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Document 62008CC0389

Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 22. Juni 2010.
Base NV u. a. gegen Ministerraad.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Grondwettelijk Hof - Belgien.
Elektronische Kommunikation - Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie) - Art. 2 Buchst. g, 3 und 4 - Nationale Regulierungsbehörde - Nationaler Gesetzgeber als nationale Regulierungsbehörde - Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie) - Netze und Dienste - Art. 12 - Berechnung der Kosten der Universaldienstverpflichtungen - Soziale Komponente des Universaldienstes - Art. 13 - Finanzierung der Universaldienstverpflichtungen - Bestimmung der unzumutbaren Belastung.
Rechtssache C-389/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-09073

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:360

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 22. Juni 20101(1)

Rechtssache C‑389/08

Base NV,

Euphony Benelux NV,

Mobistar NV,

Uninet International NV,

T2 Belgium NV,

KPN Belgium NV

gegen

Ministerraad

(Vorabentscheidungsersuchen des Grondwettelijk Hof [Belgien])

„Elektronische Kommunikation – Richtlinie 2002/22/EG – Finanzierung der Universaldienstverpflichtungen – Sozialtarife – Begriff der unzumutbaren Belastung – Berechnung der Nettokosten – Nationale Regulierungsbehörden – Grundsatz der institutionellen Autonomie – Tätigwerden des Gesetzgebers als nationale Regulierungsbehörde“





I –    Einleitung

1.        Der belgische Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof) ersucht den Gerichtshof um Entscheidung über die Bedeutung der Bestimmungen der Richtlinie 2002/22 über den Universaldienst auf dem Telekommunikationssektor(2), die den Ausgleich für die Universaldienstverpflichtungen regeln. Konkret muss der Gerichtshof darüber befinden, ob diese Richtlinie, ausgelegt gemeinsam mit ihrer Rahmenrichtlinie, der Richtlinie 2002/21/EG(3), einen Gesetzgeber ermächtigt, als nationale Regulierungsbehörde tätig zu werden und die defizitäre Leistung eines Universaldienstes allein auf der Grundlage einer Kostenschätzung vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts zur „ungerechtfertigten Belastung“ zu erklären.

2.        Auch wenn das vorlegende Gericht im Vorlagebeschluss seine Aufmerksamkeit auf die belgische Regelung für den Ausgleich der gesamten Universaldienstverpflichtungen konzentriert, dürfte sich das nationale Verfahren hauptsächlich um einen besonderen Dienst drehen: die sogenannten Sozialtarife. Tatsächlich hat die belgische Regelung des Ausgleichs für die Leistungen dieses Dienstes auch die Aufmerksamkeit der Europäischen Kommission erregt und sie dazu veranlasst, beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage, die Rechtssache C‑222/08, Kommission/Belgien, zu erheben, in der die Schlussanträge am selben Tag wie im vorliegenden Verfahren vorgetragen werden.

3.        In diesem Vorabentscheidungsverfahren erhob eine Gruppe von Telekommunikationsunternehmen beim Grondwettelijk Hof eine Klage auf Nichtigerklärung des Gesetzes, das den Ausgleich für die Universaldienstverpflichtungen im Bereich der Telekommunikation regelt, wegen Verfassungswidrigkeit. Die Kläger rügen, dass sie gegenüber dem historischen Betreiber, der Belgacom, diskriminiert würden, da der Ausgleich für die erwähnten Dienstleistungen diesem Betreiber zum Nachteil der übrigen zugutekomme.

4.        Aufgrund dessen ersucht der Grondwettelijk Hof den Gerichtshof um Auslegung in Bezug auf die Natur, die das Unionsrecht den nationalen Regulierungsbehörden (im Folgenden: NRB) beimisst, jedoch auch in Bezug auf die Form des Ausgleichs für die Universaldienstverpflichtungen im Licht der Richtlinie 2002/22.

II – Anwendbares Recht

A –    EU-Recht

5.        Als Rahmenregelung des abgeleiteten Rechts im Bereich der Telekommunikation sieht die Richtlinie 2002/21 eine Reihe allgemeiner Bestimmungen vor, die auf die NRB anwendbar sind. Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens ist Art. 3 hervorzuheben, der Folgendes bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass alle den nationalen Regulierungsbehörden mit dieser Richtlinie und den Einzelrichtlinien übertragenen Aufgaben von einer zuständigen Stelle wahrgenommen werden.

(2)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden, indem sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbieten. Wenn Mitgliedstaaten weiterhin an Unternehmen beteiligt sind, die elektronische Kommunikationsnetze und/oder -dienste bereitstellen, oder diese kontrollieren, müssen sie eine wirksame strukturelle Trennung der hoheitlichen Funktion von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum oder der Kontrolle sicherstellen.

(3)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die nationalen Regulierungsbehörden ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben.

(4)      Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die von den nationalen Regulierungsbehörden wahrzunehmenden Aufgaben in leicht zugänglicher Form, insbesondere wenn diese Aufgaben mehr als einer Stelle übertragen werden. … Ist mehr als eine Behörde für diese Fragen zuständig, so sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die jeweiligen Aufgaben der einzelnen Behörden in leicht zugänglicher Form veröffentlicht werden.

(6)      Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unter Angabe der jeweiligen Zuständigkeiten alle Aufgaben mit, die den nationalen Regulierungsbehörden aufgrund dieser Richtlinie und der Einzelrichtlinien übertragen werden.“

6.        Die Richtlinie 2002/22 konkretisiert die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie durch deren Anwendung auf den Aspekt des Universaldienstes, der die Telekommunikationsdienste umfasst.

7.        Art. 3 der Richtlinie 2002/22 verpflichtet die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die Telekommunikationsdienste mit der angegebenen Qualität erbracht werden und es insbesondere ermöglichen, dass die Leistungen zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden, wenn andere als die üblichen Bedingungen vorliegen.

8.        Im Sinne der Richtlinie 2002/22 umfassen die Grunddienstleistungen: a) einen Anschluss an das öffentliche Telefonnetz an einem festen Standort zu einem erschwinglichen Preis; b) die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl öffentlicher Münz‑ oder Kartentelefone und dass Notrufnummern, insbesondere die einheitliche europäische Notrufnummer 112, von jedem Telefon aus kostenlos angerufen werden können; c) Teilnehmerverzeichnisse und Auskunftsdienste für Teilnehmernummern sowie d) bestimmte Maßnahmen zugunsten sozial besonders schwacher Nutzer wie solche in ländlichen oder entlegenen Gebieten, ältere Menschen, Behinderte oder einkommensschwache Personen, damit diese zu den gleichen Voraussetzungen wie alle anderen Zugang zum Universaldienst haben.

9.        Art. 8 der Richtlinie 2002/22 betrifft die Benennung der Erbringer des Universaldienstes:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können ein oder mehrere Unternehmen benennen, die die Erbringung des Universaldienstes gemäß den Artikeln 4, 5, 6 und 7 und – sofern anwendbar – Artikel 9 Absatz 2 gewährleisten, so dass das gesamte Hoheitsgebiet versorgt werden kann. Die Mitgliedstaaten können verschiedene Unternehmen oder Unternehmensgruppen für die Erbringung verschiedener Bestandteile des Universaldienstes und/oder zur Versorgung verschiedener Teile des Hoheitsgebiets benennen.

(2)      Verpflichten die Mitgliedstaaten eines oder mehrere Unternehmen zu Universaldiensten im gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil davon, erfolgt dies unter Anwendung eines effizienten, objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Benennungsverfahrens, wobei kein Unternehmen von vornherein von der Benennung ausgeschlossen wird. Diese Benennungsverfahren gewährleisten, dass der Universaldienst auf kostengünstige Weise erbracht wird, und können für die Ermittlung der Nettokosten der Universaldienstverpflichtungen gemäß Artikel 12 herangezogen werden.“

10.      Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/22 bedeutet ein erschwinglicher Preis einen Preis, „den der Mitgliedstaat unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten auf nationaler Ebene festlegt, was auch die Festlegung standortunabhängiger einheitlicher Tarife oder besondere Tarifoptionen zur Abdeckung der Bedürfnisse einkommensschwacher Nutzer umfassen kann. Die Erschwinglichkeit für die einzelnen Verbraucher hängt auch mit ihren Möglichkeiten zusammen, ihre Ausgaben zu überwachen und zu steuern.“

11.      Die Sozialtarife werden allgemein von Art. 9 der Richtlinie 2002/22 erfasst:

„(1)      Die nationalen Regulierungsbehörden überwachen die Entwicklung und Höhe der Endnutzertarife der Dienste, die gemäß den Artikeln 4, 5, 6 und 7 unter die Universaldienstverpflichtungen fallen und von benannten Unternehmen erbracht werden, insbesondere im Verhältnis zu den nationalen Verbraucherpreisen und Einkommen.

(2)      Die Mitgliedstaaten können unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten verlangen, dass die benannten Unternehmen den Verbrauchern Tarifoptionen oder Tarifbündel anbieten, die von unter üblichen wirtschaftlichen Gegebenheiten gemachten Angeboten abweichen, insbesondere um sicherzustellen, dass einkommensschwache Personen oder Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen Zugang zum öffentlichen Telefondienst haben und diesen nutzen können.

(3)      Die Mitgliedstaaten können – über Vorschriften für die Bereitstellung besonderer Tarifoptionen durch die benannten Unternehmen oder zur Einhaltung von Preisobergrenzen oder der Anwendung geografischer Mittelwerte oder anderer ähnlicher Systeme hinaus – dafür Sorge tragen, dass diejenigen Verbraucher unterstützt werden, die über niedrige Einkommen verfügen oder besondere soziale Bedürfnisse haben.

…“

12.      Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Universaldienstes führt Art. 13 der Richtlinie 2002/22 eine Methode zur Finanzierung der Universaldienstverpflichtungen wie folgt ein:

„(1)      Wenn die nationalen Regulierungsbehörden auf der Grundlage der Berechnung der Nettokosten nach Artikel 12 feststellen, dass ein Unternehmen unzumutbar belastet wird, beschließen die Mitgliedstaaten auf Antrag eines benannten Unternehmens,

a)      ein Verfahren einzuführen, mit dem das Unternehmen für die ermittelten Nettokosten unter transparenten Bedingungen aus öffentlichen Mitteln entschädigt wird, und/oder

b)      die Nettokosten der Universaldienstverpflichtungen unter den Betreibern von elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten aufzuteilen.

(2)      Wenn die Nettokosten gemäß Absatz 1 Buchstabe b) aufgeteilt werden, haben die Mitgliedstaaten ein Aufteilungsverfahren einzuführen, das von der nationalen Regulierungsbehörde oder einer Stelle verwaltet wird, die von den Begünstigten unabhängig ist und von der nationalen Regulierungsbehörde überwacht wird. Es dürfen nur die gemäß Artikel 12 ermittelten Nettokosten der in den Artikeln 3 bis 10 vorgesehenen Verpflichtungen finanziert werden.

(3)      Bei einem Aufteilungsverfahren sind die Grundsätze der Transparenz, der geringstmöglichen Marktverfälschung, der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit entsprechend den Grundsätzen des Anhangs IV Teil B einzuhalten. Es steht den Mitgliedstaaten frei, von Unternehmen, deren Inlandsumsatz unterhalb einer bestimmten Grenze liegt, keine Beiträge zu erheben.

(4)      Die eventuell im Zusammenhang mit der Aufteilung der Kosten von Universaldienstverpflichtungen erhobenen Entgelte müssen ungebündelt sein und für jedes Unternehmen gesondert erfasst werden. Solche Entgelte dürfen Unternehmen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats mit Kostenteilung keine Dienste erbringen, nicht auferlegt oder von ihnen erhoben werden.“

13.      Der Schritt vor dem Ausgleich ist die Bezifferung der Kosten des Universaldienstes, deren Berechnungssystem in Art. 12 der Richtlinie 2002/22 geregelt ist:

„(1)      Wenn nach Auffassung der nationalen Regulierungsbehörden die Bereitstellung des Universaldienstes gemäß den Artikeln 3 bis 10 möglicherweise eine unzumutbare Belastung für die Unternehmen darstellt, die zur Erbringung des Universaldienstes benannt sind, berechnen sie die Nettokosten für die Bereitstellung des Universaldienstes.

Zu diesem Zweck

a)      berechnet die nationale Regulierungsbehörde die Nettokosten der Universaldienstverpflichtung gemäß Anhang IV Teil A, wobei der den zur Bereitstellung des Universaldienstes benannten Unternehmen entstehende Marktvorteil berücksichtigt wird, oder

b)      wendet die nationale Regulierungsbehörde die nach dem Benennungsverfahren gemäß Artikel 8 Absatz 2 ermittelten Nettokosten für die Bereitstellung des Universaldienstes an.

(2)      Die zur Berechnung der Nettokosten von Universaldienstverpflichtungen nach Absatz 1 Buchstabe a) dienenden Konten und/oder weiteren Informationen sind von der nationalen Regulierungsbehörde oder einer von den jeweiligen Parteien unabhängigen und von der nationalen Regulierungsbehörde zugelassenen Behörde zu prüfen oder zu kontrollieren. Die Ergebnisse der Kostenberechnung und die Ergebnisse der Prüfung müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein.“

14.      Anhang IV Teil A sieht Folgendes vor:

„…

Bei der Berechnung sind die Nettokosten der Universaldienstverpflichtungen als Differenz zwischen den Nettokosten eines benannten Unternehmens für den Betrieb unter Einhaltung der Universaldienstverpflichtungen und den Nettokosten für den Betrieb ohne Universaldienstverpflichtungen zu ermitteln. Dies gilt unabhängig davon, ob das Netz in einem bestimmten Mitgliedstaat voll ausgebaut ist oder sich noch im Ausbau befindet. Die Kosten, die ein benanntes Unternehmen vermieden hätte, wenn die Universaldienstverpflichtungen nicht bestanden hätten, sind ordnungsgemäß zu ermitteln. Bei der Nettokostenberechnung sollten die Vorteile für den Universaldienstbetreiber, einschließlich der immateriellen Vorteile, berücksichtigt werden.

Den Berechnungen sind die Kosten zugrunde zu legen, die Folgendem zurechenbar sind:

i)      den Bestandteilen der ermittelten Dienste, die nur mit Verlust oder in einer Kostensituation außerhalb normaler wirtschaftlicher Standards erbracht werden können.

Zu dieser Kategorie können Dienstbestandteile wie der Zugang zu Notrufdiensten, die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Münz- oder Kartentelefone, die Erbringung bestimmter Dienste oder Bereitstellung von Geräten für Behinderte usw. gehören;

ii)      besonderen Endnutzern oder Gruppen von Endnutzern, die in Anbetracht der Kosten für die Bereitstellung des besonderen Netzes und der besonderen Dienste, der erwirtschafteten Erträge und einer vom Mitgliedstaat möglicherweise auferlegten räumlichen Durchschnittsbildung bei den Preisen nur mit Verlust oder in einer Kostensituation außerhalb normaler wirtschaftlicher Standards bedient werden können.

Zu dieser Kategorie gehören diejenigen Endnutzer oder Gruppen von Endnutzern, die von einem gewinnorientierten Unternehmen ohne Verpflichtung zur Erbringung eines Universaldienstes nicht bedient würden.

Die Berechnung der Nettokosten bestimmter Aspekte der Universaldienstverpflichtungen erfolgt getrennt und auf eine Weise, bei der eine Doppelzählung mittelbarer oder unmittelbarer Vorteile und Kosten vermieden wird. Die gesamten Nettokosten der Universaldienstverpflichtungen für ein Unternehmen sind als Summe der Nettokosten zu berechnen, die sich aus den speziellen Bestandteilen der Universaldienstverpflichtungen ergeben, wobei alle immateriellen Vorteile zu berücksichtigen sind. Die nationale Regulierungsbehörde ist für die Überprüfung der Nettokosten verantwortlich.“

B –    Belgisches Recht

15.      Das Gesetz vom 13. Juni 2005 über die elektronische Kommunikation in der durch das Gesetz vom 25. April 2007 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz von 2005 in geänderter Fassung) sieht eine Regelung zur Finanzierung des Universaldienstes vor, bei der zwischen Sozialtarifen und den übrigen Universaldienstverpflichtungen unterschieden wird.

16.      Art. 74 des Gesetzes von 2005 in geänderter Fassung (in seiner Fassung aufgrund von Art. 173 des Gesetzes vom 25. April 2007) enthält die Grundsätze für den Ausgleich zwischen Betreibern; danach besteht die soziale Komponente des Universaldienstes in „besonderen Tarifbedingungen [für] bestimmte Kategorien von Begünstigten“(4).

17.      Das Belgische Institut für Post‑ und Fernmeldewesen (im Folgenden: BIPF) hat dem Minister jährlich einen Bericht darüber vorzulegen, wie viele „sozial schwache Teilnehmer“ von den einzelnen Unternehmen im Verhältnis zu deren Marktanteil im Bereich des öffentlichen Telefondienstes versorgt werden(5).

18.      Die Entschädigung für die „Sozialtarife“ wird auf Antrag des betreffenden Betreibers beim BIPF von einem mit Rechtspersönlichkeit ausgestatten Fonds geleistet, der vom BIPF verwaltet wird(6).

19.      In Bezug auf den Ausgleich der Kosten der einzelnen Unternehmen für die „Sozialkunden“ sieht Art. 74 Abs. 6 und 7 die Aufteilung der Mittel im Verhältnis zum Gesamtumsatz der Unternehmen vor. Die Ausgleichszahlungen sind sofort fällig, der tatsächliche Ausgleich über den Fonds erfolgt aber, sobald dieser seine Arbeit aufnehmen kann, und spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten von Art. 74(7).

20.      Die Nettokosten der „Sozialtarife“ für alle Betreiber, die dies beantragen, werden vom BIPF nach der in der Anlage festgelegten Methode berechnet(8). Auch kann das BIPF die Modalitäten der Berechnung der Kosten und Ausgleichszahlungen innerhalb der durch das Gesetz bestimmten Grenzen festlegen(9).

21.      Nach Art. 45bis der erwähnten Anlage ist zur Berechnung der Nettokosten der Sozialtarife die Differenz zu bilden zwischen den Einnahmen, die das Unternehmen unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen erzielen würde, und den Einnahmen, die es aufgrund der im Gesetz vorgesehenen Ermäßigungen zugunsten der durch den Sozialtarif tatsächlich Begünstigten erzielt. Ferner enthält dieser Artikel eine Übergangsregelung, wonach während der ersten fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die Ausgleichszahlungen, die der historische Betreiber (gegebenenfalls) erhält, um einen vom BIPF auf der Grundlage des indirekten Gewinns festgelegten Prozentsatz verringert werden; dafür stützt sich das BIPF auf seine Berechnungen der Nettokosten seiner Sozialtarife.

22.      Art. 202 des Gesetzes von 2007 enthält eine Auslegung des letzten Absatzes von Art. 74 des Gesetzes von 2005, wonach die Ausgleichszahlungen des Fonds sofort fällig sind. Nach diesem Artikel hat der belgische Gesetzgeber bei der Vorbereitung des Gesetzes von 2005 unter Berücksichtigung der in der Richtlinie 2002/22 vorgesehenen Bedingungen auf Antrag des historischen Betreibers des Universaldienstes und nach Festlegung der Nettokosten für den Universaldienst durch das BIPF als NRB die Belastung des früheren Monopolisten beurteilt. Der Gesetzgeber war der Ansicht, dass unter Berücksichtigung aller indirekten Gewinne einschließlich der immateriellen Gewinne jede aus dieser Berechnung hervorgehende defizitäre Situation tatsächlich eine unzumutbare Belastung sei.

III – Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

23.      Am 8. November 2007 erhoben Base, Euphony Benelux, Mobistar, Uninet International, T2 Belgium und KPN Belgium beim Grondwettelijk Hof eine Nichtigkeitsklage in Bezug auf das Gesetz vom 25. April 2007 und machten zur Begründung einen Verstoß gegen Art. 10 und 11 der Grondwet (belgische Verfassung) geltend.

24.      Die Klägerinnen rügen die unterschiedliche Behandlung, die sich ihres Erachtens aus diesen Bestimmungen gegenüber der Belgacom ergibt, weil der Gesetzgeber in Bezug auf den ehemaligen Monopolisten festgestellt habe, dass der Universaldienst eine „unzumutbare Belastung“ darstelle, und auf diese Weise den Eindruck erwecke, dass diese Einstufung erst in Zukunft durch ein Gesetz revidiert werden könne. Die „unzumutbare Belastung“ könne in Bezug auf die Klägerinnen jedoch vielmehr nur vom BIPF festgestellt und gegebenenfalls aktualisiert werden.

25.      Ferner habe sich der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Nettokosten der Aktiengesellschaft Belgacom auf Zahlenangaben aus der Buchführung des Jahres 2001 gestützt, während die Ermittlung für sie vom BIPF auf der Grundlage aktueller Zahlenangaben vorgenommen worden sei.

26.      Unbeschadet dessen geht der Grondwettelijk Hof davon aus, dass der Gesetzgeber als Regulierungsbehörde festgestellt habe, dass die Bereitstellung des Universaldienstes eine „unzumutbare Belastung“ für alle Betreiber darstellen könne, weshalb er konkret die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Lässt sich Art. 12 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten (Universaldienstrichtlinie) dahin gehend auslegen, dass er es erlaubt, dass der als nationale Regulierungsbehörde auftretende zuständige Gesetzgeber eines Mitgliedstaats generell und anhand der Berechnung der Nettokosten des Anbieters des Universaldienstes, der vorher der einzige Anbieter war, feststellt, dass die Bereitstellung des Universaldienstes eine unzumutbare Belastung für die Unternehmen darstellen kann, die zur Erbringung des Universaldienstes benannt sind?

IV – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

27.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 8. September 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

28.      Die belgische Regierung, Base und Belgacom sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

29.      Am 17. März 2010 hat in diesem Vorabentscheidungsverfahren und in der Rechtssache C‑222/08 eine gemeinsame Sitzung stattgefunden. An dieser haben die Prozessbevollmächtigten des Königreichs Belgien, von Base u. a., der Belgacom SA und der Kommission teilgenommen.

V –    Untersuchung der Vorlagefrage

30.      In dem durch die Ausführungen des Grondwettelijk Hof vorgegebenen Rahmen ist erstens zu ermitteln, ob der belgische Gesetzgeber im Einklang mit der Richtlinie 2002/22 gehandelt hat, als er eine rückwirkende Feststellung über die Auslegung wie die von 2007 getroffen hat, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Richtlinie diese Entscheidung ausschließlich den NRB zuweist. Ist diese Frage zu bejahen, ist sodann zu prüfen, ob eine abstrakt‑generelle Wertung der Daten, die ausschließlich die Belgacom – den früheren Monopolisten – betreffen, sich auf die übrigen Unternehmen ohne Berücksichtigung ihrer besonderen Lage übertragen lässt.

A –             Zu den NRB und dem Vorgehen des belgischen Gesetzgebers

31.      Zur Erfüllung der durch die Richtlinie 2002/21 zugewiesenen Regulierungsaufgaben haben die Mitgliedstaaten diese Aufgaben unabhängigen Einrichtungen übertragen, die über besondere technische Kenntnisse verfügen. Dies geht aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie hervor, wonach diese Einrichtungen, die NRB, „rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, ‑geräte oder ‑dienste anbieten“.

32.      Diese Maßnahme, die weitreichende institutionelle Auswirkungen hat, hat ihre Grundlage in der Öffnung strategischer Märkte, auf denen herkömmlicherweise die Staaten ein Monopol innehatten, wie auf dem Markt der Telekommunikation, wobei dem Staat durch das Unionsrecht eine Aufgabentrennung vorgeschrieben wird: auf der einen Seite die Aufgabe eines mit öffentlicher Gewalt ausgestatteten Vermittlers und auf der anderen Seite diejenige eines Unternehmers mit berechtigten Gewinnerwartungen.

33.      Um beide Aspekte miteinander zu vereinbaren, wird die Regulierungsaufgabe unabhängigen Behörden zugewiesen, die im Bereich der Telekommunikation die Bezeichnung nationale Regulierungsbehörden (NRB, wie ich sie genannt habe) erhalten haben. Die Unabhängigkeit, die diese Behörden genießen, dürfte durch den Wortlaut der Richtlinien verstärkt werden, doch verbleibt den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum bei der Festlegung des genauen Umfangs dieser Unabhängigkeit. Somit ist zu betonen, dass zwei Ebenen des Schutzes bzw. der Festlegung der Unabhängigkeit der NRB bestehen: die Ebene des Unionsrechts, auf der die Richtlinien den generellen Umfang der Festlegung regeln, und die Ebene des nationalen Rechts, das die Regelung dieser Unabhängigkeit konkretisieren muss.

34.      Diese zweite Ebene der Ausgestaltung der Unabhängigkeit der NRB wird durch die Rahmenrichtlinie selbst anerkannt, in deren Erwägungsgründen eingeräumt wird, dass die Regulierungsspielräume dieser Einrichtungen „weder die institutionelle Autonomie und die verfassungsmäßigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten noch den Grundsatz der Neutralität im Hinblick auf die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten nach Art. 295 des Vertrags [berühren] …“(10).

35.      Zur Vervollständigung dieses Rahmens hat der Gerichtshof vor Kurzem zweckdienliche Auslegungshinweise gegeben und auf diese Weise dazu beigetragen, das Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit der NRB und der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten zu lösen.

1.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den NRB und zur institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten

36.      Nach einem gefestigten Grundsatz ist die Entscheidung, welche Organe der Mitgliedstaaten die Verpflichtung aus dem Unionsrecht zu erfüllen haben, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten(11). Die Verteilung der Befugnisse durch die Mitgliedstaaten darf jedoch weder den Wortlaut noch die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts gefährden.

37.      Dieses Spannungsverhältnis zwischen der institutionellen Autonomie und der Wirksamkeit des Unionsrechts verschärft sich noch, wenn der europäische Gesetzgeber einen Sektor harmonisiert und für die Mitgliedstaaten geltende Maßnahmen der institutionellen Ordnung einführt. So verhält es sich bekanntlich im Fall der Richtlinien im Bereich der Telekommunikation, in dem die Rahmenrichtlinie die Mitgliedstaaten zur Schaffung unabhängiger spezialisierter Einrichtungen verpflichtet(12). In dieser Lage wird die Notwendigkeit, die nationale institutionelle Ordnung dem Unionsrecht anzupassen, zwingend, bedeutet jedoch nicht, dass den Mitgliedstaaten jeglicher Handlungsspielraum genommen wird.

38.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat nämlich bestätigt, dass die Gründung und die Organisation der NRB in einem abstrakt‑generellen Rahmen erfolgen, der durch die Telekommunikationsrichtlinien festgelegt worden ist, und dass die Mitgliedstaaten deren Festlegung mit einem erheblichen Entscheidungsspielraum zu vollziehen haben. Aus den beiden einschlägigen Urteilen, Comisión del Mercado de las Telecomunicaciones(13) und Kommission/Deutschland(14), ergeben sich diese und andere Leitlinien, die für die Entscheidung des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens besonders zweckdienlich sind.

39.      In der Rechtssache Comisión del Mercado de las Telecomunicaciones ist die Frage vorgelegt worden, ob ein Mitgliedstaat die Zuteilung nationaler Nummerierungsressourcen und die Verwaltung der nationalen Nummerierungspläne unterschiedlichen Behörden übertragen kann. Diese Aufgaben sind in Art. 10 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie geregelt, und Spanien hatte ihre Durchführung zwischen der NRB und der Regierung aufgeteilt. Der Gerichtshof hat die Frage dahin beantwortet, dass die Rahmenrichtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, die Funktionen, die diese den NRB zuweist, unterschiedlichen Behörden zu übertragen. Allerdings ist mit dem Urteil eine erhebliche Nuancierung dadurch eingeführt worden, dass festgestellt worden ist, dass die Mitgliedstaaten nicht nur gewährleisten müssen, dass die Regulierungsbehörden von allen Unternehmen, die elektronische Kommunikationsnetze, ‑geräte oder ‑dienste anbieten, funktional unabhängig sind, „sondern auch die Aufgaben dieser Behörden in leicht zugänglicher Form veröffentlichen und der Kommission unter Angabe der jeweiligen Zuständigkeiten die Namen der Regulierungsbehörden mitteilen [müssen], denen die Aufgaben übertragen wurden“(15).

40.      Der Rechtsstreit zwischen der spanischen NRB und der Regierung Spaniens wurde schließlich durch das Tribunal Supremo in Anwendung dieser Rechtsprechung entschieden, und die Entscheidung fiel zugunsten der NRB aus(16): Auf der einen Seite ist das Bestehen unterschiedlicher Regulierungsbehörden zugelassen worden, die die Eigenschaft einer NRB haben; auf der anderen Seite muss der Mitgliedstaat diese Aufteilung so vollziehen, dass ein Mindestniveau an Vorhersehbarkeit erreicht wird, und muss daher klar festlegen, welche Zuständigkeiten bei welcher Behörde liegen, und davon unverzüglich die Kommission unterrichten(17).

41.      Die zweite Entscheidung des Gerichtshofs, die berücksichtigt werden muss, ist kürzlich in der Rechtssache Kommission/Deutschland ergangen. In diesem Vertragsverletzungsverfahren hat die Kommission geltend gemacht, dass die Bundesrepublik Deutschland die Telekommunikationsrichtlinien dadurch verletzt habe, dass sie durch Gesetz die Anwendung der Regulierung auf empfindliche Märkte sowie die Möglichkeiten der Regelung und des Eingriffs der NRB in Bezug auf besondere Regulierungsziele beschränkt habe. In diesem Urteil hat der Gerichtshof über zwei Gesichtspunkte von besonderem Interesse für das vorliegende Verfahren entschieden: Zum einen hat er die Rolle der NRB bei der Untersuchung der relevanten Märkte in erster Linie dahin festgelegt, dass sie zu prüfen haben, ob auf diesem Markt bestimmte Unternehmen beträchtliche Marktmacht ausüben, die geeignet ist, Verzerrungen bei dessen Funktionieren herbeizuführen. Soweit der deutsche Gesetzgeber die NRB von der Definition und Untersuchung der neuen Märkte ausgeschlossen hatte, ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber diesen Behörden die Möglichkeit genommen hatte, die ihnen die Richtlinien ausdrücklich zuweisen(18). Zum anderen ist mit dem Urteil eine Regelung für unzulässig erklärt worden, die bestimmte von den NRB zu verfolgende Ziele festlegte. Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Gesetzgeber dann, wenn er die vorrangige Berücksichtigung eines der in der Rahmenrichtlinie anerkannten Ziele durch die NRB vorschreibt, „eine Abwägung dieser Ziele vor[nimmt], obwohl diese Abwägung bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen regulatorischen Aufgaben der NRB zufällt“(19).

42.      Generalanwalt Poiares Maduro hat die letztgenannte Frage in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Deutschland eingehend untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die den NRB übertragenen Aufgaben gelegentlich dem Gesetzgeber entzogen sein können. Wie er in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausführt, „ergeben sich … unterschiedliche Konsequenzen je nachdem, ob [die Abwägung eines Bündels von Zielen] dem nationalen Gesetzgeber oder den nationalen Regulierungsbehörden zugewiesen wird. Die mit dem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen erfolgte Einrichtung der nationalen Regulierungsbehörden und ihre Ausstattung mit besonderen Befugnissen haben einen bestimmten Grund: Sie sollen von individuellen Interessen unbeeinflusst sein und ihre Entscheidungen ausschließlich anhand der durch den Rechtsrahmen geschaffenen Kriterien treffen.“

43.      Gerade weil der Gesetzgeber eine besondere Aufgabe im jeweiligen nationalen Rechtssystem erfüllt, stimme ich mit Generalanwalt Poiares Maduro darin überein, dass es Gelegenheiten gibt, bei denen diese Aufgabe nicht mit den Aufgaben der NRB vereinbar ist. Der Umstand, dass die Arbeiten der Vorbereitung bei der Marktanalyse, der Abwägung von Zielen und dem Erlass von Einzelfallentscheidungen diesen Behörden obliegen, bedeutet, dass die Richtlinien ihnen diese Aufgaben zuweisen, weil sie als die technisch und rechtlich geeignetste Einrichtung für die Übernahme der Regulierungsaufgaben der Union angesehen werden(20).

44.      Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen lassen sich die folgenden Schlüsse ziehen.

45.      Erstens legt jeder Mitgliedstaat die Zuweisung besonderer Aufgaben an die NRB durch die Richtlinien in Ausübung eines weiten Ermessens fest. Infolgedessen untersagen es die Richtlinien nicht, dass verschiedene NRB auf ein und demselben Markt bestehen, von denen jede getrennte Aufgaben erfüllt, solange diese Teilung nicht zur Rechtsunsicherheit führt. Somit muss die Verleihung der Eigenschaft einer NRB an unterschiedliche Behörden ein Mindestmaß an Vorhersehbarkeit und Transparenz beachten.

46.      Zweitens ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber gelegentlich bestimmte Aufgaben von NRB übernimmt, wenn der Mitgliedstaat dies als angebracht ansieht, jedoch stets unter Beachtung der erwähnten Voraussetzungen der Vorhersehbarkeit und Transparenz. Der Gesetzgeber hat sogar die Möglichkeit, Entscheidungen zu erlassen, die unmittelbar in die Aufgaben der NRB eingreifen, solange er sich nicht diese Eigenschaft anmaßt(21). Allerdings kann, wie sich aus dem Urteil Kommission/Deutschland ableiten lässt, dieser Eingriff nur dann im Einklang mit den Richtlinien stehen, wenn dieses Verhalten Aufgaben, die der NRB ausdrücklich durch die Richtlinien zugewiesen worden sind, weder begrenzt noch beseitigt. Der Grund für diese Beschränkung der Rechtsetzungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ist der Grund des Bestehens der NRB selbst, die geschaffen und eingerichtet worden sind, um besonderen Zwecken zu dienen, die nach dem Willen der Mitgliedstaaten beim Erlass der Richtlinie von technischen Einrichtungen erfüllt werden sollen, die funktionell vom Regierungshandeln und der parlamentarischen Tätigkeit getrennt sind.

2.      Der belgische rechtliche Rahmen im Licht der Richtlinien und ihrer Auslegung in der Rechtsprechung

47.      Bei diesem Stand der Erörterung ist nun zu ermitteln, ob der belgische Gesetzgeber zulässigerweise Aufgaben übernommen hat, die die Rahmenrichtlinie wie auch die Richtlinie 2002/22 grundsätzlich den NRB zuweisen. Andernfalls ist weiter zu prüfen, ob der belgische Gesetzgeber, obwohl er sich die Eigenschaft einer NRB beigemessen hat, zulässigerweise so handeln durfte.

48.      Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2002/22 bestimmt ausdrücklich, dass die NRB zu untersuchen haben, ob die Bereitstellung eines Universaldienstes eine unzumutbare Belastung für die Unternehmen darstellt, die den Dienst erbringen. Zu diesem Zweck berechnen sie die Nettokosten der Leistung gemäß den in den Buchst. a und b dieses Absatzes festgelegten Kriterien. Nach Durchführung der Berechnung entscheidet die NRB gemäß Art. 13 der Richtlinie 2002/22 förmlich, ob ein Unternehmen unzumutbar belastet wird. Von diesem Moment an erwähnt die Regelung die NRB nicht mehr offen und bestimmt, dass die Mitgliedstaaten auf Antrag eines benannten Unternehmens beschließen(22), ein Verfahren über die Entschädigung aus öffentlichen Mitteln oder ein System der Aufteilung der Kosten unter den Betreibern von elektronischen Kommunikationsnetzen einzuführen.

49.      Das Verfahren, das die Richtlinie 2002/22 vorgibt, ist völlig klar und charakterisiert die Aufgaben, die jeder Einrichtung zukommen. Es fällt ins Auge, dass die NRB und ausdrücklich sie dazu aufgerufen sind, die vorbereitenden Aufgaben der Analyse und Festlegung des Marktes und der Kosten eines Universaldienstes auszuführen. Diese Aufgabe wird ihnen anvertraut, damit die Erkundung des Marktes von einer technisch zuverlässigen und funktionell unabhängigen Einrichtung vorgenommen wird. Der Grund dafür ist, dass unbeschadet des Umstands, dass die Entschädigung für die Universaldienstleistung eine unter dem Gesichtspunkt des Marktes akzeptable Maßnahme darstellt, gleichwohl eine Missbrauchsgefahr besteht, die schließlich die Wettbewerbsstellung einiger Betreiber verändern kann. Daher ist von der Richtlinie 2002/22 gewollt, dass die NRB die Grundlagen bestimmt, die später für eine Kapitalzuführung zugunsten eines oder mehrerer Dienstleistungserbringer erfolgt.

50.      Von diesem Moment an, sobald das Vorliegen einer hinreichenden technischen und rechtlichen Grundlage für die Entschädigung festgelegt ist, weist die Richtlinie 2002/22 „den Mitgliedstaaten“ eine Art Entscheidungskern zu. Auf diese Weise verschwinden die NRB zu dem Zeitpunkt, zu dem die zweifellos wesentliche Entscheidung erlassen wird: die über das Entschädigungssystem und seine mögliche individuelle Anwendung. Somit hat die Richtlinie 2002/22 ein System geschaffen, das aus zwei Phasen besteht, deren erste, erkundender und technischer Art, ausschließlich in den Händen der NRB liegt und deren zweite, die in den Händen der Mitgliedstaaten liegt, einer Einrichtung anvertraut werden kann, die als die geeignetste und der institutionellen Autonomie der einzelnen Länder am besten entsprechende betrachtet wird. Nichts verwehrt es dem Gesetzgeber, als zuständige Behörde für die Festlegung der Entschädigungsregelung zu handeln, auch wenn er dies gemäß den Leitlinien zu tun hat, die Art. 13 der Richtlinie 2002/22 festlegt.

51.      Ist dieses Verfahren in Belgien befolgt worden?

52.      In Anbetracht der Ereignisse in den Jahren von 2005 bis 2007 kann dies nur verneint werden.

53.      Erstens ist hervorzuheben, dass in der Vorprüfungsphase, die die Richtlinie 2002/22 ausdrücklich den NRB zuweist und die im vorliegenden Fall im Jahr 2005 stattfand, sowie bei der Gesetzgebung jede Erwähnung der Bezifferung der Kosten wie auch des Umstands, dass eine „unzumutbare Belastung“ bestanden habe, unterblieb. Erst im Jahr 2007 und nach Einleitung des Vertragsverletzungsvorverfahrens durch die Kommission erließ der belgische Gesetzgeber eine rückwirkende auslegende Maßnahme mit der Angabe, dass mit dem Gesetz von 2005 diese Maßnahme durchgeführt worden und das Vorliegen einer „unzumutbaren Belastung“ bestätigt worden sei. Dieses Vorgehen verstößt gegen den Kern von Art. 12 der Richtlinie 2002/22, dessen Zweck darin besteht, die Vorhersehbarkeit und den technischen Charakter dieses ersten Verfahrensstadiums zu gewährleisten. Wie nämlich im Urteil Comisión del Mercado de las Telecomunicaciones festgestellt worden ist, muss die Übernahme von Aufgaben einer NRB durch eine Einrichtung, im vorliegenden Fall den Gesetzgeber, nach Veröffentlichung in leicht zugänglicher Form und entsprechender Mitteilung an die Kommission erfolgen, wobei die verschiedenen Zuständigkeiten jeder einzelnen Behörde klar festgelegt sein müssen(23). Nicht nur steht nicht fest, ob Belgien vor 2005 eine Erklärung dieser Art abgegeben hat, sondern es ist sogar ein völlig entgegengesetztes Verhalten festzustellen, indem sich der Gesetzgeber solche Aufgaben rückwirkend beimisst, was kaum mit der Bedeutung vereinbar ist, die die Richtlinien dem Wert der Stabilität und der Rechtssicherheit auf diesem Gebiet beimessen.

54.      Selbst wenn der Gesetzgeber nicht als NRB, sondern als souveräne Gesetzgebungsinstanz auftreten wollte, wäre ein solches Verhalten ebenfalls mit der Richtlinie 2002/22 unvereinbar. Deren Art. 12 verleiht nämlich den NRB, und nur diesen, eine Ermittlungsaufgabe technisch‑rechtlichen Charakters zu dem Zweck, zu bestimmen, ob die zur Erbringung des Universaldienstes verpflichteten Unternehmen einer „unzumutbaren Belastung“ unterliegen. Die Richtlinie 2002/22 macht in Art. 13 eine Ausnahme von diesem Monopol erst dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, ein konkretes Entschädigungssystem festzulegen und anzuwenden. Obwohl der Gesetzgeber durch diese Richtlinie in vollem Umfang ermächtigt wird, sich für eines der Entschädigungsmodelle zu entscheiden, die ihm das Unionsrecht vorgibt, und zwar mit einem weiten Wertungsspielraum, der die institutionelle Autonomie des Mitgliedstaats zu einem Zeitpunkt wahrt, der in engem Zusammenhang mit der streng vermögensrechtlichen Entscheidung steht, gilt genau das Gegenteil in den vorhergehenden Abschnitten der Prüfung und Ermittlung. Indem der belgische Gesetzgeber sowohl die Aufgabe des Vorverfahrens als auch die Aufgabe der vermögensrechtlichen Entscheidung übernimmt, die in den Art. 12 und 13 der Richtlinie 2002/22 vorgesehen sind, hat er das dort geregelte Gleichgewicht zwischen den NRB und den übrigen nationalen Behörden gestört und somit das Gemeinschaftsrecht verletzt.

B –             Die Berechnung der Universaldienstverpflichtungen

55.      Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich ein vertieftes Eingehen auf die übrigen vom Grondwettelijk Hof vorgelegten Aspekte. Eine Lösung der dargelegten Art wird das vorlegende Gericht zu einem kategorischen Ergebnis führen: Da sowohl das Gesetz von 2005 als auch das Gesetz von 2007 mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, indem sie eine Regelung einführen, die nicht das von der Richtlinie 2002/22 vorgeschriebene Verfahren befolgt, ist die bei ihm anhängige Klage gegenstandslos geworden.

56.      Daher ist, obwohl sich das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen auf zusätzliche Fragen bezogen hat, der wesentliche Zweifel im vorliegenden Verfahren in zweckdienlicher Weise mit dem Vorschlag, den ich dem Gerichtshof jetzt unterbreite, beseitigt, unbeschadet meiner Schlussanträge in der Rechtssache C‑222/08.

VI – Ergebnis

57.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten untersagt es einem nationalen Gesetzgeber, das Vorliegen einer unzumutbaren Belastung auf der Grundlage der Berechnung der Kosten festzustellen, die dem Erbringer des Universaldienstes entstanden sind, da diese Aufgaben von der Richtlinie 2002/22 ausdrücklich den nationalen Regulierungsbehörden zugewiesen worden sind. Misst sich der nationale Gesetzgeber die Eigenschaft einer nationalen Regulierungsbehörde bei, muss der Mitgliedstaat vor der Übernahme von Aufgaben die den einzelnen Behörden zugewiesenen besonderen Zuständigkeiten in klarer Form und vor der Mitteilung an die Kommission festlegen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) (ABl. L 108, S. 51).


3 – Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 108, S. 33).


4 – Art. 74 Abs. 1.


5 – Art. 74 Abs. 3.


6 – Art. 74 Abs. 4.


7 – Art. 74 Abs. 8.


8 – Art. 74 Abs. 9.


9 – Art. 74 Abs. 10.


10 – Elfter Erwägungsgrund.


11 – Vgl. unter vielen Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe (33/76, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5), und Comet (45/76, Slg. 1976, 2043, Randnr. 13), vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck (C‑312/93, Slg. 1995, I‑4599, Randnr. 12), vom 20. September 2001, Courage Crehan (C‑453/99, Slg. 2001, I‑6297, Randnr. 29), vom 11. September 2003, Safalero (C‑13/01, Slg. 2003, I‑8679, Randnr. 49), vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 39), vom 7. Juni 2007, Van der Weerd u. a. (C‑222/05 bis C‑225/05, Slg. 2007, I‑4233, Randnr. 28).


12 – Vgl. hierzu Muñoz Machado, S., und Esteve Pardo, J. (Hrsg.), „Fundamentos e instrumentos jurídicos de la regulación económica“, Derecho de la regulación económica, Bd. I, Iustel, Madrid, 2009, S. 133.


13 – Urteil vom 6. März 2008 (C‑82/07, Slg. 2008, I‑1265).


14 – Urteil vom 3. Dezember 2009 (C‑424/07, Slg. 2009, I‑0000).


15 – Randnr. 25.


16 – Urteil des Tribunal Supremo, Sala de lo contencioso-administrativo, 3. Abteilung, vom 10. März 2009.


17 – Vgl. Cienfuegos Mateo, M., und Armengol Ferrer, F., „Cuestión prejudicial comunitaria, pluralidad de organismos nacionales reguladores en el ámbito de las telecomunicaciones y conflicto potencial de competencias entre el Estado y las Comunidades Autónomas“, Unión Europea Aranzadi, Oktober 2008.


18 – Randnrn. 81 bis 83.


19 – Randnr. 93.


20 – Komesar, N., Imperfect Alternatives – Choosing Institutions in Law,Economics and Public Policy, Chicago, University of Chicago Press, 1994, S. 176 ff.


21 – Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. L 137, S. 37), durch die die Richtlinien von 2002 im Bereich der Telekommunikation geändert werden, wird eingeräumt, dass der Gesetzgeber nicht die geeignetste Einrichtung für die Übernahme von Aufgaben der NRB sei, jedoch insoweit keine abschließende Aussage getroffen. Im Gegenteil, die Mehrdeutigkeit des Erwägungsgrundes, der sich darauf beschränkt, sich gegen den Rückgriff auf gesetzgeberisches Handeln auszusprechen, scheint zu bestätigen, dass die Gesetzgeber als NRB tätig werden können, wenn sie nur bestimmte Voraussetzungen erfüllen: „… Hierfür sollten ausdrückliche Bestimmungen des nationalen Rechts gewährleisten, dass die für die Vorabregulierung des Markts oder für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen zuständigen nationalen Regulierungsbehörden bei der Durchführung ihrer Aufgaben vor äußerer Einflussnahme und politischem Druck geschützt werden, die sie an der unabhängigen Beurteilung der von ihnen bearbeiteten Angelegenheiten hindern könnten. Wegen einer derartigen äußeren Einflussnahme eignen sich nationale rechtsetzende Organe nicht dazu, als nationale Regulierungsbehörde nach dem Rechtsrahmen zu fungieren.“ (Hervorhebung nur hier).


22 – Hervorhebung nur hier.


23 – Vgl. Urteil Comisión Nacional de Telecomunicaciones, Randnr. 25.

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