Conclusions
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER
vom 7. November 2002(1)
Rechtssache C-182/01
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH
gegen
Werner Jäger
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf)
„Pflanzenzüchtungen – Schutzregelung – Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94, Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 – Organisation von Sortenschutzinhabern – Definition – Verpflichtung der Organisation, nur im Namen ihrer Mitglieder tätig zu werden – Ermächtigung der Landwirte, zu Vermehrungszwecken auf ihren Feldern das beim Anbau einer geschützten Sorte gewonnene Ernteerzeugnis
zu verwenden – Umfang der Verpflichtung, dem Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes Auskunft zu erteilen“
1.
Um die beiden Fragen zu beantworten, die das Oberlandesgericht Düsseldorf gemäß Artikel 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt
hat, ist zum einen die Verordnung (EG) Nr. 2100/94
(2)
über den gemeinschaftlichen Sortenschutz und insbesondere Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich, der diejenigen, die
von der Ausnahmeregelung für die Landwirtschaft Gebrauch machen, zur Erteilung bestimmter Auskünfte verpflichtet, in Verbindung
mit Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95
(3)
, mit der Durchführungsbestimmungen zur Ausnahmeregelung erlassen werden, auszulegen. Zum anderen ist Artikel 3 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 1768/95 zu prüfen, der die Möglichkeit erwähnt, dass eine Organisation von Sortenschutzinhabern die Rechte
ihrer Mitglieder geltend macht.
I – Der Sachverhalt
2.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist die nach deutschem Recht errichtete Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden:
Klägerin), deren Gesellschaftszweck in der Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen von natürlichen und juristischen Personen
besteht, die unmittelbar oder mittelbar Saatgut erzeugen oder vertreiben oder an diesen Tätigkeiten beteiligt sind.
Ihre Tätigkeiten umfassen die Überwachung der Rechte von Sortenschutzinhabern im nationalen und im internationalen Bereich,
insbesondere die Durchführung von Prüfungen im Hinblick auf die Rechte der Gesellschafter oder Dritter bei Saatgutvermehrungs-
und -vertriebsgesellschaften, die Einziehung von Lizenzgebühren für Sortenschutzrechte und die Durchführung von allgemeinen
Maßnahmen, die der Förderung der Erzeugung, der Sicherung des Vertriebs und der Versorgung der Verbraucher mit einwandfreiem
und hochwertigem Saatgut dienen. Sie befasst sich indessen nicht mit dem An- und Verkauf von Saatgut.
3.
Wie das Oberlandesgericht Düsseldorf im Vorlagebeschluss angibt, zählen zu ihren Gesellschaftern Inhaber und ausschließliche
Lizenznehmer von Sortenschutzrechten nach dem deutschen Sortenschutzgesetz, nach der Verordnung Nr. 2100/94 oder nach beiden
Regelungen. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e. V., eine zivilrechtliche Vereinigung, der u. a. zahlreiche Inhaber
und ausschließliche Lizenznehmer von Sortenschutzrechten angehören, soll ebenfalls Gesellschafter der Saatgut-Treuhandverwaltungs
GmbH sein
(4)
.
4.
Die Klägerin macht im eigenen Namen auf der Grundlage schriftlicher Bevollmächtigungen Rechte aus der Anwendung des Landwirteprivilegs
in Verbindung mit über 500 geschützten Sorten, die mehr als 60 Inhabern oder Lizenznehmern von Sortenschutzrechten gehören,
vor den deutschen Gerichten gegenüber Hunderten von Landwirten, darunter Herrn Jäger, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens
(im Folgenden: Beklagter), geltend.
Eine erste Gruppe von Personen, deren Rechte sie geltend macht, besteht aus ihren Gesellschaftern, eine zweite aus den Mitgliedern
einer Vereinigung, die Gesellschafter der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH ist, und eine dritte aus Personen, die sie lediglich
gegen Entgelt ermächtigen, im eigenen Namen ihre Sortenschutzrechte gegenüber den Landwirten geltend zu machen, die Ernteerzeugnisse
einer geschützten Sorte auf ihren Flächen nachbauen.
5.
Mit der Klage erstrebt die Klägerin Aufklärung darüber, in welchem Umfang der Beklagte im Wirtschaftsjahr 1997/98 auf seinen
Flächen den Nachbau von mehr als 500 Pflanzensorten, darunter Kartoffeln, Winterweizen, Sommerweizen, Wintergerste, Sommergerste,
Hafer, Winterroggen, Futtererbse, Ackerbohne, Triticale, Gelbe Lupine, betrieben hat, von denen ein Drittel durch die Verordnung
Nr. 2100/94, die anderen zwei Drittel durch das deutsche Gesetz geschützte Pflanzensorten sind.
Die Klägerin trägt vor, dass ihr der Landwirt aufgrund dieser Eigenschaft die von ihr verlangte Auskunft erteilen müsse, verneint
jedoch eine Verpflichtung, ihrerseits darzulegen, dass der Beklagte überhaupt eine bestimmte Sorte nachgebaut habe oder in
welchem Umfang er dies getan habe. Der Beklagte tritt dem unter anderem mit der Begründung entgegen, dass die Klägerin keine
Anhaltspunkte dafür dargetan habe, dass er eine der geschützten Sorten verwendet habe.
II – Die Vorlagefragen
6.
Die Klage wurde in der ersten Instanz abgewiesen. Das Oberlandesgericht, das über die Berufung zu entscheiden hat, hat das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1.
- Kann eine nach deutschem Recht errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung
-
- a)
- eine „Vereinigung von Sortenschutzinhabern“ oder eine „Organisation von Sortenschutzinhabern“ im Sinne von Artikel 3 Absatz
2 der Verordnung Nr. 1768/95 sein,
-
- b)
- auch für solche Sortenschutzinhaber nach Artikel 3 Absatz 2 die Rechte aus Artikel 3 Absatz 1 der vorgenannten Verordnung
geltend machen, die nicht ihre Gesellschafter sind, jedoch Mitglieder eines Verbandes sind, der seinerseits Gesellschafter
der Gesellschaft ist, und
-
- c)
- auch für solche Sortenschutzinhaber nach Artikel 3 Absatz 2 die Rechte aus Artikel 3 Absatz 1 der vorgenannten Verordnung
entgeltlich geltend machen, die weder ihre Gesellschafter sind noch Mitglieder eines Verbandes sind, der zu ihren Gesellschaftern
zählt?
- 2.
- Ist Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Artikel 8 der Verordnung Nr.
1768/95 dahin auszulegen, dass der Inhaber einer nach der Verordnung Nr. 2100/94 geschützten Sorte von jedem Landwirt die in den genannten Vorschriften geregelten Auskünfte unabhängig davon verlangen kann, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Landwirt überhaupt eine Benutzungshandlung nach Artikel 13 Absatz
2 der Verordnung Nr. 2100/94 in Bezug auf die fragliche Sorte vorgenommen oder diese – zumindest – sonst in seinem Betrieb
verwendet hat?
III – Das Gemeinschaftsrecht
7.
Nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 2100/94 wird durch sie „ein gemeinschaftlicher Sortenschutz als einzige und ausschließliche
Form des gemeinschaftlichen gewerblichen Rechtsschutzes für Pflanzensorten geschaffen“. Seit ihrem Inkrafttreten sind die
Mitgliedstaaten ermächtigt, nationale Schutzrechte zu vergeben, wenn auch Artikel 92 den Doppelschutz in der Weise verbietet,
dass Sorten, die Gegenstand eines gemeinschaftlichen Sortenschutzes sind, nicht Gegenstand eines nationalen Sortenschutzes
oder eines Patentes für die betreffende Sorte sein können. Gegenstand des gemeinschaftlichen Sortenschutzes können Sorten
aller botanischen Gattungen und Arten, u. a. auch Hybriden zwischen Gattungen oder Arten, sein.
8.
Sorten können nur dann geschützt werden, wenn sie unterscheidbar, homogen, beständig und neu sind und eine eigene Sortenbezeichnung
haben. Das Recht auf den Sortenschutz steht dem Pflanzenzüchter zu, also der Person, die die Sorte hervorgebracht oder entdeckt
und entwickelt hat, bzw. ihrem Rechtsnachfolger.
9.
Artikel 13 der Verordnung Nr. 2100/94 behält dem Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes das Recht vor, die in Absatz
2 genannten Handlungen vorzunehmen: a) die Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung), b) die Aufbereitung zum Zweck der Vermehrung,
c) das Anbieten zum Verkauf, d) den Verkauf oder das sonstige Inverkehrbringen, e) die Ausfuhr aus der Gemeinschaft, f) die
Einfuhr in die Gemeinschaft und g) die Aufbewahrung zu einem der vorgenannten Zwecke. Der Sortenschutzinhaber kann die Zustimmung
zu diesen Handlungen erteilen. Er kann sie von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.
10.
Artikel 14 Absatz 1 enthält eine Ausnahme von den Rechten des Sortenschutzinhabers zur Sicherung der landwirtschaftlichen
Erzeugung, denn er erlaubt den Landwirten, zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis
zu verwenden, das sie durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen
haben (Nachbau), wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf. Das Landwirteprivileg gilt
nur für bestimmte in Absatz 2 aufgeführte landwirtschaftliche Pflanzenarten, die in vier Gruppen eingeteilt werden: Futter-,
Öl- und Faserpflanzen, Getreide und Kartoffeln.
Das nationale Gericht fragt nach der Auslegung von Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich, der bestimmt:
„Die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des
Pflanzenzüchters und des Landwirts werden … in einer Durchführungsordnung … nach Maßgabe folgender Kriterien festgelegt:
…
- –
- die Landwirte sowie die Erbringer vorbereitender Dienstleistungen übermitteln den Inhabern des Sortenschutzes auf Antrag relevante
Informationen …“
11.
Zur Erfüllung der Verpflichtung aus Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 erließ die Kommission die Verordnung Nr.
1768/95, die das Landwirteprivileg näher regelt. Die Landwirte, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind verpflichtet,
dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die deutlich niedriger sein muss als der Betrag,
der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird. Von dieser Verpflichtung
ausgenommen sind Kleinlandwirte im Sinne der Definition der Verordnung Nr. 2100/94.
12.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf ersucht um die Auslegung des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95, der die Möglichkeit
betrifft, dass eine Vereinigung (Organisation) von Sortenschutzinhabern die Rechte ihrer Mitglieder geltend macht, und des
Artikels 8 Absatz 2 dieser Verordnung, der im Einzelnen die Auskunftspflicht des Landwirts zum Zwecke der Vergütung an den
Sortenschutzinhaber regelt.
Artikel 3 Absatz 2 bestimmt:
„Die in Absatz 1 genannten Rechte können von einzelnen Sortenschutzinhabern, von mehreren Sortenschutzinhabern gemeinsam oder
von einer Vereinigung von Sortenschutzinhabern geltend gemacht werden, die in der Gemeinschaft auf gemeinschaftlicher, nationaler,
regionaler oder lokaler Ebene niedergelassen sind. Eine Organisation von Sortenschutzinhabern kann nur für diejenigen ihrer
Mitglieder tätig werden, die sie dazu schriftlich bevollmächtigt haben. Sie wird entweder durch einen oder mehrere ihrer Vertreter
oder durch von ihr zugelassene Sachverständige im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate tätig.“
Soweit hier von Interesse, bestimmt Artikel 8:
„Wurde ein solcher Vertrag nicht geschlossen, so muss der Landwirt auf Verlangen des Sortenschutzinhabers eine Aufstellung
relevanter Informationen übermitteln: a) Name des Landwirts, Wohnsitz und Anschrift seines Betriebes; b) Verwendung des Ernteerzeugnisses
einer oder mehrerer dem Sortenschutzinhaber gehörenden Sorten auf einer oder mehreren Flächen des Betriebs des Landwirts;
c) im Falle der Verwendung Angabe der Menge; d) Name und Anschrift derjenigen, die die Aufbereitung des Ernteguts für die
Verwendung durch den Landwirt übernommen haben; e) für den Fall, dass die nach den Buchstaben b, c oder d übermittelten Angaben
nicht gemäß den Bestimmungen des Artikels 14 bestätigt werden, die Menge des lizenzgebundenen Vermehrungsmaterials der Sorten
sowie Name und Anschrift des Lieferanten.
Diese Angaben beziehen sich auf das laufende Wirtschaftsjahr und auf ein oder mehrere der drei vorangehenden Wirtschaftsjahre,
für die der Sortenschutzinhaber nicht bereits um Auskunft ersucht hatte.“
IV – Das Verfahren vor dem Gerichtshof
13.
Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, Herr Jäger, Italien und die Kommission haben im vorliegenden Verfahren innerhalb der
Frist des Artikels 20 der Satzung des Gerichtshofes schriftliche Erklärungen eingereicht.
In der mündlichen Verhandlung, die am 3. Oktober 2002 stattgefunden hat, sind die Prozessbevollmächtigten der Saatgut-Treuhandverwaltungs
GmbH und von Herrn Jäger sowie die Bevollmächtigten des Vereinigten Königreichs und der Kommission zur mündlichen Darlegung
ihrer Auffassungen erschienen.
V – Die erste Vorlagefrage
14.
Mit dieser Frage, die das nationale Gericht in drei Abschnitten formuliert hat, möchte dieses wissen, ob eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht eine „Organisation von Sortenschutzinhabern“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 2
der Verordnung Nr. 1768/95 darstellt und ob sie als solche auch die Rechte nach Absatz 1 für Sortenschutzinhaber geltend machen
kann, die, ohne Mitglieder zu sein, einer Vereinigung angehören, die die Voraussetzung der Gesellschaftereigenschaft erfüllt,
oder für Sortenschutzinhaber, denen eine gesellschafterliche Verbindung fehlt und die ihr gegen ein Entgelt diese Aufgabe
übertragen.
A –
Die Auffassungen der Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben
15.
Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH trägt vor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff der „Organisation von Sortenschutzinhabern“
nicht definiert habe. Sie schlägt vor, ihm eine weite Bedeutung zu geben, damit die Sortenschutzinhaber, die aufgrund der
großen Anzahl der betroffenen Landwirte ihre Rechte nicht einzeln geltend machen könnten, die Möglichkeit hätten, dies gemeinsam
mit anderen zu tun. Dafür müsse es ausreichen, dass der Pflanzenzüchter oder der ausschließliche Lizenzinhaber die Organisation
ermächtige und auf diese Weise die Voraussetzung der Mitgliedschaft erlange. Erst recht sei die Gesellschaft befugt, im Namen
der Sortenschutzinhaber zu handeln, die sie nicht nur ermächtigt hätten, sondern darüber hinaus einem Verband angehörten,
der seinerseits Gesellschafter sei.
16.
Der Beklagte meint, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht aus Mitgliedern im Sinne des Artikels 3 Absatz 2
der Verordnung Nr. 1768/95 bestehe. Angesichts der Wortwahl habe der Gesetzgeber an eine berufsständische Interessenvereinigung
in der Rechtsform eines Vereins oder dergleichen gedacht, nicht aber an ein rechtlich und organisatorisch unabhängiges Unternehmen,
das von den Einzelinteressen der Pflanzenzüchter losgelöst sei. Seiner Ansicht nach ist die Klägerin nichts anderes als ein
durch rein wirtschaftliche Interessen bestimmtes Inkassounternehmen.
17.
Die italienische Regierung ist der Auffassung, dass eine Organisation von Sortenschutzinhabern nicht die Form einer Gesellschaft
mit Rechtspersönlichkeit haben dürfe. Wenn sie dies täte, wäre sie als Dritte im Hinblick auf jeden Sortenschutzinhaber anzusehen
und könnte daher nicht Zessionarin der Rechte sein, die Artikel 14 der Verordnung Nr. 2100/94 den Sortenschutzinhabern zuerkenne.
18.
Die Kommission glaubt, dass dem streitigen Begriff eine weite Auslegung zu geben sei. Dass der Sortenschutzinhaber persönlich
oder gemeinsam in einer Gruppe oder durch eine Organisation seine Rechte geltend machen könne, bedeute, dass die Organisation
in ihrer verfahrensmäßigen Stellung einem einzelnen Sortenschutzinhaber gleichzustellen sei. Eine nach deutschem Recht errichtete
Gesellschaft mit beschränkter Haftung handele als „Organisation von Sortenschutzinhabern“ für ihre Mitglieder und für diejenigen,
die einer Einheit angehörten, die Gesellschafterin der Gesellschaft sei, jedoch nicht für diejenigen, die sie ohne verbandsmäßige
Verbindung gegen Entgelt damit beauftragten, ihre Rechte geltend zu machen.
B –
Beantwortung der Vorlagefrage
19.
Ich stimme mit der von der Kommission vertretenen Position zur Auslegung des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95
überein. Der Begriff Organisation von Sortenschutzinhabern in dieser Vorschrift ist so weit, dass man sagen könnte, der Gemeinschaftsgesetzgeber
habe die Gesamtheit verbandsmäßiger Gebilde, die in den Mitgliedstaaten existieren, einbeziehen wollen. Jedoch unabhängig
von der Rechtsform, die sie einnimmt, muss sie alle Bedingungen erfüllen, die die Vorschrift hinsichtlich ihrer Funktionsweise
aufstellt.
20.
Die Verordnung Nr. 1768/95 entwickelt die Bedingungen für die Wirksamkeit des Landwirteprivilegs. Gemäß Artikel 3 sind die
aus den Bestimmungen des Artikels 14 der Verordnung Nr. 2100/94 abgeleiteten Rechte und Pflichten von Sortenschutzinhabern,
mit Ausnahme des Rechts auf eine bereits bestimmbare Bezahlung der Entschädigung, nicht übertragbar.
Im Wesentlichen werden dem Sortenschutzinhaber in Artikel 14 der Verordnung Nr. 2100/94 drei Rechte zuerkannt: die Entschädigung
von dem Landwirt zu erheben, der von seinem Privileg Gebrauch macht; die Einhaltung der Bestimmungen, die diese Rechtsfigur
regeln, zu überwachen; von dem Landwirt und denjenigen, die das Erzeugnis für seine weitere Verwendung vorbereitet haben,
die einschlägigen Auskünfte zu erhalten.
21.
Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95 ermöglicht die Geltendmachung dieser Rechte durch den Sortenschutzinhaber selbst,
durch mehrere Sortenschutzinhaber gemeinsam oder durch eine Organisation von Sortenschutzinhabern, die in der Gemeinschaft
auf gemeinschaftlicher, nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ansässig ist.
Ich stimme der Argumentation der italienischen Regierung nicht zu. Wenn alle ihre Gesellschafter Inhaber eines Sortenschutzrechts
sind und der Gesellschaftszweck in der Geltendmachung der Rechte besteht, die sich aus Artikel 14 der Verordnung Nr. 2100/94
ergeben, verletzt der Umstand, dass die Gesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit hat, Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung
Nr. 1768/95 nicht, da diese Vorschrift, wie ich bereits erläutert habe, keine konkrete Rechtsform der Organisation vorschreibt.
Ich teile auch nicht die Auffassung, dass eine Abtretung der Rechte des Sortenschutzinhabers an die Gesellschaft erfolgt.
Die Erlangung der Gesellschaftereigenschaft in einer Organisation, die die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung
hat, bedeutet keine Abtretung von Rechten, zumal Absatz 1 dieses Artikels bestimmt, dass mit Ausnahme des Rechts auf eine
bereits bestimmbare Bezahlung die übrigen Rechte, die die Organisation geltend machen kann, nicht übertragbar sind, es sei
denn, sie werden gemeinsam mit dem gemeinschaftlichen Sortenschutzrecht übertragen.
22.
Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95 stellt mehrere Anforderungen an die Organisationen von Sortenschutzinhabern.
Erstens handeln sie nur im Namen ihrer Mitglieder, die Inhaber eines Sortenschutzrechts sein müssen. Diese Anforderung schließt
aus, dass sie dies im eigenen Namen oder für Rechnung Dritter tun, wie es bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens der Fall
ist. Ebenso verbietet sie, dass die Lizenznehmer von Sortenschutzrechten, unabhängig davon, ob sie ausschließlich sind, diesen
Organisationen angehören, da sie keine Sortenschutzinhaber sind und ihnen daher die Rechte, die Artikel 14 der Verordnung
Nr. 2100/94 diesen für die Regelung des Landwirteprivilegs zuerkennt, nicht zustehen.
Zweitens ist die Eigenschaft als Mitglied der Organisation oder als Gesellschafter notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung,
da eine Organisation nur diejenigen vertritt, die sie schriftlich bevollmächtigt haben. Es ist erforderlich, dass der Sortenschutzinhaber
im Gründungsakt oder später dieses Formerfordernis erfüllt.
23.
Unter der Voraussetzung, dass die deutschen Bestimmungen, die die Gründung und die Funktionsweise der Gesellschaften mit beschränkter
Haftung regeln, es ermöglichen, dass diese Anforderungen erfüllt werden, was dem nationalen Gericht zu beurteilen zusteht,
kann also eine dieser Gesellschaften eine „Organisation von Sortenschutzinhabern“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung
Nr. 1768/95 sein.
24.
Gleiches gilt für die Voraussetzung, dass ein Verband von Sortenschutzinhabern seinerseits Gesellschafter einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung ist, die die Rechte, die sich für die Sortenschutzinhaber aus dem Landwirteprivileg ergeben, geltend
macht. Wenn der Verband nämlich als solcher aus Sortenschutzinhabern gebildet wird, kann die Gesellschaft auch in deren Namen
handeln, sofern sie sie ausdrücklich damit beauftragt haben. Es handelt sich um eine Regelung, die es begünstigen kann, dass
eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Organisation von Sortenschutzinhabern in diesem Staat die Rechte von Sortenschutzinhabern
geltend macht, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und die eine Organisation zum gemeinsamen Schutz ihrer Rechte
gebildet haben.
25.
Jedoch verbietet die Einhaltung dieser Anforderungen es, dass eine Organisation von Sortenschutzinhabern im Sinne des Artikels
3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95 die Rechte von Personen ausübt, die nicht ihre Mitglieder sind, was bei denjenigen der
Fall ist, die, ohne eine gesellschafterliche Verbindung zu der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH zu haben, sie gegen Entgelt
damit beauftragt haben, ihre Rechte hinsichtlich des Landwirteprivilegs geltend zu machen.
Ich teile nicht die Position der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, wenn sie vorträgt, dass der Sortenschutzinhaber mit der
bloßen Beauftragung bereits die Mitgliedereigenschaft erlange. Ich bestreite nicht, dass es eine korrekte Vorgehensweise ist,
eine Gruppierung zum gemeinsamen Schutz legitimer Interessen zu bilden; aber wenn eine Organisation von Sortenschutzinhabern
die Form einer handelsrechtlichen Kapitalgesellschaft einnimmt, kann man ihr nur dadurch beitreten, dass man Gesellschafter
wird: Die Beauftragung durch einen Sortenschutzinhaber mit der entgeltlichen Wahrnehmung seiner Rechte steht der Erlangung
dieser Eigenschaft nicht gleich.
26.
Aus den dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht eine
„Organisation von Sortenschutzinhabern“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95 darstellen und als solche
für Sortenschutzinhaber die Rechte nach Absatz 1 geltend machen kann, sofern sie Gesellschafter sind, sie sie schriftlich
bevollmächtigt haben und sie in ihrem Namen handelt. Eine solche Gesellschaft ist auch befugt, die genannten Rechte im Namen
der Sortenschutzinhaber geltend zu machen, die Mitglieder eines Verbandes sind, der Gesellschafter ist, und diesen schriftlich
bevollmächtigt haben. Dagegen kann sie nicht diejenigen vertreten, die weder Gesellschafter noch Mitglieder eines Verbandes
sind, der die genannte Gesellschaftereigenschaft besitzt.
VI – Die zweite Vorlagefrage
27.
Mit seiner Frage möchte das Oberlandesgericht wissen, ob die von ihm zitierten Bestimmungen bedeuten, dass der Inhaber eines
gemeinschaftlichen Sortenschutzes von jedem Landwirt zu dem Zweck, von ihm die Zahlung einer Entschädigung wegen Gebrauchmachens
von dem Privileg zu fordern, einschlägige Auskünfte verlangen kann, auch wenn es keine Anhaltspunkte für eine Verwendung der
Sorte für eine der Handlungen nach Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2100/94, darunter die Erzeugung, oder zu irgendeinem
anderen Zweck gibt.
28.
Diese Frage stimmt mit derjenigen überein, die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im August 2000 zur Vorabentscheidung
vorgelegt und die zur Rechtssache C‑305/00 (Schulin) geführt hat, in der ich meine Schlussanträge am 21. März 2002 vorgetragen
habe und in der das Urteil noch aussteht. Der Sachverhalt in jener Rechtssache ist dem, der dem Verfahren gegen den Beklagten
zugrunde liegt, sehr ähnlich; der Unterschied besteht darin, dass die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH damals die Berufungsbeklagte
war, während sie jetzt die Berufungsklägerin ist.
29.
Im Juli 2002 richtete die European Seed Association ein Schreiben an mich, in dem sie mir, nach der Erläuterung, dass sie
auf Ersuchen der Generaldirektion Landwirtschaft der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bei der Definition des in
der Verordnung Nr. 2100/94 und der Verordnung Nr. 1768/95 in Bezug genommenen Begriffes Landwirteprivileg mitgewirkt habe,
die Absicht des Gesetzgebers darlegte, diese Figur zu regeln, und mich ersuchte, den Vorschlag, den ich dem Gerichtshof zur
Beantwortung der Vorlagefrage des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gemacht habe, noch einmal zu überdenken.
30.
Es scheint, dass die Vertretung der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH beabsichtigt hat, die Regeln, denen das Verfahrenshandeln
des Gerichtshofes unterliegt, zu umgehen, indem sie sich über deren bindenden Charakter hinwegsetzte.
In Kenntnis der Entscheidung Emesa Sugar5 –Beschluss vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C‑17/98 (Slg. 2000, I‑675)., wonach der Generalanwalt öffentlich und persönlich am Entstehen der Entscheidung des Gerichtshofes teilnimmt und die Verhandlung
zwischen den Parteien abschließt, so dass unter Berücksichtigung des richterlichen Charakters seiner Mitwirkung seine Handlungen
keiner Erwiderung unterliegen, hat die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine kunstreiche List ins Werk gesetzt. Da in einem
ersten Verfahren, in dem dieselbe Vorlagefrage gestellt worden war6 –Rechtssache Schulin, bereits zitiert., die von mir als Generalanwalt vertretene Auffassung nicht ihrem Vorbringen folgte und auch nicht die von der Rechtsprechung7 –Vgl. meine Schlussanträge vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑466/00 (Arben Kaba, Nrn. 108 und 109). geforderten Voraussetzungen dafür vorlagen, gemäß Artikel 61 der Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
anzuordnen, beschloss sie, die Klage mit dem Ziel zurückzunehmen, zu vermeiden, dass der Gerichtshof entscheidet, ohne ihre
Anmerkungen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts abgewartet zu haben. So würde sie ihre Argumente im folgenden Rechtsstreit,
der den gleichen Streitpunkt betraf, bekräftigen können.
Um ihre Position zu stützen, wandte sie sich an die Kanzlei des Gerichtshofes und beantragte das Ruhen des Verfahrens Schulin,
hilfsweise, dass kein Urteil in jener Rechtssache vor der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden ergeht. Obgleich das
Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Klagerücknahme nicht stattgab und die Vorlagefrage aufrechterhielt, kam ihr die Verzögerung
bei der Rechtsprechung, die dieser aufgrund der hohen Anzahl der zur Entscheidung anstehenden Rechtssachen eigen ist, in der
Weise zugute, dass es ihr ermöglicht wurde, ihre mündlichen Erklärungen in diesem Verfahren abzugeben, bevor der Gerichtshof
in der Sache über das frühere entschieden hat. Alles erweist sich als gut, wenn es dazu beitragen soll, die Qualität des gerichtlichen
Rechtsschutzes zu verbessern; es ist jedoch an den Grundsatz der prozessualen Redlichkeit zu erinnern, die die Parteien den
Rechtsprechungsorganen – hier nicht nur dem Gerichtshof, sondern auch den deutschen Richtern – schulden, sowie an den Grundsatz
der Solidarität und der Achtung gegenüber den übrigen Rechtsuchenden, der unter Berücksichtigung der Komplexität und des ständigen
Ansteigens der Rechtsstreitigkeiten aller Arten verlangt, dass derjenige, der eine Klage erhebt, unbeschadet aller erforderlichen
Maßnahmen für die Verteidigung seiner Rechte, dies in nicht missbräuchlicher Weise tut, um nicht auf die Dauer oder die Gründlichkeit
der Prüfung der Klagen der übrigen Personen einzuwirken. Das heißt, dass das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz
auch seine Grenzen hat. In den Bedingungen, unter denen die Rechtsprechungsfunktion gegenwärtig in der westlichen Welt ausgeübt
wird, spiegeln sich diese Grenzen darin wider, dass angesichts der Begrenztheit der Zeit, über die die Richter verfügen, um
den vor sie getragenen Klagen stattzugeben, jeder Einzelne diese ohne Einbuße an Garantien, aber auch ohne Beeinträchtigung
des Rechts seiner Mitbürger auf Zugang zum Gericht geltend machen muss, indem er es vermeidet, unnötige oder unangebrachte,
übermäßig komplizierte oder in der Form wirre oder zu weit gefasste Klagen zu erheben, und nicht die Verfahren vermehrt, um
dadurch in vollem Maße sein ausschließliches Interesse durchzusetzen8 –In der Antwort auf die Frage, die ich ihm in der mündlichen Verhandlung gestellt habe, hat der Prozessbevollmächtigte der
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH eingeräumt, dass die Erhebung einer Klage, der Versuch der späteren Klagerücknahme und die
Aufrechterhaltung ähnlicher Klagen in anderen Verfahren auf eine „Strategie“ zurückzuführen seien, die eingefädelt worden
sei, um auf die Schlussanträge des Generalanwalts erwidern zu können..
A –
Die Auffassungen der Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben
31.
Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH ist der Auffassung, dass Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr.
2100/94 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95 den Sortenschutzinhaber ermächtige, von jedem Landwirt
die Angabe zu verlangen, ob und in welchem Umfang er von dem Privileg Gebrauch gemacht habe, obwohl nicht feststehe, dass
in der Vergangenheit eine geschützte Sorte in seinem Betrieb verwendet worden sei. Zur Stützung dieser Auslegung zitiert sie
nicht weniger als zehn Urteile erstinstanzlicher deutscher Gerichte, die sich in jüngerer Zeit in diesem Sinne geäußert hätten.
Der Sortenschutzinhaber könne keine Anhaltspunkte dafür beibringen, dass ein Landwirt auf seinen Flächen das Ernteerzeugnis
einer geschützten Sorte zu Vermehrungszwecken verwendet habe. Theoretisch könne zwar ein Anhaltspunkt für die Wiederaussaat
des Ernteerzeugnisses darin bestehen, dass der Landwirt bereits einmal neues zertifiziertes Saatgut beim Landhandel erworben
habe. Doch in der Praxis könne der Sortenschutzinhaber diesen Nachweis nicht erbringen, da er mangels geschäftlicher Beziehungen
zu den Landwirten nicht wisse, welcher Landwirt bereits einmal zertifiziertes Saatgut seiner Pflanzensorte erworben habe.
Der Sortenschutzinhaber liefere an ein Unternehmen, das sich mit der Vermehrung befasse, Basissaatgut oder Vorstufensaatgut,
damit dieses das zur Vermarktung bestimmte Erzeugnis herstelle. Dann werde das Saatgut an Genossenschaften oder Großhändler
verkauft und gelange anschließend über weitere Zwischenhändler und über den Landhandel an den einzelnen Verbraucher. Nichts
verbiete es einem Landwirt, der zertifiziertes Saatgut erworben habe, das Ernteerzeugnis mehrere Wirtschaftsjahre lang zu
Vermehrungszwecken zu verwenden, insbesondere dann, wenn es sich um Getreide handele.
32.
Der Bevollmächtigte des Vereinigten Königreichs hat in der mündlichen Verhandlung eine wörtliche Auslegung des Artikels 14
Absatz 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 und des Artikels 8 der Verordnung Nr. 1768/95 empfohlen. Da diese
Bestimmungen nicht zwischen Landwirten im Allgemeinen und Landwirten, die in ihrem Betrieb eine geschützte Pflanzensorte verwendet
hätten, unterschieden, sei das Verständnis, nur Letztere seien verpflichtet, dem Auskunftsersuchen eines Sortenschutzinhabers
nachzukommen, nicht möglich. Wenn der mit der Regelung verfolgte Zweck darin bestehe, zu erreichen, dass der Sortenschutzinhaber
seinen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung als Gegenleistung für das Privileg des Landwirts ausübe, sei außerdem die
einfachste und praktischste Form der Auskunftserlangung die unmittelbare Befragung derjenigen, die Saatgut aussäten.
33.
Der Beklagte, die italienische Regierung und die Kommission weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Anwendung des Artikels
8 Absatz 2 Buchstaben b und c das Vorliegen eines Ankaufs von Saatgut einer geschützten Sorte oder Anhaltspunkte dafür verlange,
dass es verwendet worden sei, wobei der Sortenschutzinhaber in seinem Auskunftsersuchen die Punkte, über die er verfüge, um
zu dieser Überzeugung zu gelangen, spezifiziere.
Die Kommission macht ferner geltend, die Ausübung des Landwirteprivilegs setze offenbar eine Beziehung zwischen Sortenschutzinhaber
und Landwirt voraus, denn bevor Ernteerzeugnisse einer geschützten Sorte wieder verwendet werden könnten, müsse bereits eine
Form der Übereinstimmung zwischen den Parteien über die erstmalige Verwendung der Sorte getroffen worden sein, sei es direkt
oder indirekt, etwa durch einen Vertrag mit einem Lieferanten über den Ankauf von Saatgut. Der Sortenschutzinhaber habe in
der Regel Zugang zu Informationen über den Verkauf seiner geschützten Sorten. Andernfalls sei es eher verhältnismäßig, ihn
an die Saatguthändler oder sonstigen Lieferanten seiner Erzeugnisse zu verweisen, als alle Landwirte mit einer gerichtlich
vollstreckbaren Auskunftspflicht zu belasten.
B –
Beantwortung der Vorlagefrage
34.
Nachdem ich aufmerksam das schriftliche und mündliche Vorbringen vor dem Gerichtshof in diesem Verfahren studiert habe, habe
ich keinen Grund finden können, meine Auffassung, die ich in den Schlussanträgen in der bereits zitierten Rechtssache C‑305/00
geäußert habe, zu ändern.
35.
Wie in der fünften Begründungserwägung angegeben, sollte die Verordnung Nr. 2100/94 zum Anreiz für die Züchtung oder die Entdeckung
neuer Sorten den Schutz für Pflanzenzüchter aller Art gegenüber den 1994 bestehenden Verhältnissen verstärken.
Ihr Artikel 13 grenzt genau ab, welche gewerblichen Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut (beispielsweise
Blumen und Früchte) von der Vermehrung bis zur Aufbewahrung der Zustimmung des Sortenschutzinhabers bedürfen.
36.
Die Ausübung der durch den gemeinschaftlichen Sortenschutz verliehenen Rechte unterliegt Beschränkungen, die durch im öffentlichen
Interesse erlassene Bestimmungen festgelegt sind. Da der Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugung diesem Interesse entspricht,
ermächtigt Artikel 14 der Verordnung die Landwirte, unter bestimmten Voraussetzungen ihr Ernteerzeugnis zu Vermehrungszwecken
zu verwenden. Unter den etwa 20 in Artikel 14 Absatz 2 aufgeführten Arten, auf die sich das Privileg erstreckt, befinden sich
einige, deren Anbau so weit verbreitet und üblich ist wie Gerste, Weizen oder Kartoffeln.
Diese Möglichkeit beschränkt zweifellos die Rechte des Sortenschutzinhabers auf Nutzung der Sorte, die er durch seine Anstrengungen
gewonnen oder entdeckt und entwickelt hat. Zur Wahrung der berechtigten Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts
sah Artikel 14 den Erlass von Durchführungsbestimmungen nach Maßgabe bestimmter Kriterien vor, zu denen die Zahlung einer
angemessenen Entschädigung gehört.
37.
Wie ich schon in den Schlussanträgen in der Rechtssache C‑305/00, Schulin, erläutert habe, fühlen sich einige Landwirte durch
diese Regelung offensichtlich benachteiligt, weil sie davon ausgehen, dass sie die seit unvordenklichen Zeiten in der Landwirtschaft
geübte Praxis begrenze, einen Teil des Ernteerzeugnisses aufzubewahren, um es anschließend frei als Vermehrungsmaterial zu
verwenden. Sicher ist allerdings, dass dank der Tätigkeit der Pflanzenzüchter bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung
neuer Pflanzensorten erzielt worden sind, die zu einer höheren und besseren landwirtschaftlichen Erzeugung geführt haben.
Die Pflicht zur Entschädigung des Pflanzenzüchters für den Nachbau trifft nur diejenigen, die in ihrem Betrieb eine geschützte
Sorte anbauen; daher sind Landwirte, die auf nicht zertifiziertes Saatgut zurückgreifen, von der Pflicht zur Auskunft und
zur Zahlung der Entschädigung befreit.
38.
Artikel 14 der Verordnung Nr. 2100/94, der das Landwirteprivileg einräumt, überträgt die Überwachung der Beachtung dieser
Regelung und ihrer Durchführungsbestimmungen ausschließlich dem Sortenschutzinhaber, ohne dass er dabei Hilfe von öffentlichen
Einrichtungen erfährt. In dieser Hinsicht kommt nur die Möglichkeit in Betracht, dass diejenigen, die die landwirtschaftliche
Erzeugung überwachen, dem Sortenschutzinhaber die einschlägigen Informationen zur Verfügung stellen, wenn sie sie bei der
gewöhnlichen Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten haben, sofern dies keine neuen Belastungen oder Kosten bedeutet.
Zur Erleichterung dieser Überwachung, die unter diesen Umständen praktisch unmöglich wäre, erlegen Artikel 14 Absatz 3 sechster
Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 und Artikel 8 der Verordnung Nr. 1768/95 dem Landwirt die Verpflichtung auf, dem
Sortenschutzinhaber aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder auf Verlangen die einschlägigen Informationen zu übermitteln,
damit bestimmt werden kann, ob dem Inhaber eine Entschädigung zusteht und, wenn ja, in welcher Höhe. Diese Informationspflicht
auf Verlangen des Sortenschutzinhabers erstreckt sich auf die Aufbereiter.
Außerdem räumt Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95, wie im Abschnitt zur Beantwortung der ersten Frage zu sehen
war, den Sortenschutzinhabern die Möglichkeit ein, sich zur gemeinsamen Geltendmachung der Rechte aus dem Landwirteprivileg
zu organisieren.
39.
Angesichts dieser Regelung ist zu prüfen, welche Landwirte von der Auskunftspflicht erfasst werden: sämtliche Landwirte aufgrund
ihrer Eigenschaft als solche, wie die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH und das Vereinigte Königreich vortragen, oder, wie
der Beklagte, die italienische Regierung und die Kommission vorschlagen, diejenigen, die in der Vergangenheit in ihrem Betrieb
Vermehrungsmaterial der in Rede stehenden geschützten Sorte gesät oder gepflanzt haben.
Meines Erachtens ist der zuletzt genannten Auslegung der Vorzug zu geben.
40.
Ich möchte einen Faktor hervorheben, der, obwohl er offensichtlich ist, der Aufmerksamkeit des Prozessbevollmächtigten der
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH und des Bevollmächtigten des Vereinigten Königreichs entgangen zu sein scheint: Die Verordnung
Nr. 2100/94 bezweckt nicht die Regelung eines Bereichs der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Gemeinschaft, sondern die
Errichtung eines gemeinschaftlichen Schutzes für Pflanzensorten. Folglich beziehen sich ihre Bestimmungen, wenn sie den „Landwirt“
erwähnen, nicht auf einen landwirtschaftlich tätigen Wirtschaftsteilnehmer, dessen Tätigkeit innerhalb des Gebiets der Union
stattfindet, sondern allein darauf, dass er in ihren persönlichen Anwendungsbereich einbezogen ist, der aus denjenigen besteht,
die in ihren Betrieben geschützte Pflanzensorten verwenden.
41.
Aus dem Wortlaut des Artikels 14 Absätze 1 und 2 ergibt sich, dass die Ausnahme nur den Landwirten zugute kommen kann, die
bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie a) Anpflanzung von Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte im eigenen Betrieb,
b) Gewinnung eines Ernteerzeugnisses und c) Anbau einer Sorte, die einer der in der Liste aufgezählten landwirtschaftlichen
Pflanzenarten zugehört. Wenn sie dieses Ernteerzeugnis verwenden, sind sie verpflichtet, dem Sortenschutzinhaber eine Entschädigung
zu zahlen und ihm die einschlägige Auskunft für deren Berechnung zu erteilen
(9)
.
42.
Die Verordnung Nr. 1768/95 hat als einziges Ziel die Durchführung von Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94, einer
Bestimmung, die die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung für den Landwirt festlegt und dabei seine legitimen
Interessen und die des Pflanzenzüchters schützt. Aufgrund des beschränkten Zwecks dieser gesetzlichen Regelung bin ich umso
mehr der Ansicht, dass der „Landwirt“, dem bestimmte Verpflichtungen auferlegt sind, nicht jeder Bauer in der Europäischen
Union sein kann; im Gegenteil kann es sich nur um einen Wirtschaftsteilnehmer handeln, auf den diese Regelung anwendbar ist,
d. h. um jemanden, der Vermehrungsmaterial einer der landwirtschaftlichen Pflanzenarten nach der Liste in Artikel 14 Absatz
2 der Verordnung Nr. 2100/94 erworben hat.
Folglich sind von der Auskunftspflicht nur diejenigen Landwirte betroffen, die in der Vergangenheit Vermehrungsmaterial der
geschützten Sorte, um die es sich jeweils handelt, erworben haben. Es erscheint mir grundlegend, dass diese Pflicht nicht
denjenigen auferlegt wird, die niemals solches Material gekauft haben, da sie es nicht hätten anbauen oder ein Ernteerzeugnis
hätten gewinnen können, das erneut auf ihren Anbauflächen zu Vermehrungszwecken hätte benutzt werden können.
43.
Artikel 8 der Verordnung Nr. 1768/95 regelt ausführlich den Inhalt der Auskunftspflicht, die den Landwirt trifft, der in der
Lage ist, das aus Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zu verwenden. Nach seinem Absatz 1
können der Landwirt und der Sortenschutzinhaber durch einen Vertrag die Einzelheiten festlegen, die jener diesem übermitteln
muss. Es handelt sich um einen Nebenvertrag zum Hauptvertrag, mit dem der Sortenschutzinhaber oder sein Vertreter den Landwirt
dazu ermächtigt, eine der Handlungen nach Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2100/95, normalerweise die landwirtschaftliche
Erzeugung, auszuüben.
44.
Falls kein Nebenvertrag über die Details der zu erteilenden Auskünfte geschlossen wird, besteht eine Rechtsbeziehung zwischen
einerseits dem Sortenschutzinhaber, seinem Vertreter oder den Händlern, die zum Verkauf des Vermehrungsmaterials seiner geschützten
Sorte berechtigt sind, und andererseits dem Landwirt, der dieses Material erwirbt.
Da dem Schutzrechtsinhaber die Überwachung der Einhaltung seiner Rechte durch die Landwirte und die sonstigen Wirtschaftsteilnehmer
obliegt, hat er das größte Interesse an der Registrierung der Handlungen in Bezug auf Vermehrungsmaterial seiner geschützten
Pflanzensorten und insbesondere der Sorten, in Bezug auf die der Landwirt von seinem Privileg Gebrauch machen kann, das Ernteerzeugnis
für eine neue Aussaat oder Neupflanzung zu verwenden.
45.
Das Vereinigte Königreich und insbesondere die Klägerin tragen vor, es sei praktisch unmöglich, dass die Sortenschutzinhaber
Kenntnis darüber erlangten, welche Landwirte Saatgut ihrer geschützten Sorten gekauft hätten, da sie Lizenzen für die Vermehrung
vergäben und sich nicht um spätere Vorgänge kümmerten. Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH bemerkte in der mündlichen Verhandlung,
dass das Verlangen der Sortenschutzinhaber, die Marktbeteiligten, die im Vertrieb und im Inverkehrbringen des Saatguts tätig
würden, vertraglich zu binden, gegen Artikel 81 EG verstoße.
46.
Ich stimme dieser Auffassung nicht zu. Zwar kann nach Artikel 27 der Verordnung Nr. 2100/94 der gemeinschaftliche Sortenschutz
ganz oder teilweise Gegenstand von vertraglich eingeräumten Nutzungsrechten sein. Doch ist es dem Sortenschutzinhaber in keiner
Weise verwehrt, bei ihrer Einräumung die seinem Recht am besten entsprechenden Bedingungen und Beschränkungen aufzuerlegen.
Auf jeden Fall ermöglicht es ihm diese Vorschrift, die Rechte aus dem gemeinschaftlichen Sortenschutz gegenüber dem Lizenznehmer,
der Vertragsklauseln verletzt, geltend zu machen.
47.
Dem ist hinzuzufügen, dass es sich als unmöglich erweist, abstrakt zu bewerten, ob die Voraussetzungen, die die Sortenschutzinhaber
den Lizenznehmern auferlegen können, damit ihre aus dem Landwirteprivileg abgeleiteten Rechte eingehalten werden, gegen Artikel
81 EG verstoßen können. Es ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob es sich um Vereinbarungen, Beschlüsse oder verbotene
Praktiken handelt, und dann festzustellen, ob die in Artikel 81 Absatz 3 EG vorgesehenen Ausnahmen anwendbar sind.
48.
Artikel 8 Absatz 2 Buchstaben a bis f der Verordnung Nr. 1768/95 regelt für den Fall, dass es an einem Vertrag fehlt, welche
Einzelheiten der Landwirt dem Sortenschutzinhaber übermitteln muss, zu denen erstens der Name des Betroffenen, sein Wohnsitz
und die Anschrift seines Betriebes gehören.
Meines Erachtens ist das Verlangen dieser Angaben weder als überflüssig noch als übermäßig anzusehen, obwohl der Umstand,
dass sich der Sortenschutzinhaber unmittelbar oder über die Organisation, der er angehört, an den Landwirt wendet, bedeutet,
dass er bereits über einige Daten verfügt. Die den Landwirt treffende Verpflichtung, sie in seine Auskunft einzubeziehen,
erklärt sich zum einen aus Identifikationszwecken und zum anderen aus dem Nutzen, den ihre Überprüfung und Vervollständigung
für den Empfänger bedeuten kann.
49.
Zweitens muss der Landwirt angeben, ob er von dem Privileg in Bezug auf eine Sorte des Sortenschutzinhabers Gebrauch gemacht
hat. Diese Bestimmung bestätigt, dass der Sortenschutzinhaber, wenn er um Auskunft ersucht, weiß, dass der Landwirt in der
Lage ist, dieses Erzeugnis zu verwenden, d. h., dass er zuvor Vermehrungsmaterial seiner geschützten Sorte gekauft hat.
50.
Drittens muss der Landwirt, wenn er das Erzeugnis auf seinen Flächen verwendet hat, in der Auskunft angeben, welche Menge
er verwendet hat, damit die Entschädigung berechnet werden kann, die er dem Sortenschutzinhaber schuldet. In diesem Fall ist
er auch verpflichtet, die Angaben über die Personen zu liefern, die das Erzeugnis für seine spätere Verwendung aufbereitet
haben, wenn er auf Dienstleistungen Dritter zurückgegriffen hat.
51.
Viertens hat der Landwirt, wenn die Umstände in Bezug auf die Verwendung des Ernteerzeugnisses und die Menge nicht bestätigt
werden können, die Menge des verwendeten lizenzgebundenen Vermehrungsmaterials der Sorte des Sortenschutzinhabers mitzuteilen
und Angaben über den Lieferanten zu machen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH ausgeführt, dass der Landwirt
in diesem Fall die Angaben über den Lieferanten zu machen habe, bestätige seine Ansicht, dass dem Sortenschutzinhaber Entsprechendes
nicht bekannt sei. Ich stimme dieser Interpretation indessen nicht zu. Meiner Auffassung nach kann es auch dann, wenn der
Landwirt Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte erwirbt, aber von dem Privileg keinen Gebrauch macht, für den Sortenschutzinhaber
von Interesse sein, von der verwendeten Menge im Verhältnis zu der gekauften Menge zu erfahren und zum Zweck der Überprüfung
Kenntnis darüber zu erlangen, wer sie ihm geliefert hat.
52.
Hinsichtlich der Überwachung durch die Sortenschutzinhaber verpflichtet Artikel 14 der Verordnung Nr. 1768/95 die Landwirte
zur Aufbewahrung der Rechnungen und Etiketten für mindestens die drei dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehenden Jahre, d. h.
für den Zeitraum, auf den sich das Verlangen des Sortenschutzinhabers auf Auskunftserteilung über die Verwendung des Ernteerzeugnisses
beziehen kann.
53.
Artikel 8 Absätze 5 und 6 der Verordnung Nr. 1768/95 erlaubt es, dass sich der Sortenschutzinhaber anstatt an den Landwirt
an Genossenschaften, Aufbereiter oder Lieferanten lizenzgebundenen Vermehrungsmaterials seiner geschützten Sorten wendet,
die von den Betroffenen ermächtigt worden sind, diese Auskünfte zu erteilen; in diesem Fall ist die Angabe einzelner Landwirte
entbehrlich.
Diese Bestimmungen belegen außerdem zum einen, dass der Sortenschutzinhaber seinen Auskunftsanspruch in Bezug auf eine Sorte
nur dann geltend machen kann, wenn der Landwirt zuvor Vermehrungsmaterial dieser Sorte angebaut hat. Zum anderen bestätigen
sie, dass der Sortenschutzinhaber darüber informiert ist, wer die Lieferanten sind, und während einiger Wirtschaftsjahre Vermehrungsmaterial
an bestimmte Landwirte geliefert hat.
54.
Artikel 8 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1768/95, der die Wirtschaftsjahre festlegt, für die der Landwirt die Auskunft
über das Gebrauchmachen von dem Privileg zu erteilen hat, bestätigt die entscheidende Rolle, die der Sortenschutzinhaber in
der Kette des Vertriebs seiner geschützten Pflanzensorten einnimmt oder einnehmen soll. Nach dieser Vorschrift soll es sich
bei dem ersten Wirtschaftsjahr um das Jahr handeln, in dem erstmals ein Auskunftsersuchen zu der Sorte an den Landwirt gerichtet
wurde,
wenn der Sortenschutzinhaber sich vergewissert hat, dass der Landwirt beim Erwerb des Vermehrungsmaterials der geschützten
Sorte oder früher zumindest darüber, dass ein Antrag auf Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz gestellt oder dieser
erteilt wurde, sowie über die Bedingungen der Verwendung dieses Materials unterrichtet wurde.
55.
Aus dieser Vorschrift ergibt sich einerseits eindeutig, dass von dem Landwirt nur Auskunft verlangt werden kann, nachdem er
bewusst eine geschützte Pflanzensorte gekauft hat, und andererseits, dass es Verpflichtungen gibt, die der Sortenschutzinhaber
in Bezug auf den Landwirt beim An- und Verkauf des Saatguts erfüllen muss. Das Vorbringen der Saatgut-Treuhandverwaltungs
GmbH sowohl dazu, dass alle Landwirte zur Auskunft gegenüber den Sortenschutzinhabern verpflichtet seien, unabhängig davon,
ob sie jemals Saatgut geschützter Sorten gekauft hätten, wie zur Unmöglichkeit, dass der Sortenschutzinhaber wissen könne,
welche Landwirte das Saatgut erworben hätten, entbehrt daher einer Grundlage.
56.
Aus dem Wortlaut der Bestimmungen, um deren Auslegung das deutsche Gericht ersucht, wie auch aus dem Kontext und den mit ihnen
verfolgten Zwecken
(10)
ergibt sich, dass die Pflicht, dem Inhaber des Schutzrechts für eine Sorte die einschlägigen Informationen in Bezug auf die
Inanspruchnahme des Privilegs zu verschaffen, allen Landwirten obliegt, die mit Zustimmung Vermehrungsmaterial dieser Sorte
erworben haben, und dass dies die einzige Voraussetzung dafür ist, dass der Sortenschutzinhaber Anspruch auf Auskunftserteilung
hat.
Daher kann die Auskunftspflicht, deren Nichterfüllung Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein kann, wie die vorlegende
Rechtssache belegt, nicht, wie die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH geltend macht, auf Landwirte erstreckt werden, die niemals
Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte des Sortenschutzinhabers erworben haben, da es ihnen technisch unmöglich ist, das
Ernteerzeugnis aus solchem Material zu verwenden.
57.
Zwar ist es dem Sortenschutzinhaber unmöglich, in jedem Fall nachzuweisen, ob die Landwirte auf ihren Flächen den Nachbau
seiner geschützten Sorte betreiben
(11)
. Da jedoch jede Nutzung der Bestandteile dieser Sorte von seiner Zustimmung abhängig ist, bei deren Erteilung er Bedingungen
oder Beschränkungen aufstellen kann und deren Überwachung in Bezug auf seine Rechte ausschließlich ihm zusteht, wäre es folgerichtig,
dass er, falls er dies noch nicht getan hat, Vorkehrungen trifft, um ständig auf dem Wege über die Vermittler und Lieferanten
von Saatgut darüber informiert zu werden, wer das Vermehrungsmaterial erwirbt. Mit diesen Angaben kann er mit größerem Erfolg
seine Auskunftsersuchen an diejenigen Landwirte richten, die zur Abgabe dieser Auskünfte verpflichtet sind.
Der von der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH geltend gemachte Anspruch, unterschiedslos von
sämtlichen Landwirten eines Landes verlangen zu können, dass diese ein Formblatt über die Verwendung des
Ernteerzeugnisses aus dem Anbau einer geschützten Sorte ausfüllen, erscheint mir unverhältnismäßig. Ferner ist dies zum Schutz der berechtigten Interessen der Sortenschutzinhaber
nicht nötig, die, wie ich bereits ausgeführt habe, über andere, sicherere Wege verfügen, die einschlägigen Auskünfte zu erhalten,
auf die sie zweifellos Anspruch haben.
58.
Nach allem bin ich der Ansicht, dass Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung
mit Artikel 8 der Verordnung Nr. 1768/95 so auszulegen ist, dass nur Landwirte, die Vermehrungsmaterial einer geschützten
Sorte erworben haben und daher in der Lage waren, dieses Material anzubauen, unabhängig davon, ob sie dies getan haben, verpflichtet
sind, dem Inhaber des Sortenschutzes Auskunft über den Anbau des Ernteerzeugnisses auf ihren Flächen zu erteilen.
VII – Ergebnis
59.
Aus diesen Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorgelegten Fragen wie folgt
zu antworten:
- 1.
- Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht kann eine „Organisation von Sortenschutzinhabern“ im Sinne
von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel
14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz darstellen und als solche für Sortenschutzinhaber
die Rechte nach Absatz 1 geltend machen, sofern sie Gesellschafter sind, sie sie schriftlich bevollmächtigt haben und sie
in ihrem Namen handelt. Eine solche Gesellschaft ist auch befugt, die genannten Rechte im Namen der Sortenschutzinhaber geltend
zu machen, die Mitglieder eines Verbandes sind, der Gesellschafter ist, und diesen schriftlich bevollmächtigt haben. Dagegen
kann sie nicht diejenigen vertreten, die weder Gesellschafter noch Mitglieder eines Verbandes sind, der die genannte Gesellschaftereigenschaft
besitzt.
- 2.
- Artikel 14 Absatz 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Artikel 8 der Verordnung Nr. 1768/95
ist so auszulegen, dass nur Landwirte, die Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte erworben haben und daher in der Lage
waren, dieses Material anzubauen, unabhängig davon, ob sie dies getan haben, verpflichtet sind, dem Inhaber des Sortenschutzes
Auskunft über den Anbau des Ernteerzeugnisses auf ihren Flächen zu erteilen.
- 1 –
- Originalsprache: Spanisch.
- 2 –
- Verordnung des Rates vom 27. Juli 1994 (ABl. L 227, S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2506/95 des Rates vom 25.
Oktober 1995 (ABl. L 258, S. 3). Die Änderungen berühren nicht den Inhalt der Bestimmungen, die in diesem Vorabentscheidungsverfahren
ausgelegt werden sollen.
- 3 –
- Verordnung der Kommission vom 24. Juli 1995 (ABl. L 173, S. 14). Die Kommission hat bei zwei weiteren Gelegenheiten Durchführungsbestimmungen
erlassen. Es handelt sich um die Verordnung (EG) Nr. 1238/95 vom 31. Mai 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94
des Rates im Hinblick auf die an das Gemeinschaftliche Sortenamt zu entrichtenden Gebühren (ABl. L 121, S. 31) und die Verordnung
(EG) Nr. 1239/95 vom 31. Mai 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates im Hinblick auf das Verfahren
vor dem Gemeinschaftlichen Sortenamt (ABl. L 121, S. 37).
- 4 –
- Auf eine Frage hin, die ihm in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
des Ausgangsverfahrens dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sowohl die Gesellschafter der Klägerin als auch die des Bundesverbandes
Deutscher Pflanzenzüchter Inhaber von Sortenschutzrechten seien.
- 5 –
- Beschluss vom 4. Februar 2000 in der Rechtssache C‑17/98 (Slg. 2000, I‑675).
- 6 –
- Rechtssache Schulin, bereits zitiert.
- 7 –
- Vgl. meine Schlussanträge vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑466/00 (Arben Kaba, Nrn. 108 und 109).
- 8 –
- In der Antwort auf die Frage, die ich ihm in der mündlichen Verhandlung gestellt habe, hat der Prozessbevollmächtigte der
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH eingeräumt, dass die Erhebung einer Klage, der Versuch der späteren Klagerücknahme und die
Aufrechterhaltung ähnlicher Klagen in anderen Verfahren auf eine „Strategie“ zurückzuführen seien, die eingefädelt worden
sei, um auf die Schlussanträge des Generalanwalts erwidern zu können.
- 9 –
- Wenn sich der Gesetzgeber bei diesen Voraussetzungen auf die Gesamtheit aller Landwirte der Gemeinschaft hätte beziehen wollen,
hätte er dies gesondert angeben und darlegen müssen, dass alle von der Auskunftspflicht gegenüber den Sortenschutzinhabern
betroffen sind, unabhängig davon, ob sie in ihrem Betrieb zertifiziertes Saatgut einer der landwirtschaftlichen Pflanzensorten
der Liste nach Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2100/94 angebaut haben. Jedenfalls gibt es eher allumfassende Formulierungen
als „los agricultores“, die der Gesetzgeber hätte verwenden können, wie z. B. „todos los agricultores“, „cualquier agricultor“,
„tous les agriculteurs“, „l’ensemble des agriculteurs“, „chaque agriculteur“, „all farmers“, „every farmer“, „alle Landwirte“
oder „jeder Landwirt“.
- 10 –
- Urteil vom 18. Mai 2000 in der Rechtssache C‑301/98 (KVS International, Slg. 2000, I‑3583, Randnr. 21). Vgl. ebenfalls die
Urteile vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/82 (Merck, Slg. 1983, 3781, Randnr. 12) und vom 14. Oktober 1999 in der
Rechtssache C‑223/98 (Adidas, Slg. 1999, I‑7081, Randnr. 23).
- 11 –
- Kiewiet, B. P., Präsident des Gemeinschaftlichen Sortenschutzamtes, hat in seinem in Einbeck am 26. Januar 2001 gehaltenen
Vortrag über Modern Plant Breeding and Intellectual Property Rights, S. 2, ausgeführt: „Taking action against farmers who are not prepared to pay involves considerable expense (not least legal
costs) and is made even more difficult by the lack of adequate information about the extent of the use of seed from protected
varieties at individual farm level“. Veröffentlicht unter www.cpvo.fr/e/articles ocvv/speech bk/pdf.