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Document 62007CJ0561

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 11. Juni 2009.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 2001/23/EG -Unternehmensübergang - Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer - Nationale Rechtsvorschriften, die die Nichtanwendung auf den Übergang von Unternehmen in einer ‚Krisensituation‘ vorsehen.
Rechtssache C-561/07.

Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-04959

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:363

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑561/07

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 18. Dezember 2007,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch J. Enegren und L. Pignataro als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik , vertreten durch R. Adam als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.‑C. Bonichot, J. Makarczyk und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2009,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16) verstoßen hat, dass sie Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 10 vom 12. Januar 1991, im Folgenden: Gesetz Nr. 428/1990) für den Fall einer „Krise des Unternehmens“ im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c des Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 (GURI Nr. 243 vom 7. September 1977, im Folgenden: Gesetz Nr. 675/1977) in der Weise beibehalten hat, dass die den Arbeitnehmern in den Art. 3 und 4 der Richtlinie zuerkannten Ansprüche beim Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt wurde, nicht gewährleistet sind.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2. Art. 3 der Richtlinie 2001/23 bestimmt:

„(1) Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.

(2) Die Mitgliedstaaten können geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der Veräußerer den Erwerber über alle Rechte und Pflichten unterrichtet, die nach diesem Artikel auf den Erwerber übergehen, soweit diese dem Veräußerer zum Zeitpunkt des Übergangs bekannt waren oder bekannt sein mussten. …

(3) Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.

(4) a) Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Absätze 1 und 3 nicht für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten.

b) Die Mitgliedstaaten treffen auch dann, wenn sie gemäß Buchstabe a) nicht vorsehen, dass die Absätze 1 und 3 für die unter Buchstabe a) genannten Rechte gelten, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Buchstabe a) genannten Zusatzversorgungseinrichtungen.“

3. Art. 4 der Richtlinie 2001/23 bestimmt:

„(1) Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

…“

4. Art. 5 der Richtlinie 2001/23 lautet:

„(1) Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Artikel 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.

(2) Wenn die Artikel 3 und 4 für einen Übergang während eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer (unabhängig davon, ob dieses Verfahren zur Auflösung seines Vermögens eingeleitet wurde) gelten und dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein nach dem innerstaatlichen Recht bestimmter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) steht, kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass

a) ungeachtet des Artikels 3 Absatz 1 die vor dem Übergang bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährt, der dem von der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers [(ABl. L 283, S. 23) in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21 und ABl. 1995, L 1, S. 1) geänderten Fassung] vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist, und/oder

b) der Erwerber, der Veräußerer oder die seine Befugnisse ausübenden Personen auf der einen Seite und die Vertreter der Arbeitnehmer auf der anderen Seite Änderungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insoweit das geltende Recht oder die geltende Praxis dies zulassen, vereinbaren können, die den Fortbestand des Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen.

(3) Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 Buchstabe b) auf Übergänge anwenden, bei denen sich der Veräußerer nach dem einzelstaatlichen Recht in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sofern das Bestehen einer solchen Notlage von einer zuständigen öffentlichen Stelle bescheinigt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht gegeben ist, falls das innerstaatliche Recht solche Bestimmungen am 17. Juli 1998 bereits enthielt.

…“

Nationales Recht

5. Art. 47 des Gesetzes Nr. 428/1990 bestimmt in den Abs. 5 und 6:

„Beim Übergang von Unternehmen oder Produktionsstätten, bei denen der CIPI [interministerieller Ausschuss zur Koordinierung der Industriepolitik] das Vorliegen einer Krise des Unternehmens im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c des Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 festgestellt hat, … findet … Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs keine Anwendung auf Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber fortgesetzt wird, es sei denn, dass die Vereinbarung günstigere Bedingungen vorsieht. In der Vereinbarung kann auch vorgesehen werden, dass der Übergang nicht das überzählige Personal betrifft und dass dieses ganz oder teilweise im Dienst des Veräußerers verbleibt.

Die Arbeitnehmer, die vom Erwerber, Pächter oder neuen Betreiber nicht übernommen werden, sind bei den von diesen vorgenommenen Einstellungen ab dem Übergang ein Jahr lang oder für einen längeren Zeitraum, wenn die Kollektivverträge dies vorsehen, bevorrechtigt. Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs ist auf die genannten Arbeitnehmer, die vom Erwerber, Käufer oder neuen Betreiber nach dem Übergang des Unternehmens eingestellt werden, nicht anwendbar.“

6. Nach dem Gesetz Nr. 675/1977 ermöglicht die Feststellung des Bestehens einer Krise eines Unternehmens im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c dieses Gesetzes dem Unternehmen, vorübergehend die Übernahme der Entlohnung aller oder eines Teils seiner Beschäftigten durch die Cassa integrazione guadagni straordinaria (besondere Lohnausfallkasse, im Folgenden: CIGS) in Anspruch zu nehmen.

7. Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs in der durch das Gesetzesdekret Nr. 18 vom 2. Februar 2001 geänderten Fassung (GURI Nr. 43 vom 21. Februar 2001, im Folgenden: Zivilgesetzbuch) sieht vor:

„(1) Bei einem Unternehmensübergang wird das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber fortgesetzt, und der Arbeitnehmer behält alle sich daraus ergebenden Rechte.

(2) Der Veräußerer und der Erwerber haften gesamtschuldnerisch für alle Forderungen, die dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Übergangs zustanden. …

(3) Der Erwerber hat die in den nationalen und regionalen Kollektivverträgen und in Betriebsvereinbarungen vorgesehenen wirtschaftlichen und normativen Maßnahmen, die zum Zeitpunkt des Übergangs in Kraft waren, bis zu deren Ablauf anzuwenden, sofern diese Verträge und Vereinbarungen nicht durch andere auf das Unternehmen des Erwerbers anwendbare Verträge und Vereinbarungen ersetzt werden. Die Wirkung einer Ersetzung tritt nur zwischen Kollektivverträgen auf der gleichen Ebene ein.

(4) Unbeschadet der Möglichkeit, vom Kündigungsrecht im Sinne der Kündigungsvorschriften Gebrauch zu machen, stellt der Unternehmensübergang als solcher keinen Grund zur Kündigung dar. …

…“

Vorverfahren

8. Mit Mahnschreiben vom 10. April 2006 machte die Kommission die italienischen Behörden darauf aufmerksam, dass Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 möglicherweise die Richtlinie 2001/23 verletze, weil die Arbeitnehmer eines in den Genuss des Systems der CIGS kommenden Unternehmens, die auf den Erwerber übergingen, nicht die Rechte in Anspruch nehmen könnten, die ihnen Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs unbeschadet der eventuell in einem Gewerkschaftsabkommen vorgesehenen Garantien gewährleiste.

9. Die Italienische Republik bestritt mit Schreiben vom 8. August 2006, dass sie ihre Verpflichtungen verletzt habe, und machte geltend, dass Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit der Richtlinie 2001/23 vereinbar sei.

10. Mit Schreiben vom 23. März 2007 sandte die Kommission der Italienischen Republik eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis kam, dass dieser Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/23 verletzt habe, und ihn aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen. Die Italienische Republik antwortete auf diese Stellungnahme mit Schreiben vom 29. Mai 2007 und wiederholte im Wesentlichen ihr früheres Vorbringen.

11. Unter diesen Umständen hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

12. Vorab ist klarzustellen, dass die Kommission mit ihrer Klage geltend macht, dass Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 deshalb nicht mit der Richtlinie 2001/23 in Einklang stehe, weil er die Anwendung von Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs, der beim Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt worden sei, die in den Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 enthaltenen Garantien umsetze, auf die Arbeitnehmer nicht gewährleiste.

13. Nach einigen Erläuterungen durch die Italienische Republik und einer Frage des Gerichtshofs hat die Kommission in ihrer Erwiderung und in der mündlichen Verhandlung auf die Rüge eines Verstoßes des genannten Art. 47 Abs. 5 und 6 gegen Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 und Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 verzichtet.

Vorbringen der Parteien

14. Die Kommission macht geltend, dass mit dem Ausschluss der Anwendung von Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs auf den Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt worden sei, die Arbeitnehmer, deren Unternehmen Gegenstand eines Übergangs sei, den Anspruch auf Anerkennung ihres Dienstalters, ihrer Vergütung, ihrer beruflichen Qualifikationen und den Anspruch auf Leistungen bei Alter aus dem System der sozialen Sicherheit gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 verlören. Sie verlören auch den Anspruch auf die Aufrechterhaltung der in Kollektivverträgen vereinbarten Arbeitsbedingungen für die Mindestdauer von einem Jahr, wie er in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie garantiert werde.

15. Die Kommission weist darauf hin, dass Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23 es erlaube, die Abs. 1 und 3 des Art. 3 auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit nicht anzuwenden, dass aber die Mitgliedstaaten dann die zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu treffen hätten. Dies sei bei den fraglichen italienischen Rechtsvorschriften nicht der Fall.

16. Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 stehe außerdem mit Art. 4 der Richtlinie 2001/23 nicht in Einklang; diese Bestimmung untersage zwar eine allein auf den Übergang gestützte Kündigung, stehe jedoch Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich brächten, nicht entgegen. Die Kommission meint somit, dass die Feststellung, dass sich ein Unternehmen in einer Krise befinde, nicht automatisch und systematisch Änderungen im Bereich der Beschäftigung im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2001/23 mit sich bringe. Darüber hinaus verpflichte die Feststellung einer Krise nur den Veräußerer, während die Verpflichtungen aus Art. 4 der Richtlinie 2001/23 auch auf den Erwerber Anwendung fänden.

17. Der Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt worden sei, sei kein Übergang eines Unternehmens, das sich in einem mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffneten Verfahren befinde und unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle stehe. Dieser letztere Fall sei der einzige von der Richtlinie 2001/23 in Art. 5 Abs. 1 vorgesehene Fall, bei dem es zulässig sei, die Art. 3 und 4 der Richtlinie nicht anzuwenden.

18. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 sei auf das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise ebenso wenig anwendbar, da zum einen die in dieser Bestimmung aufgestellte Prämisse die Anwendung der Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 sei und zum anderen Art. 5 Abs. 2 nur im Fall eines Unternehmensübergangs während eines Insolvenzverfahrens anwendbar sei, dem das in Rede stehende Verfahren angesichts der Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil vom 7. Dezember 1995, Spano u. a. (C‑472/93, Slg. 1995, I‑4321), nicht gleichgestellt werden könne.

19. Auch Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23, der die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b bei einem Übergang in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage erlaube, könne nicht herangezogen werden, da Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 die Mitgliedstaaten lediglich ermächtige, dem Veräußerer und den Vertretern der Arbeitnehmer zu gestatten, unter bestimmten Umständen Änderungen der Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, und es ihnen somit nicht erlaube, die Anwendung der Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 auszuschließen, wie dies Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 vorsehe.

20. Die Italienische Republik bestreitet die behauptete Vertragsverletzung und macht erstens geltend, dass ihr nicht vorgeworfen werden könne, Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs nicht anzuwenden, wenn die Richtlinie 2001/23 eine fakultative Gewährleistung vorsehe. Dies sei z. B. hinsichtlich der Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen der Fall, deren Übergang gemäß Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 ausgeschlossen sei, sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsähen.

21. Zweitens sehe die Richtlinie 2001/23, wenn sie obligatorische Gewährleistungen festlege, nämlich die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 3 und in Art. 4, auch ausdrücklich die Möglichkeit vor, von diesen aufgrund besonderer Umstände abzuweichen.

22. Zu der in Art. 4 der Richtli nie 2001/23 vorgesehenen Gewährleistung führt die Italienische Republik aus, dass das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise immer spezifische Fälle einer Unternehmenskrise mit besonderer Bedeutung auf sozialer Ebene unter dem Gesichtspunkt der örtlichen Beschäftigung und der Lage der Produktion in dem betroffenen Wirtschaftssektor betreffe, welche die Kündigung rechtfertigende Umstände darstellten.

23. Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/23 stelle eine Ausnahme von den in Art. 3 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Gewährleistungen dar, die in einer Situation einer Unternehmenskrise wie der nach dem Gesetz Nr. 675/1977 anwendbar sei, da die Feststellung der Krise eines Unternehmens im Sinne dieses Gesetzes die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens voraussetze.

24. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23, der ein Insolvenzverfahren gegen den Veräußerer betreffe, „unabhängig davon, ob dieses Verfahren zur Auflösung seines Vermögens eingeleitet wurde“, sei nämlich auf das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise anwendbar. In einem solchen Fall sehe diese Bestimmung, auch wenn die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 angewendet würden, eine wesentliche Abweichung vor, der zufolge es ungeachtet des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 zulässig sei, die Verbindlichkeiten des Veräußerers gegenüber den Arbeitnehmern nicht übergehen zu lassen, sofern dieses Verfahren einen Schutz gewähre, der dem Schutz gemäß der Richtlinie 80/987 in ihrer durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge geänderten Fassung zumindest gleichwertig sei. Der Mechanismus der CIGS erstrecke sich über eine längere Zeit und bezwecke nach Art. 47 Abs. 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 eine Einstellung des überzähligen Personals durch den Erwerber vorrangig vor eventuellen weiteren Einstellungen, die dieser in dem auf den Unternehmensübergang folgenden Jahr vorzunehmen gedenke.

25. Auch Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23, der durch eine Verweisung auf Abs. 2 Buchst. b des Art. 5 Änderungen der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers zulasse, um im Fall einer schwierigen wirtschaftlichen Lage den Fortbestand des Unternehmens zu sichern und dadurch Arbeitsplätze zu erhalten, stelle eine spezifische Abweichung von der Gewährleistung in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 dar, der die Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen für mindestens ein Jahr vorsehe. Art. 47 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 428/1990 sehe ein Verfahren vor, das in allen Punkten mit dem für die Anwendung der Abweichung nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 vorausgesetzten Verfahren übereinstimme. So werde die schwierige wirtschaftliche Lage von einer öffentlichen Stelle festgestellt, es werde die Erhaltung der Beschäftigung verlangt, eine Vereinbarung zwischen dem Erwerber, dem Veräußerer und den Vertretern der Arbeitnehmer sei erforderlich, und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht sei gegeben, da die Beteiligten, wenn das vorgesehene Verfahren insbesondere im Hinblick auf den Abschluss einer Vereinbarung nicht eingehalten werde, berechtigt seien, das zuständige Gericht anzurufen.

26. Die Italienische Republik macht schließlich geltend, dass eine Auslegung der Richtlinie 2001/23, die dazu führe, dass die überzähligen Arbeitnehmer des Unternehmens am Verbleiben im Dienst des Veräußerers gehindert würden, sich zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken könne, sei es, weil ein potenzieller Erwerber vom Erwerb des Unternehmens abgeschreckt würde, wenn er das überzählige Personal des übergegangenen Unternehmens übernehmen müsste, sei es, weil das Personal entlassen würde und damit die Vorteile einbüßen würde, die ihm die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer gegebenenfalls gebracht hätte.

Würdigung durch den Gerichtshof

27. Zunächst ist festzustellen, dass die Italienische Republik nicht bestreitet, dass Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit dem Ausschluss der Anwendung des Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs den übergegangenen Arbeitnehmern, denen das System der CIGS zugutekommt, bei Feststellung einer Krise des Unternehmens die Gewährleistungen, die Gegenstand der vorliegenden Klage sind, entzieht. Sie macht jedoch geltend, dass dieser Ausschluss mit der Richtlinie 2001/23 vereinbar sei, da diese erstens in ihrem Art. 3 Abs. 4 eine fakultative Gewährleistung enthalte und zweitens ausdrücklich erlaube, von den obligatorischen Gewährleistungen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 3 und Art. 4 abzuweichen.

28. Daher ist erstens zu prüfen, ob Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23 eine fakultative Gewährleistung enthält, deren Ausschluss durch Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 gerechtfertigt ist.

29. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23 sieht eine Ausnahme von der Anwendung seiner Abs. 1 und 3 vor, wonach der Erwerber verpflichtet ist, die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis sowie die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags für einen Mindestzeitraum von einem Jahr aufrechtzuerhalten.

30. Diese Ausnahme betrifft die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Dabei ist unter Berücksichtigung der von der Richtlinie verfolgten allgemeinen Zielsetzung des Schutzes der Rechte der Arbeitnehmer beim Unternehmensübergang diese Ausnahme eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2002, Beckmann, C‑164/00, Slg. 2002, I‑4893, Randnr. 29).

31. Weiter ist festzustellen, dass nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 die Mitgliedstaaten auch dann, wenn sie von dieser Ausnahme Gebrauch machen, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Buchst. a dieser Bestimmung genannten Zusatzversorgungseinrichtungen treffen müssen.

32. Somit ist, die Vereinbarkeit des sich aus Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 ergebenden Ausschlusses der Verpflichtung eines Übergangs von Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus Zusatzversorgungseinrichtungen mit Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 unterstellt, dennoch festzustellen, dass das Vorbringen der Italienischen Republik, der Ausschluss der Anwendung von Art. 2112 des Zivilgesetzbuchs auf übergegangene Arbeitnehmer bei einer Krise des Unternehmens stehe mit Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23 in Einklang, auf einer irrigen und unvollständigen Lektüre dieses Art. 3 Abs. 4 beruht. Zum einen nämlich können nur die außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit gewährten Leistungen, die in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 abschließend aufgezählt sind, von der Verpflichtung des Übergangs der Rechte der Arbeitnehmer ausgenommen werden. Zum anderen muss mit diesem Ausschluss der Verpflichtung des Übergangs der Rechte der Arbeitnehmer der Erlass von Maßnahmen durch den Mitgliedstaat einhergehen, die gemäß Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte auf Leistungen bei Alter aus den unter Buchst. a genannten Zusatzversorgungseinrichtungen notwendig sind.

33. Folglich kann den Argumenten der Italienischen Republik zur Stützung des Vorbringens, dass Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23 in Einklang stehe, nicht gefolgt werden.

34. Zweitens ist zu prüfen, ob die Nichtanwendung von Art. 3 Abs. 1 und 3 und Art. 4 der Richtlinie 2001/23 durch Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit den Bestimmungen der Richtlinie selbst vereinbar ist, soweit diese ausdrücklich Ausnahmen von den dort vorgesehenen obligatorischen Gewährleistungen in Betracht ziehen sollte.

35. Was erstens das Argument der Italienischen Republik betrifft, dass die Voraussetzungen, die eine Kündigung bei einem Übergang im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 rechtfertigten, in den spezifischen Fällen einer Unternehmenskrise im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c des Gesetzes Nr. 675/1977 erfüllt seien, ist daran zu erinnern, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer gegen eine allein mit dem Übergang gerechtfertigte Kündigung sowohl gegenüber dem Veräußerer als auch gegenüber dem Erwerber gewährleistet, dabei jedoch Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegensteht.

36. Es ist festzustellen, dass der Umstand, dass für ein Unternehmen das Bestehen einer Krise im Sinne des Gesetzes Nr. 675/1977 festgestellt wird, nicht zwangsläufig und systematisch Änderungen im Bereich der Beschäftigung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 mit sich bringt. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtfertigungsgründe für eine Kündigung nach den fraglichen italienischen Vorschriften nur in spezifischen Fällen einer Unternehmenskrise angewandt werden können, wie die Italienische Republik selbst einräumt. Daher kann die Feststellung einer Unternehmenskrise nicht zwangsläufig und systematisch einen wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Grund darstellen, der Änderungen im Bereich der Beschäftigung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 mit sich bringt.

37. Was zweitens das Argument der Italienischen Republik betrifft, dass die Abweichung nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 auf das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise wie das in Art. 47 Abs. 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 bezeichnete anwendbar sei, so ergibt sich aus dem Wortlaut der erstgenannten Bestimmung, dass die Mitgliedstaaten, wenn die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 für einen Übergang während eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer gelten und dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle steht, vorsehen können, dass bestimmte Verbindlichkeiten des Veräußerers ungeachtet des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie unter den in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a aufgestellten Voraussetzungen nicht übergehen.

38. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 erlaubt daher den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen, einige Gewährleistungen der Art. 3 und 4 der Richtlinie nicht auf einen Unternehmensübergang anzuwenden, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und es unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle steht. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Frage, ob die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26), die Vorläuferin der Richtlinie 2001/23, auf den Übergang eines Unternehmens anwendbar ist, das Gegenstand eines Verfahrens zur Feststellung des Bestehens einer Krise war, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass dieses Verfahren die Förderung der Aufrechterhaltung der Tätigkeit des Unternehmens im Hinblick auf eine spätere Übernahme bezweckt, keine gerichtliche Kontrolle umfasst und keinen Zahlungsaufschub vorsieht (Urteil Spano u. a., Randnrn. 28 und 29). Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der CIPI sich darauf beschränkt, die Krise eines Unternehmens festzustellen, und dass diese Feststellung dem betroffenen Unternehmen die vorübergehende Inanspruchnahme des Eintritts der CIGS für die Entlohnung aller oder eines Teils seiner Arbeitnehmer ermöglicht.

39. In Anbetracht dieser Gesichtspunkte kann folglich weder angenommen werden, dass das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise des Unternehmens ein Ziel verfolgt, das dem des Insolvenzverfahrens nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 entspricht, noch, dass es unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle im Sinne dieses Artikels steht.

40. Somit sind die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 in dem Verfahren, das Gegenstand der vorliegenden Vertragsverletzungsklage ist, nicht gegeben, so dass das Vorbringen der Italienischen Republik hierzu keinen Erfolg haben kann.

41. Selbst wenn zudem Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 auf das Verfahren zur Feststellung des Bestehens einer Krise anwendbar sein sollte, wie dies die Italienische Republik geltend macht, bleibt es doch dabei, dass die Grundvoraussetzung dieser Bestimmung die Anwendung der Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 ist. Art. 47 Abs. 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 sieht aber gerade deren Ausschluss vor.

42. Diese Auslegung wird im Übrigen durch die Systematik des Art. 5 der Richtlinie 2001/23 bestätigt. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber die Anwendung der Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 ausschließen wollte, hat er das nämlich ausdrücklich vorgesehen, wie aus dem Wortlaut selbst des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie hervorgeht, wonach die Art. 3 und 4 nicht für den Übergang eines Unternehmens gelten, bei dem ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens eröffnet wurde, sofern die Mitgliedstaaten nicht etwas anderes vorsehen.

43. Was drittens das Argument der Italienischen Republik hinsichtlich der Vereinbarkeit von Art. 47 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaubt, vorzusehen, dass die Arbeitsbedingungen gemäß Abs. 2 Buchst. b geändert werden können, wenn sich der Veräußerer in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sofern das Bestehen einer solchen Notlage von einer zuständigen öffentlichen Stelle bescheinigt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht gegeben ist.

44. Vorausgesetzt, dass die Lage eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt wurde, als eine schwierige wirtschaftliche Lage angesehen werden kann, ermächtigt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 die Mitgliedstaaten folglich dazu, die Möglichkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen vorzusehen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern und dadurch Arbeitsplätze zu erhalten, ohne deswegen den Arbeitnehmern die Rechte zu entziehen, die ihnen durch die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 gewährleistet werden.

45. Es steht aber fest, dass Art. 47 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 428/1990 den Arbeitnehmern beim Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt wurde, die in den Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 vorgesehenen Rechte schlicht und einfach entzieht und sich somit nicht auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen, wie sie Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 erlaubt, beschränkt.

46. Entgegen dem Vorbringen der Italienischen Republik kann die Änderung der Arbeitsbedingungen nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 keine spezifische Abweichung von der Gewährleistung des Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie sein, der die Aufrechterhaltung der in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen für wenigstens ein Jahr nach dem Übergang sicherstellt. Die Regeln der Richtlinie 2001/23 sind nämlich als zwingend in dem Sinne anzusehen, dass von ihnen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden darf; die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Kollektivvertrag gehen allein aufgrund des Übergangs von Rechts wegen auf den Erwerber über (Urteil vom 9. März 2006, Werhof, C‑499/04, Slg. 2006, I‑2397, Randnrn. 26 und 27). Daraus folgt, dass die in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 erlaubte Änderung der Arbeitsbedingungen voraussetzt, dass der Übergang der Rechte der Arbeitnehmer auf den Erwerber bereits erfolgt ist.

47. Darüber hinaus hängt die Anwendung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23 von der Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht ab. Die Italienische Republik hat hierzu ausgeführt, dass die Beteiligten das Recht hätten, bei einem Verstoß gegen das vorgesehene Verfahren das zuständige Gericht anzurufen. Dieses Recht kann nicht als die in diesem Artikel bezeichnete Aufsicht begründend angesehen werden, da diese eine ständige Aufsicht durch das Gericht voraussetzt, das für das Unternehmen zuständig ist, für das eine schwierige wirtschaftliche Lage bescheinigt worden ist.

48. Hinsichtlich des Vorbringens der Italienischen Republik, wonach die Auslegung der Richtlinie 2001/23, die dazu führe, dass die überzähligen Arbeitnehmer des Unternehmens am Verbleiben im Dienst des Veräußerers gehindert würden, für diese weniger günstig sein könne, ist ferner daran zu erinnern, dass der Gerichtshof insoweit ausgeführt hat, dass eine Bestimmung wie Art. 47 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 428/1990, die bewirkt, dass den Beschäftigten eines Unternehmens Garantien entzogen werden, die ihnen die Richtlinie bietet, nicht als eine für die Arbeitnehmer günstigere Vorschrift im Sinne des Art. 8 dieser Richtlinie angesehen werden kann (Urteil Spano u. a., Randnr. 33).

49. Damit kann dem Vorbringen der Italienischen Republik, dass der Ausschluss der in Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie in Art. 4 der Richtlinie 2001/23 vorgesehenen Gewährleistungen durch Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 mit der Richtlinie vereinbar sei, nicht gefolgt werden.

50. Nach alledem ist die Klage der Kommission als begründet anzusehen.

51. Folglich ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/23 verstoßen hat, dass sie Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428/1990 für den Fall einer „Krise des Unternehmens“ im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c des Gesetzes Nr. 675/1977 in der Weise beibehalten hat, dass die den Arbeitnehmern durch Art. 3 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 4 der Richtlinie 2001/23 zuerkannten Ansprüche beim Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt wurde, nicht gewährleistet sind.

Kosten

52. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Italienischen Republik beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen verstoßen, dass sie Art. 47 Abs. 5 und 6 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 für den Fall einer „Krise des Unternehmens“ im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Buchst. c des Gesetzes Nr. 675 vom 12. August 1977 in der Weise beibehalten hat, dass die den Arbeitnehmern in Art. 3 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 4 dieser Richtlinie zuerkannten Ansprüche beim Übergang eines Unternehmens, für das das Bestehen einer Krise festgestellt wurde, nicht gewährleistet sind.

2. Die Italienische Republik trägt die Kosten.

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