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Document 61993CJ0308

Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996.
Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank gegen J.M. Cabanis-Issarte.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep - Niederlande.
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Freiwillige Altersversicherung - Hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers - Gleichbehandlung.
Rechtssache C-308/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 I-02097

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1996:169

61993J0308

Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996. - Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank gegen J.M. Cabanis-Issarte. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep - Niederlande. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Freiwillige Altersversicherung - Hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers - Gleichbehandlung. - Rechtssache C-308/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-02097


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ° Gemeinschaftsregelung ° Persönlicher Geltungsbereich ° Familienangehörige eines Arbeitnehmers ° Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten ° Unerheblich ° Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften

(Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1)

2. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ° Gleichbehandlung ° Familienangehörige des Arbeitnehmers ° Diskriminierung des hinterbliebenen Ehegatten auf dem Gebiet der freiwilligen Versicherung ° Unzulässigkeit ° Auslegung, die nicht herangezogen werden kann, um vor dem 30. April 1996 geregelte Rechtsverhältnisse wieder in Frage zu stellen

(Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1)

Leitsätze


1. Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung festlegt, behandelt zwei deutlich unterschiedene Personengruppen: die Arbeitnehmer auf der einen und deren Familienangehörige und Hinterbliebene auf der anderen Seite. Erstere müssen, um unter die Verordnung zu fallen, Angehörige eines Mitgliedstaats oder in einem Mitgliedstaat ansässige Staatenlose oder Flüchtlinge sein; dagegen hängt die Geltung der Verordnung für Familienangehörige oder Hinterbliebene von Arbeitnehmern, die Gemeinschaftsangehörige sind, nicht von deren Staatsangehörigkeit ab.

Durch diese Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen oder Hinterbliebenen wird der persönliche Geltungsbereich zahlreicher Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, von denen einige ausschließlich für Arbeitnehmer gelten. Dies trifft beispielsweise auf die Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 zu.

So kann sich der Ehegatte eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft für die Inanspruchnahme der Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger berufen, da diese Bestimmungen in erster Linie nur die Ansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit koordinieren sollen, welche nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, und nicht deren Familienangehörigen gewährt werden. Einen solchen Fall betraf das Urteil vom 23. November 1976 in der Rechtssache 40/76 (Kermaschek).

Hingegen haben nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, "soweit besondere Bestimmungen ... [der] Verordnung nichts anderes vorsehen", die "Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen" und für die diese Verordnung gilt, Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, ohne daß hierbei unterschieden wird, ob die betroffene Person Arbeitnehmer oder aber Familienangehöriger oder hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers ist.

Könnte der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der mit diesem in einen anderen Mitgliedstaat gezogen ist und mit diesem zusammen oder nach dessen Tod in seinen Heimatstaat zurückkehren will, sich für die Gewährung bestimmter nach den Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaats vorgesehener Leistungen nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, hätte dies unter diesen Umständen negative Auswirkungen auf die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, die den Hintergrund für die Gemeinschaftsbestimmungen über die Koordinierung der nationalen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bildet. Es widerspräche Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, dem Ehegatten oder Hinterbliebenen eines Wanderarbeitnehmers für die Festsetzung von Leistungen bei Alter den Schutz durch das Diskriminierungsverbot zu versagen, wenn er auf diese Leistungen bei Gleichbehandlung mit den Inländern Anspruch gehabt hätte, falls er im Aufnahmestaat geblieben wäre.

Ausserdem könnte die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten, die der Gerichtshof im genannten Urteil Kermaschek vorgenommen hat, zu einer Beeinträchtigung des für die Gemeinschaftsordnung grundlegenden Gebots der einheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften führen, da deren Anwendbarkeit auf den einzelnen davon abhinge, ob der Anspruch auf die betreffenden Leistungen nach nationalem Recht je nach den Besonderheiten des einzelstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit als eigenes oder abgeleitetes Recht qualifiziert würde.

Daher kann die Tragweite des Gleichheitssatzes nicht nach Maßgabe der von den einzelnen nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorgenommenen Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist und die sich in diesen Systemen zunehmend verwischt, mehr oder weniger restriktiv ausgelegt werden, wenn es darum geht, sie der Familie des Arbeitnehmers zuzubilligen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung sowohl des Sinns als auch des Zwecks der Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit und der Notwendigkeit, diese einheitlich anzuwenden, davon auszugehen, daß auf die Familienangehörigen ° abgesehen von den Fällen, in denen aus der Verordnung Nr. 1408/71 hervorgeht, daß es sich um eine Leistung handelt, auf deren diskriminierungsfreie Gewährung nur der Arbeitnehmer Anspruch hat, die Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Beschäftigungsstaats des Arbeitnehmers unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung finden, wie auf dessen eigene Staatsangehörige.

2. Die Artikel 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 sind dahin auszulegen, daß sich der hinterbliebene Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers auf sie für die Festsetzung des Beitragssatzes für eine Zeit freiwilliger Versicherung berufen kann, die nach dem Altersversorgungssystem des Mitgliedstaats zurückgelegt wurde, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt war.

Für einen Ehegatten, der freiwillig Beiträge zu einem Altersversorgungssystem in dem Mitgliedstaat entrichtet, in dem er aufgrund der Beschäftigung des Arbeitnehmers bereits Rentenansprüche begründet hat, die er ergänzen möchte, gelten nämlich die Gemeinschaftsbestimmungen über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, insbesondere das Diskriminierungsverbot im Bereich der sozialen Sicherheit gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71.

Auf diese Auslegung der Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, die von der früheren Auslegung des Gerichtshofes abweicht, können jedoch aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit, die es ausschließen, daß Rechtsverhältnisse, die nach der früheren ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes endgültig festgestellt worden sind, wieder in Frage gestellt werden, Forderungen, die auf Leistungen für Zeiten vor dem 30. April 1996, dem Tag der Verkündung des Urteils, mit dem diese Auslegung festgelegt worden ist, gerichtet sind, nicht gestützt werden; dies gilt nicht für die Fälle, in denen vor diesem Zeitpunkt Klage vor einem Gericht erhoben oder ein entsprechender Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

Entscheidungsgründe


1 Der Centrale Raad van Beroep hat mit Urteil vom 3. Juni 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der geänderten und aktualisierten Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Cabanis-Issarte und der Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank (Direktion der Sozialversicherungsanstalt, im folgenden: SVB) wegen der Festsetzung des Beitragssatzes für eine nach der Algemene Ouderdomswet (niederländisches Altersversorgungsgesetz, im folgenden: AOW) zurückgelegte Zeit freiwilliger Versicherung.

3 Die französische Staatsangehörige Cabanis-Issarte ist die hinterbliebene Ehefrau eines Wanderarbeitnehmers, der ebenfalls die französische Staatsangehörigkeit besaß. Im November 1948 zogen beide wegen der beruflichen Tätigkeit des Ehemannes in die Niederlande. Im Oktober 1960 kehrten sie nach Frankreich zurück. Im November 1963 zogen sie erneut in die Niederlande und wohnten dort bis Juli 1969; in diesem Jahr erreichte Herr Cabanis das Rentenalter. Zu dem genannten Zeitpunkt kehrten die Ehegatten endgültig nach Frankreich zurück, wo Herr Cabanis im Oktober 1977 verstarb.

4 Vom 1. Januar 1957, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der AOW, bis Oktober 1960 war Frau Cabanis-Issarte wegen ihres Wohnsitzes in den Niederlanden nach der AOW pflichtversichert. Vom 20. Oktober 1960 bis zum 12. November 1963, als das Ehepaar in Frankreich wohnte, war Frau Cabanis-Issarte aufgrund freiwilliger Beiträge ihres Ehemannes nach der AOW versichert. Anschließend war sie aufgrund ihres Wohnsitzes in den Niederlanden bis zu ihrer endgültigen Rückkehr nach Frankreich am 15. Juli 1969 nach der AOW wiederum pflichtversichert.

5 Für die Zeit vor dem Inkrafttreten der AOW, vom 23. November 1948 bis zum 31. Dezember 1956, war Frau Cabanis-Issarte nach den niederländischen Rechtsvorschriften aufgrund der Übergangsbestimmungen der AOW in Verbindung mit den Bestimmungen des Anhangs V Abschnitt H der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs, Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge vom 22. Januar 1972 (ABl. L 73, S. 14) versichert.

6 Anhang V Abschnitt H Nummer 2 Buchstaben a, c und e enthielt mehrere Gleichstellungsvorschriften für eine solche Alterssicherung, die wie folgt lauten:

"a) Als nach den niederländischen Rechtsvorschriften über die allgemeine Altersversorgung zurückgelegte Versicherungszeiten gelten auch die Zeiten vor dem 1. Januar 1957, in denen der Berechtigte, der die Bedingungen, unter denen diese Zeiten den Versicherungszeiten gleichgestellt werden können, nicht erfuellt, nach dem 15. Lebensjahr im Gebiet der Niederlande gewohnt hat oder in denen er in den Niederlanden eine entlohnte Tätigkeit im Dienst eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgebers ausgeuebt hat, während er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnte.

...

c) Für die verheiratete Frau, deren Mann Anspruch auf eine Rente nach den niederländischen Rechtsvorschriften über die allgemeine Altersversicherung hat, werden als Versicherungszeiten auch die Zeiten dieser Ehe berücksichtigt, die vor dem Tag liegen, an dem die Betreffende das 65. Lebensjahr vollendet hat, und in denen sie im Gebiet eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten gewohnt hat, soweit diese Zeiten mit den von ihrem Ehemann nach diesen Rechtsvorschriften zurückgelegten und mit den nach Buchstabe a) zu berücksichtigenden Versicherungszeiten zusammenfallen.

...

e) Bei der Frau, die verheiratet gewesen ist und deren Mann den niederländischen Rechtsvorschriften über die Altersversicherung unterstanden hat oder von dem Versicherungszeiten nach Buchstabe a) als zurückgelegt gelten, finden die Buchstaben c) und d) entsprechende Anwendung.

..."

7 Von seiner Versetzung in den Ruhestand im Februar 1969 an bis zu seinem Tod im Oktober 1977 erhielt Herr Cabanis eine "Rente für Verheiratete", die nach Maßgabe der vorstehend beschriebenen von den beiden Ehegatten zurückgelegten Versicherungszeiten berechnet wurde. In diesem Zeitraum hatte Frau Cabanis-Issarte, die im Mai 1974 ihr 65. Lebensjahr vollendete, keinen eigenen Rentenanspruch nach der AOW, da sie nach dieser Regelung, wie sie damals galt, als verheiratete Frau ausschließlich durch die an ihren Ehemann gezahlte Rente gesichert war.

8 Dagegen erwarb Frau Cabanis-Issarte mit dem Tod ihres Ehemannes vom 1. April 1978 an einen eigenen Anspruch auf "Rente für Unverheiratete" nach der AOW. Die SVB kürzte diese Rente jedoch um einen Betrag, der den 29 Jahren entsprach, die Frau Cabanis-Issarte nicht nach der AOW versichert war. Es handelt sich dabei um die Zeit von der Vollendung ihres 15. Lebensjahres (am 13. Mai 1924) bis zur erstmaligen Niederlassung der Ehegatten in den Niederlanden (am 23. November 1948) und die Zeit von der endgültigen Rückkehr nach Frankreich (am 15. Juli 1969) bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres (am 13. Mai 1974).

9 Für diesen letzteren Zeitraum schlug die SVB Frau Cabanis-Issarte die freiwillige Entrichtung von Beiträgen vor. Mit Bescheid vom 7. Juli 1980 wurde der Beitrag für diese freiwillige Versicherung nach Artikel 2 Absatz 1 der Königlichen Verordnung vom 24. Februar 1961 (Stb. 56) auf den Hoechstsatz festgesetzt. Die genannte Bestimmung lautet:

"Der Beitrag beläuft sich für jedes vollständige Kalenderjahr in dem betreffenden Zeitraum auf den Betrag, den ein Versicherter nach der Algemene Ouderdomswet für das entsprechende Jahr höchstens schulden kann."

10 Die Vorschrift gilt jedoch nicht für niederländische Staatsangehörige, deren Beitrag nach Artikel 2 Absatz 2 der Königlichen Verordnung von 1961 niedriger ist, da er sich

"für jedes vollständige Kalenderjahr in dem betreffenden Zeitraum, für das der Betroffene der Sociale Verzekeringsbank hinreichend darlegen kann, daß dies für ihn günstiger ist, auf denselben Vomhundertsatz seines Einkommens in dem entsprechenden Kalenderjahr [beläuft], wie er nach Artikel 28 der Algemene Ouderdomswet für dieses Jahr gilt, jedoch auf mindestens 5 % des Betrags, den ein nach diesem Gesetz Versicherter für das betreffende Jahr höchstens schulden kann".

11 Artikel 3 der Königlichen Verordnung vom 22. Dezember 1971 (Stb. 798) enthält Bestimmungen, die den eben wiedergegebenen entsprechen; der einzige Unterschied besteht darin, daß diese letztgenannte Verordnung auch auf die Algemene Weduwen- en Wezenwet (niederländisches Gesetz über die allgemeine Witwen- und Waisenversorgung) Bezug nimmt.

12 Frau Cabanis-Issarte erhob beim Raad van Beroep Amsterdam Klage gegen den Bescheid der SVB über die Festsetzung des Hoechstsatzes für die im Rahmen der freiwilligen Versicherung zu entrichtenden Beiträge.

13 Der Raad van Beroep Amsterdam erklärte die Klage mit Urteil vom 2. Februar 1987 für begründet. Er vertrat u. a. die Auffassung, daß "die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gemäß ihrem Artikel 2 auf die Klägerin anwendbar ist und daß diese nach Artikel 3 dieser Verordnung im Rahmen der Regelung über die freiwillige Entrichtung von Beiträgen Anspruch auf dieselbe Behandlung hat, wie sie niederländischen Staatsangehörigen zuteil wird".

14 Nach ihrem Artikel 2 Absatz 1 gilt die Verordnung Nr. 1408/71 "für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind ..., sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene".

15 Artikel 3 Absatz 1 bestimmt: "Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

16 Die SVB legte gegen dieses Urteil Berufung beim Centrale Raad van Beroep ein. Dieses Gericht weist u. a. darauf hin, daß eine Person wie Frau Cabanis-Issarte, wenn sie in der Zeit vom 15. Juli 1969 bis zum 13. Mai 1974 in den Niederlanden geblieben wäre, aufgrund ihres inländischen Wohnsitzes weiterhin pflichtversichert gewesen wäre und der Beitrag im Gegensatz zur freiwilligen Versicherung nicht zum Hoechstsatz festgesetzt worden wäre.

17 Aufgrund von Zweifeln, welche Rechte Frau Cabanis-Issarte aus der Verordnung Nr. 1408/71 zustehen, hat der Centrale Raad van Beroep das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Finden in Fällen wie dem vorliegenden gemäß Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 diese Verordnung und insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne von Artikel 3 der Verordnung auf eine Person wie die Rechtsmittelgegnerin Anwendung,

a) da sie als Berechtigte im Sinne von Nummer 2 Buchstabe a des Anhangs V Abschnitt H dieser Verordnung (in der Numerierung zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids) anzusehen ist,

b) da sie als Familienangehörige oder (schließlich) Hinterbliebene im Sinne von Artikel 2 dieser Verordnung anzusehen ist, weil sie nach Artikel 9 der seinerzeit anwendbaren Königlichen Verordnung vom 24. Februar 1961 aufgrund der Beitragsentrichtung im Wege der freiwilligen Versicherung durch ihren damaligen Ehemann (für den Zeitraum vom 20. Oktober 1960 bis 12. November 1963) (mit-)versichert war,

c) da sie als Familienmitglied bzw. Hinterbliebene gilt, weil davon auszugehen ist, daß auf sie für den zuletzt genannten Zeitraum, jedoch auch darüber hinaus, Nummer 2 Buchstabe e in Verbindung mit Nummer 2 Buchstabe c des genannten Abschnitts des Anhangs Anwendung findet?

2. Kann davon ausgegangen werden, daß in Fällen wie dem vorliegenden als Folge der Ausübung des Rechts auf Freizuegigkeit Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlorengehen, so daß das Ziel der Artikel 48 bis 51 EWG-Vertrag nicht erreicht wird, und falls ja, welche Folgen hat dies für das hier in Rede stehende Staatsangehörigkeitserfordernis für die Beitragsermässigung?

Zur ersten Frage

18 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen sind, daß sie von dem hinterbliebenen Ehegatten eines Wanderarbeitnehmers für die Festsetzung des Beitragssatzes für eine Zeit freiwilliger Versicherung geltend gemacht werden können, die nach dem Altersversorgungssystem des Mitgliedstaats zurückgelegt wurde, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt war.

19 Nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil vom 23. November 1976 in der Rechtssache 40/76 (Kermaschek, Slg. 1976, 1669) stehen den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nur abgeleitete Rechte zu, d. h. solche, die sie als Familienangehörige eines Arbeitnehmers erworben haben.

20 Die SVB, die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, und die Kommission sind sich einig, daß nach dieser Rechtsprechung der hinterbliebene Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers sich für die Festsetzung der Höhe der Altersrentenbeiträge für eine Zeit freiwilliger Versicherung nicht auf Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen könne, da das Recht auf eine solche Leistung kein abgeleitetes Recht sei, das als Familienangehöriger oder Hinterbliebener eines Arbeitnehmers erworben werde, sondern ein eigenes Recht unabhängig von jeder verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Arbeitnehmer darstelle.

21 Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung festlegt, behandelt zwei deutlich unterschiedene Personengruppen: die Arbeitnehmer auf der einen und deren Familienangehörige und Hinterbliebene auf der anderen Seite. Erstere müssen, um unter die Verordnung zu fallen, Angehörige eines Mitgliedstaats oder in einem Mitgliedstaat ansässige Staatenlose oder Flüchtlinge sein; dagegen hängt die Geltung der Verordnung für Familienangehörige oder Hinterbliebene von Arbeitnehmern, die Gemeinschaftsangehörige sind, nicht von deren Staatsangehörigkeit ab.

22 Durch diese Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen oder Hinterbliebenen wird der persönliche Geltungsbereich zahlreicher Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, von denen einige ausschließlich für Arbeitnehmer gelten.

23 So kann sich der Ehegatte eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft für die Inanspruchnahme der Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger berufen, da diese Bestimmungen in erster Linie nur die Ansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit koordinieren sollen, welche nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, und nicht deren Familienangehörigen gewährt werden.

24 Einen solchen Fall betraf das genannte Urteil Kermaschek. Frau Kermaschek, eine jugoslawische Staatsangehörige, hatte verlangt, auf sie die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 über die Zusammenrechnung der Versicherungs- und Beschäftigungszeiten zur Begründung eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit anzuwenden. Als Angehörige eines Drittstaats konnte sie sich dabei nicht darauf berufen, daß sie Arbeitnehmerin in Deutschland war. Sie konnte aber auch nicht geltend machen, daß sie Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen war, da die betreffenden Gemeinschaftsvorschriften ausschließlich für Arbeitnehmer galten.

25 Der vom vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache unterbreitete Fall liegt jedoch anders. Frau Cabanis-Issarte verlangt nämlich, für die Festsetzung des Beitragssatzes für eine Zeit der freiwilligen Versicherung, die sie nach den niederländischen Rechtsvorschriften zurückgelegt hat und die eine nach denselben Vorschriften zurückgelegte Zeit der Pflichtversicherung ergänzen soll, auf sie den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 anzuwenden.

26 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 haben, "soweit besondere Bestimmungen ... [der] Verordnung nichts anderes vorsehen", die "Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen" und für die diese Verordnung gilt, Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, ohne daß hierbei unterschieden wird, ob die betroffene Person Arbeitnehmer oder aber Familienangehöriger oder hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers ist. Ausserdem muß jedenfalls jede Ausnahme von der Gleichbehandlung aufgrund einer der Vorschriften der Verordnung, auf die Artikel 3 Absatz 1 verweist, objektiv gerechtfertigt sein, soll das grundlegende Diskriminierungsverbot des Artikels 3 Absatz 1 im Bereich der sozialen Sicherheit nicht ausgehöhlt werden.

27 In diesem Zusammenhang ist folgendes unstreitig: Frau Cabanis-Issarte fällt als hinterbliebene Ehefrau eines Wanderarbeitnehmers gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Die Frau Cabanis-Issarte von der SVB gewährte Altersrente gehört zu dem in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zweig "Alter". Die Verordnung enthält keine Bestimmung, insbesondere nicht in ihrem Titel III Kapitel 3 "Alter und Tod (Renten)" mit den besonderen Bestimmungen über die verschiedenen Leistungskategorien, die bei der Frage der Voraussetzungen für die Gewährung einer auf freiwilligen Beiträgen beruhenden Altersrente an den hinterbliebenen Ehegatten eines Arbeitnehmers die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 ausschlösse.

28 Somit erfuellt Frau Cabanis-Issarte die Voraussetzungen dafür, daß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 für sie gilt.

29 Der Gerichtshof hat jedoch in mehreren Urteilen, die nach dem Urteil Kermaschek ergangen sind, die Möglichkeit, daß ein Familienangehöriger eines Wanderarbeitnehmers sich unter den gleichen Bedingungen wie ein Inländer für die Inanspruchnahme einer nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats vorgesehenen Leistung der sozialen Sicherheit auf die Artikel 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 beruft, mit der Begründung verneint, daß diese Leistung aus eigenem Recht und nicht aufgrund der Eigenschaft als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers gewährt wird, ohne daß er zuvor festgestellt hätte, daß besondere Vorschriften der Verordnung der Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 entgegengestanden hätten (vgl. Urteile vom 6. Juni 1985 in der Rechtssache 157/84, Frascogna, Slg. 1985, 1739, vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 94/84, Deak, Slg. 1985, 1873, vom 17. Dezember 1987 in der Rechtssache 147/87, Zaoui, Slg. 1987, 5511, vom 8. Juli 1992 in der Rechtssche C-243/91, Taghavi, Slg. 1992, I-4401, und vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache C-310/91, Schmid, Slg. 1993, I-3011).

30 Könnte der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der mit diesem in einen anderen Mitgliedstaat gezogen ist und mit diesem zusammen oder nach dessen Tod in seinen Heimatstaat zurückkehren will, sich für die Gewährung bestimmter nach den Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaats vorgesehener Leistungen nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, hätte dies negative Auswirkungen auf die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, die den Hintergrund für die Gemeinschaftsbestimmungen über die Koordinierung der nationalen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bildet. Es widerspräche Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, dem Ehegatten oder Hinterbliebenen eines Wanderarbeitnehmers für die Festsetzung von Leistungen bei Alter den Schutz durch das Diskriminierungsverbot zu versagen, wenn er auf diese Leistungen bei Gleichbehandlung mit den Inländern Anspruch gehabt hätte, falls er im Aufnahmestaat geblieben wäre.

31 Ausserdem könnte die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten, die der Gerichtshof in den genannten Urteilen in Randnummer 29 vorgenommen hat, zu einer Beeinträchtigung des für die Gemeinschaftsordnung grundlegenden Gebots der einheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften führen, da deren Anwendbarkeit auf den einzelnen davon abhinge, ob der Anspruch auf die betreffenden Leistungen nach nationalem Recht je nach den Besonderheiten des einzelstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit als eigenes oder abgeleitetes Recht qualifiziert würde.

32 Diese Besonderheiten könnten sogar dazu führen, daß bei der Gewährung einer Altersrente nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats die Rentenansprüche, die aufgrund der für die Berechnung der Rente berücksichtigten Versicherungs- oder Wohnzeiten erworben wurden, je nach der zugrundegelegten Zeit als eigene oder als abgeleitete Rechte qualifiziert würden. So verhält es sich, wie der Generalanwalt in Nummer 15 seiner Schlussanträge vom 29. Februar 1996 ausgeführt hat, im Fall von Frau Cabanis-Issarte, die nach den niederländischen Rechtsvorschriften in bezug auf bestimmte Versicherungszeiten Rentenansprüche als Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers und in bezug auf andere Zeiten solche Ansprüche aus eigenem Recht erworben hat.

33 Diese Unterscheidung zwischen eigenem und abgeleitetem Recht verwischt sich, wie die Kommission ausgeführt hat, ausserdem zunehmend in den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit angesichts der Tendenz zu einer immer umfassenderen Ausgestaltung der Sozialversicherung.

34 Da die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten für den hinterbliebenen Ehegatten eines Wanderarbeitnehmers zu einem Ausschluß vom Schutz durch das grundlegende Gebot der Gleichbehandlung führen würde, sieht sich der Gerichtshof somit veranlasst, die Tragweite seiner Rechtsprechung in der Folge des Urteils Kermaschek auf den in den Randnummern 23 und 24 beschriebenen Sachverhalt zu beschränken.

35 Um die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten im vorliegenden Fall gleichwohl zu rechtfertigen, haben die SVB und die Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, im wesentlichen geltend gemacht, daß diese Unterscheidung, durch die sich der Umfang der Rechte bestimmen lasse, die den Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen nach der Verordnung Nr. 1408/71 jeweils zuständen, aus dem Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer folge, der in erster Linie die Personen betreffe, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten oder ausgeuebt hätten und von deren Stellung sich die Rechte herleiteten, die den Familienangehörigen vom Gemeinschaftsrecht eingeräumt würden.

36 Die niederländische Regierung hat insbesondere vorgetragen, daß Frau Cabanis-Issarte nicht nur niemals im zuständigen Staat gearbeitet habe, sondern daß sich darüber hinaus die fraglichen Leistungsansprüche auch auf einen Zeitraum bezögen, in dem die Klägerin nicht einmal im Gebiet dieses Staates gewohnt habe.

37 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

38 Die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, die Artikel 48 des Vertrages gewährleistet, schließt das Recht auf Integration im Aufnahmestaat, insbesondere für die Familie des Arbeitnehmers ein, damit negative Auswirkungen auf die Freizuegigkeit vermieden werden. Die Gleichbehandlung, namentlich im Bereich der sozialen Vergünstigungen, gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2), wie sie zugunsten der Familienangehörigen des Arbeitnehmers in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist, verfolgt dasselbe Ziel und ist ein wichtiges Mittel der Integration im Aufnahmestaat.

39 Was die Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten auf die Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen betrifft, so hat Artikel 51 des Vertrages dem Rat die Aufgabe übertragen, die auf diesem Gebiet für die Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu beschließen (vgl. u. a. Urteile vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-481/93, Moscato, Slg. 1995, I-3525, Randnr. 27, und in der Rechtssache C-482/93, Klaus, Slg. 1995, I-3551, Randnr. 21).

40 Zu diesem Zweck enthält die Verordnung Nr. 1408/71 eine Reihe von Vorschriften, durch die mit Hilfe bestimmter Methoden und Verfahren, die je nach dem betreffenden Zweig der sozialen Sicherheit unterschiedlich sind, u. a. verhindert werden soll, daß einem Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht hat und nach dem Erreichen des Rentenalters in seinen Heimatstaat zurückkehren will, sowie dessen Familienangehörigen Vergünstigungen der sozialen Sicherheit entzogen werden, auf die sie Anspruch hätten, wenn sie in dem letzten Beschäftigungsstaat geblieben wären.

41 Im vorliegenden Fall steht fest, daß Frau Cabanis-Issarte, die die französische Staatsangehörigkeit besitzt, niemals gearbeitet und mit ihrem Ehemann während seines Berufslebens in den Niederlanden ständig zusammengelebt hat. Somit ist ihr aufgrund der Tatsache, daß ihr Ehemann von seinem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht hat, das Recht zuerkannt worden, sich mit ihm auf niederländischem Gebiet niederzulassen, und sie konnte aufgrund dessen nach den niederländischen Rechtsvorschriften sowohl für die in den Niederlanden zurückgelegten Wohnzeiten als auch ° aufgrund der freiwilligen Versicherung ihres Ehemannes oder einer eigenen freiwilligen Versicherung ° für die in Frankreich zurückgelegten Wohnzeiten Rentenansprüche erwerben.

42 In diesem Zusammenhang ist offenkundig, daß im Ausgangsverfahren die streitige Zeit freiwilliger Versicherung zwangsläufig der Ergänzung der Pflichtversicherungszeiten dienen soll, die Frau Cabanis-Issarte in den Niederlanden zurückgelegt hatte, weil sie dort mit ihrem Ehemann, einem Wanderarbeitnehmer, wohnte.

43 Nach alledem gelten für den Fall von Frau Cabanis-Issarte bezueglich der Zeit freiwilliger Versicherung, für die die SVB ihr die gleichen Beitragsermässigungen, die sie Inländern gewährt, versagt hat, entgegen der von der SVB und der niederländischen Regierung vertretenen Ansicht die Gemeinschaftsbestimmungen über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, insbesondere das Diskriminierungsverbot im Bereich der sozialen Sicherheit gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, das sowohl für die Arbeitnehmer als auch ihre Familienangehörigen gilt.

44 Aufgrund dessen ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Artikel 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen sind, daß sich der hinterbliebene Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers auf sie für die Festsetzung des Beitragssatzes für eine Zeit freiwilliger Versicherung berufen kann, die nach dem Altersversorgungssystem des Mitgliedstaats zurückgelegt wurde, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt war.

Zur zweiten Frage

45 Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigen sich eine Prüfung und Beantwortung der zweiten Frage.

Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils

46 Sowohl die SVB als auch die Regierungen der Mitgliedstaaten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, halten eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des vorliegenden Urteils für erforderlich, falls der Gerichtshof seine auf das Urteil Kermaschek gegründete Rechtsprechung ändern sollte. Im wesentlichen wird dabei auf die schwerwiegenden Folgen, die ein solches Urteil für die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit hätte, sowie auf den grundsätzlichen Charakter der Änderung der bisherigen Rechtsprechung hingewiesen.

47 Selbst wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, nicht in der Lage waren, die finanziellen Folgen der Antwort auf die erste Frage auch nur annähernd abzuschätzen, schließen es zwingende Gründe der Rechtssicherheit aus, daß Rechtsverhältnisse, die nach der früheren ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, deren Tragweite durch das vorliegende Urteil begrenzt wird, endgültig festgestellt worden sind, wieder in Frage gestellt werden.

48 Somit ist festzustellen, daß Forderungen, die auf Leistungen für Zeiten vor dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils gerichtet sind, nicht auf dieses Urteil gestützt werden können. Dies gilt nicht für die Fälle, in denen vor diesem Zeitpunkt Klage vor einem Gericht erhoben oder ein entsprechender Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

Kostenentscheidung


Kosten

49 Die Auslagen der niederländischen, der deutschen, der französischen, der österreichischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Centrale Raad van Beroep mit Urteil vom 3. Juni 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, daß sich der hinterbliebene Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers auf sie für die Festsetzung des Beitragssatzes für eine Zeit freiwilliger Versicherung berufen kann, die nach dem Altersversorgungssystem des Mitgliedstaats zurückgelegt wurde, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt war.

2. Forderungen, die auf Leistungen für Zeiten vor dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils gerichtet sind, können nicht auf dieses Urteil gestützt werden. Dies gilt nicht für die Fälle, in denen vor diesem Zeitpunkt Klage vor einem Gericht erhoben oder ein entsprechender Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

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