EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61999CC0006

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 25. November 1999.
Association Greenpeace France u. a. gegen Ministère de l'Agriculture et de la Pêche u. a.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Conseil d'Etat - Frankreich.
Richtlinie 90/220/EWG - Biotechnologie - Genetisch veränderte Organismen - Entscheidung 97/98/EG - Maissaatgut.
Rechtssache C-6/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 I-01651

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1999:587

61999C0006

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 25. November 1999. - Association Greenpeace France u. a. gegen Ministère de l'Agriculture et de la Pêche u. a. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Conseil d'Etat - Frankreich. - Richtlinie 90/220/EWG - Biotechnologie - Genetisch veränderte Organismen - Entscheidung 97/98/EG - Maissaatgut. - Rechtssache C-6/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-01651


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Der gewaltige Fortschritt in der Wissenschaft und angewandten Forschung während der letzten Jahrzehnte hat die Herstellung genetisch veränderter Organismen (im folgenden: GVO) ermöglicht. Im Hinblick auf die Bedeutung, die die GVO im Agrarbereich haben können, haben verschiedene Unternehmensgruppen die Voraussetzungen für eine umfangreiche Produktion geschaffen, um sich neue und ihrer Meinung nach lohnende Märkte zu erschließen.

2 Die Tatsache, daß das Produkt der Manipulationen am lebenden Organismus vom Labor und auf den Markt gelangte, war jedoch Anlaß für zahlreiche berechtigte Fragen, die zu einer Debatte, um nicht zu sagen, zu Auseinandersetzungen zwischen denen führten, die die zu erwartenden Vorteile einer umfangreichen Anwendung von GVO, vor allem den Produktivitätsgewinn, in den Vordergrund stellen, und denen, die fürchten, daß die Anwendung die Mißgeschicke heraufbeschwören wird, denen sich der Zauberlehrling ausgesetzt hat, und die die Gefahren betonen, die die Freisetzung und allgemeine Verwendung von GVO bedeuten würden. Da diese Debatte, bei der die Wissenschaftler unterschiedlicher Auffassung waren, nicht entschieden werden konnte, ist die Politik auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene tätig geworden, um einen rechtlichen Rahmen vorzugeben, d. h. um die Vorschriften für den Einsatz und das Inverkehrbringen von GVO festzulegen.

3 Wenn die Verwaltungsbehörden, die der Gesetzgeber damit betraut hat, im Einzelfall Genehmigungen für das Inverkehrbringen von GVO zu erteilen, über einen bei ihnen eingereichten Antrag eine positive Entscheidung treffen, behalten indessen diejenigen, die der Erlaß derartiger Vorschriften nicht völlig beruhigt hat, die Möglichkeit, sich an das Gericht zu wenden, um geltend zu machen, daß die Voraussetzungen und das Verfahren, die der Gesezgeber festgelegt hat, nicht eingehalten worden sind.

4 Die uns vom Conseil d'État (Frankreich) vorgelegten Vorabentscheidungsfragen stehen im Zusammenhang mit einer derartigen Streitigkeit. Denn nicht weniger als fünf Klagen, u. a. von der Association Greenpeace France (im folgenden: Greenpeace), der Confédération paysanne und der Association Ecoropa France (im folgenden: Ecoropa), sind bei diesem Gericht erhoben worden, die auf Nichtigerklärung des Erlasses des Ministers für Landwirtschaft und Fischerei vom 5. Februar 1998 zur Änderung des amtlichen Katalogs der Arten und Sorten von in Frankreich angebauten Pflanzen, mit dem eine genetisch veränderte Maisart in diesen Katalog aufgenommen wurde, die von Ciba-Geigy Ltd, inzwischen Novartis Seeds SA (im folgenden: Novartis), erzeugt wird, gerichtet sind.

5 Zur Klagebegründung berufen sich die Kläger im Wege der Einrede vor allem auf die Rechtswidrigkeit des Erlasses des genannten Ministers vom 4. Februar 1997 zur Genehmigung des Inverkehrbringens von genetisch veränderten Maislinien, die gegen Maiszünsler geschützt sind und gegenüber den Herbiziden der Glufosinatammonium-Familie erhöhte Toleranz aufweisen. Dieser Erlaß betrifft also dasselbe Produkt.

6 Der zuletzt genannte Erlaß erging aufgrund der Entscheidung 97/98/EG der Kommission vom 23. Januar 1997 über das Inverkehrbringen von genetisch verändertem Mais (Zea Mays L.) mit der kombinierten Veränderung der Insektizidwirkung des BT-Endotoxin-Gens und erhöhter Toleranz gegenüber dem Herbizid Glufosinatammonium(1). Diese Entscheidung der Kommission wurde gemäß der Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt erlassen(2).

7 Mit der Nichtigkeitsklage hatten einige Kläger einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs verbunden. Der Conseil d'État gab diesem Antrag mit einer Entscheidung vom 25. September 1998 statt, in der er ausführte, daß "die oben genannten Verbände [vortragen], daß der angefochtene Erlaß aus einem fehlerhaften Verfahren hervorgegangen sei, insbesondere daß die Stellungnahme der Commission d'étude de la dissémination des produits issus du génie biomoléculaire [Kommission zur Untersuchung der Freisetzung der Produkte aus der molekularbiologischen Technik] unter Berücksichtigung einer unvollständigen Akte abgegeben worden sei, da diese keine Angaben enthalten habe, aufgrund deren die Auswirkungen des in den transgenen Maissorten, die Gegenstand des Genehmigungsantrags waren, enthaltenen ampicillinresistenten Gens auf die öffentliche Gesundheit hätten beurteilt werden können, daß sie sich auf den Grundsatz der Vorsorge berufen ... daß dieser Klagegrund erheblich und geeignet erscheint, die Nichtigerklärung des angefochtenen Erlasses zu rechtfertigen, daß im übrigen angesichts der Art der Folgen, die der Vollzug des angefochtenen Erlasses haben könnte, den Anträgen der Klägerin auf Aussetzung des Vollzugs des Erlasses stattzugeben ist".

8 Beim Eintritt in die Sachprüfung sah sich der Conseil d'État mit einer Schwierigkeit konfrontiert, die sich daraus ergab, daß der Ministerialerlaß vom 4. Februar 1997, auf dessen angeblicher Rechtswidrigkeit das Vorbringen der Kläger zum großen Teil beruht, am Ende eines sehr vielschichtigen Verfahrens erging, bei dem nationale und gemeinschaftliche Phasen aufeinanderfolgten.

Das anwendbare Gemeinschaftsrecht

9 Die Richtlinie 90/220 bestimmt:

"Artikel 11

(1) Bevor ein GVO oder eine Kombination von GVO als Produkt oder in einem solchen in den Verkehr gebracht werden, reicht der Hersteller oder Einführer in die Gemeinschaft bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem solch ein Produkt zuerst in den Verkehr gebracht wird, eine Anmeldung ein. Diese muß folgendes enthalten:

...

Artikel 12

(1) Nach Eingang und Bestätigung der in Artikel 11 erwähnten Anmeldung prüft die zuständige Behörde deren Übereinstimmung mit dieser Richtlinie, wobei auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und die für den sicheren Einsatz des Produkts empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen besonders zu achten ist.

(2) Die zuständige Behörde muß spätestens 90 Tage nach Eingang der Anmeldung

a) entweder die Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weiterleiten

b) oder dem Anmelder mitteilen, daß die geplante Freisetzung die Anforderungen dieser Richtlinie nicht erfuellt und daher abgelehnt wird.

(3) In dem in Absatz 2 Buchstabe a) genannten Fall enthält die der Kommission übermittelte Akte eine Kurzfassung der Anmeldung sowie eine Beschreibung der Bedingungen, unter denen die zuständige Behörde die Zustimmung zum Inverkehrbringen des Produkts vorschlägt.

...

Artikel 13

(1) Nach Eingang der in Artikel 12 Absatz 3 genannten Akte übermittelt die Kommission diese Akte zusammen mit allen übrigen Informationen, die sie gemäß dieser Richtlinie eingeholt hat, unverzüglich den zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten und teilt der für die Übermittlung zuständigen Behörde den Zeitpunkt der Verteilung mit.

(2) Liegt 60 Tage nach dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt der Verteilung keine gegenteilige Bemerkung eines anderen Mitgliedstaates vor, so erteilt die zuständige Behörde dem Anmelder schriftlich ihre Zustimmung, so daß das Produkt in den Verkehr gebracht werden kann; sie unterrichtet hiervon die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission.

(3) Erhebt die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates einen Einwand - der begründet sein muß - und ist es den betreffenden zuständigen Behörden nicht möglich, sich innerhalb der in Absatz 2 genannten Zeitspanne zu einigen, so faßt die Kommission einen Beschluß nach dem in Artikel 21 festgelegten Verfahren.

(4) Trifft die Kommission einen positiven Beschluß, so erteilt die zuständige Behörde, die die ursprüngliche Anmeldung erhalten hat, dem Anmelder schriftlich ihre Zustimmung, so daß das Produkt in den Verkehr gebracht werden kann, und unterrichtet hiervon die anderen Mitgliedstaaten sowie die Kommission.

(5) Sobald ein Produkt eine schriftliche Zustimmung erhalten hat, darf es ohne weitere Anmeldung in der gesamten Gemeinschaft verwendet werden, sofern die spezifischen Einsatzbedingungen und die in diesen Bedingungen angegebenen Umweltgegebenheiten und/oder geographischen Gebiete strikt eingehalten werden.

(6) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß die Anwender die in der schriftlichen Zustimmung festgelegten Einsatzbedingungen einhalten."

10 Es wird damit deutlich, daß zwischen der - nach dem Vorbringen der Kläger im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäß durchgeführten - Prüfung der Anmeldung durch den Mitgliedstaat, bei dem diese eingegangen ist, und der Erteilung der Zustimmung, die hier mit dem Ministerialerlaß vom 4. Februar 1997 erfolgte, eine gemeinschaftliche Phase liegt, in der die anderen Mitgliedstaaten, die Kommission und gegebenenfalls der Rat tätig werden und die im vorliegenden Fall mit der Entscheidung 97/98 endete. In Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieser Entscheidung heißt es:

"Unbeschadet anderer Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und gemäß den in den Absätzen 2 und 3 angeführten genannten Bedingungen genehmigen die französischen Behörden das Inverkehrbringen des nachstehenden, von der Firma Ciba-Geigy Limited nach Artikel 13 der Richtlinie 90/220/EWG angemeldeten Erzeugnisses (Ref. C/F/94/11-03)."

Die Vorlagefragen

11 Wie der Conseil d'État feststellt, hängt die Entscheidung über den Einwand, den die Kläger gegen die Rechtmäßigkeit des Ministerialerlasses vom 5. Februar 1998 erheben, von dem Handlungsspielraum ab, über den der Verfasser dieses Erlasses verfügt. Um in dieser Frage Klarheit zu erlangen, hat uns der Conseil d'État die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Vorschriften der Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 so auszulegen, daß, wenn nach Weiterleitung eines Antrags auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines genetisch veränderten Organismus an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften kein Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 2 der Richtlinie 90/220 Einwände erhoben hat oder wenn die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen "positiven Beschluß" gemäß Absatz 4 dieses Artikels getroffen hat, die zuständige Behörde, die den Antrag mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weitergeleitet hat, verpflichtet ist, die "schriftliche Zustimmung", mit der das Produkt in den Verkehr gebracht werden kann, zu erteilen, oder liegt es noch im Ermessen dieser Behörde, die Zustimmung nicht zu erteilen?

2. Ist die Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Januar 1997, wonach "die französischen Behörden das Inverkehrbringen des ... von der Firma Ciba-Geigy Limited ... angemeldeten Erzeugnisses [genehmigen]", so auszulegen, daß die französische Regierung verpflichtet ist, ihre "schriftliche Zustimmung" zu erteilen?

12 Während die erste Frage keine besonderen Bemerkungen erforderlich macht, liegt es bei der zweiten Frage anders. Auf den ersten Blick könnte sie nämlich im Verhältnis zur ersten Frage überfluessig erscheinen, da sie in bezug auf die Entscheidung 97/98 dieselbe Fragestellung enthält, die in der ersten Frage allgemein und in grundsätzlicher Hinsicht formuliert wird, was die Kommission zu dem Vorschlag veranlaßt hat, auf beide Fragen eine gemeinsame Antwort zu geben.

13 Ich bin jedoch der Auffassung, daß der Conseil d'État uns sehr wohl zwei verschiedene Fragen vorgelegt hat:

- Die erste betrifft das Vorliegen eines Ermessensspielraums der nationalen Behörden, wenn ein "positiver Beschluß der Kommission" im Sinne des Artikels 13 Absatz 4 der Richtlinie 90/220 ergangen ist;

- die zweite geht dahin, ob die Entscheidung 97/98 angesichts ihres Wortlauts - "die französischen Behörden [genehmigen] das Inverkehrbringen des ... Erzeugnisses" - und ungeachtet etwaiger Unregelmäßigkeiten, die im Ablauf der Prüfung der Anmeldung durch die nationalen Behörden festgestellt werden könnten, die französischen Behörden zur Erteilung der schriftlichen Zustimmung verpflichtete. Der Conseil d'État möchte mit anderen Worten wissen, ob, falls die erste Frage bejaht wird, die nationalen Behörden unter besonderen Umständen - und zwar unter denen, mit denen der Conseil d'État befaßt ist - befugt sein können, die Erteilung einer Zustimmung abzulehnen, wenn zuvor festgestellt worden ist, daß sie eine solche Befugnis grundsätzlich nicht haben.

14 Es sind also tatsächlich zwei verschiedene, wenn auch miteinander verbundene Fragen, die uns der Conseil d'État vorgelegt hat, weitere dagegen nicht.

Der Umfang der Befassung des Gerichtshofes

15 Es kann sich meines Erachtens nicht darum handeln, daß sich der Gerichtshof, wie es ihm Ecoropa nahelegt, zur Frage der Gültigkeit der Entscheidung der Kommission oder gar zur Frage der Gültigkeit des Artikels 13 Absatz 4 der Richtlinie 90/220 äußert. Zwar können Fälle genannt werden, in denen der Gerichtshof der Ansicht war, daß für eine sachdienliche Antwort an das vorlegende nationale Gericht auch eine Prüfung der Gültigkeit vorzunehmen war, obwohl er nur mit einer Frage nach der Auslegung befaßt war.

16 Diese Fälle sind jedoch selten und gehören zu ganz ungewöhnlichen Konstellationen, da nach ständiger Rechtsprechung(3) das nationale Gericht, das über eine umfassende Kenntnis aller Aspekte des Rechtsstreits verfügt, die Fragen zu bestimmen hat, über die es Aufschluß wünscht, bevor es seine Entscheidung erläßt, während sich der Gerichtshof im Rahmen der durch Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eingeführten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten darauf zu beschränken hat, die vom nationalen Gericht begehrte Hilfe zu leisten.

17 Im vorliegenden Fall ist nicht zweifelhaft, daß der Conseil d'État keineswegs vom Gerichtshof erwartet, daß er sich mit der Frage der Gültigkeit der Gemeinschaftsrechtsakte befaßt, um deren Auslegung der Conseil d'État ersucht. Zum einen enthält nämlich der Wortlaut der Fragen keinen dahin gehenden Hinweis und zum anderen ist der Regierungskommissar in seinen Anträgen auf die Möglichkeit eingegangen, dem Gerichtshof Fragen zur Beurteilung der Gültigkeit vorzulegen, so daß anzunehmen ist, daß diese Möglichkeit vom Conseil d'État geprüft wurde, daß er sich aber nicht dafür entschieden hat.

18 Ebensowenig ist meines Erachtens die Prüfung des Gerichtshofes auf die Gemeinschaftsvorschriften über die Vermarktung von Saatgut zu erstrecken. Zwar betrifft der vor dem Conseil d'État angefochtene Ministerialerlaß die Eintragung von genetisch verändertem Mais von Novartis in den amtlichen Katalog der Arten und Sorten von in Frankreich angebauten Pflanzen. Aus der Sicht des Conseil d'État sind die Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts jedoch auf der Ebene des früheren Ministerialerlasses angesiedelt, durch den das Inverkehrbringen dieses Maises genehmigt wurde, und dieser Betrachtungsweise haben wir nicht zu widersprechen.

19 Nach den gleichen Regeln über die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag ist es auch ausgeschlossen, daß der Gerichtshof die Bedingungen prüft, unter denen das nationale Verfahren zur Prüfung der Anmeldung von Novartis, das zur Weiterleitung der Akte an die Kommission mit befürwortender Stellungnahme führte, abgelaufen ist.

20 Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit dieses Verfahrens fällt in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts, und bei der Prüfung der zweiten Frage haben wir das Vorliegen einer Unregelmäßigkeit nur als eine Argumentationshypothese zu sehen, da der Conseil d'État das Vorliegen einer solchen Unregelmäßigkeit zwar für plausibel hielt, als er die Aussetzung des Vollzug anordnete, es jedoch keineswegs als erwiesen ansah.

21 Bevor ich mit der Prüfung der ersten Frage beginne, möchte ich eine letzte Bemerkung machen.

22 Seitdem der Conseil d'État mit dem Rechtsstreit befaßt ist, der ihn zur Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens veranlaßte, haben die politischen Stellen, einem starken Druck unterworfen, eine Verschärfung der Regelung beschlossen, um die Erteilung der Vermarktungsgenehmigungen für GVO von mehr Sicherheiten abhängig zu machen, und auf Gemeinschaftsebene wurde vor einigen Monaten ein Moratorium eingeführt. Wie in den abgegebenen Erklärungen ausgeführt worden ist, hat die Kommission wohl zumindest vorläufig auf die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) gegen zwei Mitgliedstaaten verzichtet, die entgegen der Vorschrift des Artikels 13 Absatz 5 der Richtlinie 90/220 in ihrem Hoheitsgebiet die Vermarktung des Maises von Novartis verboten haben, obwohl sie die Zustimmung der französischen Behörden im Sinne des Artikels 13 Absatz 4, auf die sich gerade die Fragen des Conseil d'État beziehen, erhalten hatten.

23 Dies sind alles Tatsachen, von denen man meinen könnte, daß es unzulässig wäre, wenn sie vor den Türen des Gerichtssaales blieben.

24 Dies muß jedoch nach meiner Meinung sein, da es nicht Aufgabe des Gerichtshofes ist, im vorliegenden Fall eine gesellschaftliche oder zumindest politische Debatte zu entscheiden. Er hat einzig und allein eine Antwort auf Fragen nach der Auslegung bestimmter Gemeinschaftsrechtsakte zu geben, die in Kraft waren, als der vom vorlegenden nationalen Gericht zu entscheidende Rechtsstreit entstanden ist. An diese strenge Linie will ich mich jedenfalls bei der Prüfung der beiden uns vom Conseil d'État vorgelegten Fragen halten.

Zur ersten Frage

25 Verfügt nach Eingang einer Anmeldung bezüglich des Inverkehrbringens eines GVO der Mitgliedstaat, der die Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weitergeleitet hat, noch über ein Ermessen, die Erteilung seiner Zustimmung abzulehnen, wenn entweder kein anderer Mitgliedstaat Einwände erhoben hat, wenn etwaige Einwände zurückgenommen worden sind oder wenn, wie in dem Fall, mit dem der Conseil d'État befaßt ist, die Kommission, die mangels Einigung der Mitgliedstaaten tätig werden muß, einen positiven Beschluß getroffen hat?

Wortlaut des Artikels 13

26 Nach dem Wortlaut der Absätze 2 und 4 des Artikels 13 der Richtlinie 90/220, die beide bestimmen, daß in einem solchen Fall die zuständige Behörde "dem Anmelder schriftlich ihre Zustimmung [erteilt], so daß das Produkt in den Verkehr gebracht werden kann", und daß sie "hiervon die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission [unterrichtet]", kann diese Frage nur verneint werden.

27 Die Verwendung des Indikativ Präsens in der französischen Fassung der Richtlinie 90/220 sowie der Satzbau zeigen unmißverständlich, daß eine Verpflichtung des in Rede stehenden Mitgliedstaats gegeben ist.

28 Trifft die Kommission, um beim Absatz 4 zu bleiben - obwohl dieselben Überlegungen für Absatz 2 angestellt werden könnten -, einen positiven Beschluß, so erhält der Mitgliedstaat hierdurch kein Wahlrecht; er bekommt nicht die Möglichkeit, seine Zustimmung zu erteilen, sondern er ist zu deren Erteilung verpflichtet.

29 Eine Auslegung des Absatzes 4 dahin, daß der "positive Beschluß der Kommission" nur die Bedeutung einer befürwortenden Stellungnahme hat, die dem Mitgliedstaat zwischen der Erteilung der Zustimmung und deren Ablehnung die Wahl läßt, hieße, diesen Absatz umzuschreiben.

30 Diese Eindeutigkeit des Wortlauts des Absatzes 4 in grammatischer und stilistischer Hinsicht ist keine Eigentümlichkeit der französischen Fassung, sondern findet sich auch in anderen Sprachfassungen, vor allem in der englischen, wonach "the competent authority ... shall give consent in writing".

31 Wie die italienische Regierung ganz zutreffend ausgeführt hat, wird niemand ernsthaft behaupten wollen, daß es sich, wenn die Kommission einen negativen Beschluß träfe, nur um eine Stellungnahme handeln würde, die es dem Mitgliedstaat überließe, die Vermarktung des fraglichen GVO dennoch zu genehmigen.

32 Im Rahmen ein und desselben Verfahrens kann die Rechtsnatur eines Beschlusses oder die Frage, ob er zwingenden Charakter hat, nicht davon abhängen, ob er einen positiven oder negativen Inhalt hat.

33 Ich kann daher nicht die Auffassung von Ecoropa teilen, daß der Gesetzgeber, wenn er eine echte Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Erteilung der Zustimmung hätte begründen wollen, etwa folgenden Wortlaut hätte wählen müssen: "Sobald die Kommission einen positiven Beschluß getroffen hat, hat die zuständige Behörde das Inverkehrbringen des Produkts zu genehmigen."

34 Ich kann höchstens einräumen, daß, statt sich im Wortlaut der Richtlinie 90/220 auf eine Zustimmung zu beziehen, die von der zuständigen Behörde erteilt wird, es vielleicht ratsamer gewesen wäre, zu bestimmen, daß diese Behörde "die beantragte Genehmigung" erteilt; aber dies ändert nichts an den Konsequenzen, die die Verwendung des Indikatif Präsens im Wortlaut des Absatzes 4 hat.

35 An diesem Punkt meiner Ausführungen angelangt, könnte es nahe liegen, die Auffassung zu vertreten, daß angesichts des völlig eindeutigen Wortlauts eine weitere Prüfung nicht erforderlich ist, weil Umstände außerhalb der zu prüfenden Vorschrift, selbst wenn sie Anlaß für eine andere Lesart geben sollten, immer mit der unumgänglichen Realität des vorhandenen Wortlauts kollidieren würden.

36 Auch wenn ich der Anischt bin, daß diese vorrangige Bedeutung des Wortlauts völlig gerechtfertigt ist und daß zwischen den einzelnen Auslegungsmethoden eine Rangfolge besteht, werde ich nicht bei dieser Feststellung stehen bleiben und daher entsprechend dem Vorschlag, den einzelne Beteiligte in ihren Erklärungen gemacht haben, untersuchen, ob das Ergebnis, zu dem schon der Wortlaut des Artikels 13 Absatz 4 führt, bestätigt oder im Gegenteil entkräftet wird, wenn der Zusammenhang, in dem diese Vorschrift steht, berücksichtigt wird.

Vergemeinschaftung des Verfahrens zur Genehmigung des Inverkehrbringens

37 Erstens heißt es in den Begründungserwägungen der Richtlinie 90/220, daß, wie Novartis vorgetragen hat, ein Genehmigungsverfahren der Gemeinschaft für das Inverkehrbringen von Produkten errichtet werden muß, die GVO enthalten oder aus diesen bestehen.

38 Zwar gibt es Genehmigungsverfahren der Gemeinschaft, von denen man nicht sagen kann, daß sie zu einer bindenden Entscheidung in dem Sinne führen, daß der Mitgliedstaat unwiderruflich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wäre. So hat sich ein Mitgliedstaat, wenn er beabsichtigt, für bestimmte Unternehmen eine Beihilfe einzuführen, nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 EG) dem in Absatz 2 dieses Artikels vorgesehenen Verfahren zu unterziehen.

39 Aber auch wenn der Mitgliedstaat von der Kommission oder vom Rat eine positive Antwort erhalten hat, kann er letztlich immer noch von der Gewährung dieser Hilfe Abstand nehmen, etwa wenn ihm später die Finanzmittel fehlen.

40 Ebenso ist das Unternehmen, das den Antrag auf Vermarktung eines GVO gestellt hat und das nach Abschluß des Verfahrens der Gemeinschaft die schriftliche Zustimmung des Mitgliedstaats erhalten hat, insoweit nicht verpflichtet, diesen Stoff tatsächlich zu vermarkten (auch wenn es verwunderlich wäre, wenn er dies nicht täte).

41 Dagegen kann der Mitgliedstaat, sobald er beschlossen hat, die Anmeldung an die Kommission weiterzuleiten, und ihm eine positive Entschiedung vorliegt, keinen Rückzieher mehr machen, es sei denn, es stellt sich, wie noch auszuführen sein wird, nachher heraus, daß die Zustimmung der Kommission in Unkenntnis bestimmter wesentlicher Informationen über die mit der Verbreitung dieses Produktes verbundenen Gefahren erteilt wurde.

42 In einem solchen Fall hat nämlich der Mitgliedstaat eine Genehmigung nicht nur für sich selbst beantragt, und der Ausgang des Verfahrens betrifft unmittelbar alle Mitgliedstaaten: Sie sind nicht mehr berechtigt, die Vermarktung des fraglichen Produktes abzulehnen.

43 Mehrere Mitgliedstaaten können den Antrag des Staates, der das Verfahren eingeleitet hat, unterstützt haben, und sie werden daran interessiert sein, daß das Verfahren damit endet, daß es definitiv grünes Licht gibt.

44 Auch kann ein anderer Mitgliedstaat mit einer Anmeldung desselben Unternehmens befaßt worden sein, und es ist möglich, daß er auf deren Weiterleitung mit befürwortender Stellungnahme an die Kommission nur deswegen verzichtet hat, weil ihm mitgeteilt worden war, daß ihm ein anderer Mitgliedstaat zuvorgekommen ist.

45 Hat dieser erste Mitgliedstaat frei und völlig selbständig von der Erteilung der schriftlichen Zustimmung Abstand nehmen können, so könnte der zweite Mitgliedstaat ein neues Verfahren einleiten, das mangels neuer Tatsachen mit einem neuen positiven Beschluß enden würde, der für den ersten Mitgliedstaat verbindlich wäre. Dieser könnte dann die Vermarktung des Produktes in seinem Hoheitsgebiet nicht mehr untersagen.

46 Daher ist festzustellen, daß die Richtlinie notwendigerweise zur Folge hat, daß ein Mitgliedstaat nach Abschluß des von der Richtlinie 90/220 eingeführten Verfahrens nicht mehr einseitig über die Frage entscheiden kann, ob einem Genehmigungsantrag, den ihm ein Hersteller von GVO vorgelegt hat, stattzugeben ist.

47 Die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens geht zwangsläufig über die bloße Harmonisierung der nationalen Verfahren hinaus. Die Merkmale dieses Gemeinschaftsverfahrens sollten im übrigen etwas genauer betrachtet werden. Die Richtlinie 90/220 trifft eine grundlegende Unterscheidung zwischen der absichtlichen Freisetzung von GVO in die Umwelt zu Forschungs- und Entwicklungszwecken oder zu jedem anderen Zweck als ihrem Inverkehrbringen, das in ihrem Teil B erfaßt wird, und dem Inverkehrbringen von GVO enthaltenden Produkten, das Gegenstand ihres Teils C ist.

48 Bezüglich der absichtlichen Freisetzung, mit der die geringsten Risiken verbunden sind, da sie definitionsgemäß zum Experimentalbereich gehört und in einem beschränkten Rahmen bleibt, verleiht die Richtlinie 90/220 dem mit einem Genehmigungsantrag befaßten Mitgliedstaat die Befugnis, die Entscheidung zu treffen, die er für geeignet hält, legt zugleich eine bestimmte Anzahl von materiellen und Verfahrensvorschriften fest, die der Mitgliedstaat zu beachten hat, und führt ein Verfahren zur Information der Kommission und der anderen Mitgliedstaaten ein.

49 Bezüglich des Inverkehrbringens hat die Vergemeinschaftung eine ganz andere Dimension. Zwar entscheidet der Mitgliedstaat, an den eine Anmeldung über ein beabsichtigtes Inverkehrbringen gerichtet ist, nach Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie 90/220 - selbstverständlich unter der Kontrolle des Richters - allein darüber, ob er die Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weiterleitet oder ob er dem Anmelder mitteilt, daß die geplante Freisetzung die Anforderungen der genannten Richtlinie nicht erfuellt und daher abgelehnt wird.

50 Hat er sich jedoch einmal für eine der Alternativen entschieden, so ist er nicht mehr allein Herr der Entscheidung, da die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission, gegebenenfalls auch der Rat, unter den in Artikel 13 der Richtlinie 90/220 niedergelegten Voraussetzungen tätig werden müssen.

51 Sobald die Kommission im Besitz der Akte ist, die von dem Mitgliedstaat, der eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat, vorgelegt wurde, leitet sie diese zusammen mit den Informationen, die sie selbst einholen konnte, an die anderen Mitgliedstaaten weiter.

52 Es ist dann deren Sache, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob es zweckmäßig ist, die Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erteilen, und, wenn sie der Auffassung sind, daß dem Antrag nicht stattzugeben ist, ihre begründeten Einwände gegenüber der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu erheben, der die Anmeldung erhalten hat.

53 Bestehen keine Einwände oder konnten ursprünglich erhobene Einwände nach Gesprächen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeräumt werden, so bleibt nur die Feststellung, daß sich alle Mitgliedstaaten über die Erteilung der Genehmigung tatsächlich geeinigt haben. Kann man sich ernsthaft vorstellen, daß diese Einigung keine größere Wirkung hat als die einer bloßen Stellungnahme, so daß es dem Mitgliedstaat, der das ganze Verfahren eingeleitet hat, freistuende, seine Zustimmung nicht zu erteilen, und zwar aus rein internen Gründen, die er bei den Gesprächen, die anläßlich der Weiterleitung der Akte durch die Kommission zustande kamen, nicht mitgeteilt hat?

54 Ich habe oben bereits einen Teil der Argumente wiedergegeben, die einer solchen Annahme entgegenstehen. Sie wäre im übrigen auch nicht mit der Loyalitätspflicht vereinbar, die für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, aber auch für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten maßgebend sein muß.

55 Von einem Mitgliedstaat, der zu einer Anmeldung befürwortend Stellung genommen hat, ist anzunehmen, daß er beschlossen hat, seine Zustimmung zu erteilen, sofern die gemeinsame Prüfung der Akte durch alle Mitgliedstaaten, die auch über die von der Kommission übermittelten Informationen verfügen, keinen triftigen Grund für eine Ablehnung ergeben hat. Die übrigen Mitgliedstaaten werden nicht die erheblichen Mittel aufwenden, die die Prüfung einer Akte über das Inverkehrbringen eines GVO erfordert, wenn letztlich nur eine Stellungnahme dabei herauskommt, der sich ein Mitgliedstaat in der Weise bedient, die er für zweckmäßig hält.

56 Wenn sie die Mittel aufwenden, dann, wie die Monsanto Europe SA (im folgenden: Monsanto), eine der Streithelferinnen des Ausgangsverfahrens, ausgeführt hat, deswegen, weil sie eine gemeinsame Entscheidung treffen müssen, die sie nachher alle zu befolgen haben. Auch ist schon jetzt darauf hinzuweisen, daß eine zumindest merkwürdige Lage entstehen würde, wenn man es zuließe, daß der Mitgliedstaat, der die Anmeldung mit einer befürwortenden Stellungnahme weitergeleitet hat, später die Erteilung der schriftlichen Zustimmung ablehnen kann, obwohl die anderen Mitgliedstaaten keine Einwände erhoben oder auf die ursprünglich erhobenen Einwände verzichtet haben. Dieser Mitgliedstaat und nur er allein könnte durch diese bloße Ablehnung die Vermarktung des GVO verhindern. Alle anderen Mitgliedstaaten könnten angesichts einer Zustimmung, die der jeweilige Mitgliedstaat mit ihrem Einverständnis erteilt hat, der die Anmeldung mit einer befürwortenden Stellungnahme weitergeleitet hatte, nur noch dadurch das Inverkehrbringen des fraglichen GVO verhindern, daß sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, Schutzmaßnahmen nach Artikel 16 der Richtlinie 90/220 zu erlassen, auf den ich noch zu sprechen komme.

57 Konnte keine Einigung aller Mitgliedstaaten erreicht werden, so ist die Lage doch nicht blockiert. Die Weigerung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, vorgebrachte Einwände zurückzunehmen, führt nicht dazu, daß es dem Mitgliedstaat, der positiv über die ihm vorliegende Anmeldung entschieden hatte, schlichtweg verboten wäre, seine Zustimmung zu erteilen.

58 Auch hier kann ein Mitgliedstaat nicht das Recht für sich in Anspruch nehmen, durch Erhebung eines Einwands einen GVO vom gesamten Gemeinschaftsmarkt zu verbannen. Er kann nur einen Beschluß der Kommission herbeiführen, wie es in Artikel 13 Absatz 3 der Richtlinie 90/220 vorgesehen ist. Die Kommission geht nach dem in Artikel 21 der Richtlinie vorgesehenen Verfahren vor, d. h. nach dem Verfahren "III a", wie es im Bereich der Komitologie genannt wird.

Die Aufgabe der Kommission

59 Nach diesem Verfahren unterbreitet die Kommission einem aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschuß, in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt, einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen. Der Ausschuß gibt seine Stellungnahme zu diesem Entwurf innerhalb einer Frist ab, die der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der betreffenden Frage festsetzen kann. Die Stellungnahme wird mit der Mehrheit abgegeben, die in Artikel 148 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 205 Absatz 2 EG) für die Annahme der vom Rat auf Vorschlag der Kommission zu fassenden Beschlüsse vorgesehen ist. Bei der Abstimmung im Ausschuß werden die Stimmen der Vertreter der Mitgliedstaaten gemäß dem vorgenannten Artikel gewogen. Der Vorsitzende nimmt an der Abstimmung nicht teil.

60 Die Kommission erläßt die vorgesehenen Maßnahmen, wenn sie mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmen.

61 Stimmen die vorgesehenen Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses nicht überein oder liegt keine Stellungnahme vor, so unterbreitet die Kommission dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen. Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit.

62 Hat der Rat nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach seiner Anrufung keinen Beschluß gefaßt, so werden die vorgeschlagenen Maßnahmen von der Kommission erlassen.

63 Ist der Beschluß, der nach diesem Verfahren entweder vom Rat oder von der Kommission gefaßt wird, positiv, so gilt das, was ich für den Fall dargelegt habe, daß sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben, in gleicher Weise.

64 Die praktische Wirksamkeit der Beteiligung der Organe erschöpft sich nicht in einer bloßen Genehmigung, die mit ihrem Beschluß verbundene Zustimmung zu erteilen. Das in Artikel 21 der Richtlinie 90/220 vorgesehene Verfahren soll trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedstaaten, die nicht anders beigelegt werden konnten, einen Beschluß über die Frage ermöglichen, ob die Vermarktung eines GVO zu genehmigen ist oder nicht.

65 Dieser Beschluß unterliegt selbstverständlich der Nachprüfung durch den Richter, im vorliegenden Fall durch den Gerichtshof. Solange jedoch der Gerichtshof nicht die Ungültigkeit des Beschlusses festgestellt hat, bindet dieser den Mitgliedstaat, an den er gerichtet ist, und - über die Rechtsfolge, die Artikel 13 Absatz 5 der Richtlinie 90/220 an die Zustimmung dieses Mitgliedstaats knüpft - alle anderen Mitgliedstaaten.

Rechtsgrundlage der Richtlinie

66 Zweitens ist zu berücksichtigen, daß die Richtlinie 90/220 aufgrund von Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) erlassen wurde, der dem Rat die Möglichkeit gibt, die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben.

67 Dies ist, wie Novartis und Monsanto zu Recht ausführen, für die hier geprüfte Frage nicht ohne Bedeutung. Da nämlich diese Maßnahmen gemäß Absatz 3 dieses Artikels in den Bereichen Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau ausgehen, genügt es grundsätzlich nicht, wenn nationale Maßnahmen zum Schutz dieser Interessen getroffen werden. Will ein Mitgliedstaat dennoch auf solche Maßnahmen zurückgreifen, so hat er sich der Aufsicht der Kommission zu unterwerfen, wozu er nicht verpflichtet ist, wenn er im Umweltbereich Maßnahmen treffen will, die strenger sind als die von der Gemeinschaft auf der Grundlage von Artikel 130s EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 175 EG) erlassenen Maßnahmen. Artikel 130t EG-Vertrag (jetzt Artikel 176 EG) bestimmt nämlich: "Die Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Artikels 130s getroffen werden, hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Die betreffenden Maßnahmen müssen mit diesem Vertrag vereinbar sein. Sie werden der Kommission notifiziert."

68 Ließe man zu, daß ein Mitgliedstaat seine Zustimmung zum Inverkehrbringen eines GVO verweigern kann, obwohl das Inverkehrbringen Gegenstand eines positiven Beschlusses auf Gemeinschaftsebene war, so würde dies im Widerspruch zu der Art von Harmonisierung, die erfolgt, wenn im Rahmen des Artikels 100a EG-Vertrag gehandelt wird, de facto auf eine Anerkennung des Rechts dieses Mitgliedstaats, protektionistischere Maßnahmen zu erlassen, hinauslaufen.

69 Drittens ist, worauf Novartis hingewiesen hat, das mit der Richtlinie 90/220 eingeführte Genehmigungsverfahren nicht so ungewöhnlich, wie man meinen könnte, da vergleichbare Verfahren im Bereich des Inverkehrbringens von Arzneimitteln und ein ähnliches Verfahren im Bereich der Festsetzung von Vorschriften zur Kennzeichnung gefährlicher Stoffe anzutreffen sind, die jeweils die Möglichkeit vorsehen, daß mangels Einigung der Mitgliedstaaten im Interesse des freien Warenverkehrs ein Beschluß der Kommission ergeht, der für alle verbindlich ist.

Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes

70 Es bleibt eine letzte, aber sehr wichtige Frage. Wenn Artikel 13 Absatz 4 der Richtlinie 90/220 dahin ausgelegt wird, daß sie den Mitgliedstaat zur Erteilung seiner Zustimmung verpflichtet, wenn die Kommission einen positiven Beschluß getroffen hat oder wenn zwischen den Mitgliedstaaten eine Übereinstimmung erzielt werden konnte, besteht dann nicht die Gefahr, daß die Erfordernisse des Vorsorgegrundsatzes nicht beachtet werden? Niemand hat nämlich gewagt, vorzuschlagen, daß dieser Grundsatz nur dann Anwendung findet, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber Vorschriften im Umweltbereich auf der Grundlage von Artikel 130s EG-Vertrag erläßt, und daß er nicht beachtet zu werden braucht, wenn Artikel 100a als Rechtsgrundlage herangezogen wird.

71 Zunächst ist daran zu erinnern, daß gemäß Nummer 15 der Deklaration von Rio über Umwelt und Entwicklung vom 14. Juni 1992 dieser Grundsatz besagt, daß der fehlende wissenschaftliche Nachweis eines mit bestimmten menschlichen Tätigkeiten verbundenen Risikos kein ausreichender Grund ist, um nicht alle Maßnahmen zu ergreifen, mit denen der Eintritt dieses Risikos abgewendet werden kann, wenn dieses Risiko in gewisser Weise plausibel ist.

72 Der Grundsatz besagt demgegenüber nicht, daß immer dann eine Tätigkeit entweder zu verbieten oder drakonischen Beschränkungen zu unterwerfen ist, wenn nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, daß nicht das mindeste Risiko besteht, da bekanntlich der negative Beweis nicht umsonst von den Juristen aller Zeiten als Probatio diabolica bezeichnet worden ist.

73 Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die sich im Verfahren vor dem Gerichtshof geäußert haben, haben mit Nachdruck betont, daß vom Vorsorgegrundsatz wenig bliebe, wenn dem Mitgliedstaat, der das Verfahren eingeleitet habe, nicht das Recht zugestanden werde, die Erteilung seiner Zustimmung einseitig zu verweigern.

74 Ihre Befürchtungen werden aus zwei Gründen nicht von mir geteilt.

75 Der erste Grund liegt darin, daß das gesamte Verfahren von der Richtlinie 90/220 gerade so ausgestaltet worden ist, daß die Risiken, die das Inverkehrbringen des fraglichen GVO mit sich bringen würde, in jedem Verfahrensabschnitt vorgebracht werden können, so daß es ausgeschlossen erscheint, daß der Vorsorgegrundsatz dem Inverkehrbringen geopfert werden könnte.

76 Der Mitgliedstaat, bei dem die Anmeldung eingeht, muß vom Anmelder eine ganze Reihe von Informationen erhalten, die in Artikel 11 der Richtlinie 90/220 aufgeführt sind, und nach Artikel 12 hat er die "Übereinstimmung [der Anmeldung] mit dieser Richtlinie [zu überprüfen], wobei auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und die für den sicheren Einsatz des Produkts empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen besonders zu achten ist".

77 Gelangt die zuständige Behörde zu der Auffassung, daß sie hierfür weitere Informationen benötigt, so ist sie berechtigt, diese anzufordern, und die zu deren Erlangung erforderliche Zeit wird gemäß Artikel 12 Absatz 5 der Richtlinie 90/220 bei der Berechnung der Frist, über die sie für ihre Entscheidung verfügt, nicht berücksichtigt.

78 Wird die Akte der Kommission mit einer "befürwortenden Stellungnahme" übermittelt, so muß sie gemäß Absatz 3 dieses Artikels bestimmten Anforderungen genügen.

79 Wie bereits oben ausgeführt, hat die Kommission, wenn sie die Akte an die anderen Mitgliedstaaten weiterleitet, die übrigen Informationen, die sie selbst eingeholt hat, beizufügen.

80 Im folgenden Verfahrensabschnitt, d. h., wenn die anderen Mitgliedstaaten die Akte erhalten haben, kann jeder von ihnen Einwände erheben. Er ist jedoch verpflichtet, die Einwände zu begründen, wodurch es zu einer wirklichen Erörterung der etwa mit dem fraglichen GVO verbundenen Risiken kommen kann.

81 Ein Mitgliedstaat kann nicht gezwungen werden, einen Einwand zurückzunehmen, auf den seiner Meinung nach nicht in zufriedenstellender Weise eingegangen worden ist.

82 Fällt die abschließende Entscheidung mangels Einigung der Mitgliedstaaten den Organen zu, so hat jeder Mitgliedstaat noch Gelegenheit, innerhalb des Ausschusses, der die Kommission zu unterstützen hat, oder gegebenenfalls im Rat, wenn dieser mit der Sache befaßt ist, seinen Standpunkt zu vertreten und somit seine Bedenken darzulegen.

83 Vor Erlaß ihres Beschlusses holt die Kommission die Stellungnahme verschiedener wissenschaftlicher Ausschüsse ein. Im vorliegenden Fall hat sie den wissenschaftlichen Futtermittelausschuß, den wissenschaftlichen Lebensmittelausschuß und den wissenschaftlichen Ausschuß für Schädlingsbekämpfungsmittel konsultiert.

84 Erinnern wir uns schließlich, daß Artikel 11 Absatz 6 der Richtlinie 90/220 wie folgt lautet:

"Sind vor oder nach der schriftlichen Zustimmung neue Informationen hinsichtlich der Risiken des Produkts für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt verfügbar geworden, so hat der Anmelder unverzüglich

- die in Absatz 1 genannten Informationen und Bedingungen zu überprüfen,

- die zuständige Behörde zu unterrichten,

- die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu ergreifen."

85 Unter diesen Umständen zu behaupten, daß die Beachtung des Vorsorgegrundatzes gefährdet sein könne, erscheint mir nicht gerade überzeugend, es sei denn, man nimmt an, daß alle am Entscheidungsverfahren beteiligten Stellen die Vorschrift des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 90/220 absichtlich außer acht lassen, wonach die "Mitgliedstaaten ... dafür Sorge [tragen], daß alle geeigneten Maßnahmen getroffen werden, damit die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von GVO keine Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zur Folge hat".

86 Der zweite Grund, der mir die Feststellung erlaubt, daß die Gefahr eines Verstoßes gegen den Vorsorgegrundsatz nicht gegeben ist, liegt darin, daß es eine Schutzklausel gibt, die gemäß Artikel 16 der Richtlinie 90/220 folgenden Wortlaut hat:

"(1) Hat ein Mitgliedstaat berechtigten Grund zu der Annahme, daß ein Produkt, das nach dieser Richtlinie vorschriftsmäßig angemeldet wurde und für das eine schriftliche Zustimmung erteilt worden ist, eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann er den Einsatz und/oder Verkauf dieses Produkts in seinem Gebiet vorübergehend einschränken oder verbieten. Er unterrichtet hiervon unter Angabe von Gründen unverzüglich die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten.

(2) Eine Entscheidung hierüber ergeht innerhalb von drei Monaten nach dem in Artikel 21 festgelegten Verfahren."

87 Die für jeden Mitgliedstaat bestehende Möglichkeit, vorübergehend, aber, wie sich sogleich zeigen wird, jederzeit die Vermarktung eines GVO zu verbieten, sofern er berechtigten Grund zu der Annahme hat, daß dieser GVO trotz der für ihn erteilten Zustimmung eine Gefahr darstellt, die in dem Verfahren, das zu einem positiven Beschluß geführt hat, nicht berücksichtigt wurde oder nicht berücksichtigt werden konnte, und sofern der Mitgliedstaat die Kommission hiervon unterrichtet, damit nach dem in Artikel 21 der Richtlinie 90/220 festgelegten Verfahren eine erneute Entscheidung ergeht, erscheint mir geeignet, auch den Anspruchsvollsten über die gewissenhafte Beachtung des Vorsorgegrundatzes zu beruhigen.

88 Hält man sich an den Wortlaut dieser Bestimmung, so scheint zwar die Berufung auf die mit Artikel 16 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit vorauszusetzen, daß eine Zustimmung bereits erteilt wurde.

89 Doch bin ich in Übereinstimmung mit den Ausführungen, die uns nicht nur die beteiligten Mitgliedstaaten und die Kommission, sondern - wohlgemerkt - auch Novartis vorgelegt haben, der Meinung, daß es für den betreffenden Mitgliedstaat möglich sein muß, die Erteilung der Zustimmung auszusetzen, sofern nach dem Erlaß eines positiven Beschlusses durch die Kommission, aber vor der Erteilung der Zustimmung durch den Mitgliedstaat eine bisher nicht berücksichtigte Gefahr auftaucht. Diese Sperre für das Inverkehrbringen noch vor der Erteilung der schriftlichen Zustimmung dürfte in der Praxis äußerst selten sein, da davon auszugehen ist, daß der betreffende Mitgliedstaat nach Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) den Beschluß unverzüglich zu befolgen hat, auch wenn Artikel 13 Absatz 4 der Richtlinie 90/220 keine Frist für die Erteilung der Zustimmung vorsieht.

90 Es wäre in der Tat eine zu enge Auslegung des Artikels 16 und eine Mißachtung der grundlegenden Vorschrift des Artikels 4 der Richtlinie 90/220, wollte man die Auffassung vertreten, daß, wenn ein positiver Beschluß der Kommission ergangen ist, die Zustimmung zwingend und automatisch zu erteilen ist, auch wenn dies den Zweck hätte, daß ihre Wirkungen in der nächsten Minute ausgesetzt werden. Es handelt sich allerdings nur um eine vorübergehende Aussetzung, da die Frage innerhalb von drei Monaten nach dem in Artikel 21 der Richtlinie 90/220 festgelegten Verfahren zu entscheiden ist.

91 Der Vorsorgegrundsatz kann daher Anwendung finden, und zwar in allen Verfahrensabschnitten.

92 Aufgrund dieser gesamten Erwägungen bin ich der Meinung, daß vorbehaltlich einer gutgläubigen Berufung auf die Schutzklausel des Artikels 16 der Richtlinie 90/220 der Mitgliedstaat, der an die Kommission einen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines GVO weitergeleitet hat, nicht über ein Ermessen verfügt, aufgrund dessen er die Erteilung der schriftlichen Zustimmung ablehnen könnte. Er hat sie daher nach Artikel 13 Absatz 4 der Richtlinie 90/220 zu erteilen, wenn gegen diesen Antrag von keinem anderen Mitgliedstaat ein Einwand erhoben worden ist oder wenn die Kommission einen positiven Beschluß getroffen hat.

Zur zweiten Frage

93 Gilt das Ergebnis, zu dem ich bezüglich der ersten Frage gelangt bin, uneingeschränkt auch für die Entscheidung 97/98, unabhängig von den Gesichtspunkten, die den Conseil d'État veranlaßt haben, zu bezweifeln, daß dies tatsächlich der Fall ist, und auf die ich oben hingewiesen habe?

94 Diese Frage kann meines Erachtens nur bejaht werden. Die Entscheidung, die übrigens gemäß ihrem Artikel 2 an die Mitgliedstaaten und nicht nur an die Französische Republik gerichtet ist, ist nach ihrem Wortlaut völlig klar und eindeutig, auch wenn sie nicht genau dieselbe Terminologie wie die Richtlinie 90/220 verwendet. Sie bezeichnet sich nämlich nicht als "positiver Beschluß" und bezieht sich nicht auf die Erteilung einer Zustimmung, sondern bestimmt in ihrem Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1:

"Unbeschadet anderer Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und gemäß den in den Absätzen 2 und 3 angeführten genannten Bedingungen genehmigen die französischen Behörden das Inverkehrbringen des nachstehenden, von der Firma Ciba-Geigy Limited nach Artikel 13 der Richtlinie 90/220/EWG angemeldeten Erzeugnisses (Ref. C/F/94/11-03)."

95 Sie hat als solche die Geltung, die Artikel 189 EG-Vertrag (jetzt Artikel 249 EG) den Entscheidungen der Kommission verleiht. Ihre Gültigkeit wird vermutet, solange der Gerichtshof, der hierfür allein zuständig ist, nicht ihre Ungültigkeit festgestellt hat, was, wie oben dargelegt, der Conseil d'État nicht von ihm verlangt.

Unregelmäßigkeiten im Ablauf des nationalen Verfahrens und Gültigkeit der Gemeinschaftsentscheidung

96 Heißt das jedoch, daß den Unregelmäßigkeiten, zu deren Feststellung sich der Conseil d'État in bezug auf die Prüfung der Akte durch die zuständige französische Behörde vor der Weiterleitung mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission veranlaßt sehen könnte, keinerlei Bedeutung beizumessen ist? Ich bin nicht dieser Meinung.

97 Zwar kann sich, wie die Kommission unter Bezugnahme auf das Urteil Oleificio Borelli/Kommission(4) ausgeführt hat, die Unregelmäßigkeit, mit der eventuell ein nationales Verfahren behaftet war, das nach dem Gemeinschaftsrecht dem Erlaß einer Gemeinschaftsentscheidung vorauszugehen hat und auf dessen Ergebnis sich die Gemeinschaftsorgane beim Erlaß ihrer eigenen Entscheidung stützen, in keiner Weise auf die Gültigkeit dieser Entscheidung auswirken.

98 Diese Rechtsprechung mag streng erscheinen, sie beruht jedoch auf sehr gewichtigen Gründen, die es meines Erachtens ausschließen, sie in Frage zu stellen. Denn man sieht nicht, wie sich der Gemeinschaftsrichter, der allein für die Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts zuständig ist, eine Meinung zum Vorliegen einer am nationalen Recht gemessenen Unregelmäßigkeit bilden könnte, da er doch keinerlei Befugnis zur Auslegung und Anwendung dieses Rechts im Rahmen der ihm gemäß den Artikeln 173 (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) und 177 EG-Vertrag verliehenen Zuständigkeiten hat.

99 Eine Infragestellung der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof, wie sie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, erschiene mir ziemlich unklug und würde in keiner Weise dem Anliegen einer Wahrung des Rechtsstaats innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung dienen.

100 Daß eine Unregelmäßigkeit im nationalen Verfahren keine Folgen für die Gültigkeit des nachfolgenden Gemeinschaftsrechtsakts hat, darf aber nicht falsch verstanden werden, vor allem nicht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem wir es anders als in der Rechtssache Oleificio Borelli/Kommission nicht mit einer negativen nationalen Entscheidung zu tun haben, die nur zu einer ebenfalls negativen Gemeinschaftsentscheidung führen konnte, sondern ganz im Gegenteil mit einer positiven nationalen Entscheidung, die zwar nicht automatisch eine positive Gemeinschaftsentscheidung nach sich zog, aber eine solche ermöglichte.

101 Erinnern wir uns nämlich daran, daß nach dem Mechanismus der Richtlinie 90/220 für den Fall, daß der Mitgliedstaat die ihm vorgelegte Anmeldung ablehnt, das Verfahren zur Genehmigung des fraglichen GVO endgültig beendet ist, wobei die Ablehnung nicht einmal der Kommission bekanntgegeben werden muß, während die Weiterleitung der Akte mit befürwortender Stellungnahme in keiner Weise dem ihr letztlich beschiedenen Schicksal vorgreift.

102 Da die Akte von den anderen Mitgliedstaaten und gegebenenfalls, wenn diese Mitgliedstaaten Einwände erheben und aufrechterhalten, von der Kommission geprüft wird, haben die Unregelmäßigkeiten, die sich eventuell auf das nationale Verfahren ausgewirkt haben, grundsätzlich keine unwiderruflichen Folgen.

103 Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Unregelmäßigkeiten nicht vom nationalen Gericht, wenn es zu diesem Zweck befaßt wird, geahndet werden dürfen. Aus dem Urteil Oleificio Borelli/Kommission geht vielmehr hervor, daß, wie die italienische und die österreichische Regierung vorgetragen haben, die nationale Rechtsordnung, wenn ein nationales Verfahren nach dem Gemeinschaftsrecht dem Erlaß einer Gemeinschaftsentscheidung vorauszugehen hat, den Beteiligten die Möglichkeit verschaffen muß, die Ordnungsmäßigkeit dieses Verfahrens von den nationalen Gerichten überprüfen zu lassen, auch wenn es als Vorverfahren in der nationalen Rechtsordnung möglicherweise nicht Gegenstand einer Klage sein kann.

104 Zwar ging es in dem Fall, der zum Urteil Oleificio Borelli/Kommission geführt hat, um eine negative nationale Entscheidung, aber ich sehe nicht, wie behauptet werden könnte, daß nur in einem solchen Fall eine Klage nach nationalem Recht möglich sein muß.

105 Nur das nationale Vorverfahren als solches muß unabhängig von seinem positiven oder negativen Ausgang der Kontrolle des nationalen Gerichts unterliegen.

Zu ziehende Konsequenzen, wenn Unregelmäßigkeiten im nationalen Verfahren festgestellt werden

106 Welche Bedeutung und welchen Nutzen hat die rechtskräftige Feststellung des nationalen Gerichts, daß das nationale Verfahren Unregelmäßigkeiten aufweist, die eine Nichtigerklärung der das Verfahren abschließenden nationalen Entscheidung rechtfertigen, im vorliegenden Fall der Weiterleitung mit einer "befürwortenden Stellungnahme" an die Kommission, wenn es nicht darum geht, das Urteil Oleificio Borelli/Kommission in Frage zu stellen?

107 Dies wird, wie die Kommission dargelegt hat, von der Art der Unregelmäßigkeit abhängen, die durch die gerichtliche Kontrolle aufgedeckt werden kann.

108 Ist die Unregelmäßigkeit formaler Natur im weiten Sinne, besteht sie z. B. darin, daß unter einem Protokoll, dessen Richtigkeit im übrigen nicht bestritten wird, eine Unterschrift fehlt, daß die Ladung zu einer Sitzung verspätet erfolgt oder daß die Gegenzeichnung einer Behörde unterbleibt, die am Erlaß der Entscheidung zu beteiligen ist, so ist meines Erachtens davon auszugehen, daß sie keine Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Erteilung der Zustimmung gemäß der Richtlinie 90/220 hat.

109 Wenn sie jedoch dazu führt, daß die zuständige Behörde eine befürwortende Stellungnahme abgibt, obwohl die Anmeldung ohne diese Stellungnahme abgelehnt worden wäre, genauer gesagt, wenn sie geeignet war, eine von dem fraglichen GVO ausgehende reale Gefahr zu verbergen, kann sie natürlich nicht in derselben Weise behandelt werden, da sie dann im Zusammenhang mit der Anwendung des Vorsorgegrundsatzes steht.

110 Welche Konsequenz ist in diesem Fall aus der Unregelmäßigkeit zu ziehen? Auch hier sind meines Erachtens zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden.

111 Entweder ist anläßlich der Prüfung, zu der die Akte nach ihrer Weiterleitung an die Kommission geführt hat, die in Rede stehende Gefahr entdeckt und damit die Frage aufgeworfen worden, ob sie es rechtfertigt, das Inverkehrbringen des fraglichen GVO zu verhindern. In diesem Fall ist davon auszugehen, daß es keinen Grund gibt, die Verpflichtung zur Erteilung der Zustimmung oder, wenn sie bereits erteilt wurde, die Zustimmung selbst in Frage zu stellen.

112 Oder diese auf der Ebene des nationalen Verfahrens verborgene Gefahr ist im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht näher geprüft worden, und die Unregelmäßigkeit ist, gemessen an den Anforderungen des Vorsorgegrundsatzes, als äußerst schwerwiegend anzusehen. In diesem Fall ist es ausgeschlossen, daß sie sich auf die Genehmigung des Inverkehrbringens nicht auswirkt.

113 Es ist Sache des Mitgliedstaats, der die Anmeldung mit einer befürwortenden Stellungnahme weitergeleitet hat, sofort die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission zu alarmieren und, ohne die Reaktion der Kommission abzuwarten, von den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihm Artikel 16 der Richtlinie 90/220 eröffnet und die ich oben eingehend dargelegt habe.

114 Tut er dies nicht, verstößt er gegen die ihm durch Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 90/220 auferlegten Verpflichtungen und macht sich möglicherweise haftbar. Sobald die Kommission unterrichtet worden ist, wird sie daraus, daß keine reale Gefahr für die Gesundheit oder den Umweltschutz berücksichtigt wurde, alle Konsequenzen ziehen, da, wie sie in ihren Erklärungen ausgeführt hat, ein "positiver" Beschluß in einem Fall, in dem die Sachlage einen "negativen" Beschluß rechtfertigt, und umgekehrt, rechtswidrig wird und berichtigt werden muß.

115 Der Nutzen der Überprüfung des nationalen Verfahrens durch das nationale Gericht wird somit sehr deutlich. Sie bietet die - nicht oft genug vorhandene - Gelegenheit, sich zu vergewissern, daß die Anforderungen des Vorsorgegrundsatzes nicht verkannt worden sind. Sie wird jedenfalls, wenn sie zu einer Nichtigerklärung führt und deren Gründe zu denen gehören, die ich zuletzt genannt habe, es der Kommission erlauben, eine Rechtswidrigkeit festzustellen und unverzüglich Abhilfe zu schaffen, und gegebenenfalls dem Gemeinschaftsrichter, wenn er mit der Sache befaßt wird, einen zu Unrecht ergangenen positiven Beschluß aufzuheben.

116 Ich füge eine letzte Bemerkung hinzu, nicht zur Überprüfung des ursprünglichen nationalen Verfahrens durch das nationale Gericht, sondern zu der Überprüfung, die dieses Gericht wie im vorliegenden Fall, in dem es zu dem Vorabentscheidungsersuchen gekommen ist, möglicherweise hinsichtlich der Zustimmungserteilung durch die zuständige nationale Behörde vornehmen wird.

117 Wie ich oben zur Beantwortung der ersten Frage ausgeführt habe, handelt die nationale Behörde, die ihre Zustimmung erteilt, nachdem ihr der positive Beschluß der Kommission bekanntgegeben worden ist oder nachdem es zu einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten gekommen ist, im Rahmen eines gebundenen Ermessens, und das nationale Gericht hat dies selbstverständlich zu berücksichtigen. Es ist natürlich nicht meine Aufgabe, hier die Grenzen der Kontrolle aufzuzeigen, die das Gericht ausüben darf; doch habe ich darauf hinzuweisen, daß es nicht befugt ist, die Rechtswidrigkeit des positiven Beschlusses der Kommission und das, was in diesem Zusammenhang sonst noch seine Überzeugung sein mag, als feststehend anzusehen, es sei denn, es hat die Feststellung dieser Rechtswidrigkeit durch den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsersuchens herbeigeführt oder es kann sich auf eine Nichtigerklärung berufen, die der Gerichtshof im Rahmen einer auf Artikel 173 EG-Vertrag gestützten Klage ausgesprochen hat.

118 Um auf den eigentlichen Gegenstand der zweiten Frage zurückzukommen, so bin ich der Ansicht, daß die Entscheidung 97/98 dahin auszulegen ist, daß sie die französische Regierung verpflichtet, ihre schriftliche Zustimmung zu erteilen, es sei denn, sie macht von der durch Artikel 16 der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, sofern sie der Auffassung ist, daß die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfuellt sind.

Ergebnis

119 Zum Abschluß meiner Ausführungen schlage ich Ihnen vor, wie folgt für Recht zu erkennen:

1. Vorbehaltlich einer gutgläubigen Berufung auf die Schutzklausel des Artikels 16 der Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt verfügt der Mitgliedstaat, der an die Kommission einen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines genetisch veränderten Organismus weitergeleitet hat, nicht über ein Ermessen, aufgrund dessen er die Erteilung der schriftlichen Zustimmung ablehnen könnte. Er hat sie daher nach Artikel 13 Absatz 4 dieser Richtlinie zu erteilen, wenn gegen diesen Antrag von keinem anderen Mitgliedstaat ein Einwand erhoben worden ist oder wenn die Kommission einen positiven Beschluß getroffen hat.

2. Die Entscheidung 97/98/EG der Kommission vom 23. Januar 1997 über das Inverkehrbringen von genetisch verändertem Mais (Zea Mays L.) mit der kombinierten Veränderung der Insektizidwirkung des BT-Endotoxin-Gens und erhöhter Toleranz gegenüber dem Herbizid Glufosinatammonium gemäß der Richtlinie 90/220 ist dahin auszulegen, daß sie die französische Regierung verpflichtet, ihre schriftliche Zustimmung zu erteilen, es sei denn, sie macht von der durch Artikel 16 der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, sofern sie der Auffassung ist, daß die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfuellt sind.

(1) - ABl. L 31, S. 69.

(2) - ABl. L 117, S. 15.

(3) - Siehe insbesondere Urteile vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 311/84 (CBEM, Slg. 1985, 3261, Randnrn. 9 und 10) und vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89 (Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnrn. 31 bis 34).

(4) - Urteil vom 3. Dezember 1992 in der Rechtssache C-97/91 (Slg. 1992, I-6313).

Top