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Document 62002CC0230

Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 16. Oktober 2003.
Grossmann Air Service, Bedarfsluftfahrtunternehmen GmbH & Co. KG gegen Republik Österreich.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesvergabeamt - Österreich.
Öffentliche Aufträge - Richtlinie 89/665/EWG - Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge - Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 2 Absatz 1 Buchstabeb - Personen, denen die Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehen müssen - Begriff 'Interesse an einem öffentlichen Auftrag'.
Rechtssache C-230/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2004 I-01829

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2003:559

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 16. Oktober 2003(1)



Rechtssache C-230/02



Grossmann Air Service, Bedarfsluftfahrtunternehmen GmbH & Co. KG
gegen
Republik Österreich


(Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Bundesvergabeamts)

„Auslegung von Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) – Personen, denen Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehen – Personen, die ein Interesse an einem öffentlichen Auftrag haben oder hatten – Person, die nicht den gesamten Auftrag ausführen kann – Person, die in einem früheren Verfahrensstadium ein statthaftes Rechtsmittel nicht eingelegt hat“






I – Einleitung

1.        In dieser Rechtssache hat das österreichische Bundesvergabeamt Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (2) in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665) vorgelegt.

2.        Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Antragstellerin Grossmann Air Service und der Republik Österreich.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Das Gemeinschaftsrecht

3.        Artikel 1 Absätze 1 und 3 der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„(1)
Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG und 92/50/EWG fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

...

(3)
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jedem zur Verfügung steht, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Die Mitgliedstaaten können insbesondere verlangen, dass derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muss.“

4.        Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665 lautet:

„(1)
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden,

...

b)
damit die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

...“

B – Das nationale Recht

5.        Die Richtlinie 89/665 wurde durch das Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz) 1997 (BGBl. I 1997/56, im Folgenden: BVergG) in österreichisches Recht umgesetzt. Das BVergG sieht die Schaffung einer Bundes-Vergabekontrollkommission (im Folgenden: B-VKK) und eines Bundesvergabeamts vor.

6.        Nach § 109 BVergG ist die B-VKK zuständig, bis zur Zuschlagserteilung Meinungsverschiedenheiten zu schlichten, die sich zwischen der vergebenden Stelle und einem oder mehreren Bewerbern oder Bietern bei der Vollziehung dieses Bundesgesetzes oder der hierzu ergangenen Verordnungen ergeben (Absatz 1). Ein auf eine Schlichtung durch die B-VKK gerichtetes Ersuchen ist möglichst rasch nach Kenntnis der Meinungsverschiedenheit bei der Geschäftsführung dieser Instanz einzubringen (Absatz 6). Ferner darf die vergebende Stelle innerhalb von vier Wochen, nachdem sie über das Schlichtungsersuchen verständigt worden ist, bei sonstiger Nichtigkeit den Zuschlag nicht erteilen (Absatz 8).

7.        Nach § 113 BVergG ist das Bundesvergabeamt auf Antrag zur Durchführung des Nachprüfungsverfahrens zuständig (Absatz 1). Bis zur Zuschlagserteilung ist das Bundesvergabeamt zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hierzu ergangenen Verordnungen zuständig, einstweilige Verfügungen zu erlassen und rechtswidrige Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers für nichtig zu erklären (Absatz 2). Nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluss des Vergabeverfahrens ist das Bundesvergabeamt zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hierzu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde (Absatz 3).

8.       § 115 Absatz 1 BVergG bestimmt, dass ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages hat, die Nachprüfung einer Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen kann, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

III – Tatsächlicher und prozessualer Rahmen

9.        Am 27. Januar 1998 veröffentlichte das Bundesministerium für Finanzen eine Ausschreibung für Bedarfsflüge für die österreichische Bundesregierung und deren Delegationen mit Jets und Flugzeugen. Die Antragstellerin gab aufgrund dessen ein Angebot ab.

10.      Das Vergabeverfahren wurde am 3. April 1998 widerrufen. Am 28. Juli 1998 wurde eine neue Ausschreibung für diese Beförderungsdienstleistungen veröffentlicht. Die Antragstellerin forderte zwar die Ausschreibungsunterlagen an, sah jedoch von der Einreichung eines neuen Angebots ab.

11.      Mit Schreiben vom 8. Oktober 1998 teilte die österreichische Regierung der Antragstellerin ihre Absicht mit, den Auftrag an die Lauda Air Luftfahrt AG (im Folgenden: Lauda Air) zu vergeben. Die Antragstellerin erhielt dieses Schreiben am 9. Oktober 1998. Am 29. Oktober 1998 wurde der Vertrag mit der Lauda Air geschlossen.

12.      Mit Antragsschrift vom 19. Oktober 1998, die am 23. Oktober 1998 zur Post gegeben wurde und am 27. Oktober 1998 beim Bundesvergabeamt einging, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Nachprüfung der Entscheidung des Auftraggebers, die Flugleistungen an die Lauda Air zu vergeben, und beantragte deren Nichtigerklärung. Sie führte aus, dass die Vergabe von Anfang an so auf einen einzigen Anbieter, nämlich auf die Lauda Air, zugeschnitten gewesen sei, dass andere Bieter von vornherein keine Chance auf den Zuschlag haben sollten.

13.      Mit Bescheid vom 4. Januar 1999 wies das Bundesvergabeamt diesen Antrag nach § 115 Absatz 1 und § 113 Absätze 2 und 3 BVergG zurück.

14.      Das Bundesvergabeamt nahm an, dass die Antragstellerin ihr Interesse an dem gesamten Auftrag unzureichend dargelegt habe. Sie verfüge nicht über die verlangten größeren Flugzeugtypen, so dass sie nicht in der Lage sei, alle geforderten Leistungen zu erbringen. Außerdem habe sie bei der zweiten Ausschreibung kein Angebot abgegeben. Im Übrigen sei das Bundesvergabeamt nach dem Zuschlag nicht mehr befugt, die Vergabe für nichtig zu erklären.

15.      Die Antragstellerin erhob daher Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2001 (B 405/99-9) hob der Verfassungsgerichtshof den Bescheid des Bundesvergabeamts wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf. Der Verfassungsgerichtshof führte aus, dass allein die Tatsache, dass die behauptete Rechtswidrigkeit der Ausschreibung nicht in einem früheren Stadium des Vergabeverfahrens durch die Antragstellerin geltend gemacht worden sei, nicht notwendigerweise ausreichend sei, um ein mangelndes rechtliches Interesse am Nachprüfungsverfahren feststellen zu können.

16.      Daher hat das Bundesvergabeamt folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Vorlagefragen

1.
Ist Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Weise auszulegen, dass jedem Unternehmer das Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehen muss, der in einem Vergabeverfahren ein Angebot gelegt oder sich um die Teilnahme am Vergabeverfahren beworben hat?

Für den Fall der Verneinung dieser Frage:

2.
Ist die oben zitierte Richtlinienbestimmung so zu verstehen, dass ein Unternehmer nur dann ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte, wenn er zusätzlich zu seiner Teilnahme am Vergabeverfahren alle ihm gemäß den nationalen Vorschriften zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreift, um die Zuschlagserteilung auf das Angebot eines anderen Bieters zu verhindern?

3.
Ist Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie in der Weise auszulegen, dass einem Unternehmer auch dann die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden muss, eine von ihm als rechtswidrig bzw. diskriminierend erachtete Ausschreibung überprüfen zu lassen, wenn er zur Erbringung der ausgeschriebenen Gesamtleistung nicht fähig ist und daher in diesem Vergabeverfahren kein Angebot gelegt hat?

Erläuterung der Vorlagefragen

17.      Das vorlegende Gericht hat zu den ersten beiden Fragen festgestellt, dass die Antragstellerin eine Frist von vierzehn Tagen zwischen der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung (9. Oktober 1998) und der Einreichung ihres Antrags beim Bundesvergabeamt (23. Oktober 1998) habe verstreichen lassen, ohne dass sie sich wegen einer Schlichtung an die B-VKK gewandt habe, um auf diese Weise die vierwöchige Frist des § 109 Absatz 8 BVergG in Gang zu setzen, oder sich für den Fall, dass diese Schlichtung keinen Erfolg habe, wegen einstweiliger Verfügungen und der Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung an das Bundesvergabeamt zu wenden. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, es sei daher erheblich, zu wissen, ob die Voraussetzungen für einen Nachprüfungsantrag nach § 115 Absatz 1 BVergG in Verbindung mit § 109 Absatz 1 Satz 1, Absätze 6 und 8 BVergG im Licht des Artikels 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 ausgelegt so zu verstehen seien, dass jeder Bieter, der einen bestimmten zur Vergabe stehenden öffentlichen Auftrag erhalten wolle, schon allein damit ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des Bundesvergabegesetzes unterliegenden Vertrages nachweise, oder ob die Tatsache, dass nicht alle im nationalen Recht zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausgeschöpft seien, einen Verlust dieses Interesses bedeute.

18.      Zur dritten Frage führt das Bundesvergabeamt aus, dass nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs aufgrund seines Erkenntnisses vom 10. Dezember 2001 diskriminierende Spezifikationen nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665 im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens gestrichen werden können müssten. Eine Auslegung, wonach die Antragslegitimation für das Nachprüfungsverfahren zur Anfechtung diskriminierender Ausschreibungsbedingungen von der Frage abhänge, ob der Antragsteller diese Spezifikationen erfüllen könne, könne dem (gemeinschaftsrechtlichen) Ziel der Gewährleistung eines umfassenden und zweckgerichteten Schutzes bei Ausschreibungen zuwiderlaufen. Daher könne ein Luftfahrtunternehmen, das glaubwürdig behaupte, es sei am Zustandekommen eines Vertrages über Flugleistungen interessiert und erachte sich durch die Form der Ausschreibung dieser Flugleistungen – als Gesamtauftrag – diskriminiert, ein rechtliches Interesse im Sinne von § 115 Absatz 1 BVergG und mithin das Recht auf Überprüfung behauptetermaßen rechtswidriger Ausschreibungsbedingungen haben, da es anders die seiner Meinung nach rechtswidrige Ausschreibung und den ihm dadurch möglicherweise entstandenen Schaden nicht nachweisen könne.

19.      Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob ein Unternehmer auch dann im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 für das Nachprüfungsverfahren antragslegitimiert sein könne, wenn er wegen Ausschreibungsbedingungen, die seiner Ansicht nach diskriminierend im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b dieser Richtlinie seien, die Nachprüfungsinstanz anrufe und geltend mache, dass ihm dadurch ein Schaden entstehen könne oder zu entstehen drohe, obwohl er nicht in der Lage sei, die in dieser Ausschreibung definierte Dienstleistung zu erbringen und daher in diesem Ausschreibungsverfahren kein Angebot abgegeben habe.

Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Der Vorlagebeschluss ist am 20. Juni 2002 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen. Die Antragstellerin, die österreichische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung am 10. September 2003 haben sie ihren Standpunkt näher erläutert.

IV – Würdigung

21.      Unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes bedürfen die ersten beiden Fragen keiner ausführlichen Behandlung. Diese Fragen gehen eigentlich dahin, ob ein Unternehmer ein Interesse an der Auftragserteilung im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 hat oder hatte und daher von dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Nachprüfungsverfahren Gebrauch machen darf, um die Rechtswidrigkeit einer Zuschlagsentscheidung feststellen lassen zu können, auch wenn er nicht alle Rechtsmittel, die nach dem nationalen Recht zur Verfügung stehen, ausgeschöpft hat, um zu vermeiden, dass der Auftrag an einen Dritten vergeben wird.

22.      Diese Fragen stellten sich vor kurzem u. a. im Urteil Hackermüller (4) und im Besonderen im Urteil Fritsch u. a. (5)

23.      In beiden Rechtssachen wurde die Frage aufgeworfen, ob jeder Unternehmer, der für den Zuschlag eines öffentlichen Auftrags in Betracht kommen möchte, nach Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 ein Nachprüfungsverfahren einleiten kann. Aus dem Urteil Hackermüller ergibt sich, dass dies nicht der Fall ist und dass der Mitgliedstaat als weitere Voraussetzung festlegen kann, dass der betreffenden Person durch den behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

24.      Die zweite Frage wurde im Urteil Fritsch u. a. ausdrücklich beantwortet. In dieser Sache stellte sich ebenfalls die Frage, ob der nationale Gesetzgeber das Interesse eines Bieters an einem bestimmten öffentlichen Auftrag und somit dessen Recht, das in der Richtlinie vorgesehene Nachprüfungsverfahren einzuleiten, von der Voraussetzung abhängig machen darf, dass dieser Bieter sich zuvor an eine Schlichtungskommission wie die B‑VKK gewandt hat. Der Gerichtshof verneinte dies. Eine derartige Voraussetzung würde den Zielsetzungen der Schnelligkeit und Wirksamkeit der Richtlinie zuwiderlaufen. Zwar wurde anerkannt, dass Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Festlegung der Bedingungen gestatte, nach denen die in der Richtlinie vorgesehenen Nachprüfungsverfahren jedem zur Verfügung stehen, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, doch erlaubte dies den Mitgliedstaaten nicht, den Begriff „Interesse an einem öffentlichen Auftrag“ in einer Weise auszulegen, die die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen kann. Hierum handelt es sich, wenn ein Unternehmer so angesehen wird, als habe er sein Interesse verloren, weil er nicht erst eine Schlichtungskommission wie die B‑VKK angerufen hat.

25.      In den oben genannten Rechtssachen hatten die Bieter an den jeweiligen Ausschreibungsverfahren teilgenommen. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass dies im vorliegenden Fall nicht so ist. Ebenso wie die Kommission bin ich jedoch der Auffassung, dass eine Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren grundsätzlich Voraussetzung dafür ist, geltend machen zu können, dass ein Interesse an der Auftragserteilung besteht und die angeblich unrechtmäßige Vergabe eine mögliche Benachteiligung zur Folge hat. Wer an dem Ausschreibungsverfahren nicht teilgenommen hat, kann schwerlich behaupten, dass er ein Interesse daran habe, die angeblich rechtswidrige Zuschlagsentscheidung anzufechten.

26.      Die dritte Frage zielt indessen auf die etwas andere Situation, dass es für potenzielle Bieter einer Ausschreibung nicht sinnvoll ist, ein Angebot abzugeben, weil die zu erbringenden Leistungen so spezifiziert sind, dass sie sie von vornherein nicht erfüllen können. Es stellt sich dann die Frage, ob in einer solchen Situation die Möglichkeit aufrechtzuerhalten ist, gegen diskriminierende Spezifikationen unmittelbar eine Nachprüfung einzuleiten.

27.      Meiner Meinung nach ist die Frage zu bejahen. In seiner neueren Rechtsprechung hat der Gerichtshof den Begriff „Entscheidungen der Vergabebehörden“ in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 weit ausgelegt (6) . Aus dem Wortlaut von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der genannten Richtlinie ergibt sich weiter, dass für Nachprüfungsverfahren richterliche Befugnisse vorzusehen sind, damit u. a. „die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen ... vorgenommen ... werden kann“. Ich halte es daher für unbestreitbar, dass sich die in der Richtlinie 89/665 vorgesehenen Nachprüfungsmöglichkeiten auch auf Entscheidungen erstrecken, mit denen die in einem Ausschreibungsverfahren verlangten Dienstleistungen definiert werden.

28.      Eine solche Nachprüfungsmöglichkeit hätte jedoch wenig praktische Bedeutung, wenn sie nicht auch Unternehmen offen stünde, die durch die jeweiligen diskriminierenden Spezifikationen von vornherein von der Teilnahme an den Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen wurden. Außerdem wäre es in einer solchen Situation von einem Interessenten zu viel verlangt, ein Angebot mit allen damit verbundenen Aufwendungen nur zu dem Zweck abzugeben, sich das Recht auf Nachprüfung gegenüber den diskriminierenden Ausschreibungsbedingungen zu erhalten. Daher müssen grundsätzlich auch solche Unternehmen als an der Ausschreibung interessiert und damit als berechtigt angesehen werden, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten.

29.      In dem dieser Rechtssache zugrunde liegenden Ausgangsrechtsstreit spielen die Spezifikationen der ausgeschriebenen Dienstleistungen eine Rolle. Dadurch, dass die verschiedenen Elemente der verlangten Beförderungsdienstleistungen per Flugzeug zu einem Paket zusammengeschnürt waren, wurde der Kreis der Bieter, die das gesamte Paket erbringen konnten, erheblich verkleinert, weil potenzielle Bieter für einen oder mehrere Bestandteile aus diesem Paket von vornherein ausgeschlossen wurden. Aus dem in der vorangehenden Nummer Festgestellten folgt, dass auch sie als an der Ausschreibung Interessierte und daher als für das Nachprüfungsverfahren antragslegitimiert anzusehen sind. Voraussetzung ist jedoch, dass sie ohne diese angeblich diskriminierenden Spezifikationen in der Lage gewesen wären, an der Ausschreibung teilzunehmen.

30.      Schließlich weise ich noch darauf hin, dass es im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich ist, dass von dieser Nachprüfungsmöglichkeit im frühestmöglichen Stadium Gebrauch gemacht wird. Die Einleitung einer solchen Nachprüfung nach der Vergabe des Auftrags wird als verspätet angesehen werden können. Es ist freilich Sache des nationalen Gerichts, dies festzustellen.

V – Ergebnis

31.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge geänderten Fassung ist so auszulegen, dass das in der Richtlinie vorgesehene Nachprüfungsverfahren jedem offen steht, der ein Angebot abgegeben oder an dem Ausschreibungsverfahren teilgenommen hat.

Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 erlaubt es nicht, dass ein Unternehmer, der an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilgenommen hat, so angesehen wird, als habe er sein Interesse an diesem Auftrag verloren, weil er sich nicht, bevor er ein Nachprüfungsverfahren im Sinne der Richtlinie einleitet, an eine Schlichtungskommission wie die nach dem Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz) 1997 errichtete B‑VKK gewandt hat.

Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665 ist so auszulegen, dass ein an der Auftragserteilung interessierter Unternehmer die rechtliche Möglichkeit haben muss, sofort die Nachprüfung von seiner Ansicht nach angeblich rechtswidrigen bzw. diskriminierenden Spezifikationen in den Ausschreibungsbedingungen einzuleiten. Diese Möglichkeit muss auch denjenigen offen stehen, die glaubhaft machen können, dass sie ein Angebot auf die Ausschreibung abgegeben hätten, wenn die genannte diskriminierende Spezifikation gefehlt hätte.


1
Originalsprache: Niederländisch.


2
  ABl. L 395, S. 33.


3
  ABl. L 209, S. 1.


4
  Urteil vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-249/01 (Hackermüller, Slg. 2003, I‑0000).


5
  Urteil vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-410/01 (Fritsch u. a., Slg. 2003, I‑0000).


6
  Urteil vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C-92/00 (HI, Slg. I-2002, I-5553).

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