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Document 61993CC0293

Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann vom 9. Juni 1994.
Strafverfahren gegen Ludomira Neeltje Barbara Houtwipper.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Arrondissementsrechtbank Zutphen - Niederlande.
Freier Warenverkehr - Edelmetalle - Vorgeschriebene Punze.
Rechtssache C-293/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-04249

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1994:242

61993C0293

Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann vom 9. Juni 1994. - STRAFVERFAHREN GEGEN LUDOMIRA NEELTJE BARBARA HOUTWIPPER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARRONDISSEMENTSRECHTBANK ZUTPHEN - NIEDERLANDE. - FREIER WARENVERKEHR - EDELMETALLE - VORGESCHRIEBENE PUNZE. - RECHTSSACHE C-293/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-04249


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Das niederländische Punzierungsgesetz (Waarborgwet) verbietet den Handel mit Platin-, Gold- und Silberarbeiten, die nicht von einer unabhängigen Stelle mit einem Stempel (Punze) versehen sind, der Aufschluß über den Gehalt der Arbeit an Edelmetall (im folgenden: "Feingehalt")(1) gibt. Frau Houtwipper ist vor der Arrondissementsrechtbank Zutphen angeklagt, gegen dieses Verbot verstossen zu haben. Sie beantragt Freispruch und macht zur Begründung geltend, daß das Verbot gegen den EG-Vertrag verstosse. Die Arrondissementsrechtbank Zutphen hat dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen um Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag vorgelegt, um entscheiden zu können, ob die beanstandete Rechtsvorschrift gegen diese Bestimmungen verstösst.(2)

2. Die Edelmetalle Gold, Silber und Platin sind in reinem Zustand zu weich für die Verarbeitung. Daher bestehen alle Edelmetallarbeiten aus einer Mischung aus edlem und unedlem Metall (einer Legierung). Wegen des hohen Wertgehalts der Edelmetalle verlangen sämtliche Mitgliedstaaten, daß Edelmetallarbeiten mit verschiedenen Stempeln versehen werden, u. a. mit einem Stempel, der Aufschluß über den üblicherweise in Tausendsteln ausgedrückten Feingehalt der Arbeiten gibt (im folgenden: Feingehaltsstempel).

3. Die Regelungen der Mitgliedstaaten weichen jedoch in bezug darauf, welche Stempel anzubringen sind (namentlich in bezug auf die Angaben in den Stempeln über den nominalen Feingehalt, also den Feingehalt, der auf die Arbeit gestempelt wird) und in bezug darauf, in welcher Weise der Feingehalt kontrolliert und die Stempel angebracht werden, erheblich voneinander ab.

4. In mehreren Mitgliedstaaten (England, Frankreich, Niederlande, Irland, Portugal und Spanien) muß der Feingehaltsstempel von einer unabhängigen Stelle aufgrund einer vorherigen Prüfung der einzelnen Arbeit angebracht werden, während die Feingehaltsstempel in anderen Mitgliedstaaten von den Herstellern oder Importeuren selbst angebracht werden (Deutschland, Griechenland, Italien und Luxemburg). In wieder anderen Ländern ist es freigestellt, ob der Fabrikant/Importeur oder eine unabhängige Stelle die Edelmetallarbeit mit dem Feingehaltsstempel versieht (Belgien, Dänemark).

5. Die nationale Stempelungspflicht führt zu wesentlichen Hemmnissen für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Edelmetallarbeiten, da eine Reihe von Staaten verlangt, daß auch eingeführte Waren den nationalen Rechtsvorschriften genügen. Dies hat dazu geführt, daß, wie die portugiesische Regierung in ihren Erklärungen ausführt, in diesem auch in wirtschaftlicher Hinsicht wichtigen Bereich immer noch kein gemeinschaftlicher Markt existiert.

6. Die bisherigen Bestrebungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten, den internationalen Handel mit Edelmetallarbeiten zu fördern, waren nicht besonders erfolgreich. Nur einzelne Mitgliedstaaten(3) haben das Wiener Übereinkommen über die Kontrolle und Stempelung von Edelmetallwaren vom 15. November 1972(4) ratifiziert, wonach sich die vertragschließenden Staaten verpflichten, keine weitere Prüfung oder Stempelung von Edelmetallwaren vorzuschreiben, die entsprechend den in dem Übereinkommen festgelegten Vorschriften und Verfahren von den hierfür bestimmten unabhängigen öffentlichen Stellen kontrolliert und gestempelt worden sind, vorzuschreiben.

7. Dies ist der Hintergrund, vor dem die Kommission ° im übrigen nach Aufforderung durch mehrere Mitgliedstaaten ° einen Vorschlag für eine Richtlinie über Arbeiten aus Edelmetallen(5) ausgearbeitet hat, der dem Rat im Oktober 1993 vorgelegt wurde.

Der Richtlinienvorschlag sieht vor, daß die bestehenden Handelshemmnisse durch eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Stempelung von Edelmetallwaren beseitigt werden. Er umfasst gemeinsame Bestimmungen über eine Reihe von Anforderungen, durch die eine korrekte Angabe des Feingehalts gewährleistet werden soll, und bestimmt, daß die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Angabe des Feingehalts das Inverkehrbringen von Edelmetallarbeiten nicht behindern dürfen, die entweder vom Hersteller oder dessen Bevollmächtigten entsprechend den in der Richtlinie beschriebenen Verfahren (Konformitätsbescheinigung) oder von einer hierzu besonders benannten unabhängigen Stelle nach vorheriger Untersuchung (Prüfung) gestempelt worden sind.

Die Kommission hat auf diese Weise ein mehrgleisiges System der Feingehaltsstempelung vorgeschlagen, die gleichwertig entweder durch eine unabhängige Instanz oder durch den Hersteller selbst erfolgt, wobei jedoch für die Eigenstempelung durch den Hersteller detaillierte Anforderungen aufgestellt werden.

Der Richtlinienvorschlag enthält darüber hinaus gemeinsame Regeln für den nominellen Feingehalt, der bei der Stempelung anzugeben ist (z. B. für Silber 800, 835, 925 und 999), und über die äussere Form der verwendeten Stempel (z. B. bei Gold ein Oval, in dessen Mitte der Feingehalt angegeben ist).

8. In der vorliegenden Rechtssache geht es, wie gesagt, um einen Verstoß gegen das niederländische Punzierungsgesetz. Nach diesem Gesetz müssen alle Edelmetallarbeiten, bevor sie in den Handelsverkehr gebracht werden, der Waarborg Platina, Goud en Zilver NV (im folgenden: Waarborg NV) zur Prüfung und Feingehaltsstempelung vorgelegt werden.(6)

9. Die Waarborg NV übt ihre Tätigkeit aufgrund einer Ermächtigung durch den niederländischen Wirtschaftsminister aus und muß bestimmten, im Gesetz vorgeschriebenen Anforderungen an ihre Unabhängigkeit genügen.(7)

10. Die Waarborg NV versieht ° soweit die vorherige Prüfung hierzu berechtigt ° die fertigen Edelmetallarbeiten mit einem der folgenden Feingehaltsstempel: für Platin 950, für Gold 916, 833, 750 oder 585 und für Silber 925, 835 und 800.(8) Edelmetallarbeiten, die keinem dieser Werte entsprechen, erhalten den Stempel mit dem Nennfeingehalt, der am nächsten unter dem tatsächlichen Feingehalt liegt, so daß z. B. eine Arbeit mit einem tatsächlichen Goldfeingehalt von 840 mit dem nominellen Feingehalt 833 gestempelt wird.

Soweit es nicht möglich ist, den Feingehalt einer Arbeit mit Sicherheit anzugeben, gilt die Stempelgarantie innerhalb einer Grenze von 20 Tausendsteln.(9)

11. Es ist verboten, die Bezeichnungen Edelmetall, Platin, Gold oder Silber für Arbeiten zu verwenden, deren Feingehalt nicht mindestens den niedrigsten der genannten Werte erreicht.

12. Das Erfordernis der Prüfung und Stempelung gilt unabhängig davon, ob die Edelmetallarbeit aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt worden ist und dort gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats kontrolliert und gestempelt worden ist.(10)

13. Frau Houtwipper macht zunächst geltend, daß die Bestimmungen der Waarborgwet den Wettbewerb zwischen den niederländischen Unternehmern und ihren europäischen Kollegen dadurch verzerre, daß den niederländischen Unternehmern erhebliche und ungerechtfertigte Kosten entstuenden.

Dies veranlasst mich zu dem Hinweis, daß eine solche Wettbewerbsverzerrung für sich nicht für die Anwendung des in Artikel 30 EG-Vertrag verankerten Verbots von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen ausreicht. Die niederländische Regierung hat auch darauf hingewiesen, daß das Vorlageurteil keine Ausführungen dazu enthält, ob die Arbeiten, wegen deren gegen Frau Houtwipper Anklage erhoben worden ist, inländischen oder ausländischen Ursprungs sind. Das vorlegende Gericht hat jedoch eindeutig klargestellt, daß ihm bewusst war, daß Artikel 30 EG-Vertrag nur für Hemmnisse für die Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten gilt (vgl. Fußnote 1).

14. Tatsächlich sind sich alle, die in dieser Rechtssache Erklärungen abgegeben haben ° ausser Frau Houtwipper die niederländische, die englische, die deutsche, die französische, die portugiesische und die griechische Regierung sowie die Kommission ° darüber einig,

° daß Vorschriften der streitigen Art Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen im Sinne von Artikel 30 sind, da sie Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr herbeiführen, indem sie Anforderungen an die Qualität und die Kennzeichnung auch von Waren stellen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt worden sind(11);

° daß die in Rede stehende Regelung nicht mit einer der in Artikel 36 EG-Vertrag abschließend aufgeführten Erwägungen begründet ist, die die von Artikel 30 erfassten Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel rechtfertigen können, und

° daß solche Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel, die auf Unterschieden in den nationalen Rechtsvorschriften beruhen, gleichwohl als rechtmässig betrachtet werden können, wenn eine solche Regelung sowohl für inländische als auch für eingeführte Erzeugnisse gilt, wenn sie mit zwingenden Erfordernissen beispielsweise des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt werden kann und wenn die hierdurch verursachten Hemmnisse in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und dieser Zweck nicht mit Maßnahmen erreicht werden kann, die sich auf den Handel weniger restriktiv auswirken.(12)

15. Den ersten beiden Erfordernissen dafür, daß die in Rede stehenden Handelshemmnisse als gerechtfertigt anzusehen sind, ist im vorliegenden Fall Genüge getan. Die betreffenden nationalen Regelungen sind noch nicht harmonisiert, und die niederländische Punzierungsregelung gilt sowohl für inländische als auch für eingeführte Erzeugnisse.

16. Daher ist zu prüfen, ob die Anwendung der in Rede stehenden Regelung dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerecht zu werden, wie die niederländische Regierung geltend macht.

17. Der Gerichtshof hat zu einer teilweise entsprechenden Frage in einem Urteil vom 22. Juni 1982 (Robertson)(13) Stellung genommen.

In dieser Rechtssache waren einige belgische Importeure angeklagt, weil sie aus anderen Mitgliedstaaten stammende versilberte Bestecke verkauft hatten, deren Stempel zur Angabe des Silbergehalts nicht den damals geltenden belgische Regelungen entsprachen. Ein Vergleich der Regelungen der Mitgliedstaaten zeigte, daß es in allen Staaten die Pflicht gab, in der einen oder der anderen Weise Edelmetallarbeiten zu stempeln, daß jedoch nur in Belgien auch die Pflicht bestand, Arbeiten aus versilbertem Metall zu stempeln.

Der Gerichtshof hat in seinem Urteil festgestellt, daß die Verpflichtung, auf Arbeiten aus versilbertem Metall, die ihrer Natur nach mit Arbeiten aus massivem Silber verwechselt werden können, einen Stempel anzubringen, als erforderlich angesehen werden kann, um einen wirksamen Schutz der Verbraucher zu gewährleisten und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu fördern, und daß "Artikel 30 EWG-Vertrag dem [daher] nicht entgegensteht, daß ein Mitgliedstaat eine innerstaatliche Regelung, die den Verkauf von nicht mit den Anforderungen dieser Regelung entsprechenden Prägestempeln versehenen Arbeiten aus versilbertem Metall verbietet, auf derartige Arbeiten anwendet, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt worden sind, in dem sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind".

Der Gerichtshof hat dabei Wert darauf gelegt, daß der Feingehaltsstempel einer doppelten Zielsetzung entspricht, nämlich, daß er den Verbraucher nicht nur in die Lage versetzt, Art und Qualität des Erzeugnisses hinreichend genau zu erkennen, sondern auch, es von anderen Erzeugnissen zu unterscheiden, mit denen es verwechselt werden könnte.

18. Es ist klar, daß bei versilberten Erzeugnissen die Gefahr einer Verwechslung zwischen versilbertem Metall und Edelmetall besteht, da der Unterschied zwischen den beiden Materialien, deren Wert sich erheblich voneinander unterscheidet, nicht unmittelbar ersichtlich ist.

Ebenso klar ist jedoch, daß bei Edelmetallarbeiten die entsprechende Gefahr besteht, da deren Feingehalt nicht ohne technische Untersuchungen festgestellt werden kann und da der Feingehalt maßgebend für den Wert der Arbeit ist.

Daher kann festgestellt werden, daß eine Feingehaltsstempelung von Edelmetallarbeiten als zwingendes Erfordernis des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs angesehen werden kann.

19. Ferner soll dazu Stellung genommen werden, ob es daneben erforderlich ist, zu verlangen, daß die Feingehaltsstempelung von einer vom Hersteller unabhängigen Stelle aufgrund einer von dieser Stelle durchgeführten vorherigen Prüfung vorgenommen wird.

20. Einleitend sei darauf hingewiesen, daß Frau Houtwipper und die deutsche Regierung ausgeführt haben, daß die Waarborg NV, die in der Form einer Aktiengesellschaft organisiert ist, Eigentum der Branchenorganisation Federatie Goud en Zilver sei und damit so enge Beziehungen zu der niederländischen Branche unterhalte, daß sie nicht als von ihr unabhängig angesehen werden könne.

Wie gesagt, enthält die niederländische Regelung Bestimmungen, die die Unabhängigkeit der Waarborg NV gewährleisten sollen. Im vorliegenden Fall wird nicht versucht, darzutun, daß die Waarborg NV von den Unternehmen abhängig sei, die sie kontrolliert, und Andeutungen einer solchen Abhängigkeit werden von der niederländischen Regierung auch energisch bestritten. Im übrigen muß auch darauf hingewiesen werden, daß in der vorliegenden Rechtssache auch nicht behauptet wird, daß die Waarborg NV eingeführte Waren anders als im Inland hergestellte Waren behandele.

21. Die niederländische, die englische, die französische, die portugiesische und die griechische Regierung weisen darauf hin, daß ein Feingehaltsstempel, der von einer unabhängigen Stelle nach vorheriger Prüfung angebracht wird, den Verbrauchern einen besseren Schutz gewähre, als wenn der Hersteller oder der Importeur die Stempelung selbst vornehme.

22. Im Gegensatz hierzu macht die deutsche Regierung geltend, daß es eine geringere Rolle spiele, ob die Punzierung von einem unabhängigen Dritten oder von dem Hersteller in eigener Verantwortlichkeit angebracht werde, und daß daher eine unnötige Doppelkontrolle erfolge, wenn von einem deutschen Hersteller gestempelte Edelmetallarbeiten bei der Einfuhr in die Niederlande zusätzlich von der Waarborg NV geprüft und gestempelt würden.

23. Der Ansicht der deutschen Regierung kann in diesem Punkt jedoch nicht gefolgt werden.

24. Zweifellos ist es richtig, daß, wie die deutsche Regierung geltend macht, Regelungen, die wie die deutsche die vom Hersteller selbst vorgenommene Feingehaltsstempelung anerkennen, den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in geringerem Masse hemmen als Regelungen wie die niederländische. Regelungen wie die deutsche dienen auch dem Verbraucherschutz und der Lauterkeit des Handelsverkehrs, indem nicht nur der Hersteller einer Edelmetallarbeit, sondern auch der Händler u. a. aufgrund des Strafrechts, des Wettbewerbsrechts und des Branchenrechts haftet, wenn der Feingehaltsstempel unrichtig ist.

25. Ebenso gewiß ist ° wie auch die deutsche Regierung und Frau Houtwipper anführen °, daß Regelungen wie die niederländische den Handel mit Edelmetallarbeiten erheblich verteuern, da den Unternehmern Kosten für Transport, Versicherung usw. der Waren verursacht werden, die geprüft und gestempelt werden müssen, was im übrigen nur an einem einzigen Ort in den Niederlanden möglich ist. Diese Kosten können von den betreffenden Unternehmern zweifellos als unverhältnismässig betrachtet werden, wenn sie mit der Menge und dem Wert des verwendeten Metalls verglichen werden (z. B. wenn Antiquitäten oder zerbrechliche Arbeiten gestempelt werden müssen).

26. Dieser Umstand ist jedoch nicht maßgebend. Die Mitgliedstaaten müssen, solange auf diesem Gebiet keine Gemeinschaftsvorschriften anderen Inhalts bestehen, berechtigt sein, Rechtsvorschriften zu erlassen, die auf der Auffassung beruhen, daß der Schutz der Verbraucher und der Lauterkeit des Handelsverkehrs am besten durch eine Prüfung und Punzierung geschützt werden, die von einer unabhängigen Stelle vorgenommen werden.

27. Die Prüfung und Punzierung durch eine unabhängige Stelle hat zweifellos eine grössere vorbeugende Wirkung und schützt die Verbraucher besser als eine Punzierung durch den Hersteller selbst. Das Risiko von Betrügereien liegt in dem in Rede stehenden Bereich nahe, und es muß den Mitgliedstaaten zugestanden werden, daß sie die Ansicht zurückweisen, daß eine nachträgliche Strafverfolgung ihnen Schutz gegen dieses Risiko biete.

28. Es ist auch bezeichnend, daß die Prüfung und Punzierung durch eine unabhängige Stelle in verschiedenen Mitgliedstaaten seit Jahrhunderten vorgeschrieben ist und daß diese Verpflichtung erfuellt werden muß, damit die an dem genannten Wiener Übereinkommen beteiligten Staaten verpflichtet sind, die Einfuhr von Edelmetallarbeiten aus den anderen Vertragsstaaten zuzulassen.

29. Der Gerichtshof muß auf dieser Grundlage feststellen, daß die Verpflichtung zur Prüfung und Punzierung durch eine unabhängige Stelle keine unzulässige Doppelforderung darstellt, wenn sie bei Waren aus Mitgliedstaaten erfuellt werden muß, in denen die Punzierung zulässigerweise vom Hersteller selbst vorgenommen wird.

30. Sodann ist von neuem zu untersuchen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Prüfung und Punzierung im Einfuhrstaat bei Edelmetallarbeiten verlangt werden kann, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie geprüft und von einer unabhängigen Stelle punziert worden sind.

31. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Robertson die für diese Frage erhebliche Feststellung getroffen, daß für die Verpflichtung zur Beachtung von Bestimmungen wie im vorliegenden Fall "jedoch dann keine Notwendigkeit mehr [besteht], wenn solche Arbeiten aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, und wenn sie bereits nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats mit Prägestempeln versehen sind, vorausgesetzt jedoch, daß die Angaben, die aus den von diesem Staat vorgeschriebenen Prägestempeln hervorgehen, Informationen enthalten, die den Informationen entsprechen, die durch die im Einfuhrmitgliedstaat vorgeschriebenen Prägestempel vermittelt werden, und die für den Verbraucher dieses Staates verständlich sind".

32. Die niederländische Regierung vertritt die Ansicht, daß der Gerichtshof an seiner Auslegung des Artikels 30 im Urteil Robertson festhalten müsse. Sie betont die Bedeutung einer korrekten Aufklärung der Verbraucher. In einigen Mitgliedstaaten würden Edelmetallarbeiten mit einem Goldgehalt von 333 anerkannt, während in anderen ein höherer Mindestfeingehalt verlangt werde. Die Regierung weist ferner darauf hin, daß die Nominalfeingehalte, die in den verschiedenen Staaten vorgeschrieben seien, stark voneinander abwichen und daß Form und Inhalt der verschiedenen Stempel sehr unterschiedlich sein könnten. Schließlich könnten gewisse negative Toleranzen in den angegebenen Feingehalten und gegebenenfalls deren Maß von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein.

33. Es könne für Branchenkundige schwer genug sein, zwischen den Feingehaltsstempeln aller Staaten zu unterscheiden; jedenfalls sei es für den gewöhnlichen Verbraucher unmöglich, die Feingehaltsstempel sämtlicher Mitgliedstaaten zu kennen und zu verstehen. Daher vertritt die Regierung die Ansicht, daß es zweifelhaft sei, ob die Zulassung ausländischer Arbeiten ohne erneute Punzierung erfolgen könne, ohne daß dies ein grosses Risiko einer Irreführung der Verbraucher mit sich bringe.

34. Die französische, die griechische, die portugiesische und die englische Regierung sind mit der niederländischen Regierung der Ansicht, daß der Gerichtshof seine Auslegung von Artikel 30 im Urteil Robertson beibehalten solle, während sie jedoch unterschiedlicher Auffassung darüber sind, welche praktischen Folgen dies für die Verpflichtung ihrer Behörden mit sich bringe, die Einfuhr von Arbeiten aus anderen Mitgliedstaaten ohne erneute Punzierung zuzulassen. Die britische Regierung schließt nicht aus, daß Fälle auftreten könnten, in denen dies zugelassen werden könne, ohne daß die Gefahr der Irreführung der Verbraucher bestehe, betont jedoch im Anschluß an die Argumentation der niederländischen Regierung ferner den wesentlichen Umstand, daß die Feingehaltsstempel nicht nur von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, sondern auch in Anzahl und Aussehen innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats je nach dem Alter des betreffenden Gegenstands voneinander abwichen.

35. Die Regierungen machen zweifellos zu Recht geltend, daß in der Gemeinschaft mannigfaltige Feingehaltsstempel existieren, und sie weisen darauf hin, daß der Gemeinsame Markt in diesem Bereich nicht in vollem Umfang funktionieren kann, bevor gemeinschaftsrechtliche Regeln zur Harmonisierung der nationalen Regelungen auf diesem Gebiet erlassen worden sind.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß keine Fälle auftreten könnten, in denen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der im Urteil Robertson festgelegten Kriterien verpflichtet sein könnten, die Einfuhr von in anderen Mitgliedstaaten hergestellten Edelmetallarbeiten ohne erneute Punzierung zuzulassen.

36. Wie die deutsche Regierung ausführt, wird in bei weitem den meisten Mitgliedstaaten der Feingehalt von Edelmetallwaren in Tausendsteln angegeben. Diese Angabe muß für Verbraucher unabhängig davon verständlich sein, ob gerade der betreffende nominelle Feingehalt in ihrem Heimatstaat angewandt wird. Es dürfte unwahrscheinlich sein, daß nur aufgrund solcher Unterschiede eine Irreführung erfolgt, die schwerwiegend genug ist, um eine erneute Punzierung im Einfuhrstaat zu begründen. Die Verbraucher werden meines Erachtens zweifellos auch, ohne irregeführt zu werden, die Bedeutung der in anderen Mitgliedstaaten vorgenommenen Punzierung verstehen, selbst wenn diese in bestimmten Punkten von der Punzierung abweicht, die in ihrem eigenen Mitgliedstaat vorgenommen wird.

37. Es ist nicht zuletzt aufgrund der Erklärungen der niederländischen und der britischen Regierung in der mündlichen Verhandlung erforderlich, zu betonen, daß der Schutz der Verbraucher gegen Irreführung zwar gewiß ein schutzwürdiges Ziel ist, daß dieses Ziel jedoch in einer Weise erreicht werden muß, daß die grundlegenden Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht illusorisch gemacht werden.

38. In diesem Bereich besteht eine positive Verpflichtung der Mitgliedstaaten, unter sicheren Verhältnissen im Ausfuhrstaat geprüfte und gestempelte Arbeiten zuzulassen und die im Urteil Robertson aufgeführte Ausnahme nicht weiter auszudehnen, als strikt notwendig ist.

Die Behörden in den Mitgliedstaaten müssen sich in redlicher Weise bemühen, diese Verpflichtung einzuhalten. Dies setzt voraus, daß sie die Zulassung von Edelmetallarbeiten aus anderen Mitgliedstaaten, in denen die Arbeiten von einer unabhängigen Stelle geprüft und punziert worden sind, nur dann ablehnen, wenn gewichtige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Verbraucher irregeführt werden, falls keine erneute Prüfung und Punzierung erfolgt. Die Behörden müssen dabei den von der Rechtsprechung des Gerichtshofes entwickelten Grundprinzipien Rechnung tragen, wonach Maßnahmen, die Handelshemmnisse darstellen, nur dann rechtmässig sind, wenn sie durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sind, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und wenn dieser Zweck nicht mit Maßnahmen erreicht werden kann, die sich auf den innergemeinschaftlichen Handel weniger restriktiv auswirken.

39. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Robertson entschieden, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung des Inverkehrbringens eingeführter Waren ohne erneute Punzierung erfuellt sind. Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, daß dies allein Sache des nationalen Gerichts ist.

40. Es ist zu betonen, daß sich die nationalen Behörden gemäß Artikel 5 ständig bemühen müssen, bestrebt zu sein, ihre Rechtsvorschriften so zu gestalten und durchzuführen, daß die Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr eingehalten werden. Die Behörden dürfen nicht bloß abwarten, daß die Frage der Rechtmässigkeit der Regelungen oder der Verwaltungspraktiken des Staates von den betroffenen Unternehmen dem nationalen Gericht zur Prüfung vorgelegt werden.

41. Aus meinen Ausführungen dürfte sich ergeben, daß ich der Ansicht bin, daß der Gerichtshof die vorgelegte Frage in der gleichen Weise wie die Frage in der Rechtssache Robertson beantworten kann, wobei jedoch klarzustellen ist, daß die Mitgliedstaaten Prüfung und Punzierung durch eine unabhängige Stelle vorschreiben können und daß sich aus der Antwort eine positive Pflicht für die nationalen Behörden ergibt, in redlicher Weise zu prüfen, ob Arbeiten aus anderen Mitgliedstaaten entsprechend den Kriterien des Urteils Robertson zuzulassen sind.

Entscheidungsvorschlag

42. Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, auf die von der Arrondissementsrechtbank Zutphen gestellte Frage wie folgt zu antworten:

Artikel 30 EG-Vertrag untersagt es nicht, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Handel mit Edelmetallarbeiten verbieten, die nicht von einer in dem Mitgliedstaat niedergelassenen unabhängigen Stelle untersucht und mit Stempeln versehen worden sind, die den Feingehalt der Arbeiten angeben, auf Edelmetallarbeiten angewandt werden, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, in denen sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind. Solche Rechtsvorschriften können jedoch nicht auf Arbeiten angewandt werden, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, sofern sie in diesem Staat von einer unabhängigen Stelle geprüft und von dieser mit Stempeln versehen worden sind, die die gleichen Angaben wie Stempel entsprechend den Rechtsvorschriften des Einfuhrmitgliedstaats enthalten und für die Verbraucher in diesem Staat ebenso verständlich sind.

(*) Originalsprache: Dänisch.

(1) ° Im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Arbeiten aus Edelmetallen vom 18. Oktober 1993 (ABl. C 318, S. 5) wird der Begriff Feingehalt wie folgt definiert: Gehalt an reinem Edelmetall in einer Legierung, ausgedrückt in Tausendsteln der Gesamtmasse der Arbeit (Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe f).

(2) ° Die Vorlagefrage lautet wie folgt: Ist eine Regelung von der Art des Artikels 30 der Waarborgwet 1986 (Punzierungsgesetz 1986; Stb. 38/1987) im Lichte der Artikel 30 und 36 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Vertrag vom 25. März 1957, Trb. 1957, 74 und 91) gültig? ; Weiter heisst es in dem Vorlageurteil, die genannte niederländische Rechtsvorschrift führe dazu, daß es verboten sei, Gold- und Silbergegenstände nach ihrer Einfuhr in die Niederlande in den Verkehr zu bringen, sofern diese Gegenstände nicht mit einem niederländischen, belgischen oder luxemburgischen Feingehaltsstempel versehen seien, selbst wenn sie den Feingehaltsstempel eines anderen Mitgliedstaates trügen.

(3) ° Soweit mir bekannt ist, Dänemark, Portugal, Großbritannien und Irland.

(4) ° Das Übereinkommen wurde in Wien am 15. November 1972 zwischen Finnland, Norwegen, Portugal, der Schweiz, Großbritannien, Schweden und Österreich geschlossen.

(5) ° Siehe Fußnote 1.

(6) ° Artikel 30 Waarborgwet.

(7) ° Artikel 7 Waarborgwet.

(8) ° Artikel 1 Waarborgwet.

(9) ° Artikel 3 Waarborgwet.

(10) ° In Artikel 48 Waarborgwet ist jedoch eine Ausnahme von diesem Erfordernis in bezug auf Arbeiten geregelt, die in Belgien und Luxemburg nach der Harmonisierung der Regelungen der betreffenden Länder nach dem Übereinkommen von Den Haag vom 18. Februar 1950 zwischen den Niederlanden, Belgien und Luxemburg (Trb. 1951, S. 159) offiziell gestempelt worden sind. Die niederländische Regierung hat jedoch in ihren Erklärungen ausgeführt, daß diese Ausnahme jede wesentliche praktische Bedeutung verloren hat, nachdem die offizielle Stempelung in Luxemburg nicht mehr vorgenommen wird und in Belgien nur noch selten erfolgt.

(11) ° Siehe in diesem Zusammenhang die Urteile vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5), vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe [Cassis de Dijon], Slg. 1976, 649) und insbesondere das Urteil vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097).

(12) ° Siehe hierzu die letzten beiden Urteile aus der vorhergehenden Fußnote und das Urteil vom 18. Mai 1993 in der Rechtssache C-126/91 (Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, Randnr. 12).

(13) ° Rechtssache 220/81, Slg. 1982, 2349.

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