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Document 62005CC0193

    Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 11. Mai 2006.
    Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Grossherzogtum Luxemburg.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Niederlassungsfreiheit - Richtlinie 98/5/EG - Ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde - Voraussetzungen für die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaats - Vorherige Überprüfung der Kenntnis der Sprachen des Aufnahmemitgliedstaats - Verbot, Tätigkeiten der Domizilierung von Gesellschaften auszuüben - Verpflichtung zur jährlichen Vorlage einer Bescheinigung der Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsmitgliedstaats.
    Rechtssache C-193/05.

    Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-08673

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:313

    SCHLUSSANTRÄGE DER FRAU GENERALANWALT

    Christine Stix-Hackl

    vom 11. Mai 2006(1)

    Rechtssache C-193/05

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    gegen

    Großherzogtum Luxemburg

    „Vertragsverletzung – Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde – Überprüfung von Sprachkenntnissen – Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters (domiciliataire) für Gesellschaften – Verpflichtung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen“





    I –    Einleitende Bemerkungen

    1.     Das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren betrifft, ähnlich wie das parallele Vorabentscheidungsersuchen(2), den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts in Luxemburg. Im Besonderen geht es um die Vereinbarkeit der in der luxemburgischen Gesetzgebung normierten Voraussetzungen mit der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde(3) (im Folgenden: Richtlinie 98/5).

    II – Rechtlicher Rahmen

    A –    Gemeinschaftsrecht

    2.     Nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 soll diese Richtlinie die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als Selbständiger oder abhängig Beschäftigter in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, erleichtern.

    3.     Nach Artikel 2 Unterabsatz 1 hat jeder Rechtsanwalt das Recht, die in Artikel 5 genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.

    4.     Artikel 3 Absätze 1, 2 und 4 der Richtlinie 98/5, der die Eintragung bei der zuständigen Stelle regelt, lautet:

    „(1) Jeder Rechtsanwalt, der seinen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, hat sich bei der zuständigen Stelle dieses Mitgliedstaats eintragen zu lassen.

    (2) Die zuständige Stelle des Aufnahmestaats nimmt die Eintragung des Rechtsanwalts anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vor. Sie kann verlangen, dass diese von der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats erteilte Bescheinigung im Zeitpunkt ihrer Vorlage nicht älter als drei Monate ist. Sie setzt die zuständige Stelle des Herkunftsstaats von der Eintragung in Kenntnis.

    (4) Veröffentlicht die zuständige Stelle des Aufnahmestaats die Namen der bei ihr eingetragenen Rechtsanwälte, so veröffentlicht sie auch die Namen der gemäß dieser Richtlinie eingetragenen Rechtsanwälte.“

    5.     Artikel 5 der Richtlinie 98/5, der das Tätigkeitsfeld regelt, lautet:

    „(1) Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 übt der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt die gleichen beruflichen Tätigkeiten wie der unter der jeweiligen Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt aus und kann insbesondere Rechtsberatung im Recht seines Herkunftsstaats, im Gemeinschaftsrecht, im internationalen Recht und im Recht des Aufnahmestaats erteilen. Er hat in jedem Fall die vor den nationalen Gerichten geltenden Verfahrensvorschriften einzuhalten.

    (2) Mitgliedstaaten, die in ihrem Gebiet einer bestimmten Gruppe von Rechtsanwälten die Abfassung von Urkunden gestatten, mit denen das Recht auf Verwaltung des Vermögens verstorbener Personen verliehen oder Rechte an Grundstücken begründet oder übertragen werden und die in anderen Mitgliedstaaten anderen Berufen als dem des Rechtsanwalts vorbehalten sind, können den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt aus einem dieser anderen Mitgliedstaaten von diesen Tätigkeiten ausschließen.

    (3) Für die Ausübung der Tätigkeiten, die mit der Vertretung und der Verteidigung von Mandanten vor Gerichten verbunden sind, kann der Aufnahmestaat, soweit er diese Tätigkeiten den unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätigen Rechtsanwälten vorbehält, den unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwälten als Bedingung auferlegen, dass sie im Einvernehmen mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt, der gegebenenfalls diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, oder mit einem bei diesem Gericht tätigen ‚avoué‘ handeln.

    Um das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege sicherzustellen, können die Mitgliedstaaten jedoch besondere Regeln für den Zugang zu den höchsten Gerichten vorsehen und zum Beispiel nur spezialisierte Rechtsanwälte zulassen.“

    6.     Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 98/5 lautet:

    „Vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt setzt die zuständige Stelle des Aufnahmestaats unverzüglich die zuständige Stelle des Herkunftsstaats unter Angabe aller zweckdienlichen Einzelheiten davon in Kenntnis.

    Unterabsatz 1 gilt entsprechend, wenn die zuständige Stelle des Herkunftsstaats ein Disziplinarverfahren einleitet; diese setzt die zuständige Stelle des oder der Aufnahmestaaten davon in Kenntnis.“

    B –    Nationales Recht

    7.     Die hier einschlägigen Regelungen des Sprachenregimes finden sich in der „loi du 24 février 1984 sur le régime des langues“ (im Folgenden: Gesetz aus 1984)(4).

    8.     Nach dessen Artikel 2 werden die Gesetze und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen auf Französisch verfasst. Andere Verordnungen können auch in einer anderen Sprache verfasst werden. Als authentisch gilt die Sprache, in der der Rechtsakt verfasst worden ist.

    9.     Nach Artikel 3 des Gesetzes aus 1984 kann man sich vorbehaltlich spezieller Regelungen in Angelegenheiten der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit der französischen, deutschen oder luxemburgischen Sprache bedienen.

    10.   Als Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 98/5 in das Recht des Großherzogtums Luxemburg gilt ein Gesetz vom 13. November 2002 (im Folgenden: Gesetz aus 2002)(5), mit dem bestimmte Vorschriften des luxemburgischen Rechts(6) geändert wurden.

    11.   Die Regelung betreffend die Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters („domiciliataire“) findet sich in Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes vom 31. Mai 1999(7) in der Fassung von Artikel 15 des Gesetzes vom 13. November 2002. Danach dürfen nur Anwälte, die in Liste I im Sinne von Artikel 8 Absatz 3 des Gesetzes aus 1991 eingetragen sind, Domizilhalter sein.

    12.   Nach Artikel 8 Absatz 3 des Gesetzes aus 1991 in der Fassung von Artikel 14 des Gesetzes aus 2002 bestehen vier Listen von Anwälten: Liste I (Anwälte, die die Voraussetzungen nach Artikel 5, d. h. die Eintragung, und von Artikel 6 betreffend die Voraussetzungen für die Eintragung und die Eidesleistung, erfüllen und die die Prüfung bestanden haben), Liste II (Anwälte, die die Voraussetzungen nach Artikel 5 und 6 erfüllen), Liste III und Liste IV (Anwälte, die die Tätigkeit unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben).

    13.   Weitere Vorschriften des nationalen Rechts finden sich im Anhang zu meinen ebenso mit heutigem Datum verlesenen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑506/04.

    III – Sachverhalt, Vorverfahren und gerichtliches Verfahren

    14.   Im Laufe des Jahres 2003 erhielt die Kommission eine Beschwerde, in der das Bestehen von Hindernissen betreffend die Ausübung des Anwaltsberufs in Luxemburg unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung behauptet wurde. Diese Hindernisse beträfen erstens die aufgrund des Gesetzes aus 2002 verlangten Sprachkenntnisse, zweitens das Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters (domiciliataire) und die Verpflichtung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen.

    15.   Mit Mahnschreiben vom 17. Oktober 2003 leitete die Kommission gegen Luxemburg ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG ein. Nach der Antwort Luxemburgs vom 23. Dezember 2003 sandte die Kommission am 9. Juli 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, auf die Luxemburg mit Schreiben vom 23. September 2004 reagierte.

    16.   Am 29. April 2005 hat die Kommission gegen das Großherzogtum Luxemburg beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Klage nach Artikel 226 EG eingereicht und beantragt,

    1.         festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, insbesondere Artikel 2, 3 und 5, verstoßen hat, dass es für die Niederlassung unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung Erfordernisse in Bezug auf Sprachkenntnisse, ein Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters (domiciliataire) und die Verpflichtung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen, beibehalten hat,

    2.         dem Großherzogtum Luxemburg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    IV – Zum ersten Klagegrund: Erfordernisse in Bezug auf Sprachkenntnisse

    A –    Die Vorbringen der Parteien

    1.      Die Kommission

    17.   Die Einführung einer Überprüfung der Sprachkenntnisse als Voraussetzung für die Eintragung eines „europäischen Rechtsanwalts“ in das Anwaltsverzeichnis stehe im Gegensatz zu dem allgemeinen Ziel der Richtlinie 98/5, die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, zu erleichtern, und verletze insbesondere Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 98/5, wonach der Aufnahmestaat die Eintragung des Rechtsanwalts ausschließlich „anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats“ vorzunehmen habe.

    18.   Wie aus dem Urteil in der Rechtssache Luxemburg/Parlament und Rat(8) hervorgehe, bevorzuge der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Regelung, die eine Unterrichtung des Verbrauchers, Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs und der Modalitäten der Ausübung bestimmter mit dem Beruf verbundener Tätigkeiten, eine Kumulierung der zu beachtenden Berufs- und Standesregeln, eine Versicherungspflicht sowie eine die zuständigen Stellen des Herkunftsstaats und des Aufnahmestaats einbeziehende Disziplinarregelung miteinander verknüpft, gegenüber einem System der Vorabkontrolle einer Qualifikation im nationalen Recht des Aufnahmestaats, und erst recht der Vorabkontrolle der Sprachkenntnisse der Amtssprachen des Aufnahmestaats.

    19.   Im Gegensatz zu dem von der luxemburgischen Regierung vertretenen Standpunkt können den „europäischen Rechtsanwälten“, die im Aufnahmestaat unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig sein möchten, nicht dieselben – insbesondere sprachbezogenen – Bedingungen, die den Rechtsanwälten, die ihren Beruf unter der in diesem Mitgliedstaat geltenden Berufsbezeichnung ausüben möchten, auferlegt werden.

    20.   Bei näherer Betrachtung der Art von Belangen, die üblicherweise von den in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/5 fallenden Rechtsanwälten bearbeitet werden (siehe insbesondere den fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 98/5), ist offensichtlich, dass dafür Kenntnisse der Amtssprachen des Aufnahmestaats nicht unbedingt notwendig sind.

    21.   Die Einführung einer sprachlichen Überprüfung als Voraussetzung für die Eintragung eines „europäischen Rechtsanwalts“ in das Anwaltsverzeichnis stehe im Gegensatz zu dem allgemeinen Ziel der Richtlinie 98/5, die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, zu erleichtern, und verletze insbesondere Artikel 3 Absatz 2 dieser Richtlinie 98/5, wonach der Aufnahmestaat die Eintragung des Rechtsanwalts ausschließlich „anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats“ vorzunehmen habe.

    2.      Die luxemburgische Regierung

    22.   Die Erfordernisse in Bezug auf die Sprachkenntnisse beträfen unterschiedslos alle Rechtsanwälte, die sich in eines der Anwaltsverzeichnisse des luxemburgischen Staatsgebiets eintragen lassen möchten. Ein Rechtsanwalt könne sich nämlich nicht auf seine ausländische Berufsbezeichnung berufen, um sich vor den luxemburgischen Behörden oder den luxemburgischen Gerichten in einer anderen Sprache als den in Luxemburg üblichen Amtssprachen auszudrücken.

    23.   An dieser Stelle müsse auf das Urteil in der Rechtssache Haim betreffend die Berufsgruppe der Zahnärzte verwiesen werden, dessen Entscheidungsgründe, die auf der notwendigen Zuverlässigkeit der Verständigung mit den Kunden, den Behörden und den berufsständischen Organisationen beruhen, in der vorliegenden Rechtssache für das Erfordernis bestimmter Sprachkenntnisse für Rechtanwälte, die in Luxemburg unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig sein möchten, plädierten.

    24.   Da der Rechtsanwalt, der seinen Beruf unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausübt, auch im Bereich des luxemburgischen Rechts Beratungen vornehmen darf, sei es gerechtfertigt, von einem solchen Rechtsanwalt Sprachkenntnisse zu verlangen, die es ihm erlauben, luxemburgische Rechtstexte lesen und verstehen zu können.

    25.   Des Weiteren ist hervorzuheben, dass die Strafmandate der Polizei bei Verkehrsunfällen üblicherweise auf Deutsch geschrieben werden, wie auch die luxemburgischen Steuergesetze, was somit die Konsultierung der Rechtsprechung und Kommentare in deutscher Sprache voraussetze.

    26.   Außerdem wird die luxemburgische Sprache üblicherweise vor niedrigeren Gerichten, wo die Vertretung durch einen Anwalt der Kammer (Avocat à la Cour) nicht verpflichtend ist, von der luxemburgischen Partei, die für ihre Verteidigung persönlich vor Gericht erscheint, verwendet. Zudem drückten sich zahlreiche Luxemburger ausschließlich in ihrer Muttersprache aus, wenn sie sich von einem Rechtsanwalt beraten ließen.

    27.   Wie aus der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer von Luxemburg hervorgeht(9), seien zudem die gesamten Berufs- und Standesregeln ausschließlich in französischer Sprache geschrieben.

    B –    Würdigung

    28.   Vorab sei darauf hingewiesen, dass die streitgegenständliche Regelung eine Sprachprüfung für Rechtsanwälte mit Qualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten betrifft, die ihre Tätigkeit auf Dauer unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftsmitgliedstaats ausüben möchten.

    29.   Dazu bestimmt Artikel 3 Absatz 1 des Gesetzes aus 2002, dass „europäische Rechtsanwälte“ zur Ausübung des Anwaltsberufs unter ihrer Herkunftsbezeichnung der Eintragung in das Anwaltsverzeichnis bedürfen. Diese wiederum wird gemäß Absatz 2 der genannten Vorschrift nach Ablegung eines mündlichen Sprachtests, welcher sich auf die Prüfung der Kenntnis der französischen, luxemburgischen und deutschen Sprache erstreckt, vorgenommen.

    1.      Der Wortlaut der Richtlinie 98/5

    30.   Zur Beantwortung der Frage, ob ein solches Erfordernis mit den Gewährleistungen der Richtlinie 98/5 vereinbar ist, ist zunächst deren Wortlaut zu untersuchen.

    31.   Die Richtlinie 98/5 enthält hinsichtlich einer Sprachprüfung keine ausdrückliche Regelung. Zu prüfen ist daher, ob sich aus ihr zumindest implizit ableiten lässt, ob und welche Sprachkenntnisse verlangt werden können. Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt, dass jeder Rechtsanwalt die in deren Artikel 5 genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung ausüben darf. Als Voraussetzung hierfür nennt Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 die Pflicht zur Eintragung bei der zuständigen Stelle des betreffenden Mitgliedstaats. Zur Eintragung bedarf es gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie der Vorlage einer Bescheinigung über die Eintragung des Anwalts bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats.

    32.   Die Richtlinie 98/5 nimmt hinsichtlich der Voraussetzungen für die Eintragung eine abschließende Harmonisierung vor.

    33.   Die Vorlage einer solchen Bescheinigung ist die einzige in der Richtlinie 98/5 ausdrücklich normierte Bedingung, an die die Vornahme der Eintragung geknüpft wird. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass weitere Bedingungen – wie das Bestehen einer Sprachprüfung – vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewusst nicht vorgesehen wurden und daher nicht in Betracht kommen. Dem würde auch die unbedingte Formulierung(10) des Artikels 2 Absatz 1 entsprechen.

    34.   Eine andere Sichtweise ergäbe sich jedoch dann, wenn lediglich deshalb keine Regelungen hinsichtlich eines Sprachtests getroffen wurden, weil die Möglichkeit eines solchen bereits implizit in anderen Vorschriften der Richtlinie 98/5 angelegt ist. Gemäß Artikel 6 Absatz 1 unterliegt der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt auch den Berufs- und Standesregeln des Aufnahmestaats. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass eine in den Berufsregeln des Aufnahmestaats vorgesehene Sprachprüfung automatisch mit der Richtlinie 98/5 vereinbar wäre. Ansonsten könnten die Mitgliedstaaten beliebige Erschwernisse für „europäische Rechtsanwälte“ in ihren Regelungen vorsehen und mithin die Ziele der Richtlinie 98/5 konterkarieren. Artikel 6 kann daher nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass er die streitige Prüfung erlaube.

    35.   Der Wortlaut der Richtlinie 98/5 spricht also gegen die Vereinbarkeit derselben mit einem Sprachtest.

    2.      Die Zielsetzung der Richtlinie 98/5

    36.   Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 soll diese die im Vertrag vorgesehene Freizügigkeit für den Anwaltsberuf verwirklichen.

    37.   Den ersten Markstein der gesetzgeberischen Entwicklung setzte insoweit die Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte(11) (im Folgenden: Richtlinie 77/249). Der nächste Schritt erfolgte durch den Erlass der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen(12) (im Folgenden: Richtlinie 89/48).

    38.   Da die Richtlinie 89/48 jedoch für eine Vielzahl von reglementierten Berufen gilt, wurde sie als nicht hinreichend zur Verwirklichung der Grundfreiheiten von Rechtsanwälten erachtet. Aufgrund der Besonderheiten des Anwaltsberufs bedurfte es einer speziellen Regelung, welche mit der Richtlinie 98/5 auch erfolgte. Deren Ziel besteht darin, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit einer bestimmten Kategorie zuwandernder Rechtanwälte, d. h. derjenigen Rechtsanwälte, die unter ihrer ursprünglichen Bezeichnung tätig werden wollen, zu erleichtern(13).

    39.   Die Notwendigkeit einer speziellen Regelung ergab sich laut dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 98/5 aus den geänderten Bedürfnissen der Rechtssuchenden, die aufgrund der Verwirklichung des Binnenmarktes eine Beratung für Transaktionen suchen, bei denen das internationale Recht, das Gemeinschaftsrecht und nationale Rechtsordnungen häufig miteinander verschränkt sind. Dafür soll die Richtlinie 98/5 gegenüber der allgemeinen Anerkennungsregelung (Richtlinie 89/48) u. a. die Eingliederung in den Berufsstand des Aufnahmestaats „erleichtern“.

    40.   Das Einrichten eines Sprachtests auf nationaler Ebene würde jedoch dazu führen, dass der Zugang zum Anwaltsberuf in einem anderen Mitgliedstaat einer vergleichbaren Hürde wie im Rahmen der Richtlinie 89/48 ausgesetzt wäre: Artikel 4 dieser Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten, für den Anwaltsberuf eine Eignungsprüfung vorzusehen. Da Sprach- und Sachprüfungen in ihrer Wirkung vergleichbar sind, wäre die Eingliederung in den Berufsstand kaum mehr „einfacher“ als unter Heranziehung der allgemeinen Anerkennungsregelung. Damit wäre aber das Ziel der Richtlinie 98/5, gegenüber der Richtlinie 89/48 einen weiteren Integrationsschritt zu verwirklichen, in Gefahr.

    41.   Abschließend sei betont, dass Sprachkenntnisse für eine fruchtbringende Tätigkeit selbstverständlich von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere für die Kenntnisse in der oder den Landessprachen. Diese sind im Kontakt mit den Klienten und mit den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats mitunter unerlässlich. Sollte daher ein Anwalt nicht selbst über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen, hat er sich von einem sprachkundigen Anwalt assistieren zu lassen. So gesehen wirken sich beschränkte oder fehlende Sprachkenntnisse auch auf die inhaltliche Tätigkeit des betreffenden „europäischen Rechtsanwalts“ aus und begrenzen dessen Tätigkeitsfeld.

    42.   In diesem Zusammenhang sei ebenso nochmals darauf hingewiesen, dass die verfahrensgegenständliche Problematik die Tätigkeit von Anwälten unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats betrifft und nicht die so genannter inländischer Anwälte, d. h. unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats. Schon von daher dürfen an diese Personengruppe der „europäischen Rechtsanwälte“ nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an Rechtsanwälte, die unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätig werden wollen.

    3.      Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 98/5

    43.   Die Unzulässigkeit von Sprachprüfungen wird auch durch die Untersuchung des Normsetzungsprozesses gestützt. Dieser war vom ersten Vorschlag der Kommission vom 30. März 1995(14) an bis zur endgültigen Fassung vom 16. Februar 1998 durch eine Vielzahl von Änderungen gekennzeichnet. So war beispielsweise im Entwurf der Kommission gemäß dessen Artikel 2 die Ausübung des Anwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats auf fünf Jahre beschränkt.

    44.   Auffällig ist jedoch, dass die Eintragung anhand einer Bescheinigung des Herkunftsstaats von Beginn an unverändert als einzige Voraussetzung der Berufsausübung vorgesehen war. So spricht die Kommissionsbegründung zu Artikel 2 ihres Vorschlags für eine Richtlinie 98/5 sogar ausdrücklich von der „einzigen Voraussetzung“ für die Eintragung. Lediglich der Wirtschafts- und Sozialausschuss hat in seiner Stellungnahme(15) Bedenken gegen eine Lösung vorgebracht, nach der die Beratung im Recht des Aufnahmestaats ohne vorherige Prüfung der (Sprach-)kenntnisse möglich sein soll. Diese Bedenken wurden im weiteren Rechtsetzungsverfahren jedoch nicht aufgenommen und finden sich auch in den Beiträgen des Europäischen Parlaments und des Rates nicht wieder.

    45.   Eine der Konstanten in der durch eine Vielzahl von Änderungen gekennzeichneten Entstehungsgeschichte der Richtlinie 98/5 ist somit die Koppelung der Eintragung an die alleinige Vorlage einer Bescheinigung des Herkunftsstaats.

    46.   Dies deutet darauf hin, dass alle maßgeblich am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Organe nicht von einer Möglichkeit der Mitgliedstaaten ausgingen, Spracherfordernisse vorsehen zu dürfen.

    4.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Grundfreiheiten

    47.   Die aus Wortlaut, Zielsetzung und Entstehungsgeschichte abgeleiteten Erkenntnisse entsprechen auch der allgemeinen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den einschlägigen Grundfreiheiten.

    48.   Als von dieser allgemeinen Linie abweichend, könnte man jedoch die Urteile in den Rechtssachen Groener(16) und Haim(17) ansehen. Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass Spracherfordernisse zwar ein Hindernis für die Ausübung der vom Vertrag gewährten Freiheiten darstellen, dass sie jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können(18). Zu diesen zählten auch die Verständigung mit Patienten sowie mit Verwaltungsbehörden und Berufsorganisationen.

    49.   In den vorliegenden Verfahren könnten vergleichbare Gründe, namentlich der Austausch zwischen Anwalt und Mandant, der Schutz des Letztgenannten vor unqualifizierter Beratung mangels Sprachkenntnissen des Rechtsanwalts sowie die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege einschlägig sein. Sollten die soeben genannten Entscheidungen auf die hier gegebene Situation übertragbar sein, spräche dies also für die Möglichkeit einer mitgliedstaatlichen Sprachprüfung.

    50.   In der Rechtssache Groener hat der Gerichtshof eine irische Regelung, nach der die Ernennung eines Dozenten auf eine Vollzeitdauerplanstelle an öffentlichen Berufseinrichtungen vom Nachweis hinreichender Irischkenntnisse abhängt, als mit den Vorgaben der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft(19) vereinbar angesehen.

    51.   Dabei stützt er sich jedoch auf Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68, der für Sprachkenntnisse eine ausdrückliche Ausnahme vom Grundsatz des Absatzes 1 zweiter Gedankenstrich vorsieht, nach dem solche nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften keine Anwendung finden, die bezwecken oder bewirken, dass Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden. Eine solche Ausnahme- bzw. Erlaubnisregel enthält die Richtlinie 98/5 jedoch gerade nicht.

    52.   Weiters basiert die Argumentation des Gerichtshofes darauf, dass gerade dem Dozentenberuf durch den Unterricht und die privilegierte Beziehung zu den Schülern eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung der nationalen Politik der Identitäts- und Kulturwahrung zukomme. Zwar nimmt das Großherzogtum Luxemburg eine der Republik Irland vergleichbare sprachliche Sonderstellung ein(20). Der Beruf des Anwalts ist jedoch nicht mit demjenigen des Dozenten zu vergleichen. Es ist weder seine Aufgabe, noch ist er dazu in der Lage, die Sprache als Ausdruck der nationalen Identität und Kultur zu wahren(21).

    53.   Aufgrund der aufgezeigten Unterschiede kann die Rechtssache Groener nicht als Argument für eine nationale Sprachprüfung ins Feld geführt werden.

    54.   Im Urteil in der Rechtssache Haim hat der Gerichtshof festgestellt, dass die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und dort niedergelassen und approbiert ist, davon abhängig machen können, dass dieser Arzt die für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat nötigen Sprachkenntnisse besitzt.

    55.   Die in der Rechtssache Haim einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts unterscheiden sich von der Richtlinie 98/5 jedoch in einem entscheidenden Punkt.

    56.   So bestimmt Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr(22) (im Folgenden: Richtlinie 78/686), dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Begünstigten der Richtlinie 78/686 im Interesse ihrer Patienten die im Aufnahmestaat nötigen Sprachkenntnisse erwerben. Eine vergleichbare Vorschrift enthält die Richtlinie 98/5 aber gerade nicht.

    57.   Zwar war die Richtlinie 78/686 im Fall Haim nicht anwendbar, da Herr Haim sein Zahnarztdiplom nicht in der Europäischen Union, sondern in der Türkei erworben hatte. Dass die die Spracherfordernisse erlaubende Entscheidung des Gerichtshofes dennoch auf die Sonderregelung des Artikels 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 zurückzuführen ist, zeigt sich an den Ausführungen von Generalanwalt Mischo(23) in dieser Rechtssache. Diesen zufolge muss die Sprachbedingung, die von der genannten Richtlinie an Gemeinschaftsbürger gestellt wird, welche von anderen Mitgliedstaaten erteilte Diplome besitzen und somit in den Anwendungsbereich des Artikels 18 Absatz 3 fallen, erst recht für Angehörige anderer Mitgliedstaaten gelten, die Diplome aus Drittstaaten besitzen.

    58.   Damit kann aufgrund der Unterschiede zu der vorliegenden Rechtssache auch das Urteil in der Rechtssache Haim nicht als Argument für eine Sprachprüfung im Rahmen der Richtlinie 98/5 dienen.

    5.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Richtlinie 98/5

    59.   Der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind zudem weitere Aussagen gegen die Zulässigkeit eines Sprachtests zu entnehmen, und zwar dem Urteil in der Rechtssache Luxemburg/Parlament und Rat(24).

    60.   Im Rahmen dieses Verfahrens hatte der Gerichtshof über eine Nichtigkeitsklage Luxemburgs betreffend die Richtlinie 98/5 zu befinden. Luxemburg bestritt die Gültigkeit der Richtlinie 98/5 u. a. deshalb, weil diese auf eine Vorabkontrolle der unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Anwälte bezüglich deren Kenntnisse im Recht des Aufnahmestaats verzichtet. Dies beeinträchtige den Verbraucherschutz und das Interesse an einer geordneten Rechtspflege als Ausdruck der zwingenden Gründe des Allgemeinwohls.

    61.   In seinem Urteil wies der Gerichtshof jedoch diese Argumentation Luxemburgs zurück. Beim Erlass von Koordinierungsmaßnahmen sei es Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, dem von den Mitgliedstaaten verfolgten Allgemeininteresse Rechnung zu tragen und zur Wahrung dieses Interesses ein in der Gemeinschaft akzeptables Schutzniveau festzulegen(25). In den Randnummern 34 bis 43 führt der Gerichtshof im Einzelnen aus, dass die Richtlinie in ihren Artikeln 4, 5, 6 und 7 bereits hinreichende Vorkehrungen zur Gewährleistung des genannten Interesses treffe.

    62.   Der Gerichtshof hat in jenem Urteil ausgeführt, dass der unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats tätige Rechtsanwalt beispielsweise verpflichtet ist, diese Bezeichnung zur Information des Verbrauchers auch in der Amtssprache seines Herkunftsstaats zu führen, um eine Verwechslung mit Berufsbezeichnungen des Aufnahmestaats zu vermeiden. Des Weiteren unterliegt er bestimmten Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs und der Modalitäten der Ausübung des Berufes sowie auch den Berufs- und Standesregeln des Aufnahmestaats. Mit der Entscheidung für diese Art und dieses Niveau des Verbraucherschutzes und der Gewährleistung der geordneten Rechtspflege anstatt eines Systems der Vorabkontrolle der sachlichen Kenntnisse hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen seines Ermessens nicht überschritten.

    63.   Zu prüfen ist somit im Folgenden, ob sich diese Ausführungen des Gerichtshofes für eine Unvereinbarkeit eines Sprachtests mit der Richtlinie 98/5 verwerten lassen. Dazu müssten zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen beziehen sich die Aussagen des Gerichtshofes auf eine Prüfung der (Sach-)kenntnis des Rechts des Aufnahmestaats. Gleiches müsste dann auch für eine Prüfung der Sprachkenntnis gelten. Zum anderen erging das Urteil im Rahmen einer Nichtigkeitsklage. Aus der Tatsache, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber sein Ermessen nicht überschritten hat, müsste auch folgen, dass die Mitgliedstaaten kein anderes Schutzsystem vorsehen dürfen.

    64.   Hinsichtlich der ersten Bedingung, nämlich der Vergleichbarkeit einer Prüfung der Rechtskenntnisse mit einem Sprachtest ist darauf zu verweisen, dass – wie der Gerichtshof ausführt – der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Verpflichtung zur Kenntnis des nationalen Rechts beseitigt, sondern lediglich den Anwalt davon befreit, diese Kenntnisse im Voraus nachzuweisen. Damit akzeptiert der Gerichtshof, dass (Rechts-)kenntnisse schrittweise durch die praktische Tätigkeit erworben werden können.

    65.   Auch Sprachkenntnisse lassen sich durch die tägliche Arbeit im Aufnahmestaat nach und nach verbessern. Zudem greift der betreffend die Rechtskenntnis vorgesehene Schutzmechanismus ebenso im Fall sprachlicher Unzulänglichkeiten: So dient auch hier die Bindung an die Berufs- und Standesregeln des Aufnahmestaats dazu, eine Beeinträchtigung der Mandanten zu verhindern. Die geltenden Standesregeln enthalten nach dem Vorbild von Nummer 3.1.3. der vom Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union (CCBE) beschlossenen Vorschriften eine disziplinarrechtlich abgesicherte Verpflichtung, ein Mandat abzulehnen, wenn der Anwalt weiß oder wissen muss, dass ihm die erforderlichen Kenntnisse fehlen. Das ist selbstverständlich auf mangelnde Sprachkenntnisse übertragbar.

    66.   Reichen seine sprachlichen Fähigkeiten also nicht aus, einen Sachverhalt unter Heranziehung der einschlägigen Normen verständig zu würdigen, ist er genauso wie bei fehlender rechtlicher Kenntnis gehalten, das Mandat nicht zu übernehmen.

    67.   Somit lassen sich aber die Aussagen des Gerichtshofes zur Sachkenntnis auf das Spracherfordernis übertragen.

    68.   Des Weiteren müsste aber auch die zweite Bedingung erfüllt sein. Auf den ersten Blick ließe sich argumentieren, dass der Umstand, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die Festlegung eines Schutzmechanismus ohne vorherige Prüfung innerhalb seines Ermessensspielraums geblieben ist, nicht automatisch zum Verbot eines davon verschiedenen Systems führe. In der Tat ist den Ausführungen des Gerichtshofes nicht zu entnehmen, dass ein Mechanismus der vorherigen Kontrolle nicht innerhalb des dem Gemeinschaftsgesetzgeber zustehenden Spielraums läge.

    69.   Diese Frage darf jedoch nicht mit derjenigen verwechselt werden, welche Möglichkeiten den Mitgliedstaaten verbleiben, nachdem der Gemeinschaftsgesetzgeber sich für einen – rechtlich zulässigen – Schutzmechanismus entschieden hat. Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber einmal eine bestimmte Variante normiert, dürfen die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Ermächtigung – davon nicht mehr abweichen.

    70.   Somit ist auch die zweite Bedingung erfüllt. Die Aussagen des Gerichtshofes im Verfahren der Rechtssache C‑168/98 betreffend die Nichtigerklärung der Richtlinie 98/5 sind daher auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung. Das durch die Untersuchung des Wortlauts sowie der Entstehungsgeschichte gefundene Resultat der Unvereinbarkeit einer Sprachprüfung mit der Richtlinie 98/5 wird mithin durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes bestätigt.

    6.      Die Auswirkungen der Richtlinie 2005/36

    71.   Möglicherweise ist die Richtlinie 98/5 jedoch im Lichte der neuen Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen(26) (im Folgenden: Richtlinie 2005/36) auszulegen. Diese sieht in ihrem Artikel 53 vor, dass Personen, deren Berufsqualifikation anerkannt wird, über die für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen müssen.

    72.   Im vorliegenden Verfahren geht es hingegen um die Ausübung der Tätigkeit im Aufnahmestaat unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats. Wie der Gerichtshof in der Rechtssache Luxemburg/Parlament und Rat zur unterschiedlichen Behandlung der beiden Gruppen von Anwälten ausgeführt hat(27), sind die beiden genannten Gruppen jedoch nicht miteinander vergleichbar(28).

    73.   Daraus ist zu schließen, dass für den streitgegenständlichen Bereich der Ausübung der Anwaltstätigkeit unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats Argumente aus dem Bereich der Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte nicht heranzuziehen sind. Die Richtlinie 98/5 ist daher nicht im Lichte der Richtlinie 2005/36 auszulegen. Es bleibt mithin beim Ergebnis der Unvereinbarkeit eines Sprachtests mit der erstgenannten Richtlinie.

    7.      Der Vergleich mit der Richtlinie 77/249

    74.   Schließlich weist auch ein Vergleich mit der Richtlinie 77/249 in die Richtung des Verbots eines vorherigen Sprachtests. Wie sich aus dem Vorbringen Luxemburgs im Rahmen der Rechtssache C‑168/98 ergibt(29), bestreitet das Großherzogtum nicht die Möglichkeit ausländischer Rechtsanwälte, in Anwendung der Richtlinie 77/249 unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftsstaats im Aufnahmestaat eine beratende Tätigkeit im Recht des Aufnahmestaats auszuüben, ohne vorher Sprachkenntnisse nachweisen zu müssen.

    75.   Dann spricht viel dafür, dass dies auch hinsichtlich der Richtlinie 98/5 gilt. Denn in den hier entscheidenden Vorschriften entsprechen sich beide Richtlinien weitgehend. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die eine ihren Platz im Dienstleistungsrecht hat, während die andere im Bereich der Artikel 43 EG ff. angesiedelt ist.

    76.   Man könnte allerdings argumentieren, dass sich gerade hieraus ein erheblicher Unterschied ergebe, der eine differenzierende Behandlung rechtfertige. Denn der lediglich dienstleistende Anwalt hält sich nur kurz im jeweils anderen Mitgliedstaat auf und bearbeitet dort deutlich weniger Mandate als ein niedergelassener Anwalt. Daher könnte die Gefährdung des Mandanten durch unqualifizierte Rechtsberatung im Rahmen der Richtlinie 77/249 geringer sein als im Rahmen der Richtlinie 98/5.

    77.   Bei genauer Betrachtung ist dem jedoch nicht so. Wie sich im Umkehrschluss zu Artikel 4 Absätze 1, 2 und 4 sowie aus Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 77/249 ergibt, unterliegt der dienstleistende Anwalt nämlich nicht im gleichen Maße wie der niedergelassene „europäische Rechtsanwalt“ den Berufs- und Standesregeln sowie den damit verbundenen disziplinarrechtlichen Ahndungsmöglichkeiten des Aufnahmestaats. Dieses geringere „Abschreckungspotenzial“ könnte den Erstgenannten zu allenfalls riskanterem Verhalten im Hinblick auf mangelnde Sprachfertigkeiten verleiten. Zudem dürfte der niedergelassene Anwalt aufgrund seines engeren Kontakts mit dem örtlichen Rechtssystem und der/den dortigen Sprache(n) grundsätzlich besser in der Lage sein, eine zuverlässige Beratung anzubieten(30).

    78.   Daher sind die dem Mandanten sowie der Rechtspflege drohenden Gefahren infolge mangelnder Sprachkenntnisse des niedergelassenen „europäischen Rechtsanwalts“ zumindest nicht größer als im Rahmen der reinen anwaltlichen Dienstleistung.

    8.      Zwischenergebnis

    79.   Nach alldem ergibt sich, dass die zuständigen Behörden des Aufnahmestaats nicht befugt sind, die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats im Aufnahmestaat, also in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, vom Bestehen einer vorherigen Sprachprüfung abhängig zu machen.

    80.   Selbst wenn der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass eine Sprachprüfung grundsätzlich mit den Gewährleistungen der Richtlinie 98/5 zu vereinbaren ist, stellt sich des Weiteren die Frage, ob diese Richtlinie auch die in Luxemburg geltenden Anforderungen an die Sprachkenntnisse zulässt.

    81.   Wie oben bereits ausgeführt, erstreckt sich die fragliche Prüfung der Sprachkenntnisse auf das Französische, das Deutsche und das Luxemburgische.

    82.   Zwar kann gemäß Artikel 3 des Gesetzes aus 1984 über das Sprachenregime(31) in Luxemburg sowohl im Bereich der Verwaltung als auch vor der Gerichtsbarkeit von allen drei Sprachen Gebrauch gemacht werden. Dies rechtfertigt jedoch im Sinne der Verhältnismäßigkeit keinesfalls die vorherige Kenntnis aller dieser drei Sprachen durch einen „europäischen Rechtsanwalt“.

    83.   Wie sich nämlich aus Artikel 2 des genannten Gesetzes ergibt, sind alle Gesetze und die diese ausführenden Rechtsakte in Luxemburg in französischer Sprache abgefasst. Nach Angaben des Großherzogtums ist das Französische auch Sprache der Berufs- und Standesregeln der Anwälte. Lediglich Teile des allgemeinen Steuerrechts, namentlich die aus der Bundesrepublik Deutschland übernommene Abgabenordnung, sind in deutscher Sprache verfasst.

    84.   Damit dürfte zumindest die Kenntnis des Luxemburgischen – und wohl auch die des Deutschen – keinesfalls unbedingt erforderlich sein, um im Sinne des Mandantenschutzes sowie der geordneten Rechtspflege eine zuverlässige Rechtsberatung zu gewährleisten.

    85.   Der erste Klagegrund ist somit begründet.

    V –    Zum zweiten Klagegrund: Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters („domiciliataire“)

    A –    Die Vorbringen der Parteien

    1.      Die Kommission

    86.   Gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 habe der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt unter Berücksichtigung bestimmter, in den in Artikel 5 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 98/5 vorgesehenen Ausnahmen das Recht, dieselben Tätigkeiten wie der unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt auszuüben. Die Mitgliedstaaten hätten somit nicht das Recht, im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 98/5 andere Ausnahmen vorzusehen. Das Verbot, Domizilhalter zu sein, verstoße daher gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 98/5.

    87.   Im Gegensatz zu der von der luxemburgischen Regierung vorgetragenen Argumentation könne der „europäische Rechtsanwalt“ nicht mit einem auf der Liste II des Anwaltsverzeichnisses eingetragenen luxemburgischen Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter – avocat stagiaire) verglichen werden, dem auch die Tätigkeit eines Domizilhalters untersagt ist. Während die besagte Liste Rechtsanwälte betrifft, die zum Rechtsanwaltspraktikum zugelassen sind, deren endgültige Zulassung aber noch vom Bestehen der Praktikumsabschlussprüfung abhängt, handle es sich beim „europäischen Rechtanwalt“ um einen vollständig zugelassenen Rechtanwalt.

    88.   Auch das Erfordernis der Kenntnis des lokalen Rechts könne keine Einschränkung der Tätigkeiten des unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtanwalts rechtfertigen. Die Möglichkeit für die luxemburgische Regierung, sich auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung als Rechtfertigungsgrund zu berufen, setze das Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, was im Fall der Ausübung der Tätigkeit des Domizilhalters durch einen in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalt aber nicht gegeben sei.

    89.   Um die volle Wirksamkeit von Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 zu gewährleisten, sehe Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 98/5 für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, dem unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt zur Auflage zu machen, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen oder einer Berufsgarantiekasse beizutreten.

    2.      Die luxemburgische Regierung

    90.   Der luxemburgische Gesetzgeber habe beabsichtigt, zum Schutz der öffentlichen Ordnung mit dem Gesetz aus 1999 die Tätigkeit des Domizilhalters von Gesellschaften den mit dem lokalen Recht und der lokalen Praxis vertrauten Rechtanwälten vorzubehalten, um so bestimmten, dem luxemburgischen Markt schädlichen Missständen, die mit fiktiven Domizilhaltungen im Zusammenhang stünden, Einhalt zu gebieten.

    91.   Insofern als der Domizilhalter die Aufgabe habe, zu überprüfen, ob die Gesellschaft die rechtlichen Voraussetzungen betreffend den Berufszugang sowie die lokalen Bestimmungen zur Einrichtung von Sozialkonten und zur Einberufung der Generalversammlung erfüllt, erfordere die Ausführung der Tätigkeit der Domizilhaltung eine Berufserfahrung im Bereich des Gesellschaftsrechts und eine gute Kenntnis des Letzteren, was den luxemburgischen Gesetzgeber dazu bewogen habe, die auf der Liste II eingetragenen Rechtanwälte (Rechtsanwaltsanwärter – „avocats stagiaires“) und die „europäischen Rechtsanwälte“ von dieser Tätigkeit auszunehmen.

    92.   So lange die Rechtanwälte ihren Beruf unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung ausübten, seien die in ihrem Herkunftsstaat vollständig zugelassenen Rechtanwälte den Rechtsanwälten des Aufnahmestaats nicht gleichgestellt. Sie hätten jedoch gemäß der Richtlinie 98/5 (siehe vierter Erwägungsgrund) die Möglichkeit, sich nach einem für die Aneignung der Berufserfahrung erforderlichen Zeitraum und unter den von Artikel 10 der Richtlinie 98/5 vorgesehenen Voraussetzungen in den Berufsstand des Aufnahmestaats einzugliedern. Während dieses besagten Zeitraums dürften die „europäischen Rechtsanwälte“ gemäß Artikel 5 Absatz 4 des Gesetzes aus 2002 und, wie dies auch der Fall der Rechtsanwaltanwärter (avocats stagiaires) ist, nur gemeinsam mit einem Anwalt der Kammer (avocat à la Cour), der rechtlich für die gesetzlich und per Verordnung einem solchen Anwalt vorbehaltenen Akten und Verfahren die Verantwortung trägt, handeln.

    B –    Würdigung

    93.   Zunächst ist festzuhalten, dass die luxemburgische Regelung, wonach nur Rechtsanwälte, die auf der Liste I eingetragen sind, Domizilhalter sein können, dadurch andere Rechtsanwälte von dieser Tätigkeit ausschließt. Im Einzelnen sind das die in den Listen II bis IV eingetragenen Rechtsanwälte.

    94.   Diese „ausgeschlossenen“ Anwälte können also nicht die gleichen beruflichen Tätigkeiten wie der unter der jeweiligen Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt ausüben.

    95.   Die verfahrensgegenständliche Regelung erzielt damit eine Wirkung, die das in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 normierte grundsätzliche Recht auf Ausübung der gleichen beruflichen Tätigkeiten der unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftsstaats tätigen Rechtsanwälte negiert.

    96.   Zwar erlaubt Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 den Mitgliedstaaten, bestimmte Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Recht vorzusehen, doch entspricht die verfahrensgegenständliche Regelung keinem der in den Absätzen 2 und 3 diesbezüglich normierten Tatbestände.

    97.   Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass selbst bestimmte luxemburgische Rechtsanwälte, und zwar die in Liste II eingetragenen „avocats stagiaires“, nicht Domizilhalter sein können. Diese Gruppe ist nämlich mit der der „europäischen Rechtsanwälte“ deswegen nicht vergleichbar, weil Letztere Rechtsanwälte sind, die über die volle berufliche Befähigung verfügen. Diese beiden Gruppen sind also zu unterschiedlich, als dass sie diesbezüglich den gleichen rechtlichen Regelungen unterworfen werden dürfen.

    98.   Eine solche unterschiedliche Behandlung kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die mit der Tätigkeit als Domizilhalter verbundenen Aufgaben berufliche Erfahrung sowie eine besondere Vertrautheit mit der Rechtslage, insbesondere des Gesellschaftsrechts, und mit der Praxis vor Ort erfordern. Anwaltliches Tätigwerden verlangt nicht nur aus haftungsrechtlichen Gründen stets ein bestimmtes Maß an Sorgfalt und an Vertrautheit mit der Rechtsmaterie.

    99.   Im Übrigen handelt es sich beim Gesellschaftsrecht um ein Rechtsgebiet, das gemeinschaftsrechtlich vergleichsweise stark harmonisiert ist. So gesehen dürften im Herkunftsstaat eines „europäischen Rechtsanwalts“ über weite Strecken ähnliche Regelungen gelten.

    100. Ob die steitgegenständliche Verpflichtung als Anforderung des „ordre public“ qualifiziert werden könnte, ist schon im Hinblick auf die diesbezüglich strengen Kriterien der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht vertieft zu prüfen(32). Im vorliegenden Verfahren kann nicht einmal festgestellt werden, welches Grundinteresse der Gesellschaft mit der streitgegenständlichen Regelung geschützt werden sollte und warum eine tatsächliche und gegenwärtige Gefährdung eines solchen Interesses bestehen sollte.

    101. Der zweite Klagegrund ist somit ebenfalls begründet.

    VI – Zum dritten Klagegrund: Verpflichtung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen

    A –    Die Vorbringen der Parteien

    1.      Die Kommission

    102. Nach Auffassung der Kommission habe die luxemburgische Regierung in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme erklärt, dass sie das Argument der Kommission, wonach das Erfordernis der jährlichen Wiedervorlage der Bescheinigung über die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie 98/5 einen ungerechtfertigten Verwaltungsaufwand darstelle, zur Kenntnis genommen habe.

    103. Die Kommission weist jedoch darauf hin, dass derzeit dieses Erfordernis, das dem Wortlaut der Richtlinie 98/5 aus den in der mit Gründen versehenen Stellungnahme genannten Gründen zuwiderlaufe, weiter im Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 98/5 in das luxemburgische Recht enthalten sei.

    2.      Die luxemburgische Regierung

    104. Die luxemburgische Regierung verweist zu diesem Punkt auf ihre Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme. Darin nahm sie das Argument der Kommission zur Kenntnis, dass die streitgegenständliche Verpflichtung eine nicht gerechtfertigte administrative Belastung darstelle.

    B –    Würdigung

    105. Hinsichtlich der in Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes aus 2002 normierten Anforderung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen, ist zunächst festzustellen, dass die luxemburgische Regierung diesbezüglich das Vorliegen einer Vertragsverletzung anzuerkennen scheint.

    106. In der Sache ist zu dieser Anforderung des luxemburgischen Rechts auszuführen, dass es sich dabei um eine Verpflichtung handelt, die in der Richtlinie 98/5 nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Die Zulässigkeit einer solchen Anforderung lässt sich auch nicht auf andere Weise aus dieser Richtlinie ableiten. Vielmehr widerspricht eine solche Anforderung der mit dieser Richtlinie verfolgten Zielsetzung und den in ihr verankerten Mechanismen.

    107. So verpflichtet die Richtlinie 98/5 den Herkunftsstaat zur Zusammenarbeit mit dem Aufnahmestaat. Das zeigt insbesondere die in Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie normierte Verpflichtung, die zuständige Stelle des oder der Aufnahmestaaten von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens in Kenntnis zu setzen.

    108. Die im luxemburgischen Recht vorgesehene Verpflichtung stellt insbesondere durch die Jährlichkeit eine verwaltungsmäßige Belastung dar, die im Übrigen auch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

    109. Auch der dritte Klagegrund ist somit begründet.

    VII – Kosten

    110. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterlegene Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Großherzogtum Luxemburg mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    VIII – Ergebnis

    111. Nach all dem wird dem Gerichtshof vorgeschlagen,

    1.         festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, verstoßen hat, dass es für die Niederlassung unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats Sprachtests, ein Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines Domizilhalters (domiciliataire) und die Verpflichtung, jedes Jahr die Bescheinigung des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen, beibehalten hat;

    2.         dem Großherzogtum Luxemburg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


    1 – Originalsprache: Deutsch.


    2 – Rechtssache C‑506/04 (Wilson), meine Schlussanträge in dieser Rechtssache ebenfalls vom heuten Datum (11. Mai 2006).


    3 – ABl. L 77, S. 36.


    4 – Mémorial A, Nr. 16, vom 27. Februar 1984, S. 196.


    5 – Mémorial A, Nr. 140, vom 17. Dezember 2002, S. 3202.


    6 – Gesetz vom 10. August 1991 betreffend den Beruf des Anwaltes (Mémorial A, Nr. 58, vom 27. August 1991, S. 1110) und das Gesetz vom 31. Mai 1999.


    7 – Mémorial A, Nr. 77, vom 21. Juni 1999, S. 1681.


    8 – Urteil vom 7. November 2000 in der Rechtssache C‑168/98 (Luxemburg/Parlament und Rat, Slg. 2000, I‑9131, Randnrn. 33 bis 43).


    9 – Mémorial A, Nr. 53, vom 20. April 2005.


    10 – In diese Richtung auch Jacques Pertek, „La Communauté peut instituer un système de reconnaissance mutuelle des autorisations nationales d’exercice permettant de pratiquer toutes les activités typiques de l’avocat dans un État d’accueil“, La Semaine juridique – édition générale 2001 II 10637, S. 2258, 2260.


    11 – ABl. L 78, S. 17.


    12 – ABl. 1989, L 19, S. 16.


    13 – Urteil in der Rechtssache C‑168/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 43.


    14 – ABl. 1995, C 128, S. 6.


    15 – ABl. 1995, C 256, S. 14.


    16 – Urteil vom 28. November 1989 in der Rechtssache 379/87 (Groener, Slg. 1989, 3967, Randnrn. 17 bis 20).


    17 – Urteil vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C‑424/97 (Haim, Slg. 2000, I‑5123, Randnrn. 52 bis 61).


    18 – Vgl. die Urteile vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C‑281/98 (Angonese, Slg. 2000, I‑4139, Randnrn. 42 bis 44) und vom 2. Juli 1996 in der Rechtssache C‑473/93 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1996, I‑3207, Randnr. 35).


    19 – Verordnung des Rates vom 15. Oktober 1968 (ABl. L 257, S. 2).


    20 – Urteil in der Rechtssache C‑473/93 (zitiert in Fußnote 18), Randnr. 35.


    21 – Vgl. Bryan McMahon, Common Market Law Review 1990, S. 136, 137.


    22 – ABl. L 233, S. 1.


    23 – Schlussanträge von Generalanwalt Mischo vom 19. Mai 1999 in der Rechtssache C‑424/97 (Urteil zitiert in Fußnote 17), Nrn. 89 bis 91.


    24 – Urteil in der Rechtssache C‑168/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnrn. 32 bis 44.


    25 – Urteile in der Rechtssache C‑168/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 32, und vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C‑233/94 (Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I‑2405, Randnr. 17).


    26 – ABl. L 255, S. 22.


    27 – Urteil in der Rechtssache C‑168/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnrn. 20 bis 29.


    28 – Kritisch zur Vorgehensweise des Gerichtshofes, aber im Ergebnis zustimmend Pedro Cabral, Common Market Law Review 2002, S. 140 bis 143.


    29 – Urteil in der Rechtssache C‑168/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnrn. 20 und 21; in diese Richtung auch Georges Friden, Cour de justice des Communautés européennes, Annales du droit luxembourgeois 2000, S. 283, 284.


    30 – Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vom 24. Februar 2000 in der Rechtssache C‑168/98 (Urteil zitiert in Fußnote 8), Nrn. 43 f.


    31 – Mémorial A (zitiert in Fußnote 4), S. 196 f.


    32 – Urteile vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 79/85 (Segers, Slg. 1986, 2375), vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C‑114/97 (Kommission/Spanien, Slg. 1998, I‑6717) und vom 9. März 2000 in der Rechtssache C‑355/98 (Kommission/Belgien, Slg. 2000, I‑1221).

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