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Document 62008TJ0199
Judgment of the General Court (Eighth Chamber) of 16 June 2011.#Ziegler SA v European Commission.#Competition - Cartels - International removal services market in Belgium - Decision finding an infringement of Article 81 EC - Price-fixing - Market-sharing - Bid rigging - Appreciable effect on trade - Fines - 2006 Guidelines on the method of setting fines.#Case T-199/08.
Urteil des Gerichts (Achte Kammer) vom 16. Juni 2011.
Ziegler SA gegen Europäische Kommission.
Wettbewerb - Kartelle - Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien - Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird - Preisfestsetzung - Marktaufteilung - Manipulation von Ausschreibungen - Spürbare Beeinträchtigung des Handels - Geldbußen - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006.
Rechtssache T-199/08.
Urteil des Gerichts (Achte Kammer) vom 16. Juni 2011.
Ziegler SA gegen Europäische Kommission.
Wettbewerb - Kartelle - Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien - Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird - Preisfestsetzung - Marktaufteilung - Manipulation von Ausschreibungen - Spürbare Beeinträchtigung des Handels - Geldbußen - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006.
Rechtssache T-199/08.
Sammlung der Rechtsprechung 2011 II-03507
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2011:285
Rechtssache T‑199/08
Ziegler SA
gegen
Europäische Kommission
„Wettbewerb – Kartelle – Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung – Marktaufteilung – Manipulation von Ausschreibungen – Spürbare Beeinträchtigung des Handels – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006“
Leitsätze des Urteils
1. Wettbewerb – Kartelle – Abgrenzung des Marktes – Zweck
(Art. 81 EG; Mitteilung 2004/C 101/07 der Kommission)
2. Handlungen der Organe – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels – Verbindlicher Rechtsakt
(Mitteilung 2004/C 101/07 der Kommission)
3. Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Begründungspflicht – Umfang
(Art. 253 EG; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission)
4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht –Umfang
5. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilung anhand der Art der Zuwiderhandlung
(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 19 und 21 bis 23)
6. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Mildernde Umstände – Abstellen der Zuwiderhandlung vor Tätigwerden der Kommission – Ausschluss
(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29 erster Gedankenstrich)
7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Mildernde Umstände – Genehmigung oder Ermutigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens durch die Behörden
(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29 letzter Gedankenstrich)
8. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Herabsetzung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten – Voraussetzungen
(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 35)
1. Art. 81 Abs. 1 EG ist nicht anwendbar, wenn die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels oder des Wettbewerbs durch das Kartell nicht „spürbar“ ist. Eine Vereinbarung fällt nämlich nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie den Wettbewerb nur geringfügig einschränkt und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nur geringfügig beeinträchtigt. Folglich ist die Kommission verpflichtet, in einer Entscheidung nach Art. 81 EG eine Marktabgrenzung vorzunehmen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt.
Wäre nämlich jede grenzüberschreitende Transaktion automatisch geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, würde der Begriff der Spürbarkeit seines Inhalts entleert, obwohl er ein Tatbestandsmerkmal des Art. 81 Abs. 1 EG ist. Selbst im Fall einer bezweckten Zuwiderhandlung ist es erforderlich, dass die Zuwiderhandlung den innergemeinschaftlichen Handel spürbar beeinträchtigen kann. Dies ergibt sich aus den Leitlinien über den in den Art. 81 EG und 82 EG angeführten Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, da die positive Vermutung in Ziff. 53 dieser Leitlinien nur auf die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen anwendbar ist, die ihrem Wesen nach geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dass ein Unternehmen das Vorliegen des Kartells nicht bestritten hat, bedeutet nicht notwendig, dass es damit auch eine spürbare Beeinträchtigung des Handels durch dieses Kartell einräumt. Da die Kommission jedoch rechtlich hinreichend dargetan hat, dass die zweite alternative Voraussetzung für ein Eingreifen der Vermutung der Ziff. 53 der genannten Leitlinien erfüllt war, indem sie insbesondere den relevanten Sektor einschließlich des Angebots, der Nachfrage und der geografischen Reichweite hinreichend detailliert beschrieben hat, hat sie die betreffenden Dienste und den Markt präzise bestimmt. Eine solche Beschreibung des Sektors kann ausreichend sein, sofern sie so detailliert ist, dass das Gericht die Grundannahmen der Kommission überprüfen kann, und sofern der kumulierte Marktanteil auf dieser Grundlage den Schwellenwert von 5 % offensichtlich weit überschreitet. Unter diesen Umständen kann sich die Kommission ausnahmsweise auf die zweite alternative Voraussetzung der Ziff. 53 dieser Leitlinien stützen, ohne ausdrücklich eine Marktabgrenzung im Sinne der Ziff. 55 der Leitlinien vorzunehmen.
Es reicht nämlich im Rahmen der positiven Vermutung der Ziff. 53 dieser Leitlinien für den Nachweis der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus, dass eine der beiden alternativen Voraussetzungen erfüllt ist.
(vgl. Randnrn. 44-45, 50, 53, 69-70, 72-73)
2. Indem die Kommission die Verhaltensnormen in Form der Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag erlassen und durch ihre Veröffentlichung angekündigt hat, dass sie sie von nun an auf die von diesen Normen erfassten Fälle anwenden werde, hat sie die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde.
(vgl. Randnr. 67)
3. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 haben zu einer grundlegenden Änderung der Berechnungsmethode für Geldbußen geführt. Insbesondere wurde die Einteilung der Zuwiderhandlungen in drei Kategorien („minder schwer“, „schwer“ und „sehr schwer“) aufgegeben und eine Bandbreite von 0 % bis 30 % eingeführt, um eine feinere Abstufung zu ermöglichen. Zudem wird zur Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße seitdem „ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet, mit der Anzahl der Jahre der Zuwiderhandlung multipliziert“ (Ziff. 19 dieser Leitlinien). Grundsätzlich „kann ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden“ (Ziff. 21). Für horizontale Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung der Märkte oder Einschränkung der Erzeugung, die „ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Verstößen“ gehören, ist grundsätzlich „ein Betrag am oberen Ende dieser Bandbreite“ anzusetzen (Ziff. 23).
Unter diesen Umständen kann sich die Kommission grundsätzlich nicht mehr damit begnügen, nur die Einordnung einer Zuwiderhandlung als „sehr schwerwiegend“ und nicht die Wahl des zugrunde gelegten Umsatzanteils zu begründen. Die Pflicht zur Lieferung einer Begründung, die dem Betroffenen ermöglicht, ihr die Gründe für den Erlass der Maßnahme zu entnehmen, und dem Gericht, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen, ist nämlich die logische Konsequenz des der Kommission im Geldbußenbereich eingeräumten Ermessens.
Da die Kommission den Anteil auf kaum mehr als die Hälfte dieser Bandbreite, nämlich auf 17 %, festgesetzt und dies nur mit dem „sehr schwerwiegenden“ Charakter der Zuwiderhandlung begründet, aber nicht näher erläutert hat, wie sie die Einordnung der Zuwiderhandlung als „sehr schwerwiegend“ dazu veranlasst hat, den Satz auf 17 % festzusetzen und nicht deutlich mehr „am oberen Ende [der] Bandbreite“, kann diese Begründung kann nur dann genügen, wenn die Kommission einen Satz wählt, der sich nahe an der unteren Grenze der für die schwerwiegendsten Verstöße vorgesehenen Marge bewegt und der darüber hinaus für das Unternehmen sehr günstig ausfällt. In diesem Fall nämlich ist eine zusätzliche Begründung, die über die schon in den Leitlinien enthaltene Begründung hinausgeht, nicht erforderlich. Hätte die Kommission einen höheren Satz anwenden wollen, hätte sie dagegen eine ausführlichere Begründung liefern müssen.
(vgl. Randnrn. 91-93)
4. Allein durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte hat ein einzelnes betroffenes Unternehmen kaum die Möglichkeit, zu überprüfen, ob die für den Nachweis der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten herangezogenen Umsätze und die konsolidierten Marktanteile aller Kartellteilnehmer die Schwellenwerte von 40 Millionen Euro oder 5 % überschreiten. Jedes einzelne Unternehmen kann mit Gewissheit nur seine eigenen Zahlen beanstanden. Um die Marktgröße und die Marktanteile der anderen betroffenen Unternehmen bestreiten und das eigene Vorbringen zu diesen Zahlen entwickeln zu können, ist es daher unerlässlich, die Aufschlüsselung der Umsätze der anderen Unternehmen zu kennen; ohne diese Kenntnis ist das betreffende Unternehmen nicht in der Lage, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen.
(vgl. Randnr. 118)
5. Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ist insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen. Die Schwere der Zuwiderhandlung kann anhand der Art und des Zwecks der missbräuchlichen Verhaltensweisen festgestellt werden. Gesichtspunkte, die den Gegenstand eines Verhaltens betreffen, können somit für die Festsetzung der Geldbuße größere Bedeutung haben als Gesichtspunkte, die die Wirkungen des Verhaltens betreffen.
Eine Zuwiderhandlung, die in einer Preisfestsetzung und einer Marktaufteilung besteht, wiegt ihrer Art nach besonders schwer.
Außerdem sieht Ziff. 20 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich vor, dass die „Schwere der Zuwiderhandlung … in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände beurteilt [wird]“. Mit diesen Leitlinien wurde eine Bandbreite von 0 % bis 30 % eingeführt, um eine feinere Abstufung zu ermöglichen. So muss nach Ziff. 19 dieser Leitlinien der Grundbetrag der Geldbuße „ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet“, sein. Nach Ziff. 21 der Leitlinien „kann [grundsätzlich] ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden“.
Die Kommission kann daher von dem Wertungsspielraum, über den sie bei der Verhängung von Geldbußen verfügt, nicht Gebrauch machen und somit die genaue Höhe zwischen 0 % und 30 % nicht festsetzen, ohne die besonderen Umstände der Sache zu berücksichtigen. Ziff. 22 der genannten Leitlinien sieht vor, dass die Kommission „[b]ei der Bestimmung der genauen Höhe innerhalb dieser Bandbreite … mehrere Umstände [berücksichtigt], u. a. die Art der Zuwiderhandlung, den kumulierten Marktanteil sämtlicher beteiligten Unternehmen, den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die etwaige Umsetzung der Zuwiderhandlung in der Praxis“.
Diese Schwierigkeit der Ermittlung eines genauen Satzes ist bis zu einem gewissen Grad geringer bei geheimen horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen und zur Aufteilung der Märkte, für die nach Ziff. 23 der der genannten Leitlinien grundsätzlich ein Betrag „am oberen Ende der Bandbreite“ anzusetzen ist. Aus dieser Ziffer ergibt sich, dass der Satz für die schwerwiegendsten Verstöße mindestens oberhalb von 15 % liegen muss.
Die Entscheidung der Kommission, mit der diese den Satz von 17 % allein auf die wesensmäßige Schwere der Zuwiderhandlung gestützt hat, ist daher nicht für nichtig zu erklären. Begnügt sich die Kommission damit, einen Satz anzuwenden, der dem für die schwerwiegendsten Verstöße vorgesehenen Mindestsatz entspricht oder fast entspricht, erübrigt sich nämlich die Berücksichtigung zusätzlicher Gesichtspunkte oder Umstände. Dies wäre nur dann geboten, wenn ein höherer Satz festzulegen wäre.
(vgl. Randnrn. 136-137, 139-142)
6. Die Beendigung der rechtswidrigen Verhaltensweisen ist dann kein mildernder Umstand, der eine Ermäßigung der Geldbuße rechtfertigen würde, wenn das betreffende Unternehmen seine Beteiligung an der Zuwiderhandlung erst einige Tage vor den Kontrollen der Kommission eingestellt hat.
Ziff. 29 erster Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 sieht vor, dass zwar der Grundbetrag der Geldbuße verringert werden kann, wenn das Unternehmen die Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission nachweist, doch gilt dies nicht „im Falle geheimer Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (insbesondere von Kartellen)“. Zudem wird dieser mildernde Umstand nur in den Fällen gewährt, in denen der Verstoß nach dem ersten Eingreifen der Kommission beendet wird.
(vgl. Randnrn. 151-152)
7. Auch wenn Tatsachen, die einer Person bekannt sind, die für die Kommission arbeitet, dieser als Organ zugerechnet werden könnten, schließt die Kenntnis des wettbewerbswidrigen Verhaltens allein nicht die stillschweigende „Genehmigung oder Ermutigung“ dieses Verhaltens durch die Kommission im Sinne von Ziff. 29 letzter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 ein. Ein mutmaßliches Unterlassen kann nämlich nicht mit einem positiven Tun wie einer Genehmigung oder Ermutigung gleichgesetzt werden. Auch kann sich ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer nicht auf guten Glauben an die Rechtmäßigkeit dieses Verhaltens berufen, wenn der Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln so offenkundig ist.
(vgl. Randnrn. 157-158)
8. Für eine außerordentliche Ermäßigung der Geldbuße wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten nach Ziff. 35 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 müssen neben einem Antrag zwei kumulative Voraussetzungen vorliegen, nämlich erstens die unüberwindliche Schwierigkeit, die Geldbuße zu zahlen, und zweitens ein „[besonderes] soziales und ökonomisches Umfeld“.
Die Beurteilung der ersten Voraussetzung muss auf die Berücksichtigung der konkreten Situation des betreffenden Unternehmens abstellen. Eine bloße Berechnung, welchen Anteil die Geldbuße an dem weltweiten Umsatz des Unternehmens ausmacht, kann allein nicht den Schluss begründen, dass die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit dieses Unternehmens durch die Geldbuße nicht unwiderruflich gefährdet sei. Wäre dies der Fall, wäre es möglich, konkrete Schwellenwerte für die Anwendung der Ziff. 35 dieser Leitlinien festzulegen.
(vgl. Randnrn. 165, 167)
URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)
16. Juni 2011(*)
„Wettbewerb – Kartelle – Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung – Marktaufteilung – Manipulation von Ausschreibungen – Spürbare Beeinträchtigung des Handels – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006“
In der Rechtssache T‑199/08
Ziegler SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J.‑L. Lodomez und J. Lodomez,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission, zunächst vertreten durch A. Bouquet und O. Beynet, dann durch A. Bouquet und N. von Lingen als Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C (2008) 926 final der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38.543 – Internationale Umzugsdienste) und, hilfsweise, Aufhebung oder Ermäßigung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters S. Papasavvas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten sowie der Richter N. Wahl und A. Dittrich (Berichterstatter),
Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2010
folgendes
Urteil
Sachverhalt
A – Gegenstand des Rechtsstreits
1 Nach der Entscheidung C (2008) 926 final der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.543 – Internationale Umzugsdienste) (im Folgenden: Entscheidung), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 11. August 2009 (ABl. C 188, S. 16) veröffentlicht wurde, beteiligte sich die Klägerin, die Ziegler SA, an einem auf dem Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien bestehenden Kartell zur unmittelbaren und mittelbaren Preisfestsetzung, zur Marktaufteilung und zur Manipulation des Verfahrens zur Einreichung von Angeboten. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften führt aus, dass das Kartell fast 19 Jahre lang bestanden habe (von Oktober 1984 bis September 2003). Die Teilnehmer hätten Preise festgesetzt, den Kunden fiktive Kostenvoranschläge (sogenannte Schutzangebote) vorgelegt und sich untereinander über ein System von Abstandszahlungen (im Folgenden: Provisionen) für abgelehnte Angebote entschädigt.
B – Klägerin
2 Die Klägerin wurde 1908 unter dem Namen Transports internationaux, Ziegler et Cie gegründet. Seit 1981 firmiert sie unter dem Namen Ziegler und nahm 1983 die Rechtsform einer Aktiengesellschaft an. Bis Dezember 2003 war die Umzugstätigkeit eine Abteilung der Klägerin. Am 11. Dezember 2003 wurde die Abteilung „Umzüge“ von Ziegler auf die Gesellschaft Euro Time übertragen, die zur Ziegler-Gruppe gehört und deren Name in Ziegler Relocation SA geändert wurde.
3 Ziegler ist ein Familienunternehmen, das natürlichen Personen, die alle Nachkommen der Unternehmensgründer sind, und zwei Holdinggesellschaften gehört, die ebenfalls Verbindungen zur Familie Ziegler haben.
4 In dem am 31. Dezember 2006 abgeschlossenen Geschäftsjahr erwirtschaftete Ziegler einen eigenen Umsatz von 124 Millionen Euro und mit ihren Tochterunternehmen einen konsolidierten Umsatz von 244 420 326 Euro. Auf ihrer Internetseite beschreibt sie sich als eine Holdinggesellschaft, die ein großes europäisches Logistiknetz betreibe (als „Gruppe“ bezeichnet), über 1,5 Milliarden Euro Umsatz erziele und über 4 000 Mitarbeiter beschäftige.
C – Verwaltungsverfahren
5 Der Entscheidung zufolge leitete die Kommission das Verfahren auf eigene Initiative ein, da sie über Informationen verfügte, die darauf hinwiesen, dass sich einige im Sektor für internationale Umzüge tätige belgische Gesellschaften an Vereinbarungen beteiligten, die geeignet waren, unter das Verbot des Art. 81 EG zu fallen.
6 Daher wurden auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. Nr. 13, S. 204), im September 2003 bei Allied Arthur Pierre NV, Interdean NV, Transworld International NV und Ziegler unangemeldete Nachprüfungen durchgeführt. Im Anschluss an diese Nachprüfungen beantragte Allied Arthur Pierre den Erlass oder die Ermäßigung ihrer Geldbuße gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über die Zusammenarbeit von 2002). Allied Arthur Pierre räumte ihre Beteiligung an Provisions‑ und Schutzangebotsvereinbarungen ein, benannte die beteiligten Wettbewerber, insbesondere einen den Dienststellen der Kommission vorher nicht bekannten Beteiligten, und legte Dokumente vor, die ihre mündlichen Angaben bestätigten.
7 Die an den wettbewerbswidrigen Vereinbarungen beteiligten Unternehmen, die Wettbewerber und ein Berufsverband wurden gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) schriftlich ersucht, Auskünfte zu erteilen. Am 18. Oktober 2006 erging die Mitteilung der Beschwerdepunkte und wurde mehreren Gesellschaften übermittelt. Alle Adressaten antworteten auf diese Mitteilung. Ihre Vertreter, mit Ausnahme derjenigen der Amertranseuro International Holdings Ltd, der Stichting Administratiekantoor Portielje, der Team Relocations Ltd und der Trans Euro Ltd, machten ihr Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Kommissionsakte geltend, die lediglich in den Diensträumen der Kommission einsehbar waren. Der Zugang wurde ihnen vom 6. bis 29. November 2006 gewährt. Die mündliche Anhörung fand am 22. März 2007 statt.
8 Am 6. Juli 2007 legte Allied Arthur Pierre weitere Beweise für die Schutzangebots‑ und Provisionsvereinbarungen vor, die sie selbst, Interdean und Ziegler seit 1988 betrafen. Am 23. August 2007 wurde allen Beteiligten in einem „Sachverhaltsschreiben“ mitgeteilt, dass die Kommission beabsichtige, diese Beweise gegen Allied Arthur Pierre, Interdean und Ziegler zu verwenden. Die Kommission übersandte allen Beteiligten Kopien dieser Beweise als Anlage zum Sachverhaltsschreiben. Die Beteiligten bekamen Gelegenheit zur Stellungnahme.
9 Am 11. März 2008 erließ die Kommission die Entscheidung.
D – Entscheidung
10 Die Kommission stellt fest, dass die Adressaten der Entscheidung, darunter die Klägerin, an einem Kartell im Sektor für internationale Umzugsdienste in Belgien beteiligt gewesen seien oder dafür haftbar gemacht würden. Die Kartellteilnehmer hätten mindestens von 1984 bis 2003 Preise festgesetzt, Kunden untereinander aufgeteilt und die Einreichung von Angeboten manipuliert. Damit hätten sie eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG begangen.
11 Die betreffenden Dienstleistungen würden sowohl für natürliche Personen – Privatpersonen oder Mitarbeiter von Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen – als auch für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen erbracht. Dabei bilde Belgien entweder den Ausgangs- oder den Zielort der Umzüge. Da zudem die fraglichen internationalen Umzugsunternehmen alle ihren Sitz in Belgien hätten und das Kartell seine Tätigkeit in Belgien entfalte, sei Belgien als das geografische Zentrum des Kartells anzusehen.
12 Die mit internationalen Umzugsdiensten in Belgien erzielten kumulierten Umsätze aller Kartellteilnehmer schätzte die Kommission für 2002 auf 41 Millionen Euro. Da sie die Größe des Sektors auf ungefähr 83 Millionen Euro schätzte, setzte sie den kumulierten Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf etwa 50 % fest.
13 Nach Ansicht der Kommission war das Kartell u. a. darauf gerichtet, erhöhte Preise zu etablieren und aufrechtzuerhalten und den Markt gleichzeitig oder nachfolgend untereinander aufzuteilen, und zwar in verschiedenen Formen: Preisvereinbarungen, Vereinbarungen über die Marktaufteilung mittels eines Systems fiktiver Kostenvoranschläge (Schutzangebote) und Vereinbarungen über ein System von Abstandszahlungen für abgelehnte oder unterlassene Angebote (Provisionen).
14 Von 1984 bis Anfang der 90er Jahre habe das Kartell insbesondere auf der Grundlage von schriftlichen Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen funktioniert. Parallel dazu seien die Provisionen und Schutzangebote eingeführt worden. Eine Provision sei ein versteckter Bestandteil des Endpreises, den der Verbraucher habe zahlen müssen, ohne eine entsprechende Leistung zu erhalten. Es handele sich nämlich um einen Geldbetrag, den das Umzugsunternehmen, das den Vertrag über einen internationalen Umzug erhalten habe, den Wettbewerbern geschuldet habe, die den Vertrag nicht erhalten hätten, gleichviel, ob diese ebenfalls ein Angebot abgegeben hätten oder nicht. Es handele sich also um eine Art finanzieller Entschädigung für die Umzugsunternehmen, die den Vertrag nicht erhalten hätten. Die Kartellmitglieder hätten sich gegenseitig Rechnungen über die Provisionen für die abgelehnten oder nicht abgegebenen Angebote ausgestellt, dabei fiktive Leistungen aufgeführt und den Kunden den Betrag dieser Provisionen in Rechnung gestellt. Diese Praxis sei als eine mittelbare Festsetzung der Preise für internationale Umzugsdienste in Belgien anzusehen.
15 Die Kartellmitglieder hätten ferner zusammengearbeitet, um Schutzangebote abzugeben, die den Kunden, d. h. den Arbeitgebern, die den Umzug bezahlt hätten, den irrigen Eindruck vermittelt hätten, sie könnten anhand von wettbewerbsbasierten Kriterien eine Wahl treffen. Bei einem Schutzangebot handele es sich um einen fiktiven Kostenvoranschlag, den ein Umzugsunternehmen einem Kunden oder dem Umziehenden vorgelegt habe, ohne die Absicht zu haben, den Umzug durchzuführen. Für die Abgabe von Schutzangeboten habe das Umzugsunternehmen, das den Vertrag habe abschließen wollen (im Folgenden: anforderndes Unternehmen) dafür gesorgt, dass die Einrichtung oder das Unternehmen mehrere Kostenvoranschläge erhalten habe, entweder unmittelbar oder über die Person, die habe umziehen wollen. Dafür habe das anfordernde Unternehmen seinen Wettbewerbern den Preis, den Versicherungstarif und die Einlagerungskosten mitgeteilt, die sie für die Leistung in Rechnung stellen sollten. Dieser im Vergleich zu dem des anfordernden Unternehmens höhere Preis sei dann in den Schutzangeboten angegeben worden. Da ein Arbeitgeber gewöhnlich das Umzugsunternehmen wähle, das das günstigste Angebot abgebe, hätten die für denselben internationalen Umzug bietenden Unternehmen grundsätzlich im Voraus gewusst, wer von ihnen den Vertrag für diesen Umzug erhalten werde.
16 Nach Auffassung der Kommission konnte der von dem anfordernden Unternehmen verlangte Preis zudem höher sein, als er es sonst gewesen wäre, weil die anderen für denselben Umzug bietenden Unternehmen Schutzangebote abgegeben hätten, in denen der vom anfordernden Unternehmen vorgegebene Preis genannt gewesen sei. Als Beispiel führt die Kommission im 233. Erwägungsgrund der Entscheidung eine interne E-Mail von Allied Arthur Pierre vom 11. Juli 1997 an, in der es heißt: „[D]er Kunde hat zwei [Schutzangebote] angefordert, wir können also einen höheren Preis verlangen.“ Die Kommission ist daher der Meinung, dass die Abgabe von Schutzangeboten gegenüber Kunden eine Manipulation des Verfahrens zur Einreichung von Angeboten dargestellt habe, so dass die Preise in allen Angeboten absichtlich höher gewesen seien als der Preis des anfordernden Unternehmens und jedenfalls höher, als sie es in einem Umfeld mit funktionierendem Wettbewerb gewesen wären.
17 Solche Absprachen seien bis 2003 getroffen worden. Diese komplexen Tätigkeiten hätten dasselbe Ziel gehabt, nämlich die Preise festzusetzen und den Markt aufzuteilen und damit den Wettbewerb zu verfälschen.
18 Im Ergebnis stellte die Kommission in Art. 1 des verfügenden Teils der Entscheidung fest:
„Die folgenden Unternehmen haben gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] verstoßen, indem sie während der nachstehenden Zeiträume unmittelbar und mittelbar Preise für Auslandsumzüge von und nach Belgien festsetzten, den Markt teilweise untereinander aufteilten und das Verfahren zur Einreichung von Angeboten manipulierten:
…
j) [Ziegler] vom 4. Oktober 1984 bis 8. September 2003.“
19 Die Kommission verhängte deshalb in Art. 2 Buchst. l der Entscheidung gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 9,2 Millionen Euro.
20 Für die Berechnung der Höhe der Geldbußen bediente sich die Kommission in der Entscheidung der Methode, die in ihren Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) dargestellt ist.
21 Am 24. Juli 2009 erließ die Kommission die Entscheidung C (2009) 5810 final, mit der die Entscheidung hinsichtlich der Umsätze von zwei anderen ihrer Adressaten geändert wurde.
Verfahren und Anträge der Parteien
22 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 3. Juni 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
23 Mit Beschluss vom 15. Januar 2009, Ziegler/Kommission (T‑199/08 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), hat der Präsident des Gerichts den Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Vollzugs des Art. 2 Buchst. l der Entscheidung zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 30. April 2010, Ziegler/Kommission (C‑113/09 P[R], Slg. 2010, I‑0000), hat der Präsident des Gerichtshofs das Rechtsmittel der Klägerin gegen diesen Beschluss zurückgewiesen.
24 Das Gericht (Achte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und der Kommission einige Fragen zu stellen sowie ihr aufzugeben, bestimmte Dokumente vorzulegen; beidem ist die Kommission innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen. Das Gericht hat der Kommission überdies mit Beschluss vom 9. März 2010 aufgegeben, die vertrauliche Fassung der Entscheidung vorzulegen. Der Klägerin wurde dieses Dokument nicht übermittelt. Da das Gericht nach Prüfung der vertraulichen Passagen zu dem Schluss gekommen ist, dass es keine Informationen enthält, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sind, hat es beschlossen, es nicht zu den Akten zu nehmen, und hat es der Kommission zurückgegeben.
25 Die Parteien haben in der Sitzung vom 27. April 2010 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
26 Die Klägerin beantragt,
– die Entscheidung für nichtig zu erklären;
– hilfsweise, die verhängte Geldbuße aufzuheben;
– äußerst hilfsweise, die Geldbuße erheblich zu ermäßigen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
27 Die Klägerin beantragt außerdem, vor der Entscheidung in der Sache die Einreichung der vollständigen Verwaltungsakte bei der Kanzlei des Gerichts anzuordnen.
28 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
29 Die Klägerin führt fünf Klagegründe für die Nichtigerklärung der Entscheidung und hilfsweise vier Klagegründe für die Aufhebung oder Ermäßigung der Geldbuße an.
A – Klagegründe für die Nichtigerklärung der Entscheidung
1. Zum ersten Klagegrund: offensichtliche Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 1 EG
a) Vorbringen der Parteien
30 Die Klägerin macht erstens geltend, dass die Kommission den Markt zu eng abgegrenzt habe. Die „internationalen Umzugsdienste von und nach Belgien“ seien auf der Nachfrageseite nicht mit „internationalen Umzugsdiensten“ austauschbar, auf der Angebotsseite liege hingegen Austauschbarkeit vor. Die Kommission könne daher den Markt nicht auf Unternehmen beschränken, die „internationale Umzugsdienste von und nach Belgien“ anböten, sondern hätte auf alle Unternehmen abstellen müssen, die „internationale Umzugsdienste“ anböten, unabhängig von ihrem Standort. Die große Zahl ausländischer Unternehmen auf dem belgischen Markt zeige, dass der räumlich relevante Markt nicht auf Belgien beschränkt werden könne.
31 Die Klägerin wirft der Kommission zweitens vor, den Umsatz der auf dem Markt tätigen Unternehmen und damit die Größe des Marktes zu hoch eingeschätzt zu haben. Für eine korrekte Erfassung der von den im Sektor für internationale Umzüge tätigen Unternehmen erzielten Umsätze sei es erforderlich, zwischen dem als Subunternehmer bei einem internationalen Umzug erzielten Umsatz und dem Umsatz zu unterscheiden, der als Unternehmen erzielt werde, das bei einem internationalen Umzug federführend sei. Lediglich der Umsatz mit internationalen Umzügen, bei denen ein Unternehmen als „federführendes Unternehmen“ aufgetreten sei, dürfe für die Bestimmung der Umsätze der betreffenden Unternehmen, des Gesamtvolumens des Marktes und des Marktanteils dieser Unternehmen herangezogen werden. Die Kommission habe dieses Argument bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigt und diesen Teil der Umsätze abgezogen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass sich ihr Umsatz 2002 deshalb auf 2 897 000 Euro statt 4 114 500 Euro belaufen habe.
32 Drittens vertritt die Klägerin die Auffassung, die Kommission habe aus diesen Gründen den Beweis für die spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nicht erbracht, da der Schwellenwert der „De-minimis-Bekanntmachung“ von 40 Millionen Euro nicht erreicht gewesen sei. Mehrere Unternehmen hätten erklärt, sie hätten annähernde Schätzungen abgegeben, und um denselben Betrag nicht doppelt in die Schätzung einfließen zu lassen, müsse von dem angegebenen Betrag der als Subunternehmer erwirtschaftete abgezogen werden. In ihrer Erwiderung fügt die Klägerin hinzu, dass der Schwellenwert von 5 % für die Summe der Marktanteile der betreffenden Unternehmen ebenfalls nicht erreicht gewesen sei. Jedenfalls genügten die Behauptungen in dieser Bekanntmachung nicht für den Nachweis einer spürbaren Beeinträchtigung des Handels.
33 Nach Ansicht der Kommission hat das Kartell eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt. Daher sei eine Abgrenzung des relevanten Marktes – die sie nicht vorgenommen habe – nicht erforderlich, und das dahin gehende Vorbringen der Klägerin gehe ins Leere. Das die Marktabgrenzung betreffende Argument gehe auch deshalb ins Leere, weil selbst dann, wenn eine Marktabgrenzung erforderlich gewesen wäre und sie weiter ausgefallen wäre, dies nicht zur Nichtigerklärung der Entscheidung führen könne, da das Bestehen des Kartells von der Klägerin nicht bestritten werde.
34 Vorsorglich macht die Kommission auch die Unbegründetheit des Vorbringens der Klägerin geltend. Dass ausländische Marktteilnehmer mit belgischen Unternehmen bei Umzügen von oder nach Belgien in Wettbewerb treten könnten und auf diesem Markt viele ausländische Unternehmen präsent seien, widerspreche nicht ihrer tatsächlichen Feststellung, dass Belgien das geografische Zentrum des Kartells gewesen sei.
35 Zur Größe des Marktes macht die Kommission geltend, für den Fall, dass sich das Vorbringen der Klägerin auf die Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 [EG] nicht spürbar beschränken (de minimis) (ABl. 2001, C 368, S. 13), beziehe, gehe es ins Leere, da schwerwiegende Beschränkungen wie die Preisfestsetzung und die Marktaufteilung ungeachtet der Marktanteile der betreffenden Unternehmen stets verboten seien.
36 Für den Fall, dass sich die Klägerin auf die Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] (ABl. 2004, C 101, S. 81, im Folgenden: Leitlinien von 2004) beziehe, sei ihr Vorbringen ebenfalls unbegründet oder gehe ins Leere. Die negative Vermutung der Ziff. 52 der Leitlinien von 2004 habe zwei kumulative Voraussetzungen, nämlich einen Umsatz von weniger als 40 Millionen Euro und einen Marktanteil von weniger als 5 %. Die Kommission habe keine der beiden Voraussetzungen als erfüllt angesehen. Zudem gelte für die positive Vermutung der Ziff. 53 der Leitlinien von 2004 hinsichtlich einer Vereinbarung, die ihrem Wesen nach geeignet sei, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, dass die Erfüllung einer der beiden alternativen Voraussetzungen ausreichend sei.
37 Im Stadium der Gegenerwiderung fügt die Kommission hinzu, dass sie die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten auch auf den grenzüberschreitenden Charakter der Umzüge gestützt habe, und dass das in der Erwiderung vorgebrachte Argument, der Schwellenwert von 5 % sei im vorliegenden Fall nicht erreicht gewesen, unzulässig sei.
38 Die Kommission bestätigt ferner, dass die als Subunternehmer erzielten Umsätze in die Ermittlung des wirtschaftlichen Werts des Sektors eingeflossen seien. Sie habe sich für die Ermittlung der Sektorgröße zweier Methoden bedient, die beide einen Wert von 83 Millionen Euro und damit einen kumulierten Marktanteil von 50 % ergeben hätten. Bei der Berechnung der Umsätze, die als Grundlage für die Berechnung der Geldbußen dienten, habe sie sich damit einverstanden erklärt, die als Subunternehmer erzielten Umsätze bei allen Teilnehmern außer Acht zu lassen.
b) Würdigung durch das Gericht
39 Der erste Klagegrund besteht aus drei Teilen, die zusammen zu prüfen sind, weil sie eng miteinander zusammenhängen. Der erste Teil betrifft nämlich die Abgrenzung und der zweite die Größe des Marktes sowie die Marktanteile der betreffenden Unternehmen. Auf dieser Grundlage wendet sich die Klägerin mit dem dritten Teil gegen die Feststellung der Kommission, es liege eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten vor.
40 Zunächst ist das Argument der Kommission zu prüfen, die Rügen einer fehlerhaften Marktabgrenzung und einer fehlerhaften Ermittlung der Marktgröße und der Marktanteile der betreffenden Unternehmen gingen ins Leere.
Vorbemerkungen
41 Die Kommission macht geltend, dass nach der Rechtsprechung die Abgrenzung des relevanten Marktes bei offenkundigen Wettbewerbsbeschränkungen nicht erforderlich sei. Da das Kartell im vorliegenden Fall tatsächlich offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt habe, sei eine Abgrenzung des relevanten Marktes nicht erforderlich gewesen, so dass das Vorbringen der Klägerin ins Leere gehe.
42 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
43 Zwar braucht die Kommission für die Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EG die tatsächlichen wettbewerbswidrigen Auswirkungen von Vereinbarungen und Verhaltensweisen nicht nachzuweisen, wenn diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken (Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322, 390 f., und Urteil des Gerichts vom 6. April 1995, Ferriere Nord/Kommission, T‑143/89, Slg. 1995, II‑917, Randnr. 30, bestätigt durch das Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 1997, Ferriere Nord/Kommission, C‑219/95 P, Slg. 1997, I‑4411, Randnrn. 12 bis 15).
44 Doch ist Art. 81 Abs. 1 EG nach gefestigter Rechtsprechung nicht anwendbar, wenn die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels oder des Wettbewerbs durch das Kartell nicht „spürbar“ ist. Eine Vereinbarung fällt nämlich nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie den Wettbewerb nur geringfügig einschränkt und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nur geringfügig beeinträchtigt (Urteile des Gerichtshofs vom 30. Juni 1966, LTM, 56/65, Slg. 1966, 282, 303 f., vom 9. Juli 1969, Völk, 5/69, Slg. 1969, 295, Randnr. 7, und vom 28. April 1998, Javico, C‑306/96, Slg. 1998, I‑1983, Randnrn. 12 und 17; Urteil des Gerichts vom 19. März 2003 CMA CGM u. a./Kommission, T‑213/00, Slg. 2003, II‑913, Randnr. 207).
45 Folglich ist die Kommission verpflichtet, in einer Entscheidung nach Art. 81 EG eine Marktabgrenzung vorzunehmen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt (Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2000, Volkswagen/Kommission, T‑62/98, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 230).
46 Gerade die Prüfung dieser Tatbestandsmerkmale des Art. 81 EG durch die Kommission stellt die Klägerin im Rahmen des ersten Klagegrundes in Frage, denn die Abgrenzung und Größe des Marktes sowie die Marktanteile sind tatsächlich nur Vorfragen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995, SPO u. a./Kommission, T‑29/92, Slg. 1995, II‑289, Randnr. 75).
47 Ob die Klägerin eine auf die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung bezogene Rüge erheben möchte, ergibt sich aus der Klageschrift jedoch nicht eindeutig, da sie abgesehen von einem bloßen Verweis im Rahmen des ersten hilfsweise vorgebrachten Klagegrundes auf das Urteil Völk, oben in Randnr. 44 angeführt, nicht zwischen der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten zu unterscheiden scheint. Eine auf einen Verstoß gegen die De‑minimis‑Regel gestützte Rüge wäre, sollte sie erhoben worden sein, daher nach Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts, der ein substantiiertes Vorbringen verlangt, unzulässig.
48 Was die spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten anbelangt, scheint die Klägerin zuweilen die De‑minimis-Bekanntmachung und die Leitlinien von 2004 zu verwechseln. Es ist jedoch ersichtlich, dass sie sich im Rahmen ihres ersten Klagegrundes, obwohl sie von einer „De‑minimis-Bekanntmachung“ spricht, in Wirklichkeit auf die Leitlinien von 2004 bezieht. Die Klägerin hat nämlich ausdrücklich in Frage gestellt, dass die Kommission die spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nachgewiesen habe (oben, Randnr. 32). Daher ist das Vorbringen der Kommission, die Klägerin habe im Stadium der Erwiderung ein neues Argument vorgetragen, zurückzuweisen, da die Erwähnung des Schwellenwerts von 5 % in der Erwiderung lediglich die Erweiterung eines bereits vorgetragenen Klagegrundes und kein neues Angriffs‑ und Verteidigungsmittel darstellt.
49 Die Kommission stützt sich in der Entscheidung für den Nachweis der spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten auf ihre Leitlinien von 2004, in denen für die Marktanteile und die konsolidierten Umsätze der betreffenden Unternehmen Mindestschwellenwerte angegeben sind. Nach Ziff. 55 dieser Leitlinien setzt die Anwendung des in den Ziff. 52 und 53 vorgesehenen Schwellenwerts von 5 % der Umsätze die vorherige Bestimmung des relevanten Marktes voraus.
50 Daher gehen die Rügen einer fehlerhaften Marktabgrenzung sowie einer fehlerhaften Ermittlung der Marktgröße und der Marktanteile der betreffenden Unternehmen, soweit sie auf die Beurteilung der spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und insbesondere auf den Schwellenwert von 5 % Bezug nehmen, nicht ins Leere. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin das Vorliegen des Kartells nicht bestritten hat, weil dies einzuräumen nicht notwendigerweise bedeutet, dass auch eine spürbare Beeinträchtigung des Handels durch dieses Kartell eingeräumt wird. Zudem würde entgegen der Auffassung der Kommission das Fehlen einer solchen Beeinträchtigung, die ein Tatbestandsmerkmal des Art. 81 Abs. 1 EG ist, zur Nichtigerklärung der Entscheidung wegen Unzuständigkeit der Kommission führen.
Zur spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
51 Im 373. Erwägungsgrund der Entscheidung vertritt die Kommission die Auffassung, dass nach ihren Leitlinien von 2004 die Spürbarkeit der Auswirkungen der Vereinbarungen vermutet werden könne, weil die Summe der Marktanteile der fraglichen Umzugsunternehmen 5 % des Marktes für internationale Umzugsdienste in Belgien übersteige und die Umsätze der Beteiligten mit den betreffenden Dienstleistungen 40 Millionen Euro überstiegen. Im vorliegenden Fall hätten die fraglichen Umzugsunternehmen 2002 einen Umsatz von über 41 Millionen Euro erzielt, und ihr Marktanteil liege bei etwa 50 %. Zudem macht die Kommission in der Gegenerwiderung geltend, dass sie sich im 372. Erwägungsgrund der Entscheidung für den Nachweis der Handelsbeeinträchtigung auch auf den grenzüberschreitenden Charakter der Umzüge gestützt habe. Deshalb ist zu prüfen, ob die Kommission in der Entscheidung eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten dargetan hat.
– Zum grenzüberschreitenden Charakter
52 Zunächst ist festzustellen, dass sich der grenzüberschreitende Charakter der fraglichen Umzüge, der nicht bestritten wird, nicht mit der Frage der „Spürbarkeit“ der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten deckt.
53 Wäre nämlich jede grenzüberschreitende Transaktion automatisch geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, würde der Begriff der Spürbarkeit seines Inhalts entleert, obwohl er ein von der Rechtsprechung entwickeltes Tatbestandsmerkmal des Art. 81 Abs. 1 EG ist. Hierzu hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung zudem eingeräumt, dass es selbst im Fall einer bezweckten Zuwiderhandlung erforderlich sei, dass die Zuwiderhandlung den innergemeinschaftlichen Handel spürbar beeinträchtigen könne. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den Leitlinien von 2004, da die positive Vermutung in deren Ziff. 53 nur auf die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen anwendbar ist, die ihrem Wesen nach geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
54 Allerdings hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung das Urteil des Gerichtshofs vom 1. Oktober 1987, Vereniging van Vlaamse Reisbureaus (311/85, Slg. 1987, 3801), für ihre These angeführt, dass der grenzüberschreitende Charakter der Umzüge an sich ausgereicht habe, um ihre Zuständigkeit zu begründen. Jedoch ist festzustellen, dass in diesem Urteil und insbesondere in dessen Randnr. 18 die Problematik der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels nicht behandelt wird. Der Begriff wird in dem Urteil nämlich nicht einmal erwähnt.
55 Jedenfalls findet sich in der Entscheidung keine Begründung, die sich ausschließlich auf den grenzüberschreitenden Charakter der fraglichen Umzüge stützt. Insbesondere ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Kontext des 372. Erwägungsgrundes der Entscheidung, in dem das Urteil Vereniging van Vlaamse Reisbureaus, oben in Randnr. 54 angeführt, nicht erwähnt wird, dass dieser Erwägungsgrund nicht dazu bestimmt ist, die Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels nachzuweisen.
– Zum Schwellenwert von 40 Millionen Euro
56 In Bezug auf den Schwellenwert von 40 Millionen Euro wirft die Klägerin der Kommission vor, die kumulierten Umsätze der Kartellteilnehmer zu hoch eingeschätzt zu haben.
57 Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht die Kommission aufgefordert, bestimmte Dokumente vorzulegen, um die Klägerin uneingeschränkt in die Lage zu versetzen, diesen Betrag substantiiert zu bestreiten. Die Kommission hat deshalb die nicht vertraulichen Fassungen der Antworten der anderen Adressaten der Entscheidung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und deren Antworten auf die Auskunftsersuchen der Kommission vorgelegt. Die Klägerin hat aber in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie die von der Kommission vorgelegten Dokumente nicht für ihre Argumentation heranziehe. Für den Fall, dass der Ansatz der Kommission hinsichtlich der Untervergabe korrekt ist, verbliebe daher die Summe der Umsätze über dem Schwellenwert von 40 Millionen Euro, und zwar selbst unter Berücksichtigung der Entscheidung C (2009) 5810 (oben, Randnr. 21), die eine Herabsetzung des konsolidierten Umsatzes um mehr als 600 000 Euro zur Folge hat.
58 Jedoch ist das Vorbringen der Klägerin, es sei erforderlich, zwischen dem als Subunternehmer bei einem internationalen Umzug erzielten Umsatz und dem Umsatz zu unterscheiden, der als Unternehmen erzielt werde, das bei einem internationalen Umzug federführend sei, als begründet anzusehen. Um nämlich bei der Ermittlung der betreffenden Umsätze nicht denselben Betrag doppelt zu erfassen, ist es erforderlich, vom Umsatz mit den fraglichen Dienstleistungen den als Subunternehmer erzielten Umsatz abzuziehen. Andernfalls würde der letztgenannte Umsatz für ein und denselben Umzug ein erstes Mal in den Umsatz des federführenden Unternehmens einfließen und ein zweites Mal in den Umsatz des Subunternehmers. Zudem sind die Umsätze des Subunternehmers nicht auf dem Markt für an den Endverbraucher gerichtete Umzugsdienste erzielt worden.
59 Die von der Kommission im 530. Erwägungsgrund der Entscheidung gelieferte Erläuterung zur Rechtfertigung ihres Entschlusses, diese Umsätze nicht in die Berechnung der Geldbuße einzubeziehen, ist im Übrigen überzeugend. Jedoch vermag sie nicht zu erklären, warum bei der Ermittlung der Marktgröße zur Feststellung einer spürbaren Beeinträchtigung des Handels derselbe Betrag doppelt zu erfassen sein soll. Diese Ermittlung und die Ermittlung der kumulierten Umsätze der Kartellteilnehmer sind daher mit einem offensichtlichen Fehler behaftet.
60 Die Antworten der Kommission auf die schriftlichen und mündlichen Fragen des Gerichts bestätigen dieses Ergebnis.
61 Die Kommission hat erstens versucht, mit Ziff. 54 der Leitlinien von 2004 zu argumentieren. Diese Bestimmung schließt jedoch nur Umsätze zwischen Gesellschaften, die Teil desselben Unternehmens sind, aus, betrifft aber nicht die Frage der Untervergabe. Insbesondere kann sie nicht den Umkehrschluss stützen, den die Kommission zu vertreten scheint.
62 Die Kommission hat in ihrer schriftlichen Antwort zweitens geltend gemacht, ihr Ansatz führe nicht „zwangsläufig“ zu einer doppelten Erfassung desselben Umzugs, denn zum einen gehörten einige belgische Umzugsunternehmen nicht zum Kartell und zum anderen sei in einigen Fällen die Untervergabe für Rechnung ausländischer Umzugsunternehmer erfolgt. Die Kommission räumt damit implizit ein, dass dieser Ansatz in den anderen Fällen auf eine doppelte Erfassung der als Subunternehmer erzielten Umsätze hinauslief. Ferner hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es zu einer doppelten Erfassung gekommen sei, wenn die Untervergabe zwischen zwei Kartellteilnehmern stattgefunden habe. Sie hat ferner eingeräumt, dass der Schwellenwert von 40 Millionen Euro nicht mehr erreicht würde, wenn ihre Methode in diesem Punkt korrigiert würde.
63 Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass der Schwellenwert von 40 Millionen Euro im vorliegenden Fall erreicht worden ist.
– Zum Schwellenwert von 5 %
64 In Bezug auf den Schwellenwert von 5 % macht die Klägerin geltend, dass die Kommission den Markt hätte abgrenzen und alle „internationalen Umzugsdienste“ hätte einschließen müssen.
65 Was die letztgenannte Rüge betrifft, ist die Aussage, die Kommission sei von einem zu engen Markt ausgegangen, zurückzuweisen. Die Kommission hat zutreffend festgestellt, das Kartell habe bezweckt, den Wettbewerb im Sektor für internationale Umzüge von und nach Belgien zu beschränken. Die fraglichen Umzüge waren nämlich dadurch gekennzeichnet, dass Belgien ihren Ausgangs‑ oder ihren Zielort bildete und die Tätigkeit des Kartells in Belgien stattfand. Bei der Ermittlung der Marktgröße hat die Kommission zudem die Umsätze ausländischer Unternehmen auf diesem Markt berücksichtigt. Daher hat die Kommission zu Recht auf die internationalen Umzugsdienste in Belgien als relevante Dienste abgestellt.
66 Zur Rüge, der Markt sei nicht abgegrenzt worden, ist festzustellen, dass die Berechnung eines Marktanteils denknotwendig die Abgrenzung dieses Marktes voraussetzt. Wie das Gericht oben in Randnr. 49 bereits ausgeführt hat, heißt es in Ziff. 55 der Leitlinien von 2004 nämlich ausdrücklich: „Zur Anwendung des Schwellenwerts für den Marktanteil muss der relevante Markt abgegrenzt werden, und zwar sowohl der relevante Produktmarkt als auch der räumlich relevante Markt.“ Diese Pflicht ergibt sich aus der deutschen und z. B. der englischen Sprachfassung („it is necessary“) noch deutlicher als aus der französischen („il convient de“).
67 Ferner hat der Gerichtshof zur Verbindlichkeit der Leitlinien der Kommission bereits festgestellt, dass das fragliche Organ dadurch, dass es derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung angekündigt hat, dass es sie von nun an auf die von diesen Normen erfassten Fälle anwenden werde, die Ausübung seines Ermessens beschränkt hat und nicht von diesen Normen abweichen kann, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 211).
68 Es steht jedoch fest, dass die Kommission die in Ziff. 55 der Leitlinien von 2004 aufgestellte Pflicht nicht erfüllt hat. In ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung hat sie nicht nur betont, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, den relevanten Markt abzugrenzen, sondern auch, dass sie dies nicht getan habe. Demnach wäre die Feststellung der Kommission, der Schwellenwert von 5 % sei erreicht worden, grundsätzlich zu verwerfen.
69 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist das Gericht jedoch der Auffassung, dass die Kommission gleichwohl rechtlich hinreichend dargetan hat, dass die zweite alternative Voraussetzung für ein Eingreifen der Vermutung der Ziff. 53 der Leitlinien von 2004 erfüllt war.
70 Die Kommission hat nämlich in den Erwägungsgründen 88 bis 94 der Entscheidung den relevanten Sektor einschließlich des Angebots, der Nachfrage und der geografischen Reichweite hinreichend detailliert beschrieben. Damit hat sie die betreffenden Dienste und den Markt präzise bestimmt. Nach Auffassung des Gerichts kann eine solche Beschreibung des Sektors ausreichend sein, sofern sie so detailliert ist, dass das Gericht die Grundannahmen der Kommission überprüfen kann, und sofern der kumulierte Marktanteil auf dieser Grundlage den Schwellenwert von 5 % offensichtlich weit überschreitet.
71 Hierzu ist erstens festzustellen, dass die Kommission zu Recht auf die internationalen Umzugsdienste in Belgien als relevante Dienste abgestellt hat (oben, Randnr. 65). Zweitens hat die Kommission auf dieser Grundlage die Marktgröße auf 83 Millionen Euro und den kumulierten Marktanteil der Kartellteilnehmer auf etwa 50 % geschätzt. Diese Zahlen sind noch zu berichtigen, um die Korrekturen durch die Entscheidung C (2009) 5810 (oben, Randnr. 21) und den Ausschluss der als Subunternehmer erzielten Umsätze (oben, Randnr. 59) zu berücksichtigen, was nach Ansicht der Kommission zu kumulierten Umsätzen von über 20 Millionen Euro und zu einem kumulierten Marktanteil von fast 30 % führt. Dieser Marktanteil liegt jedoch immer noch weit über dem Schwellenwert von 5 %. Drittens hat die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass der Markt einen Umfang von mindestens 435 Millionen Euro haben müsste, damit der Schwellenwert von 5 % verfehlt würde. Die einzige Möglichkeit, eine solche Marktgröße zu erreichen, wäre aber, von einem erheblich weiteren Markt als dem der internationalen Umzugsdienste in Belgien auszugehen, der jedoch von der Kommission zutreffend als der relevante Markt bestimmt worden ist.
72 Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, dass sich die Kommission ausnahmsweise auf die zweite alternative Voraussetzung der Ziff. 53 der Leitlinien von 2004 stützen durfte, ohne ausdrücklich eine Marktabgrenzung im Sinne der Ziff. 55 dieser Leitlinien vorzunehmen.
73 Wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, reicht es schließlich im Rahmen der positiven Vermutung der Ziff. 53 der Leitlinien von 2004 für den Nachweis der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus, dass eine der beiden alternativen Voraussetzungen erfüllt ist.
74 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
2. Zum zweiten Klagegrund: offensichtliche Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EG
75 Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. Die ersten beiden Teile sind auf eine Ermäßigung der Geldbuße aufgrund mildernder Umstände gerichtet. Mit dem dritten Teil ersucht die Klägerin um eine Ermäßigung der Geldbuße wegen ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten.
a) Vorbringen der Parteien
76 Die Klägerin trägt erstens vor, die Kommission habe von dem Schutzangebotssystem gewusst und es jahrelang toleriert. Die Praxis sei den Bediensteten der Kommission bekannt und innerhalb ihrer Dienststellen so weit verbreitet gewesen, dass es unvorstellbar sei, dass die Kommission nie davon erfahren habe. Mehr als 30 % der in Bezug auf die Schutzangebote ermittelten Zuwiderhandlungen hätten Bedienstete der Kommission betroffen. Das Argument, die Kommission habe als Organ keine Kenntnis von diesem System gehabt, sei „reine Fiktion“. Außerdem sei die Praxis Generaldirektoren, Direktoren, Referatsleitern und Kommissionsmitgliedern bekannt gewesen. Die Kommission habe das System jedoch toleriert und ihre Bediensteten davon profitieren lassen.
77 Dieses Verhalten der Kommission, die jahrelang nichts gegen die Praxis der Schutzangebote unternommen habe, sei geeignet gewesen, eine gewisse Verwirrung darüber hervorzurufen, ob diese Praxis eine Zuwiderhandlung darstelle oder nicht. Dieser Umstand und das verspätete Einschreiten der Kommission rechtfertigten eine Ermäßigung der Geldbuße.
78 Zweitens habe sich das Schutzangebotssystem nicht aus einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise ergeben, sondern einem Marktbedürfnis entsprochen, weil die Kunden selbst die Schutzangebote angefordert hätten. Folglich sei es für die betreffenden Unternehmen äußerst schwierig gewesen, die Abgabe von Schutzangeboten zu verweigern, ohne zu riskieren, ihre Kunden zu verärgern und zu verlieren.
79 Drittens verweist die Klägerin auf die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, denen sie sich seit einigen Jahren gegenübersehe. Die Kommission habe die von der Klägerin dargelegten Umstände nicht ordnungsgemäß gewürdigt, obwohl sie nach Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem besonderen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen könne. Der alleinige Verweis darauf, dass die Geldbuße nur 3,76 % ihrer weltweiten Umsätze im Jahr 2006 ausmache, reiche für eine Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit nicht aus. In Wirklichkeit befinde sie sich in einer Situation, die einer Insolvenz nahekomme.
80 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen und ist der Auffassung, dass es sich vielmehr um einen Klagegrund handele, der die Höhe der Geldbuße betreffe.
b) Würdigung durch das Gericht
81 Der zweite Klagegrund, der in dem mit „Klagegründe für die Nichtigerklärung der Entscheidung“ überschriebenen Teil der Klageschrift dargelegt ist, wird vorgeblich auf „offensichtliche Beurteilungs‑ und Rechtsfehler bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EG“ gestützt. Jedoch ist er nur auf eine Ermäßigung der Geldbuße aufgrund mildernder Umstände und wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten und nicht auf die Nichtigerklärung der Entscheidung gerichtet. Obwohl sich die Klägerin einer Umqualifizierung des Klagegrundes in der mündlichen Verhandlung widersetzt hat, ist festzustellen, dass sie in der Klageschrift nur vorträgt, die geltend gemachten Umstände rechtfertigten eine „Ermäßigung der Geldbuße“. Deshalb wird das Gericht dieses Vorbringen bei der Prüfung der Klagegründe erörtern, die die Höhe der Geldbuße betreffen (unten, Randnrn. 150 ff.).
3. Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht
82 Im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägerin einen Begründungsmangel hinsichtlich der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße (erster Teil) und hinsichtlich der Zurückweisung ihres Vorbringens zu ihren wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten (zweiter Teil) geltend.
a) Vorbringen der Parteien
83 Die Klägerin trägt vor, dass sich die Kommission hinsichtlich der Schwere der Zuwiderhandlung darauf beschränkt habe, ohne weitere Erläuterung den zu berücksichtigenden Umsatzanteil auf 17 % festzusetzen. Ebenso habe die Kommission hinsichtlich des Abschreckungszwecken dienenden Zusatzbetrags ohne weitere Erläuterung die niedrigste Marge, nämlich 17 %, zugrunde gelegt. Damit sei die auf die Höhe der Geldbuße bezogene Begründung rein formell, und die Klägerin sei nicht in der Lage, nachzuvollziehen, wie die Kommission zu diesen Ergebnissen gekommen sei. Die Kommission ordne die festgestellten Zuwiderhandlungen als „zu den schwerwiegendsten gehörend“ ein. Nach Ziff. 23 der Leitlinien von 2006 sei ein Betrag „am oberen Ende [der] Bandbreite“ anzusetzen gewesen. Dennoch habe die Kommission diesen Anteil nur etwas oberhalb der Hälfte dieser Bandbreite angesiedelt, ohne die Gründe für ihre Wahl oder die Umstände und Faktoren anzugeben, die zu diesem Ergebnis geführt hätten.
84 Zudem habe die Kommission das Vorbringen der Klägerin zu ihren wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten allein mit der Behauptung zurückgewiesen, dass die gegen Ziegler festgesetzte Geldbuße nur 3,76 % der weltweiten Umsätze des Unternehmens im Jahr 2006 ausgemacht habe. Auch wenn die Kommission nicht verpflichtet sei, auf alle Argumente der Klägerin einzugehen, könne sie jedoch nicht ihre gesamte Argumentation außer Acht lassen. Damit habe die Kommission auch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.
85 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen und macht geltend, dass etwaige Fehler in der Begründung zur Festsetzung der Geldbuße, insbesondere hinsichtlich der Schwere der Zuwiderhandlung oder der Leistungsfähigkeit, nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung zur Folge hätten.
b) Würdigung durch das Gericht
86 Vorab ist festzustellen, dass die im Rahmen dieses Klagegrundes erhobenen Rügen ebenfalls nur die verhängte Geldbuße und nicht die Feststellung einer Zuwiderhandlung betreffen. Wie die Kommission zutreffend vorgetragen hat, hätte eine Verletzung der Begründungspflicht hinsichtlich der Festsetzung der Geldbuße nicht die Nichtigerklärung der gesamten Entscheidung zur Folge. Eine solche Verletzung wesentlicher Formvorschriften wirkte sich nämlich nur auf Art. 2 der Entscheidung aus, mit dem die Geldbußen verhängt werden.
87 Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung, bei der es sich um eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Art. 230 EG handelt, der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für den Erlass der Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofs vom 6. Juli 1993, CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, C‑121/91 und C‑122/91, Slg. 1993, I‑3873, Randnr. 31, und vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 63; Urteil des Gerichts vom 5. April 2001, Bic u. a./Rat, T‑82/00, Slg. 2001, II‑1241, Randnr. 24).
88 Zum ersten Teil des Klagegrundes ist festzustellen, dass die Begründung für die Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße einschließlich des Abschreckungszwecken dienenden Zusatzbetrags tatsächlich nicht sehr ausführlich ist. Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass die Kommission ihrer Begründungspflicht bereits genügt, wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die es ihr ermöglicht haben, die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung zu ermessen, und dass sie nicht verpflichtet ist, darin eingehendere Ausführungen oder Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen (vgl. Urteil des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 252 und die dort angeführte Rechtsprechung).
89 Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 542. Erwägungsgrund der Entscheidung die Gründe angeführt, die sie dazu bewogen haben, die Zuwiderhandlung als besonders schwerwiegend einzustufen, nämlich die Art der offenkundigen Beschränkungen des Wettbewerbs selbst. Sie hat dort außerdem erläutert, warum sie die räumliche Ausdehnung und die Auswirkungen der Zuwiderhandlung nicht geprüft hat, und auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach im Fall von Kernbeschränkungen die Zuwiderhandlung als besonders schwerwiegend eingestuft werden kann, ohne dass diese Verhaltensweisen durch eine besondere geografische Ausdehnung oder besondere Auswirkungen gekennzeichnet zu sein brauchten (Urteile des Gerichts vom 18. Juli 2005, Scandinavian Airlines System/Kommission, T‑241/01, Slg. 2005, II‑2917, Randnrn. 84 und 85, und vom 27. Juli 2005, Brasserie nationale u. a./Kommission, T‑49/02 bis T‑51/02, Slg. 2005, II‑3033, Randnrn. 178 und 179). Im Licht dieser Rechtsprechung hat die Kommission die Einordnung der Zuwiderhandlung als „sehr schwer“ daher hinreichend begründet.
90 Dennoch erscheint es erstens wünschenswert, dass die Kommission die Berechnung der Geldbußen ausführlicher begründet, damit die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten Geldbuße im Detail nachvollziehen können. Allgemein gesehen kann dies zur Transparenz des Verwaltungshandelns beitragen und dem Gericht die Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung erleichtern, in deren Rahmen es außer der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung auch die Angemessenheit der festgesetzten Geldbuße zu beurteilen hat (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, KNP BT/Kommission, C‑248/98 P, Slg. 2000, I‑9641, Randnr. 46).
91 Zweitens bezieht sich die von der Kommission angeführte Rechtsprechung auf die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3), und geht bis auf die Zeit vor dem Erlass von Leitlinien zurück. Die Leitlinien von 2006 haben aber zu einer grundlegenden Änderung der Berechnungsmethode für Geldbußen geführt. Insbesondere wurde die Einteilung der Zuwiderhandlungen in drei Kategorien („minder schwer“, „schwer“ und „sehr schwer“) aufgegeben und eine Bandbreite von 0 % bis 30 % eingeführt, um eine feinere Abstufung zu ermöglichen. Zudem wird zur Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße seitdem „ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet, mit der Anzahl der Jahre der Zuwiderhandlung multipliziert“ (Ziff. 19 der Leitlinien von 2006). Grundsätzlich „kann ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden“ (Ziff. 21). Für horizontale Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung der Märkte oder Einschränkung der Erzeugung, die „ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Verstößen“ gehören, ist grundsätzlich „ein Betrag am oberen Ende dieser Bandbreite“ anzusetzen (Ziff. 23).
92 Unter diesen Umständen kann sich die Kommission grundsätzlich nicht mehr damit begnügen, nur die Einordnung einer Zuwiderhandlung als „sehr schwerwiegend“ und nicht die Wahl des zugrunde gelegten Umsatzanteils zu begründen. Wie nämlich oben ausgeführt, ist die Pflicht zur Lieferung einer Begründung, die dem Betroffenen ermöglicht, ihr die Gründe für den Erlass der Maßnahme zu entnehmen, und dem Gericht, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen, die logische Konsequenz des der Kommission im Geldbußenbereich eingeräumten Ermessens.
93 Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 543. Erwägungsgrund der Entscheidung diesen Anteil auf kaum mehr als die Hälfte dieser Bandbreite festgesetzt, nämlich auf 17 %, und dies nur mit dem „sehr schwerwiegenden“ Charakter der Zuwiderhandlung begründet. Sie hat nicht näher erläutert, wie sie die Einordnung der Zuwiderhandlung als „sehr schwerwiegend“ dazu veranlasst hat, den Satz auf 17 % festzusetzen und nicht deutlich mehr „am oberen Ende [der] Bandbreite“. Diese Begründung kann nur dann genügen, wenn die Kommission einen Satz wählt, der sich nahe an der unteren Grenze der für die schwerwiegendsten Verstöße vorgesehenen Marge bewegt und der darüber hinaus für die Klägerin sehr günstig ausfällt. In diesem Fall nämlich ist eine zusätzliche Begründung, die über die schon in den Leitlinien enthaltene Begründung hinausgeht, nicht erforderlich. Hätte die Kommission einen höheren Satz anwenden wollen, hätte sie dagegen eine ausführlichere Begründung liefern müssen.
94 Da im 556. Erwägungsgrund der Entscheidung für den Abschreckungszwecken dienenden Zusatzbetrag auf den 542. Erwägungsgrund verwiesen wird und die untere Grenze der Marge dieselbe ist, gelten die obigen Erwägungen auch für die auf die Begründung der Festsetzung dieses Betrags gerichteten Rügen. Der erste Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.
95 Hinsichtlich des zweiten Teils des Klagegrundes, der die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten der Klägerin betrifft, ist nach ständiger Rechtsprechung zwischen der Rüge des Fehlens oder der Unzulänglichkeit einer Begründung und der Rüge der Unrichtigkeit der Entscheidungsgründe wegen eines Irrtums in Bezug auf die Tatsachen oder bei der rechtlichen Würdigung zu unterscheiden. Der letztgenannte Gesichtspunkt gehört zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung und nicht zu derjenigen einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften und kann damit keinen Verstoß gegen Art. 253 EG darstellen (Urteil Kommission/Sytraval und Brink’s France, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnrn. 67 und 72, und Urteil des Gerichts vom 7. November 1997, Cipeke/Kommission, T‑84/96, Slg. 1997, II‑2081, Randnr. 47).
96 Im vorliegenden Fall hat die Kommission auf das Vorbringen der Klägerin im 632. Erwägungsgrund der Entscheidung geantwortet und dort festgestellt, dass die Geldbuße nur 3,76 % der weltweiten Umsätze der Klägerin im Jahr 2006 ausgemacht habe, was als der Begründungspflicht genügend angesehen werden kann. Auch für den Fall, dass man diese einfache Rechnung nicht ausreichen ließe, um die Leistungsfähigkeit der Klägerin zu bestimmen, beträfe dies die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung und keinen Begründungsmangel (siehe unten, Randnrn. 165 ff.). Folglich ist auch der zweite Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.
97 Daher ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.
4. Zum vierten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte
98 Mit dem vierten und dem fünften Klagegrund rügt die Klägerin eine Verletzung der Verteidigungsrechte. Im Rahmen des vierten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und des allgemeinen Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung geltend gemacht wird, stellt die Klägerin die Unparteilichkeit der Kommission in Frage.
a) Vorbringen der Parteien
99 Nach Auffassung der Klägerin hätte die Kommission, da ein großer Teil der fraglichen Schutzangebote von Bediensteten der Kommission angefordert worden seien, den Vorgang an die belgischen Wettbewerbsbehörden abgeben müssen. Die Kommission, die sich selbst als Opfer der streitigen Verhaltensweisen bezeichnet habe, sei in dieser Sache sowohl Richter als auch Partei gewesen. Folglich bestehe ein objektives Befangenheitsrisiko.
100 Diese Befangenheit lasse sich insbesondere daraus schließen, dass die Kommission denselben Fall mehrfach verwendet habe, was ihr erlaubt habe, die Zahl der festgestellten Zuwiderhandlungen künstlich aufzublähen. Das Befangenheitsrisiko habe außerdem darin Ausdruck gefunden, dass die Beurteilung der Situation in der Entscheidung insgesamt äußerst streng formuliert sei, während in Wirklichkeit die fraglichen Verhaltensweisen sehr marginal gewesen seien.
101 In einem mit „Anmerkungen zum Sitzungsbericht“ überschriebenen Dokument und in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin schließlich geltend gemacht, dass Bedienstete der Kommission jeden Ranges und sogar ein ausscheidendes Mitglied der Kommission nach Erlass der Entscheidung weiterhin von den betreffenden Umzugsunternehmen Schutzangebote angefordert hätten.
102 Nach Ansicht der Kommission geht das Argument, es bestehe ein objektives Befangenheitsrisiko, als Nichtigkeitsgrund ins Leere und entbehrt einer Grundlage.
b) Würdigung durch das Gericht
103 Die Klägerin ist der Auffassung, das Verhalten der Kommission sei eine schwerwiegende Beschränkung der Ausübung ihrer Verteidigungsrechte, so dass die Entscheidung für nichtig zu erklären sei. Einem solchen Vorbringen fehlt jedoch die Grundlage.
104 Die Klägerin hat nämlich nicht die Zuständigkeit der Kommission im vorliegenden Fall für den Erlass einer Entscheidung in einem Verfahren nach Art. 81 EG in Frage gestellt. Außerdem ist der Rechtsprechung zu entnehmen, dass der Mangel an Objektivität, den die Kommission gezeigt haben soll, keine Verletzung der Verteidigungsrechte darstellt, die zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen kann, sondern im Rahmen der Prüfung der Beweiswürdigung oder der Begründung der Entscheidung zu behandeln ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑191/98, T‑212/98 bis T‑214/98, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 464 und die dort angeführte Rechtsprechung).
105 Demnach geht der vorliegende Klagegrund als Nichtigkeitsgrund ins Leere.
106 Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass dieser Klagegrund auch unbegründet ist. Das Vorbringen der Klägerin ist nämlich nicht zum Nachweis dafür geeignet, dass eine etwaige Voreingenommenheit der Kommission oder eines ihrer Bediensteten in der Entscheidung selbst zum Ausdruck gekommen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, ABB Asea Brown Boveri/Kommission, T‑31/99, Slg. 2002, II‑1881, Randnr. 105). Das Vorbringen, die Kommission habe „die Zahl der festgestellten Zuwiderhandlungen künstlich aufgebläht“, ist unbegründet. Wenn für denselben Umzug, für den ein Schutzangebot abgegeben oder eine Provision gezahlt wurde, in der Tabelle im Anhang der Entscheidung mehrere Dokumente aufgeführt werden, ist das keine „Aufblähung“ der Zuwiderhandlung, sondern zeigt nur, dass mehrere Dokumente denselben Umzug betreffen. Zu dem Argument, die fraglichen Verhaltensweisen seien nicht verbreitet, sondern „sehr marginal“ gewesen, genügt der Hinweis, dass das Kartell fast 20 Jahre lang bestand und ungefähr 30 % des Marktes betraf (siehe oben, Randnr. 71), sowie der Verweis auf die Aussagen der Klägerin, die Verhaltensweise entspreche einem Marktbedürfnis und sei so verbreitet gewesen, dass es „äußerst schwierig gewesen [sei], die Schutzangebote zu verweigern, ohne zu riskieren, [ihre] Kunden zu verärgern und zu verlieren“. Schließlich ist zum Vorbringen der Klägerin in den Anmerkungen zum Sitzungsbericht und in der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass es ebenfalls nicht geeignet ist, ihre Aussage, die Kommission sei bei der Untersuchung der Sache befangen gewesen, zu stützen. Die Klägerin legt hierbei nicht dar, inwiefern das einigen Bediensteten vorgeworfene Verhalten – sein Vorliegen unterstellt – das Recht auf ein faires Verfahren hätte verletzen können.
107 Der vierte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
5. Zum fünften Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte
108 Der fünfte Klagegrund wird auf eine Verletzung des Rechts auf Aktenzugang und des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung gestützt.
a) Vorbringen der Parteien
109 Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr den Zugang zu den Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf diese und zu den Antworten auf die Auskunftsersuchen der Kommission verweigert zu haben. Zu der Untersuchungsakte seien im Wesentlichen Schriftstücke, Unterlagen und Äußerungen genommen worden, die von einem am angeblichen Kartell Beteiligten stammten. Die Kommission habe den Marktanteil der zehn betroffenen Unternehmen allein auf der Grundlage des von ihnen auf das Auskunftsersuchen von 2005 hin angegebenen Gesamtumsatzes bestimmt. Deshalb sei es interessant, eine Aufschlüsselung der Umsätze der anderen Unternehmen zu sehen, um die Marktgröße und den Marktanteil der einzelnen Unternehmen, wie sie von der Kommission ermittelt worden seien, zu bestreiten. Jedenfalls sei es nicht Sache der Kommission, allein darüber zu entscheiden, welche Dokumente und Gesichtspunkte der Verteidigung der Klägerin dienlich seien.
110 Nach Ansicht der Klägerin hätte die Kommission, wenn sie schon keinen Zugang zu den Antworten der Beteiligten gewährt habe, wenigstens dafür sorgen müssen, dass die ihr mitgeteilten Zahlen hätten verglichen werden können. Wegen der Zugangsverweigerung sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, die von der Kommission ermittelten Zahlen wirksam zu prüfen. Hätte sie die Zahlen gekannt, hätte sie die Behauptung der Kommission hinsichtlich der spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten sachgerecht bestreiten können.
111 Die Kommission entgegnet, dass das Zahlenmaterial zur Marktgröße weder zur Be- noch zur Entlastung dienen könne. Die Klägerin sei ausschließlich durch ihre eigene Antwort betroffen gewesen, da bei der Festsetzung der Geldbuße allein ihre Umsätze unter Außerachtlassung der Subunternehmerverträge berücksichtigt worden seien. Daher seien die von den anderen Kartellteilnehmern vorgelegten Zahlen für sie unerheblich.
b) Würdigung durch das Gericht
112 Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass die Weigerung der Kommission, ihr Zugang zu den Antworten der anderen Adressaten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und zu den Antworten auf die Auskunftsersuchen zu gewähren, eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte darstelle, da die Kommission nicht dafür gesorgt habe, dass die ihr mitgeteilten Zahlen hätten verglichen werden können.
113 Hierzu ist der Rechtsprechung zu entnehmen, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts ist, das unter allen Umständen, insbesondere aber in allen Verfahren, die zu Sanktionen führen können, zu beachten ist, selbst wenn es sich dabei um ein Verwaltungsverfahren handelt. Danach muss das betroffene Unternehmen in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen (vgl. Urteil des Gerichts vom 26. April 2007, Bolloré u. a./Kommission, T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02, T‑126/02, T‑128/02, T‑129/02, T‑132/02 und T‑136/02, Slg. 2007, II‑947, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).
114 Im Einzelnen hat das Gericht in Bezug auf die Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte entschieden, dass, wenn die Kommission sich auf eine Stelle einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine Anlage zu einer solchen Antwort stützen will, um in einem Verfahren zur Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, die anderen Beteiligten dieses Verfahrens in die Lage versetzt werden müssen, sich zu einem solchen Beweis zu äußern (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnr. 343 und die dort angeführte Rechtsprechung).
115 Hierzu ist festzustellen, dass sich die Entscheidung abgesehen von den Beweisen in dem der Klägerin am 23. August 2007 übermittelten „Sachverhaltsschreiben“ nicht auf eine Tatsache, eine Rüge oder einen Umstand stützt, die nicht schon in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthalten gewesen wären. Hinsichtlich des „Sachverhaltsschreibens“ bestreitet die Klägerin nicht den Vortrag der Kommission, dass dieses Dokument keine neue Rüge hinzugefügt habe, sondern in ihm nur die zusätzlichen Beweise aufgeführt gewesen seien, zu denen die Klägerin habe Stellung nehmen können.
116 Zu den Umsätzen und Marktanteilen, deren Aufschlüsselung die Klägerin meint kennen zu müssen, um die Marktgröße und den Marktanteil der einzelnen Unternehmen in Zweifel ziehen zu können, ist festzustellen, dass das Zahlenmaterial, das in den Erwägungsgründen 89 und 373 der Entscheidung für den Nachweis der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten herangezogen wird, bereits in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthalten war.
117 Folglich hat sich die Kommission für den Nachweis der Zuwiderhandlung nicht auf die Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt, sondern auf Zahlen, die der Klägerin bereits bekannt waren.
118 Gleichwohl ist festzustellen, dass die Klägerin allein durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht in die Lage versetzt wurde, die von der Kommission für den Nachweis der spürbaren Beeinträchtigung des Handels herangezogenen Zahlen zu bestreiten. Ein einzelnes betroffenes Unternehmen hat nämlich kaum die Möglichkeit, zu überprüfen, ob die konsolidierten Umsätze und Marktanteile aller Kartellteilnehmer die Schwellenwerte von 40 Millionen Euro oder 5 % überschreiten. Jedes einzelne Unternehmen kann mit Gewissheit nur seine eigenen Zahlen beanstanden. Um die Marktgröße und die Marktanteile der anderen betroffenen Unternehmen bestreiten und das eigene Vorbringen zu diesen Zahlen entwickeln zu können, ist es daher unerlässlich, die Aufschlüsselung der Umsätze der anderen Unternehmen zu kennen; ohne diese Kenntnis war die Klägerin nicht in der Lage, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen.
119 Das Gericht hat die Kommission deshalb im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme aufgefordert, die einschlägigen Stellen in den nicht vertraulichen Fassungen der Antworten der anderen Adressaten der Entscheidung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Antworten auf die Auskunftsersuchen vorzulegen, soweit diese Antworten die von der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte herangezogenen Zahlen betreffen. Diese Dokumente sind zu den Akten genommen worden, so dass die Klägerin davon Kenntnis nehmen konnte. Wie aber schon oben in Randnr. 57 ausgeführt, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie die von der Kommission vorgelegten Dokumente nicht für ihre Argumentation heranziehe.
120 Unter diesen Umständen sind die Verteidigungsrechte der Klägerin nicht verletzt worden.
121 Der Rechtsprechung ist zwar zu entnehmen, dass eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren nicht durch den bloßen Umstand geheilt werden kann, dass die Einsicht in die fraglichen Schriftstücke in einem späteren Stadium, insbesondere im Gerichtsverfahren wegen einer eventuellen Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung, ermöglicht worden ist (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 104).
122 Jedoch ist für die Prüfung, ob die unterbliebene Offenlegung eines Schriftstücks die Verteidigung des betroffenen Unternehmens im Verwaltungsverfahren beeinträchtigen konnte, zwischen dem Zugang zu Dokumenten, die das Unternehmen entlasten können, und zu Dokumenten, die die Existenz der gerügten Zuwiderhandlung belegen, zu unterscheiden (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 121 angeführt, Randnr. 130).
123 Zu letzteren Dokumenten hat der Gerichtshof entschieden, dass das betroffene Unternehmen dartun muss, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Sanktionen gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 121 angeführt, Randnr. 73). Dies gilt umso mehr, wenn es sich nicht um Dokumente handelt, auf die sich die Kommission gestützt hat, um die Existenz der gerügten Zuwiderhandlung zu belegen, sondern um Dokumente, die in Frage stellen könnten, dass eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG vorliegt, weil es an der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels fehlt. Die Klägerin hat allerdings nicht einmal den Versuch unternommen, dies darzutun (siehe oben, Randnr. 119).
124 Daher ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
125 Dem Antrag der Klägerin, die Einreichung der vollständigen Verwaltungsakte bei der Kanzlei des Gerichts anzuordnen, hat das Gericht stattgegeben, soweit er sich auf die einschlägigen Stellen in den Antworten der anderen Adressaten der Entscheidung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Antworten auf die Auskunftsersuchen der Kommission bezog. Hinsichtlich der übrigen angeforderten Dokumente hat die Klägerin nicht erläutert, inwiefern sie erheblich sind, so dass ihr Antrag zurückzuweisen ist.
B – Auf die Aufhebung oder Ermäßigung der Geldbuße gerichtete Klagegründe
126 Die Klägerin trägt vier Klagegründe hilfsweise vor, wobei der erste auf die Aufhebung der Geldbuße gerichtet ist und die folgenden weiter hilfsweise auf eine erhebliche Ermäßigung.
1. Zur spürbaren Beeinträchtigung des Handels und des Wettbewerbs
a) Vorbringen der Parteien
127 Die Klägerin weist darauf hin, dass die Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und des Handels zwischen Mitgliedstaaten, um unter das Verbot des Art. 81 EG zu fallen, spürbar sein müssten.
128 Die Kommission verweist auf ihre Ausführungen zum ersten Klagegrund.
b) Würdigung durch das Gericht
129 Dieser Klagegrund betrifft in Wirklichkeit zwei Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 1 EG. Daher ist auf die Ausführungen zur Beurteilung des ersten Klagegrundes zu verweisen (oben, Randnrn. 47 ff.), in deren Rahmen die Rügen der Klägerin geprüft und zurückgewiesen worden sind.
2. Zur Schwere
a) Vorbringen der Parteien
130 Die Klägerin macht geltend, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln sei, insbesondere anhand der besonderen Umstände der Rechtssache und ihres Kontextes. Die Kommission habe aber diese Grundsätze nicht beachtet und sich nur mit einem einzigen Kriterium, der Art der Zuwiderhandlung, befasst.
131 Zu den Vereinbarungen über die unmittelbare Preisfestsetzung trägt sie vor, dass die Mindestpreise, die Allied Arthur Pierre habe vorgeben wollen, von keinem der Beteiligten eingehalten worden seien. Außerdem hätten die geahndeten Verhaltensweisen nicht tatsächlich zu höheren Verkaufspreisen geführt. Die Geldbuße stehe deshalb zum tatsächlichen Umfang der geahndeten Verhaltensweisen, zu deren tatsächlicher Auswirkung auf den Markt und den Wettbewerb sowie zur Zahl der festgestellten Zuwiderhandlungen völlig außer Verhältnis. Die Kommission habe überdies den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, indem sie nur bei der Klägerin in die Berechnung der Geldbuße Umsätze einbezogen habe, die mit nicht von der Zuwiderhandlung betroffenen Tätigkeiten erzielt worden seien, und indem sie andere Marktteilnehmer, insbesondere Allied Arthur Pierre und Interdean, die sehr viel mehr in das Kartell involviert gewesen seien, bevorzugt habe. Schließlich habe die Kommission die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt nicht nachgewiesen, obwohl diese Wirkung messbar sei.
132 Nach Auffassung der Kommission geht dieses Vorbringen insgesamt ins Leere, denn es handele sich dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie die Preisfestsetzung und die Marktaufteilung.
133 Die Kommission macht weiter geltend, dass die Rechtsprechung stets den Wertungsspielraum betont habe, über den sie bei der Festsetzung von Geldbußen verfüge. Im vorliegenden Fall habe die Kommission in Anwendung dieser Rechtsprechung für die Festsetzung des Umsatzanteils, der die Höhe der Geldbuße bestimme (17 %), wegen der Art der betreffenden Beschränkungen nur berücksichtigt, dass die Zuwiderhandlung besonders schwerwiegend gewesen sei. Die Berücksichtigung anderer Faktoren hätte im Übrigen zur Festsetzung eines höheren Satzes geführt. Hingegen seien die Auswirkungen der Zuwiderhandlung nicht in diese Beurteilung eingeflossen. Ferner seien die Marktanteile bei der Festsetzung der Geldbuße unerheblich.
b) Würdigung durch das Gericht
134 Die Klägerin wirft der Kommission vor, die Schwere der Zuwiderhandlung zu Unrecht allein auf deren spezifische Art gestützt zu haben.
135 Hierzu ist festzustellen, dass die Kommission im 542. Erwägungsgrund der Entscheidung ausführt, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von der Art, wie sie in der vorliegenden Rechtssache festgestellt worden seien, allein aufgrund ihrer spezifischen Art als „sehr schwerwiegend“ eingeordnet werden könnten, ohne dass dieses Verhalten durch eine besondere räumliche Ausdehnung oder besondere Auswirkungen gekennzeichnet zu sein brauchte. Für diese Auffassung verweist die Kommission sowohl in der Entscheidung als auch in der Klagebeantwortung auf das Urteil Scandinavian Airlines System/Kommission, oben in Randnr. 89 angeführt.
136 In diesem Urteil hat das Gericht festgestellt, dass bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen ist, dass die Schwere der Zuwiderhandlung anhand der Art und des Zwecks der missbräuchlichen Verhaltensweisen festgestellt werden kann und dass nach ständiger Rechtsprechung Gesichtspunkte, die den Gegenstand eines Verhaltens betreffen, für die Festsetzung der Geldbuße größere Bedeutung haben können als Gesichtspunkte, die die Wirkungen des Verhaltens betreffen (vgl. Randnr. 83 des Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung).
137 Im vorliegenden Fall bestand die Zuwiderhandlung in einer Preisfestsetzung und einer Marktaufteilung. Eine solche offensichtliche Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht wiegt ihrer Art nach besonders schwer.
138 Zudem erwähnen die Leitlinien von 2006 im Gegensatz zu den Leitlinien von 1998 nicht mehr die Notwendigkeit, „die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber … wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen“, oder „die konkreten Auswirkungen [der Zuwiderhandlung] auf den Markt, sofern diese messbar sind“, bei der Beurteilung der Schwere zu berücksichtigen.
139 Die Leitlinien von 2006 sehen in Ziff. 20 jedoch ausdrücklich vor, dass die „Schwere der Zuwiderhandlung … in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände beurteilt [wird]“. Ferner wurde oben in Randnr. 91 bereits festgestellt, dass die Leitlinien von 2006 zu einer grundlegenden Änderung der Berechnungsmethode für Geldbußen geführt haben. Insbesondere wurde die Einteilung der Zuwiderhandlungen in drei Kategorien („minder schwer“, „schwer“ und „sehr schwer“) aufgegeben und eine Bandbreite von 0 % bis 30 % eingeführt, um eine feinere Abstufung zu ermöglichen. Nach Ziff. 19 der Leitlinien von 2006 muss der Grundbetrag der Geldbuße „ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet“, sein. Grundsätzlich „kann ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden“ (Ziff. 21 der Leitlinien).
140 Daher kann die Kommission von dem Wertungsspielraum, über den sie bei der Verhängung von Geldbußen verfügt, nicht Gebrauch machen und somit die genaue Höhe zwischen 0 % und 30 % nicht festsetzen, ohne die besonderen Umstände der Sache zu berücksichtigen. So sieht Ziff. 22 der Leitlinien von 2006 vor, dass die Kommission „[b]ei der Bestimmung der genauen Höhe innerhalb dieser Bandbreite … mehrere Umstände [berücksichtigt], u. a. die Art der Zuwiderhandlung, den kumulierten Marktanteil sämtlicher beteiligten Unternehmen, den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die etwaige Umsetzung der Zuwiderhandlung in der Praxis“.
141 Diese Schwierigkeit der Ermittlung eines genauen Satzes ist bis zu einem gewissen Grad geringer bei geheimen horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen und zur Aufteilung der Märkte, für die nach Ziff. 23 der Leitlinien von 2006 grundsätzlich ein Betrag „am oberen Ende der Bandbreite“ anzusetzen ist. Aus dieser Ziffer ergibt sich, dass der Satz für die schwerwiegendsten Verstöße mindestens oberhalb von 15 % liegen muss.
142 Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung in dieser Hinsicht nicht deshalb für nichtig zu erklären, weil die Festsetzung des Satzes von 17 % allein auf die wesensmäßige Schwere der Zuwiderhandlung gestützt wurde. Begnügt sich die Kommission damit, einen Satz anzuwenden, der dem für die schwerwiegendsten Verstöße vorgesehenen Mindestsatz entspricht oder fast entspricht, erübrigt sich nämlich die Berücksichtigung zusätzlicher Gesichtspunkte oder Umstände. Dies wäre nur dann geboten, wenn ein höherer Satz festzulegen wäre. Die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang sicherlich nicht vor, dass die Kommission einen höheren Satz hätte anwenden sollen, und die Kommission hat vor dem Gericht keine Erhöhung der Geldbuße beantragt.
143 Folglich ist die auf die abstrakte Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung bezogene Rüge zurückzuweisen.
144 Zu der Rüge, der Gleichheitssatz sei verletzt, genügt die Feststellung, dass Allied Arthur Pierre aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission in den Genuss einer Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über die Zusammenarbeit von 2002 gekommen ist. Was Interdean anbelangt, wird sich das Gericht im Rahmen des vierten, weiter hilfsweise vorgetragenen Klagegrundes (unten, Randnrn. 170 ff.) mit der Frage befassen, warum diesem Unternehmen eine Ermäßigung gewährt wurde und der Klägerin nicht. Schließlich wird die Behauptung, die Kommission habe nur bei der Klägerin in die Berechnung der Geldbuße Umsätze einbezogen, die mit nicht von der Zuwiderhandlung betroffenen Tätigkeiten erzielt worden seien, von der Kommission als sachlich unzutreffend bestritten. Aus der Entscheidung geht hierzu hervor, dass der Gesamtumsatz der Klägerin und damit die Tätigkeit, die nicht mit internationalen Umzügen in Belgien im Zusammenhang steht, nur bei der Berechnung des Grundbetrags von 10 % berücksichtigt wurde. Daher ist diese Rüge ebenfalls zurückzuweisen.
3. Zu den mildernden Umständen
a) Vorbringen der Parteien
145 Die Klägerin beruft sich auf drei mildernde Umstände.
146 Erstens hätte als mildernder Umstand berücksichtigt werden können, dass sie unverzüglich die Maßnahmen ergriffen habe, die erforderlich gewesen seien, um den Regeln des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft nachzukommen.
147 Zweitens habe die Kommission nicht berücksichtigt, dass die Schutzangebote abgegeben worden seien, weil sie einem Marktbedürfnis entsprochen hätten. Die Kommission könne nicht behaupten, ihr sei eine innerhalb ihrer Dienste derart weit verbreitete Praxis so lange völlig verborgen geblieben. Dieser Umstand sei daher geeignet, den Glauben daran, dass die Verhaltensweise nicht rechtswidrig gewesen sei, aufrechtzuerhalten und zu bestärken, da sie von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gewünscht worden sei.
148 Drittens macht die Klägerin geltend, sie habe das Vorliegen der Zuwiderhandlungen nie bestritten.
149 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.
b) Würdigung durch das Gericht
150 Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes sowie im Rahmen des ersten und des zweiten Teils des zweiten Hauptklagegrundes macht die Klägerin drei mildernde Umstände geltend.
Beendigung der rechtswidrigen Verhaltensweisen
151 Die Beendigung der rechtswidrigen Verhaltensweisen durch die Klägerin ist kein mildernder Umstand, der eine Ermäßigung der Geldbuße rechtfertigt.
152 Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, sieht Ziff. 29 erster Gedankenstrich der Leitlinien von 2006 vor, dass zwar der Grundbetrag der Geldbuße verringert werden kann, wenn das Unternehmen die Beendigung des Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission nachweist, doch gilt dies nicht „im Falle geheimer Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (insbesondere von Kartellen)“. Zudem wird dieser mildernde Umstand nur in den Fällen gewährt, in denen der Verstoß nach dem ersten Eingreifen der Kommission beendet wird. Die Klägerin war aber bis 8. September 2003 an dem Verstoß beteiligt, während die Kontrollen nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 16. September 2003, stattfanden.
Glaube an die Rechtmäßigkeit der rechtswidrigen Verhaltensweisen
153 Nach Ziff. 29 letzter Gedankenstrich der Leitlinien von 2006 kann „der Grundbetrag der Geldbuße … verringert werden, wenn die Kommission“ eine „Genehmigung oder Ermutigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens durch die Behörden oder geltende Vorschriften“ feststellt.
154 Die Klägerin trägt vor, die Tatsache, dass die Kommission von den rechtswidrigen Verhaltensweisen Kenntnis gehabt und sie jahrelang toleriert habe, habe bei ihr guten, wenn auch irrigen Glauben an die Rechtmäßigkeit dieser Verhaltensweisen hervorgerufen. Außerdem habe sie nur einem Marktbedürfnis entsprochen.
155 Darauf entgegnet die Kommission zutreffend, dass derjenige, der mit dem Auftragnehmer in Kontakt trete, z. B. der Bedienstete der Kommission, nicht der eigentliche Kunde der Umzugsunternehmen sei. Im 264. Erwägungsgrund der Entscheidung führt sie aus, dass die Auswahl eines Umzugsunternehmens Sache des Unternehmens oder der öffentlichen Einrichtung sei, die den Umzug bezahle. Gerade um sich eine Wahl offenzuhalten, verlangen viele Unternehmen und öffentliche Einrichtungen die Einreichung mehrerer Angebote. Daher ist das Vorbringen, die Schutzangebote seien abgegeben worden, weil sie einem Marktbedürfnis entsprochen hätten, oder sie seien erst abgegeben worden, nachdem der Kunde seine Wahl getroffen habe, zurückzuweisen.
156 Die Klägerin kann sich demnach nicht darauf berufen, dass Bedienstete des Organs Schutzangebote angefordert hätten. Sie hätte wissen müssen, dass solche Aufforderungen nicht im Namen und auf Betreiben der Organe erfolgen konnten, da sie deren finanziellen Interessen offensichtlich widersprachen. Das Erfordernis, drei Kostenvoranschläge vorzulegen, diente gerade dazu, ein Minimum an Wettbewerb sicherzustellen und zu verhindern, dass der Preis für einen Umzug von einem einzigen Umzugsunternehmen einseitig festgelegt werden konnte.
157 Doch auch wenn Tatsachen, die einer Person bekannt sind, die für die Kommission arbeitet, dieser als Organ zugerechnet werden könnten, schließt die Kenntnis des wettbewerbswidrigen Verhaltens allein nicht die stillschweigende „Genehmigung oder Ermutigung“ dieses Verhaltens durch die Kommission im Sinne der Ziff. 29 letzter Gedankenstrich der Leitlinien von 2006 ein. Ein mutmaßliches Unterlassen kann nämlich nicht mit einem positiven Tun wie einer Genehmigung oder Ermutigung gleichgesetzt werden.
158 Schließlich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass das geltend gemachte Unterlassen der Kommission sie tatsächlich dazu veranlasst hat, an die Rechtmäßigkeit der Verhaltensweise zu glauben, oder für dahin gehende Verwirrung gesorgt hat. Der wirtschaftliche Sinn hinter der Verpflichtung des Bediensteten, mehrere Kostenvoranschläge vorzulegen, ist nämlich allgemein bekannt. Es handelt sich nicht um eine reine Formalität, sondern um ein Mittel zur Ermittlung des günstigsten Angebots. Somit ist vorliegend der Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln insbesondere in Bezug auf die Schutzangebote so offenkundig, dass sich ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer nicht auf guten Glauben an die Rechtmäßigkeit dieses Verhaltens berufen kann.
159 Auf jeden Fall bezieht sich das Vorbringen der Klägerin nur auf die Schutzangebote. Die Schutzangebotspraxis ist aber nur eine der drei Komponenten einer komplexen einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, die darüber hinaus eine schriftliche Preisvereinbarung und eine Vereinbarung über die Zahlung von Provisionen umfasst.
Nichtbestreiten des Sachverhalts
160 Im Gegensatz zur Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen vom 18. Juli 1996 (ABl. C 207, S. 4) sieht die Mitteilung über die Zusammenarbeit von 2002 keine niedrigere Festsetzung der Geldbuße vor, wenn der Sachverhalt nicht bestritten wird. Aufgrund der Zusammenarbeit von Allied Arthur Pierre war die Kommission bereits im Besitz von Beweisen, die die Feststellung der Zuwiderhandlung ermöglicht haben, und das Nichtbestreiten der Klägerin brachte keinen zusätzlichen Nutzen. Unter diesen Umständen durfte die Kommission die Auffassung vertreten, dass die Geldbuße der Klägerin nicht wegen deren Zusammenarbeit zu ermäßigen sei.
161 Daher ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
4. Zu den außergewöhnlichen Umständen
a) Vorbringen der Parteien
162 Im Rahmen der hilfsweise vorgetragenen Klagegründe macht die Klägerin wie im dritten Teil des zweiten Klagegrundes und im zweiten Teil des dritten Klagegrundes ihre fehlende Leistungsfähigkeit geltend.
163 Die Kommission verweist auf ihre Ausführungen im Rahmen des zweiten und des dritten Klagegrundes.
b) Würdigung durch das Gericht
164 Wie bereits ausgeführt, berücksichtigt das Gericht im Rahmen der Prüfung des vorliegenden Klagegrundes auch das Vorbringen zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes und zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes. Die Klägerin trägt also im Wesentlichen vor, dass sie zur Zahlung der Geldbuße nicht im Stande sei, und rügt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Interdean.
165 Was erstens die geltend gemachte fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerin betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass für eine außerordentliche Ermäßigung der Geldbuße wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten nach Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 neben einem Antrag zwei kumulative Voraussetzungen vorliegen müssen, nämlich erstens die unüberwindliche Schwierigkeit, die Geldbuße zu zahlen, und zweitens ein „[besonderes] soziales und ökonomisches Umfeld“.
166 Zur ersten Voraussetzung hat die Kommission im 632. Erwägungsgrund der Entscheidung lediglich ausgeführt, dass „die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit [der Klägerin] … durch die Geldbuße nicht unwiderruflich gefährdet [wird], da die Geldbuße … nur 3,76 % ihrer weltweiten Umsätze im Jahr 2006 ausmacht“. Die Kommission hat daraus gefolgert, dass die erste Voraussetzung nicht erfüllt sei.
167 Es ist festzustellen, dass diese Beurteilung abstrakt ist und die konkrete Situation der Klägerin nicht berücksichtigt. Eine bloße Berechnung, welchen Anteil die Geldbuße an dem weltweiten Umsatz des Unternehmens ausmacht, kann allein nicht den Schluss begründen, dass die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens durch die Geldbuße nicht unwiderruflich gefährdet wird. Wäre dies nämlich der Fall, wäre es möglich, konkrete Schwellenwerte für die Anwendung der Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 festzulegen. Daher ist der 632. Erwägungsgrund der Entscheidung nicht geeignet, die Ablehnung des Antrags von Ziegler zu rechtfertigen.
168 Zur zweiten Voraussetzung hat die Kommission in den Erwägungsgründen 651 und 655 der Entscheidung festgestellt, dass das soziale und wirtschaftliche Umfeld in der vorliegenden Rechtssache keinen besonderen Charakter im Sinne der Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 aufgewiesen habe und daher alle Anträge auf Ermäßigung der Geldbuße auf dieser Grundlage abzulehnen seien. Da die Klägerin die Feststellung, dass diese zweite Voraussetzung nicht erfüllt sei, nicht in Frage gestellt hat, durfte die Kommission das auf eine Ermäßigung der Geldbuße wegen wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten gerichtete Vorbringen der Klägerin zurückweisen.
169 Dass sich diese Begründung in dem Teil befindet, der der Beurteilung der Situation von Interdean gewidmet ist, und nicht in dem Ziegler betreffenden Teil, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Aus dem Wortlaut der Erwägungsgründe 651 und 655 der Entscheidung geht nämlich klar hervor, dass der Befund gleichermaßen für die Klägerin gilt.
170 Zweitens ist zum gerügten Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Verhältnis zu Interdean festzustellen, dass die Kommission den Antrag von Interdean gemäß Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 aus demselben Grund abgelehnt hat wie den Antrag der Klägerin, nämlich wegen des Fehlens des „[besonderen] sozialen und ökonomischen Umfelds“ (vgl. den 655. Erwägungsgrund der Entscheidung). In dieser Hinsicht liegt also keine unterschiedliche Behandlung vor.
171 Es trifft zu, dass die Kommission die gegen Interdean verhängte Geldbuße gleichwohl gemäß Ziff. 37 der Leitlinien von 2006 ermäßigt hat. Aus der Entscheidung ergibt sich jedoch, dass die Situation von Interdean nicht mit der Situation der Klägerin vergleichbar ist. Hierzu genügt die Feststellung, dass die Geldbuße der Klägerin weit von der Obergrenze von 10 % ihrer Gesamtumsätze entfernt ist, während die Geldbuße von Interdean vor der Ermäßigung weit darüber hinausgegangen wäre.
172 Drittens macht die Klägerin geltend, dass sich ihre Situation seit Erlass der Entscheidung verschlechtert habe. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Übrigen ausdrücklich eingeräumt hat, können nach Erlass der Entscheidung eingetretene Ereignisse deren Rechtmäßigkeit nicht beeinflussen. Folglich ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
173 Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.
Kosten
174 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Gericht aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Achte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Ziegler SA trägt die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Gericht.
Papasavvas |
Wahl |
Dittrich |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juni 2011.
Unterschriften
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
A – Gegenstand des Rechtsstreits
B – Klägerin
C – Verwaltungsverfahren
D – Entscheidung
Verfahren und Anträge der Parteien
Rechtliche Würdigung
A – Klagegründe für die Nichtigerklärung der Entscheidung
1. Zum ersten Klagegrund: offensichtliche Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 1 EG
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Vorbemerkungen
Zur spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
– Zum grenzüberschreitenden Charakter
– Zum Schwellenwert von 40 Millionen Euro
– Zum Schwellenwert von 5 %
2. Zum zweiten Klagegrund: offensichtliche Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EG
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
3. Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
4. Zum vierten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
5. Zum fünften Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
B – Auf die Aufhebung oder Ermäßigung der Geldbuße gerichtete Klagegründe
1. Zur spürbaren Beeinträchtigung des Handels und des Wettbewerbs
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
2. Zur Schwere
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
3. Zu den mildernden Umständen
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Beendigung der rechtswidrigen Verhaltensweisen
Glaube an die Rechtmäßigkeit der rechtswidrigen Verhaltensweisen
Nichtbestreiten des Sachverhalts
4. Zu den außergewöhnlichen Umständen
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Kosten
* Verfahrenssprache: Französisch.