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Document 62002CJ0077

    Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 11. September 2003.
    Erika Steinicke gegen Bundesanstalt für Arbeit.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Sigmaringen - Deutschland.
    Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Regelung über Altersteilzeitarbeit - Richtlinie 76/207/EWG - Mittelbare Diskriminierung - Objektive Rechtfertigung.
    Rechtssache C-77/02.

    Sammlung der Rechtsprechung 2003 I-09027

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2003:458

    62002J0077

    Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 11. September 2003. - Erika Steinicke gegen Bundesanstalt für Arbeit. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Sigmaringen - Deutschland. - Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Regelung über Altersteilzeitarbeit - Richtlinie 76/207/EWG - Mittelbare Diskriminierung - Objektive Rechtfertigung. - Rechtssache C-77/02.

    Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-09027


    Leitsätze
    Parteien
    Entscheidungsgründe
    Kostenentscheidung
    Tenor

    Schlüsselwörter


    Sozialpolitik - Männliche und weibliche Arbeitnehmer - Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen - Gleichbehandlung - Möglichkeit für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, bei Erreichen eines bestimmten Alters eine Teilzeitarbeitsregelung in Anspruch zu nehmen - Ausschluss der Beschäftigten, die in den letzten fünf Jahren nicht mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sind, von der Teilzeitarbeit - Fast ausschließlich Frauen betreffender Ausschluss - Mittelbare Diskriminierung - Unzulässigkeit bei Fehlen objektiver Rechtfertigungsgründe

    (Richtlinie 76/207 des Rates, Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1)

    Leitsätze


    $$Die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, entgegenstehen, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind, es sei denn, diese Vorschrift ist durch objektive Kriterien gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

    Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob dies der Fall ist, indem es in Anbetracht aller maßgeblichen Umstände und unter Prüfung der Frage, ob sich die mit der fraglichen Vorschrift verfolgten Ziele durch andere Mittel erreichen lassen, untersucht, ob diese Ziele nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und ob diese Vorschrift ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele ist. Bloße allgemeine Behauptungen, dass die in Rede stehende Regelung zur Förderung von Einstellungen geeignet sei, genügen nicht, um darzutun, dass das Ziel der streitigen Vorschrift nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, und um vernünftigerweise die Annahme zu begründen, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet sind oder sein könnten.

    Außerdem kann eine nationale Vorschrift, die Arbeitnehmer von der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung abzuhalten droht, weil sie dann unter Umständen nicht mehr in den Genuss der Altersteilzeit gelangen können, grundsätzlich nicht als geeignetes oder angemessenes Mittel zur Erreichung der angestrebten Entlastung des Arbeitsmarkts angesehen werden.

    Schließlich können Haushaltserwägungen zwar sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der sozialen Schutzmaßnahmen, die er treffen möchte, beeinflussen; sie stellen als solche aber kein mit dieser Politik verfolgtes Ziel dar und können daher eine Diskriminierung eines der Geschlechter nicht rechtfertigen.

    ( vgl. Randnrn. 58, 64-66, 74 und Tenor )

    Parteien


    In der Rechtssache C-77/02

    betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Verwaltungsgericht Sigmaringen (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

    Erika Steinicke

    gegen

    Bundesanstalt für Arbeit

    vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 141 EG sowie der Richtlinien 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19), 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, berichtigt ABl. 1998, L 128, S. 71)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter R. Schintgen und V. Skouris, der Richterin F. Macken (Berichterstatterin) und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,

    Generalanwalt: A. Tizzano,

    Kanzler: R. Grass,

    unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

    - von Erika Steinicke, vertreten durch Rechtsanwalt T. Lenz,

    - der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Seiça Neves und A. J. Simões als Bevollmächtigte,

    - der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrell und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

    aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. April 2003

    folgendes

    Urteil

    Entscheidungsgründe


    1 Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat mit Beschluss vom 28. Februar 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 141 EG sowie der Richtlinien 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19), 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, berichtigt ABl. 1998, L 128, S. 71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

    2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Steinicke und der Bundesanstalt für Arbeit wegen des Ausschlusses von Frau Steinicke von der Möglichkeit, Altersteilzeit in Anspruch zu nehmen.

    Gemeinschaftsrecht

    3 Artikel 141 EG lautet:

    (1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

    (2) Unter ,Entgelt im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

    ..."

    Richtlinie 75/117

    4 Nach Artikel 1 der Richtlinie 75/117 bedeutet der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen.

    5 Artikel 3 der Richtlinie 75/117 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten alle mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbaren Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen, die sich aus ihren Rechts- oder Verwaltungsvorschriften ergeben, beseitigen.

    Richtlinie 76/207

    6 Die Richtlinie 76/207 hat nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Artikel 1 Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird.

    7 Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 bestimmt:

    Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf."

    8 Artikel 5 der Richtlinie 76/207 lautet:

    (1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts gewährt werden.

    (2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen,

    a) dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden;

    b) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können;

    c) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften, bei denen der Schutzgedanke, aus dem heraus sie ursprünglich entstanden sind, nicht mehr begründet ist, revidiert werden; dass hinsichtlich der Tarifbestimmungen gleicher Art die Sozialpartner zu den wünschenswerten Revisionen aufgefordert werden."

    Richtlinie 97/81

    9 Nach § 1 Buchstabe a des Anhangs der Richtlinie 97/81 soll die Rahmenvereinbarung die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern.

    10 § 4 Absatz 1 des Anhangs der Richtlinie 97/81 sieht vor:

    Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt."

    Nationales Recht

    Bis zum 30. Juni 2000 geltende nationale Vorschriften

    11 § 72b Absatz 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 551) in der am 31. März 1999 veröffentlichten Fassung (BGBl. I S. 675, im Folgenden: streitige Vorschrift) sah vor:

    Beamten mit Dienstbezügen kann auf Antrag, der sich auf die Zeit bis zum Beginn des Ruhestandes erstrecken muss, Teilzeitbeschäftigung mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit bewilligt werden, wenn

    1. der Beamte das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet hat,

    2. er in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war,

    3. die Teilzeitbeschäftigung vor dem 1. August 2004 beginnt und

    4. dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen ..."

    12 Die Altersteilzeit nach dem BBG kann entweder als durchgehende Teilzeitbeschäftigung mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit geleistet werden (Teilzeitmodell") oder aber als Blockmodell", bei dem einer Arbeitsphase" mit voller (oder jedenfalls mehr als halber) Arbeitszeit eine dadurch angesparte Freistellungsphase" folgt.

    13 Nach § 6 Absatz 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) vom 23. Mai 1975 (BGBl. I S. 1173) in der am 3. Dezember 1998 veröffentlichen Fassung (BGBl. I S. 3434) werden bei Teilzeitbeschäftigung die Dienstbezüge im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt.

    14 Für die Altersteilzeitbeschäftigung sah § 2 Absatz 1 der Verordnung über die Gewährung eines Zuschlags bei Altersteilzeit (im Folgenden: ATZV) vom 21. Oktober 1998 (BGBl. I S. 3191) vor, dass der Zuschlag in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den Nettodienstbezügen, die sich aus § 6 Absatz 1 BBesG ergeben, und 83 % der Nettodienstbezüge gewährt wird, die bei Vollzeitbeschäftigung zustehen würden.

    15 § 6 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (BeamtVG) vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 3839) in der am 16. März 1999 veröffentlichten Fassung (BGBl. I S. 322, berichtigt S. 847 und S. 2033) sah vor, dass die Dienstzeit, die der Beamte vom Tage seiner ersten Berufung in das Beamtenverhältnis an im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Beamtenverhältnis zurückgelegt hat, ruhegehaltfähig ist.

    16 Nach § 6 Absatz 1 Satz 3 BeamtVG waren Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nur zu dem Teil ruhegehaltfähig, der dem Verhältnis der ermäßigten zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht; Zeiten einer Altersteilzeit nach der streitigen Vorschrift waren nur zu neun Zehnteln der regelmäßigen Arbeitszeit ruhegehaltfähig.

    Seit dem 1. Juli 2000 geltende nationale Vorschriften

    17 Die streitige Vorschrift wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2000 durch das Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern vom 19. April 2001 (BGBl. I S. 618) geändert.

    18 Die Neufassung der streitigen Vorschrift lautet:

    Beamten mit Dienstbezügen kann auf Antrag, der sich auf die Zeit bis zum Beginn des Ruhestandes erstrecken muss, Teilzeitbeschäftigung als Altersteilzeit mit der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit, höchstens der Hälfte der in den letzten zwei Jahren vor Beginn der Altersteilzeit durchschnittlich zu leistenden Arbeitszeit, bewilligt werden, wenn

    1. sie das 55. Lebensjahr vollendet haben,

    2. sie in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Altersteilzeit drei Jahre mindestens teilzeitbeschäftigt waren,

    3. die Altersteilzeit vor dem 1. Januar 2010 beginnt und

    4. dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen ..."

    19 § 2 ATZV n. F. (veröffentlicht am 23. August 2001, BGBl. I S. 2239) sieht vor, dass der Zuschlag in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der Nettobesoldung, die sich aus dem Umfang der Teilzeitbeschäftigung ergibt, und 83 % der Nettobesoldung gewährt wird, die nach bisheriger Arbeitszeit, die für die Bemessung der ermäßigten Arbeitszeit während der Altersteilzeit zugrunde gelegt worden ist, zustehen würde.

    20 § 6 Absatz 1 Satz 3 BeamtVG n. F. sieht vor, dass Zeiten einer Altersteilzeit nur zu neun Zehnteln der regelmäßigen Arbeitszeit ruhegehaltfähig sind, die der Bemessung der ermäßigten Arbeitszeit während der Altersteilzeit zugrunde gelegt worden ist.

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    21 Frau Steinicke, geboren 1944, ist seit 1962 bei der Bundesanstalt für Arbeit beschäftigt, seit 1973 als Arbeitsvermittlerin im Beamtenstatus. Bis 1976 war sie vollzeitbeschäftigt.

    22 Nach der Geburt ihres Kindes wurde ihre Arbeitszeit antragsgemäß ab 19. November 1976 auf die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit ermäßigt. Im Zeitraum vom 1. Februar 1985 bis zum 13. April 1986 erfolgte eine Ermäßigung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden. Seit dem 14. April 1986 ist Frau Steinicke grundsätzlich halbzeitbeschäftigt.

    23 Lediglich monatsweise wurde ihr bei entsprechendem Arbeitsaufkommen antragsgemäß Vollzeitbeschäftigung gewährt, sofern die haushaltsrechtlichen Vorschriften dies zuließen.

    24 Ihren Antrag vom 1. Dezember 1998 auf dauerhafte Erhöhung der regelmäßigen Arbeitszeit wegen des gestiegenen Arbeitsanfalls und im Hinblick auf die Altersteilzeit lehnte das Arbeitsamt Reutlingen mit Schreiben vom 27. Juli 1999 unter Hinweis auf haushaltsrechtliche Gründe ab. Auch eine vorübergehende Erhöhung der Arbeitszeit auf Vollzeitarbeit sei in Ermangelung einer entsprechenden freien Stelle nicht möglich.

    25 Am 30. Juni 1999 beantragte Frau Steinicke bei der Bundesanstalt für Arbeit die Gewährung von Altersteilzeit gemäß der streitigen Vorschrift für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2007 im Blockmodell, d. h. einer Arbeitsphase mit der bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. September 2003 und einer anschließenden Freistellungsphase vom 1. Oktober 2003 bis zum 30. September 2007. Sie teilte ferner ihre Absicht mit, am 1. Oktober 2007 in den Ruhestand zu treten.

    26 Mit Bescheid des Arbeitsamts Reutlingen vom 12. Juli 1999 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt, Frau Steinicke erfuelle nicht die in der streitigen Vorschrift vorgesehene Voraussetzung, in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Altersteilzeit insgesamt drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen zu sein.

    27 Gegen diesen Bescheid legte Frau Steinicke am 28. Juli 1999 Widerspruch ein.

    28 Das Landesarbeitsamt Baden-Württemberg wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 1999 zurück.

    29 Am 8. September 1999 erhob Frau Steinicke daher Klage beim vorlegenden Gericht.

    30 Nach der während des gerichtlichen Verfahrens erfolgten Änderung der streitigen Vorschrift und der anderen oben erwähnten einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften bewilligte das Arbeitsamt Reutlingen Frau Steinicke mit Bescheid vom 24. August 2001 Altersteilzeit für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 30. September 2007 im Blockmodell.

    31 Ihre bisherige Arbeitszeit wurde für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 30. September 2007 von der Hälfte auf ein Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit ermäßigt. Die Arbeitsphase mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit erstreckt sich vom 1. Juli 2000 bis zum 14. Februar 2004, die Freistellungsphase vom 15. Februar 2004 bis zum 30. September 2007.

    32 Frau Steinicke erhält zusätzlich zu den entsprechend der Ermäßigung der Arbeitszeit geminderten Dienstbezügen einen nichtruhegehaltsfähigen Zuschlag bis zu 83 % der Nettobesoldung, die ihr nach der bisherigen Arbeitszeit von 50 % zustehen würde.

    33 Unter diesen Umständen erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für den Zeitraum ab 1. Juli 2000 für erledigt, und das Verfahren wurde insoweit eingestellt.

    34 Frau Steinicke beantragt jedoch, den Bescheid des Arbeitsamts Reutlingen vom 12. Juli 1999 und den Widerspruchsbescheid des Landesarbeitsamts Baden-Württemberg vom 10. August 1999 aufzuheben und die Bundesanstalt für Arbeit zu verpflichten, ihr in Ergänzung des Bescheides des Arbeitsamts Reutlingen vom 24. August 2001 auch für den Zeitraum vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. Juni 2000 Altersteilzeit im Blockmodell zu bewilligen.

    35 Die Bundesanstalt für Arbeit beantragt, die Klage abzuweisen, da Frau Steinicke im fraglichen Zeitraum nicht die Voraussetzungen der streitigen Vorschrift erfuellt habe. Diese Vorschrift verstoße auch nicht gegen Artikel 141 EG, denn der in dieser Vorschrift vorgesehene Ausschluss der teilzeitbeschäftigten Beamten sei durch den Zweck der Regelung sachlich gerechtfertigt.

    36 Deren Ziel sei es, ein besonderes Personalsteuerungselement zu schaffen, das es ermögliche, dass auch der öffentliche Dienst zur Arbeitsmarktpolitik und insbesondere zur Politik der Entlastung des Arbeitsmarkts beitrage. Die Altersteilzeit solle die Bereitschaft von Vollzeitbeschäftigten fördern, Arbeitszeitverringerungen zu vereinbaren. Außerdem sei der Ausschluss der teilzeitbeschäftigten Beamten auch durch Erwägungen der Kostenneutralität wie auch des Geschäftsverteilungs- und Planungsaufwands gerechtfertigt.

    37 Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Stehen Artikel 141 EG, die Richtlinien 75/117 EWG, 76/207/EWG und/oder die Richtlinie 97/81/EG der Regelung des § 72b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Bundesbeamtengesetzes in der bis zum 30. Juni 2000 gültigen Fassung vom 31. März 1999 entgegen, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind?

    Zur Vorlagefrage

    Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

    38 Nach Ansicht von Frau Steinicke verstößt der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von der Altersteilzeit gegen das Gemeinschaftsrecht.

    39 Das Argument, dass bei Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten in die Altersteilzeit kein entsprechender arbeitsmarktpolitischer Effekt erzielt werden könne wie bei Einbeziehung lediglich von Vollzeitbeschäftigten, könne die streitige Vorschrift nicht rechtfertigen. Da es nach wie vor die Frauen seien, die versuchen müssten, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, bestehe auch ein großer Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen. Zudem trügen gerade die Teilzeitbeschäftigten zu einer Kosteneinsparung und einer Entlastung des Arbeitsmarkts bei.

    40 Ebenso wenig überzeugend sei das Argument, dass ein erheblicher Planungs- und Geschäftsverteilungsaufwand begründet würde. Wenn ein teilzeitbeschäftigter Mitarbeiter Altersteilzeit in Anspruch nehme, entspreche es dem gleichen Aufwand, wenn danach wiederum ein teilzeitbeschäftigter Mitarbeiter gefunden werden müsse. Außerdem wäre der Aufwand der doppelte, wenn ein Vollzeitbeschäftigter in Altersteilzeit wechsele und danach zwei Teilzeitbeschäftigte organisiert werden müssten. Dass die Planungs- und Geschäftsverteilungsprobleme hätten gelöst werden können, zeige sich jedenfalls dadurch, dass nach der Änderung der streitigen Vorschrift ohne weiteres auch Teilzeitbeschäftigten Altersteilzeit gewährt werden könne.

    41 Die portugiesische Regierung vertritt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur mittelbaren Diskriminierung zwischen Männern und Frauen die Auffassung, dass weder die Frage der Kostenneutralität noch die der Beschäftigungspolitik sachliche Gründe darstellten, die ausreichten, um die diskriminierende Behandlung, die hier vorzuliegen scheine, zu rechtfertigen. Unter Hinweis auf das Urteil vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache C-243/95 (Hill und Stapleton, Slg. 1998, I-3739) macht sie geltend, dass die Beseitigung der Diskriminierungen Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen haben müsse, da andernfalls das Ziel der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit für Männer und Frauen nicht erreicht würde.

    42 Die Kommission ist erstens der Ansicht, dass es sich bei einer Regelung wie der streitigen Vorschrift um die Regelung von Arbeitsbedingungen" im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 76/207 und nicht um Entgelt" im Sinne des Artikels 141 EG und des Artikels 1 der Richtlinie 75/117 handele. Die Einführung der Altersteilzeit habe den Zweck, neue Arbeitsplätze zu schaffen und damit den Arbeitsmarkt zu entlasten, indem Beamte bewogen werden sollten, vermehrt Altersteilzeit in Anspruch zu nehmen, um damit Neueinstellungen im öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Die finanziellen Vorteile, die der Gesetzgeber dabei den Beamten, die von dieser Regelung Gebrauch machten, einräume, seien lediglich Anreize für die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung.

    43 Sodann weist die Kommission darauf hin, dass sich die streitige Vorschrift nach den Angaben des vorlegenden Gerichts auf weibliche Arbeitnehmer ungünstiger auswirke als auf männliche, da ein erheblich größerer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beamter einer Teilzeitbeschäftigung nachgehe. Es dürfte daher sehr viel wahrscheinlicher sein, dass weibliche Beamte die in der streitigen Vorschrift statuierte Voraussetzung, innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen zu sein, nicht erfuellen könnten. Damit liege dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor.

    44 Zu der Frage, ob sich eine solche Diskriminierung rechtfertigen lässt, erinnert die Kommission schließlich daran, dass zwar die Mitgliedstaaten die zur Verwirklichung ihrer sozialpolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen auswählen könnten und dass Haushaltserwägungen sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der sozialen Schutzmaßnahmen, die er treffen möchte, beeinflussen könnten. Solche Erwägungen stellten jedoch als solche kein mit dieser Politik verfolgtes Ziel dar und könnten daher eine Diskriminierung eines der Geschlechter nicht rechtfertigen (Urteil vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, Randnr. 35).

    45 Im vorliegenden Fall ist die Kommission der Ansicht, dass die Erwägungen der Kostenneutralität sowie des Geschäftsverteilungs- und Planungsaufwands, auf die die Bundesanstalt für Arbeit sich stütze, rein wirtschaftliche Gründe seien und daher keine hinreichende Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts darstellten (in diesem Sinne auch Urteil Hill und Stapleton, Randnr. 40).

    46 Zudem könnten die von der Bundesanstalt für Arbeit geltend gemachten administrativen und haushaltsrechtlichen Probleme nicht überzeugen. So sei zum einen auch nach der streitigen Vorschrift die Fallkonstellation denkbar, dass Beamte, die in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen und damit anspruchsberechtigt geworden seien, unmittelbar vor dem Wechsel in die Altersteilzeit auf einer Teilzeitstelle tätig gewesen seien, so dass auch in diesen Fällen der von der Bundesanstalt für Arbeit geltend gemachte personalpolitische und haushaltsrechtliche Aufwand unvermeidbar gewesen wäre. Zum anderen zeige die Tatsache, dass die streitige Vorschrift im Jahr 2000 geändert worden sei, um Teilzeitbeschäftigten die Inanspruchnahme der Altersteilzeit zu ermöglichen, dass die befürchteten negativen Folgen nicht so gravierend wie behauptet gewesen sein könnten.

    47 Hinsichtlich der von der Bundesanstalt für Arbeit zur Rechtfertigung der streitigen Vorschrift geltend gemachten Politik der Arbeitsmarktentlastung führt die Kommission aus, dass ein Mitgliedstaat hinreichend dartun müsse, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich seien. Die streitige Vorschrift sei insoweit widersprüchlich, da sie unter Umständen gerade die Arbeitnehmer, die zur Entlastung des Arbeitsmarkts beitragen würden, von der Aufnahme einer normalen Teilzeitbeschäftigung abhalte, weil sie dann unter Umständen nicht mehr in den Genuss der Altersteilzeit gelangen könnten.

    Antwort des Gerichtshofes

    48 Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort geben zu können, ist zunächst zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung über Altersteilzeitarbeit unter die Richtlinie 76/207 oder vielmehr unter Artikel 141 EG und die Richtlinie 75/117 fällt.

    49 Hierzu ist festzustellen, dass durch die Regelung über Altersteilzeitarbeit eine Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit erreicht werden soll, und zwar entweder durch eine gleichförmige Verkürzung der Arbeitszeit während des gesamten fraglichen Zeitraums (Teilzeitmodell) oder durch vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben (Blockmodell). In beiden Fällen greift die Regelung in die Ausübung der Erwerbstätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ein, indem deren Arbeitszeit umgestaltet wird (siehe in diesem Sinne Urteil vom 20. März 2003 in der Rechtssache C-187/00, Kutz-Bauer, Slg. 2003, I-0000 Randnr. 44).

    50 Somit ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung Vorschriften über Arbeitsbedingungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 aufstellt.

    51 Der Umstand, dass der Zugang zu dieser Regelung für den betroffenen Arbeitnehmer finanzielle Auswirkungen haben kann, führt nicht dazu, dass diese Regelung in den Anwendungsbereich des Artikels 141 EG oder der Richtlinie 75/117 fällt, da diese Vorschriften auf dem engen Zusammenhang zwischen der Art der Arbeitsleistung und der Höhe des Entgelts des Arbeitnehmers beruhen (in diesem Sinne Urteile vom 30. März 2000 in der Rechtssache C-236/98, JämO, Slg. 2000, I-2189, Randnr. 59, und vom 19. März 2002 in der Rechtssache C-476/99, Lommers, Slg. 2002, I-2891, Randnr. 28).

    52 Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung Vorschriften über Arbeitsbedingungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 aufstellt, kann hier dahinstehen, ob die Richtlinie 97/81 im Ausgangsverfahren anwendbar ist.

    53 Unter diesen Umständen ist die Vorlagefrage so zu verstehen, dass damit danach gefragt wird, ob die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass sie einer Vorschrift wie der streitigen, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, entgegenstehen, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind.

    54 Aus der Akte ergibt sich, dass der Zugang zu der in der streitigen Vorschrift vorgesehenen Altersteilzeit nur denjenigen gewährt wird, die in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Altersteilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sind.

    55 Im Vorlagebeschluss wird darauf hingewiesen, dass es unstreitig sei, dass in Deutschland mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt seien und dass ungefähr 90 % der Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst Frauen seien.

    56 Folglich besteht der Kreis derjenigen, die während des in der streitigen Vorschrift genannten Zeitraums hauptsächlich teilzeitbeschäftigt gewesen und damit von der darin vorgesehenen Regelung ausgeschlossen sind, überwiegend aus Frauen.

    57 Daher ist festzustellen, dass eine Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende tatsächlich zu einer Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den männlichen Arbeitnehmern führt und grundsätzlich im Widerspruch zu den Artikeln 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 steht. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen von Arbeitnehmern durch objektive Faktoren gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989, 2743, Randnr. 12, vom 6. Februar 1996 in der Rechtssache C-457/93, Lewark, Slg. 1996, I-243, Randnr. 31, Hill und Stapleton, Randnr. 34, vom 6. April 2000 in der Rechtssache C-226/98, Jørgensen, Slg. 2000, I-2447, Randnr. 29, und Kutz-Bauer, Randnr. 50).

    58 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, ob dies der Fall ist. Hierzu ist in Anbetracht aller maßgeblichen Umstände und unter Prüfung der Frage, ob sich die mit den fraglichen Vorschriften verfolgten Ziele durch andere Mittel erreichen lassen, zu untersuchen, ob diese Ziele nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und ob diese Vorschriften ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele sind (in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 1999 in der Rechtssache C-167/97, Seymour-Smith und Perez, Slg. 1999, I-623, Randnr. 72, und Urteil Kutz-Bauer, Randnr. 51).

    59 Zwar ist es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob solche objektiven Faktoren in dem ihm unterbreiteten konkreten Fall vorliegen. Da der Gerichtshof jedoch die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, kann er auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen (Urteile Hill und Stapleton, Randnr. 36, Seymour-Smith und Perez, Randnr. 68, und Kutz-Bauer, Randnr. 52).

    60 Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, macht die Bundesanstalt für Arbeit geltend, Erwägungen der Beschäftigungspolitik, der Kostenneutralität und des Geschäftsverteilungs- und Planungsaufwands im öffentlichen Dienst seien als objektive Erwägungen zu qualifizieren, die die Ungleichbehandlung, zu der die streitige Vorschrift führe, rechtfertigten.

    61 Zu dem Argument, das die Bundesanstalt für Arbeit auf die Beschäftigungspolitik und insbesondere auf die Förderung von Einstellungen stützt, ist daran zu erinnern, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, die zur Verwirklichung ihrer beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen zu wählen. Der Gerichtshof hat anerkannt, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen (Urteil Seymour-Smith und Perez, Randnr. 74).

    62 Überdies ist, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozialpolitik (Urteile Seymour-Smith und Perez, Randnr. 71, und Kutz-Bauer, Randnr. 56).

    63 Jedoch darf der Beurteilungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik verfügen, nicht dazu führen, dass ein tragender Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wie der der Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern ausgehöhlt wird (Urteile Seymour-Smith und Perez, Randnr. 75, und Kutz-Bauer, Randnr. 57).

    64 Bloße allgemeine Behauptungen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung zur Förderung von Einstellungen geeignet sei, genügen nicht, um darzutun, dass das Ziel der streitigen Vorschrift nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, und um vernünftigerweise die Annahme zu begründen, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Zieles geeignet sind oder sein könnten (Urteil Kutz-Bauer, Randnr. 58).

    65 Außerdem schließt die streitige Vorschrift, wie die Kommission und das vorlegende Gericht ausgeführt haben, von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Altersteilzeit die Personengruppe - nämlich die teilzeitbeschäftigten Beamten - aus, die bereits einen bedeutenden Beitrag zur angestrebten Entlastung des Arbeitsmarkts leisten. Folglich kann eine nationale Vorschrift, die Arbeitnehmer von der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung abzuhalten droht, weil sie dann unter Umständen nicht mehr in den Genuss der Altersteilzeit gelangen können, grundsätzlich nicht als geeignetes oder angemessenes Mittel zur Erreichung der angestrebten Entlastung des Arbeitsmarkts angesehen werden.

    66 Zu den Erwägungen, die die Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich der Kostenneutralität sowie des Geschäftsverteilungs- und Planungsaufwands im deutschen öffentlichen Dienst anstellt, ist daran zu erinnern, dass Haushaltserwägungen zwar sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der sozialen Schutzmaßnahmen, die er treffen möchte, beeinflussen können; sie stellen als solche aber kein mit dieser Politik verfolgtes Ziel dar und können daher eine Diskriminierung eines der Geschlechter nicht rechtfertigen (Urteile Roks u. a., Randnr. 35, und Kutz-Bauer, Randnr. 59).

    67 Würde man im Übrigen anerkennen, dass Haushaltserwägungen eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen rechtfertigen können, die andernfalls eine verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wäre, so hätte dies zur Folge, dass die Anwendung und die Tragweite einer so grundlegenden Regel des Gemeinschaftsrechts wie der Gleichheit von Männern und Frauen zeitlich und räumlich je nach dem Zustand der Staatsfinanzen der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein könnten (Urteile Roks u. a., Randnr. 36, und Kutz-Bauer, Randnr. 60).

    68 Auch ist daran zu erinnern, dass die Bundesanstalt für Arbeit weder als Hoheitsträger noch als Arbeitgeber eine aus der Regelung über Altersteilzeitarbeit folgende Diskriminierung allein damit rechtfertigen kann, dass die Beseitigung einer solchen Diskriminierung mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre (Urteil Kutz-Bauer, Randnr. 61).

    69 Jedenfalls scheint, wie Frau Steinicke und die Kommission vorgetragen haben, die Tatsache, dass nach der Änderung der streitigen Vorschrift im Jahr 2000 auch Teilzeitbeschäftigte die Regelung über Altersteilzeitarbeit in Anspruch nehmen können, zu belegen, dass die von der Bundesanstalt für Arbeit behaupteten negativen finanziellen Auswirkungen der Zulassung solcher Arbeitnehmer zu dieser Regelung nicht so schwer wie von ihr geltend gemacht sein würden.

    70 Die Bundesanstalt für Arbeit hat daher vor dem nationalen Gericht zu zeigen, dass die sich aus der Regelung über Altersteilzeitarbeit ergebende Ungleichbehandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Wenn dieser Nachweis erbracht ist, kann der bloße Umstand, dass die Bestimmungen dieser Regelung den Zugang zu ihr auf Arbeitnehmer beschränken, die in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sind, nicht als Verstoß gegen die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 angesehen werden.

    71 Dem Vorlagebeschluss ist ferner zu entnehmen, dass sich das vorlegende Gericht außerdem die Frage stellt, ob Frau Steinicke für den streitigen Zeitraum Anspruch auf die in der bis zum 30. Juni 2000 geltenden Regelung oder auf die in der seit dem 1. Juli 2000 geltenden Regelung vorgesehenen Vergünstigungen hat, falls es der Ansicht sein sollte, dass die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 der streitigen Vorschrift entgegenstuenden, da sie nicht durch objektive Kriterien, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten, gerechtfertigt sei.

    72 Insoweit ist daran zu erinnern, dass im Falle eines Verstoßes gegen die Richtlinie 76/207 durch Rechtsvorschriften, die eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, die nationalen Gerichte gehalten sind, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie diese Vorschriften zugunsten der benachteiligten Gruppe anwenden, ohne die Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise zu beantragen oder abzuwarten (Urteil Kutz-Bauer, Randnr. 75).

    73 Es ist jedoch nicht Sache des Gerichtshofes, sondern des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung des ihm bekannten Sachverhalts zu beurteilen, welche nationalen Vorschriften im konkreten Fall anzuwenden sind, um die Beachtung des in der Richtlinie 76/207 aufgestellten Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu gewährleisten.

    74 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass sie einer Vorschrift wie der streitigen, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, entgegenstehen, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind, es sei denn, diese Vorschrift ist durch objektive Kriterien gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

    Kostenentscheidung


    Kosten

    75 Die Auslagen der portugiesischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

    Tenor


    Aus diesen Gründen

    hat

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    auf die ihm vom Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Beschluss vom 28. Februar 2002 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

    Die Artikel 2 Absatz 1 und 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer Vorschrift wie § 72b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Bundesbeamtengesetzes in der bis zum 30. Juni 2000 gültigen Fassung vom 31. März 1999, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, entgegenstehen, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind, es sei denn, diese Vorschrift ist durch objektive Kriterien gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

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