eni SpA tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausgeübt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2012, Legris Industries/Kommission, C-289/11 P, Randnrn. 46 bis 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Vermutung ist in der vorliegenden Rechtssache nicht widerlegt worden.

54

Aufgrund dieser Umstände ist festzustellen, dass die Kommission jede von Syndial begangene Zuwiderhandlung Versalis anlasten durfte, obwohl Syndial noch besteht.

55

Diese Feststellung wird nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass der Gerichtshof im Urteil ThyssenKrupp Nirosta/Kommission entschieden hat, dass die in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils dargestellte Möglichkeit auch für den Fall gilt, in dem die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, rechtlich oder wirtschaftlich nicht mehr besteht, da eine Sanktion gegen ein Unternehmen, das keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr ausübt, unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung kaum wirksam wäre (vgl. Urteil ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, Randnr. 144), weil diesem Urteil gerade nicht entnommen werden kann, dass die Zurechnung einer Zuwiderhandlung an eine Einrichtung, die diese nicht begangen hat, allein auf die Fälle beschränkt ist, in denen die Verhängung einer Sanktion gegen die Gesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen hat, den Abschreckungszweck verfehlen würde.

56

Im Urteil ETI u. a., auf das der Gerichtshof in Randnr. 144 des Urteils ThyssenKrupp Nirosta/Kommission ausdrücklich Bezug genommen hat, hat er entschieden, dass die Kommission die betreffende Zuwiderhandlung einer Gesellschaft, die nicht die Urheberin der Zuwiderhandlung war, in einem Fall zurechnen durfte, in dem die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hatte, als Wirtschaftsteilnehmer auf anderen Märkten noch bestanden hatte (vgl. Urteil ETI u. a., Randnr. 45). Der Gerichtshof hat diese Beurteilung darauf gestützt, dass sich die betroffenen Gesellschaften während ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens in der Hand derselben öffentlichen Einrichtung befanden (Urteil ETI u. a., Randnr. 50).

57

Außerdem ist festzustellen, dass die Tragweite des Urteils ETI u. a. entgegen dem Vorbringen von Versalis nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen die betroffenen Einrichtungen der Kontrolle durch eine öffentliche Stelle unterstehen. In Randnr. 44 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich deutlich gemacht, dass der Umstand, dass eine Übertragung von Tätigkeiten nicht von Einzelnen, sondern vom Gesetzgeber zwecks Privatisierung beschlossen wurde, ohne Bedeutung ist. Nach Auffassung des Gerichtshofs könnten somit Zweifel an der Zurechenbarkeit einer Zuwiderhandlung an die Einrichtung, die die Rechtsnachfolge angetreten hat, allenfalls dann bestehen, wenn eine öffentliche Stelle die Kontrolle über die beiden betroffenen Einrichtungen ausübt, doch hat er diese Zweifel zerstreut. Kein Zweifel an einer solchen Zurechenbarkeit kann demgegenüber dann bestehen, wenn die Kontrolle – wie im vorliegenden Fall – durch eine privatrechtliche Gesellschaft ausgeübt wird.

58

Demnach ist dem Gericht kein Rechtsfehler unterlaufen, als es davon ausgegangen ist, dass die Kommission das gesamte in Rede stehende wettbewerbswidrige Verhalten Versalis zurechnen durfte.

59

Was den behaupteten Begründungsmangel betrifft, hat das Gericht in den Randnrn. 120 bis 131 des angefochtenen Urteils im Einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen es den entsprechenden Klagegrund für unbegründet gehalten hat. Die Gründe dieses Urteils lassen daher keinen Raum für Zweifel, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung in diesem Punkt gestützt hat, und ermöglichen es daher dem Gerichtshof, seine Kontrolle durchzuführen. Folglich ist das angefochtene Urteil insoweit nicht mit einem Begründungsmangel behaftet.

60

Da keines der zur Stützung des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgetragenen Argumente durchgreift, ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund, mit dem die Verletzung und falsche Anwendung von Unionsrecht, eine Verfälschung von Beweismitteln sowie die fehlende Ausübung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle durch das Gericht geltend gemacht wird

Vorbringen der Parteien

61

Nach Ansicht von Versalis hat das Gericht die Argumente, die aus behaupteten Widersprüchen zwischen drei von Bayer über ihren Rechtsbeistand, Herrn K., abgegebenen Erklärungen hergeleitet worden seien, sowie ihr eigenes Vorbringen zu einer Erklärung von Herrn N., einem Beschäftigten von Dow, zu Unrecht zurückgewiesen. Das Gericht habe sich in den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils insoweit auf den Grundsatz gestützt, dass Antworten auf Fragen der Kommission, die im Namen eines Unternehmens als solches gegeben würden, glaubhafter seien als es die Antwort eines der Mitarbeiter dieses Unternehmens sein könnte.

62

Diese Argumente hätten sich jedoch jeweils auf Widersprüche zwischen den im Namen der betroffenen Unternehmen abgegebenen Erklärungen bezogen. Wie insbesondere aus den Niederschriften der im Verwaltungsverfahren abgegebenen mündlichen Erklärungen hervorgehe, habe Herr N., der ein unmittelbarer Zeuge der in Rede stehenden Zuwiderhandlung sei und eine von den Feststellungen der Kommission in der streitigen Entscheidung stark abweichende Schilderung des Sachverhalts abgegeben habe, seine Erklärungen im Namen von Dow und nicht im eigenen Namen abgegeben. Das Gericht habe daher einen Fehler begangen, als es den „Grundsatz des Vorrangs“ der von den betroffenen Unternehmen selbst stammenden Erklärungen vor denen der Beschäftigten dieser Unternehmen angewandt und dementsprechend die von Versalis vorgelegten entlastenden Beweise nicht in die Umstände einbezogen habe, die bei der Prüfung des Bestehens dieses Kartells zu berücksichtigen gewesen seien.

63

Versalis hält eine erneute Prüfung dieser Argumente für geboten, um festzustellen, ob die in der streitigen Entscheidung angesprochenen Kontakte zwischen Wettbewerbern tatsächlich ein Kartell zur Festsetzung von Preisen und zur Marktaufteilung dargestellt hätten oder ob sich nur um gelegentliche Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union gehandelt habe, die allenfalls im Austausch sensibler Geschäftsinformationen bestanden hätten. Versalis weist darauf hin, dass bestimmte Angaben der Kronzeugen zu tatsächlichen Umständen bereits im Rahmen der Urteile des Gerichts vom 13. Juli 2011, Kaučuk/Kommission (T-44/07, Slg. 2011, II-4601), Unipetrol/Kommission (T-45/07, Slg. 2011, II-4629) und Trade-Stomil/Kommission (T-53/07, Slg. 2011, II-4657), widerlegt worden seien, die auf Klagen ergangen seien, die von drei weiteren Gesellschaften, die Adressaten der streitigen Entscheidung gewesen seien, nämlich Kaučuk, Unipetrol a.s. und Stomil, erhoben worden seien und mit denen diese Entscheidung, soweit sie diese Gesellschaften betroffen habe, in vollem Umfang für nichtig erklärt worden sei.

64

Die Kommission macht geltend, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung aufgrund zahlreicher Beweise festgestellt worden sei, von denen einige nur vor dem Gericht beanstandet worden seien. Dass dieses einer von Bayer abgegebenen Erklärung einen höheren Beweiswert beigemessen habe als anderen Erklärungen, hänge damit zusammen, dass diese Erklärung durch andere, von Versalis nicht beanstandete Teile der Akten bestätigt werde. Auf jeden Fall seien die von Versalis herangezogenen Erklärungen nicht geeignet, die anderen Erklärungen, auf die die streitige Entscheidung gestützt sei, zu widerlegen, und es liege auf der Hand, dass diese Fragen zur Tatsachenfeststellung gehörten. Diese sei der Kontrolle durch den Gerichtshof jedoch entzogen.

Würdigung durch den Gerichtshof

65

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht Versalis im Kern geltend, dass dem Gericht ein Fehler unterlaufen sei, indem es bestimmten im Namen von Bayer und Dow abgegebenen Erklärungen einen besonders hohen Beweiswert beigemessen habe, obwohl andere, von denselben Unternehmen stammende und auch in deren Namen abgegebene Erklärungen zu diesen erstgenannten Erklärungen in Widerspruch stünden.

66

Nach ständiger Rechtsprechung ist allein das Gericht zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Akten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, und für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweise nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. u. a. Urteil Legris Industries/Kommission, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67

Im vorliegenden Fall stützt Versalis ihr Vorbringen nicht darauf, dass sich aus den Akten ergebe, dass die Feststellungen des Gerichts tatsächlich falsch seien.

68

Was eine eventuelle Verfälschung von Beweisen betrifft, geht Versalis von der in Randnr. 35 ihrer Rechtsmittelschrift dargelegten Prämisse aus, wonach ihr Vorbringen eine solche Verfälschung durch das Gericht „betreffe“, da dieses wichtige von ihr vorgelegte entlastende Beweise nicht in die Umstände einbezogen habe, die bei der Prüfung des Bestehens dieses Kartells zu berücksichtigen gewesen seien.

69

Hierzu ist festzustellen, dass den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils zu entnehmen ist, dass diese Prämisse, die im Kern dahin geht, dass das Gericht versäumt habe, von Versalis vorgelegte entlastende Beweise zu berücksichtigen, weil es bestimmten im Namen von Bayer und Dow abgegebenen Erklärungen einen höheren Beweiswert beigemessen habe, falsch ist. Das Gericht hat in diesen Randnrn. 180 und 198 nämlich lediglich festgestellt, dass die Erklärungen der Beschäftigten von Bayer und Dow keinen „höheren“ Beweiswert haben könnten als die von diesen Gesellschaften selbst abgegebenen Erklärungen.

70

Außerdem hat das Gericht, wie u. a. aus den Randnrn. 180 und 197 des angefochtenen Urteils hervorgeht, seine Würdigung der Tatsachen nicht nur auf einige der Erklärungen von Bayer und Dow, sondern auch auf Erklärungen von Shell und auf mehrere schriftliche Beweise gestützt.

71

Demnach beanstandet Versalis in Wirklichkeit die vom Gericht vorgenommene Würdigung der Tatsachen, Beweise und entsprechenden Argumente als solche und rügt somit, dass das Gericht die Argumentation, die sie vorgebracht habe, um darzutun, dass keine Zuwiderhandlung vorliege, nicht für ausreichend gehalten habe. Mithin möchte Versalis eine erneute Würdigung der vom Gericht festgestellten Tatsachen und ihm vorgelegten Beweise durch den Gerichtshof erwirken, die aber nach der in Randnr. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht zur Kontrollaufgabe des Gerichtshofs gehört.

72

Folglich sind die Argumente, die Versalis zur Stützung des dritten Rechtsmittelgrundes vorgebracht hat, und dieser Rechtsmittelgrund selbst als unzulässig zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Unionsrecht bei der Berechnung der Geldbußen und der Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“, ein Begründungsmangel sowie eine unvollständige Ausübung der gerichtlichen Kontrolle gerügt werden

Vorbringen der Parteien

73

Versalis trägt erstens vor, das Gericht habe in Randnr. 225 des angefochtenen Urteils zu Unrecht ausgeführt, „dass Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die – wie hier – auf die Festlegung von Preiszielen oder die Aufteilung der Märkte gerichtet sind, allein schon aufgrund ihrer Natur als ‚besonders schwerwiegend‘ eingestuft werden können, ohne dass die Kommission eine konkrete Auswirkung der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen muss“. Nach Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 der Leitlinien und der Rechtsprechung des Gerichts sei die Kommission bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes nämlich verpflichtet, dessen konkrete Auswirkungen auf den Markt zu berücksichtigen, sofern sie messbar seien. Die erste Mitteilung, in der die Kommission entgegen dem in der zweiten Mitteilung verfolgten Ansatz eine erschöpfende Untersuchung hierzu vorgenommen habe, und die der Klageschrift als Anlagen beigefügten Studien zeigten aber, dass diese – begrenzten – Auswirkungen im vorliegenden Fall tatsächlich messbar gewesen seien.

74

Außerdem ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichts, dass horizontale Preisabsprachen als nur „schwere“ Verstöße angesehen werden oder die Festsetzung einer geringeren Geldbuße rechtfertigen könnten, wenn, wie es hier der Fall sei, die nachteiligen Auswirkungen dieser Absprachen auf den Markt begrenzt seien.

75

Hilfsweise macht Versalis geltend, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, anzugeben, welche anderen Faktoren sie berücksichtigt habe, um die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbußen über den für „besonders schwerwiegende“ Verstöße geltenden Mindestbetrag von 20 Mio. Euro zu rechtfertigen. Das Gericht habe daher einen Fehler begangen, indem es diesen Punkt nicht aufgegriffen habe.

76

Zweitens habe sich das Gericht nicht in „vernünftiger und schlüssiger“ Weise zu den wesentlichen Faktoren geäußert, die es bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung herangezogen habe. Es habe sich nämlich auf die Aussage beschränkt, es sei ausreichend gewesen, dass die Kommission hierzu festgestellt habe, dass das beanstandete Verhalten seinem Wesen nach ein „sehr schwerwiegender“ Verstoß sei, und es habe von einer Berücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt abgesehen. Die Rechtsmittelführerin habe dem Gericht jedoch Daten geliefert, damit es eine konkrete Prüfung vornehme, so dass es verpflichtet gewesen sei, eine solche Prüfung durchzuführen, seine eigene Würdigung dieser Daten vorzunehmen und daraus die sich für den Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße ergebenden Schlüsse zu ziehen.

77

Drittens habe das Gericht die Tatsachen verfälscht, indem es wichtige Elemente des Rechtsstreits nicht zutreffend berücksichtigt habe. In Randnr. 229 des angefochtenen Urteils habe es nämlich festgestellt, dass „[n]ichts … die Annahme [erlaubt], dass der Kommission in der [streitigen] Entscheidung mit der Schätzung des relevanten Marktes auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 … ein Fehler unterlaufen ist“. Wie sich jedoch aus den erstinstanzlichen Akten ergebe, habe die Kommission den Gesamtwert des relevanten Marktes drastisch verringert und dementsprechend fälschlicherweise vermutet, dass anstatt 60 % dieses Marktes, wie sie in der zweiten Mitteilung angegeben habe, nahezu 90 % dieses Marktes von dem Kartell betroffen gewesen sei.

78

Entgegen den Erwägungen in Randnr. 229, wonach „nichts die Annahme [erlaubt], dass ein zu niedriger Ansatz dieser Zahl [Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“, gehörten die Marktanteile der an einer Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zu den für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung potenziell maßgeblichen Faktoren. Außerdem müsse der von dem behaupteten Kartell betroffene Marktanteil aufgrund des Ausschlusses zweier ursprünglich materiell beteiligter Unternehmen, nämlich Kaučuk und Stomil, aus der Gruppe der Mitglieder dieses Kartells auf jeden Fall als noch geringer angesehen werden, als er in der streitigen Entscheidung berechnet worden sei.

79

Die Kommission hält dem entgegen, dass horizontale Preisabsprachen nach ständiger Rechtsprechung zu den schwersten Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union gehörten. Insbesondere den Urteilen vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission (C-534/07 P, Slg. 2009, I-7415, Randnr. 75), und vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission (C-272/09 P, Slg. 2011, I-12789, Randnr. 34), sowie den Leitlinien sei zu entnehmen, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen eines solchen Kartells auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbuße kein entscheidendes, sondern nur ein Kriterium neben anderen sei, das Berücksichtigung finden könne, wenn es messbar sei. Dass die Kommission in der zweiten Mitteilung von der in der ersten Mitteilung enthaltenen Untersuchung der Preisentwicklung auf den relevanten Märkten Abstand genommen habe, bedeute jedoch nicht, dass das betreffende Kartell keine Auswirkungen auf den Markt gehabt hätte, und die Rechtsmittelführerin habe solche Auswirkungen auch nicht nachgewiesen.

80

Jedenfalls wäre die Feststellung besonderer Auswirkungen auf den Markt nur ein weiterer Gesichtspunkt gewesen, der es der Kommission erlaubt hätte, bei der Bemessung der Geldbuße den Ausgangsbetrag zu erhöhen.

81

Schließlich habe das Gericht die von Versalis vorgelegten Marktstudien zu Recht nicht berücksichtigt, da die in Rede stehende Zuwiderhandlung aufgrund ihrer Art als „besonders schwerwiegend“ habe angesehen werden können und die genannten Studien auf unvollständige Daten gestützt gewesen seien. Zum Wert des relevanten Marktes macht die Kommission geltend, dass das Gericht keineswegs die Tatsachen verfälscht habe, als es von „mindestens“ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 ausgegangen sei. Jedenfalls habe die Kommission für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung nicht auf den von den beteiligten Unternehmen kontrollierten Marktanteil abgestellt.

Würdigung durch den Gerichtshof

82

Erstens ist zur Bedeutung der Auswirkungen der betreffenden Zuwiderhandlung darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2012, Bavaria/Kommission, C-445/11 P, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was speziell die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt betrifft, sind diese für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium (vgl. Urteile KME Germany u. a./Kommission, Randnr. 34, und vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C-389/10 P, Slg. 2011, I-13125, Randnr. 44).

83

Zudem können horizontale Preisabsprachen oder Marktaufteilungen allein aufgrund ihrer Art als besonders schwere Verstöße angesehen werden, ohne dass die Kommission konkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen müsste (vgl. u. a. Beschluss vom 13. Dezember 2012, Transcatab/Kommission, C-654/11 P, Randnr. 42). In diesem Fall sind die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung nur ein Kriterium neben anderen, das der Kommission, wenn es messbar ist, erlauben kann, den Ausgangsbetrag der Geldbuße über den voraussichtlichen Mindestbetrag von 20 Mio. Euro zu erhöhen (Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 75).

84

Folglich hätte das Gericht, wenn es die konkreten Auswirkungen der in Rede stehenden Zuwiderhandlung ‐ unterstellt man ihre tatsächliche Messbarkeit – auf den Markt berücksichtigt hätte, dies nur beiläufig getan. Da außerdem diese Zuwiderhandlung ihrem Wesen nach ein sehr schwerer Verstoß ist, hätte die Berücksichtigung ihrer konkreten Auswirkungen nur zu einer Erhöhung der Geldbuße führen können. Das Vorbringen von Versalis geht daher ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 75, und Beschluss Transcatab/Kommission, Randnrn. 43 und 44).

85

Zweitens genügt zu dem Vorbringen, das Gericht habe sich nicht in „vernünftiger und schlüssiger“ Weise zu den wesentlichen Faktoren geäußert, die es bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt habe, da es davon abgesehen habe, die von Versalis beigebrachten Daten zu prüfen, seine eigene Würdigung dieser Daten vorzunehmen und daraus die sich für den Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße ergebenden Schlüsse zu ziehen, die Feststellung, dass das Gericht in den Randnrn. 219 bis 233 des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt hat, welche Faktoren es bei der Bewertung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat. Dieses Vorbringen ist daher unbegründet. Die Tatsache allein, dass das Gericht dabei in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auch mehrere Teile der Beurteilung bestätigt hat, die die Kommission in der streitigen Entscheidung vorgenommen hatte, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission, C-89/11 P, Randnr. 133).

86

Drittens kann das Vorbringen, das Gericht habe die Tatsachen verfälscht, indem es festgestellt habe, dass nichts die Annahme erlaube, dass der Kommission mit der Schätzung des relevanten Marktes „auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001“ ein Fehler unterlaufen sei, keinen Erfolg haben.

87

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es Versalis weder gelingt, darzutun, dass die Feststellung des Gerichts in Randnr. 229 des angefochtenen Urteils, wonach „nichts die Annahme [erlaubt], dass ein zu niedriger Ansatz [bei der Schätzung des relevanten Marktes Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“, falsch ist, noch, den Beweis zu erbringen, dass diese Feststellung eine Verfälschung der Tatsachen darstellt.

88

Versalis selbst bestätigt nämlich in Randnr. 64 der Rechtsmittelschrift, dass die Marktanteile der an einer Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zu den für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung „potenziell“ maßgeblichen Faktoren gehörten. Die Kommission hat jedoch, als sie für alle Unternehmen, die an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt waren, unterschiedliche Grundbeträge der Geldbußen festgesetzt hat, in den Erwägungsgründen 66 und 467 der streitigen Entscheidung gerade nicht auf die Marktanteile dieser Unternehmen, sondern auf deren BR- und ESBR-Verkäufe abgestellt. Daher geht das Vorbringen von Versalis, die Kommission habe in der streitigen Entscheidung ihre Schätzung des relevanten Marktes gegenüber der in der zweiten Mitteilung genannten Schätzung berichtigt, ins Leere.

89

Da keines der zur Stützung des vierten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente stichhaltig ist, ist dieser Rechtsmittelgrund somit zurückzuweisen.

Zum fünften Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass der vor dem Gericht geltend gemachte zwölfte Klagegrund unter Verstoß gegen Unionsrecht zurückgewiesen worden sei

Zum ersten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, mit dem ein Beurteilungsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung in Bezug auf die Zulänglichkeit der von der Kommission gegebenen Begründung für die Festsetzung des Multiplikators gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

90

Versalis wirft dem Gericht vor, nicht angemessen berücksichtigt zu haben, dass die Kommission nicht alle Faktoren angegeben habe, die ihr die Festsetzung eines Multiplikators von 2 für die von der Eni SpA kontrollierten Gesellschaften erlaubt hätten, und insoweit eine unzureichende und widersprüchliche Begründung gegeben zu haben.

91

Das Gericht habe ausgeführt, dass der Abschreckungsfaktor, wie der Gerichtshof in den Randnrn. 23 und 24 des Urteils vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission (C-289/04 P, Slg. 2006, I-5859), bereits entschieden habe, „unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und nicht nur der besonderen Situation des betreffenden Unternehmens ermittelt [wird]“. Das Gericht habe sich jedoch widersprochen, als es davon ausgegangen sei, dass der Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen, die die Kommission berücksichtigt habe, ausreichend gewesen seien und dass „[a]us der [streitigen] Entscheidung … nicht [hervorgeht], dass die Kommission ausdrücklich andere Faktoren … herangezogen hätte“, obwohl es in den Randnrn. 249 und 250 des angefochtenen Urteils zugleich festgestellt habe, dass der in der streitigen Entscheidung verwendete allgemeine Begriff „Umstände“ nicht geeignet gewesen sei, einen Irrtum hinsichtlich weiterer Faktoren zu begründen, die die Kommission berücksichtigt habe.

92

Mit der Feststellung in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils, dass „unter den ‚Umständen‘ … die Weltumsätze und die relative Größe der betroffenen Unternehmen verstanden werden [können]“, habe das Gericht diese Beurteilung rechtlich nicht hinreichend begründet. Dabei sei es ohne Bedeutung, dass die Kommission diesen Umstand in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe.

93

Nach Ansicht der Kommission ist die Argumentation des Gerichts in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils klar und nicht zu beanstanden. In der streitigen Entscheidung finde sich kein Hinweis darauf, dass die Kommission andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen berücksichtigt hätte.

– Würdigung durch den Gerichtshof

94

Was erstens die Bezugnahme auf das Urteil Showa Denko/Kommission betrifft, ist festzustellen, dass Versalis dieses Urteil falsch auslegt. Der Gerichtshof hat nämlich mit der Feststellung in Randnr. 23 dieses Urteils, dass bei der Ermittlung des Abschreckungsfaktors eine Vielzahl von Gesichtspunkten und nicht nur die besondere Situation des betreffenden Unternehmens zu berücksichtigen ist, auf die Nrn. 53 bis 55 der Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in dieser Rechtssache Bezug genommen, der im Wesentlichen ausgeführt hatte, dass der Multiplikator zu Abschreckungszwecken nicht nur auf eine „allgemeine Abschreckung“ im Sinne eines Vorgehens zur Abschreckung aller Unternehmen im Allgemeinen von der Begehung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung, sondern auch auf eine „konkrete Abschreckung“ zur Abschreckung des konkreten Beklagten von künftiger Verletzung der Bestimmungen abzielen könne. Damit hat der Gerichtshof in diesem Urteil lediglich bestätigt, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, ihre Bewertung auf Faktoren zu beschränken, die sich allein auf die besondere Situation des betreffenden Unternehmens beziehen.

95

Der Gerichtshof hat jedoch nicht entschieden, dass die Kommission oder gegebenenfalls das Gericht bei der Festsetzung eines Multiplikators zu Abschreckungszwecken in jedem Fall verpflichtet wäre, andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen.

96

In diesem Zusammenhang ist zweitens festzustellen, dass den Erwägungsgründen 474 und 475 der streitigen Entscheidung eindeutig zu entnehmen ist, welche Kriterien die Kommission bei der Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken berücksichtigt hat, nämlich die relative Größe der betroffenen Unternehmen und deren Weltumsatz. Wie das Gericht in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, steht diesem Ergebnis nicht entgegen, dass die Kommission sich auch auf „Umstände“ bezog, da aus der streitigen Entscheidung nicht hervorgeht, dass die Kommission ausdrücklich andere Faktoren als die bereits erwähnten herangezogen hätte, und da unter den „Umständen“ gerade die Weltumsätze und die relative Größe der betroffenen Unternehmen zu verstehen sind.

97

Zur Begründung bezüglich der für die Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken verwendeten Kriterien ist festzustellen, dass das Gericht seine entsprechenden Erwägungen in den Randnrn. 242 bis 250 des angefochtenen Urteils ausführlich begründet hat. Diese Begründung weist weder einen Widerspruch noch einen Rechtsfehler auf, und aus ihr gehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervor, so dass Versalis die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen und der Gerichtshof seine Kontrollfunktion ausüben kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 2. April 2009, France Télécom/Kommission, C-202/07 P, Slg. 2009, I-2369, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98

Daher ist der erste Teil des fünften Rechtsmittelgrundes unbegründet.

Zum zweiten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, mit dem ein Beurteilungsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung in Bezug auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Kommission gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

99

Versalis ist der Meinung, dass die Kommission, sobald sie sich für die Anwendung einer mathematischen Methode zur Berechnung einer Geldbuße entschieden habe, gegenüber allen Mitgliedern eines Kartells an die Regeln dieser Methode gebunden sei, sofern es für eine Abweichung keine ausdrückliche Rechtfertigung gebe. Im Urteil vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission (T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/01, Slg. 2004, II-1181), habe das Gericht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in dem Fall erkannt, in dem für ein Unternehmen ein Multiplikator von 1,25 und für ein anderes Unternehmen ein Multiplikator von 2,5 festgesetzt worden sei, obwohl der Umsatz des einen nur das Doppelte des Umsatzes des anderen Unternehmens ausgemacht habe. Dieses Urteil zeige eindeutig, dass zwischen dem Anstieg des Umsatzes und der Erhöhung des Multiplikators ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Im angefochtenen Urteil sei das Gericht jedoch von diesen Grundsätzen abgewichen.

100

Um die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten und um zugleich die Anwendung eines höheren Multiplikators als 3 zu verhindern, hätte das Gericht nach Ansicht der Rechtsmittelführerin bei den gegebenen Umsätzen der an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen auf Bayer einen Multiplikator von 1,25 und nicht von 1,5, und dementsprechend auf alle anderen beteiligten Unternehmen einen niedrigeren Multiplikator, nämlich auf Dow einen Multiplikator von 1,33, auf EniChem einen Multiplikator von etwa 1,66 und auf Shell einen Multiplikator von 3 anwenden müssen. Die Aussage des Gerichts in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils, wonach „sich … aus der [streitigen] Entscheidung [ergibt], dass der auf EniChem angewandte Multiplikator auf der Grundlage des Multiplikators von Dow errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von Shell“, gehe ins Leere, da der Grundsatz der Gleichbehandlung für alle Teilnehmer an ein und demselben Kartell gelte.

101

Die Kommission ist der Meinung, dass die Rechtsmittelführerin keinerlei Rechtsfehler dartue, sondern vielmehr eine Ersatzberechnungsmethode vorschlage, die in ihrem Fall zur Anwendung eines niedrigen Multiplikators führen würde. Da dieses Begehren auch die gegen andere Unternehmen festgesetzten Geldbußen betreffe, sei es unzulässig. Die Kommission verweist darüber hinaus auf das Urteil vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission (C-283/98 P, Slg. 2000, I-9855, Randnr. 47), wonach sie sich nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf mathematische Formeln ihres Ermessens begeben dürfe. Die Entscheidung, keine höheren Multiplikatoren als 3 anzuwenden, der Versalis zuzustimmen scheine, führe zu einer gewissen Degressivität der Multiplikatoren im Verhältnis zur Größe der Unternehmen, die der Rechtsmittelführerin im Übrigen in hohem Maße zugutegekommen sei.

– Würdigung durch den Gerichtshof

102

Nach ständiger Rechtsprechung finden das Ziel des Multiplikators zu Abschreckungszwecken und in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung der Größe und der Gesamtressourcen des betreffenden Unternehmens ihren Grund in der angestrebten Wirkung auf dieses Unternehmen, da die Sanktion insbesondere im Hinblick auf dessen Wirtschaftskraft nicht unerheblich sein darf (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C-413/08 P, Slg. 2010, I-5361, Randnr. 104, und Beschluss vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, C-421/11 P, Randnr. 82).

103

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung darf das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung sich nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf eine allein auf den Umsatz des betroffenen Unternehmens gestützte mathematische Berechnungsmethode seines Ermessens hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Geldbußen begeben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Mo och Domsjö/Kommission, Randnr. 47). Die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße darf nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Umsatz gestützten Rechenvorgangs sein (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 121, und vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnr. 243).

104

Die differenzierte Behandlung von an einem Kartell beteiligten Unternehmen bei der Berechnung der ihnen auferlegten Geldbußen gehört daher untrennbar zur Ausübung der der Kommission insoweit zustehenden Befugnisse. Die Kommission hat nämlich in Ausübung ihres Ermessens die Sanktion entsprechend den für die betroffenen Unternehmen kennzeichnenden Verhaltensweisen und Eigenschaften individuell festzulegen, um in jedem Einzelfall die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Union sicherzustellen (Urteil vom 12. November 2009, SGL Carbon/Kommission, C-564/08 P, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

105

Aufgrund der in Randnr. 102 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hat die Kommission nämlich vor allem darauf zu achten, dass die Sanktion insbesondere im Hinblick insbesondere auf die Wirtschaftskraft der betroffenen Unternehmen nicht „unerheblich“ ist, was jedoch nicht verlangt, dass einem Unternehmen, das einen gegenüber dem Umsatz der anderen Teilnehmer an einem Kartell besonders hohen Umsatz aufweist, eine Geldbuße aufzuerlegen wäre, die strikt nach Maßgabe des Verhältnisses erhöht wird, das zwischen dessen Umsatz und dem aller anderen an dem betreffenden Kartell beteiligten Unternehmen besteht. Wäre dem so, könnten nämlich die gegen die größten Unternehmen eines Kartells festgesetzten und nach einer solchen Rechenmethode erhöhten Geldbußen zwar eine hinreichende Abschreckungswirkung entfalten, drohten aber insbesondere dann außer Verhältnis zur Schwere der konkret begangenen Zuwiderhandlung zu stehen, wenn sich – wie hier – die Umsätze der betroffenen Unternehmen erheblich unterscheiden.

106

Nach alledem kann dem Gericht nicht zum Vorwurf gemacht werden, im Wesentlichen das Vorgehen der Kommission bestätigt zu haben, die für Versalis einen Multiplikator zu Abschreckungszwecken von 2 und für Shell einen solchen von 3 festgesetzt hatte und damit bezweckte, keine unverhältnismäßigen Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken auf die größten Unternehmen anzuwenden, auf die allein auf der Grundlage des zwischen ihrem Umsatz und dem der kleineren Unternehmen bestehenden mathematischen Verhältnisses theoretisch deutlich höhere Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken hätten angewandt werden können.

107

Wenn Versalis insoweit geltend macht, dass die Kommission, sobald sie sich für die Anwendung einer mathematischen Methode zur Berechnung einer Geldbuße entschieden habe, an die Regeln dieser Methode gebunden sei, genügt es, festzustellen, dass die Kommission im vorliegenden Fall keine solche Methode gewählt hat. Dieser von der Kommission übrigens in der mündlichen Verhandlung bestätigte Umstand ergibt sich im Wesentlichen aus der streitigen Entscheidung, in der die Kommission im 474. Erwägungsgrund ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es zwischen den Umsätzen der betroffenen Unternehmen beträchtliche Unterschiede gegeben habe.

108

Zur behaupteten Unzulänglichkeit der Begründung des Gerichts ist festzustellen, dass es in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils alle für die Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken maßgeblichen Kriterien genannt hat. Zwar hat es sich in Bezug auf die behauptete Ungleichbehandlung von Versalis und Shell mit der Feststellung begnügt, dass „der auf EniChem angewandte Multiplikator auf der Grundlage des Multiplikators von Dow errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von Shell“, und ist diese Feststellung als solche sicherlich äußerst knapp, doch ist sie in Verbindung mit der vom Gericht in derselben Randnummer vorgenommenen Präzisierung zu sehen, dass die Kommission „bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße über ein Ermessen verfügt und nicht verpflichtet ist, eine genaue mathematische Formel anzuwenden“.

109

In Anbetracht dieser letztgenannten Feststellungen des Gerichts konnte bei Versalis kein Irrtum darüber entstehen, welche wesentlichen Erwägungen das Gericht veranlasst haben, die Bewertung des Abschreckungsfaktors durch die Kommission im Wesentlichen zu bestätigen, wobei sich diese Erwägungen, wie aus den Randnrn. 102 bis 106 des vorliegenden Urteils hervorgeht, als zutreffend erwiesen haben. Daher kann auch insoweit nicht festgestellt werden, dass das angefochtene Urteil unzulänglich begründet wäre.

110

Folglich ist der zweite Teil des fünften Rechtsmittelgrundes als unbegründet anzusehen und dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum sechsten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass das Gericht das Unionsrecht verletzt und falsch angewandt und das angefochtene Urteil mangelhaft begründet habe, als es bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt habe

Vorbringen der Parteien

111

Versalis ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die Zurückweisung ihres Vorbringens zu Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung als unzulässig darauf beruhe, dass das Gericht die Überschriften der Abschnitte dieser Entscheidung und die Überschriften der Abschnitte, aus denen sich „Teil E“ der Klageschrift zusammensetze, formalistisch verglichen habe. In den Randnrn. 54 bis 56 der Klageschrift sei der Inhalt der Anlagen zu dieser Klageschrift genannt und zusammengefasst worden, und das damit geltend gemachte Vorbringen ergebe sich aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst mit hinreichender Deutlichkeit.

112

Außerdem enthielten diese Anlagen, von denen konkrete Teile in den Randnrn. 61, 62, 64, 94 und 121 der Klageschrift erwähnt seien, kein rechtliches Vorbringen. Das Gericht habe daher zu Unrecht entschieden, dass, die in diesen Anlagen enthaltenen Gesichtspunkte „nicht den Anforderungen von Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung [des Gerichts entsprechen]“ und dass „es nicht Sache des Gerichts [ist], … Klagegründe und Argumente … in den Anlagen zu suchen und zu identifizieren“. Auf jeden Fall weise das Urteil insoweit einen Begründungsmangel auf.

113

Unzutreffend seien auch die Erwägungen in Randnr. 169 des angefochtenen Urteils, wonach Versalis einen Mangel der Klageschrift nicht dadurch beheben könne, „dass sie in der Erwiderung bestimmte tatsächliche oder rechtliche Angaben … macht und auf die Anlagen … verweist bzw. der Erwiderung neue Anlagen beifügt“. Der Umstand hingegen, dass das Gericht diese Anlagen für unzulässig erklärt habe, habe dazu geführt, dass es Versalis unmöglich gewesen sei, zu ihren Gunsten wichtige entlastende Gesichtspunkte geltend zu machen.

114

Nach Ansicht der Kommission steht das angefochtene Urteil – was die Zurückweisung der in Rede stehenden Anlagen betrifft – im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofs. Das Gericht habe alle Argumente in der Klageschrift – selbst wenn sie knapp und in gedrängter Form vorgetragen worden seien – sorgfältig geprüft. Die pauschale Bezugnahme in den Randnrn. 54 bis 56 der Klageschrift auf die Anlagen sowie einen verspäteten Versuch der Rechtsmittelführerin, die Mängel der Klageschrift zu beheben, habe es dagegen zu Recht zurückgewiesen.

Würdigung durch den Gerichtshof

115

Zunächst ist, wie es das Gericht in Randnr. 161 des angefochtenen Urteils getan hat, darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Für die Zulässigkeit einer Klage ist es nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen sie beruht, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst ergeben. Zwar kann deren Text zu speziellen Punkten durch Bezugnahmen auf bestimmte Abschnitte beigefügter Schriftstücke untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen ausgleichen, die nach den oben genannten Vorschriften in der Klageschrift enthalten sein müssen. Entsprechende Erfordernisse gelten, wie das Gericht in Randnr. 162 dieses Urteils betont hat, für ein zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachtes Argument.

116

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht angesichts dieser Regel ein Argument zu Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung als unzulässig zurückgewiesen hat. Es war nämlich der Auffassung, dass dieses Argument rechtlich und tatsächlich nur in einigen Anlagen zur Klageschrift näher ausgeführt worden sei.

117

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Versalis mit ihrem sechsten Rechtsmittelgrund, wie dessen Überschrift und Randnr. 98 der Rechtsmittelschrift zu entnehmen ist, beanstandet, dass „bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt worden“ seien. Das Gericht hat aber nicht die in Rede stehenden Anlagen für unzulässig erklärt, wie die Rechtsmittelführerin behauptet, sondern ein Argument, das neben mehreren anderen Argumenten in diesen Anlagen enthalten war. Versalis legt das angefochtene Urteil daher insoweit falsch aus.

118

Dafür, dass Versalis den betreffenden Teil des angefochtenen Urteils falsch auslegt, spricht auch das potenziell irreführende Vorbringen in Randnr. 94 der Rechtsmittelschrift, wonach die Zurückweisung des in Rede stehenden Arguments durch das Gericht auf einem „formalistischen“ Vergleich der Überschrift von Teilen der streitigen Entscheidung mit den Überschriften der Abschnitte, aus denen sich der betreffende Teil ihrer Klageschrift zusammensetze, beruhe. Das Gericht hat dieses Argument nämlich nicht deshalb zurückgewiesen, weil es nicht die richtige Überschrift getragen habe, sondern deshalb, weil es nicht in der Klageschrift selbst wiedergegeben gewesen sei. Dass es darüber hinaus in der Klageschrift an einer dem betreffenden Argument entsprechenden Überschrift fehle, hat das Gericht in Randnr. 167 des angefochtenen Urteils lediglich ergänzend festgestellt.

119

Schließlich ist zu den in Randnr. 165 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Randnrn. 54 bis 56 und den dazugehörigen Fußnoten der Klageschrift, in denen laut Versalis der Inhalt der betreffenden Anlagen genannt und zusammengefasst worden sein soll, festzustellen, dass aus den Ausführungen in diesen Randnummern und in diesen Fußnoten kein konkretes rechtliches oder tatsächliches Argument hergeleitet werden kann. Die Schlussfolgerung des Gerichts, dass die wesentlichen, Abschnitt 4.3 der streitigen Entscheidung betreffenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte in der Klageschrift nicht wiedergegeben seien, ist daher begründet.

120

Folglich hat das Gericht in Randnr. 170 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei das Abschnitt 4.3 der streitigen Entscheidung betreffende Vorbringen von Versalis für unzulässig erklärt. Daher ist der sechste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

121

Dementsprechend ist, da keiner der von Versalis zur Stützung ihres Rechtsmittels vorgebrachten Gründe durchgreift, das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Zum Anschlussrechtsmittel

Zum Einwand der Erledigung

122

In der mündlichen Verhandlung hat Versalis dem Anschlussrechtsmittel der Kommission den Einwand der Erledigung entgegengehalten und dies damit begründet, dass die Kommission kein Rechtsschutzinteresse mehr habe. Nach der Verkündung des angefochtenen Urteils habe sie der Rechtsmittelführerin nämlich mitgeteilt, dass sie beabsichtige, die Ermittlungen, soweit sie einen Wiederholungsfall bei Versalis beträfen, im Hinblick auf den Erlass einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte wieder aufzunehmen.

123

Dieser Einwand ist nicht begründet.

124

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Lauf des Verfahrens grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit hat, den Richter jedoch veranlassen kann, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. März 2009, Kommission/Provincia di Imperia, C-183/08 P, Randnr. 31).

125

Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch, wie sie in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, ihr Rechtsschutzinteresse behalten, da die gegen Versalis mit der streitigen Mitteilung verhängte und seit dem Tag ihres Erlasses um Zinsen erhöhte finanzielle Sanktion auch dann weiterbestünde, wenn der Gerichtshof dem Anschlussrechtsmittel der Kommission stattgeben würde, was nicht der Fall wäre, wenn die Kommission eine neue Entscheidung erließe. So hat der Gerichtshof in einem vergleichbaren Zusammenhang bereits entschieden, dass die Ausarbeitung eines Verordnungsvorschlags durch die Kommission mit dem Ziel, einer Entscheidung des Gerichts nachzukommen, als solche nicht bedeute, dass die Kommission jegliches Interesse an der Einlegung eines Rechtsmittels verloren hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Januar 2002, Frankreich/Monsanto und Kommission, C-248/99 P, Slg. 2002, I-1, Randnr. 31).

126

Unter diesen Umständen ist dem von Versalis erhobenen Einwand nicht zu folgen.

Zum einzigen Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

127

Die Kommission stützt ihr Anschlussrechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV, Verfahrensfehler, durch die ihre Interessen beeinträchtigt worden seien, und einen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beanstandet. Im angefochtenen Urteil sei zu Unrecht entschieden worden, dass die in der streitigen Entscheidung angeführten Beweismittel zum Nachweis des erschwerenden Umstands eines Wiederholungsfalls bei der Eni SpA und bei Versalis unzureichend gewesen seien.

128

Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass sie in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung ihre Absicht bekundet habe, bereits festgestellte frühere Zuwiderhandlungen als erschwerenden Umstand zu berücksichtigen, und dass sie die Beteiligung von „ENI“ an den in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II dargestellten Zuwiderhandlungen ausdrücklich erwähnt habe. Versalis habe hierzu im Verfahren vor der Kommission nicht Stellung genommen. Sie habe erstmals in ihrer Klageschrift in erster Instanz geltend gemacht, dass zum einen die Person, die die früheren Zuwiderhandlungen begangen habe, und die gegenwärtig an der Zuwiderhandlung beteiligte Person nicht identisch seien, da die fraglichen Sparten unterschiedliche Erzeugnisse und Märkte betroffen hätten und bereits vor dem Erlass dieser Entscheidungen übertragen worden seien, und dass zum anderen die EniChem SpA das in die früheren Wettbewerbssachen verwickelte Unternehmen des Konzerns gewesen sei.

129

Versalis habe aber zu keiner Zeit behauptet, dass die Gesellschaften, gegen die in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II Sanktionen verhängt worden seien, nicht unter Leitung des Eni-Konzerns gestanden hätten. Die Kommission ist der Meinung, dass sie, wenn sie es gewollt hätte, in diesen Entscheidungen die Geldbuße derselben Muttergesellschaft, nämlich der Eni SpA, hätte auferlegen können, die die Adressaten dieser Entscheidungen, die EniChem SpA und die Anic SpA, vollständig kontrolliert habe. Das Gericht habe im Urteil vom 30. September 2003, Michelin/Kommission (T-203/01, Slg. 2003, II-4071), bestätigt, dass die Kommission unter solchen Umständen davon habe ausgehen dürfen, dass dasselbe Unternehmen bereits für die gleiche Art Zuwiderhandlung verurteilt worden sei.

130

Das Gericht habe zum Thema Wiederholungsfall keine schriftlichen Fragen an die Parteien gerichtet und in der mündlichen Verhandlung keine Aufklärung des Sachverhalts verlangt. Es sei daher völlig unerwartet gewesen, dass die streitige Entscheidung im angefochtenen Urteil wegen eines angeblichen Begründungsmangels teilweise für nichtig erklärt worden sei. Daher verstoße das angefochtene Urteil gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV. Das Gericht habe Gegenstand und Umfang der Begründungspflicht falsch bestimmt. Außerdem beinhalte das Vorgehen des Gerichts eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und somit einen Verfahrensfehler, der die Interessen der Kommission beeinträchtige.

131

Die Kommission hebt hervor, dass die Begründung eines Rechtsakts insbesondere anhand seines Kontexts zu beurteilen sei. So habe der Gerichtshof im Urteil vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission (C-42/01, Slg. 2004, I-6079, Randnr. 66), eine summarische Begründung in einer Entscheidung, die in einem Kontext erlassen worden sei, der dem Adressaten gut bekannt gewesen sei, für ausreichend gehalten. Außerdem hätte nach Ansicht der Kommission das Gericht ihr die Möglichkeit bieten müssen, ihre Begründung klarzustellen und zu präzisieren, wie es dies in der Rechtssache getan habe, in der das Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2012, Versalis und Eni/Kommission (T-103/08), ergangen sei.

132

Schließlich belegen nach Ansicht der Kommission die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung klar die Kontinuität zwischen dem Unternehmen, das Adressat der Entscheidung PVC II gewesen sei, und demjenigen, das an der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt sei. Die Kommission beantragt daher die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Gericht darin die streitige Entscheidung hinsichtlich der Feststellung des Wiederholungsfalls sowohl in Bezug auf die Entscheidung Polypropylen als auch in Bezug auf die Entscheidung PVC II teilweise für nichtig erklärt hat, und auf jeden Fall, soweit die Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gericht die Feststellung des Wiederholungsfalls in Bezug auf die Entscheidung PVC II betrifft.

133

Versalis erwidert, dass erstens das Vorbringen der Kommission, das auf die Rechtssache gestützt sei, in der das Urteil Versalis und Eni/Kommission ergangen sei, rein tatsächlicher Natur sei. Es sei weder in der streitigen Entscheidung noch in den dem Gericht von der Kommission vorgelegten Unterlagen enthalten gewesen und daher unzulässig.

134

Zweitens sei die Rechtsmittelführerin erst 1989 gegründet worden, also viele Jahre nach Beendigung der mit den Entscheidungen Polypropylen und PVC II geahndeten Verhaltensweisen und nach der Abgabe der betreffenden Tätigkeiten an Drittunternehmen oder der Übertragung dieser Tätigkeiten in gemeinsame Unternehmen. Zwischen diesen Tätigkeiten und derjenigen, die am 1. Januar 2002 von einer als „EniChem SpA“ bezeichneten Gesellschaft, bei der es sich nicht um die Gesellschaft EniChem SpA gehandelt habe, die von der Entscheidung PVC II betroffen gewesen sei, auf die Rechtsmittelführerin übertragen worden sei, gebe es daher keinerlei wirtschaftliche und funktionelle Kontinuität. Die Muttergesellschaft des Konzerns in der Zeit, um die es in den früheren Entscheidungen gegangen sei, sei die Ente Nazionale Idrocarburi, also eine öffentliche Einrichtung, nicht aber die Eni SpA gewesen.

135

Drittens laufe es, wenn sich die Kommission auf die bloße theoretische Möglichkeit berufe, seinerzeit Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, dieser Muttergesellschaft zuzurechnen, auf eine unwiderlegbare Vermutung der Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für das in der Vergangenheit liegende Verhalten der zu 100 % in ihrem Besitz befindlichen Tochtergesellschaften hinaus. Außerdem hätte die Kommission nach dem beim Erlass dieser Entscheidung von ihr selbst angewandten Kriterium belegen müssen, dass die in Rede stehende Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Anic SpA und auf die EniChem SpA ausgeübt habe, was sie weder in diesen Entscheidungen noch in der streitigen Entscheidung getan habe.

136

Ferner sei die Eni SpA beim Erlass der früheren Entscheidungen nicht als für das Verhalten der Anic SpA und der EniChem SpA verantwortlich angesehen worden und sei daher hierzu nie gehört worden.

137

Viertens macht Versalis zu ihrer Haltung und zu der der Eni SpA im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geltend, dass sie insbesondere bei der Anhörung die Anlastung des Wiederholungsfalls sehr wohl beanstandet habe. Jedenfalls sei sie nicht verpflichtet gewesen, zur zweiten Mitteilung Stellung zu nehmen. Das Urteil Portugal/Kommission sei in diesem Zusammenhang nicht einschlägig, da der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigt habe, dass die Kommission nur dann die Möglichkeit habe, eine summarische Begründung zu geben, wenn sich diese auf Fragen beziehe, zu denen die Gegenpartei trotz einer ausdrücklichen entsprechenden Verpflichtung keine Angaben gemacht habe. Eine solche Verpflichtung bestehe im vorliegenden Fall aber nicht.

138

Fünftens verweist Versalis zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens darauf, dass ihr Vorbringen nicht verspätet gewesen sei und dass der vom Gericht geahndete Mangel die Begründung in der Sache selbst betroffen habe, so dass ihm nicht im Laufe des Gerichtsverfahrens habe abgeholfen werden können. Auf jeden Fall müsse die Begründung einer Entscheidung dem Betroffenen zeitgleich mit der beschwerenden Entscheidung mitgeteilt werden und könne nicht im Laufe des Verfahrens vor den Unionsgerichten geheilt werden. Das Vorbringen der Kommission entbehre daher einer Grundlage.

Würdigung durch den Gerichtshof

139

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C-628/10 P und C-14/11 P, Randnr. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

140

So ergibt sich im Zusammenhang mit einer Einzelentscheidung aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Pflicht zur Begründung einer solchen Entscheidung neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

141

Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (vgl. u. a. Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142

Folglich muss die Kommission, wenn sie gegen eine Gesellschaft wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Geldbuße verhängt und bei der Bemessung der Geldbuße einen Multiplikator anwendet, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Gesellschaft bereits früher in eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verwickelt war, zusammen mit der Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wird, eine Darstellung abgeben, die den Unionsgerichten und dieser Gesellschaft ermöglicht, zu erkennen, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang die Gesellschaft an der früheren Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein soll. Insbesondere muss die Kommission, wenn sie davon ausgeht, dass diese Gesellschaft Teil des Unternehmens war, das Adressatin der die frühere Zuwiderhandlung betreffenden Entscheidung war, diese Behauptung rechtlich hinreichend begründen.

143

Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass die Kommission in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt hatte, sie werde frühere Feststellungen ähnlicher Zuwiderhandlungen berücksichtigen, wobei sie insoweit auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II verwies, von denen „ENI“„betroffen“ gewesen sei. Dieselbe kurze Feststellung findet sich sinngemäß im 487. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung, wo die Kommission im Übrigen ausführt, dass „EniChem“ bereits Adressatin dieser Entscheidungen gewesen sei. Schließlich kann der 488. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung so verstanden werden, dass nach Auffassung der Kommission dasselbe Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, und die mit der streitigen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung begangen hat.

144

Da aber die Entscheidung Polypropylen u. a. an die Anic SpA und die Entscheidung PVC II u. a. an die „EniChem SpA“ gerichtet waren, ist festzustellen, dass sich den in der streitigen Entscheidung gemachten und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Angaben keineswegs entnehmen lässt, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang Versalis, die weder zu den Adressaten der Entscheidung Polypropylen noch zu denen der Entscheidung PVC II gehört, von diesen Entscheidungen betroffen gewesen wäre.

145

Die Kommission trägt zwar vor, dass die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung eine genaue Beschreibung sämtlicher „EniChem“ betreffender Ereignisse enthielten, doch betreffen diese Erläuterungen – wie das Gericht in Randnr. 299 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat – nur die Veränderungen im Eni-Konzern in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis 28. November 2002. Dagegen enthalten diese Erwägungsgründe keine genaueren Angaben zu den Gesellschaften, aus denen die Unternehmen bestanden, die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, geben keine Auskunft darüber, ob diese Gesellschaften mit den von der streitigen Entscheidung erfassten identisch sind, was Versalis bestreitet, und behandeln auch keine in diesem Zusammenhang eventuell aufgetretenen Veränderungen zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung Polypropylen, nämlich dem 23. April 1986, sowie der Entscheidung PVC II, nämlich dem 27. Juli 1994, und dem Beginn der mit der streitigen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung, also dem 20. Mai 1996.

146

Daher ist die streitige Entscheidung in diesem Punkt unzureichend begründet.

147

Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens mit der Folge einer Verletzung der Verteidigungsrechte geht aus der in Randnr. 141 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervor, dass die Kommission bereits mit dem Erlass der streitigen Entscheidung eine ausreichende Begründung liefern musste. Es ist daher nicht erkennbar, dass weiter gehende Informationen, die die Kommission ohne angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens dem Gericht hätte liefern können, irgendeinen Einfluss auf das Ergebnis des angefochtenen Urteils hätten haben können.

148

Zu dem Vorbringen, dass Versalis oder die Eni SpA während des Verfahrens vor der Kommission nicht geltend gemacht hätten, dass die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II auf der einen Seite und der streitigen Entscheidung auf der anderen Seite nicht identisch seien, genügt der Hinweis, dass es keine unionsrechtliche Vorschrift gibt, die den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zwingt, die verschiedenen in dieser Mitteilung angeführten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verwaltungsverfahren anzugreifen.

149

Unter diesen Umständen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung keine hinreichend substantiierten und genauen Anhaltspunkte dafür angeführt hat, dass dasselbe „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV erneut eine Zuwiderhandlung begangen hatte, und als es dementsprechend Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt hat, soweit darin die Höhe der Eni auferlegten Geldbuße auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird.

150

Da der einzige Grund, auf den die Kommission ihr Anschlussrechtsmittel gestützt hat, nicht durchgreift, ist das Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen.

Kosten

151

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

152

In Bezug auf das Rechtsmittel sind Versalis, da sie mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

153

In Bezug auf das Anschlussrechtsmittel sind der Kommission, da sie mit ihrem einzigen Anschlussrechtsmittelgrund unterlegen ist, entsprechend dem Antrag von Versalis die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.

 

2.

Die Versalis SpA trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Anschlussrechtsmittel.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

Top

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C-511/11 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. September 2011,

Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA, mit Sitz in Brindisi (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Siragusa, F. Moretti und L. Nascimbene, avvocati,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, L. Malferrari und G. Conte als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und J.-J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA (im Folgenden: Versalis oder Rechtsmittelführerin), die vollständige oder teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Polimeri Europa/Kommission (T-59/07, Slg. 2011, II-4687, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Versalis betrifft, und, hilfsweise, auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.

2. Die Europäische Kommission hat ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls teilweise für nichtig erklärt und dementsprechend die gegen die Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße herabgesetzt hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

3. Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) betreffend den Markt für Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR), synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: erste Mitteilung) u. a. an Versalis, an die Eni SpA, die Muttergesellschaft der Rechtsmittelführerin, deren Kapital sie zu 100 % hält, und an die Syndial SpA (vormals EniChem SpA, im Folgenden: Syndial), eine weitere Gesellschaft des Eni-Konzerns.

4. Am 6. April 2006 erließ die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: zweite Mitteilung). Nachdem sie am 22. Juni 2006 eine Anhörung der Unternehmen durchgeführt hatte, beschloss die Kommission, das Verfahren u. a. gegen Syndial einzustellen.

5. Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung. Nach Art. 1 dieser Entscheidung hatten Versalis, die Eni SpA und die übrigen Unternehmen, die Adressaten der streitigen Entscheidung waren, nämlich die Bayer AG (im Folgenden: Bayer), The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH und die Dow Europe GmbH (im Folgenden zusammen: Dow), die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV und die Shell Nederland Chemie BV (im Folgenden zusammen: Shell), die Unipetrol a.s., die Kaučuk a.s. (im Folgenden: Kaučuk) und die Trade Stomil sp. z o.o. (im Folgenden: Stomil) gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie ‐ was Versalis betrifft, in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 ‐ an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festgelegt, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor ausgetauscht hatten.

6. Nach den Erwägungsgründen 26 ff. der streitigen Entscheidung wurde in diesem Zeitraum der Geschäftsbereich für die fraglichen Produkte im Eni-Konzern ursprünglich von der EniChem Elastomeri Srl geführt, einer Gesellschaft, die von der Eni SpA mittelbar durch ihre Tochtergesellschaft EniChem SpA kontrolliert wurde. Zum 1. November 1997 wurde die EniChem Elastomeri Srl mit der EniChem SpA verschmolzen. Die Eni SpA kontrollierte die EniChem SpA zu 99,97 %. Am 1. Januar 2002 übertrug die EniChem SpA ihren strategischen Geschäftsbereich Chemie, einschließlich BR und ESBR, auf Versalis. Versalis steht seit dem 21. Oktober 2002 unmittelbar und vollständig unter der Kontrolle der Eni SpA.

7. Die mit der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße war anhand der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), bemessen worden.

8. Die Kommission hielt den Verstoß für „besonders schwerwiegend“ und setzte zunächst den Ausgangsbetrag für die Bemessung der Geldbuße fest, indem sie anhand der BR- und ESBR-Verkäufe jedes einzelnen der betroffenen Unternehmen im Jahr 2001 unterschied. Für EniChem, d. h. alle im Besitz der Eni SpA befindlichen Unternehmen, beliefen sich nach dem 468. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung die BR- und ESBR-Verkäufe im Jahr 2001 auf 164,902 Mio. Euro. Unter Berücksichtigung dieses Betrags war EniChem, gemessen an den BR- und ESBR-Verkäufen, das führende unter den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission den Ausgangsbetrag der Geldbuße für Versalis auf 55 Mio. Euro fest.

9. Anschließend wandte die Kommission zu Abschreckungszwecken Multiplikatoren an, die nach Maßgabe der Weltumsätze der beteiligten Unternehmen im Jahr 2005 gestaffelt waren. Sie entschied, dass gegen Stomil, deren Umsatz 38 Mio. Euro betrug, und gegen Kaučuk, deren Umsatz sich auf 2,718 Mrd. Euro belief, kein Multiplikator anzuwenden sei, und wandte Multiplikatoren von 1,5 gegen Bayer, von 1,75 gegen Dow, von 2 gegen die Eni SpA und Versalis sowie von 3 gegen Shell an, deren Umsätze sich auf 27,383 Mrd. Euro, 37,221 Mrd. Euro, 73,738 Mrd. Euro bzw. 246,549 Mrd. Euro beliefen.

10. Außerdem wurde bei Versalis und der Eni SpA der Betrag der Geldbuße um 65 % erhöht, weil diese Unternehmen sechs Jahre und sechs Monate an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien.

11. Schließlich erhöhte die Kommission den gegen Versalis festgelegten Grundbetrag wegen eines Wiederholungsfalls um 50 %, weil „EniChem“ bereits Adressatin zweier früherer Entscheidungen gewesen sei, mit denen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union festgestellt worden seien, nämlich der Entscheidungen 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.149 – Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1) (im Folgenden: Entscheidung Polypropylen) und 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.865 – PVC II) (ABl. L 239, S. 14) (im Folgenden: Entscheidung PVC II).

12. Dementsprechend setzte die Kommission in Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung gegen Versalis und deren Muttergesellschaft Eni SpA gesamtschuldnerisch eine Geldbuße von 272,25 Mio. Euro fest.

Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

13. Mit am 20. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hatte Versalis eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und, hilfsweise, auf Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße erhoben. Versalis stützte ihre Anträge im Wesentlichen auf 16 Klagegründe.

14. Mit diesen Klagegründen rügte sie u. a., dass ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien (dritter Klagegrund), dass ihr die Verantwortung für die Zuwiderhandlung zu Unrecht zugerechnet worden sei (siebter Klagegrund) und dass die Feststellung des Bestehens eines Kartells sowie ihrer Beteiligung an diesem Kartell unbegründet sei (achter und neunter Klagegrund). In Bezug auf die Höhe der gegen sie festgesetzten Geldbuße machte die Rechtsmittelführerin geltend, dass die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung der Grundlage entbehre (zehnter Klagegrund), dass der Multiplikator zu Abschreckungszwecken falsch festgelegt worden sei (zwölfter Klagegrund) und dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls ungerechtfertigt sei (14. Klagegrund).

15. Im angefochtenen Urteil hat das Gericht u. a. Folgendes ausgeführt.

16. Zur behaupteten Verletzung der Verteidigungsrechte, die sich aus einer Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ergeben haben soll, hat das Gericht in Randnr. 84 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass diesem Klagegrund die Prämisse zugrunde liege, dass „die Kommission in den Mitteilungen der Beschwerdepunkte für den Zeitraum vom 20. Mai 1996 bis 1. Januar 2002 von der Verantwortlichkeit der EniChem SpA (später Syndial) ausgegangen sei, während sie in der [streitigen] Entscheidung allein [Versalis] auch für diesen Zeitraum in Haftung genommen habe, in dem [Versalis] sich nicht mit der Herstellung und dem Vertrieb der betroffenen Produkte befasst habe“.

17. In Randnr. 85 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch darauf hingewiesen, dass es in der zweiten Mitteilung heiße, dass Versalis „für die Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 20. Mai 1996 bis 28. November 2002 zur Verantwortung zu ziehen sei“, und dass, „wie in der [streitigen] Entscheidung (Erwägungsgründe 365 bis 373), von der Verantwortlichkeit von [Versalis] für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung ausgegangen“ werde. In Randnr. 86 seines Urteils hat das Gericht festgestellt, dass in dieser Mitteilung weiter ausgeführt worden sei, dass, „da die EniChem SpA im Zeitraum vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 das Kapital von [Versalis] zu 100 % kontrolliert habe, … Syndial für die Zuwiderhandlung von [Versalis] in dieser Zeit gesamtschuldnerisch zur Verantwortung zu ziehen [sei]“. Für das Gericht ergab sich daraus, dass „[i]n der zweiten Mitteilung … Syndial also nur für einen begrenzten Zeitraum, in ihrer Eigenschaft als Muttergesellschaft von [Versalis] vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002, und nicht für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen [wird]“. In Randnr. 87 des angefochtenen Urteils ist das Gericht aufgrund dessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Prämisse von Versalis falsch sei.

18. Zur Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Rechtsmittelführerin hat das Gericht ausgeführt, dass, wenn zwei Einheiten eine wirtschaftliche Einheit bildeten, der bloße Umstand, dass die Einheit, die die Zuwiderhandlung begangen habe, noch bestehe, für sich allein nicht daran hindere, der Einheit, auf die die wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen worden seien, eine Sanktion aufzuerlegen. Dies gelte insbesondere dann, wenn diese Einheiten der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien angewandt hätten.

19. In Randnr. 126 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, im vorliegenden Fall stehe „fest, dass die EniChem SpA und [Versalis] bei der Begehung ihrer Zuwiderhandlungen unmittelbar oder mittelbar vollständig im Besitz derselben Gesellschaft, nämlich [der Eni SpA], standen“. Unter diesen Umständen habe „der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit nicht daran [gehindert], dass die zunächst von der EniChem SpA begangene und dann von [Versalis] fortgeführte Zuwiderhandlung insgesamt durch Verhängung einer Sanktion gegen [Versalis] geahndet wird“. In Randnr. 129 dieses Urteils heißt es sodann, dass bei einer „Sanktion gegen ein Unternehmen, das rechtlich fortbesteht, aber keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr ausübt, die Gefahr besteht, dass sie keine Abschreckungswirkung hat“, und dass „Unternehmen Sanktionen einfach dadurch entgehen könnten, dass ihre Identität durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art verändert wird“.

20. Zu dem Klagegrund, mit dem gerügt wurde, dass die Feststellung des Bestehens eines Kartells unbegründet sei, hat das Gericht zunächst in Randnr. 168 des angefochtenen Urteils entschieden, dass das von Versalis gegen Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung geltend gemachte Vorbringen, „[dessen] wesentliche tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte nur in den Anlagen A23 bis A25 der Klageschrift dargelegt sind, nicht den Anforderungen von Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs [der Europäischen Union] und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung [des Gerichts entspricht]“. Das Gericht hat daher entschieden, dass dieses Vorbringen unzulässig sei.

21. Zu den behaupteten Widersprüchen zwischen bestimmten Erklärungen von Bayer und Dow im Verwaltungsverfahren und weiteren Erklärungen von Mitarbeitern dieser Unternehmen hat das Gericht in den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils u. a. festgestellt, dass „Antworten, die im Namen eines Unternehmens als solches gegeben werden, glaubhafter [sind] als die Antwort eines seiner Mitarbeiter, unabhängig von dessen Erfahrung oder persönlicher Meinung“.

22. Zur Einstufung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“ hat das Gericht in Randnr. 222 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass durch die streitige Entscheidung der Abschluss von Vereinbarungen über Preisziele, die Aufteilung des Marktes und der Austausch sensibler Geschäftsinformationen geahndet worden sei und dass diese Praktiken aufgrund ihrer Natur besonders schwerwiegend seien. Zudem habe die Kommission in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, „dass die konkreten Auswirkungen des Kartells“, das den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) betroffen habe, „nicht messbar seien“, auch wenn „die Kartellvereinbarungen von den betroffenen Unternehmen umgesetzt worden [seien] und … damit Auswirkungen auf den Markt gehabt [hätten]“. In Randnr. 228 dieses Urteils hat das Gericht das Vorbringen von Versalis zum Fehlen solcher Auswirkungen zurückgewiesen. Zur Marktgröße, die nur einer von mehreren Faktoren sei, denen die Kommission Rechnung tragen könne, hat das Gericht in Randnr. 229 dieses Urteils entschieden, dass „[n]ichts … die Annahme [erlaubt], dass der Kommission in der [streitigen] Entscheidung mit der Schätzung des relevanten Marktes auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 … ein Fehler unterlaufen ist [und] dass ein [möglicherweise] zu niedriger Ansatz dieser Zahl [Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“.

23. Was den Klagegrund betrifft, mit dem eine rechtswidrige Anwendung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken gerügt wurde, war das Gericht in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils der Auffassung, dass die Faktoren, die es der Kommission ermöglicht hätten, den Multiplikator für die Eni SpA und Versalis zu bestimmen, der streitigen Entscheidung eindeutig zu entnehmen seien und dass aus dieser nicht hervorgehe, dass die Kommission andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen herangezogen hätte. In Randnr. 251 dieses Urteils hat das Gericht festgestellt, dass sich die Weltumsätze des Jahres 2005 bei Bayer auf 27,383 Mrd. Euro, bei Dow auf 37,221 Mrd. Euro (d. h. 35,93 % höher als bei Bayer) und bei EniChem auf 73,738 Mrd. Euro (d. h. 169,28 % höher als bei Bayer und 98,11 % höher als bei Dow) belaufen hätten.

24. Unter diesen Umständen habe es keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung darstellen können, dass der Multiplikator bei Versalis 14,28 % höher festgesetzt worden sei als bei Dow (Verhältnis 2 zu 1,75) und bei Dow wiederum 16,66 % höher als bei Bayer (Verhältnis 1,75 zu 1,5). Vielmehr – so das Gericht in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils – hätte die Kommission auf dieser Grundlage einen noch höheren Multiplikator festlegen können. Da die Kommission zudem bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße nicht verpflichtet sei, eine genaue mathematische Formel anzuwenden, habe sie bei der Bestimmung der von ihr herangezogenen Multiplikatoren die unterschiedliche wirtschaftliche Fähigkeit der betroffenen Unternehmen beurteilungsfehlerfrei berücksichtigt.

25. Zur Erhöhung der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls hat das Gericht in den Randnrn. 296, 298 und 299 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass in der streitigen Entscheidung auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II sowie darauf Bezug genommen worden sei, dass „EniChem“ Adressat dieser Entscheidungen gewesen sei. Die Kommission habe im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass eine erneute Zuwiderhandlung desselben Unternehmens im Sinne von Art. 101 AEUV vorliege. In diesem Zusammenhang hat das Gericht jedoch darauf hingewiesen, dass die Kommission „im 487. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung allgemein auf ‚EniChem‘ Bezug nimmt und dass dieser Begriff nach der Definition im 36. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung ‚für alle im Besitz der Eni SpA befindlichen Unternehmen‘ steht“. Dieser Begriff ist nach Auffassung des Gerichts „unscharf, jedenfalls was die juristischen Personen angeht, die die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffene wirtschaftliche Einheit bilden sollen“. Außerdem habe „die von der Entscheidung Polypropylen betroffene Gesellschaft, [die] Anic [SpA], nicht zu den … juristischen Personen gehört [, die in den Erwägungsgründen 26 bis 35 der streitigen Entscheidung genannt sind, in denen] im Wesentlichen die Entwicklung der Gesellschaften geschildert werden [soll], die sich während der – nach dem Erlass der Entscheidungen Polypropylen und PVC II begangenen – Zuwiderhandlung im Besitz [der] Eni [SpA] befanden“.

26. In Randnr. 300 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass die Kommission zwar „in Fn. 262 der [streitigen] Entscheidung auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II [verweist] und [ausführt], ‚Eni‘ sei von ihnen betroffen gewesen“, dass aber der Begriff „Eni“ „in der [streitigen] Entscheidung … nicht definiert wird“, da die Kommission zur Bezeichnung der Gesellschaft Eni SpA „als Muttergesellschaft der anderen Gesellschaften … den Begriff ‚Eni SpA‘ verwendet“. In Randnr. 301 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch befunden, dass „unterstellt, mit dem Begriff ‚Eni‘ … seien die Gesellschaften gemeint, die zu dem ‚Unternehmen‘ im Sinne von Art. 81 EG gehören sollen, das die von Eni kontrollierten juristischen Personen bilden – festzustellen [ist], dass die Kommission dafür in der [streitigen] Entscheidung keine substantiierten und genauen Anhaltspunkte angeführt hat“. „Die Kommission [habe] in ihren Schriftsätzen gegenüber dem Gericht lediglich darauf [hingewiesen], dass die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffenen Gesellschaften ‚vollständig‘ unter der Kontrolle von Eni gestanden hätten. Dies wird jedoch durch keinen Beweis untermauert und in der [streitigen] Entscheidung auch nicht erwähnt“.

27. In Randnr. 302 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch die Auffassung vertreten, dass „im vorliegenden Fall die Entwicklung der Struktur und der Kontrolle der betroffenen Gesellschaften besonders komplex [ist]“ und dass „[d]ie Entscheidung Polypropylen … an [die] Anic [SpA] gerichtet [wurde], ohne dass der Name ‚Eni [SpA]‘ darin vorkommt“. Was die Entscheidung PVC II betreffe, „erwähnt die Kommission im achten Erwägungsgrund, dass [die] Anic [SpA] ‚jetzt‘ Enichem SpA sei, und im 43. Erwägungsgrund, dass diese Entwicklung auf einer ‚mehrfachen Neuordnung‘ beruhe, ohne dies näher zu erläutern. Zudem kommt auch in dieser Entscheidung der Name ‚Eni [SpA]‘ nicht vor … [v]or diesem Hintergrund oblag es der Kommission, besonders genau vorzugehen und sämtliche substantiierten Anhaltspunkte anzuführen, die für die Annahme erforderlich waren, dass die von der [streitigen] Entscheidung betroffenen Gesellschaften und die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffenen Gesellschaften dasselbe ‚Unternehmen‘ … bildeten“, was die Kommission nicht getan habe.

28. Dementsprechend hat das Gericht dem Klagegrund, mit dem gerügt wurde, dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls ungerechtfertigt sei, stattgegeben, Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin die Geldbuße gegen die Rechtsmittelführerin auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird, und hat diese Geldbuße auf 181,5 Mio. Euro festgesetzt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und jeder Partei ihre eigenen Kosten auferlegt.

Anträge der Parteien

29. Versalis beantragt,

– das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit damit ihre Klage in der Rechtssache T-59/07 abgewiesen wurde, und dementsprechend

– die streitige Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären;

– und/oder die mit dieser Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben oder zumindest herabzusetzen;

– hilfsweise, das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm ihre Klage in der Rechtssache T-59/07 abgewiesen hat, und die Rechtssache zur Entscheidung über die Begründetheit unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen;

– der Kommission die Kosten des vorliegenden Verfahrens und die Kosten des Verfahrens in der Rechtssache T-59/07 aufzuerlegen und

– das Anschlussrechtsmittel der Kommission zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30. Die Kommission beantragt,

– das Rechtsmittel zurückzuweisen;

– das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls teilweise für nichtig erklärt und dementsprechend die Geldbuße herabgesetzt hat, und

– der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

31. Versalis stützt ihre Anträge auf sechs Rechtsmittelgründe, die auf eine Abänderung des angefochtenen Urteils und die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung gerichtet sind.

32. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen sei und es die zweite Mitteilung falsch ausgelegt habe, indem es das Vorliegen einer aus einer Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung resultierenden Verletzung der Verteidigungsrechte ausgeschlossen habe. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund werden ein Rechtsfehler in Bezug auf die Zurechnung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung an Versalis und eine insoweit unzureichende Begründung des angefochtenen Urteils gerügt. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen Unionsrecht, eine Verfälschung von Beweismitteln und die fehlende Ausübung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle durch das Gericht geltend gemacht. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen eine falsche Berechnung der Geldbußen und eine ungerechtfertigte Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“, ein Begründungsmangel sowie eine unvollständige Ausübung der gerichtlichen Kontrolle geltend gemacht. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen ein Beurteilungsfehler und eine unzureichende Begründung in Bezug auf die fehlerhafte Festsetzung des Multiplikators sowie ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Kommission gerügt. Mit dem sechsten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass das Gericht das Unionsrecht verletzt und falsch angewandt und das angefochtene Urteil mangelhaft begründet habe, als es bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt habe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen sei und es die zweite Mitteilung offensichtlich falsch ausgelegt habe, indem es eine aus einer Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung resultierende Verletzung der Verteidigungsrechte verneint habe

Vorbringen der Parteien

33. Versalis trägt vor, die Kommission habe sie in der zweiten Mitteilung und bereits in der ersten Mitteilung für praktisch den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung gemeinsam mit der EniChem SpA (jetzt Syndial) verantwortlich gemacht, obwohl sie im BR- und im ESBR-Sektor erst seit dem 1. Januar 2002 tätig gewesen sei. Demgegenüber habe die Kommission in der streitigen Entscheidung jede unmittelbare Zurechenbarkeit an Syndial ausgeschlossen und die Rechtsmittelführerin für die gesamte Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht. Das Gericht habe den auf diese Abweichung gestützten Klagegrund mit der Bemerkung zurückgewiesen, dass in der zweiten Mitteilung nur für einen begrenzten Zeitraum von einer Verantwortlichkeit von Syndial ausgegangen werde und sich daraus ergebe, dass die Prämisse von Versalis falsch sei. In den Randnrn. 415 und 416 der zweiten Mitteilung sei die Kommission jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass Syndial vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002 individuell an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei.

34. Nach Ansicht von Versalis hätte das Gericht, da ihre Prämisse in Wirklichkeit zutreffend sei, dem Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte stattgeben müssen. Sie habe nämlich keine Gelegenheit gehabt, auf die Zuweisung der Verantwortlichkeit in der streitigen Entscheidung zu erwidern. Es mache einen Unterschied, ob eine Gesellschaft gesamtschuldnerisch mit einer anderen Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werde oder aber alleine oder gemeinsam mit einer einzigen Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werde, da die Gesellschaften, gegen die eine Geldbuße verhängt werde, die gesamtschuldnerisch zu entrichten sei, grundsätzlich verpflichtet seien, zu deren Zahlung zu gleichen Teilen beizutragen. Außerdem habe die Rechtsmittelführerin gegenüber der Kommission ihre Verteidigungsstrategie unter Berücksichtigung des Umstands gewählt, dass in der zweiten Mitteilung eine gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit von Syndial für praktisch die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung ins Auge gefasst worden sei. Versalis habe sich daher entschlossen, ihre Verteidigung auf die Ereignisse zu konzentrieren, die in den Zeitraum gefallen seien, in dem sie selbst die in Rede stehende Tätigkeit ausgeübt habe, also vom 1. Januar bis 28. November 2002.

35. Die Kommission erwidert im Wesentlichen, dass sie in Randnr. 416 der zweiten Mitteilung die individuelle Verantwortlichkeit von Versalis für die in Rede stehende Zuwiderhandlung in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 und die von Syndial in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002 klar herausgestellt habe. In Randnr. 353 dieser Mitteilung sei sie ferner davon ausgegangen, dass Syndial für die von Versalis in der Zeit vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 begangene Zuwiderhandlung gesamtschuldnerisch zur Verantwortung habe gezogen werden können. In dieser Mitteilung sei der Rechtsmittelführerin daher eine individuelle Verantwortlichkeit für die gesamte Dauer des Kartells angelastet worden.

36. Die Kommission hält es für wenig glaubhaft, dass Versalis sich nur deshalb entschlossen habe, sich nicht angemessen zu verteidigen, weil ein Teil der Sanktion, der der Verantwortlichkeit für die Zeit vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002 entsprochen habe, gesamtschuldnerisch mit einer anderen Gesellschaft desselben Konzerns habe getragen werden können. Versalis und Syndial hätten beschlossen, ihre Verteidigung zu koordinieren, indem sie sich auf unterschiedliche Zeiträume konzentrierten und für die übrigen Zeiträume jeweils ausdrücklich auf den Schriftsatz des Anderen verwiesen. Versalis habe gar nicht versucht, nachzuweisen, dass das Verfahren einen anderen Ausgang hätten nehmen können, wenn in der zweiten Mitteilung die Verantwortlichkeit von Syndial ausgeschlossen worden wäre.

Würdigung durch den Gerichtshof

37. Zu den Feststellungen des Gerichts in den Randnrn. 84 bis 87 des angefochtenen Urteils, wonach zum einen in der zweiten Mitteilung Syndial nur für einen begrenzten Zeitraum, in ihrer Eigenschaft als Muttergesellschaft von Versalis vom 1. Januar bis 20. Oktober 2002, und nicht für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werde und zum anderen der von Versalis vor dem Gericht geltend gemachte, auf eine Abweichung zwischen dieser Mitteilung und der streitigen Entscheidung gestützte Klagegrund daher auf einer falschen Prämisse beruhe, ist zu bemerken, dass diese Feststellungen tatsächlich falsch sind.

38. Wie Versalis in der Rechtsmittelschrift zu Recht ausgeführt hat, wird in Randnr. 416 der zweiten Mitteilung nämlich festgestellt, dass Versalis vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002, und nicht nur vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002 Teil des von der Eni SpA, Versalis und Syndial gebildeten Unternehmens gewesen sei, das die in Rede stehende Zuwiderhandlung begangen habe. Das Gericht konnte daher bei der Zurückweisung des von Versalis erhobenen Klagegrundes, der darauf gestützt wurde, dass eine Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ‐ die anders als diese Mitteilung nicht an Syndial gerichtet gewesen sei ‐ bestehe, nicht allein auf die Erwägung abstellen, dass dieser Klagegrund auf einer „falschen“ Prämisse beruht habe.

39. Jedoch ist dem Gericht kein Fehler unterlaufen, als es entschieden hat, dass die streitige Entscheidung in diesem Zusammenhang keinen die Verteidigungsrechte von Versalis verletzenden Fehler aufweise.

40. Wie genau dieser Randnr. 416 zu entnehmen ist, ging die Kommission nämlich davon aus, dass die Eni SpA, Versalis und Syndial jedenfalls in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 20. Oktober 2002, also praktisch während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung, ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV gebildet hätten. Folglich konnte für Versalis kein Zweifel daran bestehen, dass jegliches wettbewerbswidrige Verhalten des so umschriebenen Unternehmens und mithin das gesamte wettbewerbswidrige Verhalten von Syndial ihr zugerechnet werden würde. Wenn sich Versalis dessen ungeachtet entschlossen hat, zu dem behaupteten wettbewerbswidrigen Verhalten in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 1. Januar 2002 nicht Stellung zu nehmen und die Verteidigung insoweit Syndial zu überlassen, beruht dieser Entschluss auf einer Entscheidung dieses Unternehmens, die keinen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte darstellen kann. Übrigens ist nicht ersichtlich, dass diese Verteilung der Aufgaben hinsichtlich der Erwiderung auf die von der Kommission erhobenen Vorwürfe Versalis zum Nachteil gereicht hätte.

41. Der Umstand, dass die Kommission in Randnr. 353 der zweiten Mitteilung ausgeführt hat, dass Versalis und Syndial in der Zeit vom 1. Januar bis zum 20. Oktober 2002 für die Zuwiderhandlung darüber hinaus gesamtschuldnerisch zur Verantwortung zu ziehen seien, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. In Randnr. 353 wird nämlich, wie aus den Randnrn. 354 bis 356 dieser Mitteilung eindeutig hervorgeht, lediglich hervorgehoben, dass selbst während dieser Zeit, in der Versalis von der Eni SpA nur mittelbar kontrolliert wurde, bei dem von der Eni SpA, Versalis und Syndial gebildeten Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV eine ununterbrochene wirtschaftliche Kontinuität bestand.

42. Im Übrigen tut Versalis, wenn sie vorträgt, dass es einen eindeutigen Unterschied mache, ob sie nur gesamtschuldnerisch mit zwei weiteren Gesellschaften für eine Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werde oder ob sie mit einer einzigen weiteren Gesellschaft gesamtschuldnerisch zur Verantwortung gezogen werde, in keiner Weise dar, inwieweit die streitige Entscheidung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, wenn sie im Verfahren vor der Kommission gewusst hätte, dass die streitige Entscheidung nicht an Syndial, sondern lediglich an die Eni SpA und an sie selbst gerichtet werde.

43. Folglich entbehrt das Vorbringen zur Stützung des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird, die sich aus einer Abweichung zwischen der zweiten Mitteilung und der streitigen Entscheidung ergeben haben soll, da diese letztlich nicht an Syndial gerichtet war, einer rechtlichen und sachlichen Grundlage. Aus diesem Grund, durch den der vom Gericht angenommene Grund zu ersetzen ist, ist dieser Rechtsmittelgrund daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Rechtsfehler in Bezug auf die Zurechnung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung an Versalis und eine unzureichende Begründung der Zurückweisung der von der Rechtsmittelführerin hierzu vorgebrachten Argumente gerügt werden

Vorbringen der Parteien

44. Nach Ansicht von Versalis hat das Gericht gegen den fundamentalen Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit verstoßen, indem es den Klagegrund zurückgewiesen hat, mit dem eine fehlerhafte Zuweisung der sich aus den Ereignissen in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 1. Januar 2002 ergebenden Verantwortlichkeit gerügt worden war. Die Kommission hätte für diesen Zeitraum nämlich zwei getrennte Verantwortlichkeiten, die von Syndial und die von Versalis, feststellen müssen.

45. Die Möglichkeit, vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit abzuweichen, habe der Gerichtshof nur ausnahmsweise und unter konkreten Voraussetzungen zugelassen, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien. Syndial habe nämlich weder rechtlich noch wirtschaftlich aufgehört zu bestehen, die Tätigkeit im BR- und im ESBR-Sektor sei nicht zu dem Zweck übertragen worden, sich den Regeln zum Schutz des Wettbewerbs zu entziehen, und Versalis sowie Syndial hätten nicht derselben öffentlichen Stelle unterstanden. Die Rechtsmittelführerin habe auch keine spontane Erklärung abgegeben, um die Verantwortung für das Verhalten von Syndial zu übernehmen.

46. Zudem bestehe keinerlei Gefahr, dass es an einer Abschreckungswirkung fehlen könnte, falls die Verantwortlichkeit anstatt ihr selbst Syndial zugewiesen werde, da diese Gesellschaft noch wirtschaftlich tätig und in der Lage sei, eine Sanktion zu begleichen. Nach der Rechtsprechung sei jedoch die Gefahr einer Verfehlung der Abschreckungswirkung der grundlegende Faktor, der eine Abweichung vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit erlaube. Versalis verweist hierzu insbesondere auf Randnr. 144 des Urteils vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission (C-352/09 P, Slg. 2011, I-2359).

47. Jedenfalls habe das Gericht versäumt, die Intensität der wirtschaftlichen und organisatorischen Bindungen zwischen Versalis und Syndial zu prüfen, und sich mit der Feststellung begnügt, dass diese beiden Gesellschaften „unmittelbar oder mittelbar vollständig im Besitz [der Eni SpA] standen“. Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen. Auch habe es die Zurückweisung des entsprechenden Vorbringens nicht hinreichend begründet.

48. Die Kommission erwidert, dass der Gerichtshof die Verantwortlichkeit einer übernehmenden Gesellschaft nicht auf die Fälle beschränkt habe, in denen die übertragende Gesellschaft jede wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt habe. Nach der Rechtsprechung sei allein das Bestehen „struktureller Beziehungen“ zwischen zwei demselben Konzern angehörigen Unternehmen ausschlaggebend, und dieser Grundsatz sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen die beteiligten Unternehmen derselben öffentlichen Stelle unterstünden.

49. Für unbeachtlich hält die Kommission das Vorbringen von Versalis, wonach, da Syndial eine bestehende und tätige Gesellschaft sei, nicht die Gefahr bestehe, dass es an einer Abschreckungswirkung fehlen könnte, falls die Verantwortlichkeit anstatt der Rechtsmittelführerin Syndial zugewiesen werde, da die Rechtsprechung die Möglichkeit, eine Sanktion gegen das übernehmende Unternehmen zu verhängen, nicht allein auf den Fall beschränke, in dem die übertragende Gesellschaft rechtlich oder wirtschaftlich aufgehört habe zu bestehen.

50. Was die wirtschaftlichen und organisatorischen Bindungen zwischen Versalis und Syndial angehe, habe der Gerichtshof im Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Slg. 2004, I-123), schon deshalb auf das Bestehen struktureller, die Verhängung einer Sanktion gegen die übernehmende Gesellschaft rechtfertigender Beziehungen geschlossen, weil das am Kartell beteiligte Unternehmen die fraglichen Tätigkeiten auf eine andere Gesellschaft übertragen habe, die es zu 50 % kontrolliert habe. Im vorliegenden Fall liege daher auf der Hand, dass eine wirtschaftliche Kontinuität bestanden habe, da der übernehmende Teil zu 100 % kontrolliert worden sei. Das angefochtene Urteil sei insoweit hinreichend begründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

51. Nach ständiger Rechtsprechung betrifft das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen; der Begriff des Unternehmens umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Verstößt eine solche Einrichtung gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der pers önlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 11. Dezember 2007, ETI u. a., C-280/06, Slg. 2007, I-10893, Randnrn. 38 und 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass, wenn zwei Einrichtungen eine wirtschaftliche Einheit bilden, der bloße Umstand, dass die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, noch besteht, für sich allein nicht daran hindert, der Einrichtung, auf die sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen hat, eine Sanktion aufzuerlegen. Eine solche Ahndung ist insbesondere dann zulässig, wenn diese Einrichtungen der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit in Anbetracht der zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene bestehenden engen Bindungen im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien anwandten (vgl. Urteil ETI u. a., Randnrn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53. Im vorliegenden Fall ging die Kommission ausweislich der Erwägungsgründe 368 und 369 der streitigen Entscheidung davon aus, dass die Eni SpA, Versalis und Syndial während der Dauer der in Rede stehenden Zuwiderhandlung ein einziges Unternehmen gebildet hatten. Da die Eni SpA darüber hinaus während dieser ganzen Zeit unmittelbar oder mittelbar das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital nicht nur von Versalis, sondern auch von Syndial hielt, was Versalis nicht bestreitet, durfte sich die Kommission im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung auf die Vermutung stützen, dass die Eni SpA tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausgeübt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2012, Legris Industries/Kommission, C-289/11 P, Randnrn. 46 bis 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Vermutung ist in der vorliegenden Rechtssache nicht widerlegt worden.

54. Aufgrund dieser Umstände ist festzustellen, dass die Kommission jede von Syndial begangene Zuwiderhandlung Versalis anlasten durfte, obwohl Syndial noch besteht.

55. Diese Feststellung wird nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass der Gerichtshof im Urteil ThyssenKrupp Nirosta/Kommission entschieden hat, dass die in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils dargestellte Möglichkeit auch für den Fall gilt, in dem die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, rechtlich oder wirtschaftlich nicht mehr besteht, da eine Sanktion gegen ein Unternehmen, das keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr ausübt, unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung kaum wirksam wäre (vgl. Urteil ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, Randnr. 144), weil diesem Urteil gerade nicht entnommen werden kann, dass die Zurechnung einer Zuwiderhandlung an eine Einrichtung, die diese nicht begangen hat, allein auf die Fälle beschränkt ist, in denen die Verhängung einer Sanktion gegen die Gesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen hat, den Abschreckungszweck verfehlen würde.

56. Im Urteil ETI u. a., auf das der Gerichtshof in Randnr. 144 des Urteils ThyssenKrupp Nirosta/Kommission ausdrücklich Bezug genommen hat, hat er entschieden, dass die Kommission die betreffende Zuwiderhandlung einer Gesellschaft, die nicht die Urheberin der Zuwiderhandlung war, in einem Fall zurechnen durfte, in dem die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hatte, als Wirtschaftsteilnehmer auf anderen Märkten noch bestanden hatte (vgl. Urteil ETI u. a., Randnr. 45). Der Gerichtshof hat diese Beurteilung darauf gestützt, dass sich die betroffenen Gesellschaften während ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens in der Hand derselben öffentlichen Einrichtung befanden (Urteil ETI u. a., Randnr. 50).

57. Außerdem ist festzustellen, dass die Tragweite des Urteils ETI u. a. entgegen dem Vorbringen von Versalis nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen die betroffenen Einrichtungen der Kontrolle durch eine öffentliche Stelle unterstehen. In Randnr. 44 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich deutlich gemacht, dass der Umstand, dass eine Übertragung von Tätigkeiten nicht von Einzelnen, sondern vom Gesetzgeber zwecks Privatisierung beschlossen wurde, ohne Bedeutung ist. Nach Auffassung des Gerichtshofs könnten somit Zweifel an der Zurechenbarkeit einer Zuwiderhandlung an die Einrichtung, die die Rechtsnachfolge angetreten hat, allenfalls dann bestehen, wenn eine öffentliche Stelle die Kontrolle über die beiden betroffenen Einrichtungen ausübt, doch hat er diese Zweifel zerstreut. Kein Zweifel an einer solchen Zurechenbarkeit kann demgegenüber dann bestehen, wenn die Kontrolle – wie im vorliegenden Fall – durch eine privatrechtliche Gesellschaft ausgeübt wird.

58. Demnach ist dem Gericht kein Rechtsfehler unterlaufen, als es davon ausgegangen ist, dass die Kommission das gesamte in Rede stehende wettbewerbswidrige Verhalten Versalis zurechnen durfte.

59. Was den behaupteten Begründungsmangel betrifft, hat das Gericht in den Randnrn. 120 bis 131 des angefochtenen Urteils im Einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen es den entsprechenden Klagegrund für unbegründet gehalten hat. Die Gründe dieses Urteils lassen daher keinen Raum für Zweifel, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung in diesem Punkt gestützt hat, und ermöglichen es daher dem Gerichtshof, seine Kontrolle durchzuführen. Folglich ist das angefochtene Urteil insoweit nicht mit einem Begründungsmangel behaftet.

60. Da keines der zur Stützung des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgetragenen Argumente durchgreift, ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund, mit dem die Verletzung und falsche Anwendung von Unionsrecht, eine Verfälschung von Beweismitteln sowie die fehlende Ausübung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle durch das Gericht geltend gemacht wird

Vorbringen der Parteien

61. Nach Ansicht von Versalis hat das Gericht die Argumente, die aus behaupteten Widersprüchen zwischen drei von Bayer über ihren Rechtsbeistand, Herrn K., abgegebenen Erklärungen hergeleitet worden seien, sowie ihr eigenes Vorbringen zu einer Erklärung von Herrn N., einem Beschäftigten von Dow, zu Unrecht zurückgewiesen. Das Gericht habe sich in den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils insoweit auf den Grundsatz gestützt, dass Antworten auf Fragen der Kommission, die im Namen eines Unternehmens als solches gegeben würden, glaubhafter seien als es die Antwort eines der Mitarbeiter dieses Unternehmens sein könnte.

62. Diese Argumente hätten sich jedoch jeweils auf Widersprüche zwischen den im Namen der betroffenen Unternehmen abgegebenen Erklärungen bezogen. Wie insbesondere aus den Niederschriften der im Verwaltungsverfahren abgegebenen mündlichen Erklärungen hervorgehe, habe Herr N., der ein unmittelbarer Zeuge der in Rede stehenden Zuwiderhandlung sei und eine von den Feststellungen der Kommission in der streitigen Entscheidung stark abweichende Schilderung des Sachverhalts abgegeben habe, seine Erklärungen im Namen von Dow und nicht im eigenen Namen abgegeben. Das Gericht habe daher einen Fehler begangen, als es den „Grundsatz des Vorrangs“ der von den betroffenen Unternehmen selbst stammenden Erklärungen vor denen der Beschäftigten dieser Unternehmen angewandt und dementsprechend die von Versalis vorgelegten entlastenden Beweise nicht in die Umstände einbezogen habe, die bei der Prüfung des Bestehens dieses Kartells zu berücksichtigen gewesen seien.

63. Versalis hält eine erneute Prüfung dieser Argumente für geboten, um festzustellen, ob die in der streitigen Entscheidung angesprochenen Kontakte zwischen Wettbewerbern tatsächlich ein Kartell zur Festsetzung von Preisen und zur Marktaufteilung dargestellt hätten oder ob sich nur um gelegentliche Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union gehandelt habe, die allenfalls im Austausch sensibler Geschäftsinformationen bestanden hätten. Versalis weist darauf hin, dass bestimmte Angaben der Kronzeugen zu tatsächlichen Umständen bereits im Rahmen der Urteile des Gerichts vom 13. Juli 2011, Kaučuk/Kommission (T-44/07, Slg. 2011, II-4601), Unipetrol/Kommission (T-45/07, Slg. 2011, II-4629) und Trade-Stomil/Kommission (T-53/07, Slg. 2011, II-4657), widerlegt worden seien, die auf Klagen ergangen seien, die von drei weiteren Gesellschaften, die Adressaten der streitigen Entscheidung gewesen seien, nämlich Kaučuk, Unipetrol a.s. und Stomil, erhoben worden seien und mit denen diese Entscheidung, soweit sie diese Gesellschaften betroffen habe, in vollem Umfang für nichtig erklärt worden sei.

64. Die Kommission macht geltend, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung aufgrund zahlreicher Beweise festgestellt worden sei, von denen einige nur vor dem Gericht beanstandet worden seien. Dass dieses einer von Bayer abgegebenen Erklärung einen höheren Beweiswert beigemessen habe als anderen Erklärungen, hänge damit zusammen, dass diese Erklärung durch andere, von Versalis nicht beanstandete Teile der Akten bestätigt werde. Auf jeden Fall seien die von Versalis herangezogenen Erklärungen nicht geeignet, die anderen Erklärungen, auf die die streitige Entscheidung gestützt sei, zu widerlegen, und es liege auf der Hand, dass diese Fragen zur Tatsachenfeststellung gehörten. Diese sei der Kontrolle durch den Gerichtshof jedoch entzogen.

Würdigung durch den Gerichtshof

65. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht Versalis im Kern geltend, dass dem Gericht ein Fehler unterlaufen sei, indem es bestimmten im Namen von Bayer und Dow abgegebenen Erklärungen einen besonders hohen Beweiswert beigemessen habe, obwohl andere, von denselben Unternehmen stammende und auch in deren Namen abgegebene Erklärungen zu diesen erstgenannten Erklärungen in Widerspruch stünden.

66. Nach ständiger Rechtsprechung ist allein das Gericht zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Akten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, und für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweise nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. u. a. Urteil Legris Industries/Kommission, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67. Im vorliegenden Fall stützt Versalis ihr Vorbringen nicht darauf, dass sich aus den Akten ergebe, dass die Feststellungen des Gerichts tatsächlich falsch seien.

68. Was eine eventuelle Verfälschung von Beweisen betrifft, geht Versalis von der in Randnr. 35 ihrer Rechtsmittelschrift dargelegten Prämisse aus, wonach ihr Vorbringen eine solche Verfälschung durch das Gericht „betreffe“, da dieses wichtige von ihr vorgelegte entlastende Beweise nicht in die Umstände einbezogen habe, die bei der Prüfung des Bestehens dieses Kartells zu berücksichtigen gewesen seien.

69. Hierzu ist festzustellen, dass den Randnrn. 180 und 198 des angefochtenen Urteils zu entnehmen ist, dass diese Prämisse, die im Kern dahin geht, dass das Gericht versäumt habe, von Versalis vorgelegte entlastende Beweise zu berücksichtigen, weil es bestimmten im Namen von Bayer und Dow abgegebenen Erklärungen einen höheren Beweiswert beigemessen habe, falsch ist. Das Gericht hat in diesen Randnrn. 180 und 198 nämlich lediglich festgestellt, dass die Erklärungen der Beschäftigten von Bayer und Dow keinen „höheren“ Beweiswert haben könnten als die von diesen Gesellschaften selbst abgegebenen Erklärungen.

70. Außerdem hat das Gericht, wie u. a. aus den Randnrn. 180 und 197 des angefochtenen Urteils hervorgeht, seine Würdigung der Tatsachen nicht nur auf einige der Erklärungen von Bayer und Dow, sondern auch auf Erklärungen von Shell und auf mehrere schriftliche Beweise gestützt.

71. Demnach beanstandet Versalis in Wirklichkeit die vom Gericht vorgenommene Würdigung der Tatsachen, Beweise und entsprechenden Argumente als solche und rügt somit, dass das Gericht die Argumentation, die sie vorgebracht habe, um darzutun, dass keine Zuwiderhandlung vorliege, nicht für ausreichend gehalten habe. Mithin möchte Versalis eine erneute Würdigung der vom Gericht festgestellten Tatsachen und ihm vorgelegten Beweise durch den Gerichtshof erwirken, die aber nach der in Randnr. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht zur Kontrollaufgabe des Gerichtshofs gehört.

72. Folglich sind die Argumente, die Versalis zur Stützung des dritten Rechtsmittelgrundes vorgebracht hat, und dieser Rechtsmittelgrund selbst als unzulässig zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Unionsrecht bei der Berechnung der Geldbußen und der Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwerwiegend“, ein Begründungsmangel sowie eine unvollständige Ausübung der gerichtlichen Kontrolle gerügt werden

Vorbringen der Parteien

73. Versalis trägt erstens vor, das Gericht habe in Randnr. 225 des angefochtenen Urteils zu Unrecht ausgeführt, „dass Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die – wie hier – auf die Festlegung von Preiszielen oder die Aufteilung der Märkte gerichtet sind, allein schon aufgrund ihrer Natur als ‚besonders schwerwiegend‘ eingestuft werden können, ohne dass die Kommission eine konkrete Auswirkung der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen muss“. Nach Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 der Leitlinien und der Rechtsprechung des Gerichts sei die Kommission bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes nämlich verpflichtet, dessen konkrete Auswirkungen auf den Markt zu berücksichtigen, sofern sie messbar seien. Die erste Mitteilung, in der die Kommission entgegen dem in der zweiten Mitteilung verfolgten Ansatz eine erschöpfende Untersuchung hierzu vorgenommen habe, und die der Klageschrift als Anlagen beigefügten Studien zeigten aber, dass diese – begrenzten – Auswirkungen im vorliegenden Fall tatsächlich messbar gewesen seien.

74. Außerdem ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichts, dass horizontale Preisabsprachen als nur „schwere“ Verstöße angesehen werden oder die Festsetzung einer geringeren Geldbuße rechtfertigen könnten, wenn, wie es hier der Fall sei, die nachteiligen Auswirkungen dieser Absprachen auf den Markt begrenzt seien.

75. Hilfsweise macht Versalis geltend, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, anzugeben, welche anderen Faktoren sie berücksichtigt habe, um die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbußen über den für „besonders schwerwiegende“ Verstöße geltenden Mindestbetrag von 20 Mio. Euro zu rechtfertigen. Das Gericht habe daher einen Fehler begangen, indem es diesen Punkt nicht aufgegriffen habe.

76. Zweitens habe sich das Gericht nicht in „vernünftiger und schlüssiger“ Weise zu den wesentlichen Faktoren geäußert, die es bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung herangezogen habe. Es habe sich nämlich auf die Aussage beschränkt, es sei ausreichend gewesen, dass die Kommission hierzu festgestellt habe, dass das beanstandete Verhalten seinem Wesen nach ein „sehr schwerwiegender“ Verstoß sei, und es habe von einer Berücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt abgesehen. Die Rechtsmittelführerin habe dem Gericht jedoch Daten geliefert, damit es eine konkrete Prüfung vornehme, so dass es verpflichtet gewesen sei, eine solche Prüfung durchzuführen, seine eigene Würdigung dieser Daten vorzunehmen und daraus die sich für den Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße ergebenden Schlüsse zu ziehen.

77. Drittens habe das Gericht die Tatsachen verfälscht, indem es wichtige Elemente des Rechtsstreits nicht zutreffend berücksichtigt habe. In Randnr. 229 des angefochtenen Urteils habe es nämlich festgestellt, dass „[n]ichts … die Annahme [erlaubt], dass der Kommission in der [streitigen] Entscheidung mit der Schätzung des relevanten Marktes auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 … ein Fehler unterlaufen ist“. Wie sich jedoch aus den erstinstanzlichen Akten ergebe, habe die Kommission den Gesamtwert des relevanten Marktes drastisch verringert und dementsprechend fälschlicherweise vermutet, dass anstatt 60 % dieses Marktes, wie sie in der zweiten Mitteilung angegeben habe, nahezu 90 % dieses Marktes von dem Kartell betroffen gewesen sei.

78. Entgegen den Erwägungen in Randnr. 229, wonach „nichts die Annahme [erlaubt], dass ein zu niedriger Ansatz dieser Zahl [Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“, gehörten die Marktanteile der an einer Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zu den für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung potenziell maßgeblichen Faktoren. Außerdem müsse der von dem behaupteten Kartell betroffene Marktanteil aufgrund des Ausschlusses zweier ursprünglich materiell beteiligter Unternehmen, nämlich Kaučuk und Stomil, aus der Gruppe der Mitglieder dieses Kartells auf jeden Fall als noch geringer angesehen werden, als er in der streitigen Entscheidung berechnet worden sei.

79. Die Kommission hält dem entgegen, dass horizontale Preisabsprachen nach ständiger Rechtsprechung zu den schwersten Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union gehörten. Insbesondere den Urteilen vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission (C-534/07 P, Slg. 2009, I-7415, Randnr. 75), und vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission (C-272/09 P, Slg. 2011, I-12789, Randnr. 34), sowie den Leitlinien sei zu entnehmen, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen eines solchen Kartells auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbuße kein entscheidendes, sondern nur ein Kriterium neben anderen sei, das Berücksichtigung finden könne, wenn es messbar sei. Dass die Kommission in der zweiten Mitteilung von der in der ersten Mitteilung enthaltenen Untersuchung der Preisentwicklung auf den relevanten Märkten Abstand genommen habe, bedeute jedoch nicht, dass das betreffende Kartell keine Auswirkungen auf den Markt gehabt hätte, und die Rechtsmittelführerin habe solche Auswirkungen auch nicht nachgewiesen.

80. Jedenfalls wäre die Feststellung besonderer Auswirkungen auf den Markt nur ein weiterer Gesichtspunkt gewesen, der es der Kommission erlaubt hätte, bei der Bemessung der Geldbuße den Ausgangsbetrag zu erhöhen.

81. Schließlich habe das Gericht die von Versalis vorgelegten Marktstudien zu Recht nicht berücksichtigt, da die in Rede stehende Zuwiderhandlung aufgrund ihrer Art als „besonders schwerwiegend“ habe angesehen werden können und die genannten Studien auf unvollständige Daten gestützt gewesen seien. Zum Wert des relevanten Marktes macht die Kommission geltend, dass das Gericht keineswegs die Tatsachen verfälscht habe, als es von „mindestens“ 550 Mio. Euro im Jahr 2001 ausgegangen sei. Jedenfalls habe die Kommission für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung nicht auf den von den beteiligten Unternehmen kontrollierten Marktanteil abgestellt.

Würdigung durch den Gerichtshof

82. Erstens ist zur Bedeutung der Auswirkungen der betreffenden Zuwiderhandlung darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2012, Bavaria/Kommission, C-445/11 P, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was speziell die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt betrifft, sind diese für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium (vgl. Urteile KME Germany u. a./Kommission, Randnr. 34, und vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C-389/10 P, Slg. 2011, I-13125, Randnr. 44).

83. Zudem können horizontale Preisabsprachen oder Marktaufteilungen allein aufgrund ihrer Art als besonders schwere Verstöße angesehen werden, ohne dass die Kommission konkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen müsste (vgl. u. a. Beschluss vom 13. Dezember 2012, Transcatab/Kommission, C-654/11 P, Randnr. 42). In diesem Fall sind die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung nur ein Kriterium neben anderen, das der Kommission, wenn es messbar ist, erlauben kann, den Ausgangsbetrag der Geldbuße über den voraussichtlichen Mindestbetrag von 20 Mio. Euro zu erhöhen (Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 75).

84. Folglich hätte das Gericht, wenn es die konkreten Auswirkungen der in Rede stehenden Zuwiderhandlung ‐ unterstellt man ihre tatsächliche Messbarkeit – auf den Markt berücksichtigt hätte, dies nur beiläufig getan. Da außerdem diese Zuwiderhandlung ihrem Wesen nach ein sehr schwerer Verstoß ist, hätte die Berücksichtigung ihrer konkreten Auswirkungen nur zu einer Erhöhung der Geldbuße führen können. Das Vorbringen von Versalis geht daher ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 75, und Beschluss Transcatab/Kommission, Randnrn. 43 und 44).

85. Zweitens genügt zu dem Vorbringen, das Gericht habe sich nicht in „vernünftiger und schlüssiger“ Weise zu den wesentlichen Faktoren geäußert, die es bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandl ung berücksichtigt habe, da es davon abgesehen habe, die von Versalis beigebrachten Daten zu prüfen, seine eigene Würdigung dieser Daten vorzunehmen und daraus die sich für den Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße ergebenden Schlüsse zu ziehen, die Feststellung, dass das Gericht in den Randnrn. 219 bis 233 des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt hat, welche Faktoren es bei der Bewertung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat. Dieses Vorbringen ist daher unbegründet. Die Tatsache allein, dass das Gericht dabei in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auch mehrere Teile der Beurteilung bestätigt hat, die die Kommission in der streitigen Entscheidung vorgenommen hatte, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission, C-89/11 P, Randnr. 133).

86. Drittens kann das Vorbringen, das Gericht habe die Tatsachen verfälscht, indem es festgestellt habe, dass nichts die Annahme erlaube, dass der Kommission mit der Schätzung des relevanten Marktes „auf ‚mindestens‘ 550 Mio. Euro im Jahr 2001“ ein Fehler unterlaufen sei, keinen Erfolg haben.

87. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es Versalis weder gelingt, darzutun, dass die Feststellung des Gerichts in Randnr. 229 des angefochtenen Urteils, wonach „nichts die Annahme [erlaubt], dass ein zu niedriger Ansatz [bei der Schätzung des relevanten Marktes Versalis] zum Nachteil gereicht hätte“, falsch ist, noch, den Beweis zu erbringen, dass diese Feststellung eine Verfälschung der Tatsachen darstellt.

88. Versalis selbst bestätigt nämlich in Randnr. 64 der Rechtsmittelschrift, dass die Marktanteile der an einer Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zu den für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung „potenziell“ maßgeblichen Faktoren gehörten. Die Kommission hat jedoch, als sie für alle Unternehmen, die an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt waren, unterschiedliche Grundbeträge der Geldbußen festgesetzt hat, in den Erwägungsgründen 66 und 467 der streitigen Entscheidung gerade nicht auf die Marktanteile dieser Unternehmen, sondern auf deren BR- und ESBR-Verkäufe abgestellt. Daher geht das Vorbringen von Versalis, die Kommission habe in der streitigen Entscheidung ihre Schätzung des relevanten Marktes gegenüber der in der zweiten Mitteilung genannten Schätzung berichtigt, ins Leere.

89. Da keines der zur Stützung des vierten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente stichhaltig ist, ist dieser Rechtsmittelgrund somit zurückzuweisen.

Zum fünften Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass der vor dem Gericht geltend gemachte zwölfte Klagegrund unter Verstoß gegen Unionsrecht zurückgewiesen worden sei

Zum ersten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, mit dem ein Beurteilungsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung in Bezug auf die Zulänglichkeit der von der Kommission gegebenen Begründung für die Festsetzung des Multiplikators gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

90. Versalis wirft dem Gericht vor, nicht angemessen berücksichtigt zu haben, dass die Kommission nicht alle Faktoren angegeben habe, die ihr die Festsetzung eines Multiplikators von 2 für die von der Eni SpA kontrollierten Gesellschaften erlaubt hätten, und insoweit eine unzureichende und widersprüchliche Begründung gegeben zu haben.

91. Das Gericht habe ausgeführt, dass der Abschreckungsfaktor, wie der Gerichtshof in den Randnrn. 23 und 24 des Urteils vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission (C-289/04 P, Slg. 2006, I-5859), bereits entschieden habe, „unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und nicht nur der besonderen Situation des betreffenden Unternehmens ermittelt [wird]“. Das Gericht habe sich jedoch widersprochen, als es davon ausgegangen sei, dass der Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen, die die Kommission berücksichtigt habe, ausreichend gewesen seien und dass „[a]us der [streitigen] Entscheidung … nicht [hervorgeht], dass die Kommission ausdrücklich andere Faktoren … herangezogen hätte“, obwohl es in den Randnrn. 249 und 250 des angefochtenen Urteils zugleich festgestellt habe, dass der in der streitigen Entscheidung verwendete allgemeine Begriff „Umstände“ nicht geeignet gewesen sei, einen Irrtum hinsichtlich weiterer Faktoren zu begründen, die die Kommission berücksichtigt habe.

92. Mit der Feststellung in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils, dass „unter den ‚Umständen‘ … die Weltumsätze und die relative Größe der betroffenen Unternehmen verstanden werden [können]“, habe das Gericht diese Beurteilung rechtlich nicht hinreichend begründet. Dabei sei es ohne Bedeutung, dass die Kommission diesen Umstand in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe.

93. Nach Ansicht der Kommission ist die Argumentation des Gerichts in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils klar und nicht zu beanstanden. In der streitigen Entscheidung finde sich kein Hinweis darauf, dass die Kommission andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen berücksichtigt hätte.

– Würdigung durch den Gerichtshof

94. Was erstens die Bezugnahme auf das Urteil Showa Denko/Kommission betrifft, ist festzustellen, dass Versalis dieses Urteil falsch auslegt. Der Gerichtshof hat nämlich mit der Feststellung in Randnr. 23 dieses Urteils, dass bei der Ermittlung des Abschreckungsfaktors eine Vielzahl von Gesichtspunkten und nicht nur die besondere Situation des betreffenden Unternehmens zu berücksichtigen ist, auf die Nrn. 53 bis 55 der Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in dieser Rechtssache Bezug genommen, der im Wesentlichen ausgeführt hatte, dass der Multiplikator zu Abschreckungszwecken nicht nur auf eine „allgemeine Abschreckung“ im Sinne eines Vorgehens zur Abschreckung aller Unternehmen im Allgemeinen von der Begehung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung, sondern auch auf eine „konkrete Abschreckung“ zur Abschreckung des konkreten Beklagten von künftiger Verletzung der Bestimmungen abzielen könne. Damit hat der Gerichtshof in diesem Urteil lediglich bestätigt, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, ihre Bewertung auf Faktoren zu beschränken, die sich allein auf die besondere Situation des betreffenden Unternehmens beziehen.

95. Der Gerichtshof hat jedoch nicht entschieden, dass die Kommission oder gegebenenfalls das Gericht bei der Festsetzung eines Multiplikators zu Abschreckungszwecken in jedem Fall verpflichtet wäre, andere Faktoren als den Weltumsatz und die relative Größe der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen.

96. In diesem Zusammenhang ist zweitens festzustellen, dass den Erwägungsgründen 474 und 475 der streitigen Entscheidung eindeutig zu entnehmen ist, welche Kriterien die Kommission bei der Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken berücksichtigt hat, nämlich die relative Größe der betroffenen Unternehmen und deren Weltumsatz. Wie das Gericht in Randnr. 250 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, steht diesem Ergebnis nicht entgegen, dass die Kommission sich auch auf „Umstände“ bezog, da aus der streitigen Entscheidung nicht hervorgeht, dass die Kommission ausdrücklich andere Faktoren als die bereits erwähnten herangezogen hätte, und da unter den „Umständen“ gerade die Weltumsätze und die relative Größe der betroffenen Unternehmen zu verstehen sind.

97. Zur Begründung bezüglich der für die Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken verwendeten Kriterien ist festzustellen, dass das Gericht seine entsprechenden Erwägungen in den Randnrn. 242 bis 250 des angefochtenen Urteils ausführlich begründet hat. Diese Begründung weist weder einen Widerspruch noch einen Rechtsfehler auf, und aus ihr gehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervor, so dass Versalis die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen und der Gerichtshof seine Kontrollfunktion ausüben kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 2. April 2009, France Télécom/Kommission, C-202/07 P, Slg. 2009, I-2369, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98. Daher ist der erste Teil des fünften Rechtsmittelgrundes unbegründet.

Zum zweiten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, mit dem ein Beurteilungsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung in Bezug auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Kommission gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

99. Versalis ist der Meinung, dass die Kommission, sobald sie sich für die Anwendung einer mathematischen Methode zur Berechnung einer Geldbuße entschieden habe, gegenüber allen Mitgliedern eines Kartells an die Regeln dieser Methode gebunden sei, sofern es für eine Abweichung keine ausdrückliche Rechtfertigung gebe. Im Urteil vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission (T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/01, Slg. 2004, II-1181), habe das Gericht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in dem Fall erkannt, in dem für ein Unternehmen ein Multiplikator von 1,25 und für ein anderes Unternehmen ein Multiplikator von 2,5 festgesetzt worden sei, obwohl der Umsatz des einen nur das Doppelte des Umsatzes des anderen Unternehmens ausgemacht habe. Dieses Urteil zeige eindeutig, dass zwischen dem Anstieg des Umsatzes und der Erhöhung des Multiplikators ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Im angefochtenen Urteil sei das Gericht jedoch von diesen Grundsätzen abgewichen.

100. Um die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten und um zugleich die Anwendung eines höheren Multiplikators als 3 zu verhindern, hätte das Gericht nach Ansicht der Rechtsmittelführerin bei den gegebenen Umsätzen der an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen auf Bayer einen Multiplikator von 1,25 und nicht von 1,5, und dementsprechend auf alle anderen beteiligten Unternehmen einen niedrigeren Multiplikator, nämlich auf Dow einen Multiplikator von 1,33, auf EniChem einen Multiplikator von etwa 1,66 und auf Shell einen Multiplikator von 3 anwenden müssen. Die Aussage des Gerichts in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils, wonach „sich … aus der [streitigen] Entscheidung [ergibt], dass der auf EniChem angewandte Multiplikator auf der Grundlage des Multiplikators von Dow errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von Shell“, gehe ins Leere, da der Grundsatz der Gleichbehandlung für alle Teilnehmer an ein und demselben Kartell gelte.

101. Die Kommission ist der Meinung, dass die Rechtsmittelführerin keinerlei Rechtsfehler dartue, sondern vielmehr eine Ersatzberechnungsmethode vorschlage, die in ihrem Fall zur Anwendung eines niedrigen Multiplikators führen würde. Da dieses Begehren auch die gegen andere Unternehmen festgesetzten Geldbußen betreffe, sei es unzulässig. Die Kommission verweist darüber hinaus auf das Urteil vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission (C-283/98 P, Slg. 2000, I-9855, Randnr. 47), wonach sie sich nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf mathematische Formeln ihres Ermessens begeben dürfe. Die Entscheidung, keine höheren Multiplikatoren als 3 anzuwenden, der Versalis zuzustimmen scheine, führe zu einer gewissen Degressivität der Multiplikatoren im Verhältnis zur Größe der Unternehmen, die der Rechtsmittelführerin im Übrigen in hohem Maße zugutegekommen sei.

– Würdigung durch den Gerichtshof

102. Nach ständiger Rechtsprechung finden das Ziel des Multiplikators zu Abschreckungszwecken und in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung der Größe und der Gesamtressourcen des betreffenden Unternehmens ihren Grund in der angestrebten Wirkung auf dieses Unternehmen, da die Sanktion insbesondere im Hinblick auf dessen Wirtschaftskraft nicht unerheblich sein darf (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C-413/08 P, Slg. 2010, I-5361, Randnr. 104, und Beschluss vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, C-421/11 P, Randnr. 82).

103. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung darf das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung sich nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf eine allein auf den Umsatz des betroffenen Unternehmens gestützte mathematische Berechnungsmethode seines Ermessens hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Geldbußen begeben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Mo och Domsjö/Kommission, Randnr. 47). Die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße darf nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Umsatz gestützten Rechenvorgangs sein (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 121, und vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnr. 243).

104. Die differenzierte Behandlung von an einem Kartell beteiligten Unternehmen bei der Berechnung der ihnen auferlegten Geldbußen gehört daher untrennbar zur Ausübung der der Kommission insoweit zustehenden Befugnisse. Die Kommission hat nämlich in Ausübung ihres Ermessens die Sanktion entsprechend den für die betroffenen Unternehmen kennzeichnenden Verhaltensweisen und Eigenschaften individuell festzulegen, um in jedem Einzelfall die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Union sicherzustellen (Urteil vom 12. November 2009, SGL Carbon/Kommission, C-564/08 P, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

105. Aufgrund der in Randnr. 102 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hat die Kommission nämlich vor allem darauf zu achten, dass die Sanktion insbesondere im Hinblick insbesondere auf die Wirtschaftskraft der betroffenen Unternehmen nicht „unerheblich“ ist, was jedoch nicht verlangt, dass einem Unternehmen, das einen gegenüber dem Umsatz der anderen Teilnehmer an einem Kartell besonders hohen Umsatz aufweist, eine Geldbuße aufzuerlegen wäre, die strikt nach Maßgabe des Verhältnisses erhöht wird, das zwischen dessen Umsatz und dem aller anderen an dem betreffenden Kartell beteiligten Unternehmen besteht. Wäre dem so, könnten nämlich die gegen die größten Unternehmen eines Kartells festgesetzten und nach einer solchen Rechenmethode erhöhten Geldbußen zwar eine hinreichende Abschreckungswirkung entfalten, drohten aber insbesondere dann außer Verhältnis zur Schwere der konkret begangenen Zuwiderhandlung zu stehen, wenn sich – wie hier – die Umsätze der betroffenen Unternehmen erheblich unterscheiden.

106. Nach alledem kann dem Gericht nicht zum Vorwurf gemacht werden, im Wesentlichen das Vorgehen der Kommission bestätigt zu haben, die für Versalis einen Multiplikator zu Abschreckungszwecken von 2 und für Shell einen solchen von 3 festgesetzt hatte und damit bezweckte, keine unverhältnismäßigen Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken auf die größten Unternehmen anzuwenden, auf die allein auf der Grundlage des zwischen ihrem Umsatz und dem der kleineren Unternehmen bestehenden mathematischen Verhältnisses theoretisch deutlich höhere Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken hätten angewandt werden können.

107. Wenn Versalis insoweit geltend macht, dass die Kommission, sobald sie sich für die Anwendung einer mathematischen Methode zur Berechnung einer Geldbuße entschieden habe, an die Regeln dieser Methode gebunden sei, genügt es, festzustellen, dass die Kommission im vorliegenden Fall keine solche Methode gewählt hat. Dieser von der Kommission übrigens in der mündlichen Verhandlung bestätigte Umstand ergibt sich im Wesentlichen aus der streitigen Entscheidung, in der die Kommission im 474. Erwägungsgrund ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es zwischen den Umsätzen der betroffenen Unternehmen beträchtliche Unterschiede gegeben habe.

108. Zur behaupteten Unzulänglichkeit der Begründung des Gerichts ist festzustellen, dass es in Randnr. 251 des angefochtenen Urteils alle für die Festsetzung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken maßgeblichen Kriterien genannt hat. Zwar hat es sich in Bezug auf die behauptete Ungleichbehandlung von Versalis und Shell mit der Feststellung begnügt, dass „der auf EniChem angewandte Multiplikator auf der Grundlage des Multiplikators von Dow errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von Shell“, und ist diese Feststellung als solche sicherlich äußerst knapp, doch ist sie in Verbindung mit der vom Gericht in derselben Randnummer vorgenommenen Präzisierung zu sehen, dass die Kommission „bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße über ein Ermessen verfügt und nicht verpflichtet ist, eine genaue mathematische Formel anzuwenden“.

109. In Anbetracht dieser letztgenannten Feststellungen des Gerichts konnte bei Versalis kein Irrtum darüber entstehen, welche wesentlichen Erwägungen das Gericht veranlasst haben, die Bewertung des Abschreckungsfaktors durch die Kommission im Wesentlichen zu bestätigen, wobei sich diese Erwägungen, wie aus den Randnrn. 102 bis 106 des vorliegenden Urteils hervorgeht, als zutreffend erwiesen haben. Daher kann auch insoweit nicht festgestellt werden, dass das angefochtene Urteil unzulänglich begründet wäre.

110. Folglich ist der zweite Teil des fünften Rechtsmittelgrundes als unbegründet anzusehen und dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum sechsten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, dass das Gericht das Unionsrecht verletzt und falsch angewandt und das angefochtene Urteil mangelhaft begründet habe, als es bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt habe

Vorbringen der Parteien

111. Versalis ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die Zurückweisung ihres Vorbringens zu Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung als unzulässig darauf beruhe, dass das Gericht die Überschriften der Abschnitte dieser Entscheidung und die Überschriften der Abschnitte, aus denen sich „Teil E“ der Klageschrift zusammensetze, formalistisch verglichen habe. In den Randnrn. 54 bis 56 der Klageschrift sei der Inhalt der Anlagen zu dieser Klageschrift genannt und zusammengefasst worden, und das damit geltend gemachte Vorbringen ergebe sich aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst mit hinreichender Deutlichkeit.

112. Außerdem enthielten diese Anlagen, von denen konkrete Teile in den Randnrn. 61, 62, 64, 94 und 121 der Klageschrift erwähnt seien, kein rechtliches Vorbringen. Das Gericht habe daher zu Unrecht entschieden, dass, die in diesen Anlagen enthaltenen Gesichtspunkte „nicht den Anforderungen von Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung [des Gerichts entsprechen]“ und dass „es nicht Sache des Gerichts [ist], … Klagegründe und Argumente … in den Anlagen zu suchen und zu identifizieren“. Auf jeden Fall weise das Urteil insoweit einen Begründungsmangel auf.

113. Unzutreffend seien auch die Erwägungen in Randnr. 169 des angefochtenen Urteils, wonach Versalis einen Mangel der Klageschrift nicht dadurch beheben könne, „dass sie in der Erwiderung bestimmte tatsächliche oder rechtliche Angaben … macht und auf die Anlagen … verweist bzw. der Erwiderung neue Anlagen beifügt“. Der Umstand hingegen, dass das Gericht diese Anlagen für unzulässig erklärt habe, habe dazu geführt, dass es Versalis unmöglich gewesen sei, zu ihren Gunsten wichtige entlastende Gesichtspunkte geltend zu machen.

114. Nach Ansicht der Kommission steht das angefochtene Urteil – was die Zurückweisung der in Rede stehenden Anlagen betrifft – im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofs. Das Gericht habe alle Argumente in der Klageschrift – selbst wenn sie knapp und in gedrängter Form vorgetragen worden seien – sorgfältig geprüft. Die pauschale Bezugnahme in den Randnrn. 54 bis 56 der Klageschrift auf die Anlagen sowie einen verspäteten Versuch der Rechtsmittelführerin, die Mängel der Klageschrift zu beheben, habe es dagegen zu Recht zurückgewiesen.

Würdigung durch den Gerichtshof

115. Zunächst ist, wie es das Gericht in Randnr. 161 des angefochtenen Urteils getan hat, darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Für die Zulässigkeit einer Klage ist es nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen sie beruht, zumindest in gedrängter Form, aber zu sammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst ergeben. Zwar kann deren Text zu speziellen Punkten durch Bezugnahmen auf bestimmte Abschnitte beigefügter Schriftstücke untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen ausgleichen, die nach den oben genannten Vorschriften in der Klageschrift enthalten sein müssen. Entsprechende Erfordernisse gelten, wie das Gericht in Randnr. 162 dieses Urteils betont hat, für ein zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachtes Argument.

116. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht angesichts dieser Regel ein Argument zu Abschnitt 4.3 („Kartelltreffen“) der streitigen Entscheidung als unzulässig zurückgewiesen hat. Es war nämlich der Auffassung, dass dieses Argument rechtlich und tatsächlich nur in einigen Anlagen zur Klageschrift näher ausgeführt worden sei.

117. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Versalis mit ihrem sechsten Rechtsmittelgrund, wie dessen Überschrift und Randnr. 98 der Rechtsmittelschrift zu entnehmen ist, beanstandet, dass „bestimmte Anlagen zur Klageschrift für unzulässig erklärt worden“ seien. Das Gericht hat aber nicht die in Rede stehenden Anlagen für unzulässig erklärt, wie die Rechtsmittelführerin behauptet, sondern ein Argument, das neben mehreren anderen Argumenten in diesen Anlagen enthalten war. Versalis legt das angefochtene Urteil daher insoweit falsch aus.

118. Dafür, dass Versalis den betreffenden Teil des angefochtenen Urteils falsch auslegt, spricht auch das potenziell irreführende Vorbringen in Randnr. 94 der Rechtsmittelschrift, wonach die Zurückweisung des in Rede stehenden Arguments durch das Gericht auf einem „formalistischen“ Vergleich der Überschrift von Teilen der streitigen Entscheidung mit den Überschriften der Abschnitte, aus denen sich der betreffende Teil ihrer Klageschrift zusammensetze, beruhe. Das Gericht hat dieses Argument nämlich nicht deshalb zurückgewiesen, weil es nicht die richtige Überschrift getragen habe, sondern deshalb, weil es nicht in der Klageschrift selbst wiedergegeben gewesen sei. Dass es darüber hinaus in der Klageschrift an einer dem betreffenden Argument entsprechenden Überschrift fehle, hat das Gericht in Randnr. 167 des angefochtenen Urteils lediglich ergänzend festgestellt.

119. Schließlich ist zu den in Randnr. 165 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Randnrn. 54 bis 56 und den dazugehörigen Fußnoten der Klageschrift, in denen laut Versalis der Inhalt der betreffenden Anlagen genannt und zusammengefasst worden sein soll, festzustellen, dass aus den Ausführungen in diesen Randnummern und in diesen Fußnoten kein konkretes rechtliches oder tatsächliches Argument hergeleitet werden kann. Die Schlussfolgerung des Gerichts, dass die wesentlichen, Abschnitt 4.3 der streitigen Entscheidung betreffenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte in der Klageschrift nicht wiedergegeben seien, ist daher begründet.

120. Folglich hat das Gericht in Randnr. 170 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei das Abschnitt 4.3 der streitigen Entscheidung betreffende Vorbringen von Versalis für unzulässig erklärt. Daher ist der sechste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

121. Dementsprechend ist, da keiner der von Versalis zur Stützung ihres Rechtsmittels vorgebrachten Gründe durchgreift, das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Zum Anschlussrechtsmittel

Zum Einwand der Erledigung

122. In der mündlichen Verhandlung hat Versalis dem Anschlussrechtsmittel der Kommission den Einwand der Erledigung entgegengehalten und dies damit begründet, dass die Kommission kein Rechtsschutzinteresse mehr habe. Nach der Verkündung des angefochtenen Urteils habe sie der Rechtsmittelführerin nämlich mitgeteilt, dass sie beabsichtige, die Ermittlungen, soweit sie einen Wiederholungsfall bei Versalis beträfen, im Hinblick auf den Erlass einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte wieder aufzunehmen.

123. Dieser Einwand ist nicht begründet.

124. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Lauf des Verfahrens grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit hat, den Richter jedoch veranlassen kann, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. März 2009, Kommission/Provincia di Imperia, C-183/08 P, Randnr. 31).

125. Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch, wie sie in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, ihr Rechtsschutzinteresse behalten, da die gegen Versalis mit der streitigen Mitteilung verhängte und seit dem Tag ihres Erlasses um Zinsen erhöhte finanzielle Sanktion auch dann weiterbestünde, wenn der Gerichtshof dem Anschlussrechtsmittel der Kommission stattgeben würde, was nicht der Fall wäre, wenn die Kommission eine neue Entscheidung erließe. So hat der Gerichtshof in einem vergleichbaren Zusammenhang bereits entschieden, dass die Ausarbeitung eines Verordnungsvorschlags durch die Kommission mit dem Ziel, einer Entscheidung des Gerichts nachzukommen, als solche nicht bedeute, dass die Kommission jegliches Interesse an der Einlegung eines Rechtsmittels verloren hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Januar 2002, Frankreich/Monsanto und Kommission, C-248/99 P, Slg. 2002, I-1, Randnr. 31).

126. Unter diesen Umständen ist dem von Versalis erhobenen Einwand nicht zu folgen.

Zum einzigen Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

127. Die Kommission stützt ihr Anschlussrechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV, Verfahrensfehler, durch die ihre Interessen beeinträchtigt worden seien, und einen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beanstandet. Im angefochtenen Urteil sei zu Unrecht entschieden worden, dass die in der streitigen Entscheidung angeführten Beweismittel zum Nachweis des erschwerenden Umstands eines Wiederholungsfalls bei der Eni SpA und bei Versalis unzureichend gewesen seien.

128. Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass sie in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung ihre Absicht bekundet habe, bereits festgestellte frühere Zuwiderhandlungen als erschwerenden Umstand zu berücksichtigen, und dass sie die Beteiligung von „ENI“ an den in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II dargestellten Zuwiderhandlungen ausdrücklich erwähnt habe. Versalis habe hierzu im Verfahren vor der Kommission nicht Stellung genommen. Sie habe erstmals in ihrer Klageschrift in erster Instanz geltend gemacht, dass zum einen die Person, die die früheren Zuwiderhandlungen begangen habe, und die gegenwärtig an der Zuwiderhandlung beteiligte Person nicht identisch seien, da die fraglichen Sparten unterschiedliche Erzeugnisse und Märkte betroffen hätten und bereits vor dem Erlass dieser Entscheidungen übertragen worden seien, und dass zum anderen die EniChem SpA das in die früheren Wettbewerbssachen verwickelte Unternehmen des Konzerns gewesen sei.

129. Versalis habe aber zu keiner Zeit behauptet, dass die Gesellschaften, gegen die in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II Sanktionen verhängt worden seien, nicht unter Leitung des Eni-Konzerns gestanden hätten. Die Kommission ist der Meinung, dass sie, wenn sie es gewollt hätte, in diesen Entscheidungen die Geldbuße derselben Muttergesellschaft, nämlich der Eni SpA, hätte auferlegen können, die die Adressaten dieser Entscheidungen, die EniChem SpA und die Anic SpA, vollständig kontrolliert habe. Das Gericht habe im Urteil vom 30. September 2003, Michelin/Kommission (T-203/01, Slg. 2003, II-4071), bestätigt, dass die Kommission unter solchen Umständen davon habe ausgehen dürfen, dass dasselbe Unternehmen bereits für die gleiche Art Zuwiderhandlung verurteilt worden sei.

130. Das Gericht habe zum Thema Wiederholungsfall keine schriftlichen Fragen an die Parteien gerichtet und in der mündlichen Verhandlung keine Aufklärung des Sachverhalts verlangt. Es sei daher völlig unerwartet gewesen, dass die streitige Entscheidung im angefochtenen Urteil wegen eines angeblichen Begründungsmangels teilweise für nichtig erklärt worden sei. Daher verstoße das angefochtene Urteil gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV. Das Gericht habe Gegenstand und Umfang der Begründungspflicht falsch bestimmt. Außerdem beinhalte das Vorgehen des Gerichts eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und somit einen Verfahrensfehler, der die Interessen der Kommission beeinträchtige.

131. Die Kommission hebt hervor, dass die Begründung eines Rechtsakts insbesondere anhand seines Kontexts zu beurteilen sei. So habe der Gerichtshof im Urteil vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission (C-42/01, Slg. 2004, I-6079, Randnr. 66), eine summarische Begründung in einer Entscheidung, die in einem Kontext erlassen worden sei, der dem Adressaten gut bekannt gewesen sei, für ausreichend gehalten. Außerdem hätte nach Ansicht der Kommission das Gericht ihr die Möglichkeit bieten müssen, ihre Begründung klarzustellen und zu präzisieren, wie es dies in der Rechtssache getan habe, in der das Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2012, Versalis und Eni/Kommission (T-103/08), ergangen sei.

132. Schließlich belegen nach Ansicht der Kommission die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung klar die Kontinuität zwischen dem Unternehmen, das Adressat der Entscheidung PVC II gewesen sei, und demjenigen, das an der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt sei. Die Kommission beantragt daher die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Gericht darin die streitige Entscheidung hinsichtlich der Feststellung des Wiederholungsfalls sowohl in Bezug auf die Entscheidung Polypropylen als auch in Bezug auf die Entscheidung PVC II teilweise für nichtig erklärt hat, und auf jeden Fall, soweit die Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gericht die Feststellung des Wiederholungsfalls in Bezug auf die Entscheidung PVC II betrifft.

133. Versalis erwidert, dass erstens das Vorbringen der Kommission, das auf die Rechtssache gestützt sei, in der das Urteil Versalis und Eni/Kommission ergangen sei, rein tatsächlicher Natur sei. Es sei weder in der streitigen Entscheidung noch in den dem Gericht von der Kommission vorgelegten Unterlagen enthalten gewesen und daher unzulässig.

134. Zweitens sei die Rechtsmittelführerin erst 1989 gegründet worden, also viele Jahre nach Beendigung der mit den Entscheidungen Polypropylen und PVC II geahndeten Verhaltensweisen und nach der Abgabe der betreffenden Tätigkeiten an Drittunternehmen oder der Übertragung dieser Tätigkeiten in gemeinsame Unternehmen. Zwischen diesen Tätigkeiten und derjenigen, die am 1. Januar 2002 von einer als „EniChem SpA“ bezeichneten Gesellschaft, bei der es sich nicht um die Gesellschaft EniChem SpA gehandelt habe, die von der Entscheidung PVC II betroffen gewesen sei, auf die Rechtsmittelführerin übertragen worden sei, gebe es daher keinerlei wirtschaftliche und funktionelle Kontinuität. Die Muttergesellschaft des Konzerns in der Zeit, um die es in den früheren Entscheidungen gegangen sei, sei die Ente Nazionale Idrocarburi, also eine öffentliche Einrichtung, nicht aber die Eni SpA gewesen.

135. Drittens laufe es, wenn sich die Kommission auf die bloße theoretische Möglichkeit berufe, seinerzeit Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, dieser Muttergesellschaft zuzurechnen, auf eine unwiderlegbare Vermutung der Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für das in der Vergangenheit liegende Verhalten der zu 100 % in ihrem Besitz befindlichen Tochtergesellschaften hinaus. Außerdem hätte die Kommission nach dem beim Erlass dieser Entscheidung von ihr selbst angewandten Kriterium belegen müssen, dass die in Rede stehende Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Anic SpA und auf die EniChem SpA ausgeübt habe, was sie weder in diesen Entscheidungen noch in der streitigen Entscheidung getan habe.

136. Ferner sei die Eni SpA beim Erlass der früheren Entscheidungen nicht als für das Verhalten der Anic SpA und der EniChem SpA verantwortlich angesehen worden und sei daher hierzu nie gehört worden.

137. Viertens macht Versalis zu ihrer Haltung und zu der der Eni SpA im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geltend, dass sie insbesondere bei der Anhörung die Anlastung des Wiederholungsfalls sehr wohl beanstandet habe. Jedenfalls sei sie nicht verpflichtet gewesen, zur zweiten Mitteilung Stellung zu nehmen. Das Urteil Portugal/Kommission sei in diesem Zusammenhang nicht einschlägig, da der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigt habe, dass die Kommission nur dann die Möglichkeit habe, eine summarische Begründung zu geben, wenn sich diese auf Fragen beziehe, zu denen die Gegenpartei trotz einer ausdrücklichen entsprechenden Verpflichtung keine Angaben gemacht habe. Eine solche Verpflichtung bestehe im vorliegenden Fall aber nicht.

138. Fünftens verweist Versalis zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens darauf, dass ihr Vorbringen nicht verspätet gewesen sei und dass der vom Gericht geahndete Mangel die Begründung in der Sache selbst betroffen habe, so dass ihm nicht im Laufe des Gerichtsverfahrens habe abgeholfen werden können. Auf jeden Fall müsse die Begründung einer Entscheidung dem Betroffenen zeitgleich mit der beschwerenden Entscheidung mitgeteilt werden und könne nicht im Laufe des Verfahrens vor den Unionsgerichten geheilt werden. Das Vorbringen der Kommission entbehre daher einer Grundlage.

Würdigung durch den Gerichtshof

139. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C-628/10 P und C-14/11 P, Randnr. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

140. So ergibt sich im Zusammenhang mit einer Einzelentscheidung aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Pflicht zur Begründung einer solchen Entscheidung neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

141. Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (vgl. u. a. Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142. Folglich muss die Kommission, wenn sie gegen eine Gesellschaft wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Geldbuße verhängt und bei der Bemessung der Geldbuße einen Multiplikator anwendet, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Gesellschaft bereits früher in eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verwickelt war, zusammen mit der Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wird, eine Darstellung abgeben, die den Unionsgerichten und dieser Gesellschaft ermöglicht, zu erkennen, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang die Gesellschaft an der früheren Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein soll. Insbesondere muss die Kommission, wenn sie davon ausgeht, dass diese Gesellschaft Teil des Unternehmens war, das Adressatin der die frühere Zuwiderhandlung betreffenden Entscheidung war, diese Behauptung rechtlich hinreichend begründen.

143. Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass die Kommission in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt hatte, sie werde frühere Feststellungen ähnlicher Zuwiderhandlungen berücksichtigen, wobei sie insoweit auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II verwies, von denen „ENI“ „betroffen“ gewesen sei. Dieselbe kurze Feststellung findet sich sinngemäß im 487. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung, wo die Kommission im Übrigen ausführt, dass „EniChem“ bereits Adressatin dieser Entscheidungen gewesen sei. Schließlich kann der 488. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung so verstanden werden, dass nach Auffassung der Kommission dasselbe Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, und die mit der streitigen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung begangen hat.

144. Da aber die Entscheidung Polypropylen u. a. an die Anic SpA und die Entscheidung PVC II u. a. an die „EniChem SpA“ gerichtet waren, ist festzustellen, dass sich den in der streitigen Entscheidung gemachten und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Angaben keineswegs entnehmen lässt, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang Versalis, die weder zu den Adressaten der Entscheidung Polypropylen noch zu denen der Entscheidung PVC II gehört, von diesen Entscheidungen betroffen gewesen wäre.

145. Die Kommission trägt zwar vor, dass die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung eine genaue Beschreibung sämtlicher „EniChem“ betreffender Ereignisse enthielten, doch betreffen diese Erläuterungen – wie das Gericht in Randnr. 299 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat – nur die Veränderungen im Eni-Konzern in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis 28. November 2002. Dagegen enthalten diese Erwägungsgründe keine genaueren Angaben zu den Gesellschaften, aus denen die Unternehmen bestanden, die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, geben keine Auskunft darüber, ob diese Gesellschaften mit den von der streitigen Entscheidung erfassten identisch sind, was Versalis bestreitet, und behandeln auch keine in diesem Zusammenhang eventuell aufgetretenen Veränderungen zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung Polypropylen, nämlich dem 23. April 1986, sowie der Entscheidung PVC II, nämlich dem 27. Juli 1994, und dem Beginn der mit der streitigen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung, also dem 20. Mai 1996.

146. Daher ist die streitige Entscheidung in diesem Punkt unzureichend begründet.

147. Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens mit der Folge einer Verletzung der Verteidigungsrechte geht aus der in Randnr. 141 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervor, dass die Kommission bereits mit dem Erlass der streitigen Entscheidung eine ausreichende Begründung liefern musste. Es ist daher nicht erkennbar, dass weiter gehende Informationen, die die Kommission ohne angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens dem Gericht hätte liefern können, irgendeinen Einfluss auf das Ergebnis des angefochtenen Urteils hätten haben können.

148. Zu dem Vorbringen, dass Versalis oder die Eni SpA während des Verfahrens vor der Kommission nicht geltend gemacht hätten, dass die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II auf der einen Seite und der streitigen Entscheidung auf der anderen Seite nicht identisch seien, genügt der Hinweis, dass es keine unionsrechtliche Vorschrift gibt, die den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zwingt, die verschiedenen in dieser Mitteilung angeführten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verwaltungsverfahren anzugreifen.

149. Unter diesen Umständen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung keine hinreichend substantiierten und genauen Anhaltspunkte dafür angeführt hat, dass dasselbe „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV erneut eine Zuwiderhandlung begangen hatte, und als es dementsprechend Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt hat, soweit darin die Höhe der Eni auferlegten Geldbuße auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird.

150. Da der einzige Grund, auf den die Kommission ihr Anschlussrechtsmittel gestützt hat, nicht durchgreift, ist das Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen.

Kosten

151. Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

152. In Bezug auf das Rechtsmittel sind Versalis, da sie mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

153. In Bezug auf das Anschlussrechtsmittel sind der Kommission, da sie mit ihrem einzigen Anschlussrechtsmittelgrund unterlegen ist, entsprechend dem Antrag von Versalis die Kosten aufzuerlegen.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.

2. Die Versalis SpA trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel.

3. Die Europäische Kommission trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Anschlussrechtsmittel.

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