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Document 61992CC0392

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 23. Februar 1994.
Christel Schmidt gegen Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - Deutschland.
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen.
Rechtssache C-392/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 I-01311

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1994:61

61992C0392

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 23. Februar 1994. - CHRISTEL SCHMIDT GEGEN SPAR- UND LEIHKASSE DER FRUEHEREN AEMTER BORDESHOLM, KIEL UND CRONSHAGEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDESARBEITSGERICHT SCHLESWIG-HOLSTEIN - DEUTSCHLAND. - WAHRUNG VON ANSPRUECHEN DER ARBEITNEHMER BEIM UEBERGANG VON UNTERNEHMEN. - RECHTSSACHE C-392/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-01311
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00081
Finnische Sonderausgabe Seite I-00111


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. In der vorliegenden Rechtssache legt Ihnen das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein folgende Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen(1) zur Vorabentscheidung vor:

1. Können die Reinigungsaufgaben eines Betriebes, wenn sie vertraglich auf eine Fremdfirma übertragen werden, einem Betriebsteil im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG gleichgestellt werden?

2. Falls die Frage 1 grundsätzlich bejaht wird:

Gilt dies auch dann, wenn die Reinigungsaufgaben bis zu der Übertragung von einer einzigen Arbeitnehmerin erledigt worden sind?

Ich möchte zunächst kurz den Hintergrund des Ausgangsrechtsstreits darstellen.

2. Christel Schmidt war als Reinigungskraft bei der Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen (im folgenden: Spar- und Leihkasse) gegen eine monatliche Pauschalvergütung von zuletzt 413,40 DM netto beschäftigt. Sie reinigte als einzige Kraft die Räume einer Sparkasse in Wacken, die am 1. Juli 1990 von der Spar- und Leihkasse übernommen wurde.

Im Februar 1992 kündigte die Spar- und Leihkasse das Arbeitsverhältnis mit Frau Schmidt, da die Filiale in Wacken umgebaut und erweitert wurde und für die Reinigung des neuen Gebäudes erheblich mehr Zeit benötigt wurde, als mit Frau Schmidt vereinbart war. Die Spar- und Leihkasse bat daraufhin die Firma Spiegelblank, die bereits die übrigen Gebäude der Spar- und Leihkasse reinigte, in Zukunft auch die Filiale in Wacken zu reinigen.

Am 21. Februar 1992 bot die Firma Spiegelblank Frau Schmidt eine Stelle zu einem monatlichen Nettolohn von 520 DM an (der also über ihrem bisherigen Lohn lag). Frau Schmidt war jedoch nicht bereit, für diesen Lohn bei der Firma Spiegelblank zu arbeiten, da sie sich angesichts der erheblichen Vergrösserung der zu reinigenden Fläche eine Verschlechterung ihres Stundenlohns errechnete.

3. Frau Schmidt erhob nach § 1 Kündigungsschutzgesetz Klage wegen der Kündigung, da diese nach ihrer Meinung sozial ungerechtfertigt im Sinne dieser Bestimmung ist. Das Arbeitsgericht Elmshorn wies die Klage mit der Begründung ab, die Spar- und Leihkasse könne betriebliche Gründe für die Kündigung anführen: Der Umbau der Filiale in Wacken und die damit verbundene Erweiterung der zu reinigenden Flächen hätten die Spar- und Leihkasse zu einer unternehmerischen Entscheidung veranlasst, nämlich die Reinigungsarbeiten nicht länger von eigenem Personal, sondern von einer Reinigungsfirma ausführen zu lassen. Eine solche Entscheidung könne das Arbeitsgericht lediglich daraufhin überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich oder willkürlich sei; solche Mängel seien hier nicht nachweisbar.

Frau Schmidt legte gegen diese Entscheidung Berufung beim vorlegenden Gericht ein.

Zur Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen

4. Das Landesarbeitsgericht möchte mit seinen Fragen Aufschluß darüber erhalten, ob es sich im vorliegenden Fall um einen "Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen" im Sinne des Artikels 1 Satz 1 der Richtlinie 77/187 handele, so daß die Bestimmungen dieser Richtlinie hier anwendbar seien. Bekanntlich bestimmt der genannte Artikel 1 Absatz 1:

"Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar."

Das Landesarbeitsgericht führt in seinem Vorlagebeschluß näher aus, daß die Fragen an das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Sophie Redmond Stichting(2) anknüpften. Die Frage, die sich im vorliegenden Fall stelle, sei, ob Reinigungsaufgaben auch "Tätigkeiten besonderer Art, die selbständige Aufgaben darstellen", im Sinne dieser Rechtsprechung (siehe unten Nr. 10) sein könnten und, falls ja, ob der Umstand, daß diese nur von einer einzigen Kraft erledigt worden seien, der Gleichstellung mit einem Betriebsteil entgegenstehe. Werde die erste Frage bejaht und die zweite verneint, müsse § 613a Absatz 4 BGB analog angewandt werden. Diese Vorschrift, die Bestandteil des deutschen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 77/187 sei, bestimme u. a., daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber wegen Übergangs eines Betriebsteils unwirksam sei. Ihre entsprechende Anwendung hätte deshalb im zu entscheidenden Fall die Unwirksamkeit der Kündigung durch die Spar- und Leihkasse zur Folge.

5. Nach Ansicht der Spar- und Leihkasse, der Bundesregierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs kann hier von einem Übergang eines Betriebsteils eines Unternehmens im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 keine Rede sein.

Die Spar- und Leihkasse führt aus, daß die betreffenden Reinigungsarbeiten weder zu ihren Haupt- noch Nebenaufgaben gehörten. Die Übertragung eines ganz kleinen Anteils der Reinigungsarbeiten könne nicht den Übergang eines Betriebsteils im Sinne der Richtlinie 77/187 darstellen und einem solchen auch nicht entsprechend gleichgestellt werden.

Ausführlicher ist die Argumentation der Bundesregierung: Sie trägt vor, der Begriff der "wirtschaftlichen Einheit", wie er in der Rechtsprechung des Gerichtshofes seit dem Urteil Spijkers(3) verwendet werde, setze voraus, daß in einem eigenständigen organisatorischen Rahmen (der Teil eines grösseren organisatorischen Zusammenhangs sein könne) ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt werde. Damit werde z. B. ausgeschlossen, daß ein einzelner Gegenstand wie etwa eine Maschine oder ein Grundstück als ein übergangsfähiger Betriebsteil im Sinne der Richtlinie eingestuft werde. Dagegen fielen unter den so definierten Begriff der wirtschaftlichen Einheit Produktions- und Dienstleistungseinheiten im weitesten Sinne. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht um die Übertragung einer "wirtschaftlichen Einheit", sondern allein um die unternehmerische Entscheidung, Reinigungsaufgaben nicht mehr durch die eigene Arbeitnehmerin, sondern durch eine Fremdfirma ausführen zu lassen.

6. Die Regierung des Vereinigten Königreichs meint ihrerseits, daß der Umstand, daß ein Unternehmen eine Tätigkeit wie die Reinigung seiner eigenen Geschäftsräume einstelle und ein anderes Unternehmen dafür bezahle, daß es diese Dienstleistung an seiner Stelle erbringe, nicht allein schon einen Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen darstelle. Unter Hinweis auf die Kriterien, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung dazu entwickelt habe, meint die Regierung des Vereinigten Königreichs, daß im vorliegenden Fall weder ein Übergang einer wirtschaftlichen Einheit noch die Übertragung von Geschäftsräumen oder Vermögensgegenständen stattgefunden habe. Obwohl kein Grund bestehe, Reinigungsaufgaben von den Tätigkeiten auszunehmen, die von einem Übergang im Sinne der Richtlinie umfasst werden könnten, sei daraus keineswegs zu schließen, daß eine vertragliche Vereinbarung mit einem Dritten über die Erbringung einer derartigen Dienstleistung ohne weiteres dem Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils gleichkomme.

7. Die Stellungnahme der Kommission ist differenzierter. Nach ihrer Meinung hängt die Antwort auf die Frage von den konkreten Umständen ab, unter denen die betreffenden Reinigungsarbeiten verrichtet würden. Werde die Reinigung durch betriebseigenes Personal im Rahmen der betrieblichen Strukturen und unter Einsatz betrieblicher Arbeitsmittel ausgeführt, dürften die Reinigungsarbeiten rechtlich dem Betrieb einer unternehmenseigenen Kantine gleichstehen, wie ihn der Gerichtshof in seinem Urteil Watson Rask(4) definiert habe. Es handele sich dann um eine von dem Unternehmen selbst geleitete Dienstleistungseinrichtung, wobei die untergeordnete Bedeutung der Tätigkeit und das Fehlen eines notwendigen Zusammenhangs mit dem Unternehmenszweck nicht zum Ausschluß dieser Tätigkeit vom Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187 führten.

Sei die Reinigung dagegen einer Fremdfirma anvertraut, könne diese Tätigkeit einem Betriebsteil im Sinne der genannten Richtlinie nicht gleichgestellt werden. Es gehe dann um eine Dienstleistung, die das Unternehmen aufgrund eines Vertrages in Anspruch nehme, weil es diese Arbeiten nicht durch eigene personelle oder sachliche Mittel erbringen könne oder wolle. Ob die Reinigungsarbeiten in der vorliegenden Rechtssache unter den ersten Fall fielen, sei vom Gericht des Ausgangsrechtsstreits festzustellen.

8. Ich möchte zunächst klarstellen, daß ich ebenso wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission keine Gründe sehe, um Reinigungsaufgaben von solchen Tätigkeiten auszunehmen, die von einem Übergang im Sinne der Richtlinie umfasst sein können. Entscheidend dafür, daß eine bestimmte Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ist - gestützt auf die Rechtsgrundlage der Richtlinie 77/187, nämlich Artikel 100 EWG-Vertrag - allein die Tatsache, daß sie zum Wirtschaftsleben im Sinne des Artikels 2 EG-Vertrag gehört(5). Das ist bei Reinigungsarbeiten zweifellos der Fall.

Darum geht es jedoch in der vorliegenden Rechtssache nicht. Die Kernfrage, die sich hier stellt, ist, ob die Abschaffung eines ganz bestimmten Aufgabenbereichs innerhalb eines Unternehmens und die Übertragung dieses Aufgabenbereichs auf eine Fremdfirma als ein Übergang eines Betriebsteils im Sinne der Richtlinie anzusehen ist.

9. Wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, ist dies aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofes, namentlich der Urteile in den Rechtssachen Sophie Redmond und Watson Rask, nicht von vornherein auszuschließen.

Der Gerichtshof hat in dem Urteil Sophie Redmond darauf hingewiesen, daß, wenn von einem Unternehmen - in diesem Fall ging es um eine Stiftung des niederländischen Rechts, die Süchtigen Hilfe leistete - nur ein Teil der Tätigkeiten (insbesondere nur die Hilfeleistungsfunktion, nicht aber die Begegnungs- und Erholungsfunktionen) auf ein anderes Unternehmen übertragen wurde, dies nicht notwendigerweise bedeutet, daß die Richtlinie nicht anwendbar ist: Der Gerichtshof hob hervor, daß der blosse Umstand, daß die genannten Begegnungs- und Erholungsfunktionen

"eine selbständige Aufgabe bildeten, der Anwendung der genannten Bestimmungen der Richtlinie nicht im Wege steht. Diese regele nämlich nicht nur den Übergang von Unternehmen, sondern auch den von Betrieben oder Betriebsteilen; solchen können Tätigkeiten besonderer Art gleichgestellt werden"(6).

10. Das Urteil Watson Rask vom 12. November 1992 - verkündet nach dem Vorlagebeschluß in der vorliegenden Rechtssache, der vom 27. Oktober 1992 datiert - betraf das Unternehmen Philips, das die Bewirtschaftung seiner vier Betriebskantinen durch einen Vertrag auf ein Cateringunternehmen, die ISS, übertragen hatte. Die ISS hatte sich dabei verpflichtet, die in den Kantinen angestellten Arbeitnehmer von Philips (etwa zehn) gegen eine feste monatliche Vergütung und Vergünstigungen in Form von Naturalien zu denselben Arbeitsbedingungen zu übernehmen. Diese Vergünstigungen bestanden darin, daß Philips die Räume, Einrichtungen, Strom, Heizung, Telefon, Umkleideräume und einen Abfallbeseitigungsdient zur Verfügung stellte und bestimmte Verbrauchsgüter zu Großhandelspreisen lieferte. Die Frage, ob die Richtlinie 77/187 auf einen solchen Fall anwendbar sei, bejahte der Gerichtshof. Er stellte dazu insbesondere folgendes fest:

"Überträgt ein Unternehmer durch Vertrag einem anderen Unternehmer die Verantwortung für die Bewirtschaftung einer Einrichtung seines Unternehmens wie einer Kantine und übernimmt der letztgenannte damit die Arbeitgeberpflichten gegenüber den dort beschäftigten Arbeitnehmern, so kann ein solcher Vorgang in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wie er in Artikel 1 Absatz 1 festgelegt ist. Daß der in diesem Fall übertragene Tätigkeitsbereich für das übertragende Unternehmen nur von untergeordneter Bedeutung ist und nicht in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Unternehmenszweck steht, kann nicht zum Ausschluß dieses Vorgangs vom Anwendungsbereich der Richtlinie führen."(7)

11. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes muß die Feststellung, ob die Richtlinie tatsächlich anwendbar ist, dem vorlegenden Gericht überlassen werden, das sich dabei an den vom Gerichtshof in Randnummer 13 des Urteils Spijkers aufgezählten tatsächlichen Umständen orientieren kann:

"Für die Feststellung, ob diese Voraussetzungen erfuellt sind, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Es ist jedoch klarzustellen, daß alle diese Umstände nur Teilaspekte der vorzunehmenden globalen Bewertung sind und deshalb nicht isoliert beurteilt werden können."(8)

12. Ein Fall wie der vorliegende verlangt jedoch noch eine ergänzende Klarstellung. Es geht nämlich um die Frage, ob die blosse Übertragung eines Tätigkeitsbereichs an einen Dritten ("contracting out") - auch wenn wie in diesem Fall weder unmittelbar noch mittelbar materielle und/oder immaterielle Aktiva von einer gewissen Bedeutung übertragen worden sind und nur ein Betriebsangehöriger mit wechselt - als ein Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie angesehen werden kann.

Um diese Frage beantworten zu können, ist von den Randnummern 11 und 12 des Urteils Spijkers auszugehen (die der bereits zitierten Randnummer vorangehen):

"Aus dem Aufbau der Richtlinie 77/187 und dem Wortlaut ihres Artikels 1 Absatz 1 ergibt sich nämlich, daß diese Richtlinie bezweckt, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel zu gewährleisten. Daraus folgt, daß das entscheidende Kriterium für die Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie handelt, darin besteht, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt.

Somit kann nicht bereits vom Übergang eines Unternehmens, eines Betriebs oder Betriebsteils gesprochen werden, wenn nur dessen Aktiva veräussert werden. Vielmehr ist in einem Fall wie dem vorliegenden zu prüfen, ob eine noch bestehende wirtschaftliche Einheit veräussert worden ist, was sich u. a. daraus ergibt, daß ihr Betrieb von den neuen Inhabern mit derselben oder einer gleichartigen Geschäftstätigkeit tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird."

13. Der vorstehenden Stelle lässt sich entnehmen, daß nach Auffassung des Gerichtshofes den drei Begriffen "Unternehmen", "Betrieb" oder "Betriebsteil" ein gemeinsamer Begriff zugrunde liegt, nämlich der der "wirtschaftlichen Einheit" (9), ein Begriff, der meines Erachtens auf ein Minimum an organisatorisch selbständiger Einheit verweist, die entweder allein bestehen oder Teil eines umfassenderen Unternehmens sein kann. In dem vor dem Urteil Spijkers ergangenen Urteil Botzen hatte der Gerichtshof bereits bestätigt, daß für den Übergang der Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer "allein entscheidend sei, ob die Abteilung, der sie angehörten und die den organisatorischen Rahmen bilde, innerhalb dessen sich das Arbeitsverhältnis konkretisiere, übertragen worden sei"(10).

14. In dem Urteil Spijkers präzisierte der Gerichtshof zugleich, daß die blosse Veräusserung von Aktiva nicht ausreiche, um von einem Übergang eines Unternehmens, eines Betriebs oder eines Betriebsteils zu sprechen. Die Bundesregierung verweist denn auch zu Recht darauf, daß die blosse Übertragung z. B. eines Grundstücks oder einer Maschine nicht unter die Richtlinie falle. Vielmehr müssen (vom nationalen Gericht), wie sich aus der Aufzählung des Gerichtshofes ergibt, Tatsachen wie der Übergang der "materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter", "der immateriellen Aktiva" und "die Übernahme der Hauptbelegschaft" berücksichtigt werden.

Alldem entnehme ich, daß den Begriffen "Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil" im Sinne der Richtlinie 77/187 der Begriff einer wirtschaftlichen Einheit zugrunde liegt, der auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und (materiellen und/oder immateriellen) Vermögensgegenständen verweist, mit deren Hilfe eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener - in bezug auf den Unternehmenszweck möglicherweise untergeordneten - Zielsetzung ausgeuebt wird; eine Gesamtheit, die übrigens Teil einer grösseren Unternehmensgesamtheit sein kann(11).

15. Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Definition unter Berücksichtigung der bereits oben (Nr. 11) genannten "tatsächlichen Umstände" auf den konkreten Fall anzuwenden. Hinsichtlich der zweiten Frage des Landesarbeitsgerichts möchte ich noch bemerken, daß ich zwar ein streng quantitatives Kriterium für nicht wünschenswert halte, um den Geltungsbereich der Richtlinie 77/187 abzugrenzen, doch ist die Tatsache, daß die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit nur von einem einzigen Arbeitnehmer oder einer einzigen Arbeitnehmerin ausgeuebt wird, einer der Umstände, die bei der Beurteilung, ob eine organisatorische Einheit vorliegt, zu berücksichtigen sind.

Entscheidungsvorschlag

16. Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Vorabentscheidungsfragen des Landesarbeitsgerichts wie folgt zu beantworten:

"Reinigungsaufgaben sind eine wirtschaftliche Tätigkeit, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG fallen können. Bei der Entscheidung, ob diese Richtlinie tatsächlich in einem Fall anwendbar ist, in dem ein Unternehmen die bis dahin von seinem Personal verrichteten Reinigungsaufgaben fallen lässt und durch Vertrag einem anderen Unternehmen überträgt, muß das nationale Gericht prüfen, ob es im Einzelfall unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung angeführten Auslegungskriterien um einen Übergang einer wirtschaftlichen Einheit, d. h. einer organisierten Gesamtheit von Personen und (materiellen und/oder immateriellen) Vermögensgegenständen geht, mit deren Hilfe eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener - selbst untergeordneter - Zielsetzung ausgeuebt wird."

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) - Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. 1977, L 61, S. 26).

(2) - Urteil vom 19. Mai 1992 in der Rechtssache C-29/91 (Slg. 1992, I-3189).

(3) - Urteil vom 18. März 1986 in der Rechtssache C-24/85 (Slg. 1986, 1119, insb. Randnr. 11).

(4) - Urteil vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-209/91 (Slg. 1992, I-5755).

(5) - Daß unter den Begriff Wirtschaftsleben im Sinne des Artikels 2 EG-Vertrag alle entgeltlichen Arbeits- oder Dienstleistungen fallen, hat der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 14. Juli 1976 in der Rechtssache 13/76 (Donà, Slg. 1976, 1333, Randnr. 12) und unlängst in seinem Urteil vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache 196/87 (Steymann, Slg. 1988, 6159, Randnr. 10) bestätigt.

(6) - Urteil Sophie Redmond, Randnr. 30 (Hervorhebung von mir).

(7) - Urteil Watson Rask, Randnr. 17 (Hervorhebung von mir).

(8) - Urteil Spijkers, Randnr. 13; siehe auch Urteil Sophie Redmond, Randnr. 24; Urteil Watson Rask, Randnr. 20.

(9) - Wirtschaftliche Einheit ist der Ausdruck, der in den meisten Sprachfassungen des Urteils verwendet wird, nämlich im Dänischen ( ökonomisk enhed ), Deutschen ( wirtschaftliche Einheit ), Französischen ( entité économique ), Italienischen ( entità economica ), Portugiesischen ( uma entidade económica ) und Spanischen ( una entidad económica ). In der englischen und niederländischen Fassung werden die Ausdrücke busineß bzw. bedrijf verwendet.

(10) - Urteil vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 186/83 (Botzen, Slg. 1985, 519, Randnr. 14; Hervorhebung von mir).

(11) - Vgl. die Definition, die der Gerichtshof, allerdings in einem anderen Regelungsbereich, hinsichtlich des Begriffs Tätigkeitszweig im Sinne von Artikel 7 der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 1969, L 249, S. 25) herausgearbeitet hat, nämlich, daß dieser Begriff einen Unternehmensteil dann umfasst, wenn dieser eine organisierte Gesamtheit von Vermögensgegenständen und Personen darstellt, die zur Durchführung einer bestimmten Tätigkeit beitragen können : Urteil vom 13. Oktober 1992 in der Rechtssache C-50/91 (Commerz-Credit-Bank, Slg. 1992, I-5225, Randnr. 12).

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