Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62008CJ0083

    Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 2. April 2009.
    Glückauf Brauerei GmbH gegen Hauptzollamt Erfurt.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Thüringer Finanzgericht - Deutschland.
    Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern - Richtlinie 92/83/EWG - Art. 4 Abs. 2 - Kleine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist - Kriterien der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit - Möglichkeit, unter mittelbarem Einfluss zu stehen.
    Rechtssache C-83/08.

    Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-02857

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:228

    Rechtssache C‑83/08

    Glückauf Brauerei GmbH

    gegen

    Hauptzollamt Erfurt

    (Vorabentscheidungsersuchen des Thüringer Finanzgerichts)

    „Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern – Richtlinie 92/83/EWG – Art. 4 Abs. 2 – Kleine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist – Kriterien der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit – Möglichkeit, unter mittelbarem Einfluss zu stehen“

    Leitsätze des Urteils

    Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung – Verbrauchsteuern – Richtlinie 92/83 – Alkohol und alkoholische Getränke – Anwendung ermäßigter Steuersätze für bestimmte Erzeugnisse

    (Richtlinie des Rates 92/83, Art. 4 Abs. 2)

    Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ist dahin zu verstehen, dass eine Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten bestehen, und die ein und derselben Person, die in mehreren der betroffenen Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit bietet, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, es ausschließt, diese Brauereien als voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen.

    Durch die Richtlinie 92/83 soll nämlich verhindert werden, dass eine Biersteuerermäßigung Brauereien gewährt wird, deren Größe und Produktionskapazität eine Verzerrung des Binnenmarkts hervorrufen könnten. Demnach soll mit den in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Kriterien der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit sichergestellt werden, dass jede Form von wirtschaftlicher oder rechtlicher Abhängigkeit zwischen Brauereien zum Ausschluss von der steuerlichen Vergünstigung führt, den die Biersteuerermäßigung darstellt.

    In diesem Zusammenhang ist im Rahmen des Begriffs der im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie „rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängigen Brauerei“ zu prüfen, ob zwischen den betroffenen Brauereien insbesondere auf ihrer Leitungsebene oder bei den Geschäftsanteilen oder Stimmrechten rechtliche oder auch wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, die die Möglichkeit dieser Brauereien zu eigenständigen geschäftlichen Entscheidungen beeinträchtigen können.

    Zudem bezweckt das Kriterium der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, dass der ermäßigte Verbrauchsteuersatz tatsächlich den Brauereien zugutekommt, die wegen ihrer geringen Größe benachteiligt sind, nicht aber denjenigen, die einem Konzern angehören. Um für Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 nur die Brauereien zu berücksichtigen, die tatsächlich rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind, ist also darauf zu achten, dass die Bedingung der Unabhängigkeit nicht durch die Erfüllung rein formaler Kriterien umgangen wird, insbesondere durch rechtliche Gebilde zwischen einzelnen kleinen, angeblich unabhängigen Brauereien, die in Wirklichkeit eine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Erzeugung die in Art. 4 der Richtlinie 92/83 festgelegten Grenzen übersteigt.

    Was die eventuellen Auswirkungen des Marktverhaltens der betroffenen Brauereien im Hinblick auf die Feststellung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit angeht, stellt Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 auf die Rechts- und Wirtschaftsstruktur der Brauereien ab und bezieht sich nicht ausdrücklich auf deren Marktverhalten. Im Übrigen lässt das Auftreten der Brauereien auf verschiedenen Märkten mit verschiedenen Produktsortimenten nicht den Schluss zu, dass diese Brauereien voneinander wirtschaftlich unabhängig wären, denn dieser Umstand kann im Gegenteil auch Ausdruck einer bewussten, auf Konzernebene beschlossenen Strategie zur Vermeidung oder Milderung eines konzerninternen Wettbewerbs sein.

    (vgl. Randnrn. 26, 28-29, 33, 35-36 und Tenor)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    2. April 2009(*)

    „Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern – Richtlinie 92/83/EWG – Art. 4 Abs. 2 – Kleine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist – Kriterien der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit – Möglichkeit, unter mittelbarem Einfluss zu stehen“

    In der Rechtssache C‑83/08

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Thüringer Finanzgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. November 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2008, in dem Verfahren

    Glückauf Brauerei GmbH

    gegen

    Hauptzollamt Erfurt

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters T. von Danwitz, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und G. Arestis (Berichterstatter),

    Generalanwalt: Y. Bot,

    Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2008,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der Glückauf Brauerei GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt H. Deiters und J. Werner, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer,

    –        der griechischen Regierung, vertreten durch O. Patsopoulou, S. Alexandriou und I. Pouli als Bevollmächtigte,

    –        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und C. Guerra Santos als Bevollmächtigte,

    –        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls als Bevollmächtigten,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. L 316, S. 21).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft deutschen Rechts Glückauf Brauerei GmbH (im Folgenden: Glückauf) und dem Hauptzollamt Erfurt (im Folgenden: Hauptzollamt) über die Weigerung des Letzteren, auf Glückauf den ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Bier anzuwenden.

     Rechtlicher Rahmen

     Gemeinschaftsrecht

    3        Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 92/83 lautet: „Für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes ist es erforderlich, für alle betroffenen Erzeugnisse gemeinsame Definitionen festzulegen.“

    4        Nach dem siebten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sind für Bier aus kleinen unabhängigen Brauereien und Ethylalkohol aus kleinen Brennereien gemeinsame Regelungen festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten auf diese Erzeugnisse ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwenden können.

    5        Nach dem siebzehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie dürfen in Fällen, in denen die Mitgliedstaaten zur Anwendung ermäßigter Sätze ermächtigt sind, derartige Sätze nicht dazu führen, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verzerren.

    6        Art. 4 der Richtlinie 92/83 bestimmt:

    „(1)      Die Mitgliedstaaten können auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, ermäßigte Steuersätze, die je nach Jahresausstoß der betreffenden Brauereien gestaffelt werden können, unter folgenden Voraussetzungen anwenden:

    –      die ermäßigten Steuersätze gelten nicht für Unternehmen, die jährlich mehr als 200 000 hl Bier herstellen;

    –      die ermäßigten Steuersätze, die den Mindestsatz unterschreiten können, dürfen nicht um mehr als 50 % unter dem normalen nationalen Verbrauchsteuersatz liegen.

    (2)      Zum Zwecke der Anwendung der ermäßigten Steuersätze gilt als ‚kleine unabhängige Brauerei‘ eine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von denen anderer Brauereien getrennt sind, und kein Lizenznehmer ist. Sofern zwei oder mehrere kleine Brauereien zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, können diese Brauereien jedoch als eine einzige kleine unabhängige Brauerei behandelt werden.

    (3)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die von ihnen gegebenenfalls festgelegten ermäßigten Sätze unterschiedslos auch für Bier gelten, das aus kleinen unabhängigen Brauereien in anderen Mitgliedstaaten in ihr Hoheitsgebiet geliefert wird. Im Besonderen sorgen sie dafür, dass einzelne Lieferungen aus anderen Mitgliedstaaten in keinem Fall steuerlich höher belastet werden als genau entsprechende innerstaatliche Lieferungen.“

     Nationales Recht

    7        Art. 4 der Richtlinie 92/83 wurde durch § 2 des deutschen Biersteuergesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2150, im Folgenden: BierStG) wie folgt in deutsches Recht umgesetzt:

    „…

    (2)      Abweichend von Absatz 1 ermäßigt sich der Steuersatz für im Brauverfahren hergestelltes Bier aus unabhängigen Brauereien mit einer Gesamtjahreserzeugung von weniger als 200 000 hl Bier in Stufen von 1 000 zu 1 000 hl gleichmäßig …

    (3)      Als unabhängig ist eine Brauerei anzusehen, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von anderen Brauereien getrennt sind und Bier nicht unter Lizenz braut. …

    (4)      Voneinander abhängige Brauereien, die zusammen eine Gesamtjahreserzeugung von 200 000 hl nicht überschreiten, gelten für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes als eine Brauerei.

    …“

     Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    8        Glückauf betreibt eine Brauerei in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen ergibt sich, dass ihre Gesamtjahreserzeugung 200 000 hl Bier nicht übersteigt.

    9        Im Jahr 2005 wurde ihr Stammkapital u. a. von der Gesellschaft österreichischen Rechts Menz Beratungs- und Beteiligungs GmbH (im Folgenden: Menz) in einer Höhe von 3 % der Geschäftsanteile und von der Gesellschaft deutschen Rechts Innstadt Brauerei AG (im Folgenden: Innstadt) als Hauptgesellschafterin in einer Höhe von 48 % der Geschäftsanteile gehalten. Diese beiden Gesellschaften hielten folglich zusammen 51 % der Geschäftsanteile an Glückauf.

    10      Ferner wurden die Geschäftsanteile an Innstadt u. a. von der Gesellschaft österreichischen Rechts Ottakringer Brauerei AG (im Folgenden: Ottakringer) zu 49 % und von Menz zu 30,7 % gehalten. Herr S. Menz war zugleich Vorstandsvorsitzender von Ottakringer und geschäftsführender Gesellschafter von Menz.

    11      Zudem war die Konzernmutter und beherrschende Gesellschafterin von Ottakringer die Gesellschaft österreichischen Rechts Getränke Holding AG. Diese stand zu 81 % im Besitz der Familien Wenckheim (ca. 65 %) und Menz (ca. 16 %). Gemäß der Satzung von Ottakringer zählte bei Stimmengleichheit der zwei Vorstandsmitglieder, nämlich von Frau Wenckheim und von Herrn Menz, die Stimme des Vorstandsvorsitzenden, d. h. die von Herrn Menz.

    12      Nach dem Vorabentscheidungsersuchen war Innstadt als assoziiertes Unternehmen in die konsolidierten Abschlüsse von Ottakringer sowohl nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) als auch nach dem österreichischen Handelsgesetzbuch einbezogen, wobei Glückauf als 48%‑Beteiligung von Innstadt ausgewiesen wurde.

    13      Es steht fest, dass während des im Ausgangsverfahren streitigen Zeitraums weder Innstadt noch Ottakringer, deren Gesamtjahreserzeugung 200 000 hl Bier überschritt, mit Glückauf gemeinsam am Markt auftrat. Zwischen diesen Brauereien bestanden keine Preisabsprachen, Pachtverträge oder Gewinnabführungsverträge. Ebenso waren sie unstreitig auf unterschiedlichen regionalen Märkten mit verschiedenen Kundenkreisen und unterschiedlichen Getränkesortimenten präsent. Es fanden auch keine gemeinsamen Werbeaktionen statt.

    14      Das Hauptzollamt qualifizierte Glückauf zunächst als eine von Innstadt und Ottakringer unabhängige Brauerei und wandte auf sie nach § 2 Abs. 2 BierStG den ermäßigten Steuertarif für die Biersteuer an. Nachdem es jedoch erfahren hatte, dass Menz seit 2001 einen Geschäftsanteil von 3 % an Glückauf hielt, folgerte es, dass Letztere von Ottakringer wirtschaftlich abhängig sei, und erhob mit Steueränderungsbescheid den Differenzbetrag zwischen der Steuer nach dem ermäßigten Tarif und nach dem Normaltarif nach.

    15      Nach erfolglosem Einspruch erhob Glückauf beim Thüringer Finanzgericht Klage gegen diesen Steueränderungsbescheid. Sie machte geltend, dass das Merkmal der wirtschaftlichen Unabhängigkeit im Licht des mit der Richtlinie 92/83 verfolgten Zwecks und des Verhaltens der Gesellschaften auf dem Markt auszulegen sei. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ließe sich im vorliegenden Fall nämlich nur feststellen, wenn die durch die gemeinsame Beteiligung eines Dritten verbundenen Unternehmen auf dem Markt wie ein einziges Unternehmen in Erscheinung träten und agierten.

    16      Das Thüringer Finanzgericht hat Zweifel, ob die Versagung der Biersteuerermäßigung nach § 2 Abs. 3 BierStG durch das Hauptzollamt mit Art. 4 der Richtlinie 92/83 zu vereinbaren sei. Keiner der Glückauf-Gesellschafter vereine unmittelbar die Mehrheit der Stimmrechte dieser Gesellschaft auf sich oder vermöge aufgrund vertraglicher Vereinbarungen beherrschenden Einfluss auf sie auszuüben. Die angenommene Abhängigkeit, auf die sich das Hauptzollamt berufe, werde allenfalls über die Beteiligung einer dritten Person vermittelt, so dass im vorliegenden Fall nur das Merkmal der wirtschaftlichen Unabhängigkeit in Rede stehe.

    17      Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob dieses Merkmal bei Vorliegen personeller Verflechtungen ohne unmittelbare Beteiligung, die einem Dritten Zugriff auf den Entscheidungsprozess einer Brauerei verschafften, erfüllt sei. Eine nur auf das Marktverhalten der Brauereien beschränkte Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit könnte zu kurz greifen. Da sich Abhängigkeitsverhältnisse zwischen verschiedenen Brauereien nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus rechtlichen Strukturen ergeben könnten, sei das kumulative Wirken der Merkmale der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu prüfen.

    18      Das Thüringer Finanzgericht hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Sind die Merkmale der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 für die Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Hinblick auf die Erwägungsgründe der Richtlinie dahin zu verstehen, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen ansonsten rechtlich unabhängigen Brauereien nur dann anzunehmen ist, wenn die betroffenen Brauereien nicht voneinander unbeeinflusst als Wettbewerber am Markt auftreten können, oder genügt bereits die faktische Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit der Brauereien, um dem Kriterium der Unabhängigkeit nicht mehr zu entsprechen?

     Zur Vorlagefrage

    19      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob für die Anwendung der Biersteuerermäßigung die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83, dass eine Brauerei rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, dahin zu verstehen ist, dass sich das Merkmal der wirtschaftlichen Unabhängigkeit zwischen rechtlich unabhängigen Brauereien nur auf das Marktverhalten dieser Brauereien bezieht, oder ob dieses Kriterium dann nicht mehr erfüllt ist, wenn eine Person die faktische Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit dieser Brauereien besitzt.

    20      Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist der Begriff der im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 „rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängigen Brauerei“ zu untersuchen.

    21      Mit der Richtlinie 92/83 sollen, wie sich aus ihrem dritten Erwägungsgrund sowie aus ihrem Titel ergibt, für alle betroffenen Erzeugnisse gemeinsame Definitionen festgelegt werden, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. Sie ist im Rahmen einer Politik der Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ergangen. Um eine einheitliche Anwendung dieser Richtlinie zu gewährleisten, sind ihre Begriffe autonom unter Berücksichtigung des Wortlauts der fraglichen Bestimmungen und der mit der Richtlinie verfolgten Ziele auszulegen (vgl. entsprechend Urteile vom 1. April 2004, Deutsche See-Bestattungs-Genossenschaft, C‑389/02, Slg. 2004, I‑3537, Randnr. 19, und vom 30. März 2006, Smits-Koolhoven, C‑495/04, Slg. 2006, I‑3129, Randnr. 17).

    22      Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 können die Mitgliedstaaten auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, die jährlich nicht mehr als 200 000 hl Bier herstellen, ermäßigte Steuersätze anwenden, sofern diese ermäßigten Steuersätze nicht um mehr als 50 % unter dem normalen nationalen Verbrauchsteuersatz liegen.

    23      Nach Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie gilt als kleine unabhängige Brauerei eine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von denen anderer Brauereien getrennt sind, und kein Lizenznehmer ist. Ferner können nach dieser Bestimmung zwei oder mehrere kleine Brauereien, sofern sie zusammenarbeiten und ihr gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, als eine einzige kleine unabhängige Brauerei behandelt werden.

    24      Nach dem Wortlaut des Art. 4 der Richtlinie 92/83 muss eine Brauerei, um in den Genuss der Biersteuerermäßigung zu kommen, somit zwei Voraussetzungen erfüllen, nämlich eine quantitative Voraussetzung hinsichtlich ihres höchstmöglichen Jahresausstoßes an Bier und eine qualitative Voraussetzung in Bezug auf ihre Unabhängigkeit von einer anderen Brauerei.

    25      Die Richtlinie 92/83 soll nach den Erwägungsgründen 7 und 17 für Bier aus kleinen unabhängigen Brauereien gemeinsame Regelungen festlegen, nach denen die Mitgliedstaaten auf dieses Erzeugnis ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwenden können, ohne dass derartige Sätze dazu führen, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verzerren.

    26      Durch die Richtlinie 92/83 soll somit verhindert werden, dass eine solche Verbrauchsteuerermäßigung Brauereien gewährt wird, deren Größe und Produktionskapazität eine Verzerrung des Binnenmarkts hervorrufen könnten. Demnach soll mit den in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Kriterien der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit sichergestellt werden, dass jede Form von wirtschaftlicher oder rechtlicher Abhängigkeit zwischen Brauereien zum Ausschluss von der steuerlichen Vergünstigung führt, den die Biersteuerermäßigung darstellt.

    27      Somit verlangt diese Bestimmung im Hinblick auf den mit der Richtlinie 92/83 verfolgten Zweck, dass die kleinen Brauereien mit einem Jahresausstoß von weniger als 200 000 hl Bier sowohl hinsichtlich ihrer Rechts- und Wirtschaftsstruktur als auch hinsichtlich ihrer Produktionsstruktur, indem sie Betriebsräume benutzen, die räumlich von anderen Brauereien getrennt sind, und Bier nicht unter Lizenz brauen, von einer anderen Brauerei tatsächlich unabhängig sind.

    28      In diesem Zusammenhang ist im Rahmen des Begriffs der im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 „rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängigen Brauerei“ zu prüfen, ob zwischen den betroffenen Brauereien insbesondere auf ihrer Leitungsebene oder bei den Geschäftsanteilen oder Stimmrechten rechtliche oder auch wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, die die Möglichkeit dieser Brauereien zu eigenständigen geschäftlichen Entscheidungen beeinträchtigen können.

    29      Außerdem bezweckt das Kriterium der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, dass der ermäßigte Verbrauchsteuersatz tatsächlich den Brauereien zugutekommt, die wegen ihrer geringen Größe benachteiligt sind, nicht aber denjenigen, die einem Konzern angehören. Um für Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 nur die Brauereien zu berücksichtigen, die tatsächlich rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind, ist also darauf zu achten, dass die Bedingung der Unabhängigkeit nicht durch die Erfüllung rein formaler Kriterien umgangen wird, insbesondere durch rechtliche Gebilde zwischen einzelnen kleinen, angeblich unabhängigen Brauereien, die in Wirklichkeit eine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Erzeugung die in Art. 4 der Richtlinie 92/83 festgelegten Grenzen übersteigt (vgl. entsprechend Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑91/01, Slg. 2004, I‑4355, Randnr. 50).

    30      Im Ausgangsverfahren geht das innerstaatliche Gericht von der Annahme aus, dass Glückauf rechtlich von anderen Brauereien, namentlich von Innstadt, Ottakringer und Menz, unabhängig ist. Seine Frage geht dahin, ob bei der Beurteilung des Merkmals der wirtschaftlichen Unabhängigkeit ausschließlich auf das tatsächliche Marktverhalten der betroffenen Brauereien abzustellen ist, oder vielmehr aus dem Umstand, dass ein und dieselbe Person auf die Geschäftstätigkeit dieser Brauereien Einfluss nehmen kann, geschlossen werden kann, dass dieses wirtschaftliche Merkmal nicht erfüllt ist.

    31      Der Begriff der „wirtschaftlichen Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 verweist, wie aus Randnr. 28 dieses Urteils hervorgeht und wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen betont hat, auf die Möglichkeit der betreffenden Brauerei zu eigenständigen geschäftlichen Entscheidungen.

    32      Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht erläutert, dass Herr Menz, der Geschäftsführungsbefugnisse bei Ottakringer und Menz besitze, in der Lage sei, über Innstadt, Ottakringer und Menz auf die Geschäftspolitik von Glückauf Einfluss zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse hinsichtlich dieser einzelnen Brauereien und der Abstimmungsregelung bei Ottakringer habe Herr Menz, auch wenn er nicht über eine unmittelbare Beteiligung an Glückauf verfüge, faktisch nämlich die Möglichkeit zur Einflussnahme auf deren Geschäftstätigkeit und könne die Interessen und Entscheidungsprozesse von Glückauf, Innstadt und Ottakringer zur Übereinstimmung bringen.

    33      Eine Situation wie die im Ausgangsverfahren, die dadurch gekennzeichnet ist, dass zwischen einzelnen Brauereien strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten bestehen, und die ein und derselben Person, die in mehreren der betroffenen Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit bietet, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, schließt es aus, diese Brauereien als im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen.

    34      Da Innstadt und Ottakringer nach Angaben des vorlegenden Gerichts jährlich über 200 000 hl Bier erzeugen, verstieße die Anwendung der Biersteuerermäßigung auf Glückauf gegen die in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Voraussetzung hinsichtlich des jährlichen Bierausstoßes.

    35      Was die eventuellen Auswirkungen des Marktverhaltens der betroffenen Brauereien im Hinblick auf die Feststellung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit angeht, so ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 auf die Rechts- und Wirtschaftsstruktur der Brauereien abstellt und sich nicht ausdrücklich auf deren Marktverhalten bezieht. Zum anderen lässt, wie die Kommission ausgeführt hat, das Auftreten der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Brauereien auf verschiedenen Märkten mit verschiedenen Produktsortimenten nicht den Schluss zu, dass diese Brauereien voneinander wirtschaftlich unabhängig wären, denn dieser Umstand kann im Gegenteil auch Ausdruck einer bewussten, auf Konzernebene beschlossenen Strategie zur Vermeidung oder Milderung eines konzerninternen Wettbewerbs sein.

    36      Demnach ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 dahin zu verstehen ist, dass eine Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten bestehen, und die ein und derselben Person, die in mehreren der betroffenen Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit bietet, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, es ausschließt, diese Brauereien als voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen.

     Kosten

    37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ist dahin zu verstehen, dass eine Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten bestehen, und die ein und derselben Person, die in mehreren der betroffenen Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit bietet, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, es ausschließt, diese Brauereien als voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Deutsch.

    Top