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Document 62010CJ0212

    Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 16. Juni 2011.
    Logstor ROR Polska sp. z o.o. gegen Dyrektor Izby Skarbowej w Katowicach.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach - Polen.
    Steuerrecht - Gesellschaftsteuer - Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Besteuerung eines Darlehens, das einer Kapitalgesellschaft von einer Person gewährt wurde, die Anspruch auf einen prozentualen Anteil am Gewinn dieser Gesellschaft hat - Recht eines Mitgliedstaats, eine Steuer wieder einzuführen, die zum Zeitpunkt seines Beitritts zur Europäischen Union nicht mehr galt.
    Rechtssache C-212/10.

    Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-05453

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:404

    Rechtssache C-212/10

    Logstor ROR Polska sp. z o.o.

    gegen

    Dyrektor Izby Skarbowej w Katowicach

    (Vorabentscheidungsersuchen des Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach)

    „Steuerrecht – Gesellschaftsteuer – Richtlinie 69/335/EWG – Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital – Besteuerung eines Darlehens, das einer Kapitalgesellschaft von einer Person gewährt wurde, die Anspruch auf einen prozentualen Anteil am Gewinn dieser Gesellschaft hat – Recht eines Mitgliedstaats, eine Steuer wieder einzuführen, die zum Zeitpunkt seines Beitritts zur Europäischen Union nicht mehr galt “

    Leitsätze des Urteils

    Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital – Gesellschaftsteuer, die von den Kapitalgesellschaften erhoben wird

    (Richtlinie 69/335 des Rates, Art. 4 Abs. 2 und 7 Abs. 2)

    Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung ist in dem Sinne auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, eine Gesellschaftsteuer wieder einzuführen, die auf die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft erhoben wird, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat, falls dieser Mitgliedstaat zuvor auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatte.

    Die Wendung „können … auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden“ in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie ist nämlich in dem Sinne auszulegen, dass sie impliziert, dass die in diesem Absatz genannten Vorgänge, damit die Mitgliedstaaten sie der Gesellschaftsteuer unterwerfen können, nicht nur im Sinne dieser Bestimmung nach dem am 1. Juli 1984 geltenden nationalen Recht besteuert gewesen sein, sondern auch in der Folge ununterbrochen dieser Steuer unterlegen haben müssen.

    (vgl. Randnrn. 37, 40 und Tenor)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    16. Juni 2011(*)

    „Steuerrecht – Gesellschaftsteuer – Richtlinie 69/335/EWG – Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital – Besteuerung eines Darlehens, das einer Kapitalgesellschaft von einer Person gewährt wurde, die Anspruch auf einen prozentualen Anteil am Gewinn dieser Gesellschaft hat – Recht eines Mitgliedstaats, eine Steuer wieder einzuführen, die zum Zeitpunkt seines Beitritts zur Europäischen Union nicht mehr galt“

    In der Rechtssache C‑212/10

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach (Polen) mit Entscheidung vom 15. März 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 2010, in dem Verfahren

    Logstor ROR Polska sp. z o.o.

    gegen

    Dyrektor Izby Skarbowej w Katowicach

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), des Richters K. Schiemann, der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Prechal und E. Jarašiūnas,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2011,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Logstor ROR Polska sp. z o.o., vertreten durch T. Konik und K. Gil, doradcy podatkowi,

    –        des Dyrektor Izby Skarbowej w Katowicach, vertreten durch G. Pasterczyk als Bevollmächtigten,

    –        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, A. Kramarczyk und A. Kraińska als Bevollmächtigte,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Afonso und K. Herrmann als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 69/335).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Logstor ROR Polska sp. z o.o. (im Folgenden: Logstor ROR Polska) mit Sitz in Zabrze (Polen) und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Katowicach (Direktor der Finanzkammer Kattowitz) wegen Zahlung einer als „Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte“ bezeichneten Steuer, die aufgrund einer Änderung des Gesellschaftsvertrags der Logstor ROR Polska durch Darlehen, die ihr von ihrem Anteilseigner gewährt wurden, gefordert wurde.

     Rechtlicher Rahmen

     Unionsrecht

    3        Mit der Richtlinie 69/335 sollte laut ihrem ersten Erwägungsgrund der freie Kapitalverkehr gefördert werden, der als für die Schaffung eines Binnenmarkts wesentliche Grundfreiheit angesehen wurde. Zu diesem Zweck sollte sie, wie aus ihren Erwägungsgründen 6 bis 8 hervorgeht, die Steuer, die auf Kapitalzuführungen an Gesellschaften in der Europäischen Union erhoben wird, durch die Einführung einer einheitlichen Steuer auf die Ansammlung von Kapital, die innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal erhoben werden kann, und durch die Aufhebung aller anderen indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie diese einheitliche Steuer harmonisieren.

    4        Zu diesem Zweck sahen die Art. 1 bis 9 dieser Richtlinie die Erhebung einer als Gesellschaftsteuer bezeichneten harmonisierten Abgabe auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften vor.

    5        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 sah vor:

    „Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:

    c)      die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

    d)      die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art, für die nicht Gesellschaftsrechte gewährt werden, die einen Anteil am Kapital oder am Gesellschaftsvermögen verkörpern, sondern Rechte, wie sie Gesellschaftern gewährt werden, wie z. B. Stimmrecht, Recht auf Gewinnbeteiligung oder auf Liquidationserlöse;

    …“

    6        Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmte:

    „Soweit sie am 1. Juli 1984 der Steuer zum Satz von 1 v. H. unterlagen, können die folgenden Vorgänge auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden:

    c)      die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat;

    d)      die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft bei einem Gesellschafter, beim Ehegatten oder bei einem Kind eines Gesellschafters sowie die Aufnahme von Darlehen bei Dritten, wenn ein Gesellschafter für ein solches Darlehen Sicherheit leistet; Voraussetzung ist, dass diese Darlehen die gleiche Funktion haben wie eine Erhöhung des Kapitals.

    …“

    7        Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 69/335 sieht vor:

    „(1)      Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

    Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der Befreiung oder gegebenenfalls für die Anwendung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.

    (2)      Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben.“

    8        Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 85/303, durch die die Richtlinie 69/335 die Fassung erhalten hat, die für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblich ist, lauteten:

    „Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesellschaftsteuer sind für den Zusammenschluss und die Entwicklung der Unternehmen ungünstig. Besonders negativ sind sie bei der derzeitigen Konjunktur, in der die Belebung der Investitionen als vordringlich zu gelten hat.

    Um dies zu erreichen, erscheint als beste Lösung die Abschaffung der Gesellschaftsteuer. Die sich aus einer solchen Maßnahme ergebenden Einnahmeausfälle scheinen jedoch einigen Mitgliedstaaten unannehmbar. Infolgedessen muss den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen werden, Vorgänge, die in den Anwendungsbereich dieser Steuer fallen, vollständig oder teilweise von der Gesellschaftsteuer zu befreien oder der Steuer zu unterwerfen, wobei innerhalb eines Mitgliedstaats ein einheitlicher Steuersatz angewandt werden muss.“

    9        Die Richtlinie 69/335 ist durch Art. 16 der Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 46, S. 11) mit Wirkung zum 1. Januar 2009 aufgehoben worden.

     Nationales Recht

    10      Die Republik Polen ist der Europäischen Union am 1. Mai 2004 beigetreten.

     Die am 1. Juli 1984 geltenden Rechtsvorschriften über die Gesellschaftsteuer

    11      Das Gesetz vom 19. Dezember 1975 über die Stempelgebühr (Dz. U. Nr. 45, Pos. 226) sah vor, dass Akte zur Gründung einer Gesellschaft durch natürliche und juristische Personen einer Stempelgebühr unterliegen. Eine am 1. Juli 1983 in Kraft getretene Verordnung des Ministerrats vom 16. Mai 1983 (Dz. U. Nr. 34, Pos. 161) bestimmte den Gegenstand und den Gebührensatz dieser Stempelgebühr. Art. 54 Abs. 5 dieser Verordnung sah vor:

    „Als Gesellschaftskapital werden auch Darlehen angesehen, die von einem der Gesellschafter oder Anteilseigner gewährt wurden, sofern der Gesamtbetrag der nicht zurückgezahlten Darlehen am Tag der Gewährung des Darlehens 50 % des Gesellschaftskapitals überstieg.“

    12      In diesem Fall betrug der Steuersatz 5 % der Darlehenssumme.

     Die vom 1. Januar 2001 bis zum 30. April 2004 geltenden Rechtsvorschriften über die Gesellschaftsteuer

    13      Vom 1. Januar 2001 bis 30. April 2004 wurden die genannten Vorgänge im Rahmen der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte nach einem degressiven Steuersatz besteuert.

    14      Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 9. September 2000 über die Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte (Dz. U. Nr. 86, Pos. 959, im Folgenden: Rechtsgeschäfte-Steuergesetz von 2000) unterlagen der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte Gesellschaftsverträge sowie Änderungen dieser Verträge, wenn sie zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage dieser Steuer führten.

    15      Art. 1 Abs. 3 des Rechtsgeschäfte-Steuergesetzes von 2000 bestimmte:

    „Im Fall eines Gesellschaftsvertrags gelten als Vertragsänderungen:

    4.      Nachschüsse, Darlehen der Gesellschafter (Aktionäre) an die Gesellschaft sowie die Überlassung von Gegenständen oder Vermögensrechten durch einen Gesellschafter (Aktionär) an die Gesellschaft zur unentgeltlichen Nutzung.“

    16      Art. 7 Abs. 1 Nr. 9 des Rechtsgeschäfte-Steuergesetzes von 2000 sah nach Maßgabe der Höhe des Darlehens einen degressiven Steuersatz vor, der zwischen 1 % und 0,5 % des Darlehensbetrags lag. Für das im Ausgangsverfahren fragliche Darlehen galt somit ein Steuersatz von 0,5 %.

     Die vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Rechtsvorschriften über die Gesellschaftsteuer

    17      Mit dem Gesetz vom 19. Dezember 2003 über die Änderung des Gesetzes über die Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte (Dz. U. 2004, Nr. 6, Pos. 42) wurde das Rechtsgeschäfte-Steuergesetz von 2000 dahin gehend geändert, dass einer Kapitalgesellschaft von einem Gesellschafter oder einem Aktionär gewährte Darlehen von dieser Steuer befreit wurden. Art. 9 Nr. 10 Buchst. h des Rechtsgeschäfte-Steuergesetzes von 2000 in der Fassung, die sich aus dem seit 1. Mai 2004 geltenden einheitlichen Text dieses Gesetzes (Dz. U. Nr. 41, Pos. 399) ergibt, sieht vor:

    „Von der Steuer befreit sind folgende zivilrechtliche Rechtsgeschäfte:

    10.      Darlehen, die

    h)      einer Kapitalgesellschaft von einem Gesellschafter (Aktionär) gewährt werden;

    …“

     Die vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Rechtsvorschriften über die Gesellschaftsteuer

    18      Art. 9 Nr. 10 Buchst. h des Rechtsgeschäfte-Steuergesetzes von 2000 in der ab 1. Mai 2004 geltenden Fassung, nach dem einer Kapitalgesellschaft von einem Gesellschafter oder einem Aktionär gewährte Darlehen, von der Steuer befreit waren, wurde durch Art. 2 Nr. 9 Buchst. c dritter Gedankenstrich des Gesetzes vom 15. November 2006 über die Änderung des Gesetzes über die Erbschaft‑ und Schenkungsteuer sowie des Gesetzes über die Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte (Dz. U. Nr. 222, Pos. 1629, im Folgenden: Rechtsgeschäfte‑Steuergesetz von 2007) ab 1. Januar 2007 aufgehoben.

    19      Diese Darlehensgeschäfte wurden somit gemäß Art. 1 Abs. 3 Nr. 2 des Rechtsgeschäfte‑Steuergesetzes von 2007 als Änderung des Gesellschaftsvertrags angesehen und gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 9 dieses Gesetzes zu einem einheitlichen Steuersatz von 0,5 % besteuert.

     Die ab 1. Januar 2009 geltenden Rechtsvorschriften über die Gesellschaftsteuer

    20      Mit dem Gesetz vom 7. November 2008 (Dz. U. Nr. 209, Pos. 1319) wurde die Richtlinie 2008/7 in polnisches Recht umgesetzt und wurden, gemäß Art. 9 Nr. 10 Buchst. i dieses Gesetzes, Darlehen, die einer Kapitalgesellschaft von einem ihrer Gesellschafter oder Aktionäre gewährt werden, von der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte befreit.

     Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

    21      Am 9. Juli 2007 schloss die Logstor ROR Polska mit ihrem Anteilseigner, der Logstor Holding A/S, einen Zusatzvertrag zu einem Darlehensvertrag vom 15. September 2004, nach dem der Betrag des ursprünglich gewährten Darlehens um 2 600 000 Euro auf 5 233 000 Euro erhöht wurde. Am 14. August 2007 schloss die Logstor ROR Polska mit dem genannten Anteilseigner einen weiteren Darlehensvertrag über 8 000 000 PLN.

    22      Gemäß den polnischen Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt der genannten Darlehensgeschäfte in Kraft waren, unterlagen diese der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte.

    23      Die Logstor ROR Polska ist der Ansicht, dass sie gemäß der Richtlinie 69/335 für die fraglichen Darlehensgeschäfte Anspruch auf eine Befreiung von der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte habe, und beantragte daher bei der Steuerverwaltung die Feststellung, dass eine Überzahlung in Höhe des Gesamtbetrags der von ihr entrichteten Steuer vorliege.

    24      Im Anschluss an die Ablehnung dieses Antrags und die Zurückweisung der gegen diese Ablehnung erhobenen Beschwerde erhob die Logstor ROR Polska Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Gleiwitz).

    25      Vor diesem Hintergrund hat das Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gliwicach das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Berechtigte Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 einen Mitgliedstaat, zum 1. Januar 2007 eine Gesellschaftsteuer wieder einzuführen, die auf die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft erhoben wird, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat, falls der Mitgliedstaat zum Tage des Beitritts zur Union, dem 1. Mai 2004, auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatte?

     Zur Vorlagefrage

    26      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung in dem Sinne auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, eine Gesellschaftsteuer wieder einzuführen, die auf die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft erhoben wird, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat, falls dieser Mitgliedstaat zuvor auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatte.

    27      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die polnische Regierung vor dem Gerichtshof die Darstellung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht beanstandet hat.

    28      Sie ist der Ansicht, dass die Angabe des vorlegenden Gerichts, die Polnische Republik habe zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Union darauf verzichtet, auf Darlehensgeschäfte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Gesellschaftsteuer zu erheben, unzutreffend sei. Mit der vom 1. Mai 2004 bis 31. Dezember 2006 geltenden Steuerbefreiung für Darlehen, die Kapitalgesellschaften von ihren Anteilseignern gewährt würden, habe vermieden werden sollen, dass ein und dasselbe Kapital doppelt besteuert würde, ein erstes Mal bei der Darlehensgewährung an die Gesellschaft durch den Anteilseigner und ein zweites Mal bei der Umwandlung des nicht zurückgezahlten Teils des Darlehens in Gesellschaftsanteile.

    29      Zum einen seien zwar Darlehen, die einer Kapitalgesellschaft von einem Anteilseigner oder einem Aktionär gewährt würden, von 2004–2006 von der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte befreit gewesen, Kapitalerhöhungen, die sich aus der Umwandlung solcher Darlehen ergäben, jedoch nicht; zum anderen sei durch das Rechtsgeschäfte‑Steuergesetz von 2007 umgekehrt die Besteuerung von Kapitalerhöhungen, die sich aus bereits der Steuer auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte unterliegenden Darlehen von Aktionären und Anteilseignern ergäben, abgeschafft worden, und gleichzeitig sei diese Steuer erneut für Darlehen eingeführt worden, die Kapitalgesellschaften von ihren Anteilseignern oder Aktionären gewährt würden.

    30      Hierzu genügt der Hinweis, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen justiziellen Zusammenarbeit die Auslegung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht in Frage zu stellen oder deren Richtigkeit zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Februar 2008, Gysen, C‑449/06, Slg. 2008, I‑553, Randnr. 17, und vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C‑11/07, Slg. 2008, I‑6845, Randnr. 32).

    31      Der Gerichtshof hat daher die ihm vorgelegte Frage auf der Grundlage der Feststellungen des vorlegenden Gerichts zu beantworten, nach denen die Republik Polen zum Zeitpunkt ihres Beitritts zu Union, d. h., am 1. Mai 2004, auf die Erhebung der im Augangsverfahren fraglichen Steuer verzichtet hat.

    32      Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 konnten bestimmte Vorgänge, soweit sie am 1. Juli 1984 der Steuer zum Satz von 1 % unterlagen, „auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden“.

    33      Dieser Zeitpunkt, der für Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 maßgeblich ist, gilt auch für die Republik Polen. Im Fall eines Beitritts gilt nämlich eine Verweisung auf einen im Unionsrecht vorgesehenen Zeitpunkt, sofern die Beitrittsakte oder ein anderer Unionsrechtsakt nichts anderes bestimmt, auch für den beitretenden Staat, selbst wenn dieser Zeitpunkt vor dem Beitrittszeitpunkt liegt (Urteil vom 21. Juni 2007, Optimus – Telecomunicações, C‑366/05, Slg. 2007, I‑4985, Randnr. 32). Weder die Akte über die Bedingungen des Beitritts dieses Staates zur Europäischen Union noch ein anderer Unionsrechtsakt enthält eine Ausnahmeregelung für die Polnische Republik.

    34      Soweit Darlehensgeschäfte wie die im Ausgangsverfahren fraglichen am 1. Juli 1984 einer Steuer im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 unterlagen, konnte sich die Republik Polen somit bei ihrem Beitritt zur Union dafür entscheiden, diese Art von Vorgängen auch weiterhin der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

    35      Sie konnte jedoch nicht, nachdem sie – wie es sich aus der Prüfung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht ergibt – zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Union oder ab diesem Zeitpunkt auf diese Steuer verzichtet hatte, beschließen, diese nach diesem Zeitpunkt wieder einzuführen.

    36      Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335, dessen Wortlaut auf den Gedanken der Kontinuität verweist, ist nämlich im Licht des in den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 85/303 genannten Ziels auszulegen, die Gesellschaftsteuer zu begrenzen oder sogar abzuschaffen. Hinsichtlich dieses Ziels ergibt sich aus dem genannten dritten Erwägungsgrund, dass die Mitgliedstaaten, die nicht auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet haben, diese lediglich aufgrund der budgetären Schwierigkeiten beibehalten können, die sie bei ihrer Abschaffung hätten.

    37      Die Wendung „können … auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 ist daher in dem Sinne auszulegen, dass sie impliziert, dass die in diesem Absatz genannten Vorgänge, damit die Mitgliedstaaten sie der Gesellschaftsteuer unterwerfen können, nicht nur im Sinne dieser Bestimmung nach dem am 1. Juli 1984 geltenden nationalen Recht besteuert gewesen sein, sondern auch in der Folge ununterbrochen dieser Steuer unterlegen haben müssen. Anderenfalls kann der Mitgliedstaat keinen Einnahmeverlust geltend machen, der eine Beibehaltung der Gesellschaftsteuer erforderlich machen würde.

    38      Die Bezugnahme auf den 1. Juli 1984 in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 kann daher für die Mitgliedstaaten, die die fraglichen Vorgänge zu diesem Zeitpunkt der Gesellschaftsteuer unterwarfen, keine Erlaubnis darstellen, diese Steuer, nachdem sie darauf verzichtet hatten, erneut einzuführen; dies liefe dem Wortlaut dieser Bestimmung und dem mit der genannten Richtlinie verfolgten Ziel der Begrenzung oder sogar Abschaffung der Gesellschaftsteuer zuwider.

    39      Folglich kann ein Mitgliedstaat, der gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 nach dem 1. Juli 1984 darauf verzichtet hat, bestimmte Vorgänge einer Gesellschaftsteuer zu unterwerfen, für diese Vorgänge nicht erneut eine solche Steuer einführen.

    40      Auf die vorgelegte Frage ist demnach zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 in dem Sinne auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, eine Gesellschaftsteuer wieder einzuführen, die auf die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft erhoben wird, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat, falls dieser Mitgliedstaat zuvor auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatte.

     Kosten

    41      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung ist in dem Sinne auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, eine Gesellschaftsteuer wieder einzuführen, die auf die Darlehensaufnahme durch eine Kapitalgesellschaft erhoben wird, wenn der Darlehensgeber Anspruch auf eine Beteiligung an den Gesellschaftsgewinnen hat, falls dieser Mitgliedstaat zuvor auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatte.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Polnisch.

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