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Document 62009CC0108
Opinion of Mr Advocate General Mengozzi delivered on 15 June 2010. # Ker-Optika bt v ÀNTSZ Dél-dunántúli Regionális Intézete. # Reference for a preliminary ruling: Baranya megyei bíróság - Hungary. # Free movement of goods - Public health - Selling of contact lenses via the Internet - National legislation authorising the sale of contact lenses solely in medical supply shops - Directive 2000/31/EC - Information society - Electronic commerce. # Case C-108/09.
Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 15. Juni 2010.
Ker-Optika bt gegen ÀNTSZ Dél-dunántúli Regionális Intézete.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Baranya megyei bíróság - Ungarn.
Freier Warenverkehr - Öffentliche Gesundheit - Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet - Nationale Regelung, wonach Kontaktlinsen nur in Fachgeschäften für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden dürfen - Richtlinie 2000/31/EG - Informationsgesellschaft - Elektronischer Geschäftsverkehr.
Rechtssache C-108/09.
Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 15. Juni 2010.
Ker-Optika bt gegen ÀNTSZ Dél-dunántúli Regionális Intézete.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Baranya megyei bíróság - Ungarn.
Freier Warenverkehr - Öffentliche Gesundheit - Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet - Nationale Regelung, wonach Kontaktlinsen nur in Fachgeschäften für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden dürfen - Richtlinie 2000/31/EG - Informationsgesellschaft - Elektronischer Geschäftsverkehr.
Rechtssache C-108/09.
Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-12213
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:341
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI
vom 15. Juni 20101(1)
Rechtssache C‑108/09
Ker-Optika Bt.
gegen
ÀNTSZ Dél-dunántúli Regionális Intézete
[Vorabentscheidungsersuchen des Baranya Megyei Bíróság (Ungarn)]
„Freier Warenverkehr – Maßnahmen gleicher Wirkung – Verkaufsmodalitäten – Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet – Nationale Bestimmung, nach der Kontaktlinsen ausschließlich in Fachgeschäften für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden dürfen“
I – Einleitung
1. In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (im Folgenden: Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr)(2) zu ermitteln und sodann erneut sein Urteil Keck und Mithouard(3) heranzuziehen; er hat sich hierbei zu der Frage zu äußern, ob das Verbot, Kontaktlinsen über das Internet zu vertreiben, mit den Vorschriften des Vertrags über den freien Warenverkehr vereinbar ist.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Das Primärrecht der Union
2. Art. 28 EG bestimmt, dass „[m]engenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung … zwischen den Mitgliedstaaten verboten [sind]“.
3. Art. 30 EG legt fest: „Die Bestimmungen der Artikel 28 [EG] und 29 [EG] stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder ‑beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.“
B – Abgeleitetes Recht der Union
4. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren im Bereich der Normen und technischen Vorschriften(4), geändert durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998(5) (im Folgenden: Richtlinie 98/34), definiert die Dienste der Informationsgesellschaft, wie sie im Sinne dieser Richtlinie zu verstehen sind, wie folgt:
„‚Dienst‘: eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.
Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck:
– ‚im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird;
– ‚elektronisch erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird;
– ‚auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird.
Eine Beispielliste der nicht unter diese Definition fallenden Dienste findet sich in Anhang V.
…“
5. Der 18. Erwägungsgrund der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bestimmt insbesondere, dass „Tätigkeiten, die ihrer Art nach nicht aus der Ferne und auf elektronischem Wege ausgeübt werden können, wie die gesetzliche Abschlussprüfung von Unternehmen oder ärztlicher Rat mit einer erforderlichen körperlichen Untersuchung eines Patienten, keine Dienste der Informationsgesellschaft sind“.
6. Im 21. Erwägungsgrund wird ausgeführt: „Der koordinierte Bereich umfasst nur Anforderungen betreffend Online-Tätigkeiten, beispielsweise Online-Informationsdienste, Online-Werbung, Online-Verkauf und Online-Vertragsabschluss; er betrifft keine rechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich Waren, beispielsweise Sicherheitsnormen, Kennzeichnungspflichten oder Haftung für Waren, und auch keine Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich der Lieferung oder Beförderung von Waren, einschließlich der Lieferung von Humanarzneimitteln.“
7. Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bestimmt, dass „[d]iese Richtlinie … das auf die Dienste der Informationsgesellschaft anwendbare Gemeinschaftsrecht [ergänzt] und … dabei das Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, wie es sich aus Gemeinschaftsrechtsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung ergibt, unberührt [lässt], soweit die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten, dadurch nicht eingeschränkt wird“.
8. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr definiert die Dienste der Informationsgesellschaft als „Dienste im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG“.
9. Art. 2 Buchst. h der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr definiert den koordinierten Bereich als „die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind“.
10. Art. 2 Buchst. h Ziff. i bestimmt:
„Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in Bezug auf
– die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung;
– die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.“
11. Art. 2 Buchst. h Ziff. ii fährt fort:
„Der koordinierte Bereich umfasst keine Anforderungen wie
– Anforderungen betreffend die Waren als solche;
– Anforderungen betreffend die Lieferung von Waren;
– Anforderungen betreffend Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden.“
12. Art. 4 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bestimmt in Abs. 1: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit eines Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft nicht zulassungspflichtig ist und keiner sonstigen Anforderung gleicher Wirkung unterliegt.“ Sodann heißt es in Abs. 2: „Absatz 1 gilt unbeschadet der Zulassungsverfahren, die nicht speziell und ausschließlich Dienste der Informationsgesellschaft betreffen …“
C – Ungarische Gesetze und Verordnung
13. Art. 1 Abs. 3 des Gesetzes CVIII von 2001 über den elektronischen Geschäftsverkehr und Dienste der Informationsgesellschaft (Az elektronikus kereskedelmi szolgáltatások, valamint az információs társadalommal összefüggő szolgáltatásokról szóló 2001. évi CVIII. Törvény, im Folgenden: Gesetz CVIII von 2001) bestimmt, dass „[d]er Anwendungsbereich dieses Gesetzes … sich nicht auf die in einem Gerichts- oder irgendeinem anderen behördlichen Verfahren gewährten und genutzten Dienste der Informationsgesellschaft [erstreckt] und … nicht die Anwendung der Rechtsnormen zum Schutz personenbezogener Daten [berührt]“. In Abs. 4 heißt es dann, dass „[d]er Anwendungsbereich dieses Gesetzes … sich nicht auf Äußerungen einer Person zu Zwecken außerhalb einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit oder öffentlicher Aufgaben unter Inanspruchnahme von Diensten der Informationsgesellschaft einschließlich der auf diese Weise abgegebenen, einen Vertrag betreffenden Willenserklärungen [erstreckt]“.
14. Art. 3 Abs. 1 dieses Gesetzes legt fest, dass „[z]ur Aufnahme oder Ausübung von Diensten der Informationsgesellschaft … keine vorherige Zulassung oder behördliche Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung notwendig [ist]“.
15. Art. 1 der Verordnung 7/2004 (XI.23.) des Gesundheitsministers über die fachlichen Anforderungen beim Vertrieb medizinischer Hilfsmittel, deren Reparatur und Vermietung (A gyógyászati segédeszközök forgalmazásának, javításának, kölcsönzésének szakmai követelményeiről szóló 7/2004 [XI. 23.] egészségügyi miniszteri rendelet, im Folgenden: Verordnung 7/2004) bestimmt, dass „[d]iese Verordnung …, vorbehaltlich der ihrem Anhang I angeführten medizinischen Hilfsmittel, für die Ausübung von Tätigkeiten [gilt], die den Vertrieb, die Reparatur und die Vermietung jedes medizinischen Hilfsmittels, die Lieferung eines solchen Mittels und die Herstellung von medizinischen Hilfsmitteln betreffen, die individuellen Bedürfnissen angepasst sind … Der Vertrieb, die Reparatur und die Vermietung medizinischer Hilfsmittel, die unter diese Verordnung fallen, gelten als Gesundheitsdienste.“
16. Art. 2 dieser Verordnung bestimmt:
„Bei der Anwendung dieser Verordnung ist zu verstehen:
a) unter ‚medizinisches Hilfsmittel‘ ein medizinischen oder Pflegezwecken dienendes technisches Hilfsmittel im Besitz einer Person, die vorübergehend oder dauernd unter einer Verschlechterung der Gesundheit, einer Behinderung oder einer Invalidität leidet.
…“
17. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 7/2004 können „[d]er Vertrieb medizinischer Hilfsmittel sowie deren Reparatur und Vermietung … in einem in einer gesonderten Rechtsvorschrift dafür zugelassenen, den Voraussetzungen in Anhang 2 Nrn. I. 1. und I. 2. dieser Verordnung entsprechenden Fachgeschäft für medizinische Hilfsmittel erfolgen“.
18. Art. 4 Abs. 5 der Verordnung 7/2004 regelt die Lieferung nach Hause wie folgt:
„Nach Hause kann geliefert werden:
a) ein medizinisches Hilfsmittel, aus der Serienfertigung und repariert,
b) ein medizinisches Hilfsmittel, das für eine Probe und/oder eine Anpassung verwendet wird oder allein zu dem Zweck nach Maß gefertigt wurde, eine Probe oder eine Gewöhnung zu ermöglichen, wenn an einen Endverbraucher geliefert wird.“
19. Anhang I dieser Verordnung stellt ausdrücklich klar:
„Vom Anwendungsbereich der Verordnung sind folgende medizinische Hilfsmittel ausgenommen:
– optische Erzeugnisse aus Serienproduktion, mit Ausnahme von Kontaktlinsen.
…“
20. Außerdem nennt Anhang 2 der Verordnung 7/2004 zwei der in ihrem Art. 3 Abs. 1 angeführten besonderen Voraussetzungen. Nr. I.1 Buchst. d bestimmt zu den materiellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, dass „[z]um Vertrieb von Kontaktlinsen und aufgrund individueller Maßanfertigung hergestellter Brillen … ein mindestens 18 m2 großes Geschäft oder ein von der Werkstatt abgetrennter Raum erforderlich [ist]“. Nr. I.2. Buchst. c legt seinerseits eine der persönlichen Voraussetzungen fest, weil für den Handel mit Kontaktlinsen „die Ausübung des Berufs des Optometrikers oder eines auf Kontaktlinsen spezialisierten Augenarztes“ erforderlich ist.
III – Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfragen
21. Ker-Optika Bt. (im Folgenden: Ker-Optika oder Klägerin des Ausgangsverfahrens) ist eine Kommanditgesellschaft ungarischen Rechts, die neben anderen Tätigkeiten über ihre Internet-Site Kontaktlinsen vertreibt.
22. Am 29. August 2008 erging gegen Ker-Optika ein Bescheid des ÀNTSZ Pécsi, Sellyei, Siklósi Kistérségi Intézete (der örtlichen Vertretung des ÀNTSZ, des Staatlichen Dienstes für Gesundheitswesen und Amtsärztedienstes), mit dem ihr der Vertrieb von Kontaktlinsen im Internet untersagt wurde.
23. Ker-Optika legte beim ÀNTSZ Dél‑dunántúli Regionális Intézete (der Regionalbehörde der genannten Dienste, im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) Einspruch ein, die mit Entscheidung vom 14. November 2008 den Einspruch zurückwies und die gegenüber Ker-Optika erlassene Verbotsverfügung der örtlichen Vertretung bestätigte; sie stützte ihre Entscheidung auf Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 7/2004, die dem elektronischen Vertrieb von Kontaktlinsen entgegenstehe, da sie im Gegenteil verlange, dass die Kontaktlinsen in einem Optikerfachgeschäft vertrieben würden, das die in Art. 3 Abs. 1 angeführten materiellen und persönlichen Voraussetzungen erfüllen müsse.
24. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens trat dieser Auslegung, in deren Folge ihr ein Teil ihrer Geschäftstätigkeit untersagt wird, entgegen und erhob beim Baranya Megyei Bíróság (Bezirksgericht von Baranya, im Folgenden: vorlegendes Gericht) (Ungarn) Klage auf Nichtigerklärung des Bescheides der örtlichen Vertretung des Staatlichen Dienstes für Gesundheitswesen und Amtsärztedienstes.
25. Vor dem vorlegenden Gericht brachte sie zum einen vor, dass der Vertrieb von Kontaktlinsen ein Dienst der Informationsgesellschaft sei und der angefochtene Bescheid insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes CVIII von 2001 verstoße, wonach zur Aufnahme oder Ausübung von Diensten der Informationsgesellschaft keine vorherige Zulassung oder behördliche Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung notwendig sei. Zum anderen müsse, wenn die Verordnung 7/2004 die Lieferung medizinischer Hilfsmittel nach Hause zulasse, der Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet erlaubt sein.
26. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens berief sich ihrerseits auf die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, insbesondere auf deren 18. Erwägungsgrund. Der Vertrieb von Kontaktlinsen sei eine Tätigkeit, die nicht aus der Ferne ausgeübt werden könne, weil sie wie eine medizinische Beratung zu behandeln sei, die die körperliche Untersuchung des Patienten erforderlich mache, und damit dem Anwendungsbereich der genannten Richtlinie entzogen sei. Deshalb seien die Vorschriften des Gesetzes CVIII von 2001, das die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr in das ungarische Recht umsetze, auf die im Ausgangsverfahren streitige Tätigkeit nicht anzuwenden.
27. Angesichts einer Schwierigkeit der Auslegung des Unionsrechts hat das Baranya Megyei Bíróság das Verfahren ausgesetzt und mit Vorlagebeschluss vom 10. Februar 2009 dem Gerichtshof die folgenden drei Fragen gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Setzt der Vertrieb von Kontaktlinsen eine medizinische Beratung voraus, die die körperliche Anwesenheit des Patienten erfordert, so dass er nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr fällt?
2. Ist Art. 30 EG, wenn der Vertrieb von Kontaktlinsen keine medizinische Beratung voraussetzt, die die körperliche Anwesenheit des Patienten erfordert, dann dahin auszulegen, dass die Vorschriften eines Mitgliedstaats, die bestimmen, dass Kontaktlinsen nur in einem Fachgeschäft für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden können, gegen ihn verstoßen?
3. Verstoßen die ungarischen Rechtsvorschriften, die den Vertrieb von Kontaktlinsen nur in einem Fachgeschäft für medizinische Hilfsmittel zulassen, gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs im Sinne von Art. 28 EG?
28. Im Kern ersucht das vorlegende Gericht vor allem um die Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren streitige Tätigkeit unter die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr fällt, und stellt nur für den Fall, dass der Gerichtshof das verneinen sollte, eine Frage nach der Auslegung des Primärrechts der Union. Insbesondere bei der letzten Fallgestaltung könnte das Problem der Heranziehung des vorgenannten Urteils Keck und Mithouard auftreten.
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
29. Die tschechische, die griechische, die spanische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
30. In der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 haben die griechische, die spanische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mündliche Erklärungen abgegeben.
V – Zur ersten Vorabentscheidungsfrage
31. Mit seinem Ersuchen an den Gerichtshof, zu prüfen, ob der Vertrieb von Kontaktlinsen eine medizinische Beratung voraussetzt, die die körperliche Anwesenheit des Patienten erfordert, möchte das vorlegende Gericht vor allem in Erfahrung bringen, ob die betreffende Tätigkeit unter die Richtlinie für den elektronischen Geschäftsverkehr fällt und demnach die Vereinbarkeit der Verordnung 7/2004 mit dem Unionsrecht im Licht dieser Richtlinie zu prüfen ist.
32. Die Verordnung 7/2004, um die es im Ausgangsverfahren geht, behält den Vertrieb von Kontaktlinsen – die im ungarischen Recht als medizinische Hilfsmittel gelten – Fachgeschäften mit einer Mindestfläche von 18 m2 (oder einem von der Werkstatt abgetrennten Raum) sowie Personen vor, die den Beruf des Optometrikers oder des Augenarztes ausüben. Folglich ist der Vertrieb dieser Waren über das Internet untersagt. Das vorlegende Gericht verweist indessen darauf, dass die Lieferung nach Hause für den Endverbrauch der von der Verordnung erfassten medizinischen Hilfsmittel, also auch von Kontaktlinsen, vorbehaltlich der Einhaltung der in der Verordnung 7/2004 festgelegten Erfordernisse gestattet ist.(6)
33. Mehr noch als die Frage, ob der Vertrieb von Kontaktlinsen mit einer medizinischen Beratung gleichzusetzen ist, die die körperliche Anwesenheit des Patienten erfordert, scheint mir der Zweck der ersten Frage, die zusammen mit den Fragen 2 und 3 zu lesen ist, darin zu liegen, festzustellen, ob die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die eine besondere Art von Waren vom Vertrieb im Internet ausnimmt, mit dem Unionsrecht allein im Licht der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zu würdigen ist.
34. Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr soll einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarkts leisten, indem sie einen rechtlichen Rahmen schafft, der den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt. Wie ihr Titel verrät, betrifft diese Richtlinie „nur“ bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft und strebt, wie Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie zu erkennen gibt, nur nach einer Angleichung „bestimmter für die Dienste der Informationsgesellschaft geltender innerstaatlicher Regelungen, die den Binnenmarkt, die Niederlassung der Diensteanbieter, kommerzielle Kommunikationen, elektronische Verträge, die Verantwortlichkeit von Vermittlern, Verhaltenskodizes, Systeme zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, Klagemöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen“.
35. So hat sich zwar der elektronische Geschäftsverkehr innerhalb der Gemeinschaft in der allgemeinen Vorstellung dank der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr entwickeln können, doch begnügt diese selbst sich damit, bestimmte Stufen dieses Handels zu regeln, in denen er sich vollzieht, indem sie einen rechtlichen Rahmen für sie bietet, befasst sich indessen nicht mit den Bedingungen des Warenverkehrs, die er gegebenenfalls auslöst. Im Übrigen liegt der Akzent innerhalb der Richtlinie auf dem Begriff des „Dienstes“ und nicht auf dem der „Ware“.
36. Es wäre mit anderen Worten verfehlt, anzunehmen, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr auf eine allgemeine Liberalisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs abzielt. Es lässt sich nämlich keiner ihrer Vorschriften irgendeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnehmen, allgemein und systematisch für jede Art von Waren den Handel über das Internet zuzulassen. Meine Empfindung scheint mir übrigens durch die Untersuchung des in der Richtlinie koordinierten Bereichs bestätigt zu werden.
37. Wenn der Gerichtshof sich gleichwohl entschließen sollte, die Untersuchung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr weiter voranzutreiben, gäbe es meines Erachtens zumindest noch zwei Gründe, die die Erkenntnis rechtfertigen würden, dass die Vereinbarkeit der Verordnung 7/2004 mit dem Unionsrecht nicht im Licht der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr gewürdigt werden kann. Zum einen kann dies aus der Definition des koordinierten Bereichs in dieser Richtlinie abgeleitet werden, zum anderen scheint mir der Vertrieb von Kontaktlinsen nicht in all seinen Aspekten als „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr qualifiziert werden zu können.
38. Erstens lässt, was den koordinierten Bereich anlangt, das Ziel der Richtlinie, wie es in Nr. 34 meiner Schlussanträge genannt wird, keineswegs den Standpunkt zu, dass das Verbot des Vertriebs über das Internet im Licht der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr untersucht werden könnte.
39. Außerdem organisiert die Verordnung 7/2004, wenn sie insbesondere die Voraussetzungen definiert, unter denen Kontaktlinsen vertrieben und an Endverbraucher geliefert werden können, und inzidenter den Verkauf über das Internet und damit die Lieferung nach Hause, die diese Vertriebsmethode im Kern kennzeichnet, verbietet, wenn sie nicht unter den in dieser Verordnung vorgeschriebenen Voraussetzungen erfolgt (d. h. nur, um eine Probe, eine Anpassung oder eine Gewöhnung zu ermöglichen), die Modalitäten ihrer Lieferung im weiteren Sinne. Der Vertrieb von Kontaktlinsen, wie ihn die besagte Verordnung organisiert, scheint mir daher jedenfalls nicht zum koordinierten Bereich der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zu gehören.
40. Zwar bestimmt der 18. Erwägungsgrund zunächst: „Die Dienste der Informationsgesellschaft umfassen einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die online vonstatten gehen. Diese Tätigkeiten können insbesondere im Online-Verkauf von Waren bestehen.“ Aber er stellt sofort klar, dass „Tätigkeiten wie die Auslieferung von Waren als solche oder die Erbringung von Offline-Diensten … nicht erfasst [werden]“. Der Wortlaut des 21. Erwägungsgrundes ist eindeutig: „Der koordinierte Bereich umfasst nur Anforderungen betreffend Online-Tätigkeiten, beispielsweise Online-Informationsdienste, Online-Werbung, Online-Verkauf und Online-Vertragsabschluss; er betrifft keine rechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich Waren, beispielsweise Sicherheitsnormen, Kennzeichnungspflichten oder Haftung für Waren, und auch keine Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich der Lieferung oder Beförderung von Waren, einschließlich der Lieferung von Humanarzneimitteln.“
41. Wie die tschechische und die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen unterstrichen haben, wiederholt die Definition des koordinierten Bereichs in Art. 2 Buchst. h Ziff. ii der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr diese grundsätzliche Herausnahme von Anforderungen betreffend die Waren als solche und ihre Lieferung aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie will uns damit auch zu verstehen geben, dass, wenn die Richtlinie „nur Anforderungen betreffend Online-Tätigkeiten, beispielsweise … Online-Verkauf und Online-Vertragsabschluss“ umfasst, sie zwar sehr wohl dazu berufen ist, bestimmte Aspekte des etwaigen Online-Handels zu regeln, nicht aber dazu Stellung nehmen will, ob eine bestimmte Art von Tätigkeiten oder Geschäften für den Handel über das Internet geöffnet werden sollte. Die Richtlinie legt daher nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine bestimmte Kategorie von Waren vom Handel über das Internet ausgeschlossen werden kann.
42. Zweitens und neben der Untersuchung der Vorschriften über den koordinierten Bereich ist der Rückgriff auf den Begriff des „Dienstes der Informationsgesellschaft“ ein weiteres Moment, aus dem ich schließe, dass die Berufung auf die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr im Ausgangsverfahren nicht in Betracht kommt.
43. Die besagte Richtlinie soll nicht für alle Dienstleistungen gelten, sondern nur für die besondere Kategorie der Dienste der Informationsgesellschaft. Wenn der Vertrieb von Kontaktlinsen nach den ungarischen Rechtsvorschriften einen Gesundheitsdienst darstellt – was auf alle Fälle eine rein nationale Qualifikation darstellt –, dürfte die Definition des Dienstes der Informationsgesellschaft in den Unionsvorschriften tatsächlich nicht auf diese besondere Tätigkeit übertragen werden können.
44. Unter „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie 98/34 ist nämlich „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ zu verstehen(7). Diese Definition lässt weiter erkennen, dass unter „‚elektronisch erbrachte[r] Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird“, zu verstehen ist.
45. Entgegen dem Vorbringen der ungarischen Regierung bin ich der Meinung, dass der Vertrieb von Kontaktlinsen als solcher durchaus im Fernabsatz oder über das Internet erfolgen kann. Damit muss naturgemäß eine Trennung der Phase der medizinischen Beratungen, die gegebenenfalls vor Auslieferung der Kontaktlinsen erforderlich werden, und des Verkaufs selbst hingenommen werden.
46. Aber selbst wenn man medizinische Beratung und Verkauf der Kontaktlinsen trennt, scheint es mir entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht möglich, anzunehmen, dass der Vertrieb von Kontaktlinsen an sich und für alle Stufen eine Dienstleistung darstellt, die unter den in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr festgelegten Voraussetzungen „vollständig … gesendet, weitergeleitet und empfangen wird“. Mögen auch die Bestellung von Linsen, deren Annahme und der darauf zurückgehende Onlineabschluss des Vertrags unter Umständen elektronisch gesendet werden können, bleibt es doch dabei, dass die Versendung der Kontaktlinsen an den Endverbraucher keine elektronische, sondern eine körperliche Maßnahme ist. An diesem Punkt der Argumentation gewinnt die Unterscheidung im 18. Erwägungsgrund der Richtlinie zwischen den Diensten der Informationsgesellschaft und den von ihnen organisierten Tätigkeiten ihren vollen Sinngehalt.
47. Ich möchte schließlich darauf hinweisen, das ich aus Anlass der Rechtssache, in der das Urteil Dynamic Medien(8) ergangen ist, zu dem deutschen Verbot des Versandhandels mit Bildträgern, die nicht entsprechend den deutschen Rechtsvorschriften der Prüfung und der Einstufung zum Zweck des Jugendschutzes durch die zuständige nationale Stelle unterzogen worden waren, auf eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs verwiesen hatte, wonach jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf der Ebene der Europäischen Union abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht des primären Unionsrechts zu beurteilen ist.(9) Ich hatte daraus abgeleitet, dass, selbst wenn man einräume, dass der Verkauf von Bildträgern in einigen seiner Aspekte in den Anwendungsbereich der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr fallen könne, man sich doch fragen könne, welche Vorschriften in dieser Richtlinie die nationalen Bestimmungen über den Jugendschutz so erschöpfend harmonisierten, dass die Prüfung der Vereinbarkeit des genannten Verbots mit den einschlägigen Vorschriften des Vertrags ausgeschlossen sei.(10) Der Gerichtshof ist dem übrigens gefolgt.(11)
48. Diese Schlussfolgerung, dass nämlich bestimmte Aspekte der fraglichen Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr fallen könnten, konnte ich ziehen, weil feststand, dass die nationalen Rechtsvorschriften den Verkauf von Bildträgern über das Internet grundsätzlich zulassen. In der Rechtssache, die uns heute beschäftigt, ist die Lage indessen eine ganz andere.
49. Um davon ausgehen zu können, dass bestimmte Aspekte des Vertriebs von Kontaktlinsen von der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr erfasst werden, müsste der Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet zuvor genehmigt worden sein. Wie ich indessen zu zeigen versucht habe, hat man bereits Schwierigkeiten, innerhalb dieser Richtlinie Vorschriften zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften auszumachen, die uns gestatten könnten, die vom Gerichtshof vorzunehmende Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Rechtsvorschriften – die, wie erneut gesagt sei, im Ergebnis den Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet untersagen – mit dem Unionsrecht vereinbar sind, ausschließlich auf deren Vorschriften zu stützen.
50. Die gleiche Feststellung gilt im Übrigen bezüglich der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Medizinprodukte(12), zu denen die Kontaktlinsen gehören, da sie keinerlei Voraussetzungen hinsichtlich der Art und Weise ihrer Vermarktung, ihres Vertriebs oder ihrer Lieferung festlegt.
51. Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, die erste Frage des vorlegenden Gerichts, wie ich sie in Nr. 33 meiner Schlussanträge neu interpretiert habe, dahin zu beantworten, dass die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die ein Verbot des Verkaufs von Kontaktlinsen über das Internet bewirkt, mit dem Unionsrecht nicht anhand der Vorschriften der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr gewürdigt werden kann. Auf die Frage, ob der Vertrieb von Kontaktlinsen eine medizinische Beratung voraussetzt, die die körperliche Anwesenheit des Patienten im Sinne des 18. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie erfordert, kommt es daher nicht an.
52. Somit erweist sich angesichts des Fehlens jeglicher für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erheblichen Harmonisierungsmaßnahme eine Überprüfung der Verordnung 7/2004 im Licht des Primärrechts der Union als erforderlich(13), was genau den Gegenstand der beiden folgenden Vorabentscheidungsfragen ausmacht.
VI – Zur zweiten und zur dritten Vorabentscheidungsfrage
A – Einleitende Bemerkung
53. Betrachtet man vorab die denkgesetzliche Ordnung der Fragen des vorlegenden Gerichts, so ist vor allem zu prüfen, ob die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht im Licht des Art. 28 EG zu ermitteln ist, und dann zu ergründen, ob diese nationale Regelung gegebenenfalls aufgrund von Art. 30 EG gerechtfertigt werden kann.
B – Rechtliche Untersuchung
1. Vorbemerkungen
54. Der Gerichtshof prüft eine nationale Maßnahme, die sowohl den freien Warenverkehr als auch den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Grundfreiheiten, wenn sich herausstellt, dass eine der beiden Freiheiten der anderen zugeordnet werden kann und ihr gegenüber völlig zweitrangig ist(14).
55. Die ungarische Regierung macht geltend, dass der Vertrieb von Kontaktlinsen, wie der Gerichtshof im Urteil LPO(15) entschieden habe, nicht als eine Handelstätigkeit wie jede andere angesehen und nicht unabhängig von den Gesundheitsdiensten betrachtet werden könne, die zum Zeitpunkt ihres Eintritts erbracht würden. Im Übrigen entnimmt sie dem Urteil Dollond und Aitchison(16), dass der Gerichtshof bereits die Untrennbarkeit von Dienstleistungen in Bezug auf Kontaktlinsen und deren Vertrieb anerkannt habe.
56. Ich bin indessen überzeugt, dass die beiden Tätigkeiten, nämlich der Verkauf von Kontaktlinsen zum einen und etwaige nachfolgende Beratungen zum anderen, durchaus voneinander getrennt werden können.
57. Die Berufung auf das Urteil Dollond und Aitchison scheint mir in keiner Weise treffend, da die Frage, die der Gerichtshof in jener Rechtssache zu behandeln hatte, ihrer Natur nach grundverschieden von der war, die wir heute zu beantworten haben. In dem angeführten Urteil hatte sich der Gerichtshof zu Modalitäten der Berechnung der Mehrwertsteuer für die Leistung eines Gemeinschaftsunternehmens zu äußern, die in der Lieferung von Kontaktlinsen und Dienstleistungen in Form insbesondere von Prüfungen des Sehvermögens bestand. Der Gerichtshof brauchte sich nicht dazu zu äußern, ob diese beiden Tätigkeiten systematisch zusammen zu betrachten sind. Folglich hat er sich entgegen dem Vorbringen der ungarischen Regierung anlässlich dieses Urteils nicht für die Zukunft dahin gebunden, dass die besagten Tätigkeiten untrennbar sind.
58. Ferner ist die ungarische Regierung in der Sitzung ersucht worden, darzulegen, unter welchen Voraussetzungen der Gesundheitsdienst – den für diese Regierung der Vertrieb von Kontaktlinsen über das Internet darstellt – grundsätzlich erbracht wird. Wenn auch feststeht, dass vor dem Verkauf eine ärztliche Verschreibung erforderlich ist, sind die übrigen Gesundheitsleistungen nicht notwendig mit dem Verkauf verbunden, und der ärztliche Befund, der ihn möglicherweise begleitet, ist je nach den geplanten Stufen des Verkaufs höchst unterschiedlich.
59. Ist erst die Trennbarkeit dieser beiden Tätigkeiten akzeptiert, wird recht deutlich, dass die Vereinbarkeit der Verordnung 7/2004 mit dem Unionsrecht nach Maßgabe der Vorschriften des Vertrags über den freien Warenverkehr geprüft werden muss. Die ungarische Regierung scheint im Übrigen das Vorliegen von Beschränkungen für den Verkauf von Kontaktlinsen an die Patienten nicht in Abrede zu stellen.(17) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof, als er über die Vereinbarkeit einer Maßnahme, mit der der Vertrieb von Bildträgern im Versandhandel(18) oder, noch näher an unserem Fall, der Vertrieb von Arzneimitteln über das Internet(19) untersagt wurde, zu entscheiden hatte, auf den freien Warenverkehr gestützt hat.
2. Zum Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung
60. Damit stellt sich die Frage, ob das Verbot des Vertriebs von Kontaktlinsen, das sich aus der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung ergibt, gegen Art. 28 EG verstößt.
61. Die Verordnung 7/2004 legt keine Erfordernisse fest, die Kontaktlinsen zu erfüllen haben(20), sondern bestimmt nur, dass der Verkauf in einem Fachgeschäft zu erfolgen hat, das die Voraussetzungen hinsichtlich der Mindestfläche und des Fachpersonals erfüllt, oder möglicherweise durch Lieferung nach Hause für Zwecke der Probe oder der Anpassung, in keinem Fall jedoch über das Internet. Sie legt daher sehr wohl besondere Vertriebsmodalitäten für diese Warenart fest.
62. Nach der im Urteil Keck und Mithouard(21) verankerten Formel ist nun aber „die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten … unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die nationale Maßnahme dem Verbot des Art. 28 EG entgehen.
63. Was die erste Voraussetzung angeht, ist unbestreitbar, dass die betreffende nationale Maßnahme tatsächlich unterschiedslos für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihrer Tätigkeit in Ungarn nachgehen, weil alle Wirtschaftsteilnehmer, die auf dem ungarischen Markt für Kontaktlinsen tätig werden möchten, den Anforderungen der Verordnung 7/2004 genügen müssen.
64. Demgegenüber hat es für mich den Anschein, als würden die Voraussetzungen, die das ungarische Recht für den Vertrieb von Kontaktlinsen aufstellt, den Vertrieb von Erzeugnissen mit Herkunft aus anderen Mitgliedstaaten stärker belasten.
65. Gewiss verbietet nichts den im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern, ein Fachgeschäft zu eröffnen, das die Voraussetzungen für den Vertrieb von Kontaktlinsen nach der Verordnung 7/2004 erfüllt. Der Zwang und die Belastung durch ein solches Geschäft sind indessen offensichtlich. Der Vorteil des Online-Vertriebs ist es gerade, dass das Internet den Wirtschaftsteilnehmern ein Schaufenster mit einer grenzüberschreitenden Einsichtsmöglichkeit bietet, ohne dass der Wirtschaftsteilnehmer die Kosten und Zwänge zu tragen hat, die mit dem Besitz eines „realen“ Geschäfts einhergehen. Der Online-Verkauf ist eine alternative Absatzmodalität zum Handel im traditionellen Verständnis und ein ergänzendes Mittel für die nationalen Wirtschaftsteilnehmer, eine Kundschaft anzusprechen, die sich geografisch gesehen nicht auf die Bevölkerung in der Umgebung des physischen Geschäfts beschränkt.
66. So hat der Gerichtshof zu dem deutschen Verbot, Arzneimittel über das Internet zu verkaufen, bereits entschieden: „Ein Verbot wie das im Ausgangsfall fragliche beeinträchtigt … außerhalb Deutschlands ansässige Apotheken stärker als Apotheken in Deutschland. Auch wenn das Verbot den inländischen Apotheken unstreitig ein zusätzliches oder alternatives Mittel des Zugangs zum deutschen Markt der Endverbraucher von Arzneimitteln nimmt, bleibt ihnen doch die Möglichkeit, Arzneimittel in ihren Apotheken zu verkaufen. Dagegen könnte für Apotheken, die nicht im deutschen Hoheitsgebiet ansässig sind, im Internet ein Mittel liegen, das für den unmittelbaren Zugang zu diesem Markt eher geeignet ist. Ein Verbot, das sich auf außerhalb des [deutschen] Hoheitsgebiets ansässige Apotheken stärker auswirkt, könnte jedoch geeignet sein, den Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse.“(22) Der Gerichtshof scheint daher eindeutig eingeräumt zu haben, dass das Verbot des Vertriebs einer Warenart über das Internet die Wirtschaftsteilnehmer, die nicht im Hoheitsgebiet ansässig sind, stärker benachteiligt. Diese Argumentation ist nach meinem Verständnis durchaus auf unsere Rechtssache übertragbar, weil die ungarische Regelung nicht nur fordert, dass der Vertrieb von Kontaktlinsen ausschließlich in einem physischen Geschäft stattfindet, sondern dass dieses darüber hinaus Kriterien hinsichtlich Fläche und Fachpersonal erfüllen muss.
67. Außerdem hat die ungarische Regierung in der Sitzung eingeräumt, dass die ungarischen Erzeugnisse, die in Fachgeschäften für medizinische Hilfsmittel vertrieben werden könnten, insbesondere Kontaktlinsen, eine durchaus zu vernachlässigende Menge darstellten, ohne jedoch insoweit Zahlenangaben machen zu können. Es liegt daher auf der Hand, dass das Verbot im Wesentlichen die Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten der Union trifft.
68. Was schließlich die zweite kumulative Voraussetzung der Verordnung 7/2004, nämlich die persönliche Voraussetzung, betrifft, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass „sich Rechtsvorschriften, die den Verkauf von Kontaktlinsen … fachkundigen Zwischenhändlern vorbehalten, auf den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr auswirken können“(23).
69. Somit stellt das nationale Verbot des Vertriebs von Kontaktlinsen über das Internet, wie es die Verordnung 7/2004 vorsieht, eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne von Art. 28 EG dar.
3. Zur Möglichkeit einer Rechtfertigung der Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung aufgrund des Art. 30 EG
70. Das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung des Art. 28 EG gilt indessen nicht ohne Einschränkungen, weil sie aus den in Art. 30 EG angeführten Gründen des allgemeinen Interesses oder aus zwingenden Erfordernissen gerechtfertigt sein können. Die ungarische Regierung beruft sich darauf, dass die Verordnung 7/2004 ein Ziel des allgemeinen Interesses, nämlich den Schutz der öffentlichen Gesundheit, verfolge.
71. Es entspricht durchaus ständiger Rechtsprechung, dass eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung aufgrund des Schutzes der Gesundheit und des Lebens der Menschen gerechtfertigt sein kann. Der Gerichtshof hat unaufhörlich darauf hingewiesen, dass „unter den in Artikel 30 EG geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang ein[nehmen]“(24).
72. Auch wenn es zutrifft, dass die Verträge der Union keine vollumfängliche Zuständigkeit in diesem Bereich übertragen haben und diese noch weitgehend zwischen der Union und den Mitgliedstaaten aufgeteilt bleibt, wie Art. 152 EG belegt, ist es doch deren Sache, über das Niveau des von ihnen angestrebten Schutzes der öffentlichen Gesundheit und die dazu erforderlichen Mittel zu entscheiden(25). Es ist durchaus anerkannt, dass das Niveau vom einen zum anderen Mitgliedstaat unterschiedlich sein kann, was die Anerkennung eines gewissen Entscheidungsspielraums der Mitgliedstaaten voraussetzt. Mithin kann die Verordnung nicht allein deshalb als nicht durch Art. 30 EG gerechtfertigt, weil unverhältnismäßig, betrachtet werden, weil der Vertrieb von Kontaktlinsen in den anderen Mitgliedstaaten weder eine ärztliche Verschreibung noch ein Fachgeschäft noch Fachpersonal voraussetzt(26). Gleichwohl muss diese Restkompetenz der Mitgliedstaaten unter Beachtung der Vorschriften des Vertrags ausgeübt werden(27).
73. Daher muss die Verhältnismäßigkeit an sich der Regelung geprüft werden, die in Verfolgung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit getroffen worden ist.
74. Nach Auffassung der ungarischen Regierung verfolgt die Verordnung 7/2004 ein legitimes Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, nämlich die Wahrung der Interessen der Patienten. Da Kontaktlinsen, weil in unmittelbarem Kontakt zur Hornhaut des Auges, besonders invasive medizinische Hilfsmittel seien, müsse unbedingt vermieden werden, den Vorgang des Verkaufs von Kontaktlinsen zu banalisieren, um Veränderungen des Sehvermögens und Augenkrankheiten vorzubeugen, die durch unsachgemäße Verwendung von Kontaktlinsen verursacht würden und zu irreparablen Schäden für das Sehvermögen führen könnten. Aus diesem Grund seien die Voraussetzungen für den Vertrieb von Kontaktlinsen eng gefasst und die Anwesenheit des Patienten auf jeder Stufe dieses Vertriebs erforderlich. Der Patient müsse in Kontakt zu einem Fachmann stehen, der ihn beraten und ihm während der gesamten Zeit seiner Erfahrung mit Kontaktlinsen zur Seite stehen könne, d. h. bei der Verschreibung, dann beim Kauf, aber auch bei Proben und bei der Anpassung. Die Nachbehandlung anlässlich jedes Besuchs des Patienten erfordere ein Fachgeschäft mit einer Mindestfläche von 18 m2 oder einen von der Werkstatt abgetrennten Raum, wobei die Mindestfläche garantiere, dass das Geschäft über die Geräte und den für Untersuchungen erforderlichen Raum verfüge, aber auch über ausreichenden Platz für die Auslage der Waren und für die Einweisung in die Benutzung. Jeder Kontakt zwischen dem Fachmann und dem Patienten müsse Gelegenheit bieten, wenn erforderlich, sein Sehvermögen mit Hilfe von Untersuchungen zu überprüfen sowie Ratschläge zu erteilen und Informationen weiterzugeben. Da auf die Anwesenheit des Patienten nicht verzichtet werden könne, schließt die ungarische Regierung es in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass Untersuchungen oder Proben aus der Ferne stattfinden(28). Die ungarische Regierung hält schließlich die Verordnung 7/2004 für erforderlich und verhältnismäßig. Das von der Republik Ungarn festgelegte Ziel der Erhaltung der Gesundheit der Augen könne nur erreicht werden, wenn die Anwesenheit des Patienten auf jeder Stufe der medizinisch betreuten Lieferung der Kontaktlinsen und sein systematischer Kontakt mit Fachpersonal sichergestellt sei. Die Erfordernisse der genannten Verordnung seien in ihrer Tragweite erforderlich, um dieses Ziel entsprechend den Vorschriften des Unionsrechts zu erreichen.
75. Auch wenn die Sorgen der ungarischen Regierung um die Gesundheit der Augen durchaus lobenswert sind, drängt sich mir doch der Gedanke auf, dass sich in die nationale Regelung der Frage eine gewisse Widersprüchlichkeit, um nicht zu sagen ein Widerspruch, eingeschlichen hat.
76. Zu der persönlichen Voraussetzung hat der Gerichtshof bereits eine nationale Regelung für mit dem Unionsrecht vereinbar gehalten, die das Recht zum Verkauf von Arzneimitteln Fachpersonal vorbehält, und dies insbesondere dadurch gerechtfertigt, dass dieses Personal die Echtheit der Verschreibungen zufriedenstellender kontrollieren könne(29). Eine gewisse Parallele zu unserem Fall kann hier insoweit gezogen werden, als der ungarische Staat die Auslieferung von Kontaktlinsen vom Besitz einer ärztlichen Verschreibung abhängig macht. Trotzdem muss auf einen Unterschied in der Natur dieser beiden Warengruppen hingewiesen werden, weil nämlich Kontaktlinsen nicht als Arzneimittel, sondern als medizinische Hilfsmittel angesehen werden. Jedenfalls hat der Gerichtshof bereits zumindest mittelbar die Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit dem Unionsrecht eingeräumt, nach der die Anwesenheit eines Diplomoptikers als Angestellter oder Gesellschafter im Geschäft erforderlich war(30).
77. Das Recht der Ungarischen Republik, eine Regelung beizubehalten, die die Auslieferung von Kontaktlinsen von einer ärztlichen Verschreibung abhängig macht, kann nicht in Frage gestellt werden. Gleichwohl mindert der Umstand, dass es sich in unserer Rechtssache um medizinische Hilfsmittel – und nicht um Arzneimittel –handelt, die Intensität der Informations- und Beratungspflicht des Personals, wenn man das unterschiedliche Risikopotenzial berücksichtigt. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass „im Unterschied zu Optikerprodukten … aus therapeutischen Gründen verschriebene oder verwendete Arzneimittel sich trotz allem, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein kann, als für die Gesundheit sehr schädlich erweisen [können], wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden“(31). Die Parallele zur Arzneimittel-Rechtsprechung des Gerichtshofs endet also hier.
78. Die Sorge um Schutz und Erhaltung der öffentlichen Gesundheit, die die ungarische Regierung an den Tag legt, ist durchaus legitim. Die Regierung verweist auf schwere Konsequenzen, die mit einer falschen Verwendung von Kontaktlinsen verbunden sein sollen. Es lässt sich indessen nicht leugnen, dass die in der Verordnung 7/2004 festgelegte materielle Voraussetzung die Beweisführung der ungarischen Regierung beträchtlich schwächt.
79. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme ist meines Erachtens vor allem in dieser materiellen Voraussetzung zu finden, die zur Folge hat, dass das auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats tätige Fachpersonal am Zugang zum ungarischen Markt und am Absatz seiner Waren gehindert wird.
80. Ein uneingeschränktes Verbot des Vertriebs von Kontaktlinsen über das Internet berücksichtigt nämlich nicht den Fall, dass dieser Vertrieb durch Fachpersonal erfolgt, das sich unter Umständen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet(32).
81. Wenn die Beziehung der auf 18 m2 festgelegten Mindestfläche zur Qualität der Information oder der Nachbehandlung nicht auf der Hand zu liegen scheint, wie die niederländische und die tschechische Regierung und auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht unterstrichen haben, dann, so muss ich gestehen, ist sie noch weniger offensichtlich, wenn man berücksichtigt, dass die Lieferung von Kontaktlinsen nach Hause zulässig ist. Die Verordnung 7/2004 enthält nämlich einen inneren Widerspruch: Sie fordert ein Ladengeschäft mit einer ausreichenden Mindestfläche für die erforderlichen Geräte und die Vornahme von Untersuchungen und erlaubt zur gleichen Zeit die Lieferung von Kontaktlinsen zu Probe- und Anpassungszwecken. Das scheint mir zu belegen, dass die verschiedenen Vorgänge, deren Untrennbarkeit die ungarische Regierung nachzuweisen sich bemüht, ganz unabhängig voneinander betrachtet werden können.
82. Hinsichtlich der Lieferung nach Hause scheint die ungarische Regierung von der Vorstellung auszugehen, dass der Vertrieb über das Internet zu einer Lieferung von Kontaktlinsen nur über einen Kurier oder Briefträger, nicht aber über einen Fachmann führen würde. Da indessen die ungarische Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Berichterstatters zu verstehen gegeben hat, dass die Lieferung von Kontaktlinsen nach Hause zu Probe‑ und Anpassungszwecken von in Ungarn ausgebildetem Fachpersonal vorgenommen wird, hindert nichts daran, sich ein Schema des Vertriebs über das Internet vorzustellen, bei dem die Lieferung ebenfalls durch Fachpersonal übernommen wird.
83. Darüber hinaus und als Folge dessen, was ich bereits in Nr. 77 dieser Schlussanträge dargelegt habe, kann der ungarischen Regelung zu Recht vorgeworfen werden, hinsichtlich der Pflicht gleichzeitiger Anwesenheit von Patient und Fachmann im Fachgeschäft keinerlei Nuancierung zuzulassen. Zwar lässt sich einräumen, dass Information und Beratung bei der ersten Verschreibung und bei den ersten Verwendungen der Kontaktlinsen von großer Bedeutung sind, doch sind die Bedürfnisse der Käufer, die diese medizinischen Hilfsmittel seit einiger Zeit verwenden, nicht die gleichen. Dementsprechend kann man sich z. B. bei der Erneuerung der Linsen eine weniger intensive Informations‑ und Beratungspflicht vorstellen. Damit ist nicht augenfällig, dass der Internet-Anbieter nicht in der Lage wäre, die Echtheit der Verschreibung zu kontrollieren oder, falls erforderlich, mit geeigneten Mitteln eine ausreichende Information oder Beratung zu erteilen, wie z. B. einen Hinweis auf der Website auf die etwaige Notwendigkeit, bei Problemen Rücksprache zu nehmen, oder die Beifügung erläuternder Hinweise in den Paketen.
84. Das Fehlen einer Nuancierung wird auch dadurch bestätigt, dass die ungarische Regierung keinen Unterschied zwischen sogenannten harten und sogenannten weichen Kontaktlinsen und ebenso wenig zwischen Kontaktlinsen zur Korrektur von Sehfehlern und solchen, die allein die Iris einfärben sollen, zu machen scheint. Das Eingreifen des Fachmanns zur Anpassung harter Kontaktlinsen an die Augen des Patienten kann als heikle Maßnahme angesehen werden, weil der Fachmann nach Angabe der ungarischen Regierung in der Sitzung auf die Ware einwirkt. Die Lieferung harter Kontaktlinsen fordert eine besondere Nachbehandlung in Form der Anpassung und Überprüfung. Demgegenüber ist das Verfahren wesentlich weniger belastend, wenn weiche Kontaktlinsen verschrieben werden. Außerdem können bestimmte Linsen eine bloß kosmetische Funktion haben, und auch wenn Anweisungen zur Unterhaltung geliefert werden müssen, ist doch die Folgeanleitung für ihre Verwendung wesentlich weniger vordringlich als für Kontaktlinsen zu therapeutischen Zwecken.
85. Demgemäß scheint mir das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, mag auch das von der Verordnung 7/2004 verfolgte Ziel noch so legitim sein, mit Mitteln erreicht werden zu können, die den freien Warenverkehr weniger beschränken.
86. Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, auf die umformulierten Fragen 2 und 3 zu antworten, dass Art. 28 EG dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die für den Vertrieb von Kontaktlinsen den Besitz eines Fachgeschäfts für medizinische Hilfsmittel mit einer Mindestfläche von 18 m2 oder eines von der Werkstatt abgetrennten Raums sowie die Anwesenheit von Fachpersonal vorschreibt und das Verbot des Vertriebs über das Internet nach sich zieht, eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstellt. Art. 28 EG und 30 EG sind dahin auszulegen, dass eine solche Regelung nicht aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens gerechtfertigt ist, weil ein solches Ziel auch mit weniger einschränkenden Mitteln erreicht werden kann.
VII – Ergebnis
87. Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich vor, die Fragen des Baranya Megyei Bíróság wie folgt zu beantworten:
1. Die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die ein Verbot des Verkaufs von Kontaktlinsen über das Internet bewirkt, mit dem Unionsrecht kann nicht anhand der Vorschriften der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt gewürdigt werden. Auf die Frage, ob der Vertrieb von Kontaktlinsen eine medizinische Beratung voraussetzt, die die körperliche Anwesenheit des Patienten im Sinne des 18. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie erfordert, kommt es daher nicht an.
2. Art. 28 EG ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die für den Vertrieb von Kontaktlinsen den Besitz eines Fachgeschäfts für medizinische Hilfsmittel mit einer Mindestfläche von 18 m2 oder eines von der Werkstatt abgetrennten Raums sowie die Anwesenheit von Fachpersonal vorschreibt und das Verbot des Vertriebs über das Internet nach sich zieht, eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstellt.
3. Art. 28 EG und 30 EG sind dahin auszulegen, dass eine solche Regelung nicht aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens gerechtfertigt ist, weil ein solches Ziel auch mit weniger einschränkenden Mitteln erreicht werden kann.
1 Originalsprache: Französisch.
2 – ABl. L 178, S. 1.
3 – Urteil vom 24. November 1993 (C‑267/91 und C‑268/91, Slg. 1993, I‑6097).
4 – ABl. L 204, S. 37.
5 – ABl. L 217, S. 18.
6 – In ihrer Antwort auf die schriftliche Frage hat die ungarische Regierung klargestellt, dass „[e]s … nur zulässig [ist], [Kontaktlinsen] nach Hause zu Endverbrauchszwecken zu liefern, um eine Probe oder die Gewöhnung zu ermöglichen“, was vermuten lässt, dass die Lieferung nur durch Fachpersonal erfolgen darf (vgl. Nr. 7 der Antwort auf die der ungarischen Regierung gestellte Frage).
7 – Vgl. Nr. 4 meiner Schlussanträge.
8 – Urteil vom 14. Februar 2008 (C‑244/06, Slg. 2008, I‑505).
9 – Vgl. Nr. 21 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil Dynamic Medien (angeführt in Fn. 8) ergangen ist, sowie Urteile vom 23. November 1989, Parfümeriefabrik 4711 (150/88, Slg. 1989, 3891, Randnr. 28), vom 12. Oktober 1993, Vanacker und Lesage (C‑37/92, Slg. 1993, I‑4947, Randnr. 9), vom 13. Dezember 2001, DaimlerChrysler (C‑324/99, Slg. 2001, I‑9897, Randnr. 32), vom 24. Oktober 2002, Linhart und Biffl (C‑99/01, Slg. 2002, I‑9375, Randnr. 18), und vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband (C‑322/01, Slg. 2003, I‑14887, Randnr. 64).
10 – Vgl. Nr. 24 meiner in Fn. 9 angeführten Schlussanträge.
11 – Vgl. Randnrn. 22 und 23 des Urteils Dynamic Medien (angeführt in Fn. 8).
12 – ABl. L 169, S. 1.
13 – Urteil Dynamic Medien (angeführt in Fn. 8, Randnr. 23).
14 – Urteile vom 24. März 1994, Schindler (C‑275/92, Slg. 1994, I‑1039, Randnr. 22), vom 25. März 2004, Karner (C‑71/02, Slg. 2004, I‑3025, Randnr. 46), und vom 26. Mai 2005, Burmanjer u. a. (C‑20/03, Slg. 2005, I‑4133, Randnr. 35).
15 – Urteil vom 25. Mai 1993 (C‑271/92, Slg. 1993, I‑2899, Randnr. 11).
16 – Urteil vom 23. Februar 2006 (C‑491/04, Slg. 2006, I‑2129, Randnr. 35).
17 – Vgl. Randnr. 34 der schriftlichen Erklärungen der Ungarischen Republik.
18 – Vgl. Urteil Dynamic Medien (angeführt in Fn. 8, Randnrn. 26 ff.).
19 – Urteil Deutscher Apothekerverband (angeführt in Fn. 9, Randnrn. 64 ff.).
20 – Im Sinne insbesondere der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral, „Cassis de Dijon“, 120/78, Slg. 1979, 649, und Keck und Mithouard, angeführt in Fn. 3, Randnr. 15).
21 – Angeführt in Fn. 3, Randnr. 16.
22 – Urteil Deutscher Apothekerverband (angeführt in Fn. 3, Randnr. 74).
23 – Urteil LPO (angeführt in Fn. 15, Randnr. 8).
24 – Urteile vom 7. März 1989, Schumacher (215/87, Slg. 1989, 617, Randnr. 17), vom 16. April 1991, Eurim-Pharm (C‑347/89, Slg. 1991, I‑1747, Randnr. 26), vom 8. April 1992, Kommission/Deutschland (C‑62/90, Slg. 1992, I‑2575, Randnr. 10), vom 10. November 1994, Ortscheit (C‑320/93, Slg. 1994, I‑5243, Randnr. 16), Deutscher Apothekerverband (angeführt in Fn. 9, Randnr. 103), vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland (C‑141/07, Slg. 2008, I‑6935, Randnr. 46), und vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a. (C‑171/07 und C‑172/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 19).
25 – Urteil Apothekerkammer des Saarlandes u. a. (angeführt in Fn. 24, Randnrn. 18 und 19).
26 – Urteil vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland (angeführt in Fn. 24, Randnr. 51).
27 – Urteile vom 1. Februar 2001, Mac Quen u. a. (C‑108/96, Slg. 2001, I‑837, Randnr. 24), und vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland (angeführt in Fn. 24, Randnr. 23).
28 – Vgl. Randnr. 46 der schriftlichen Erklärungen der ungarischen Regierung.
29 – Urteil Deutscher Apothekerverband (angeführt in Fn. 9, Randnr. 119).
30 – Urteil des Gerichtshofs vom 21. April 2005, Kommission/Griechenland (C‑140/03, Slg. 2005, I‑3177, Randnr. 35).
31 – Urteil Apothekerkammer des Saarlandes u. a. (angeführt in Fn. 24, Randnr. 60).
32 – Diese Fallgestaltung ist seinerzeit dem Gerichtshof in der Rechtssache vorgelegt worden, in der das Urteil Deutscher Apothekerverband (angeführt in Fn. 9) ergangen ist.