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Document 62000CC0210

Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 27. November 2001.
Käserei Champignon Hofmeister GmbH & Co. KG gegen Hauptzollamt Hamburg-Jonas.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
Landwirtschaft - Ausfuhrerstattungen - Unrichtige Erklärung - Sanktion - Gültigkeit von Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 - Begriff der 'höheren Gewalt'.
Rechtssache C-210/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 I-06453

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2001:645

62000C0210

Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 27. November 2001. - Käserei Champignon Hofmeister GmbH & Co. KG gegen Hauptzollamt Hamburg-Jonas. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Landwirtschaft - Ausfuhrerstattungen - Unrichtige Erklärung - Sanktion - Gültigkeit von Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 - Begriff der 'höheren Gewalt'. - Rechtssache C-210/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-06453


Schlußanträge des Generalanwalts


I Vorbemerkung

1. Mit Beschluss vom 4. April 2000 hat der Bundesfinanzhof (Bundesrepublik Deutschland) dem Gerichtshof zwei Fragen bezüglich einer Sanktionsregelung im Bereich der Ausfuhrerstattungen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit der ersten Frage möchte er im Wesentlichen wissen, ob die Sanktionsregelung, wonach die tatsächlich gewährte Erstattung im Falle eines unbeabsichtigten Auseinanderfallens zwischen beantragter Erstattung und tatsächlich geschuldeter Erstattung um einen Betrag in Höhe der Hälfte dieses Unterschieds gemindert wird, insoferne ungültig sein könnte, als sie nicht an das eigene Verschulden des Ausführers knüpft. Mit der zweiten Frage, die für den Fall gestellt wird, dass die Sanktionsregelung Bestand hat, möchte das vorlegende Gericht wissen, wie der in der Sanktionsregelung verwendete Begriff höhere Gewalt" auszulegen ist.

II Der maßgebliche rechtliche Rahmen

2. Artikel 11 Absatz 1 Unterabsätze 1, 3, 4 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2. Dezember 1994 (in der Folge nur mehr: Verordnung Nr. 3665/87) bestimmt auszugsweise:

(1) Wird festgestellt, dass ein Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Erstattung beantragt hat, so entspricht die für die betreffende Ausfuhr geschuldete Erstattung der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung, vermindert um einen Betrag in Höhe

a) des halben Unterschieds zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung,

b) des doppelten Unterschieds zwischen der beantragten und der geltenden Erstattung, wenn der Ausführer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat ...

Die unter Buchstabe a) genannte Sanktion entfällt:

im Falle höherer Gewalt, ...

Ergibt sich aus der unter den Buchstaben a) oder b) genannten Verminderung ein Negativbetrag, so hat der Ausführer diesen Betrag zu zahlen. ...

Die Sanktionen finden unbeschadet zusätzlicher Sanktionen Anwendung, die nach dem Landesrecht gelten."

3. Der erste, zweite und dritte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2945/94 lautet:

Nach der geltenden Gemeinschaftsregelung werden Ausfuhrerstattungen einzig und allein anhand objektiver Kriterien gewährt, die insbesondere Quantität, Art und Merkmale des Ausfuhrerzeugnisses sowie seine geographische Bestimmung betreffen. Da aufgrund der bisherigen Erfahrungen insbesondere zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehende Unregelmäßigkeiten und Betrugsfälle stärker bekämpft werden sollten, müssen zu Unrecht gezahlte Beträge zurückgefordert und Sanktionen vorgesehen werden, welche die Ausführer veranlassen, das Gemeinschaftsrecht einzuhalten.

Damit die Ausfuhrerstattungen ordnungsgemäß gewährt werden, müssen Sanktionen unabhängig vom Anteil subjektiver Schuld verhängt werden. Von der Verhängung einer Sanktion sollte jedoch insbesondere dann abgesehen werden, wenn es sich um einen offensichtlichen, von der zuständigen Behörde anerkannten Irrtum handelt. Vorsatz ist jedoch stärker zu ahnden.

Die Angaben eines Ausführers könnten, soferne der wahre Sachverhalt nicht erkannt wird, unrechtmäßige Zahlungen zur Folge haben. Wird der wahre Sachverhalt festgestellt, so erscheint es angemessen, den Ausführer nach Maßgabe des Betrags zu bestrafen, den er sonst zu Unrecht erhalten hätte. Bewusst falsche Angaben sollten billigerweise noch schärfer geahndet werden."

4. Die Artikel 4 und 5 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (in der Folge: Verordnung Nr. 2988/95) lauten:

Artikel 4

(1) Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils

durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;

durch vollständigen oder teilweisen Verlust der Sicherheit, die für einen Antrag auf Gewährung eines Vorteils oder bei Zahlung eines Vorschusses geleistet wurde.

(2) Die Anwendung der Maßnahmen nach Absatz 1 beschränkt sich auf den Entzug des erlangten Vorteils, zuzüglich falls dies vorgesehen ist der Zinsen, die pauschal festgelegt werden können.

(3) Handlungen, die nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zuwiderläuft, zum Ziel haben, indem künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils geschaffen werden, haben zur Folge, dass der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird.

(4) Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar.

Artikel 5

(1) Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, können zu folgenden verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen:

a) Zahlung einer Geldbuße;

b) Zahlung eines Betrags, der den rechtswidrig erhaltenen oder hinterzogenen Betrag, gegebenenfalls zuzüglich der Zinsen, übersteigt; dieser zusätzliche Betrag, der nach einem in den Einzelregelungen festzulegenden Prozentsatz zu bestimmen ist, darf die zur Abschreckung unbedingt erforderliche Höhe nicht übersteigen;

c) vollständiger oder teilweiser Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur einen Teil dieses Vorteils rechtswidrig erlangt hat;

d) Ausschluss von einem Vorteil oder Entzug eines Vorteils für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt;

e) vorübergehender Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Beihilfesystem erforderlich ist;

f) Verlust einer Sicherheit oder einer Garantie, die zur Gewährleistung der Erfuellung der Bedingungen einer Regelung geleistet wurde, oder Rückzahlung des Betrags einer ungerechtfertigterweise freigegebenen Sicherheit;

g) weitere ausschließlich wirtschaftliche Sanktionen gleichwertiger Art und Tragweite, wie sie in der vom Rat nach Maßgabe der sektorrelevanten Erfordernisse erlassenen sektorbezogenen Regelungen vorgesehen sind, unter Einhaltung der der Kommission vom Rat übertragenen Durchführungsbefugnisse.

(2) Unbeschadet der Bestimmungen der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehenden sektorbezogenen Regelungen können bei sonstigen Unregelmäßigkeiten nur die in Absatz 1 aufgeführten Sanktionen, die nicht einer strafrechtlichen Sanktion gleichgestellt werden können, verhängt werden, sofern derartige Sanktionen für die korrekte Anwendung der Regelung unerlässlich sind."

III Sachverhalt und Verfahren

5. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Käserei Champignon Hofmeister GmbH & Co. KG (in der Folge: Klägerin) führte 1996 Schmelzkäse mit Ausfuhranmeldung unter der Marktordnungs-Warenlistennummer 0406 3039 9500 aus und erhielt dafür auf ihren Antrag vom Hauptzollamt Hamburg-Jonas (in der Folge: der Beklagte) Ausfuhrerstattung in Höhe von rund 30 000 DM als Vorschuss. Die Untersuchung einer der Warensendung bei der Ausfuhr entnommenen Probe ergab, dass die Ware Pflanzenfett enthielt und als Lebensmittelzubereitung der Marktordnungs-Warenlistennummer 2106 9098 0000 zuzuweisen gewesen wäre.

6. Die Klägerin trägt in ihren Erklärungen vor, dass die nach Entdeckung des Pflanzenfetts von ihr bei ihrem Lieferanten veranlassten Ermittlungen ergeben hätten, dass der für das Schmelzwerk zuständige Technische Leiter dem in der Zeit vom 22. Januar bis 5. August 1996 produzierten Schmelzkäse Pflanzenfett zugesetzt habe. Der Technische Leiter habe dies veranlasst, weil Pflanzenfett die Geschmackskomponente des Schmelzkäses verbessere und er sich hierzu aufgrund von § 1 Absatz 4 Ziffer 3 der deutschen Käseverordnung für berechtigt gehalten habe. Weder die Leitung der Herstellerfirma noch die verantwortlichen Personen der Klägerin hätten mit einem solchen Fehlverhalten eines verantwortlichen Technischen Leiters rechnen können.

7. Da die Ware nicht unter Anhang II des Vertrages fiel und die Klägerin die deshalb für die Gewährung der Ausfuhrerstattung erforderliche Herstellererklärung über die Zusammensetzung der Ware nach Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1222/94 nicht abgegeben hatte, forderte der Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid die gewährte Ausfuhrerstattung zuzüglich 15 % zurück.

8. Mit weiterem, im Ausgangsverfahren streitigem Bescheid verlangte der Beklagte von der Klägerin die Zahlung einer Sanktion gemäß Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 3665/87.

9. Gemäß dem Bundesfinanzhof wurde die von der Klägerin wegen des Sanktionsbetrages erhobene Klage vom Finanzgericht abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.

10. Vor dem Bundesfinanzhof machte die Klägerin geltend, Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 gelte nicht, weil er gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Diskriminierungsverbot verstoße. Hierzu trägt der Bundesfinanzhof eine Reihe von Überlegungen vor. Hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass sie sich in einer Situation höherer Gewalt im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Spiegelstrich der Verordnung Nr. 3665/87 befunden habe.

11. Der Bundesfinanzhof stellt zunächst fest, dass der Tatbestand des Artikels 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 erfuellt sei. Der Beklagte müsse die Sanktion verhängen, soferne nicht die Voraussetzungen erfuellt seien, unter denen die in dieser Bestimmung geregelte Sanktion entfalle.

12. Der Bundesfinanzhof ist jedoch der Auffassung, dass die nicht vertragsgemäße Beschaffenheit (bzw. eine Beschaffenheit, die den vom Ausführer stillschweigend als selbstverständlich unterstellten Anforderungen nicht genüge) einer von einem Dritten hergestellten Ware für den Ausführer keinen Fall höherer Gewalt im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Gedankenstrich darstelle. So habe der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff der höheren Gewalt die Nichterfuellung vertraglicher Pflichten eines Geschäftspartners des Ausführers nicht als ein unvorhersehbares und ungewöhnliches Ereignis gewertet, sondern von dem Marktteilnehmer verlangt, geeignete Vorkehrungen gegen ein solches Verhalten zu treffen, indem er entsprechende Klauseln in den Vertrag mit seinem Geschäftspartner aufnehme oder eine besondere Versicherung abschließe. Der Gerichtshof habe höhere Gewalt nicht einmal bei einem betrügerischen Verhalten des Vertragspartners des Exporteurs anerkannt.

13. Außerdem ist der Bundesfinanzhof der Auffassung, dass ein Fall des Artikels 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 dritter Gedankenstrich, d. h. ein offensichtlicher, von der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der beantragten Erstattung anerkannter Irrtum, ebenso wenig gegeben sei.

14. Der Bundesfinanzhof hat sodann geprüft, ob die Gemeinschaftsvorschrift den Grundrechten zuwiderlaufe, und dies verneint, weil es sich nicht um eine Strafe" handle und weder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch das Diskriminierungsverbot missachtet werde.

15. Ziel des Artikels 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 sei es, dem Ausführer einen finanziellen Nachteil aufzuerlegen, um ihn davon abzuschrecken, künftig falsche Angaben bei der Beantragung von Ausfuhrerstattungen zu machen und dadurch die finanziellen Interessen der Gemeinschaft und die rechtmäßige Durchführung der Regelung der betroffenen gemeinsamen Marktorganisationen zu gefährden. Das bloße Ziel der Abschreckung (Prävention) sei ein völlig anderes als das mit einer Strafsanktion verfolgte Ziel, gesellschaftlich-ethischer Missbilligung Ausdruck zu geben.

16. Eine Strafe setze eine subjektive Schuld voraus, und die Höhe der Strafsanktion sei von der individuellen Vorwerfbarkeit des strafbaren Handelns abhängig. Das gelte nicht für Artikel 11 Absatz 1, wo die Verhängung einer Sanktion von einem persönlichen Verschulden des Erstattungsantragstellers unabhängig sei. Die Verminderung der Erstattung stelle keine Brandmarkung eines ihm persönlich vorzuwerfenden Rechtsverstoßes dar, sondern deren bloße Androhung solle vielmehr diesem Rechtverstoß entgegenwirken.

17. Die Tatsache, dass in den Erwägungsgründen von einer Bestrafung" des Ausführers die Rede sei, sei unerheblich, denn der Begriff Strafe" könne auch in einem weiteren, gleichsam untechnischen Sinne gemeint sein.

18. In Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 seien verwaltungsrechtliche Sanktionen nur für den Fall vorgesehen, dass Unregelmäßigkeiten vorsätzlich oder fahrlässig verursacht würden. Nach Artikel 5 Absatz 2 dieser Verordnung würden allerdings Sanktionen unbeschadet der Bestimmungen der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehenden sektorbezogenen Regelungen", zu denen die hier strittige Sanktionsregelung gehöre, eingeführt.

19. Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 verstoße im Übrigen nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ein solcher Verstoß könne sich nicht daraus ergeben, dass sich die Sanktionsdrohung auch gegen einen redlichen und umsichtigen Exporteur richte, weil es dem Exporteur völlig freistehe, sich im Exporthandel mit durch Ausfuhrerstattungen subventionierten Marktordnungswaren wirtschaftlich zu betätigen. Entschließe er sich um seines eigenen Vorteils willen, an einem System öffentlicher Leistungen teilzuhaben, sei er gezwungen, sich den hierzu aufgestellten Regeln, zu denen die streitige Sanktion gehöre, zu unterwerfen. Die Tatsache, dass dadurch der Zollbehörde u. a. der oftmals nicht leicht und eindeutig zu führende Nachweis fahrlässigen Handelns des Exporteurs erspart werde und dadurch die Verwaltung der Ausfuhrerstattungen vereinfacht werde, spreche ebenfalls für die Auslegung des Artikels 11 Absatz 1 als verschuldensunabhängige Verminderung der Erstattung. Die Sanktion sei im Hinblick auf das verfolgte Ziel und in Anbetracht der großen Anzahl schwer aufdeckbarer falscher Angaben weder unangemessen noch verstoße sie gegen das Übermaßverbot.

20. Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 missachte auch nicht das Diskriminierungsverbot. Da er keine verschuldensabhängige Sanktion mit Strafcharakter verhänge, seien Form und Ausmaß des Verschuldens des Erstattungsantragstellers bzw. das gänzliche Fehlen persönlichen Verschuldens kein in der Natur der Sache liegendes Differenzierungskriterium für die Höhe der Sanktion.

21. Da der Bundesfinanzhof die Antwort auf die Frage der Gültigkeit des Artikels 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 nicht für offenkundig hält, hat er beschlossen, den Gerichtshof dazu zu befragen.

22. In Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Auslegung zweier Urteile des Gerichtshofes über die Voraussetzungen, unter denen Exporteure ihre Gutgläubigkeit geltend machen könnten, hat der Bundesfinanzhof auch die Vorlage der zweiten Frage für erforderlich gehalten:

1. Ist Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 gültig, soweit er eine Sanktion vorsieht, auch wenn der Ausführer ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat?

2. Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist:

Kann Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Spiegelstrich der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 dahin ausgelegt werden, dass gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Erstattungsantragstellers grundsätzlich ein Fall höherer Gewalt sind, wenn dieser sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch erkennen konnte?

IV Erste Frage: Gültigkeit von Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens

23. Die Klägerin im Ausgangsverfahren sieht in dieser Vorschrift einen Verstoß gegen die dem Rechtsstaatsprinzip entspringenden Grundsätze des Strafrechts, und zwar gegen den Grundsatz Nulla poena sine culpa" (keine Strafe ohne Schuld"), gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und gegen das Diskriminierungsverbot.

A Zum Grundsatz Nulla poena sine culpa"

1. Vorbringen der Beteiligten

24. Die Klägerin macht zunächst geltend, die in der genannten Bestimmung vorgesehene Sanktion habe Strafcharakter. Anschließend untersucht sie die Anwendung des Grundsatzes nulla poena sine culpa im Recht der Mitgliedstaaten, im Rahmen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie im Gemeinschaftsrecht und kommt zu dem Ergebnis, dass das Verschuldensprinzip zu den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen zählt.

25. Die Kommission teilt hingegen die Auffassung des Bundesfinanzhofs und beschränkt sich auf diese Auffassung ergänzende Ausführungen. Sie trägt vor, soweit die strittige Sanktion verwaltungsrechtlicher Natur sei, finde der Grundsatz nulla poena sine culpa keine Anwendung und verstoße weiters insoweit nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, als die Haftung des Ausführers von dessen Verschulden unabhängig sei.

2. Würdigung

26. Das Vorbringen der Klägerin erfordert eine Auseinandersetzung mit der Rechtsnatur der in Rede stehenden Sanktion (a). Sollte sie keine Sanktion mit Strafcharakter darstellen, wäre zu untersuchen, ob das Verschuldensprinzip überhaupt Geltung beanspruchen kann (b).

a) Rechtsnatur der in Rede stehenden Sanktion

Sanktion mit Strafcharakter?

27. Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 sieht im Wesentlichen die Minderung des Erstattungsanspruchs bis hin zur Zahlung eines Geldbetrags entsprechend der Höhe des Unterschieds zwischen beantragter und tatsächlich geschuldeter Erstattung vor. Diese Regelung findet unabhängig etwaiger Rückforderungen Anwendung und berücksichtigt nicht die Höhe des aufgrund der Unrichtigkeit des Erstattungsantrags allenfalls eingetretenen Schadens. Zutreffend ist, wie die Klägerin hervorhebt, dass eine solche Regelung nicht die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands, die Wiedergutmachung eines Schadens bzw. die Beseitigung der Folgen unrechtmäßigen Handelns im Auge hat, sondern sich vielmehr darauf beschränkt, dem Ausführer bei Unrichtigkeit des Erstattungsantrags einen finanziellen Nachteil aufzuerlegen.

28. Richtig ist auch, dass die in Rede stehende Regelung keine Abschöpfung eines kostenlosen Kredits beinhalte, wie dies etwa beim Verfall einer Sicherheit der Fall sein kann. Nach der Ausfuhrerstattungsregelung ist es nämlich der Ausführer, der die Ausfuhrerstattung bis zur Zahlung durch die Erstattungsstelle vorfinanziert.

29. Daraus folgt aber noch nicht der Charakter der Sanktion von Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87.

30. Zunächst ist allgemein zu bemerken, dass die Gemeinschaft für den Erlass von strafrechtlichen Sanktionen grundsätzlich nicht zuständig ist. Der Erlass einer solchen Sanktion bei Nichteinhaltung von Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht bleibt gegebenenfalls den Mitgliedstaaten vorbehalten.

31. Ihrem spezifischen Zweck nach kann die in Rede stehende Regelung aber insoferne prinzipiell als Sanktion qualifiziert werden, als sie die Unrichtigkeit des Antragsinhalts mit einem finanziellen Nachteil verknüpft. Aus dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2945/94 ergibt sich allerdings, dass diese Sanktion vor allem präventiven Charakter hat: Sie soll ... die Ausführer veranlassen, das Gemeinschaftsrecht einzuhalten". Der Strafzweck tritt, wenn überhaupt vorhanden, eindeutig dahinter zurück.

32. Auch Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 stellt einen deutlichen Zusammenhang her zwischen den dort aufgelisteten verwaltungsrechtlichen Sanktionen, insbesondere der Zahlung eines Betrags, der den rechtswidrig erhaltenen oder hinterzogenen Betrag ... übersteigt" (Buchstabe b) und deren präventivem Charakter: Die Sanktionen dürfen nämlich nicht die zur Abschreckung unbedingt erforderliche Höhe" übersteigen.

33. Das vorlegende Gericht weist hier zu Recht darauf hin, dass Generalanwalt Jacobs zum Begriff der Strafsanktion in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache C-240/90 ausgeführt hat, aus der Abschreckungsfunktion von Strafsanktionen könne nicht gefolgert werden, dass jede Sanktion mit Abschreckungszweck eine Strafsanktion darstellt, weil der Zweck einer Strafsanktion über die schlichte Abschreckung hinausgehe; er umfasse eine gesellschaftliche Missbilligung.

34. Die in Rede stehende Sanktion bringt jedenfalls keine solche gesellschaftliche Missbilligung zum Ausdruck. Daher ist es auch nur folgerichtig, dass ihre Höhe nur insoweit vom Schuldvorwurf abhängt, als zwischen vorsätzlichem Verstoß und sonstigen Fällen unterschieden wird. Daran ändert auch nichts, dass die deutsche Fassung des dritten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 2945/94 den Begriff bestrafen" verwendet. Dies geschieht offenbar in einem untechnischen Sinn, wie sich bereits aus anderen sprachlichen Fassungen ergibt.

35. Schließlich ist auch zu bemerken, dass die in Rede stehende Sanktion, anders als Strafsanktionen, keinen persönlichen Charakter hat, da es dem Ausführer unbenommen bleibt, die Last der Sanktion durch entsprechende Vereinbarung mit beteiligten Dritten, wie z. B. im Ausgangsfall mit dem Hersteller, im Regresswege weiterzugeben.

36. Insoferne also die in Rede stehende Sanktion vorrangig eine Abschreckungsfunktion erfuellt und keine gesellschaftlich-ethische Missbilligung zum Ausdruck bringt, kann ihr Strafcharakter ausgeschlossen werden.

Sanktion mit verwaltungsrechtlichem Charakter?

37. Generalanwalt Saggio bemerkte, dass ... der Gerichtshof es niemals für erforderlich gehalten hat, die Rechtsnatur der Sanktionsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften genau zu definieren, wobei er es vermieden hat, sich in der Sache mit der Unterscheidung zwischen Verwaltungssanktion und Strafsanktionen zu befassen."

38. Angesichts der Anführung der verwaltungsrechtlichen Sanktionen in Artikel 5 der Verordnung Nr. 2988/95 ergibt sich keine Notwendigkeit einer positiven Definition verwaltungsrechtlicher Sanktionen durch die Rechtsprechung. Es ist lediglich hervorzuheben, dass die in Rede stehende Sanktion zwar im Wesentlichen der Sanktion nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b dieser Verordnung entspricht, sich jedoch insoferne von ihr unterscheidet, als sie sich entweder in einer Kürzung des Erstattungsanspruches oder in einer Zahlungspflicht niederschlagen kann.

39. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Höhe der in Rede stehenden Sanktion ohne Auswirkung auf ihre Rechtsnatur. Eine solche Ansicht kann sich auch nicht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stützen, wonach ... il importe d'abord de savoir si le texte définissant l'infraction en cause ressortit ou non au droit pénal d'après la technique juridique de l'Etat défendeur; il y a lieu d'examiner ensuite, eu égard à l'objet et au but de l'article 6 (art. 6), au sens ordinaire de ses termes et au droit des Etats contractants, la nature de l'infraction ainsi que la nature et le degré de gravité de la sanction que risquait de subir l'intéressé" (unsere Hervorhebung). Der degré de gravité" stellt offenbar darauf ab, ob die Sanktion empfindlich ist ihre Höhe spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Diese Vorgehensweise erklärt sich durch die Notwendigkeit, dem Artikel 6 EMRK einen Schutzzweck über die Abgrenzungen der nationalen Rechtsordnungen hinweg zu verleihen.

40. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist u. a. dazu aufgerufen, die Gültigkeit einer Sanktionsregelung prinzipiell in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen. Dementsprechend kann die Rechtsnatur einer Sanktion im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik nicht von deren Höhe abhängig sein: Entscheidend ist vielmehr, wie die Kommission zutreffend unterstreicht, die Zielsetzung der Sanktion und der Gesamtzusammenhang, in den sie eingebettet ist.

41. Im Gesamtzusammenhang gesehen, stellt der Ausführer weniger einen Normunterworfenen dar, der im Falle einer Unrichtigkeit des Erstattungsantrags die Missbilligung seines Fehlverhaltens erfährt, als einen Partner in der Leistungsverwaltung, der durch die Androhung einer Sanktion zur Einhaltung seiner besonderen Pflichten im Hinblick auf die Gewährung der Ausfuhrerstattungen angehalten werden soll. Vor diesem Hintergrund bildet die in Rede stehende Sanktionsregelung die rechtliche Folge seiner Garantenstellung bezüglich der Richtigkeit des Erstattungsantrags, die eher mit dem zivilrechtlichen Institut der Vertragsstrafe als mit einer Strafsanktion vergleichbar scheint. Das vorlegende Gericht unterstreicht hier nämlich zu Recht die Freiwilligkeit der Teilnahme am Ausfuhrerstattungssystem.

42. Der Ausschluss des Strafcharakters einer Sanktion führt auch nicht dazu, dass der Normunterworfene ohne Rechtsschutz bleibt: Nach ständiger Rechtsprechung darf eine Sanktion, selbst wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter besitzt, nur dann verhängt werden, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruht. Außerdem gehören, wie der Gerichtshof stets hervorgehoben hat, die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Schließlich müssen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nach ständiger Rechtsprechung ... im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen, ...".

43. Nach alledem, insbesondere auch im Hinblick auf ihren vorrangig präventiven Charakter, ist die betreffende Regelung wohl als Sanktion mit verwaltungsrechtlichem Charakter zu qualifizieren. Fraglich ist, ob das Verschuldensprinzip auf solche Sanktionen anzuwenden ist.

b) Das Verschuldensprinzip als allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz?

44. Ungeachtet der Rechtsnatur der in Rede stehenden Sanktionsregelung wird von der Klägerin geltend gemacht, dass die Anwendbarkeit des Verschuldensprinzips auf Verwaltungssanktionen einen allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz darstellt. Dies ergebe sich sowohl aus einer gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten, als auch aus den Grundrechten, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe.

45. Nachfolgend wird daher untersucht, ob die Geltung des Verschuldensprinzips sich aus einer allfälligen gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten, aus einer Inkorporation der durch die EMRK gewährleisteten Rechte gemäß Artikel 6 Absatz 2 EU oder aber unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt.

Eine gemeinsame Rechtstradition der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Geltung des Verschuldensprinzips?

46. Aus einer Gegenüberstellung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, wie sie in der schriftlichen Stellungnahme der Klägerin vorgenommen wurde, geht zunächst insbesondere hervor, dass die Abgrenzung zwischen Straf- und Verwaltungssanktionen fließend ist.

47. Die Grundsätze des Strafrechts, zu denen das Verschuldensprinzip unbestritten gehört, finden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dementsprechend einen unterschiedlichen Anwendungsumfang. Je enger der Bereich der reinen Verwaltungssanktionen und damit je breiter der Bereich der Strafsanktionen ist, desto deutlicher ist die Abgrenzung zwischen Straf- und Verwaltungssanktionen hinsichtlich deren rechtlicher Behandlung.

48. Auch die Tragweite des Verschuldensprinzips erscheint nicht einheitlich. Bei Strafsanktionen, die eine geringe gesellschaftliche Missbilligung zum Ausdruck bringen, kann die Verhaltenspflicht so ausgestaltet sein, dass die individuelle Vorwerfbarkeit bereits durch ihre bloße Nichtbeachtung indiziert wird. Zudem gibt die Klägerin in ihrer schriftlichen Stellungnahme selbst zu, dass Entlastungsmöglichkeiten bei objektiven Sanktionstatbeständen zu ähnlichen Ergebnissen führen können wie eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr.

49. Es erscheint daher nicht möglich, eine allgemeine Geltung des Verschuldensprinzips auf Sanktionen mit verwaltungsrechtlichem Charakter aus den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten abzuleiten.

Berührung des Artikels 6 Absatz 2 EMRK?

50. Unbestritten ist die Anwendung der Garantien des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention darunter insbesondere die Unschuldsvermutung nach Absatz 2 auf strafrechtliche Anklagen. Es ergibt sich bereits aus dem Schutzzweck dieser Bestimmung, dass der Begriff der Straftat autonom ohne Rücksicht auf die Kategorien nationalen Rechts auszulegen ist.

51. Aus der zitierten Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Behandlung des Zuschlags als Sanktion kann daher nicht hergeleitet werden, dass das Verschuldensprinzip auf sämtliche Verwaltungssanktionen anzuwenden ist. Soweit steuerrechtliche Zuschläge bei unrichtigen Angaben als strafrechtliche Anklage im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 EMRK angesehen worden sind, wurde dies vom EGMR u. a. damit begründet, dass die betreffende Sanktion zur Prävention und Repression verhängt werde.

52. Schließlich ist hervorzuheben, dass die Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 6 Absatz 2 EMRK die Ausgestaltung von Straftatbeständen im Sinne einer objektiven Haftung nicht schlechthin ausschließt, sondern lediglich unter Beachtung der Verteidigungsrechte einschränkt.

53. Dementsprechend lässt sich im Fall von Sanktionen mit verwaltungsrechtlichem Charakter die Anerkennung des Verschuldensprinzips als allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz nicht aus Artikel 6 Absatz 2 EU in Verbindung mit der EMRK herleiten.

Verschuldensprinzip als allgemeiner Grundsatz nach der Verordnung Nr. 2988/95?

54. Nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 können Unregelmäßigkeiten nur dann zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurden. Die Klägerin sieht auch darin die Anerkennung des Verschuldensprinzips im Gemeinschaftsrecht, und zwar sowohl im Hinblick auf Sanktionen mit repressivem als auch mit präventivem Charakter.

55. Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 bleiben sektorenbezogene Sanktionsvorschriften, die bereits vor ihrem Erlass in Kraft waren, von dem Grundsatz nach Absatz 1 unberührt. Die Klägerin hält diese Ausnahmeregelung im Hinblick auf die Geltung des Verschuldensprinzips deswegen für unbeachtlich, weil sie sich offenbar nur auf die Rechtsfolgenseite beziehe, d. h. auf den Inhalt der zu verhängenden Sanktion, nicht aber auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Sanktionsverhängung.

56. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Bereits der Wortlaut des Artikels 5 Absatz 2 lässt bei der Verwendung des Ausdrucks sektorenbezogene Sanktionsvorschrift" keinen Raum für eine Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge der Sanktionsregelung.

57. Im Übrigen ist nach dem Wortlaut des Artikels 5 der Verordnung Nr. 2988/95 zwischen Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, einerseits (Absatz 1) und sonstigen Unregelmäßigkeiten andererseits (Absatz 2) also wohl solchen, die nicht schuldhaft verursacht wurden, zu unterscheiden. Ob Artikel 5 der Verordnung Nr. 2988/95 das Verschuldensprinzip als allgemeinen Grundsatz anerkennt, erscheint daher zumindest fraglich.

58. Folglich kann eine uneingeschränkte Geltung des Verschuldensprinzips auch aus der Verordnung Nr. 2988/95 nicht abgeleitet werden.

59. Aus alledem ist zu schließen, dass Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87, soweit er eine Sanktion mit jedenfalls überwiegend präventivem Zweck vorsieht, grundsätzlich dem Verschuldensprinzip nicht unterliegt.

B Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und zum Diskriminierungsverbot

60. Für die Beurteilung der Gültigkeit der in Rede stehenden Sanktionsregelung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens kommt es damit auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an.

61. Das Vorbringen der Klägerin zum Diskriminierungsverbot wird hiebei mitzubehandeln sein, da es sich der Sache nach mit dem Vorbringen zur angeblichen Unangemessenheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung deckt.

1. Vorbringen der Beteiligten

62. Die Klägerin trägt vor, die in Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 vorgesehene Sanktion sei zur Erreichung des verfolgten Zweckes nicht geeignet, sie sei nicht erforderlich und widerspreche dem Erfordernis der Angemessenheit, das im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sei. Da ihre Argumente zur Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung sich zum Teil wiederholen, sind diese zusammenfassend wiederzugeben.

63. Die Klägerin betont zunächst, dass Ausfuhrerstattungen kein eigener Vorteil des Ausführers seien, den dieser aus freien Stücken anstrebe. Mit der Ausfuhrerstattung werde dem Ausführer die finanzielle Leistung zurückgegeben, mit der er durch Zahlung des Kaufpreises bei Erwerb der Erstattungsware das landwirtschaftliche Preisstützungssystem finanziere. Insoferne bedeute die Rückforderung einer Ausfuhrerstattung für ihn einen tatsächlichen finanziellen Verlust.

64. Die Klägerin macht weiters geltend, dass Erstattungserzeugnisse nach den Modalitäten des Zollrechts anzumelden seien. Dabei gehe die Anmeldung mit Unsicherheiten einher, da der Ausführer insbesondere juristische Wertungen vorzunehmen habe. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Zollrecht habe aber anerkannt, dass der Ausführer seine Pflicht zur Abgabe einer zutreffenden Zollanmeldung auch dann erfuellt habe, wenn er gegenüber der Zollverwaltung gutgläubig unrichtige oder unvollständige Angaben mache, soferne er vernünftigerweise nur diese habe kennen oder sich habe beschaffen können.

65. Daraus glaubt die Klägerin herleiten zu können, dass die Sanktion nach Artikel 11 Absatz 1 weder geeignet noch erforderlich sei, um ihren Zweck nämlich den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu erreichen. Eine Rückforderung der Ausfuhrerstattung reiche aus. Im Übrigen berücksichtige die Regelung nicht, dass die Pflicht zur Abgabe einer inhaltlich richtigen Erklärung nicht schrankenlos sei. Ergänzend trägt der Ausführer im Hinblick auf die Erforderlichkeit vor, dass der Verordnung Nr. 2988/85 zu entnehmen sei, dass die finanziellen Interessen der Gemeinschaft durch schuldabhängige Sanktionen hinreichend geschützt seien, zumal Sanktionen auf nationaler Ebene ebenfalls vorhanden seien.

66. Im Hinblick auf die Angemessenheit trägt die Klägerin zusätzlich vor, dass eine Sanktion nach Artikel 11 Absatz 1 ohne Rücksicht darauf, ob überhaupt ein Schaden entstanden sei oder ob der Ausführer das Fehlverhalten hätte vermeiden können, verhängt werden könne. Aus der fehlenden Differenzierung zwischen schuldlosem und fahrlässigem und damit schuldhaftem Verhalten will die Klägerin weiters einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot herleiten.

67. Aus alledem hält die Klägerin die Sanktion für unvereinbar mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und mit dem Diskriminierungsverbot.

68. Die Kommission hält demgegenüber eine schlichte Rückforderung der Ausfuhrerstattungen im Falle einer Unrichtigkeit für nicht hinreichend abschreckend. Sie betont, dass die Sanktionshöhe entsprechend der dem Ausführer zu Unrecht gewährten Leistung berechnet werde. Sie weist schließlich auf den weiten Ermessensspielraums des Gemeinschaftsgesetzgebers im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik hin. Von einer offensichtlichen Ungeeignetheit der Regelung oder von einer offensichtlichen Überschreitung der Grenzen ihres Ermessens könne aber im betreffenden Fall keine Rede sein.

2. Würdigung

69. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Feststellung, ob eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Agrarmarktorganisationen zu prüfen, ob die Sanktion die Grenzen dessen überschreitet, was für die Erreichung des mit der verletzten Regelung verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist".

70. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Sanktion, die mit der streitigen Vorschrift zur Erreichung des verfolgten Zweckes eingesetzt wird, der Bedeutung dieses Zweckes entspricht und ob die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen".

Geeignetheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung

71. Im Hinblick auf die Geeignetheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung ist zunächst daran zu erinnern, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Beurteilung, welche Mittel zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zieles anzuwenden sind, über ein großes Maß an Freiheit verfügt. Der Gerichtshof hat zur Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeführt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der gemeinsamen Agrarpolitik über ein Ermessen verfügt, das den politischen Aufgaben entspricht, die ihm die Artikel 40 (nach Änderung jetzt Artikel 34 EG) und 43 EG-Vertrag übertragen. Eine auf diesem Gebiet erlassene Maßnahme ist aber nur dann rechtswidrig, wenn sie im Verhältnis zu dem vom zuständigen Organ verfolgten Zweck offenkundig unangemessen ist.

72. Der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ist ein legitimer Zweck, den die Kommission durch die in Rede stehende Sanktionsregelung verfolgt. Die Verhängung einer Sanktion finanzieller Art im Falle der Unrichtigkeit des Erstattungsantrags ist geeignet, den Antragsteller nicht nur von absichtlich falschen Erklärungen abzuhalten, sondern ihn dabei auch zur größtmöglichen Sorgfalt zu bewegen.

73. Der Klägerin ist es nicht gelungen, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission bei der Wahl der in Rede stehenden Sanktion im Hinblick auf den verfolgten Zweck des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft aufzuzeigen.

Erforderlichkeit der in Rede stehenden Sanktionsregelung

74. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit geht es im Wesentlichen um die Frage, ob zur Erreichung des angestrebten Zweckes eine mildere Maßnahme mit gleicher Wirkung in Betracht kommen könnte.

75. Die Klägerin geht jedenfalls nicht Recht in der Annahme, dass die bloße Rückforderung von rechtsgrundlos geleisteten Erstattungen ausreichen würde. Die Klägerin bemerkt zwar nicht zu Unrecht, dass Ausfuhrerstattungen insoferne nicht mit direkten Beihilfen verglichen werden können, als die Landwirte und nicht die Ausführer durch ihre Gewährung letztlich begünstigt werden. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Rückforderung einer Ausfuhrerstattung die gleiche abschreckende Wirkung wie die in Rede stehende Sanktionsregelung hätte. Zum einen hat die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Ausfuhrerstattung nicht die Versagung jeglicher Ausfuhrerstattung zur Folge; vor diesem Hintergrund wäre letztere Maßnahme im Falle einer Unrichtigkeit im Erstattungsantrag oft eine einschneidendere Maßnahme als die in Rede stehende Sanktionsregelung. Zum anderen ist zu bemerken, dass, wie die Kommission dies zu Recht betont hat, die Rückforderung insoferne nicht abschreckend ist, als sie sich darauf beschränkt, den Betrag der Ausfuhrerstattung auf den geschuldeten Betrag zu reduzieren. Schließlich ist zu bemerken, dass dem Ausführer aufgrund der Vorfinanzierung zwar im Falle der Rückforderung ein Zinsverlust entstehen kann, dieser Verlust wird jedoch anzunehmenderweise geringer ausfallen, als die Gewinnchance bei einem unaufgedeckten überhöhten Erstattungsantrag, sodass die Möglichkeit alleine eines Zinsverlusts vor unrichtigen Angaben kaum abschrecken dürfte.

76. Auch der Hinweis auf Artikel 5 der Verordnung Nr. 2988/95 geht fehl. Dieser Vorschrift ist, wie bereits dargelegt, nämlich nicht zu entnehmen, dass die finanziellen Interessen der Gemeinschaft hinreichend durch verschuldensabhängige Sanktionen geschützt werden können.

77. Gegen die Erforderlichkeit der in Rede stehenden Sanktionsregelung spricht auch nicht, dass nicht auf den tatsächlich entstandenen Schaden abgestellt wird. Die Sanktion dient nämlich nicht der Ahndung von finanziellen Schäden, sondern vielmehr der Abschreckung: Es ist daher nur folgerichtig, dass lediglich auf die Gefährdung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft Bezug genommen wird.

78. Die in Rede stehende Sanktionsregelung erscheint demnach auch erforderlich zur Erreichung des genannten Zweckes.

Angemessenheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung

79. Zu prüfen ist schließlich, ob die Sanktionsregelung der Bedeutung des genannten Schutzzwecks entspricht und ob die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.

80. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die zu schützenden finanziellen Interessen der Gemeinschaft generell durch die Unrichtigkeit von Ausfuhrerstattungsanträgen gefährdet werden können, unabhängig davon, ob diese Unrichtigkeit auf ein persönliches Verschulden des Antragstellers zurückgeht oder nicht. Es erscheint daher zweckmäßig, den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft durch eine Gefährdungshaftung anzustreben. Dementsprechend erscheint es auf den ersten Blick nicht unangemessen, zwischen schuldloser und fahrlässiger Unrichtigkeit nicht zu unterscheiden.

81. Im Hinblick auf den Ausgangsfall liegt es auf der Hand, dass die finanziellen Interessen der Gemeinschaft grundsätzlich gleichermaßen durch ein nicht vom Ausführer vorgenommenes Verhalten und die daraus resultierende Unrichtigkeit seines Erstattungsantrags gefährdet werden, unabhängig davon, ob die betreffende Ware vom Ausführer selbst oder von einem Lieferanten desselben hergestellt wird.

82. Die Differenzierung zwischen Vorsatz und sonstigen Fällen auf der Rechtsfolgenseite (Sanktionshöhe) erscheint im Hinblick auf das diesbezüglich unterschiedliche Rechtsempfinden des Ausführers in beiden Fällen objektiv gerechtfertigt. Bereits daraus ergibt sich, dass ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ausscheidet.

83. Die Gültigkeit der Sanktionsregelung wird in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Voraussetzungen der Sanktionsverhängung insoweit erleichtert werden, als auf die Voraussetzung des Verschuldens und seines Nachweises verzichtet wird. Der effektive Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft kann nämlich Erleichterungen der Beweislast bis hin zum Verzicht auf die Verschuldensvoraussetzung gebieten.

84. Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der in Rede stehenden Sanktionsregelung könnten sich erst dann ergeben, wenn ihre Ausgestaltung mit dem Grundgedanken einer Gefährdungshaftung nicht mehr zu vereinbaren ist. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Sanktion auch dann zu verhängen wäre, wenn der Ausführer eine Gefährdung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft billigerweise nicht mehr zu vertreten hätte.

85. In diesem Zusammenhang weist die Klägerin wohl nicht zu Unrecht darauf hin, dass die Verhängung einer verschuldensunabhängigen Sanktion im Falle einer Unrichtigkeit im Erstattungsantrag dazu führt, die Pflicht zur fehlerfreien Erklärung objektiv zu gestalten, obwohl die Erklärung mit gewissen Unsicherheiten, die der Ausführer nicht beherrscht, einhergeht.

86. Dieser Aspekt ist in den Schlussanträgen von Generalanwalt Léger in der Rechtssache Oelmühle und Schmidt Söhne allerdings betreffend die Rückforderung nach nationalem Recht von zu Unrecht gewährten Beihilfen zu erkennen: ... würde es bei dieser Abwägung der beteiligten Interessen, die die Beurteilung der Beachtung des Grundsatzes der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts darstellt, zumindest unbillig erscheinen, allein den gutgläubigen Beihilfeempfänger mit etwas zu belasten, was einer Haftung ohne Verschulden ähneln würde, obwohl er gemäß dem geschaffenen System die gezahlten Beihilfen an die Lieferanten weitergegeben hat, ohne daraus unmittelbar einen Vorteil zu ziehen, und zwar ohne dass er den Ursprung der streitigen Waren, von dem die Rechtmäßigkeit der gewährten Beihilfe abhängt, hat kontrollieren können ..." und in der weiteren Folge: Ebenso ist es in erster Linie Sache der nationalen Stellen, die damit betraut sind, sich durch geeignete Kontrollen zu vergewissern, dass das Erzeugnis, für das die Beihilfe gewährt wird, der Gemeinschaftsregelung entspricht, um zu gewährleisten, dass die Gemeinschaftsbeihilfen nicht für Erzeugnisse gezahlt werden, die von ihnen nicht profitieren dürfen, zu beurteilen, welche Kontrollen dafür erforderlich sind."

87. Bei der Rückforderung nach nationalem Recht von zu Unrecht bezahlten Beihilfen geht es jedoch hauptsächlich um Einreden des Begünstigten, wie z. B. den Wegfall der Bereicherung oder den guten Glauben, die im Lichte seiner rechtlichen Stellung gewürdigt werden. Im Ausfuhrerstattungsrecht ist der Umstand zu berücksichtigen, dass der Ausführer selbst keine eigenen Vorteile zieht, wenn er die Erstattung in der Gestalt der Zahlung eines gegenüber dem Weltmarktpreis überhöhten Preises an den Erzeuger weitergibt. Bei der Verhängung einer Sanktion im Falle der Unrichtigkeit des Ausfuhrerstattungsantrags kann letztere Überlegung hingegen keine Rolle spielen.

88. Es ist festzuhalten, dass eine Sanktion der in Rede stehenden Art dann unangemessen wäre, wenn sie auch dann zu verhängen wäre, wenn der Erstattungsantragsteller die Gefährdung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht zu vertreten hätte. Das ist aber sicherlich nicht der Fall, wenn er sich wie im vorliegenden Fall freiwillig im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit eines Dritten zur Herstellung der streitgegenständlichen Ware bedient. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Unrichtigkeit der Angaben im Erstattungsantrag nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb zu erkennen war.

89. Nach alledem ist hinsichtlich der ersten Frage zu schließen, dass die Gültigkeit des Artikels 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 3665/87 in der Fassung der Verordnung Nr. 2945/94 nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass er eine Sanktion vorsieht, auch wenn der Ausführer ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat.

V Zweite Frage: Auslegung des Begriffes höhere Gewalt"

90. Die zweite Frage, die für den Fall gestellt wird, dass die in Rede stehende Sanktionsregelung Bestand hat, geht im Wesentlichen dahin, ob ein Fall höherer Gewalt anzunehmen ist, wenn der Erstattungsantragsteller seine Angaben nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen bei einem Dritten als falsch erkennen konnte.

A Vorbringen der Beteiligten

91. Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe sich in einer Situation höherer Gewalt im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes befunden, d. h., es hätten Umstände vorgelegen, die vom Willen des Betroffenen unabhängig, ungewöhnlich und unvorhersehbar gewesen seien und deren Folgen auch bei Aufwendung aller möglichen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Im vorliegenden Fall habe die falsche Angabe im Erstattungsantrag auf falschen Informationen des Herstellers, eines in Deutschland angesehenen Unternehmens, beruht. Die Beifügung von Pflanzenfett zu dem ausgeführten Schmelzkäse durch einen Technischen Leiter des Herstellers sei ein völlig unerwarteter und ungewöhnlicher Vorgang. Bei den üblichen und von dem Ausführer auch vorgenommenen Untersuchungen habe dies nicht festgestellt werden können.

92. Die Klägerin sei sich dessen bewusst, dass nach dem herkömmlichen Verständnis von höherer Gewalt" der Marktbeteiligte für das Verschulden seiner Vertragspartner verantwortlich sei. Nach den Urteilen des Gerichtshofes in den Rechtssachen Steff-Houlberg und Oelmühle Hamburg dürfe sich ein Ausführer jedoch auf die Angaben des Herstellers, die er durch eigene Kontrollen nicht überprüfen könne, verlassen, und eine Kontrolle des Herstellungsprozesses sei von ihm nicht zu verlangen. Zwar beträfen die genannten Entscheidungen die Rückforderung nach nationalem Recht von gemeinschaftlichen Beihilfen, aber es sei nicht einzusehen, warum nicht bei den Sanktionen gemäß der Regelung der Ausfuhrerstattung, die ausschließlich nach Gemeinschaftsrecht erfolge, die gleichen Grundsätze gelten sollten und warum ein nicht erkennbarer und nicht kontrollierbarer Fehler des Herstellers nicht dem Begriff der höheren Gewalt" entsprechen sollte.

93. Eine weite Auslegung des Begriffes höhere Gewalt" in Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Gedankenstrich sei die einzige Auslegung, die die Bedenken gegen diese Vorschrift wegen der dem Rechtsstaatsprinzip entspringenden Grundsätze des Strafrechts ausräumen könnte. Eine derartige Auslegung würde nicht nur dem Verschuldensprinzip, wenn auch in eingeschränkter Form, Rechnung tragen, sondern auch einen gewissen Gleichklang zwischen der speziellen Sanktionsregelung in Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 und der allgemeinen Regelung verwaltungsrechtlicher Sanktionen in Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 herstellen. Ein Fall höherer Gewalt" im Sinne der streitigen Vorschrift sei dann anzunehmen, wenn der Ausführer nachweisen könne, dass er sich wie ein ordnungsgemäßer Kaufmann verhalten habe. Das habe er dann, wenn er die (objektiv) falschen Angaben gutgläubig gemacht habe, weil keine Umstände vorgelegen hätten, an der Richtigkeit der Angaben des Herstellers zu zweifeln.

94. Die Kommission teilt die Auffassung des Bundesfinanzhofs, wonach gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Ausführers selbst dann keinen Fall höherer Gewalt im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes darstellen könnten, wenn der Ausführer sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch hätte erkennen können. Die vom vorlegenden Gericht zitierten Entscheidungen des Gerichtshofes führten zu keinem anderen Ergebnis, denn sie seien wegen ihres Sachverhalts mit dem vorliegenden Fall eben nicht vergleichbar.

B Würdigung

95. Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Spiegelstrich der Verordnung Nr. 3665/87 sieht vor, dass die in Rede stehende Sanktion im Falle höherer Gewalt entfällt. Der Begriff der höheren Gewalt hat, wie der Gerichtshof bereits im Kampffmeyer-Urteil festgestellt hat, in den verschiedenen Rechtsgebieten und Anwendungsbereichen nicht den völlig gleichen Inhalt, sodass seine Bedeutung nach dem rechtlichen Rahmen zu bestimmen ist, in dem er jeweils seine Wirkung entfalten soll.

96. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind im Bereich der Agrarverordnungen ... unter höherer Gewalt ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können".

97. In Anwendung dieser Begriffsdefinition hat der Gerichtshof ebenso in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass ein Fall höherer Gewalt nicht vorliegt, wenn die Nichteinhaltung einer erforderlichen Voraussetzung ihrerseits auf die Nichterfuellung von vertraglichen Verpflichtungen eines Vertragspartners des Verpflichteten zurückgeht. In der Rechtssache Theodorakis ging es um die Nichtabnahme der zur Ausfuhr verkauften Ware, mit der Folge einer Nichtdurchführung der Ausfuhr während der Gültigkeitsdauer der Ausfuhrlizenz. Dies wurde vom Gerichtshof als übliches geschäftliches Risiko" im Rahmen von Handelsgeschäften bezeichnet. Es sei Sache des Lizenzinhabers dem es im Übrigen völlig freisteht, seine Geschäftspartner nach seinem Interesse zu wählen geeignete Vorkehrungen zu treffen, indem er entsprechende Klauseln in den Vertrag aufnimmt oder eine besondere Versicherung abschließt". Das Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit war damit nach Ansicht des Gerichtshofes nicht erfuellt. Im Boterlux-Urteil wurde mit gleicher Begründung erkannt, dass die Annahme eines Falles höherer Gewalt an der Vorhersehbarkeit einer betrügerischen Wiedereinfuhr in die Gemeinschaft scheitern muss.

98. Dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs ist im vorliegenden Fall zu entnehmen, dass der Ausführer die wahre Zusammensetzung des Produktes nicht kannte und sich eine solche Kenntnis nur mit Hilfe von ihm nach Ansicht des Bundesfinanzhofs unmöglichen oder zumindest unzumutbaren Kontrollen im Herstellungsbetrieb hätte verschaffen können.

99. Im Lichte der oben erwähnten Urteile ist dieser Sachverhalt aber so zu sehen, dass das Verhalten des Vertragspartners des Erstattungsantragstellers zwar möglicherweise ungewöhnlich, aber jedenfalls nicht ausschließbar, und damit insoferne vorhersehbar war, als es die Verwirklichung eines normalen Geschäftsrisikos darstellte. Die Annahme eines Falles höherer Gewalt muss so gesehen ausscheiden.

100. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung ändert nichts an dieser Einschätzung. Es ist zwar richtig, dass im Oelmühle und Schmidt Söhne-Urteil der Gerichtshof für Recht erkannt hat, dass das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung grundsätzlich nicht entgegenstehe, die den Ausschluss der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Gemeinschaftsbeihilfen insbesondere dann zulässt, wenn u. a. der Beihilfeempfänger nachweislich gutgläubig war. Diesbezüglich führte der Gerichtshof aus, dass ... ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Erklärung abfasst und einreicht, um Beihilfen zu erlangen, nicht schon aufgrund der Tatsache, dass er die Erklärung abgegeben hat, das Recht [verliert], sich auf seinen guten Glauben zu berufen, wenn die Erklärung ausschließlich auf Angaben Dritter beruht. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob unter den Umständen des Falles bestimmte Indizien den Wirtschaftsteilnehmer nicht dazu hätten veranlassen müssen, die Richtigkeit dieser Angaben zu prüfen."

101. Im Steff-Houlberg-Urteil bekräftigte der Gerichtshof seine Ansicht, wonach das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, die für den Ausschluss der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Gemeinschaftsbeihilfen u. a. auf den guten Glauben des Beihilfeempfängers abstellt. Hiezu bemerkte der Gerichtshof ausdrücklich, dass ... wenn ein Exporteur eine Erklärung zum Zweck der Erlangung von Ausfuhrerstattungen abfasst und einreicht, die bloße Tatsache der Abfassung ihm nicht die Möglichkeit nehmen [kann], sich auf seinen guten Glauben zu berufen, wenn die Erklärung ausschließlich auf Informationen beruht, die von einem Vertragspartner geliefert wurden und deren Richtigkeit er nicht nachprüfen konnte".

102. Zur Tragweite dieser beiden Urteile ist zunächst zu bemerken, dass sie die nationale Rückforderung zu Unrecht gewährter Beihilfe betrafen. Bevor er sich zum guten Glauben äußerte, betonte der Gerichtshof, dass keine Gemeinschaftsbestimmung die Rückzahlung von Erstattungen für den Fall vor[sieht], dass diese auf der Grundlage von Dokumenten gezahlt wurden, die sich anschließend als nicht der Realität entsprechend erwiesen".

103. Zur Übertragbarkeit der Boterlux-Rechtsprechung, wonach das Fehlverhalten eines Dritten für den Empfänger der Beihilfe als ein normales Geschäftsrisiko anzusehen ist, führte der Gerichtshof aus, dass das nationale Gericht doch, wenn es um eine Abwägung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und denen des Wirtschaftsteilnehmers geht, zu berücksichtigen [hat], dass das Verschulden eines Dritten, mit dem der Beihilfeempfänger in Vertragsbeziehungen steht, eher in den Bereich des Beihilfeempfängers fällt als in den der Gemeinschaft". Entgegen der Ansicht der Klägerin kann daher nicht angenommen werden, dass der Gerichtshof den Weg zur Ausweitung des Begriffes der höheren Gewalt in den zitierten Urteilen ebnen wollte, soferne die Unrichtigkeit von Angaben des Ausführers auf ein Fehlverhalten eines seiner Geschäftspartner zurückgeht.

104. Es ist daher auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Spiegelstrich der Verordnung Nr. 3665/87 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende Angaben des Erstattungsantragstellers grundsätzlich ein Fall höherer Gewalt sind, auch wenn dieser sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch erkennen konnte.

VI Ergebnis

105. Aufgrund dessen wird vorschlagen, die vom Bundesfinanzhof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1. Die Gültigkeit des Artikels 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 3665/87 in der Fassung der Verordnung Nr. 2945/94 wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass er eine Sanktion vorsieht, auch wenn der Ausführer ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat.

2. Gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Erstattungsantragstellers sind grundsätzlich auch dann kein Fall höherer Gewalt im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 3 erster Spiegelstrich der Verordnung Nr. 3665/87, wenn dieser sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch erkennen konnte.

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