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Document 61993CO0257

Beschluss des Gerichtshofes vom 21. Juni 1993.
Léon Van Parijs NV und andere gegen Rat der Europäischen Gemeinschaften und Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Bananen - Gemeinsame Marktorganisation - Handel mit dritten Ländern - Wirtschaftsteilnehmer - Nichtigkeitsklage - Unzulässigkeit.
Rechtssache C-257/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 I-03335

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1993:249

61993O0257

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 21. JUNI 1993. - LEON VAN PARIJS NV UND ANDERE GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN UND EUROPAEISCHE GEMEINSCHAFTEN. - BANANEN - GEMEINSAME MARKTORGANISATION - HANDEL MIT DRITTLAENDERN - WIRTSCHAFTSTEILNEHMER - NICHTIGKEITSKLAGE - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-257/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-03335


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Nichtigkeitsklage ° Natürliche oder juristische Personen ° Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen ° Verordnung, mit der eine Regelung für den Bananenhandel mit Drittländern und für die Aufteilung eines Zollkontingents unter verschiedenen Gruppen von Marktbeteiligten geschaffen wird

(EWG-Vertrag, Artikel 173 Absatz 2; Verordnung Nr. 404/93 des Rates)

2. Schadensersatzklage ° Selbständigkeit gegenüber der Nichtigkeitsklage ° Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung ° Keine Auswirkung auf die Zulässigkeit einer Klage auf Ersatz des durch den Erlaß der Verordnung verursachten Schadens

(EWG-Vertrag, Artikel 178 und 215 Absatz 2)

Leitsätze


1. Der Umstand, daß die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeutet keineswegs, daß diese als von der Maßnahme individuell betroffen im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 des Vertrages anzusehen sind, sofern nur feststeht, daß die Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist. Als individuell betroffen können diese Personen nur dann angesehen werden, wenn sie in ihrer Rechtsstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten.

Eine Verordnung, mit der eine Regelung für den Bananenhandel mit Drittländern und für die Aufteilung eines in ihr festgelegten Zollkontingents unter verschiedenen, mittels objektiver Kriterien beschriebenen Gruppen von Marktbeteiligten geschaffen wird, ist jedoch aufgrund eines objektiv bestimmten Tatbestands anwendbar und zeitigt Rechtsfolgen für generell und abstrakt umschriebene Personengruppen. Sie betrifft die zu den verschiedenen Gruppen gehörenden Marktbeteiligten lediglich aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Marktbeteiligte im Bereich der Vermarktung von Bananen aus Drittländern ebenso wie jeden anderen Marktbeteiligten in gleicher Lage.

2. Die in den Artikeln 178 und 215 EWG-Vertrag vorgesehene Schadensersatzklage ist als Rechtsbehelf selbständig. Sie hat im Rechtsschutzsystem ihre eigene Funktion; für ihre Erhebung gelten Voraussetzungen, die ihrem spezifischen Ziel angepasst sind. Die Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung bewirkt deshalb nicht automatisch die der Klage auf Ersatz des durch den Erlaß dieser Verordnung verursachten Schadens.

Entscheidungsgründe


1 Die Firma Leon Van Parijs und sechs weitere Unternehmen des Bananenhandels haben mit Klageschrift, die am 27. April 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag auf Nichtigerklärung bestimmter Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl. L 47, S. 1) und gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag auf Verurteilung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Ersatz des durch den Erlaß dieser Verordnung verursachten Schadens erhoben.

2 Die Verordnung Nr. 404/93 regelt in Titel IV den Handel mit dritten Ländern. Sie sieht in diesem Zusammenhang vor, daß die herkömmlichen Einfuhren von Bananen aus den AKP-Staaten in die Gemeinschaft, deren Mengen im Anhang festgelegt sind, weiterhin zollfrei erfolgen können.

In Artikel 18 Absatz 1 der Verordnung heisst es:

"Jährlich wird ein Zollkontingent in Höhe von 2 Millionen Tonnen Eigengewicht für Einfuhren von Drittlandsbananen und nicht herkömmliche Einfuhren von AKP-Bananen eröffnet.

Im Rahmen dieses Zollkontingents wird auf Einfuhren von Drittlandsbananen eine Abgabe von 100 ECU/Tonne erhoben; nicht herkömmliche Einfuhren von AKP-Bananen unterliegen einem Zollsatz von Null."

In Absatz 2 dieses Artikels heisst es weiter:

"Ausserhalb des Kontingents gemäß Absatz 1

° unterliegen die nicht herkömmlichen Einfuhren von AKP-Bananen einer Abgabe von 750 ECU/Tonnen;

° unterliegen die Einfuhren von Drittlandsbananen einer Abgabe von 850 ECU/Tonnen."

Artikel 19 Absatz 1 bestimmt:

"Das Zollkontingent wird ab 1. Juli 1993 anteilig wie folgt eröffnet:

a) 66,5 v. H. für die Gruppe der Marktbeteiligten, die Drittlandsbananen und/oder nichttraditionelle AKP-Bananen vermarktet haben;

b) 30 v. H. für die Gruppe der Marktbeteiligten, die Gemeinschaftsbananen und/oder traditionelle AKP-Bananen vermarktet haben;

c) 3,5 v. H. für in der Gemeinschaft niedergelassene Marktbeteiligte, die ab 1992 mit der Vermarktung von anderen als Gemeinschafts- und/oder traditionellen AKP-Bananen beginnen ..."

3 Die Klägerinnen machen geltend, daß die Vorschriften der Verordnung Nr. 404/93 über die Schaffung eines Zollkontingents für Einfuhren von Bananen aus Drittländern und über die Aufteilung dieses Kontingents zwischen den Marktbeteiligten, die Drittlandsbananen und/oder nichttraditionelle AKP-Bananen vermarktet haben, und jenen, die Gemeinschafts- und/oder traditionelle AKP-Bananen vermarktet haben, sie unmittelbar und individuell beträfen und rechtswidrig seien; ihnen sei zudem durch die Anwendung dieser Vorschriften ein Schaden entstanden.

4 Gemäß Artikel 92 § 2 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit von Amts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen, und hierüber gemäß Artikel 91 §§ 3 und 4 ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

5 Da die Akten alle für die Prüfung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage erforderlichen Angaben enthalten, hat der Gerichtshof beschlossen, hierüber ohne Anhörung mündlicher Ausführungen der Parteien zu entscheiden.

6 Gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag kann jede natürliche oder juristische Person die an sie ergangenen Entscheidungen sowie diejenigen Entscheidungen anfechten, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.

7 Da mit der vorliegenden Klage die Nichtigerklärung von Bestimmungen einer Verordnung begehrt wird, ist zu prüfen, ob die Klägerinnen durch die angefochtene Maßnahme unmittelbar und individuell betroffen sind.

8 Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet der Umstand, daß die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, keineswegs, daß diese als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern nur feststeht, daß die Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (vgl. z. B. Beschluß des Gerichtshofes vom 24. Mai 1993 in der Rechtssache C-131/92, Arnaud u. a./Rat, Slg. 1993, I-2573).

9 Als individuell betroffen können diese Personen nur dann angesehen werden, wenn sie in ihrer Rechtsstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten (siehe z. B. Beschluß Arnaud/Rat, a. a. O., und Urteil vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 26/86, Deutz und Geldermann/Rat, Slg. 1987, 941).

10 Mit den hier angefochtenen Vorschriften wird eine Regelung für den Bananenhandel mit Drittländern und für die Aufteilung des Zollkontingents unter verschiedenen Gruppen von Marktbeteiligten geschaffen, die mittels objektiver Kriterien beschrieben sind.

11 Diese Bestimmungen sind damit aufgrund eines objektiv bestimmten Tatbestands anwendbar und zeitigen Rechtsfolgen für generell und abstrakt umschriebene Personengruppen.

12 Der angefochtene Rechtsakt betrifft die Klägerinnen daher lediglich aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Marktbeteiligte im Bereich der Vermarktung von Bananen aus Drittländern ebenso wie jeden anderen Marktbeteiligten in gleicher Lage.

13 Demnach ist die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit mit ihr die Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmungen der Verordnung Nr. 404/93 begehrt wird.

14 Was den Antrag auf Schadensersatz angeht, so ist die in den Artikeln 178 und 215 EWG-Vertrag vorgesehene Klage als Rechtsbehelf selbständig. Sie hat im Rechtsschutzsystem ihre eigene Funktion; für ihre Erhebung gelten Voraussetzungen, die ihrem spezifischen Ziel angepasst sind. Die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage bewirkt deshalb nicht automatisch die der Schadensersatzklage (vgl. insbesondere Urteil vom 2. Dezember 1971 in der Rechtssache 5/71, Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975).

15 Die Klage bleibt daher anhängig, soweit mit ihr die Verurteilung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Ersatz des durch den Erlaß der Verordnung Nr. 404/93 verursachten Schadens begehrt wird.

Kostenentscheidung


Kosten

16 Da die Klage anhängig bleibt, soweit sie auf die Artikel 178 und 215 EWG-Vertrag gestützt ist, bleibt die Kostenentscheidung vorbehalten.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit mit ihr die Nichtigerklärung bestimmter Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen begehrt wird.

2) Die Klage bleibt anhängig, soweit mit ihr die Verurteilung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Ersatz des durch den Erlaß der Verordnung Nr. 404/93 verursachten Schadens begehrt wird.

3) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 21. Juni 1993.

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