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Document 62010CC0557

Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 6. September 2012.
Europäische Kommission gegen Portugiesische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Verkehr - Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft - Richtlinie 91/440/EWG - Art. 5 Abs. 3 - Eisenbahnunternehmen - Unabhängigkeit der Geschäftsführung - Entscheidungen über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen - Art. 7 Abs. 3 - Zuweisung der Mittel an den Betreiber der Infrastruktur - Richtlinie 2001/14/EG - Art. 6 Abs. 1 - Ausgeglichenheit der Einnahmen und Ausgaben - Angemessene Bedingungen - Unvollständige Umsetzung.
Rechtssache C-557/10.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:529

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 6. September 2012 ( 1 )

Rechtssache C-557/10

Europäische Kommission

gegen

Portugiesische Republik

„Vertragsverletzungsklage — Richtlinie 91/440/EWG — Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft — Art. 5 Abs. 3 — Unabhängigkeit der Geschäftsführung — Entscheidungen über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen — Art. 7 Abs. 3 — Zuweisung der Mittel an den Betreiber der Infrastruktur — Richtlinie 2001/14/EG — Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn — Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur — Art. 6 Abs. 1 — Ausgeglichenheit der Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur“

I – Einführung

1.

Mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Portugiesische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 5 Abs. 3 und 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG ( 2 ) zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft in der durch die Richtlinie 2001/12/EG ( 3 ) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/440) sowie aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG ( 4 ) über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung in der durch die Richtlinie 2007/58/EG ( 5 ) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14) verstoßen hat. Die Portugiesische Republik beantragt, die Klage der Kommission abzuweisen.

2.

Die vorliegende Rechtssache gehört zu einer Reihe von Vertragsverletzungsklagen ( 6 ), die die Kommission in den Jahren 2010 und 2011 erhoben hat und die Anwendung der Richtlinien 91/440 und 2001/14 durch die Mitgliedstaaten betreffen, insbesondere was den gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang der Eisenbahnunternehmen zur Infrastruktur, d. h. zum Schienennetz, betrifft. Diese Klagen stellen etwas Neues dar, denn sie bieten dem Gerichtshof erstmals Gelegenheit, sich zur Liberalisierung des Schienenverkehrs in der Europäischen Union zu äußern und insbesondere das sogenannte „erste Eisenbahnpaket“ auszulegen.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

3.

Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 sieht vor:

„Im Rahmen der vom Staat festgelegten gesamtpolitischen Leitlinien und unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen – gegebenenfalls mehrjährigen – Pläne oder Verträge, einschließlich der Investitions- und Finanzpläne, können die Eisenbahnunternehmen insbesondere

über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen entscheiden;

…“

4.

Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können dem Betreiber der Infrastruktur ferner unter Wahrung der Artikel 73, 87 und 88 des Vertrags Mittel zuweisen, die in angemessenem Verhältnis zu den Aufgaben, der Größe und dem Finanzbedarf stehen, und zwar insbesondere für Neuinvestitionen.“

5.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 lautet:

„Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen fest, gegebenenfalls einschließlich der Leistung von Vorauszahlungen, um sicherzustellen, dass sich die Einnahmen eines Betreibers der Infrastruktur aus Wegeentgelten, dem Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten und der staatlichen Finanzierung einerseits und die Fahrwegausgaben andererseits unter normalen geschäftlichen Umständen und über einen angemessenen Zeitraum zumindest ausgleichen.

Unbeschadet des etwaigen langfristigen Ziels, dass die Infrastrukturkosten bei allen Verkehrsträgern durch deren Nutzer auf der Grundlage eines gerechten und nichtdiskriminierenden Wettbewerbs der Verkehrsträger gedeckt werden, wenn der Eisenbahnverkehr gegenüber anderen Verkehrsträgern konkurrenzfähig ist, kann ein Mitgliedstaat im Rahmen der Entgeltregelungen der Artikel 7 und 8 von einem Betreiber der Infrastruktur verlangen, seine Einnahmen und Ausgaben ohne staatliche Mittel auszugleichen.“

B – Portugiesisches Recht

6.

Mit dem Decreto-Lei Nr. 137-A/2009 vom 12. Juni 2009 ( 7 ) wurden die für das öffentliche Unternehmen CP Comboios de Portugal EPE (im Folgenden: CP) geltende rechtliche Regelung sowie die Satzung dieses Unternehmens erlassen. Dieses Decreto-Lei regelt die Rechtsform und den Gesellschaftszweck der CP und legt in seinem Anhang I deren Satzung fest.

7.

Art. 2 dieses Decreto-Lei lautet wie folgt:

„Rechtsform

Die [CP] ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, das über administrative und finanzielle Eigenständigkeit sowie eigenes Vermögen verfügt und der Aufsicht und Überwachung durch die für Finanzen und Transport zuständigen Mitglieder der Regierung unterliegt.“

8.

Art. 1 der Satzung der CP, „Bezeichnung und Sitz“, bestimmt:

„1.   Die [CP] ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, das über administrative und finanzielle Eigenständigkeit sowie eigenes Vermögen verfügt und eine Rechts- und Geschäftsfähigkeit besitzt, die sämtliche Rechte und Pflichten umfasst, die zur Verfolgung ihres Gesellschaftszwecks erforderlich oder zweckdienlich sind.“

9.

Der Gesellschaftszweck der CP ist in Art. 2 der Satzung definiert. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

„1.   Der Gesellschaftszweck der [CP] besteht hauptsächlich in der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Personen- und Güterbeförderung per Bahn auf Schienenstrecken, Streckenabschnitten und Anschlussgleisen, die zum nationalen Schienennetz gehören oder gehören werden.

3.   Daneben kann die [CP] auch folgende Tätigkeiten ausüben …

4.   Im Rahmen der Verwirklichung des in der vorstehenden Nummer definierten Gesellschaftszwecks kann die [CP]

a)

gemäß den gesetzlichen Vorschriften Gesellschaften gründen und Kapitalanteile erwerben;

…“

10.

Gemäß Art. 9 dieser Satzung besitzt die CP folgende Zuständigkeiten:

„1.   Der Verwaltungsrat verfügt über umfassende Verwaltungs- und Geschäftsführungsbefugnisse gemäß den gesetzlichen Vorschriften und der Satzung.

2.   Es ist insbesondere Aufgabe des Verwaltungsrats

l)

über die Gründung von Gesellschaften und den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen gemäß den gesetzlichen Vorschriften zu entscheiden;

…“

11.

Art. 21 gehört zu Kapitel IV, „Aufsicht“. Dieser Artikel sieht unter der Überschrift „Leitlinien für die Geschäftsführung“ Folgendes vor:

„1.   Die Regierung bestimmt gemäß den gesetzlichen Vorschriften die von der [CP] zu verfolgenden allgemeinen Ziele dergestalt, dass gewährleistet ist, dass diese mit den in den gesetzlichen Vorschriften vorgesehenen allgemeinen und sektoriellen Politiken im Einklang stehen.

2.   Die Regierung verfolgt die Entwicklung der Lage des Unternehmens, um zu gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu einem angemessenen Grad erfüllt werden und das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens sichergestellt ist, so dass die Verfolgung angemessener Politiken zur Modernisierung des Schienenverkehrs gewährleistet ist.“

12.

Durch das Decreto-Lei Nr. 300/2007 vom 23. August 2007 ( 8 ) wurde die für staatseigene und öffentliche Unternehmen in Portugal geltende Regelung geändert. Es sieht u. a. vor:

„Artikel 10

1.   Die Rechte des Staates als Anteilseigner werden über die Generaldirektion ‚Staatskasse und Finanzen‘ unter der Leitung des Finanzministers ausgeübt, der im Einklang mit den im nachstehenden Artikel vorgesehenen Leitlinien und nach Abstimmung durch gemeinsamen Beschluss mit den für den Sektor zuständigen Ministern Befugnisse übertragen kann.

3.   Die in den vorstehenden Absätzen genannten Rechte können indirekt über rein öffentliche Kapitalgesellschaften ausgeübt werden.“

13.

Art. 37 dieses Decreto-Lei betrifft die Gründung von Gesellschaften und den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen. Dieser Artikel lautet wie folgt:

„1.   … die Beteiligung des Staates oder anderer öffentlicher Einrichtungen des Staates sowie öffentlicher Unternehmen an der Gründung von Unternehmen und dem Erwerb oder der Veräußerung von Kapitalanteilen bedarf der Genehmigung des Finanzministers und des für den Sektor zuständigen Ministers ….

…“

14.

Das Decreto-Lei Nr. 270/2003 vom 28. Oktober 2003 ( 9 ) legt die Bedingungen für die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des Schienentransports und des Betriebs der Eisenbahninfrastruktur fest. Dieses Decreto-Lei regelt in seinem Art. 63 insbesondere die Ausgeglichenheit der Konten des Betreibers der Infrastruktur. Dieser Artikel sieht Folgendes vor:

„1.   Die Konten des Betreibers der Infrastruktur müssen ein Gleichgewicht aufweisen zwischen

a)

den Einnahmen aus Wegeentgelten, dem Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten und der staatlichen Finanzierung, gegebenenfalls in Form von Vorschüssen, einerseits und

b)

den Kosten des für das Betreiben und die Wartung der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienstes andererseits.

2.   Unbeschadet des etwaigen langfristigen Ziels, dass die Infrastrukturkosten bei allen Verkehrsträgern tendenziell durch deren Nutzer auf der Grundlage eines gerechten und nichtdiskriminierenden Wettbewerbs der Verkehrsträger gedeckt werden, muss der Betreiber der Infrastruktur, wenn der Eisenbahnverkehr in der Lage ist, mit anderen Verkehrsträgern zu konkurrieren, insbesondere wenn die Umweltkosten bei den anderen Verkehrsträgern gleichermaßen internalisiert werden, im Rahmen der in diesem Kapitel vorgesehenen Entgeltregelung das in Abs. 1 genannte Gleichgewicht ohne staatliche Finanzierung erreichen.

3.   Zur Beurteilung des in Abs. 1 genannten Gleichgewichts und zur Bestimmung der Notwendigkeit von Ausgleichzahlungen des Staates an den für das Betreiben der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienst ist ein Verfahren zur Aufteilung der Kosten vorzusehen, das in transparenter Weise zeigt, dass nur die Kosten der Geschäftsführung, der Wartung, der Instandhaltung und der Zurverfügungstellung der Infrastruktur berücksichtigt werden.

7.   Für die Zwecke des Abs. 1 Buchst. b des vorliegenden Artikels werden Finanzierungs- und außergewöhnliche Kosten nicht als Kosten des für das Betreiben der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienstes angesehen.

8.   Durch Naturkatastrophen verursachte außergewöhnliche Kosten sind vom Staat zu ersetzen.“

15.

Durch das Decreto-Lei Nr. 104/97 vom 29. April 1997 ( 10 ) wurde schließlich die Rede Ferroviária Nacional, REFER E. P. (Gesellschaft zum Betrieb des nationales Schienennetzes, im Folgenden: REFER), gegründet. Die Satzung der REFER ist in Anhang I dieses Decreto-Lei veröffentlicht. Art. 12 bestimmt laut seiner Überschrift den Gegenstand und den Anwendungsbereich dieser Satzung und zwar wie folgt:

„…

2.   Die Regierung verfolgt die künftige Entwicklung der Lage des Unternehmens, um das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens sowie die Erfüllung der für den Bau, die Installierung und die Renovierung der Eisenbahninfrastruktur eingegangenen Verbindlichkeiten in einer Weise sicherzustellen, die die Verfolgung angemessener Politiken zur Modernisierung des Schienenverkehrs nicht beeinträchtigt.“

III – Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

16.

In ihrem Aufforderungsschreiben vom 26. Januar 2008 wies die Kommission die portugiesischen Behörden darauf hin, dass sie an der Vereinbarkeit der portugiesischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des ersten Eisenbahnpakets mit dem Unionsrecht zweifle. Die portugiesischen Behörden antworteten auf das Aufforderungsschreiben und lieferten Informationen und Argumente hinsichtlich der Beachtung der Richtlinien 91/440 und 2001/14 durch die portugiesischen Rechtsvorschriften.

17.

Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die portugiesischen Behörden, in der sie die Ansicht vertrat, dass die Portugiesische Republik in Bezug auf die Umsetzung des ersten Eisenbahnpakets gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 5 Abs. 3 und 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 sowie aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 verstoßen habe.

18.

Die portugiesischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und lieferten verschiedene Erläuterungen. Mit Schreiben vom 24. Juni 2010 informierten sie die Kommission über den Erlass von nationalen Rechtsvorschriften, die die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission enthaltenen Kritikpunkte hinsichtlich der Vereinbarkeit der portugiesischen Regelung über leistungsunabhängige Entgelte mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 11 der Richtlinie 2001/14 berücksichtigten.

19.

Da die Kommission die Antwort der portugiesischen Behörden für unzureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben, die am 29. November 2010 beim Gerichtshof eingegangen ist.

IV – Prüfung der Vertragsverletzungsklage

A – Zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens

20.

Die portugiesische Regierung hat mit ihrem Vorbringen in erster Linie die geltend gemachte Vertragsverletzung bestritten und hilfsweise beantragt, das Verfahren bis zum 31. Dezember 2011 auszusetzen, da an diesem Datum die legislativen und vertraglichen Maßnahmen in Kraft treten sollten, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Eisenbahnunternehmens gegenüber dem Staat verstärkten und die Entgeltregelung der Eisenbahninfrastruktur änderten.

21.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde ( 11 ). Das Vorbringen der portugiesischen Regierung ist somit in Bezug auf den Zeitpunkt zu prüfen, in dem die in dieser Stellungnahme gesetzte Frist abgelaufen ist, und das Vorbringen betreffend die spätere Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften ist zurückzuweisen.

B – Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440

1. Vorbringen der Parteien

22.

Die Kommission macht geltend, dass die portugiesischen Rechtsvorschriften, die die CP der Aufsicht und Überwachung durch die Mitglieder der Regierung unterstellen, gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 verstießen.

23.

Sie stützt sich insbesondere darauf, dass der portugiesische Staat nach den nationalen Rechtsvorschriften jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch die CP von einer Genehmigung der Regierung abhängig mache.

24.

Aufgrund des Erfordernisses einer vorherigen Genehmigung der Regierung für bestimmte Rechtsakte könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Eisenbahnunternehmen unabhängig oder gegenüber dem Staat autonom seien und die Möglichkeit hätten, ihre internen Angelegenheiten im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts selbst zu regeln.

25.

Aus dem genannten Artikel gehe nämlich eindeutig hervor, dass der Staat keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen über den Erwerb oder die Veräußerung von Vermögensgegenständen ausüben dürfe. Dieser Artikel bestimme zwar, dass solche Entscheidungen im Rahmen der vom Staat festgelegten gesamtpolitischen Leitlinien zu treffen seien; diese Leitlinien könnten jedoch lediglich die bei diesen Entscheidungen zu berücksichtigenden Kriterien festlegen.

26.

Die Beteiligung der Regierung an der Geschäftsführung der CP gehe auch über die bloße Ausübung der Aktionärsrechte hinaus, da der Staat als Aktionär auf der Grundlage einer anderen Regelung als der für den gesamten öffentlichen Sektor geltenden über die von den Ministern für Finanzen und Transport ausgeübte Kontrolle eingreife.

27.

Die portugiesische Regierung wendet sich gegen die Schlussfolgerungen der Kommission und macht geltend, dass das Erfordernis einer ministeriellen Genehmigung für den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen für alle Arten von öffentlichen Unternehmen gelte. Ein solches Erfordernis hänge mit der Rolle des Staates als Kapitaleigner zusammen. Die Beschlussfassung über den Kauf oder Verkauf von Gesellschaftsanteilen finde innerhalb der Organe der Gesellschaft statt, so dass die Eigenständigkeit der Geschäftsführung des Eisenbahnunternehmens entsprechend den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 gewährleistet sei.

2. Prüfung der ersten Rüge

28.

Ich weise zunächst darauf hin, dass die zum ersten Eisenbahnpaket gehörenden Richtlinien 91/440 und 2001/14 keine Privatisierung der Eisenbahn verlangen. Art. 3 der Richtlinie 91/440 definiert vielmehr „Eisenbahnunternehmen“ als „jedes … öffentlich-rechtliche oder private Unternehmen“. Der etablierte Betreiber des Eisenbahnsektors kann also öffentlich bleiben. Abschnitt II der Richtlinie 91/440, „Unabhängigkeit der Geschäftsführung“, sieht jedoch in Art. 4 Abs. 1 vor, dass „Eisenbahnunternehmen … eine unabhängige Stellung haben, kraft deren sie insbesondere über ein Vermögen, einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind“.

29.

Ich weise ferner darauf hin, dass die Portugiesische Republik nach einem bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch nicht angenommenen Gesetzesvorschlag die Bedingung der vorherigen Genehmigung abgeschafft hat. Angesichts des Datums, auf das für die Beurteilung der geltend gemachten Vertragsverletzung abzustellen ist, ist diese Gesetzesänderung jedoch für die vorzunehmende Beurteilung nicht von Belang.

30.

Die Kommission wirft der Portugiesischen Republik im Wesentlichen vor, dass ihre Regelung jeden Kauf oder jede Veräußerung von Aktien durch den etablierten Betreiber, der – wie aus Art. 37 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 300/2007 hervorgeht – seinen rein öffentlichen Status beibehalten hat, von einer vorherigen Genehmigung des Transportministers abhängig mache. Aufgrund dieser von den Eisenbahnunternehmen für bestimmte Rechtsakte verlangten vorherigen Genehmigung könnten diese Unternehmen weder als unabhängig noch als gegenüber dem Staat autonom angesehen werden und hätten daher nicht die Möglichkeit, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln.

31.

Die insoweit relevante Bestimmung ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440, wonach die Eisenbahnunternehmen insbesondere über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen entscheiden können. Die Kommission ist der Ansicht, dass sich aus dieser Bestimmung eindeutig ergebe, dass der Staat keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen über die Veräußerung oder den Erwerb von Vermögensgegenständen ausüben dürfe. Dem stimme ich zu.

32.

Für diese Auslegung sprechen im Übrigen auch der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 91/440 und der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/12 zur Änderung der Richtlinie 91/440. In diesen Erwägungsgründen heißt es insbesondere, dass die Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen vom Staat zu gewährleisten ist und dass diese Unternehmen die Möglichkeit haben müssen, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln.

33.

Gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 können die Mitgliedstaaten zwar die gesamtpolitischen Leitlinien bestimmen, angesichts des Ziels der Unabhängigkeit der Geschäftsführung darf der Staat jedoch keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen über die Veräußerung oder den Erwerb von Vermögensgegenständen ausüben.

34.

Indem die portugiesischen Rechtsvorschriften jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen von einer Genehmigung der Regierung abhängig machen, haben sie das öffentliche Eisenbahnunternehmen einer externen politischen Kontrolle unterstellt, die in keiner Weise den Modalitäten und den Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten entspricht, die den Aktionären einer normalen Aktiengesellschaft zur Verfügung stehen. Der portugiesische Staat hat folglich eine wesentliche Rolle bei den internen Entscheidungsprozessen der Eisenbahnunternehmen beibehalten, die mit der dem Eisenbahnunternehmen zugestandenen Freiheit, Entscheidungen über Vermögensgegenstände zu treffen, nicht vereinbar ist ( 12 ).

35.

Folglich ist der ersten Rüge der Kommission stattzugeben.

C – Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14

1. Vorbringen der Parteien

36.

Die Kommission weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 Bedingungen festlegen müssten, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur ausgleichen. In Portugal reichten die Einnahmen aus Wegeentgelten, die staatliche Finanzierung und der Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch nicht aus, um die Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur, des öffentlichen Unternehmens REFER, auszugleichen.

37.

Trotz der portugiesischen Rechtsvorschriften, die den portugiesischen Staat verpflichteten, die Entwicklung des die Infrastruktur betreibenden Unternehmens zu verfolgen, um dessen wirtschaftliches und finanzielles Gleichgewicht sicherzustellen, sowie die Entwicklung der finanziellen Lage des Betreibers der Infrastruktur zu verfolgen, habe sich das finanzielle Ungleichgewicht des Betreibers der Infrastruktur nicht positiv entwickelt.

38.

Die portugiesische Regierung bestätigt, dass sie sich verpflichtet habe, durch Mehrjahresverträge mit dem Betreiber der Infrastruktur (REFER) das Niveau der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen im Bereich des Betreibens der Infrastruktur festzulegen und die entsprechende Vergütung zu bestimmen. Es sei so möglich, die Ausgeglichenheit der Konten des Unternehmens zu erreichen, das bestimmte gegebene Niveaus der operationellen und technischen Qualität festlege, während die Behörden sich verpflichteten, mit dem erforderlichen Investitionsvolumen und der Art der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung vereinbare Beträge beizusteuern.

39.

Es sei vorgesehen, mit der CP und der REFER Verträge über die gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen abzuschließen unter Berücksichtigung, erstens, der eindeutigen Bestimmung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, zweitens der Erforderlichkeit einer Rationalisierung/Senkung der Betriebskosten und drittens der Notwendigkeit einer schrittweise erfolgenden allmählichen Konvergenz der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung und des dieser entsprechenden finanziellen Ausgleichs durch die öffentliche Hand.

40.

Die portugiesische Regierung macht schließlich geltend, dass sie ein Verfahren eingeleitet habe, das zum Erlass von Rechtsvorschriften führen werde zur Stärkung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Eisenbahnunternehmens gegenüber dem Staat und zur Förderung der Ausgeglichenheit der Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur durch den Erlass angemessener Maßnahmen, insbesondere durch Änderung der Entgeltregelung der Eisenbahninfrastruktur und Festlegung der Rechte und Pflichten betreffend den Bau, die Instandhaltung und die Finanzierung der Infrastruktur durch einen Vertrag mit der REFER.

2. Prüfung der zweiten Rüge

41.

Aus den Erklärungen der portugiesischen Regierung zur zweiten Rüge ergibt sich eindeutig, ohne dass dies von dieser Regierung bestritten würde, dass die Portugiesische Republik bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht die Maßnahmen ergriffen hatte, die erforderlich waren, um ihren Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 nachzukommen, wonach die Mitgliedstaaten Bedingungen festlegen, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur ausgleichen. Ich bin daher der Ansicht, dass der Gerichtshof ohne eine eingehendere Prüfung die Vertragsverletzung feststellen kann.

42.

Die zweite Rüge der Kommission greift daher meiner Ansicht nach durch.

V – Zu den Kosten

43.

Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

44.

Da die Kommission beantragt, der Portugiesischen Republik die Kosten aufzuerlegen, ist diesem Antrag stattzugeben, wenn der Vertragsverletzungsklage in vollem Umfang stattgegeben wird.

VI – Ergebnis

45.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.

Die Portugiesische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus

Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft in der durch die Richtlinie 2001/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 geänderten Fassung verstoßen, indem sie jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch das öffentliche Eisenbahnunternehmen CP Comboios de Portugal EPE von einer Genehmigung der Regierung abhängig gemacht hat, und

dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur in der durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 geänderten Fassung verstoßen, dass sie nicht die Maßnahmen erlassen hat, die erforderlich sind, um der Verpflichtung zur Festlegung von Bedingungen nachzukommen, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur ausgleichen.

2.

Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237, S. 25).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 (ABl. L 75, S. 1).

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. L 75, S. 29). Der Titel der Richtlinie 2001/14 ist durch Art. 30 der Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (ABl. L 164, S. 44) geändert worden in „Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur“.

( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 (ABl. L 315, S. 44).

( 6 ) Es handelt sich um die beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen Kommission/Ungarn (C-473/10), Kommission/Spanien (C-483/10), Kommission/Polen (C-512/10), Kommission/Griechenland (C-528/10), Kommission/Tschechische Republik (C-545/10), Kommission/Österreich (C-555/10), Kommission/Deutschland (C-556/10), Kommission/Frankreich (C-625/10), Kommission/Slowenien (C-627/10), Kommission/Italien (C-369/11) und Kommission/Luxemburg (C-412/11).

( 7 ) Diário da República I, Supplement, Nr. 112 vom 12. Juni 2009.

( 8 ) Diário da República I, Nr. 162 vom 23. April 2007.

( 9 ) Diário da República I, Serie A, Nr. 250 vom 28. Oktober 2003.

( 10 ) Diário da republica I, Serie A, Nr. 99 vom 29. April 1997. Geändert und erneut veröffentlicht durch das Decreto-Lei Nr. 141/2008 vom 22. Juni 2008 (Diário da República I, Nr. 140 vom 22. Juli 2008).

( 11 ) Vgl. u. a. Urteile vom 4. Juli 2002, Kommission/Griechenland (C-173/01, Slg. 2002, I-6129, Randnr. 7), und vom 13. März 2003, Kommission/Spanien (C-333/01, Slg. 2003, I-2623, Randnr. 8).

( 12 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal (C-171/08, Slg. 2010, I-6817, insbesondere Randnrn. 60 ff.).

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