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Document 62005CC0287

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 29. März 2007.
D. P. W. Hendrix gegen Raad van Bestuur van het Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep - Niederlande.
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Art. 12 EG, 17 EG, 18 EG und 39 EG -Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Art. 4 Abs. 2a und Art. 10a sowie Anhang IIa - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Art. 7 Abs. 1 - Beitragsunabhängige Sonderleistungen- Niederländische Leistung für junge Behinderte - Nichtexportierbarkeit.
Rechtssache C-287/05.

Sammlung der Rechtsprechung 2007 I-06909

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:196

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 29. März 2007(1)

Rechtssache C-287/05

D. P. W. Hendrix

gegen

Raad van Bestuur van het Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen

(Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep)

„Soziale Sicherheit – beitragsunabhängige Sonderleistungen – Arbeitnehmerfreizügigkeit – Unionsbürgerschaft“





I –    Einleitung

1.        In den Niederlanden wohnende junge Behinderte, die ganz oder teilweise arbeitsunfähig sind, erhalten eine Geldleistung nach der Wet arbeidsongeschiktheidsvoorziening jonggehandicapten (Gesetz über Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit junger Behinderte – Wajong). Die Leistung tritt an die Stelle eines Arbeitseinkommens oder ergänzt dieses bis zur Höhe eines Mindesteinkommens.

2.        Im Urteil Kersbergen-Lap und Dams-Schipper(2), das nach Erlass des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ergangen ist, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Wajong-Leistung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71(3) ist, die nach Art. 10a dieser Verordnung nicht an Gebietsfremde gezahlt zu werden braucht. Die Klägerinnen in jenem Verfahren waren allerdings nicht berufstätig, so dass die Leistung in ihrem Fall ein Arbeitseinkommen vollständig ersetzte.

3.        Im Unterschied dazu ist Herr Hendrix, der Berufungskläger im Ausgangsrechtsstreit, Arbeitnehmer. Da er weniger als das gesetzliche Mindesteinkommen verdiente, erhielt er die Geldleistung nach dem Wajong als Ergänzungsleistung zu seinem Lohn, solange er in den Niederlanden wohnte. Nach seinem Umzug nach Belgien wurde die Zahlung der Leistung eingestellt.

4.        Neben der Beurteilung der Leistung am Maßstab der Verordnung Nr. 1408/71 wirft der Centrale Raad van Beroep daher die Frage auf, ob sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann, wenn er in diesem Staat berufstätig ist und allein seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat. Sofern die Arbeitnehmerfreizügigkeit in dieser Konstellation anwendbar ist, fragt sich, inwieweit die Regelungen der Verordnung Nr. 1408/71 über beitragsunabhängige Sonderleistungen hiermit in Einklang stehen. Auch die Vereinbarkeit entsprechender Regelungen mit der Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 18 EG stellt das Gericht zur Prüfung.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

5.        Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1612/68(4) lautet:

„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.“

6.        Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

„Diese Verordnung berührt nicht die gemäß Artikel 51 des Vertrages erlassenen Bestimmungen.“

7.        Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a)      Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

b)      Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

(2)      Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme, nach denen die Arbeitgeber, einschließlich der Reeder, zu Leistungen gemäß Absatz 1 verpflichtet sind.

(2a)      Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie

a)      entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden

b)      oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind.

(2b)      Diese Verordnung gilt nicht für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, deren Geltung auf einen Teil des Gebiets dieses Mitgliedstaats beschränkt ist.

(4)      Diese Verordnung ist [nicht] … auf die Sozialhilfe … anzuwenden.“

8.        Für beitragsunabhängige Sonderleistungen nach Art. 4 Abs. 2a trifft Art. 10a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 folgende Regelung:

„Ungeachtet der Bestimmungen in Artikel 10 und Titel III erhalten die Personen, für die diese Verordnung gilt, die in Artikel 4 Absatz 2a aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar ausschließlich in dem Wohnmitgliedsstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Diese Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt.“

9.        In Anhang II a Punkt Q zu der Verordnung Nr. 1408/71 ist das niederländische Gesetz über Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit für junge Behinderte aufgeführt.

10.      Art. 95b Abs. 8 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„Die Anwendung des Artikels 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 darf nicht zum Entzug von Leistungen führen, die vor dem 1. Juni 1992 von den zuständigen Trägern der Mitgliedstaaten nach Titel III der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gewährt wurden und für die Art. 10 der letztgenannten Verordnung gilt.“

B –    Nationales Recht

11.      Abhängig Beschäftigte sind in den Niederlanden von dem ersten Arbeitstag an nach der Wet op de arbeitsongeschiktheidsverzekering (Gesetz über die Versicherung wegen Arbeitsunfähigkeit – WAO) gegen Arbeitsunfähigkeit versichert. Soweit Personen wegen einer Behinderung gar nicht oder von Anfang an nur eingeschränkt arbeiten können, erhalten sie insoweit keine Leistung nach der WAO.

12.      Bis Anfang 1998 galt in den Niederlanden die Algeme Arbeidsongeschiktheidswet (Allgemeines Gesetz über die Arbeitsunfähigkeit) (AAW), die eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung für alle Bewohner der Niederlande umfasste, die nicht nach der WAO versichert waren. Nach der AAW konnten u. a. Personen, die an ihrem 17. Geburtstag arbeitsunfähig waren, ab ihrem 18. Lebensjahr eine Mindestleistung für junge Behinderte in Anspruch nehmen. Die Leistungen nach der AAW wurden durch Beiträge der Versicherten finanziert, deren Höhe von dem steuerbaren Einkommen abhängig war.

13.      Ab dem 1. Januar 1998 wurde die AAW, soweit hier von Belang, durch die Wet arbeidsongeschiktheidsvoorziening jonggehandicapten (Gesetz über Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit junger Behinderte) vom 24. April 1997 (Wajong) ersetzt. Die Wajong sieht für die spezielle Gruppe junger Behinderter eine Leistung entsprechend dem in den Niederlanden angenommenen Existenzminimum vor.

14.      Der Anspruch auf Leistungen nach der Wajong, die nahezu vollständig durch staatliche Mittel finanziert werden, ist nicht von der persönlichen Bedürftigkeit abhängig. Die Leistungen werden jedoch gekürzt, wenn der Empfänger Einkünfte aus Arbeit erzielt.

15.      Anders als die frühere AAW werden Leistungen nach der Wajong nur an Behinderte gewährt, die in den Niederlanden wohnen. Seit dem 1. September 2002 enthält die Wajong eine Härteklausel, wonach von dem Wohnsitzerfordernis abgewichen werden kann, soweit das Erlöschen des Leistungsanspruchs zu einer unbilligen Härte führt. Diese wird z. B. angenommen, wenn der junge Behinderte sich im Ausland einer medizinischen Behandlung unterziehen muss, wenn er im Ausland eine Arbeit mit einer gewissen Wiedereingliederungsperspektive aufnehmen kann oder wenn die Person, von der er für seine Versorgung abhängig ist, gezwungen ist, außerhalb der Niederlande zu wohnen.

16.      Nach der Wet op de (re)integratie arbeidsgehandicapten (Gesetz über die [Wieder]eingliederung behinderter Arbeitnehmer – Wet REA) können Arbeitgeber davon befreit werden, behinderten Arbeitnehmern, deren Arbeitsleistung deutlich geringer als normal ist, den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen.

III – Sachverhalt und Verfahren

17.      Der niederländische Staatsangehörige D. P. W. Hendrix wurde am 26. September 1975 geboren. Er hat eine geistige Behinderung, aufgrund derer er als zu 80 bis 100 % arbeitsunfähig gilt. Mit Wirkung vom 26. September 1993 wurde ihm eine Leistung nach der AAW zuerkannt.

18.      Seit dem 1. Februar 1994 war Herr Hendrix bei einem Baumarkt in den Niederlanden beschäftigt. Sein Arbeitgeber war gemäß der Wet REA von der Verpflichtung befreit, Herrn Hendrix den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Herr Hendrix verdiente daher nur 70 % des Mindestlohns und erhielt dementsprechend eine Wajong-Leistung in der Höhe wie bei einer Arbeitsunfähigkeit von 25-35 %.

19.      Am 1. Juni 1999 zog Herr Hendrix nach Belgien um, behielt jedoch seinen Arbeitsplatz in den Niederlanden bei. Mit Bescheid vom 28. Juni 1999 stellte der Raad van Bestuur van het Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen (im Folgenden: der Beklagte) die Wajong-Leistungen zum 1. Juli 1999 ein. Da die Befreiung seines Arbeitgebers von der Mindestlohnzahlung in Kraft blieb und er eine Erhöhung des Lohns ablehnte, wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Seit dem 5. Juli 1999 arbeitet Herr Hendrix bei einem anderen Baumarkt, wo er den gesetzlichen Mindestlohn erhält.(5) Im Jahr 2001 zog Herr Hendrix wieder in die Niederlande zurück.

20.      Nach erfolglosen Verwaltungsverfahren erhob Herr Hendrix Klage gegen die Einstellung der Wajong-Leistung bei der Rechtbank Amsterdam, die die Klage mit Urteil vom 16. März 2001 abwies. Der mit der Berufung befasste Centrale Raad van Beroep hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 15. Juli 2005 folgende Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG vorgelegt:

1.      Ist eine Leistung nach der Wajong, die in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführt ist, als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen, so dass auf Personen wie den Berufungskläger ausschließlich die durch Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 eingeführte Koordinierungsregelung anzuwenden ist? Macht es für die Beantwortung dieser Frage einen Unterschied, ob der Betroffene ursprünglich eine (aus Beiträgen finanzierte) AAW-Leistung für junge Behinderte erhielt, die zum 1. Januar 1998 kraft Gesetzes in eine Leistung nach der Wajong umgewandelt wurde?

2.      Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird: Kann sich ein Arbeitnehmer auf Art. 39 EG in seiner Ausprägung in Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 gegenüber dem Mitgliedstaat berufen, dessen Staatsangehöriger er ist, wenn er ausschließlich in diesem Mitgliedstaat gearbeitet hat, jedoch im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt?

3.      Für den Fall, dass die erste und die zweite Frage bejaht werden: Ist Art. 39 EG in seiner Ausprägung in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 so zu verstehen, dass mit ihm eine gesetzliche Bestimmung stets vereinbar ist, die die Gewährung oder Fortsetzung einer Leistung davon abhängig macht, dass der Betroffene seinen Wohnort im Gebiet des Mitgliedstaats hat, dessen gesetzliche Regelung gilt, wenn diese gesetzliche Regelung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Absatz 2a der Verordnung Nr. 1408/71 vorsieht und in Anhang IIa dieser Verordnung aufgeführt ist?

4.      Für den Fall, dass die erste und die zweite Frage bejaht werden und die dritte Frage verneint wird: Ist das Gemeinschaftsrecht (insbesondere die Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 und 39 EG sowie die Art. 12 und 18 EG) so auszulegen, dass im Wesen der Wajong eine hinreichende Rechtfertigung dafür gefunden werden kann, einem Unionsbürger, der in den Niederlanden eine Vollzeitbeschäftigung ausübt und insoweit ausschließlich den niederländischen Rechtsvorschriften unterliegt, die Wohnortvoraussetzung entgegenzuhalten?

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage – Einordnung der Leistung als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71

21.      Die erste Frage des Raad van Beroep geht dahin, ob eine Leistung nach der Wajong als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen ist, auf die die Koordinierungsregelung des Art. 10a dieser Verordnung anzuwenden ist.

22.      Diese Frage hat der Gerichtshof bereits im Urteil Kersbergen bejaht, da die fragliche Leistung im Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführt und beitragsunabhängig ist sowie Sonderleistungscharakter hat.(6) Eine Sonderleistung ist sie deswegen, weil einerseits Bezüge zu einer Leistung der sozialen Sicherheit bei Invalidität gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 und andererseits zur Sozialhilfe bestehen. Die Leistung soll nämlich einer sozial schwachen Gruppe (jungen Behinderten) ein Mindesteinkommen garantieren.(7)

23.      Dass bei der Gewährung der Wajong-Leistung keine Prüfung der individuellen finanziellen Bedürftigkeit erfolgt,(8) widerspricht nach Ansicht des Gerichtshofs der Nähe zur Sozialhilfe nicht. Vielmehr genüge insofern, dass die begünstigte Gruppe der jungen Behinderten im Allgemeinen nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge.(9)

24.      Im Rahmen der ersten Vorlagefrage möchte der Centrale Raad van Beroep auch wissen, ob es einen Unterschied macht, dass der Betroffene ursprünglich eine aus Beiträgen finanzierte AAW-Leistung für junge Behinderte erhalten hatte, für die kein Wohnsitzerfordernis bestand, die aber zum 1. Januar 1998 in eine Leistung nach der Wajong umgewandelt worden ist.

25.      Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil Kersbergen ebenfalls schon festgestellt, dass eine Berufung auf den Grundsatz des Schutzes eines wohlerworbenen Rechts ausscheidet, wenn der Begünstigte seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, nachdem die AAW-Leistung durch die Wajong-Leistung ersetzt worden ist.(10) Da Herr Hendrix am 1. Juni 1999 nach Belgien umgezogen ist, kann er sich also nicht auf diesen Rechtsgrundsatz berufen. Mangels einer anders lautenden Übergangsregelung sind die Rechtsfolgen aus der Verlegung des Wohnsitzes somit nach der Rechtslage zu beurteilen, die zu diesem Zeitpunkt galt.

26.      Art. 95b Abs. 8 der Verordnung Nr. 1408/71 hilft hier schon deswegen nicht weiter, weil Herr Hendrix vor dem 1. Juni 1992 noch keine Leistungen bezog, deren Fortgewährung nach dieser Bestimmung geboten wäre.

27.      Daher ist vorläufig festzuhalten, dass eine Leistung nach der Wajong als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen ist, auf die die Koordinierungsregelung des Art. 10a dieser Verordnung anzuwenden ist. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene ursprünglich eine aus Beiträgen finanzierte Leistung erhielt, die zum 1. Januar 1998 in eine Leistung nach der Wajong umgewandelt wurde.

28.      Im Folgenden ist allerdings zu klären, ob das Wohnorterfordernis in Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 unter den Bedingungen des vorliegenden Falls in Einklang mit den Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit steht.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage – Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber dem Mitgliedstaat der eigenen Staatsangehörigkeit

29.      Mit seiner zweiten Frage möchte der Centrale Raad van Beroep wissen, ob sich ein Arbeitnehmer auf Art. 39 EG in seiner Ausprägung in Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 gegenüber dem Mitgliedstaat berufen kann, dessen Staatsangehöriger er ist, wenn er ausschließlich in diesem Mitgliedstaat gearbeitet hat und noch immer arbeitet, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

30.      Die Wajong-Leistung fällt in den sachlichen Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68, da sie inländischen Arbeitnehmern wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland allgemein gewährt wird.(11)

31.      Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 konkretisiert das bereits in Art. 39 EG niedergelegte Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die Gewährung sozialer Vergünstigungen.(12) Seinem Wortlaut nach verbietet Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dem Aufnahmemitgliedstaat, Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit anders zu behandeln als Inländer. Damit scheint die Bestimmung hinter der Gewährleistung des Art. 39 EG zurückzubleiben, auf den sich jeder Gemeinschaftsangehörige, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit berufen kann.(13) Der Gerichtshof wendet die beiden Bestimmungen aber parallel an und legt Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 in derselben Weise aus wie Art. 39 EG.(14) Daher können diese Vorschriften auch hier nebeneinander herangezogen werden.

32.      Die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen sind indes nicht auf Sachverhalte anwendbar, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.(15) Wenn keine unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung vorliegt und sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem eigenen Mitgliedstaat auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit beruft, bedarf es daher eines sonstigen grenzüberschreitenden Bezugs, um den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu eröffnen.

33.      Im vorliegenden Fall besteht das grenzüberschreitende Element darin, dass Herr Hendrix in Belgien wohnt und in den Niederlanden als abhängig Beschäftigter arbeitet. Er begibt sich also täglich als Grenzgänger(16) aus einem Mitgliedstaat in einen anderen, um dort seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

34.      Der Beklagte, die niederländische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs wenden ein, dass sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nur auf Art. 39 EG berufen könne, nachdem er Gebrauch von seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit gemacht habe.(17) Dies sei nach dem Urteil Werner(18) nicht der Fall, wenn der Betroffene durchgängig in seinem Heimatstaat gearbeitet und nur seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt habe.

35.      Im nachfolgenden Urteil Van Pommeren-Bourgondiën(19) hat der Gerichtshof die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit jedoch in einer vergleichbaren Situation bejaht. Die Klägerin in jenem Verfahren war niederländische Staatsangehörige, wohnte in Belgien und war während ihres gesamten Arbeitslebens in den Niederlanden tätig gewesen. Aufgrund des Wohnorts wurde sie bei der Sozialversicherung in den Niederlanden als freiwillig Versicherte und nicht als Pflichtversicherte behandelt und musste höhere Beiträge entrichten als in den Niederlanden ansässige Personen. Die Verordnung Nr. 1408/71 stand dieser Praxis nicht entgegen.

36.      Der Gerichtshof entschied aber, dass es gegen Art. 39 EG verstößt, wenn die Versicherungsbedingungen für Gebietsfremde ungünstiger sind als diejenigen für die Pflichtversicherung in denselben Zweigen der sozialen Sicherheit, die für die Gebietsansässigen gelten.(20) Dass Frau Van Pommeren-Bourgondiën immer in den Niederlanden gearbeitet und nur zum Wohnen nach Belgien umgezogen war, schloss die Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit offenbar nicht aus.

37.      Im Urteil Ritter-Coulais(21) hat der Gerichtshof diese Sichtweise mit aller Deutlichkeit bestätigt, indem er ausführte,

„… dass jeder Gemeinschaftsangehörige, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Art. 48 des Vertrages fällt.

Daraus folgt, dass die Lage der Eheleute Ritter-Coulais, die in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten als dem, in dem sich ihr tatsächlicher Wohnsitz befindet, vom Geltungsbereich von Art. 48 des Vertrages [nach Änderung jetzt Art. 39 EG] erfasst wird.“

38.      Hinzuzufügen ist noch, dass die Eheleute Ritter-Coulais beide (jedenfalls auch)(22) die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, also Angehörige des Staates waren, in dem sie arbeiteten und dem gegenüber sie sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit beriefen. Den grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkt bildete allein der Wohnort in einem anderen Mitgliedgliedstaat.(23)

39.      Im Urteil N. hat der Gerichtshof diese Formel mittlerweile auf die Niederlassungsfreiheit übertragen. Auch in diesem Fall verlegte der Kläger seinen Wohnsitz aus dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besaß und in dem er seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte, in einen anderen Mitgliedstaat, ohne dort eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies eröffnete für den Gerichtshof den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.(24)

40.      Der Einwand, die Aussagen im Urteil Ritter-Coulais müssten unter Berücksichtigung des Umstands gedeutet werden, dass die Allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger und die Kapitalverkehrsfreiheit, die den Klägern an sich weitergeholfen hätten, in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt noch nicht anwendbar waren, überzeugt nicht.(25) Zum einen belegt das Urteil Van Pommeren-Bourgondiën, dass die entsprechende Auslegung der Arbeitnehmerfreizügigkeit völlig losgelöst von der besonderen Lage in der Rechtssache Ritter-Coulais Geltung beansprucht. Zum anderen wäre es rechtlich nicht haltbar, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Abhängigkeit davon weiter oder enger auszulegen, ob auch eine andere Grundfreiheit den Sachverhalt erfasst.

41.      Die angeführten Urteile beruhen auf dem Verständnis des Binnenmarkts als einem Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, wie in Art. 14 Abs. 2 EG beschrieben. Art. 39 EG führt den elementaren Grundsatz aus, der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c EG verankert ist, nach dem die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Art. 2 EG die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten umfasst.(26) Dabei ist ohne Belang, ob diese Hindernisse vom Herkunfts- oder Aufnahmestaat ausgehen.(27)

42.      Die von dem Beklagten und den beteiligten Regierungen vertretene restriktive Interpretation der Arbeitnehmerfreizügigkeit läuft dem Grundgedanken des Binnenmarkts zuwider. In einem Raum ohne Binnengrenze darf derjenige, der sich aus seinem Wohnortstaat zum Arbeiten in den Staat begibt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, genauso wenig behindert werden, wie derjenige, der vom Staat seiner Staatsanghörigkeit zum Arbeiten in einen anderen Mitgliedstaat pendelt.

43.      Die restriktive Definition des Anwendungsbereichs der Arbeitnehmerfreizügigkeit stellt zu sehr auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen statt auf den grenzüberschreitenden Charakter des Vorgangs ab. Sie führte nämlich zu einer Differenzierung je nachdem, ob ein eigener Staatsangehöriger zum Arbeiten über die Grenze kommt oder ein fremder Staatsangehöriger. Hätte Herr Hendrix nach seinem Umzug nach Belgien eine Stelle in Deutschland angenommen und wäre täglich aus Belgien dorthin zur Arbeit gefahren, hätte er sich zweifelsfrei auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen können. Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb er beim Pendeln in seinen Herkunftsstaat, die Niederlande, anders behandelt werden soll.

44.      Generalanwalt Geelhoed hat sich in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hartmann für die restriktive Auslegung von Art. 39 EG ausgesprochen, wie sie im vorliegenden Verfahren auch der Beklagte und die beteiligten Regierungen vertreten. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass diese Bestimmung allein eine Verlagerung des Faktors Arbeit gewährleisten solle, die bei der bloßen Verlegung des Wohnsitzes gerade nicht gegeben sei.(28)

45.      Soweit eine nationale Regelung unmittelbar an die Verlegung des privaten Wohnsitzes anknüpft, also etwa bestimmte steuerliche oder administrative Hürden für den Wegzug aufstellt, so ist tatsächlich zu fragen, ob derartige Maßnahmen nicht primär als Eingriff in die durch Art. 18 EG gewährleistete Freizügigkeit der Unionsbürger einzuordnen sind. Hat die Verlagerung des Wohnsitzes jedoch erst einmal stattgefunden und resultiert die Benachteiligung daraus, dass nunmehr Wohn- und Arbeitsort auseinanderfallen, so ist vorrangig die Arbeitnehmerfreizügigkeit einschlägig. Von diesem Zeitpunkt an wird nämlich die Verlagerung des Faktors Arbeit aus dem (neuen) Wohnortstaat in den Staat der Beschäftigung behindert.

46.      Für die Anwendung von Art. 39 EG kann es nicht ausschlaggebend sein, ob die grenzüberschreitende Situation durch die Verlegung des Wohn- oder des Arbeitsorts eingetreten ist. Anderenfalls drohten völlig zufällige Ergebnisse. So könnte sich Herr Hendrix, der ununterbrochen in den Niederlanden gearbeitet und seinen Wohnort in einen anderen Staat verlegt hat, zunächst nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Verlöre er nach der Verlegung seines Wohnsitzes aber seine Arbeitsstelle und nähme nach dieser Zäsur eine andere Tätigkeit in den Niederlanden auf, so wäre die Arbeitnehmerfreizügigkeit anwendbar, weil er sich nunmehr zur Aufnahme einer neuen abhängigen Beschäftigung aus Belgien in die Niederlande begäbe.

47.      Zwar hat der Gerichtshof in zahlreichen Fällen entschieden, dass sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, auf Art. 39 EG berufen kann, nachdem er von seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat.(29) Dem hat er den Fall gleichgestellt, dass der Betroffene im Ausland ein Diplom oder ein berufliche Qualifikation erworben hat.(30)

48.      Jedoch hatten die Betroffenen in diesen Fällen zumeist wieder ihren Wohnsitz in ihrem Herkunftsstaat begründet und sich diesem gegenüber auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Da Arbeits- und Wohnort somit – anders als im Fall von Herrn Hendrix – nicht mehr auseinanderfielen, war es erforderlich, dass zuvor eine den Wanderarbeitnehmerstatus begründende, grenzüberschreitende Bewegung stattgefunden hatte. Aus diesen Urteilen kann man aber nicht den Schluss ziehen, dass der Status des Wanderarbeitnehmers nicht durch die Verlegung des Wohnsitzes erworben werden kann.

49.      Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass sich ein Arbeitnehmer auf Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 gegenüber dem Mitgliedstaat berufen kann, dessen Staatsangehöriger er ist, wenn er ausschließlich in diesem Mitgliedstaat gearbeitet hat und noch immer arbeitet, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

C –    Zur dritten Vorlagefrage – Verhältnis der Verordnung Nr. 1408/71 zur Verordnung Nr. 1612/68 und zu Art. 39 EG

50.      Mit seiner dritten Frage möchte der Centrale Raad van Beroep wissen, ob eine innerstaatliche Vorschrift, die die Gewährung oder Fortsetzung einer Leistung davon abhängig macht, dass der Betroffene seinen Wohnort im Gebiet des Mitgliedstaats hat, stets deswegen mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vereinbar ist, weil die Leistung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt, die nach Art. 10a dieser Verordnung nur am Wohnort gewährt wird.

51.      Hierzu vertreten der Beklagte, die niederländische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs die Auffassung, dass die Verordnung Nr. 1408/71 gegenüber der Verordnung Nr. 1612/68 spezieller und daher in ihrem Anwendungsbereich ausschließlich anwendbar ist.(31) Die Verordnung Nr. 1612/68 könne nicht dazu führen, dass der nach Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossene Export von Leistungen doch verlangt werden könne.

52.      Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 auf soziale Vergünstigungen Anwendung finden kann, die gleichzeitig in den besonderen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen.(32) Beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar, weil sie einen unterschiedlichen persönlichen Geltungsbereich besitzen(33), der Begriff der sozialen Vergünstigung in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 weiter als der Begriff der Leistung der sozialen Sicherheit der Verordnung Nr. 1408/71 ist(34) und die Verordnung Nr. 1612/68 für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer allgemeine Bedeutung hat.(35) Daher sagt der Umstand, dass eine Leistung nicht oder nicht uneingeschränkt unter die Verordnung Nr. 1408/71 fällt und diese Verordnung den Export dieser Leistung somit nicht verlangt, nichts über die Vorgaben der Verordnung Nr. 1612/68 für die Gewährung der Leistung aus.(36)

53.      Aus den Urteilen Kommission/Frankreich(37) und Scrivner(38), die der Beklagte bzw. die niederländische Regierung anführen, ergibt sich nichts anderes. Denn in diesen Fällen kam es auf einen möglichen Vorrang der Verordnung Nr. 1408/71 schon deshalb nicht an, weil der Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet war.(39)

54.      Auch soweit aus Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 („Diese Verordnung berührt nicht die gemäß Artikel 51 des Vertrages [nach Änderung jetzt Art. 42 EG] erlassenen Bestimmungen.“) auf die Verdrängung der Verordnung Nr. 1612/68 durch die Verordnung Nr. 1408/71 geschlossen wird, überzeugt dies nicht.(40) Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 spricht nicht von einem Vorrang der gemäß Art. 51 des Vertrags erlassenen Bestimmungen, sondern ordnet nur an, dass diese Bestimmungen „unberührt“ bleiben. Dieser Wortlaut spricht gerade nicht dafür, dass die Verordnung Nr. 1612/68 zurücktreten soll, sondern für eine gegenseitig unbeeinflusste, also parallele Geltung.(41)

55.      Aus dem Umstand, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 als Generalklausel formuliert ist, während die Verordnung Nr. 1408/71 konkrete Regelungen für den Bereich der sozialen Sicherheit enthält, berechtigt ebenfalls nicht zu dem Schluss, dass die Verordnung Nr. 1408/71 der Verordnung Nr. 1612/68 als lex specialis vorgeht. Denn die innerhalb der jeweiligen Verordnungen verwendete Regelungstechnik besagt für sich genommen nichts über das Rangverhältnis zwischen den Verordnungen.

56.      Gegen einen generellen Vorrang der Verordnung Nr. 1408/71 gegenüber Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 spricht vor allem folgende Erwägung. Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 stellt letztlich nur eine besondere Formulierung der Gewährleistung des Art. 39 EG dar und ist in derselben Weise wie jene Vorschrift auszulegen.(42) Die Vorgaben des Vertrages als höherrangige Rechtsquelle sind bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 aber in jedem Fall zu beachten. Der Umstand, dass eine nationale Maßnahme einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts – hier dem Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 – entspricht, hat nämlich nicht zur Folge, dass sie nicht an den Bestimmungen des Vertrags zu messen wäre.(43)

57.      Eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten bedarf also auch dann der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wenn sie von einer Gemeinschaftsverordnung ausgeht oder von einer Bestimmung des innerstaatlichen Rechts, die mit dem Sekundärrecht in Einklang steht. Zwar haben der Gemeinschaftsgesetzgeber und der nationale Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum, wenn sie aus Gemeinwohlerwägungen Regelungen erlassen, die in Grundfreiheiten eingreifen. Es bleibt jedoch dem Gerichtshof vorbehalten zu prüfen, ob die Gesetzgeber die Grenzen dieses Spielraums überschritten und damit gegen die Grundfreiheiten verstoßen haben.

58.      Auf die dritte Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass eine innerstaatliche Vorschrift, die die Gewährung oder Fortsetzung einer Leistung davon abhängig macht, dass der Betroffene seinen Wohnort im Gebiet des Mitgliedstaats hat, nicht stets deswegen mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vereinbar ist, weil die Leistung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt, die nach Art. 10a dieser Verordnung nur am Wohnort gewährt wird.

D –     Zur vierten Vorlagefrage – Vereinbarkeit der Wohnortvoraussetzung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68, mit Art. 39 EG und mit Art. 12 und 18 EG

59.      Mit seiner vierten Frage möchte der Centrale Raad van Beroep der Sache nach wissen, ob Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 sowie die Art. 12 und Art. 18 EG einer innerstaatlichen Regelung wie der Wajong entgegenstehen, nach der einem Unionsbürger, der in den Niederlanden eine Vollzeitbeschäftigung ausübt und insoweit ausschließlich den niederländischen Rechtsvorschriften unterliegt, eine bestimmte Sozialleistung nur dann gewährt wird, wenn er auch in diesem Mitgliedstaat wohnt.

1.      Vereinbarkeit mit Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68

60.      Nach ständiger Rechtsprechung zielen sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit darauf ab, den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im Gebiet der Gemeinschaft zu erleichtern, und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen.(44)

61.      Die Wajong-Leistung wird in Übereinstimmung mit Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 nur solchen Personen gewährt, die ihren Wohnsitz in den Niederlanden haben. Hierin liegt eine Benachteiligung der Arbeitnehmer, die in den Niederlanden arbeiten, aber nicht dort wohnen. Die Benachteiligung durch das Wohnorterfordernis könnte jedoch aus objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.(45)

62.      Das Wohnorterfordernis in Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 dient der Abgrenzung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Erbringung von beitragsunabhängigen Sonderleistungen, die neben Bezügen zu Leistungen der sozialen Sicherheit auch Elemente der Sozialhilfe aufweisen. Der Gerichtshof hat bereits anerkannt, dass der Wohnort ein geeignetes Kriterium für diesen Zweck bildet.

63.      Zum einen hat er im Urteil Snares festgestellt, dass Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 mit den Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbar ist, weil Sonderleistungen eng an das soziale Umfeld gebunden sind.(46) Da sich der Lebensschwerpunkt in der Regel am Wohnort befindet, ist der Wohnortstaat in erster Linie berufen, unter Berücksichtigung des dortigen sozialen Umfelds (z. B. der Höhe der Lebenshaltungskosten) festzulegen, ob und in welchem Umfang eine Sonderleistung zu gewähren ist, die das Existenzminimum sichern soll.

64.      Zum anderen liegt der Beschränkung der Exportierbarkeit beitragsunabhängiger Sonderleistungen durch Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 die Erwägung zugrunde, dass derartige Leistungen Ausdruck der Solidarität innerhalb eines Mitgliedstaats sind, wie die Kommission zutreffend ausführt. Der Staat, dessen Solidargemeinschaft man angehört, soll auch für die Sicherung des Existenzminimums verantwortlich sein. Im Urteil Tas-Hagen und Tas hat der Gerichtshof jüngst noch einmal bestätigt, dass der Anspruch auf eine Sozialleistung grundsätzlich von der Verbundenheit mit der Gesellschaft eines Mitgliedstaats abhängig gemacht werden kann, die durch den Wohnsitz in dem betreffenden Staat zum Ausdruck kommt.(47)

65.      Hinsichtlich der Zulässigkeit des Wohnortkriteriums unterscheiden Art. 10 und Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 aus gutem Grund zwischen Leistungen der sozialen Sicherheit und beitragsunabhängigen Sonderleistungen. Für klassische Leistungen der sozialen Sicherheit ist in der Regel der Beschäftigungsstaat zuständig, in dem der Arbeitnehmer der Sozialversicherung angeschlossen ist und seine Beiträge entrichtet. Bei beitragsunabhängigen Sonderleistungen fehlt es an einer entsprechenden Zugehörigkeit zu einer speziellen Solidargemeinschaft der Sozialversicherten. An deren Stelle tritt die Integration in die Solidargemeinschaft aller im Inland Ansässigen. Nur diesen brauchen Sonderleistungen gewährt zu werden, während Leistungen der sozialen Sicherheit unabhängig vom Wohnort beansprucht werden können.

66.      Durch die Bindung der Gewährung von Sonderleistungen an den Wohnort wird ein ähnlicher Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Finanzierungsverantwortung hergestellt wie durch die Beitragszahlung zur Sozialversicherung. Sonderleistungen werden nämlich aus Steuern finanziert. Gebietsansässige sind im Wohnortstaat unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Überdies tragen sie dort durch ihren privaten Verbrauch maßgeblich zur Generierung von Steuermitteln bei.

67.      Die Bedeutung des Wohnortkriteriums relativiert sich allerdings bei Grenzgängern, die zumeist auch enge Verbindungen zum wirtschaftlichen und sozialen Umfeld des Arbeitsorts haben. Die Kommission hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Herr Hendrix in einen unmittelbar an der Grenze zu den Niederlanden gelegenen Ort in Belgien zog und er dem Grunde nach(48) entsprechend dem belgisch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommen mit seinem in den Niederlanden erzielten Einkommen der niederländischen Einkommensteuer unterlag.

68.      Bei Grenzgängern fragt sich also, ob der Wohnort allein ein geeignetes Kriterium ist, um die Zugehörigkeit zu einer Solidargemeinschaft zu begründen. Vielmehr könnte erwogen werden, in derartigen Fällen ergänzend weitere Kriterien heranzuziehen, die den Grad der Integration in ein wirtschaftliches und soziales Umfeld kennzeichnen, etwa den Arbeitsort, die Entfernung des Wohnorts zur Grenze, den Ort der Konsumausgaben oder den Schwerpunkt der sozialen Kontakte.

69.      In Fällen wie dem Vorliegenden scheidet jedoch eine Anknüpfung an den Arbeitsort aus. Denn die Wajong-Leistung wirkt als Subventionierung des Arbeitsplatzes, die die Einstellung eines behinderten Arbeitnehmers überhaupt erst ermöglicht. Stellt der Arbeitgeber einen Behinderten ein, wird er von der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns befreit; die Differenz zwischen Arbeitsentgelt und Mindestlohn erhält der Behinderte durch die Wajong-Leistung. Ohne diese Leistung des Staates wären Behinderte, die nicht voll leistungsfähig sind, kaum zum gesetzlichen Mindestlohn auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Die Beschäftigung des Empfängers einer Wajong-Leistung ist daher die Folge der staatlichen Solidarleistung. Würde die Beschäftigung im Inland gleichzeitig den Anknüpfungspunkt für den Anspruch auf diese Solidarleistung bilden, läge hierin ein Zirkelschluss.

70.      Die übrigen Kriterien sind im Unterschied zu dem Wohnsitz dadurch gekennzeichnet, dass sie keine trennscharfe Zuordnung zu einem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld erlauben, sondern nur mehr oder weniger konkrete Aspekte darstellen, die erst im Rahmen einer Gesamtabwägung zu der Bestimmung des maßgeblichen wirtschaftlichen und sozialen Umfelds führen können.

71.      Jedoch muss sich die Koordinierung der Verantwortung der Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Solidarleistungen an klaren Kriterien ausrichten, die unter den Bedingungen einer Massenverwaltung eine zügige Prüfung und hinreichend eindeutige Ergebnisse ermöglichen. Daher kann die Zuordnung zu den mitgliedstaatlichen Sozialsystemen nach abstrakten Kriterien erfolgen, die zwar nicht alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, aber bei einer typisierenden Betrachtung einen überwiegenden Bezug zu einem Mitgliedstaat zum Ausdruck bringen. Die detaillierte Prüfung aller den Einzelfall kennzeichnenden Faktoren bildet kein geeignetes Mittel, das eine klare und mit vertretbarem Aufwand handhabbare Zuständigkeitsaufteilung ermöglichte.

72.      Zudem ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten mangels einer Harmonisierung im Bereich der sozialen Sicherheit nach wie vor für die Festlegung der Voraussetzungen für die Gewährung sozialer Leistungen zuständig sind(49) und ihnen daher ein weites Ermessen in Bezug auf die Festlegung der Kriterien zur Beurteilung der Verbundenheit mit der Gesellschaft eines Staates zukommt.(50) Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat dieses Ermessen insbesondere in Bezug auf Wohnortklauseln für beitragsunabhängige Sonderleistungen bewusst nicht eingeschränkt. Vielmehr hat er Wohnortklauseln in Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich für zulässig erklärt.

73.      Angesichts dieser Freiheit der Mitgliedstaaten, im Rahmen der Aufteilung der Zuständigkeit für die Gewährung von Sonderleistungen eine typisierende Betrachtung zugrunde zu legen, ist das alleinige Anknüpfen an den Wohnort nicht zu beanstanden, auch wenn in Einzelfällen, etwa bei Grenzgängern, andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen könnten.

74.      Dieses Ergebnis scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Meeusen(51) zu stehen, dass auch Grenzgänger(52) gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 unabhängig von ihrem Wohnort Anspruch auf soziale Vergünstigungen im Beschäftigungsstaat haben. (53)

75.      Die Mitgliedstaaten hatten dagegen argumentiert, die Bestimmung verleihe Grenzgängern keinen Anspruch auf den Export von Sozialleistungen vom Beschäftigungs- in den Wohnortstaat.(54) Die Verordnung bezwecke nämlich die Förderung der sozialen Integration der Wanderarbeitnehmer im Aufnahmestaat. Grenzgänger seien aber nicht dort sozial integriert, sondern an ihrem Wohnort.

76.      Dieses Argument wies der Gerichtshof zurück, weil der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1612/68 auch Grenzgänger einschließt.(55) Weiter führte er aus, dass das Gleichbehandlungsgebot in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 es dem Aufnahmestaat verbiete, Wanderarbeitnehmer gegenüber inländischen Arbeitnehmern zu diskriminieren, indem die Gewährung von Leistungen vom Wohnsitz im Inland abhängig gemacht werde.

77.      Die Feststellungen im Urteil Meeusen bezogen sich allerdings auf die Studienfinanzierung zugunsten der Kinder eines Wanderarbeitnehmers und lassen sich nicht auf den vorliegenden Kontext übertragen. Anders als im Hinblick auf die Studienfinanzierung ist die Lage von Personen mit Wohnsitz im Inland und im Ausland, die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums benötigen, nicht ohne weiteres vergleichbar. Denn derartige Leistungen stehen in weit engerem Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld des Begünstigten.

78.      Zudem schafft die Wajong-Leistung – wie ausgeführt – überhaupt erst die Voraussetzung für die Beschäftigung behinderter Arbeitnehmer, so dass die Beschäftigung im Inland nicht zugleich anspruchsbegründend wirken kann. Bei der Studienfinanzierung handelt es sich dagegen eher um akzessorische Vergünstigungen, für die die Beschäftigung und die damit einhergehende Steuerpflicht eher als Anknüpfungspunkt für den Anspruch auf die Leistung dienen können.

79.      Die Beschränkung der Gewährung von Leistungen wie solchen nach dem Wajong auf Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden ist daher mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vereinbar.

2.      Vereinbarkeit mit Art. 12 und 18 EG

80.      Da das allgemeine Freizügigkeitsrecht nach Art. 18 EG gegenüber der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG subsidiär ist(56), erübrigt sich eine Prüfung der Vereinbarkeit des Wohnsitzerfordernisses mit Art. 12 und 18 EG.

V –    Ergebnis

81.      Im Ergebnis schlage ich folgende Antworten auf die Vorlagefragen des Centrale Raad von Beroep vor:

1.      Eine nach dem niederländischen Gesetz über die Arbeitsunfähigkeitsversicherung junger Behinderter vom 24. April 1997 (Wet arbeidsongeschiktheidsvoorziening jonggehandicapten) gewährte Leistung ist als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 anzusehen, auf die die Koordinierungsregelung des Art. 10a dieser Verordnung anzuwenden ist. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene ursprünglich eine aus Beiträgen finanzierte Leistung erhielt, die zum 1. Januar 1998 in eine Leistung nach der Wajong umgewandelt wurde.

2.      Ein Arbeitnehmer kann sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, auf Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 berufen, wenn er ausschließlich in diesem Mitgliedstaat gearbeitet hat und noch immer arbeitet, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

3.      Eine innerstaatliche Vorschrift, die die Gewährung oder Fortsetzung einer Leistung davon abhängig macht, dass der Betroffene seinen Wohnort im Gebiet des Mitgliedstaats hat, ist nicht stets deswegen mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vereinbar, weil die Leistung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt, die nach Art. 10a dieser Verordnung nur am Wohnort gewährt wird.

4.      Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 stehen einer innerstaatlichen Regelung wie der Wajong nicht entgegen, nach der einem Unionsbürger, der in den Niederlanden eine Vollzeitbeschäftigung ausübt und insoweit ausschließlich den niederländischen Rechtsvorschriften unterliegt, eine bestimmte Sozialleistung nur dann gewährt wird, wenn er auch in diesem Mitgliedstaat wohnt.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Urteil vom 6. Juli 2006, Kersbergen-Lap und Dams-Schipper (C-154/05, Slg. 2006, I-6249) – im Folgenden: Urteil Kersbergen.


3 – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu-  und abwandern (ABl. L 149, S. 2), der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. L 38, S. 1).


4 – Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl. L 245, S. 1).


5 – Der ganze Rechtsstreit bezieht sich also nur auf den Anspruch auf Wajong-Leistungen in den vier Tagen vom 1. bis zum 4. Juli 1999, wie die niederländische Regierung zutreffend hervorhebt.


6 – Vgl. zum Erfordernis, dass diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Urteile vom 8. März 2001, Jauch (C-215/99, Slg. 2001, I-1901, Randnr. 21), und Urteil Kersbergen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 25).


7 – Urteil Kersbergen (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 30 und 31). Siehe allgemein zu den Voraussetzungen für die Qualifikation als Sonderleistung auch: Urteile vom 4. November 1997, Snares (C-20/96 (Slg. 1997, I-6057, Randnr. 33), und vom 29. April 2004, Skalka (C-160/02, Slg. 2004, I-5613, Randnr. 25).


8 – Vgl. zu diesem Erfordernis insbesondere meine Schlussanträge vom 20. Oktober 2005, Hosse (C-286/03, Slg. 2006, I-1771, Nrn. 66 bis 69).


9 – Diese Argumentation überrascht auf den ersten Blick. Für einen erfolgreichen Antrag auf klassische Sozialhilfe dürfte es nämlich gerade nicht ausreichen, dem Sozialamt gegenüber nur darzulegen, man gehöre zu einer sozial schwachen Gruppe, ohne die eigenen finanziellen Verhältnisse konkret zu belegen. Die Feststellung des Gerichtshofs ließe sich allenfalls damit rechtfertigen, dass für die Qualifikation einer Leistung als Sonderleistungen lediglich eine gewisse Nähe zur Sozialhilfe bestehen muss, die genügt, um ihren Mischcharakter zu begründen, dass sie aber nicht voll und ganz einer Sozialhilfeleistung entsprechen muss.


10 – Urteil Kersbergen (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 41 ff.).


11 – Vgl. Urteil vom 30. September 1975, Cristini (32/75, Slg. 1975, 1085, Randnrn. 10/13), vom 8. Juni 1999, Meeusen (C-337/97, Slg. 1999, I-3289, Randnr. 22), und vom 15. September 2005, Ioannidis (C-258/04, Slg. 2005, I-8275, Randnr. 35).


12 – Urteil vom 23. Februar 2006, Kommission/Spanien (C-205/04, Slg. 2006, I-31, Randnr. 15).


13 – Urteile vom 12. Dezember 2002, de Groot (C-385/00, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 76), vom 13. November 2003, Schilling und Fleck-Schilling (C-209/01, Slg. 2003, I-13389, Randnr. 23), und vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais (C-152/03, Slg. 2006, I-1711, Randnr. 31).


14 – Vgl. etwa die Urteile vom 23. Mai 1996, O’Flynn (C-237/94, Slg. 1996, I-2617, Randnr. 19), vom 26. Januar 1999, Terhoeve (C-18/95, Slg. 1999, I-345, Randnr. 29), vom 30. September 2003, Köbler (C-224/01, Slg. 2003, I-10239, Randnrn. 77 und 88), und Urteil Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 12, Randnr. 15). Anderer Ansicht sind Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge vom 2. Februar 2006, De Cuyper (C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Nrn. 34 bis 37), und Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge vom 2. Mai 1996, Hoever und Zachow (C-245/94 und C-312/94, Slg. 1996, I-4895, Nrn. 93 bis 100).


15 – Vgl. Urteile vom 5. Juni 1997, Uecker und Jacquet (C-64/96 und C-65/96, Slg. 1997, I-3171, Randnr. 16), Terhoeve (zitiert in Fn. 14, Randnr. 26), vom 11. Oktober 2001, Khalil u. a. (C-95/99 bis C-98/99 und C-180/99, Slg. 2001, I-7413, Randnr. 69), und vom 11. Januar 2007, ITC (C-208/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 29).


16 – Dieser Begriff wird in Art. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 definiert.


17 – Vgl. dazu Urteile vom 7. Februar 1979, Knoors (115/78, Slg. 1979, 399, Randnr. 24), vom 7. Juli 1992, Singh (C-370/90, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 23), vom 23. Februar 1994, Scholz (C-419/92, Slg. 1994, I-505, Randnr. 9), Terhoeve (zitiert in Fn. 14, Randnr. 27), und de Groot (zitiert in Fn. 13, Randnr. 76).


18 – Urteil vom 26. Januar 1993, Werner (C-112/91, Slg. 1993, I-429, Randnrn. 16 und 17), das die Niederlassungsfreiheit betraf. Für den restriktiven Ansatz im Urteil Werner hat sich jüngst auch Generalanwalt Geelhoed ausgesprochen (Schlussanträge vom 28. September 2006, Hartmann (C-212/05, Slg. 2006, I-0000, Nrn. 32 bis 42).


19 – Urteil vom 7. Juli 2005 (C-227/03, Slg. 2005, I-6101).


20 – Urteil Van Pommeren-Bourgondiën (zitiert in Fn. 19, Randnr. 40).


21 – Zitiert in Fn. 13, Randnrn. 31 und 32.


22 – Frau Ritter-Coulais war außerdem französische Staatsangehörige. Wie Generalanwalt Léger jedoch zutreffend hervorgehoben hat, wurde das Ehepaar in Deutschland gemeinsam zur Steuer veranlagt, so dass eine gesonderte Berücksichtigung der französischen Staatsangehörigkeit der Ehefrau künstlich gewesen wäre (vgl. die Schlussanträge vom 1. März 2005, Ritter-Coulais (C‑152/03, Slg. 2006, I-1711, Nr. 36).


23 – Begrüßenswert wäre es allerdings gewesen, wenn der Gerichtshof im Urteil Ritter-Coulais ausdrücklich erklärt hätte, dass er die Werner-Rechtsprechung aufgibt, auf die Generalanwalt Léger sich noch maßgeblich gestützt hatte (Schlussanträge Ritter-Coulais, zitiert in Fn. 22, Nrn. 5 ff.). Stattdessen erwähnt der Gerichtshof das Urteil Werner mit keinem Wort.


24 – Urteil vom 7. September 2006, N. (C-470/04, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 28).


25 – Dies deutet Generalanwalt Geelhoed in den Schlussanträgen Hartmann (zitiert in Fn. 18, Nr. 37) an.


26 – Urteile Terhoeve (zitiert in Fn. 14, Randnr. 36), Singh (zitiert in Fn. 17, Randnr. 15) sowie Urteil vom 15. Juni 2000, Sehrer (C-302/98, Slg. 2000, I-4585, Randnr. 31).


27 – Vgl. Urteile Terhoeve (zitiert in Fn. 14, Randnrn. 37 und 39), Sehrer (zitiert in Fn. 26, Randnrn. 32 und 33) sowie Urteil vom 9. November 2006, Turpeinen (C-520/04, Slg. 2006, I-0000, Randnrn 14 und 15).


28 – Schlussanträge Hartmann (zitiert in Fn. 18, Nr. 41). So bereits Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen vom 6. Oktober 1992, Werner (C-112/91, Slg. 1993, I-429, Nr. 30).


29 – Vgl. etwa die in Fn. 17 zitierten Entscheidungen.


30 – Urteil Knoors (zitiert in Fn. 17, Randnr. 24) und Urteil vom 31. März 1993, Kraus (C‑19/92, Slg. 1993, I-1663, Randnrn. 15 und 16).


31 – So auch Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge Hartmann (zitiert in Fn. 18. Nr. 50).


32 – Urteil vom 10. März 1993, Kommission/Luxemburg (C-111/91, Slg. 1993, I-817, Randnr. 21), und vom 12. Mai 1998, Martínez Sala (C-85/96, Slg. 1998, I-2691, Randnr. 27).


33 – Vgl. das Urteil Kommission/Luxemburg (zitiert in Fn. 32, Randnr. 20).


34 – Vgl. Schlussanträge Hosse (zitiert in Fn. 8, Nr. 104).


35 – Vgl. Urteil Kommission/Luxemburg (zitiert in Fn. 32, Randnr. 21).


36 – Vgl. Schlussanträge Hosse (zitiert in Fn. 8, Nr. 104).


37 – Urteil vom 24. September 1998, Kommission/Frankreich (C-35/97, Slg. 1998, I‑5325, Randnr. 47).


38 – Urteil vom 27. März 1985, Scrivner und Cole (122/84, Slg. 1985, 1027).


39 – Urteil Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 37, Randnr. 35). Urteil Scrivner (zitiert in Fn. 38, Randnr. 21). Deshalb geht auch das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 3. Mai 2006, EFTA-Überwachungsbehörde/Norwegen (E-3/05, EFTA Court Report, S. 102, Randnr. 63) fehl, in dem das Urteil Scrivner als vermeintlicher Beleg für den Vorrang der Verordnung Nr. 1408/71 vor der Verordnung Nr. 1612/68 angeführt wird.


40 – So aber Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge Hartmann (zitiert in Fn. 18, Nr. 50) und der EFTA-Gerichtshof, Urteil EFTA-Überwachungsbehörde/Norwegen (zitiert in Fn. 39, Randnr. 63).


41 – Dementsprechend verwendet auch die französische Fassung des Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 die Formulierung „Le présent règlement ne porte pas atteinte aux dispositions prises conformément à l'article 51 du traité.“ Auch aus der englischen Fassung lässt sich kein Vorrang der Verordnung Nr. 1408/71 ableiten: „This Regulation shall not affect measures taken in accordance with Article 51 of the Treaty.“


42 – Siehe oben, Nr. 30 dieser Schlussanträge einschließlich der Nachweise in Fn. 14.


43 – Urteile vom 28. April 1998, Kohll (C-158/96, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 25), und vom 16. Mai 2006, Watts (C-372/04, Slg. 2006, I-4325, Randnr. 47).


44 – Urteile Singh (zitiert in Fn. 17, Randnr. 16), Terhoeve (zitiert in Fn. 14, Randnr. 37), Sehrer (zitiert in Fn. 26, Randnr. 32) und Ritter-Coulais (zitiert in Fn. 13, Randnr. 33).


45 – Vgl. Urteil vom 9. November 2006, Chateignier (C-346/05, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 32) unter Verweis auf die Urteile O’Flynn (zitiert in Fn. 14, Randnr. 19) und vom 23. März 2004, Collins (C-138/02, Slg. 2004, I-2703, Randnr. 66). Entsprechend zum Verhältnis von Art. 18 EG zur Verordnung Nr. 1408/71: Urteil vom 18. Juli 2006, De Cuyper (C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Randnr. 40).


46 – Urteil Snares (zitiert in Fn. 7, Randnr. 42). Siehe dazu auch Urteile vom 27. September 1988, Lenoir (313/86, Slg. 1988, 5391, Randnr. 16), vom 31. Mai 2001, Leclere und Deaconescu (C-43/99, Slg. 2001, I-4265, Randnr. 32), und Kersbergen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 33).


47 – Urteil vom 26. Oktober 2006 (C-192/05, Slg. 3006, I-0000, Randnrn. 34 und 35). So zuvor schon Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 38), Collins (zitiert in Fn. 45, Randnr. 67), vom 15. März 2005, Bidar (C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Randnr. 57), und Ioannidis (zitiert in Fn. 11, Randnr. 30).


48 – Tatsächlich wird Herr Hendrix jedenfalls, solange sein Lohn nicht einmal das gesetzliche Mindesteinkommen erreichte, dafür kaum Steuern entrichtet haben.


49 – Urteil Snares (zitiert in Fn. 7, Randnr. 45).


50 – Schlussantrag Tas-Hagen (zitiert in Fn. 47, Nr. 61).


51 – Zitiert in Fn. 11.


52 – In den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 1612/68 wird abweichend von der Verordnung Nr. 1408/71 der Begriff „Grenzarbeitnehmer“ verwendet. In anderen Sprachfassungen findet sich dasselbe Wort in beiden Verordnungen (z. B. travailleur frontalier).


53 – So auch Urteil Kommission/Fankreich (zitiert in Fn. 37, Randnr. 40).


54 – Urteil Meeusen (zitiert Fn. 11, Randnr. 20). Siehe auch Urteil vom 27. November 1997, Meints (C-57/96, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 49).


55 – Urteil Meeusen (zitiert in Fn. 11, Randnrn. 21 und 22) und Urteil Meints (zitiert in Fn. 54, Randnr. 50).


56 – Urteile vom 29. Februar 1996, Skanavi und Chryssanthakopoulos (C-193/94 Slg. 1996, I-929, Randnr. 22), vom 26. November 2002, Oteiza Olazabal (C-100/01, Slg. 2002, I-10981, Randnr. 26), vom 6. Februar 2003, Stylianakis (C-92/01 Slg. 2003, I-1291, Randnr. 18), vom 16. Dezember 2004, My (C-293/03, Slg. 2004, I-12013, Randnr. 33), und Ioannidis (zitiert in Fn. 11, Randnr. 37).

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