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Document 62009CJ0325

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 21. Juli 2011.
Secretary of State for Work and Pensions gegen Maria Dias.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) - Vereinigtes Königreich.
Freizügigkeit - Richtlinie 2004/38/EG - Art. 16 - Recht auf Daueraufenthalt - Vor dem Umsetzungsdatum der Richtlinie zurückgelegte Zeiten - Rechtmäßiger Aufenthalt - Aufenthalt allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360/EWG erteilten Aufenthaltserlaubnis, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt wären.
Rechtssache C-325/09.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-06387

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:498

Rechtssache C-325/09

Secretary of State for Work and Pensions

gegen

Maria Dias

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [England & Wales] [Civil Division])

„Freizügigkeit – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 16 – Recht auf Daueraufenthalt – Vor dem Umsetzungsdatum der Richtlinie zurückgelegte Zeiten – Rechtmäßiger Aufenthalt – Aufenthalt allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360/EWG erteilten Aufenthaltserlaubnis, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt wären“

Leitsätze des Urteils

1.        Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Richtlinie 2004/38 – Recht auf Daueraufenthalt von Unionsbürgern – Erwerb nach einer ununterbrochenen Aufenthaltszeit von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat – Vor Umsetzung der Richtlinie zurückgelegte Zeiten – Einbeziehung

(Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 16 Abs. 1)

2.        Freizügigkeit – Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten – Erteilung der Aufenthaltserlaubnis – Deklaratorischer und nicht rechtsbegründender Charakter – Wirkungen

(Richtlinien 68/360 und 90/364 des Rates)

3.        Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Richtlinie 2004/38 – Daueraufenthaltsrecht der Unionsbürger – Erwerb nach einer ununterbrochenen Aufenthaltszeit von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat – Vor Umsetzung der Richtlinie allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegte Zeiten – Ausschluss

(Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 16 Abs. 1 und 4; Richtlinie 68/360 des Rates)

1.        Ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, also dem 30. April 2006, im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, sind für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie zu berücksichtigen. Eine Dauer von zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, können den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 nicht berühren.

(vgl. Randnr. 35)

2.        Das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort zu den vom EG-Vertrag genannten Zwecken aufzuhalten, fließt unmittelbar aus dem EG-Vertrag oder, je nach Sachlage, aus den zu seiner Durchführung ergangenen Bestimmungen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats ist daher nicht als rechtsbegründende Handlung zu betrachten, sondern als Handlung eines Mitgliedstaats, die dazu dient, die individuelle Situation eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf die Bestimmungen des Unionsrechts festzustellen. Der deklaratorische Charakter einer Aufenthaltserlaubnis bedeutet, dass mit dieser Erlaubnis lediglich ein bereits bestehendes Recht bescheinigt wird. Daraus folgt, dass der Aufenthalt eines Bürgers ebenso wenig allein deshalb als illegal eingestuft werden darf, weil er keine Aufenthaltserlaubnis besitzt, wie er allein deshalb als im Sinne des Unionsrechts legal angesehen werden darf, weil dem Bürger eine solche Aufenthaltserlaubnis rechtsgültig erteilt wurde.

(vgl. Randnrn. 48, 54)

3.        Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ist dahin auszulegen, dass

–        Aufenthaltszeiten, die bis zum 30. April 2006 allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt wären, im Hinblick auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen sind und

–        Aufenthaltszeiten von weniger als zwei aufeinanderfolgenden Jahren, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind und allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts erfüllt wären, den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach dem genannten Art. 16 Abs. 1 nicht berühren können.

Obwohl sich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 nur auf Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat bezieht, steht das Band der Integration zwischen dem Betroffenen und diesem Mitgliedstaat nämlich auch dann in Frage, wenn ein Bürger, nachdem er sich in diesem Mitgliedstaat fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig aufgehalten hat, beschließt, dort zu bleiben, ohne ein Aufenthaltsrecht zu besitzen. Insoweit stellt der Integrationsgedanke, der dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zugrunde liegt, nicht nur auf territoriale und zeitliche Umstände, sondern auch auf qualitative Elemente im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat ab.

(vgl. Randnrn. 63-64, 67 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Juli 2011(*)

„Freizügigkeit – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 16 – Recht auf Daueraufenthalt – Vor dem Umsetzungsdatum der Richtlinie zurückgelegte Zeiten – Rechtmäßiger Aufenthalt – Aufenthalt allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360/EWG erteilten Aufenthaltserlaubnis, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind“

In der Rechtssache C‑325/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 4. August 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 12. August 2009, in dem Verfahren

Secretary of State for Work and Pensions

gegen

Maria Dias

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis und J. Malenovský,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Dias, vertreten durch A. Berry, Barrister, beauftragt von J. Borrero, Solicitor,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von K. Smith, Barrister,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. Februar 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und – Berichtigung – ABl. 2004, L 229, S. 35) in Bezug auf Aufenthalte vor dem Umsetzungsdatum dieser Richtlinie sowie die Auslegung der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 13) in Bezug auf Aufenthaltserlaubnisse, die gemäß der letztgenannten Richtlinie erteilt wurden.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Secretary of State for Work and Pensions (Minister für Arbeit und Altersversorgung) und Frau Dias über die Gewährung von Einkommensbeihilfe („income support“).

I –  Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 68/360

3        Art. 4 der Richtlinie 68/360 bestimmte:

„(1)      Die Mitgliedstaaten gewähren den [Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihren Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) Anwendung findet], welche die in Absatz 3 aufgeführten Unterlagen vorlegen, das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet.

(2)      Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts wird eine Bescheinigung, die ‚Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG‘, erteilt. In dieser Bescheinigung muss vermerkt sein, dass sie auf Grund der Verordnung … Nr. 1612/68 und der von den Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften ausgestellt worden ist. Der Text dieses Vermerks ist in der Anlage dieser Richtlinie wiedergegeben.

(3)      Die Mitgliedstaaten dürfen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG nur die Vorlage nachstehender Unterlagen verlangen:

–        vom Arbeitnehmer:

a)      den Ausweis, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist;

b)      eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung;

…“

4        Art. 6 dieser Richtlinie sah vor:

„(1)      Die Aufenthaltserlaubnis muss

a)      für das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat, gelten;

b)      eine Gültigkeitsdauer von mindestens 5 Jahren vom Zeitpunkt der Ausstellung an haben und ohne weiteres verlängert werden können.

(2)      Aufenthaltsunterbrechungen, die sechs aufeinander folgende Monate nicht überschreiten, sowie eine durch Militärdienst gerechtfertigte Abwesenheit berühren nicht die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis.

(3)      Befindet sich der Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber des Aufnahmestaats oder für Rechnung eines Erbringers von Dienstleistungen in einem Beschäftigungsverhältnis mit einer Dauer von mindestens 3 Monaten und weniger als 1 Jahr, so stellt ihm der Aufnahmemitgliedstaat eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis aus, deren Gültigkeitsdauer auf die voraussichtliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses beschränkt werden kann.

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe c) wird auch Saisonarbeitnehmern, die für mehr als 3 Monate beschäftigt werden, eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses muss in den in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b) genannten Unterlagen angegeben werden.“

5        Art. 7 der Richtlinie 68/360 lautete:

„(1)      Eine gültige Aufenthaltserlaubnis kann einem Arbeitnehmer nicht allein deshalb entzogen werden, weil er keine Beschäftigung mehr hat, sei es, weil er infolge Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig ist, sei es, weil er unfreiwillig arbeitslos geworden ist, wenn letzterer Fall vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß bestätigt wird.

(2)      Bei der ersten Verlängerung kann die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis, wenn der Arbeitnehmer im Aufnahmestaat länger als zwölf aufeinander folgende Monate unfreiwillig arbeitslos ist, beschränkt werden; sie darf jedoch zwölf Monate nicht unterschreiten.“

6        In der Anlage („Text des in Artikel 4 Absatz 2 vorgesehenen Vermerks“) der Richtlinie 68/360 hieß es:

„Diese Aufenthaltserlaubnis wird aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Oktober 1968 und der zur Durchführung der Richtlinie des Rates vom 15. Oktober 1968 erlassenen Vorschriften ausgestellt.

Gemäß der genannten Verordnung hat der Inhaber dieser Aufenthaltserlaubnis unter denselben Bedingungen wie die … Arbeitnehmer das Recht auf Zugang zu Beschäftigungen im Lohn‑ oder Gehaltsverhältnis und auf deren Ausübung im … Hoheitsgebiet.“

 Richtlinie 90/364/EWG

7        Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26) lautete:

„Die Mitgliedstaaten gewähren den Angehörigen der Mitgliedstaaten, denen das Aufenthaltsrecht nicht aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zuerkannt ist, sowie deren Familienangehörigen nach der Definition von Absatz 2 unter der Bedingung das Aufenthaltsrecht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen.“

8        Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmte:

„(1)      Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts wird eine Bescheinigung, die ‚Aufenthaltserlaubnis für Staatsangehörige eines EWG-Mitgliedstaates‘, erteilt, deren Gültigkeit auf fünf Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit begrenzt werden kann. Die Mitgliedstaaten können jedoch die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nach den ersten zwei Aufenthaltsjahren verlangen, wenn sie dies für erforderlich halten. Einem Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wird ein Aufenthaltsdokument mit der gleichen Gültigkeitsdauer ausgestellt wie dem Staatsangehörigen, von dem es seine Rechte herleitet.

Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder des Aufenthaltsdokuments darf der Mitgliedstaat vom Antragsteller nur die Vorlage eines gültigen Personalausweises bzw. Reisepasses sowie den Nachweis verlangen, dass er die Voraussetzungen des Artikels 1 erfüllt.

(2)      Die Artikel 2 und 3, Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 sowie Artikel 9 der Richtlinie 68/360/EWG finden auf die von dieser Richtlinie Begünstigten entsprechende Anwendung.

Die Mitgliedstaaten dürfen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der Volksgesundheit von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen. …“

9        Art. 3 dieser Richtlinie sah vor:

„Das Aufenthaltsrecht besteht, solange die Berechtigten die Bedingungen des Artikels 1 erfüllen.“

Richtlinie 2004/38

10      Der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 lautet:

„Wenn Unionsbürger, die beschlossen haben, sich dauerhaft in dem Aufnahmemitgliedstaat niederzulassen, das Recht auf Daueraufenthalt erhielten, würde dies ihr Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt – einem grundlegenden Ziel der Union – beitragen. Es gilt daher, für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die sich gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben und gegen die keine Ausweisungsmaßnahme angeordnet wurde, ein Recht auf Daueraufenthalt vorzusehen.“

11      Kapitel III („Aufenthaltsrecht“) dieser Richtlinie umfasst die Art. 6 bis 15.

12      Art. 6 („Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten“) bestimmt:

„(1)      Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“

13      Art. 7 („Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“) der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)      Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)      Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)      für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)      –      bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

–        über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)      ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2)      Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(3)      Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

a)      Er ist wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig;

b)      er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung;

c)      er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten;

d)      er beginnt eine Berufsausbildung; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(4)      Abweichend von Absatz 1 Buchstabe d) und Absatz 2 haben nur der Ehegatte, der eingetragene Lebenspartner im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) und Kinder, denen Unterhalt gewährt wird, das Recht auf Aufenthalt als Familienangehörige eines Unionsbürgers, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe c) erfüllt. Artikel 3 Absatz 2 findet Anwendung auf die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners, denen Unterhalt gewährt wird.“

14      In Kapitel IV („Recht auf Daueraufenthalt“) der Richtlinie 2004/38 lautet Art. 16 („Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“):

„(1)      Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(3)      Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.

(4)      Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“

15      Art. 38 der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)      Die Artikel 10 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 werden mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

(2)      Die Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG werden mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

(3)      Bezugnahmen auf die aufgehobenen Bestimmungen oder Richtlinien gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie.“

16      Gemäß Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/38 hatten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie bis zum 30. April 2006 nachzukommen.

 Nationales Recht

17      Die Einkommensbeihilfe wird durch den Social Security Contributions and Benefits Act 1992 (Gesetz von 1992 über Sozialversicherungsbeiträge und ‑leistungen) und die Income Support (General) Regulations 1987 ([Allgemeine] Verordnung von 1987 über Einkommensbeihilfe) geregelt.

18      Die Einkommensbeihilfe ist eine Leistung, die verschiedenen Personengruppen bei Bedürftigkeit gewährt wird. Sie ist u. a. an die Bedingung geknüpft, dass das Einkommen des Betreffenden den „maßgeblichen Betrag“ nicht übersteigt, der auf null festgesetzt werden kann, was in der Praxis bedeutet, dass in einem solchen Fall keine Leistung gewährt wird.

19      Der für einen „Gebietsfremden“ festgesetzte maßgebliche Betrag beträgt null; ein Gebietsfremder ist definiert als ein „Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Vereinigten Königreich, auf den Kanalinseln, der Isle of Man oder in der Republik Irland hat“. Eine Person, die Einkommensbeihilfe beantragt, kann nur dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich, auf den Kanalinseln, der Isle of Man oder in der Republik Irland haben, wenn sie ein „Aufenthaltsrecht“ besitzt.

20      Das „Aufenthaltsrecht“, das den Anspruch auf Einkommensbeihilfe eröffnet, ist nicht ausdrücklich definiert. Seit Mai 2004 ist im Rahmen des innerstaatlichen Rechts versucht worden, die Zahlung dieser Leistung zu begrenzen, damit bestimmte Personen nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung für das Sozialversicherungssystem werden.

21      So sind, was Bürger der Europäischen Union angeht, bestimmte Aufenthaltsrechte wie dasjenige nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38 ausgeschlossen und berechtigen daher nicht zum Bezug von Einkommensbeihilfe. Dagegen gelten für die Zwecke der Einkommensbeihilfe Arbeitnehmer und Selbständige im Sinne dieser Richtlinie – einschließlich Personen, denen die Erwerbstätigeneigenschaft gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie erhalten bleibt – und ihre Familienangehörigen im Sinne dieser Richtlinie neben anderen Personengruppen nicht als „Gebietsfremde“ und haben daher Anspruch auf diese Leistung.

22      Es ist allgemein anerkannt, dass das in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt ein Aufenthaltsrecht ist, das den Anspruch auf Einkommensbeihilfe eröffnet.

II –  Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

23      Frau Dias ist eine portugiesische Staatsangehörige, die im Januar 1998 in das Vereinigte Königreich einreiste. Dem vorlegenden Gericht zufolge setzt sich ihr Aufenthalt aus den folgenden Zeitabschnitten zusammen (im Folgenden: erster bis fünfter Zeitabschnitt):

–        Januar 1998 bis Sommer 2002: erwerbstätig;

–        Sommer 2002 bis 17. April 2003: Mutterschaftsurlaub;

–        18. April 2003 bis 25. April 2004: nicht erwerbstätig;

–        26. April 2004 bis 23. März 2007: erwerbstätig und

–        seit 24. März 2007: nicht erwerbstätig.

24      Am 13. Mai 2000 erteilte das Home Office Frau Dias eine dem Aufenthaltsrecht nach Art. 4 der Richtlinie 68/360 entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Diese Erlaubnis war mit dem in der Anlage dieser Richtlinie aufgeführten Vermerk versehen. Sie besaß eine Gültigkeitsdauer vom 13. Mai 2000 bis 13. Mai 2005 und enthielt den Hinweis, dass „die Gültigkeit dieser Erlaubnis die zeitliche Begrenzung Ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich darstellt. Diese zeitliche Begrenzung gilt, soweit nicht etwas anderes bestimmt wird, für jede nachfolgende Einreiseerlaubnis, die Sie nach einer Abwesenheit vom Vereinigten Königreich während der Gültigkeitsdauer dieser Erlaubnis gegebenenfalls erhalten.“

25      Ende März 2007 beantragte Frau Dias Einkommensbeihilfe.

26      Dem Social Security Commissioner (im Folgenden: Commissioner) zufolge besaß Frau Dias zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Richtlinie 2004/38, so dass sie nur als Inhaberin eines Daueraufenthaltsrechts im Sinne von Art. 16 dieser Richtlinie Anspruch auf Einkommensbeihilfe haben könne. Insoweit vertrat er die Auffassung, dass dieses Aufenthaltsrecht erst nach dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2004/38 im Vereinigten Königreich geltend gemacht werden könne, d. h. ab dem 30. April 2006.

27      Da Frau Dias auch im dritten Zeitabschnitt ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich nicht Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts gewesen sei, könne sie diesen Zeitraum weder dem ersten und dem zweiten Zeitabschnitt noch dem vierten Zeitabschnitt als solchen zum Zweck des Daueraufenthaltsrechts hinzurechnen.

28      Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während des dritten Zeitabschnitts sei jedoch für ein Daueraufenthaltsrecht anzurechnen, sei es aufgrund der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis oder aufgrund von Art. 18 EG.

29      Demzufolge beschloss der Commissioner, Frau Dias die Einkommensbeihilfe zu gewähren.

30      Der Secretary of State for Work and Pensions hat diese Entscheidung des Commissioner beim vorlegenden Gericht angefochten.

31      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Entscheidung des Commissioner davon ausgehe, dass Aufenthaltszeiten, die vor dem 30. April 2006 – dem Datum der Umsetzung dieser Richtlinie im Vereinigten Königreich – lägen, für das Daueraufenthaltsrecht nach Art. 16 der Richtlinie 2004/38 nicht zu berücksichtigen seien. Nach Ansicht dieses Gerichts können diese Zeiten insoweit dagegen schon berücksichtigt werden. Da diese Frage allerdings bereits Gegenstand des von ihm eingereichten Vorabentscheidungsersuchens gewesen sei, das zum Urteil vom 7. Oktober 2010, Lassal (C‑162/09, Slg. 2010, I‑0000), geführt habe, sei es nicht erforderlich, sie dem Gerichtshof erneut vorzulegen.

32      Das vorlegende Gericht teilt, von der Prämisse des Commissioner ausgehend, dessen Auffassung, dass Frau Dias im dritten Zeitabschnitt ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich nicht als Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts anzusehen sei. Es ist jedoch der Ansicht, dass sie während dieser Zeit, gestützt allein auf die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis, kein Aufenthaltsrecht nach Art. 16 der Richtlinie 2004/38 habe ableiten können. Schließlich könnte, so das vorlegende Gericht, der Aufenthalt von Frau Dias in diesem Zeitabschnitt allein nach Art. 18 EG als für ein Daueraufenthaltsrecht anrechenbare Zeit angesehen werden, falls festgestellt werden sollte, dass Art. 16 der Richtlinie 2004/38 eine Lücke in Bezug auf Aufenthaltszeiten enthalte, die vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie in die nationale Rechtsordnung der Mitgliedstaaten lägen.

33      Vor diesem Hintergrund hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Hat sich eine Unionsbürgerin, die sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzt, und die vor Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Inhaberin einer nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis war, jedoch während der Gültigkeitsdauer der Erlaubnis eine Zeit lang freiwillig arbeitslos und nicht wirtschaftlich unabhängig war und die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Erlaubnis nicht mehr erfüllte, während dieser Zeit, nur weil sie im Besitz der Erlaubnis war, im Aufnahmestaat im Hinblick auf den späteren Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 „rechtmäßig aufgehalten“?

2.      Begründet ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt als Arbeitnehmer vor dem 30. April 2006, falls er nicht ausreicht, um das mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 geschaffene Daueraufenthaltsrecht zu begründen, ein ständiges Aufenthaltsrecht unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG, weil die Richtlinie lückenhaft ist?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen zu den Auswirkungen des Urteils Lassal auf das Ausgangsverfahren

34      Die Fragen des vorlegenden Gerichts gehen, wie in Randnr. 31 dieses Urteils ausgeführt, von der vom Commissioner aufgestellten Prämisse aus, dass die Aufenthaltszeiten von Frau Dias im Vereinigten Königreich, da sie vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in diesem Mitgliedstaat, dem 30. April 2006, zurückgelegt wurden, für den Erwerb des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Daueraufenthaltsrechts nicht berücksichtigt werden können. Das vorlegende Gericht hält diese Annahme zwar für unzutreffend, hat es aber nicht für erforderlich erachtet, dem Gerichtshof hierzu erneut eine Frage vorzulegen, weil diese Frage bereits Gegenstand seines Vorabentscheidungsersuchens war, das zum Urteil Lassal geführt hat.

35      Der Gerichtshof hat in jenem Urteil zum einen für Recht erkannt, dass ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38, also dem 30. April 2006, im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie zu berücksichtigen sind, und zum anderen, dass eine Dauer von zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 berühren können.

36      Demzufolge ist, wie das vorlegende Gericht zu Recht bemerkt, die Prämisse, auf der die Vorlagefragen beruhen, unzutreffend, so dass diese Fragen im Licht des Urteils Lassal zu prüfen sind.

37      Wie aus Randnr. 23 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hat sich Frau Dias von Januar 1998 bis zum 17. April 2003 (erster und zweiter Zeitabschnitt ihres Aufenthalts) als Arbeitnehmerin im Sinne der seinerzeit geltenden unionsrechtlichen Vorschriften im Vereinigten Königreich aufgehalten.

38      Es ist daher festzustellen, dass sich Frau Dias vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2004/38 im Vereinigten Königreich, dem 30. April 2006, in Einklang mit den bis dahin geltenden unionsrechtlichen Vorschriften über einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren in diesem Mitgliedstaat aufgehalten hat und dass dieser Zeitraum für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie zu berücksichtigen ist.

39      Dagegen war Frau Dias während des dritten Zeitabschnitts ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich, d. h. vom 18. April 2003 bis 25. April 2004, freiwillig arbeitslos und somit nicht Arbeitnehmerin im Sinne der seinerzeit geltenden unionsrechtlichen Vorschriften. Sie erlangte diesen Status jedoch im vierten Abschnitt ihres Aufenthalts, d. h. vom 26. April 2004 bis 23. März 2007, wieder. Außerdem besaß Frau Dias während des dritten Zeitabschnitts weiterhin die Aufenthaltserlaubnis, die ihr am 13. Mai 2000 in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin gemäß der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilt worden war, obwohl sie in diesem Zeitraum weder nach dem Unionsrecht noch nach dem nationalen Recht die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts erfüllte.

40      Da das in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Daueraufenthaltsrecht erst ab dem 30. April 2006 erworben werden kann (Urteil Lassal, Randnr. 38), stellt sich somit die Frage, welche Auswirkungen eine Aufenthaltszeit wie die vom 18. April 2003 bis 25. April 2004 zurückgelegte, d. h. der dritte Zeitabschnitt des Aufenthalts von Frau Dias im Vereinigten Königreich, auf den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach dieser Vorschrift hat.

41      Deshalb sind die Vorlagefragen im Licht des Urteils Lassal dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die Aufenthaltszeiten, die ein Unionsbürger in einem Aufnahmemitgliedstaat allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis – ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts vorliegen – vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren zurückgelegt hat, den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 berühren können.

 Zu den vom Gerichtshof im Licht des Urteils Lassal umformulierten Vorlagefragen

42      Um die vom Gerichtshof umformulierten Fragen des vorlegenden Gerichts beantworten zu können, ist erstens zu prüfen, ob die Aufenthaltszeiten, die ein Unionsbürger in einem Aufnahmemitgliedstaat allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, ohne dabei die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts zu erfüllen, im Hinblick auf den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 als rechtmäßiger Aufenthalt angesehen werden können.

43      Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits festgestellt, dass ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie zu berücksichtigen sind (Urteil Lassal, Randnrn. 40 und 59).

44      Da der dritte Zeitabschnitt des Aufenthalts von Frau Dias im Vereinigten Königreich lediglich auf den Besitz einer im Einklang mit der Richtlinie 68/360 erteilten Aufenthaltserlaubnis gestützt war, ist in der vorliegenden Rechtssache zu prüfen, ob derartige Aufenthaltserlaubnisse deklaratorisch sind oder rechtsbegründend wirken.

45      Frau Dias macht insoweit geltend, dass eine von der Regierung des Aufnahmemitgliedstaats erteilte und von diesem trotz entsprechender Möglichkeit nicht widerrufene Aufenthaltserlaubnis dem Betroffenen während ihrer gesamten Gültigkeitsdauer ein Aufenthaltsrecht gewähre. Da die Richtlinie 68/360 keine Art. 3 der Richtlinie 90/364 entsprechende Bestimmung enthalte, gelte das in Anwendung der Richtlinie 68/360 anerkannte und mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bescheinigte Aufenthaltsrecht bis zum Ablauf oder Widerruf dieser Erlaubnis, und zwar unbeschadet dessen, dass ihr Inhaber die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfülle.

46      Die Regierung des Vereinigten Königreichs, die dänische Regierung und die Europäische Kommission sind demgegenüber der Auffassung, dass die nach der Richtlinie 68/360 erteilte Aufenthaltserlaubnis rein deklaratorisch sei und kein Aufenthaltsrecht begründe.

47      Der Auffassung von Frau Dias kann nicht gefolgt werden.

48      Wie der Gerichtshof mehrfach festgestellt hat, fließt das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort zu den vom EG-Vertrag genannten Zwecken aufzuhalten, nämlich unmittelbar aus dem EG-Vertrag oder, je nach Sachlage, aus den zu seiner Durchführung ergangenen Bestimmungen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats ist daher nicht als rechtsbegründende Handlung zu betrachten, sondern als Handlung eines Mitgliedstaats, die dazu dient, die individuelle Situation eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf die Bestimmungen des Unionsrechts festzustellen (vgl. Urteil vom 23. März 2006, Kommission/Belgien, C‑408/03, Slg. 2006, I‑2647, Randnrn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Der Gerichtshof hat Aufenthaltserlaubnissen einen derartigen deklaratorischen und nicht rechtsbegründenden Charakter zuerkannt, und zwar unabhängig davon, ob sie nach der Richtlinie 68/360 oder der Richtlinie 90/364 erteilt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Belgien, Randnr. 65).

50      Daher lässt sich die Auffassung, dass nach der Richtlinie 68/360 erteilte Aufenthaltserlaubnisse – entgegen dem in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils genannten Grundsatz – Rechte zugunsten der Inhaber einer solchen Erlaubnis hätten begründen können, nicht mit den Unterschieden zwischen den Bestimmungen der Richtlinie 90/364 und denen der Richtlinie 68/360 rechtfertigen.

51      Weiter ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 der Richtlinie 90/364 für das Aufenthaltsrecht nicht auf die erteilte Aufenthaltserlaubnis, sondern auf das Aufenthaltsrecht als solches und auf die Voraussetzungen für seine Gewährung verwies. Demzufolge lässt sich aus dieser Vorschrift nichts zum Wesen der Aufenthaltserlaubnis nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 90/364 und erst recht nichts zum Wesen derjenigen nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 68/360 ableiten.

52      Die einzige Vorschrift der Richtlinie 68/360, die sich auf den Entzug der Aufenthaltserlaubnis bezog, nämlich Art. 7 Abs. 1, bestätigt im Übrigen, dass die Aufenthaltserlaubnis mit dem bereits bestehenden Aufenthaltsrecht des betroffenen Bürgers in einem inneren Zusammenhang steht. So wie nämlich das Aufenthaltsrecht eines Arbeitnehmers – und der Arbeitnehmerstatus selbst – nicht allein deshalb entfiel, weil sein Inhaber keine Beschäftigung mehr ausübte, sei es, weil er wegen Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig war oder weil er, vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß bestätigt, unfreiwillig arbeitslos geworden war, durfte die gültige Aufenthaltserlaubnis eines Arbeitnehmers, der sich in einer solchen Lage befand, nach der genannten Vorschrift nicht entzogen werden.

53      Schließlich trifft zwar zu, dass der Gerichtshof, was den deklaratorischen Charakter einer Aufenthaltserlaubnis angeht, nur über Fälle entschieden hat, in denen eine solche nicht erteilt worden war, obwohl der betroffene Unionsbürger die unionsrechtlichen Voraussetzungen für einen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllte.

54      Der deklaratorische Charakter einer Aufenthaltserlaubnis bedeutet jedoch gemäß den Ausführungen in den Randnrn. 48 bis 52 des vorliegenden Urteils, dass mit dieser Erlaubnis lediglich ein bereits bestehendes Recht bescheinigt wird. Daraus folgt, dass der Aufenthalt eines Bürgers ebenso wenig allein deshalb als illegal eingestuft werden darf, weil er keine Aufenthaltserlaubnis besitzt, wie er allein deshalb als im Sinne des Unionsrechts legal angesehen werden darf, weil dem Bürger eine solche Aufenthaltserlaubnis rechtsgültig erteilt wurde.

55      Daher ist festzustellen, dass Aufenthaltszeiten, die vor dem 30. April 2006 allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, im Hinblick auf den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen sind.

56      In Anbetracht dieser Feststellung ist in Anbetracht der Vorlagefragen, wie sie der Gerichtshof in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils umformuliert hat, zweitens zu prüfen, wie sich derartige Aufenthaltszeiten, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren zurückgelegt wurden, auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts auswirken.

57      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass, wie in Randnr. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt,das Daueraufenthaltsrecht nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erst seit dem 30. April 2006 erworben werden kann. Daher können – anders als nach diesem Zeitpunkt zurückgelegte ununterbrochene rechtmäßige Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die Unionsbürgern von dem Zeitpunkt an, zu dem sie zurückgelegt sind, ein Daueraufenthaltsrecht verschaffen – vor diesem Zeitpunkt zurückgelegte Zeiten diesen vor dem 30. April 2006 kein solches Aufenthaltsrecht vermitteln.

58      Da die Aufenthaltszeiten, die ein Unionsbürger – ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind – in einem Aufnahmemitgliedstaat allein auf der Grundlage einer gemäß der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, im Hinblick auf den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen sind, stellt sich somit die Frage, wie sich eine derartige vor dem 30. April 2006 liegende, nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren bereits zurückgelegte Aufenthaltszeit auf diesen Rechtserwerb auswirkt.

59      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 den Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt wegen Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat für eine längere Dauer als zwei aufeinanderfolgende Jahre betrifft und dass sich eine derartige Maßnahme damit rechtfertigt, dass nach einer solchen Abwesenheit die Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat gelockert ist (Urteil Lassal, Randnr. 55).

60      Sodann hat der Gerichtshof auch entschieden, dass diese Vorschrift unabhängig davon Anwendung findet, ob es um vor oder nach dem 30. April 2006 zurückgelegte Aufenthaltszeiten geht. Da nämlich vor diesem Zeitpunkt zurückgelegte fünfjährige Aufenthaltszeiten für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, würde die Nichtanwendung von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf diese Zeiten bedeuten, dass die Mitgliedstaaten das Daueraufenthaltsrecht selbst im Fall von erheblichen Abwesenheiten gewähren müssten, die die Verbindung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat in Frage stellen (Urteil Lassal, Randnr. 56).

61      Schließlich hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf vor dem 30. April 2006 zurückgelegte Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünfjähriger Dauer insbesondere mit sich bringt, dass die eine Dauer von zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschreitenden Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die nach diesen Zeiten, aber vor dem genannten Datum eingetreten sind, nicht das Band der Integration des betroffenen Unionsbürgers berühren können und dass diese Abwesenheiten demzufolge nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 berühren können (Urteil Lassal, Randnrn. 57 und 58).

62      Diese Überlegung muss entsprechend auch für vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren zurückgelegte Aufenthaltszeiten gelten, die allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind.

63      Obwohl sich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 nur auf Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat bezieht, steht das Band der Integration zwischen dem Betroffenen und diesem Mitgliedstaat nämlich auch dann in Frage, wenn ein Bürger, nachdem er sich in diesem Mitgliedstaat fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig aufgehalten hat, beschließt, dort zu bleiben, ohne ein Aufenthaltsrecht zu besitzen.

64      Insoweit ist, wie die Generalanwältin dies in den Nrn. 106 und 107 ihrer Schlussanträge getan hat, festzustellen, dass der Integrationsgedanke, der dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zugrunde liegt, nicht nur auf territoriale und zeitliche Umstände, sondern auch auf qualitative Elemente im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat abstellt.

65      Da es sich somit um vergleichbare Situationen handelt, ist die in Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 genannte Regel entsprechend auf Anwesenheiten im Aufnahmemitgliedstaat anzuwenden, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind und allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind.

66      Daraus folgt, dass Aufenthaltszeiten von weniger als zwei aufeinanderfolgenden Jahren, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind und allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht berühren können.

67      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass

–        Aufenthaltszeiten, die bis zum 30. April 2006 allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, im Hinblick auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen sind und

–        Aufenthaltszeiten von weniger als zwei aufeinanderfolgenden Jahren, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind und allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach dem genannten Art. 16 Abs. 1 nicht berühren können.

 Kosten

68      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass

–        Aufenthaltszeiten, die bis zum 30. April 2006 allein auf der Grundlage einer nach der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft rechtsgültig erteilten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, ohne dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung irgendeines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, im Hinblick auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht als rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen sind und

–        Aufenthaltszeiten von weniger als zwei aufeinanderfolgenden Jahren, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Zeitpunkt zurückgelegten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind und allein auf einer nach der Richtlinie 68/360 erteilten Aufenthaltserlaubnis beruhen, ohne dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts erfüllt sind, den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach dem genannten Art. 16 Abs. 1 nicht berühren können.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.

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