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Document 61990CJ0303

    Urteil des Gerichtshofes vom 13. November 1991.
    Französische Republik gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
    Verhaltenskodex - Anfechtbare Handlung im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag.
    Rechtssache C-303/90.

    Sammlung der Rechtsprechung 1991 I-05315

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1991:424

    SITZUNGSBERICHT

    in der Rechtssache C-303/90 ( *1 )

    I — Anwendbare gemeinschaftsrechtliche Vorschriften

    1. Artikel 130a bis 130e EWG-Vertrag

    Die Artikel 130a bis 130e EWG-Vertrag betreffen den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt.

    Artikel 130a verpflichtet die Gemeinschaft, ihre Politik zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts weiterhin zu entwickeln und zu verfolgen. Insbesondere hat die Gemeinschaft sich zum Ziel zu setzen, den Abstand zwischen den verschiedenen Regionen und den Rückstand der am wenigsten begünstigten Gebiete zu verringern.

    Nach Artikel 130b unterstützt die Gemeinschaft die Verwirklichung dieser Ziele durch die Politik, die sie mit Hilfe der Strukturfonds (Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft — Abteilung Ausrichtung, Europäischer Sozialfonds, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung), der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzierungsinstrumente führt.

    Nach Artikel 130d beschließt der Rat nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte über einen Vorschlag der Kommission, der darauf abzielt, die zur Präzisierung und Rationalisierung der Aufgaben dieser Strukturfonds gegebenenfalls erforderlichen Änderungen vorzunehmen, um zur Erreichung der Ziele der Artikel 130a und 130c beizutragen, die Effizienz der Fonds zu erhöhen und deren Tätigkeiten sowohl untereinander als auch im Verhältnis zu den Tätigkeiten der vorhandenen Finanzierungsinstrumente zu koordinieren. Artikel 130e bestimmt, daß die den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung betreffenden Durchführungsbeschlüsse vom Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament erlassen werden. Für die übrigen Fonds sind die Artikel 43, 126 und 127 EWG-Vertrag weiterhin anwendbar.

    2. Die Verordnungen über die Strukturfonds

    Die Verwirklichung des Ziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts wurde in Gang gesetzt durch die Verordnungen (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9) und (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1).

    Der erste Teil der Verordnung Nr. 2052/88 betrifft Ziele und Aufgaben der Strukturfonds. Artikel 3 Absatz 4 bestimmt:

    „Die spezifischen Bestimmungen über den Einsatz der einzelnen Strukturfonds werden in den Durchführungsvorschriften gemäß Artikel 130e des Vertrages festgelegt. Darin werden insbesondere die Modalitäten der Intervention in einer der in Artikel 5 Absatz 2 aufgeführten Formen, die Kriterien für die Förderungswürdigkeit und die Zuschußsätze festgelegt. Unbeschadet des Absatzes 5 des vorhergehenden Artikels werden darin ferner die Modalitäten für die Verfolgung, Bewertung, finanzielle Abwicklung und Kontrolle der Aktionen sowie die gegenüber den derzeitigen Regelungen gegebenenfalls notwendigen Übergangsbestimmungen festgelegt.“

    Der zweite Teil enthält Bestimmungen über die Methode der finanziellen Intervention dieser Fonds.

    Artikel 4 Absätze 1 und 2 lautet wie folgt:

    „1)

    Die Gemeinschaftsaktion wird als Ergänzung oder Beitrag zu den entsprechenden nationalen Aktionen konzipiert. Erreicht wird dies durch eine enge Konzertierung zwischen der Kommission, dem betreffenden Mitgliedstaat und von ihm bezeichneten, auf nationaler, regionaler, lokaler oder sonstiger Ebene zuständigen Behörden, wobei alle Parteien als Partner ein gemeinsames Ziel verfolgen. Diese Konzertierung wird nachstehend als Partnerschaft bezeichnet. Die Partnerschaft erstreckt sich auf die Vorbereitung, Finanzierung, Begleitung und Bewertung der Aktionen.

    2)

    Die Kommission ergreift nach Maßgabe dieser Verordnung sowie der in Artikel 3 Absätze 4 und 5 genannten Bestimmungen Initiativen und Durchführungsmaßnahmen, um sicherzustellen, daß die Gemeinschaftsaktion die Erreichung der in Artikel 1 genannten Ziele unterstützt und die nationalen Initiativen ergänzt und verstärkt.“

    Artikel 5 regelt die verschiedenen Interventionsformen im einzelnen, während Artikel 6 von der Verfolgung und Bewertung der Gemeinschaftsaktion handelt.

    Artikel 23 der Verordnung Nr. 4253/88, der die Überschrift „Finanzkontrolle“ trägt, bestimmt in seinem Absatz 1 folgendes:

    „1)

    Um den erfolgreichen Abschluß der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um

    regelmäßig nachzuprüfen, daß die von der Kommission finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind,

    Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden,

    infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verlorengegangene Beträge zurückzufordern.

    Falls der Mitgliedstaat und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, daß die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, ist der Mitgliedstaat subsidiär für die Zurückzahlung der [zu Unrecht] gezahlten Beträge verantwortlich.

    Die Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen und insbesondere vom Verlauf administrativer und gerichtlicher Verfahren in Kenntnis.

    Bei der Einreichung von Auszahlungsanträgen stellen die Mitgliedstaaten der Kommission alle geeigneten nationalen Prüfberichte zu den in den betreffenden Programmen oder Aktionen enthaltenen Maßnahmen zur Verfügung.“

    3. Der Verhaltenskodex

    Mit Schreiben vom 30. Juli 1990 hat die Kommission den Mitgliedstaaten ein Schriftstück übermittelt, daß die Überschrift „Verhaltenskodex zu den Modalitäten für die Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems“ trägt (im folgenden: Kodex). Dieses Schriftstück wurde im Amtsblatt C 200 vom 9. August 1990, Seiten 3 und 4, veröffentlicht.

    Dieser Kodex lautet wie folgt:

    „1. Anwendungsbereich

    Die in diesem Verhaltenskodex genannten Maßnahmen betreffen alle in Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vorgesehenen Interventionsformen des Europäischen Regionalentwicklungsfonds, des Europäischen Sozialfonds und des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) ‚Abteilung Ausrichtung‘.

    Die Mitteilungspflicht bezieht sich auf die Fälle, deren Auswirkungen zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts mindestens 4000 ECU betragen.

    Bei nach beiden Abteilungen [des EAGFL] finanzierten Maßnahmen richtet sich die Mitteilung nach den für [den EAGFL, ‚Abteilung Garantie‘] geltenden Bestimmungen, und hierauf wird bei den Mitteilungen auf der Grundlage des Verhaltenskodex Bezug genommen.

    2. Der Begriff ‚Unregelmäßigkeit‘

    Unbeschadet des Artikels 24 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 ist unter Unregelmäßigkeit jeder Verstoß gegen eine einzelstaatliche oder Gemeinschaftsvorschrift durch eine natürliche oder juristische Person zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts zu verstehen.

    3. Mitteilung der nationalen Regelungen und Verfahren

    Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Bekanntgabe dieses Verhaltenskodexes mit:

    ihre zur Verhütung und Ahndung von Unregelmäßigkeiten erlassenen Vorschriften;

    die dafür zuständigen Stellen;

    die wichtigsten Verfahrensbestimmungen ihrer Verwaltungen.

    Diese Verpflichtung gilt auch für Änderungen, die nach der ersten Mitteilung eintreten.

    4. Mitteilung betreffend Unregelmäßigkeitsfälle

    Innerhalb von zwei Monaten nach dem 1. Januar, dem 1. Mai und dem 1. September jedes Jahres übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission eine Aufstellung der Fälle von Unregelmäßigkeiten, die von einer Verwaltungsbehörde festgestellt oder gerichtlich verfolgt wurden.

    Dazu machen sie, soweit verfügbar, folgende Angaben:

    Die Daten für die Identifizierung der betreffenden Maßnahmen, gegebenenfalls unter Angabe aller früheren Mitteilungen aufgrund dieses Absatzes;

    den Zeitraum oder den Zeitpunkt, zu dem die Unregelmäßigkeit begangen wurde;

    die Namen der Begünstigten sowie der an der Unregelmäßigkeit beteiligten natürlichen oder juristischen Personen, es sei denn, daß rechtliche Bestimmungen entgegenstehen;

    die für die Begehung der Unregelmäßigkeit verwendeten Praktiken;

    wie die Unregelmäßigkeit aufgedeckt wurde;

    die finanziellen Konsequenzen und die Möglichkeiten der Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge;

    die Dienststellen oder Einrichtungen, die

    a)

    die Unregelmäßigkeit festgestellt haben;

    b)

    mit der administrativen oder gerichtlichen Abwicklung des Falls beauftragt sind.

    Sollte kein Fall von Unregelmäßigkeiten anzuzeigen sein, so teilen die Mitgliedstaaten dies der Kommission ebenfalls über eine Negativliste innerhalb der im Absatz 1 aufgeführten Frist mit.

    In den gleichen Zeitabständen informieren sie sie hinsichtlich der mitgeteilten Fälle über den Stand der eingeleiteten Verfahren.

    Außerdem teilen sie der Kommission die abschließenden Entscheidungen der Verwaltungsbehörden bzw. Gerichte in den Wiedereinziehungsverfahren mit.

    5. Metboden der Begebung von Unregelmäßigkeiten

    Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich die festgestellten Unregelmäßigkeitspraktiken mit, die neuartige Vorgehensweisen durch die Begünstigten erkennen lassen. Sie teilen ferner umgehend die Unregelmäßigkeiten mit, bei denen Anlaß zu der Befürchtung besteht, daß sie außerhalb ihres eigenen Staatsgebiets Auswirkungen haben.

    6. Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten und Kommission

    Die Kommission unterhält mit den betreffenden Mitgliedstaaten die geeigneten Kontakte, um die Auskünfte über die Unregelmäßigkeiten und die Wiedereinziehungsmöglichkeiten laufend zu ergänzen.

    Sie veranstaltet auf Gemeinschaftsebene Informationssitzungen mit den Vertretern der Mitgliedstaaten, um mit ihnen die erhaltenen Informationen auszuwerten, vor allem im Hinblick darauf, inwieweit daraus Erfahrungen für Präventivmaßnahmen zu ziehen sind.

    Die Kommission unterrichtet den Gemeinschaftsausschuß zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung über diese Arbeiten.

    7. Vertraulichkeit

    Die Mitgliedstaaten und die Kommission treffen alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen, damit die untereinander ausgetauschten Informationen vertraulich bleiben.

    8. Unterrichtung des gemeinschaftlichen Ausschusses fiir die Koordinierung der Betrugsbe-kämpfitng

    Die Kommission teilt dem Gemeinschaftsausschuß zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung die Zahl der mitgeteilten und der eingestellten Rechtssachen sowie die Höhe der wiedereingezogenen, der gerade im Stadium der Wiedereinziehung befindlichen, der nicht wiedereingezogenen und der verlorenen Beträge mit. Die Ausschüsse der verschiedenen Strukturfonds werden gleichermaßen unterrichtet.“

    II — Gerichtliches Verfahren

    Die Klage der Französischen Republik wurde am 4. Oktober 1990 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen.

    Die Französische Republik, Klägerin, beantragt,

    1)

    das Dokument 90/C 200/03 mit dem Titel „Verhaltenskodex zu den Modalitäten für die Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems“ für nichtig zu erklären;

    2)

    der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    Die Kommission, Beklagte, beantragt,

    1)

    die Klage für unzulässig, jedenfalls für unbegründet zu erklären;

    2)

    der Französischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    Der Gerichtshof hat auf Bericht des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

    III — Vorbringen der Parteien

    1. Die Entstehungsgeschichte des Kodex

    Die Kommission führt aus, der Verhaltenskodex sei das Ergebnis einer von ihr bei der Verabschiedung der Verordnung Nr. 4253/88 zu Protokoll des Rates abgegebenen Erklärung, nach der

    sie im Rahmen ihrer Befugnisse die erforderlichen Maßnahmen treffen werde, um in den einzelnen Mitgliedstaaten die Anwendung einheitlicher Verfahren für Verfolgung und Kontrolle etwaiger Unregelmäßigkeiten bezüglich der Gemeinschaftsinterventionen zu gewährleisten.

    Durch diese Erklärung habe sie die Mitgliedstaaten davon unterrichtet, daß sie ihnen Einzelheiten zur Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 vorlegen werde. Ihre Absicht, einen Verhaltenskodex auszuarbeiten, habe sie am 12. Juni 1989 in einem Bericht angekündigt, in dem sie mitgeteilt habe, sie werde zwei Arbeitsgruppen einsetzen, von denen eine die Aufgabe habe, die Einzelheiten der Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 dieser Verordnung näher zu bestimmen. Sie sei der Ansicht gewesen, nachdem der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister am 19. Juli 1989 ihrem Betrugsbekämpfungsplan zugestimmt und der Europäische Rat eine Verlautbarung beschlossen habe, in der er die Notwendigkeit unterstrichen habe, strenge Maßnahmen gegen die zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehenden betrügerischen Machenschaften zu ergreifen, sei ihre Absicht, eine einheitliche Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 vorzuschlagen, auf höchster politischer Ebene gebilligt worden.

    Am 18. Dezember 1989 habe sie das Dokument C(89) 2048/4 verabschiedet, das den Entwurf eines Verhaltenskodex enthalten habe. In Punkt 26 von Anhang 1 dieses Dokuments heiße es:

    „Um den Verpflichtungen aus Artikel 23 Absatz 1 Unterabsatz 2 [der Verordnung Nr. 4253/88] und aus der Erklärung Nr. 15 in dem Protokoll des Rates vom 14. Dezember 1988 nachzukommen, halten sich die Partner an den zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zu vereinbarenden Verhaltenskodex, der sie verpflichtet, etwaige Unregelmäßigkeiten in der Interventionsform aufzudecken.“

    Die Kommission habe ihren Vorschlag, eine Arbeitsgruppe zu bilden, um die Einzelheiten der Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 näher zu bestimmen, in ihrem Arbeitsprogramm wiederholt, das einem dem Rat am 31. Januar 1990 vorgelegten Bericht beigefügt gewesen sei; in Punkt 16 dieses Berichts heiße es, daß der Wortlaut des Verhaltenskodex im Wege einer Vereinbarung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten festgelegt werden solle.

    Dieser Verhaltenskodex sei dem aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden gemeinschaftlichen Koordinierungsausschuß für die Betrugsbekämpfung (Comité communautaire de coordination de la lutte antifraude; im folgenden: Cocolaf) unterbreitet worden. Auf der Sitzung des Cocolaf vom 19. und 20. Februar 1990 habe die Kommission erneut darauf hingewiesen, daß der Verhaltenskodex lediglich eine Anleitung zur Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 darstelle.

    Auf der Tagung des Rates der Wirtschaftsund Finanzminister vom 12. März 1990 und in den Sitzungen des Cocolaf hätten die Delegationen die Frage nach der diesem Verhaltenskodex zu gebenden rechtlichen Form erörtert. Gewisse Meinungsverschiedenheiten über dessen Rechtmäßigkeit hätten eine Lösung in der Sitzung des Cocolaf vom 8. Mai 1990 gefunden, wo sich die Delegationen mit Ausnahme Spaniens und des Vereinigten Königreichs darauf verständigt hätten, daß der Kodex die Einzelheiten der Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 festlege, ohne für die Mitgliedstaaten neue Verpflichtungen zu schaffen.

    In der Sitzung vom 17. Juli 1990, in der die Vorbehalte dieser beiden Staaten ausgeräumt worden seien, habe Frankreich gewisse Bedenken hinsichtlich der Rechtsform des Kodex geäußert. Mit Fernschreiben seiner Ständigen Vertretung vom 25. Juli 1990 habe dieser Mitgliedstaat eine Erklärung folgenden Inhalts abgegeben:

    Angesichts der Bedeutung des mit der Betrugsbekämpfung verfolgten Ziels erkläre die französische Delegation ihr Einverständnis mit dem Entwurf eines Verhaltenskodex zur Durchführung von Artikel 23 der Verordnung Nr. 4253/88. Sie weise jedoch nochmals auf ihre Bedenken bezüglich der rechtlichen Qualifizierung dieses Kodex hin. Jedenfalls stelle sie fest, daß dieser Kodex den Mitgliedstaaten keine in Artikel 23 der Verordnung nicht vorgesehenen neuen administrativen Verpflichtungen auferlegen könne.

    Schließlich sei der Verhaltenskodex den Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 30. Juli 1990 offiziell bekanntgegeben worden.

    2. Zur Zulässigkeit

    Die Kommission erhebt in ihrer Klagebeantwortung eine Unzulässigkeitseinrede. Ihrer Auffassung nach erfüllt der Kodex sowohl nach den Umständen seiner Verabschiedung als auch nach der Art und Weise, in der er ausgearbeitet, abgefaßt und veröffentlicht worden sei, nicht die Voraussetzungen einer mit der Nichtigkeitsklage anfechtbaren Handlung.

    Der Kodex sei nur eine von ihr und den Mitgliedstaaten ausgehandelte und angenommene Vereinbarung über eine einheitliche Methode zur Durchführung der durch Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 begründeten Verpflichtungen. Die Kommission habe ihre Auffassung darüber, wie diese Verpflichtungen zu beurteilen seien, den Mitgliedstaaten unterbreitet. Nach vorheriger Diskussion hätten sich diese über den Wortlaut von Artikel 23 Absatz 1 sowie darüber geeinigt, welche Auskünfte jeder von ihnen der Kommission erteilen könne oder zu erteilen bereit sei. Auf diese Weise hätten die Staaten die Gewißheit, daß die Kommission über einheitliche Auskünfte hinsichtlich aller im Hoheitsgebiet irgendeines Mitgliedstaats auftretenden Unregelmäßigkeiten verfüge.

    Man könne den Kodex als eine Stellungnahme ansehen, über deren Befolgung sich die Mitgliedstaaten im Rahmen der zwischen ihnen und der Kommission sowohl durch Artikel 5 EWG-Vertrag als auch durch Artikel 23 Absatz 1 begründeten Zusammenarbeit verständigt hätten. Als einvernehmlich erarbeitetes Dokument könne der Kodex für die Mitgliedstaaten keine Rechtswirkungen haben; daß diese sich damit einverstanden erklärt hätten, sich künftig hiernach zu richten, besage nicht, daß der Kodex ihre Rechtslage, wie sie sich aus Artikel 23 Absatz 1 ergebe, verändert hätte. Eine derartige Stellungnahme sei daher nicht anfechtbar. Die Kommission beruft sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die drei Urteile vom 13. Dezember 1990 in den Rechtssachen Tl 13/89, Tl 14/89 und Tl 16/89 (Nefarma, VNZ und Prodifarma/Kommission), in denen das Gericht erster Instanz darauf hingewiesen habe, daß Meinungsäußerungen der Kommission gegenüber den Behörden eines Mitgliedstaats in Bereichen, in denen sie zum Erlaß verbindlicher Entscheidungen nicht befugt sei, nur einfache Stellungnahmen ohne Rechtswirkungen seien.

    In seiner jetzigen Form sei der Kodex weder dazu bestimmt, zwingende Rechtswirkungen zu erzeugen, noch solle er die Rechtslage der Mitgliedstaaten erheblich ändern. Der Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 114/86 (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1988, 5289) festgestellt, daß eine Handlung dann nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könne, wenn sie nicht dazu bestimmt sei, Rechtswirkungen zu erzeugen. Überdies bestätige die schwankende Wortwahl für die Bezeichnung des Kodex (Anleitung, ausgehandelter Konsens, Gentlemen's Agreement), daß das Dokument nicht dazu bestimmt sei, neue zwingende Rechtswirkungen zu erzeugen.

    Nach Ansicht der französischen Regierung stellt das Dokument sehr wohl ungeachtet seiner Form eine Handlung dar, die nach Artikel 173 für nichtig erklärt werden könne. Die französische Regierung beruft sich auf das Urteil des Gerichtshofes vom 9. Oktober 1990 in der Rechtssache C-366/88 (Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-3571). Dieses Urteil sei einschlägig, da der Kodex die Natur der der Kommission gegenüber bestehenden Verfolgungsund Auskunftspflicht der Mitgliedstaaten ändere. Außerdem verfüge die Kommission weder über eine eigene Zuständigkeit für die Durchführung des Artikels 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88, noch sei sie hierzu ausdrücklich ermächtigt worden.

    3. Zur Begründetheit

    Die französische Regierung macht geltend, die Kommission habe beabsichtigt, sich mit Hilfe eines im Rahmen der Partnerschaft innerhalb des Cocolaf erzielten „Konsenses“ im Bereich der Strukturfonds ähnliche Zuständigkeiten zu verschaffen wie diejenigen, die ihr bei der Bekämpfung betrügerischer Machenschaften zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts zustünden und die Gegenstand der Verordnung (EWG) Nr. 283/72 des Rates (ABl. L 36, S. 1) seien. Zwar könne eine derartige Initiative die Mittel für den Kampf gegen Betrug und Unregelmäßigkeiten verstärken, doch müßten die für Beschlußfassungen geltenden Regeln des Gemeinschaftsrechts eingehalten werden.

    Erster Klagegrund: Unzuständigkeit der Kommission

    Nach Ansicht der französischen Regierung verleiht Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 der Kommission keinerlei Befugnis zur Präzisierung oder Ausweitung der den Mitgliedstaaten für die Zwecke der Ausübung ihrer Verfolgungs- und Informationspflicht auferlegten Verpflichtungen. Nach dieser Bestimmung behielten die Mitgliedstaaten das Recht, die Mittel für die Erfüllung dieser Verpflichtungen zu wählen; sie treffe lediglich eine Erfolgspflicht. Gemäß Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2052/88 würden die spezifischen Bestimmungen über den Einsatz der einzelnen Strukturfonds in den aufgrund von Artikel 130e EWG-Vertrag erlassenen Durchführungsvorschriften festgelegt. Diese Bestimmung begründe die Zuständigkeit des Rates.

    Die von der Kommission bei der Verabschiedung der Verordnung Nr. 4253/88 abgegebene Erklärung habe keinerlei rechtliche Bedeutung. Die französische Regierung bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Gerichtshofes vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 143/83 (Kommission/Dänemark, Slg. 1985, 427).

    Der von der Kommission angeführte Begriff der Partnerschaft könne am Modus der Beschlußfassung nichts ändern, da die Kommission auf dem Gebiet der Kontrollen zur Bekämpfung von Betrug und Unregelmäßigkeiten über keinerlei Initiativbefugnisse verfüge und zur Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 auch nicht ausdrücklich ermächtigt worden sei.

    Seiner Zweckbestimmung entspreche der Kodex nur, wenn er sich auf eine bloße Kommentierung von Artikel 23 Absatz 1 beschränke. Sein Zweck sei in Wahrheit, das Verhalten der Mitgliedstaaten zu regeln. Der Kodex sei offiziell bekanntgemacht und veröffentlicht worden. Seine Überschrift „Verhaltenskodex“ zeige, daß er eindeutig normativen Charakter habe. Insbesondere seine Punkte 3 und 4 enthielten Vorschriften, die weit über eine Durchführung der in Artikel 23 Absatz 1 niedergelegten Grundsätze hinausgingen. Der Kodex erlege den Mitgliedstaaten im Rahmen der Errichtung eines Systems der lückenlosen Überwachung der Verwendung von Mitteln der Strukturfonds der Gemeinschaft neue Verpflichtungen auf.

    Der Kodex enthalte Bestimmungen, die Verordnungscharakter hätten, da sie nicht lediglich die Einzelheiten der Erfüllung der den Mitgliedstaaten obliegenden Auskunftspflicht regelten. Insbesondere habe die Kommission selbst den Anwendungsbereich dieser Pflicht festgelegt, indem sie den Begriff der Unregelmäßigkeit sowie die Schwelle bestimmt habe, jenseits deren die Mitteilung der Unregelmäßigkeiten obligatorisch sei (4000 ECU). Überdies bestehe eine Analogie zwischen diesem Verhaltenskodex und dem Entwurf einer Verordnung zur Änderung der den EAGFL betreffenden Verordnung Nr. 283/72. Die von den Mitgliedstaaten auszufüllenden Formulare stellten sich als Anpassung des für die Mitteilung der Fälle von Betrug und Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Verordnung Nr. 283/72 verwendeten Formulars dar; der Unterschied sei jedoch, daß diese Verordnung vom Rat formell gebilligt worden sei.

    Punkt 4 des Verhaltenskodex ersetze die Informationspflicht der Mitgliedstaaten durch zusätzliche Informationsgebote betreffend die an der Unregelmäßigkeit beteiligten natürlichen oder juristischen Personen sowie den Verlauf der gerichtlichen oder administrativen Verfahren zur Verfolgung der Zuwiderhandlungen. Zwar sei nach dieser Bestimmung die Mitteilung nur geboten, soweit „rechtliche Bestimmungen [nicht] entgegenstehen“; diese Wendung erfasse jedoch nur die individuellen Daten, deren Mitteilung nach innerstaatlichem Recht ausdrücklich verboten sei. Die namentlichen individuellen Daten könnten von der Kommission möglicherweise in eine Datenbank eingegeben werden, ohne daß für die Betroffenen insoweit die Garantien bestünden, über die sie hinsichtlich der den französischen Rechtsvorschriften unterworfenen Dateien verfügten.

    Die Informationen über den Stand der administrativen und gerichtlichen Verfolgung könnten in Konflikt mit dem Grundsatz der Vertraulichkeit der Untersuchung, der das Strafverfahren in Frankreich beherrsche, sowie — im Fall der von den regionalen Rechnungskammern durchgeführten Buchprüfungen und Finanzkontrollen — mit dem Grundsatz geraten, daß über laufende Verfahren Stillschweigen zu bewahren sei.

    Der Verhaltenskodex tue dem Grundsatz der Rechtssicherheit Abbruch; der Text, der sich ebenso leicht beseitigen wie annehmen lasse, verwende Ausdrücke, denen es an Genauigkeit fehle. Insbesondere die Notwendigkeit, „die Namen der Begünstigten sowie der an der Unregelmäßigkeit beteiligten natürlichen oder juristischen Personen“ mitzuteilen, könne schwerwiegende Folgen für Einzelpersonen oder Unternehmen haben, da der Begriff „beteiligt“ nicht näher definiert worden sei.

    Zweiter Klagegrund: Verletzung des Gemein-schafisrechts

    Der Verhaltenskodex verstoße gegen die Artikel 155 und 189 EWG- Vertrag sowie gegen die Verordnung Nr. 4253/88 des Rates, die die Kommission in keiner Weise ermächtige, sie zu kommentieren und ihre Wirkungen abzuändern.

    Dritter Klagegrund: Verfahrensmißbrauch

    Die Verabschiedung des Verhaltenskodex stelle einen Verfahresmißbrauch dar. Auch wenn man unterstelle, daß die Kommission berechtigt sei, Erklärungen zur bloßen Erläuterung von Artikel 23 Absatz 1 abzugeben, so sei sie doch nicht berechtigt gewesen, in dieser Form Maßnahmen zu treffen, die für die Mitgliedstaaten derartige Folgen mit sich brächten.

    Die belgische Regierung ist der Meinung, der Kodex stelle mehr dar als eine bloße Erläuterung von Artikel 23 Absatz 1. Er zeitige eigene Rechtswirkungen, wie sie normalerweise einer Verordnung vorbehalten seien, und zwar aus drei Gründen.

    Erstens lasse die Lektüre des Kodex erkennen, daß die Mitgliedstaaten nicht mehr Herren der Entscheidung über die zur Kontrolle der Verwendung der Fondsmittel und zur Erfüllung der Informationspflicht gegenüber der Kommission einzusetzenden Mittel seien. Zwar stelle der Kodex eine Durchführungsmaßnahme zu Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 dar, er begründe aber konkrete Verpflichtungen, die sich nicht automatisch aus den allgemeinen Wendungen dieser Bestimmung ergäben.

    Zweitens erteile Artikel 23 Absatz 1 der Kommission keinerlei Ermächtigung zu seiner Durchführung. Die maßgeblichen Bestimmungen bestätigten, daß jede Maßnahme, die rechtliche Verpflichtungen mit sich bringe, vom Rat zu treffen sei.

    Drittens sehe der bereits erwähnte Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 283/72 betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge im Rahmen der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik ähnliche Maßnahmen vor wie der Kodex. Es erscheine daher nicht folgerichtig, für ein und denselben Bereich einmal zwingende Rechtsnormen, ein anderes Mal dagegen bloße Empfehlungen vorzusehen, die die Mitgliedstaaten rechtlich nicht bänden.

    Die belgische Regierung schließt sich daher den Anträgen der französischen Regierung an.

    Die Kommission führt aus, sie sei entweder nach Artikel 155 EWG-Vertrag oder nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2052/88 befugt gewesen, Maßnahmen zur einheitlichen Inkraftsetzung der sich aus Artikel 23 Absatz 1 ergebenden Verpflichtungen vorzuschlagen. Die letztgenannte Bestimmung habe es ihr gestattet, den Mitgliedstaaten diese Modalitäten ohne vorherige Verhandlungen mitzuteilen, da sie dem Wortlaut von Artikel 23 Absatz 1 nichts hinzufügten. Die Kommission habe ihre Zuständigkeit jedoch dahin ausgelegt, daß sie sich in die durch Artikel 4 eingeführte Partnerschaft einfüge. Die Kommission nimmt Bezug auf Beispiele für andere „Mitteilungen“, durch die sie die Mitgliedstaaten darüber unterrichtet habe, wie sie bestimmte Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten auszulegen oder ein Urteil des Gerichtshofes in der Praxis anzuwenden gedenke, ohne daß diese Mitteilungen eine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten begründen könnten.

    Artikel 189 hindere die Kommission nicht daran, sich mit den Mitgliedstaaten über die Tragweite einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung zu verständigen. Ein solcher Konsens gewährleiste die Rechtssicherheit für alle Beteiligten, da diese nunmehr über die praktische Tragweite ihrer Verpflichtungen Bescheid wüßten, ohne daß eine solche Praxis die Rechte Dritter berühren könne.

    Was Punkt 1 des Kodex (Anwendungsbereich) angehe, so halte sich die Kommission für befugt, mit den Mitgliedstaaten zu vereinbaren, daß sie zumindest fürs erste nicht die Mitteilung unbedeutender Fälle verlangen werde, um eine administrative Belastung zu vermeiden, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen würde. Die Festlegung einer Schwelle bezwecke nicht eine Erweiterung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, sondern solle im Gegenteil die praktischen Auswirkungen von Artikel 23 Absatz 1 begrenzen, nach dem alle Fälle von Unregelmäßigkeiten gemeldet werden müßten.

    Der Begriff der „Unregelmäßigkeit“ (Punkt 2) werde so definiert, wie dies der Rat bereits im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Verordnung Nr. 283/72 gutgeheißen habe.

    Was Punkt 3 (Mitteilung der nationalen Regelungen und Verfahren) betreffe, so gestatte es Artikel 23 Absatz 1 der Kommission, die Mitgliedstaaten aufzufordern, ihr die geltenden Bestimmungen und diejenigen Bestimmungen, die getroffen worden seien, um die Unregelmäßigkeiten zu verfolgen, sowie die hierfür verantwortlichen Dienststellen mitzuteilen.

    Punkt 4 (Mitteilung betreffend Unregelmäßigkeitsfälle) solle es der Kommission ermöglichen, die gesamte Problematik der Betrugsfälle auf Gemeinschaftsebene zu verfolgen. Die präzisierende Wendung „es sei denn, daß rechtliche Bestimmungen entgegenstehen“ sei völlig klar. Verbiete das nationale Recht die Weitergabe einer Information, so könne die Kommission keinen Zugang zu ihr erlangen. Zur Rüge, der Kodex zwinge Frankreich dazu, seine Strafgesetze zu ändern, bemerkt die Kommission, die Verpflichtungen ergäben sich einzig und allein aus Artikel 23 Absatz 1. Im übrigen habe Frankreich sich aufgrund der Verordnung Nr. 283/72 bereits ähnlichen Verpflichtungen unterwerfen müssen. Ein Mitgliedstaat könne sich nicht hinter seinem eigenen Verfahrensrecht verschanzen, um die Erfüllung seiner Verpflichtung zu verweigern, die Kommission über die Entwicklung der in seinem Gebiet ablaufenden Strafverfahren zu unterrichten.

    Die Prüfung des Kodex ergebe, daß dessen Inhalt keineswegs über die durch Artikel 23 Absatz 1 auferlegten Verpflichtungen hinauszugehe, sondern sich im Gegenteil darauf beschränke, die Informationen zu erläutern, zu deren Weitergabe an die Kommission sich die Mitgliedstaaten bereit erklärt hätten.

    P. J. G. Kapteyn

    Berichterstatter


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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    URTEIL DES GERICHTSHOFES

    13. November 1991 ( *1 )

    In der Rechtssache C-303/90

    Französische Republik, vertreten durch Edwige Belliard, stellvertretende Leiterin der Direktion für rechtliche Angelegenheiten des Außenministeriums, und Helene Duchêne, Sekretärin für rechtliche Angelegenheiten im Außenministerium, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 9, boulevard du Prince-Henri, Luxemburg,

    Klägerin,

    unterstützt durch

    Königreich Belgien, vertreten durch Robert Hoebaer, Verwaltungsdirektor im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern, als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift: Belgische Botschaft, 4, rue des Girondins, Luxemburg,

    gegen

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch ihren Rechtsberater David Gilmour und durch Marie Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Roberto Hayder, Vertreter des Juristischen Dienstes, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

    Beklagte,

    wegen Nichtigerklärung des Dokuments 90/C 200/03 „Verhaltenskodex zu den Modalitäten für die Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems“

    erläßt

    DER GERICHTSHOF

    unter Mitwirkung des Präsidenten O. Due, der Kammerpräsidenten F. A. Schockweiler, F. Grévisse und P. J. G. Kapteyn, der Richter G. F. Mancini, C. N. Kakouris, J. C. Moitinho de Almeida, M. Diez de Velasco und M. Zuleeg,

    Generalanwalt: G. Tesauro

    Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

    aufgrund des Sitzungsberichts,

    nach Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 1991, in der die Französische Republik durch Philippe Pouzoulet, stellvertretender Leiter der Direktion für rechtliche Angelegenheiten des Außenministeriums, und Helene Duchêne, und das Königreich Belgien durch Jan Devadder, Ministerialrat im Außenministerium, als Bevollmächtigte vertreten waren,

    nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. September 1991,

    folgendes

    Urteu

    1

    Die Französische Republik hat mit Klageschrift, die am 4. Oktober 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung einer als „Verhaltenskodex zu den Modalitäten für die Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems“ (ABl. 1990, C 200, S. 3; im folgenden: Kodex) bezeichneten Handlung der Kommission.

    2

    Artikel 130a EWG-Vertrag sieht vor, daß die Gemeinschaft ihre Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts entwickelt und weiterhin verfolgt und sich insbesondere zum Ziel setzt, den Abstand zwischen den verschiedenen Regionen und den Rückstand der am wenigsten begünstigten Gebiete zu verringern.

    3

    Zu diesem Zweck wurden die Verordnungen (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9) und Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1) erlassen.

    4

    In Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88, der die Überschrift „Finanzkontrolle“ trägt, heißt es :

    „1)

    Um den erfolgreichen Abschluß der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um

    regelmäßig nachzuprüfen, daß die von der Kommission finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind,

    Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden,

    infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verlorengegangene Beträge zurückzufordern. Falls der Mitgliedstaat und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, daß die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, ist der Mitgliedstaat subsidiär für die Zurückzahlung der unregelmäßig gezahlten Beträge verantwortlich.

    Die Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen und insbesondere vom Verlauf administrativer und gerichtlicher Verfahren in Kenntnis.“

    5

    Mit Schreiben vom 30. Juli gab die Kommission den Mitgliedstaaten den Kodex bekannt.

    6

    Wegen weiterer Einzelheiten der Vorgeschichte und des Sachverhalts des Rechtsstreits, der Entstehungsgeschichte des Kodex, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

    Zur Zulässigkeit der Klage

    7

    Die Kommission erhebt die Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung, der Kodex sei angesichts der Begleitumstände seiner Verabschiedung und der Art und Weise seiner Erstellung keine anfechtbare Handlung im Sinne von Artikel 173.

    8

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Nichtigkeitsklage gegen alle Handlungen der Organe ohne Rücksicht auf deren Rechtsnatur oder -form zulässig, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen (Urteil vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70, Kommission/Rat, Slg. 1971, 263).

    9

    Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Verlautbarung, die in ihrer Überschrift als „Modalitäten für die Anwendung“ bezeichnet wird, vollständig in der Serie C des Amtsblatt abgedruckt ist und, wie aus den Akten hervorgeht, allen Mitgliedstaaten mit Schreiben des zuständigen Kommissionsmitglieds bekanntgegeben wurde. In diesem Schreiben wird ausgeführt, daß der Kodex am Tage seiner Bekanntmachung in Kraft trete und daß die Pflicht zur Beachtung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 die uneingeschränkte Befolgung der Bestimmungen des Kodex erfordere, der die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Verpflichtungen zum Ausdruck bringe.

    10

    Um feststellen zu können, ob die angefochtene Handlung dazu bestimmt ist, neue Rechtswirkungen im Vergleich zu denjenigen zu erzeugen, die Artikel 23 der Verordnung Nr. 4253/88 zeitigt, ist ihr Inhalt zu untersuchen.

    11

    Die Beurteilung der Frage, ob die Einrede der Unzulässigkeit begründet ist, hängt daher von der Beurteilung der gegen die streitige Handlung geltend gemachten Rügen ab; die Einrede ist somit zusammen mit den materiellen Fragen des Rechtsstreits zu prüfen.

    Zur Begründetheit

    12

    Die Französische Republik, unterstützt durch das Königreich Belgien, macht drei Klagegründe geltend, nämlich Unzuständigkeit der Kommission, Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission und Verfahrensmißbrauch.

    13

    Die Unzuständigkeit der Kommission ergibt sich nach Ansicht der Französischen Republik daraus, daß der Kodex sei seinem Inhalt nach eine Verordnung über die Modalitäten der Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 sei. Zum einen verleihe dieser Artikel der Kommission jedoch keine derartige Zuständigkeit; zum anderen bestimme Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2052/88, daß die spezifischen Bestimmungen über den Einsatz der einzelnen Strukturfonds in den Durchführungsvorschriften gemäß Artikel 130e EWG-Vertrag festzulegen seien, nach dem allein der Rat zuständig sei.

    14

    Nach Auffassung der Kommission dagegem zeigt die Prüfung des Inhalts des Kodex, daß dieser sich darauf beschränke im einzelnen anzugeben, welche Informationen die Mitgliedstaaten der Kommission nach Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 mitzuteilen hätten; die zur Kennzeichnung des Kodex verwendeten Ausdrücke „Anleitung“, „ausgehandelter Konsens“ und „Gentlemen's Agreement“ bestätigten, daß dieser nicht dazu bestimmt sei, neue zwingende Rechtswirkungen zu erzeugen.

    15

    Zunächst ist daher zu untersuchen, ob sich der Kodex darauf beschränkt, die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Unterrichtung der Kommission, die sich aus Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 ergibt, näher zu erläutern, oder ob er Anwendungsmodalitäten festlegt, die spezifische Verpflichtungen mit sich bringen.

    16

    Hierzu ist festzustellen, daß Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 die Mitgliedstaaten zur Unterrichtung der Kommission nur insoweit verpflichtet, als es um die zur Verhütung und Verfolgung von Unregelmäßigkeiten getroffenen Maßnahmen sowie um den Verlauf der administrativen und gerichtlichen Verfahren geht.

    17

    Wegen der näheren Prüfung der wichtigsten einschlägigen Bestimmungen der streitigen Handlung wird auf Punkt 13 der Schlußanträge des Generalanwalts verwiesen; es genügt die Feststellung, daß der Kodex die genannte Informationspflicht eingehend regelt, indem er insbesondere die mitzuteilenden Informationen sowie Häufigkeit und Modalitäten dieser Mitteilung bestimmt.

    18

    So sieht Punkt 3 des Kodex vor, daß die Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Bekanntgabe des Kodex der Kommission nicht nur die zur Durchführung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 erlassenen Bestimmungen, sondern auch die für Verhütung und Ahndung der Unregelmäßigkeiten zuständigen Stellen sowie die Verfahrensbestimmungen ihrer Verwaltungen mitteilen.

    19

    Hierzu ist festzustellen, daß die in Artikel 23 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 4253/88 vorgesehene Verpflichtung, die zur Verhinderung und Ahndung der Unregelmäßigkeiten getroffenen Maßnahmen zu melden, nicht automatisch die Verpflichtung mit sich bringt, ein Verzeichnis der mit der Durchführung dieser Maßnahmen beauftragten Dienststellen zu übermitteln oder die wichtigsten Verfahrensbestimmungen der eigenen Verwaltungen mitzuteilen.

    20

    Ferner sieht Punkt 4 des Kodex vor, daß die Fälle von Unregelmäßigkeiten alle vier Monate mitzuteilen sind und daß diese Mitteilungen sowohl die Fälle betreffen, die von einer Verwaltungsbehörde festgestellt, als auch diejenigen, die gerichtlich verfolgt wurden. Zu diesem Zweck verpflichtet der Kodex die Mitgliedstaaten, soweit verfügbar, Angaben insbesondere über die Daten für die Identifizierung der betreffenden Maßnahmen, den Zeitraum oder den Zeitpunkt, zu dem die Unregelmäßigkeit begangen wurde, die Namen der Begünstigten sowie der an der Unregelmäßigkeit beteiligten natürlichen oder juristischen Personen, die für die Begehung der Unregelmäßigkeit verwendeten Praktiken, die finanziellen Konsequenzen und die Möglichkeiten der Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beiträge sowie die beteiligten Dienststellen oder Einrichtungen zu machen.

    21

    Was diese Verpflichtungen angeht, genügt die Feststellung, daß sie nicht als bereits in der Informationspflicht gemäß Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 enthalten angesehen werden können. Namentlich läßt sich nicht sagen, daß die Pflicht zur Unterrichtung der Kommission ohne die vom Kodex vorgenommenen Präzisierungen inhaltsleer wäre.

    22

    Nach Punkt 7 des Kodex treffen die Mitgliedstaaten und die Kommission alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen, damit die untereinander ausgetauschten Informationen vertraulich bleiben.

    23

    Wenn der Kodex, wie die Kommission behauptet, nur ein erläuterndes Dokument wäre, so müßte sich diese Pflicht zur Vertraulichkeit aus Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 ergeben. In dieser Bestimmung, die die Mitteilung von Informationen durch die Mitgliedstaaten an die Kommission betrifft, ist aber an keiner Stelle von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten die Rede, die Vertraulichkeit der im Rahmen des vom Kodex vorgesehenen Informationsaustauschs erhaltenen Informationen zu gewährleisten.

    24

    Aus alledem ergibt sich, daß der Kodex über die Bestimmungen von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 hinausgeht, wenn er den Mitgliedstaaten spezielle Verpflichtungen hinsichtlich des Inhalts der Informationen sowie der Häufigkeit und der Modalitäten der Mitteilung dieser Informationen an die Kommission auferlegt.

    25

    Es ist daher festzustellen, daß der Kodex eine Handlung darstellt, die dazu bestimmt ist, eigene, von denen des Artikels 23 der Verordnung Nr. 4253/88 verschiedene Rechtswirkungen zu erzeugen, und daß er deshalb Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann.

    26

    Die Kommission räumt dies im übrigen selbst ein, denn sie hat in der mündlichen Verhandlung im Gegensatz zu ihren Ausführungen in dem oben (Randnummer 9) erwähnten Bekanntmachungsschreiben vorgetragen, ein Mitgliedstaat könne gegen den Kodex verstoßen, ohne deswegen Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/80 zu verletzen.

    27

    Es ist nunmehr zu prüfen, ob die Kommission für den Erlaß einer Handlung zuständig war, die den Mitgliedstaaten in Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 nicht vorgesehene Verpflichtungen auferlegt.

    28

    Hierzu macht die Französische Republik mit der Unterstützung des Königreichs Belgien geltend, der Erlaß des Kodex verstoße gegen die Artikel 155 und 189 EWG-Vertrag sowie gegen die Verordnung Nr. 4253/88, die der Kommission keinerlei Befugnis zur Festsetzung der Modalitäten für die Anwendung dieser Verordnung einräume.

    29

    Demgegenüber hält sich die Kommission entweder nach Artikel 155 EWG-Vertrag oder kraft Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2052/88 für zuständig, Maßnahmen zu treffen, die dazu bestimmt sind, die einheitliche Erfüllung der sich aus Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/89 ergebenden Verpflichtungen zu bewirken. Artikel 189 EWG-Vertrag verbiete ihr nicht, sich mit den Mitgliedstaaten über die Tragweite einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu einigen.

    30

    Hierzu ist festzustellen, daß Artikel 155 EWG-Vertrag der Kommission die Befugnis einräumt, Empfehlungen oder Stellungnahmen abzugeben, die gemäß Artikel 189 EWG-Vertrag nicht verbindlich sind. Hiernach kann die Kommission aus Artikel 155 nicht die Befugnis ableiten, eine Handlung zu erlassen, die den Mitgliedstaaten über die Bestimmungen von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 hinausgehende Verpflichtungen auferlegt.

    31

    Was die Zuständigkeit betrifft, die die Kommission Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2052/88 entnehmen zu können glaubt, so ist zunächst festzustellen, daß sich diese Bestimmung auf die Feststellung beschränkt, daß die Kommission nach Maßgabe dieser Verordnung zur Unterstützung der Politik, die die Gemeinschaft mit Hilfe der Strukturfonds, der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente verfolgt, Initiativen und Durchführungsmaßnahmen ergreifen kann. Aus Artikel 4 Absatz 1 geht aber hervor, daß die Gemeinschaftsaktion als Ergänzung oder Beitrag zu den entsprechenden nationalen Aktionen konzipiert ist und daß dies durch eine enge Konzertierung zwischen der Kommission, dem betreffenden Mitgliedstaat und von ihm bezeichneten, auf nationaler regionaler, lokaler oder sonstiger Ebene zuständigen Behörden erreicht wird. Ebenfalls ist dem genannten Absatz zu entnehmen, daß diese — als „Partnerschaft“ bezeichnete — Konzertierung sich nur auf die Vorbereitung, Finanzierung, Begleitung und Bewertung der Aktionen erstreckt.

    32

    Ferner ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 3 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 2052/88 die Modalitäten für die Kontrolle der Aktionen in den vom Rat auf der Grundlage des Artikels 130e EWG-Vertrag erlassenen Durchführungsvorschriften festzulegen sind.

    33

    Die „Partnerschaft“ umfaßt folglich nicht die Kontrolle der von der Gemeinschaft finanzierten Aktionen, von der in Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 die Rede ist; die Kommission kann daher aus den Bestimmungen über diese „Partnerschaft“ keine Zuständigkeit ableiten, die es ihr gestatten würde, Kontrollmodalitäten festzulegen, die den Mitgliedstaaten über die in Absatz 1 dieses Artikels festgelegten Verpflichtungen hinaus weitere Verpflichtungen auferlegen würde.

    34

    Was schließlich das Vorbringen der Kommission betrifft, die angefochtene Handlung sei zwischen ihr und den Mitgliedstaaten ausgehandelt worden, so kann dahingestellt bleiben, ob insoweit tatsächlich ein ausgehandelter Akt vorliegt; es genügt die Feststellung, daß der Erlaß derartiger Akte in Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4253/88 nicht vorgesehen ist und die streitige Handlung daher die Rechtslage der Mitgliedstaaten, wie sie sich aus dieser Bestimmung ergibt, nicht zu ändern vermag.

    35

    Nach alledem stellt sich die angefochtene Maßnahme als von einer unzuständigen Stelle erlassene Handlung dar. Ohne daß es eine Entscheidung über die anderen von der Französischen Republik vorgebrachten Klagegründe bedürfte, ist daher festzustellen, daß die gegen diese Maßnahme erhobene Nichtigkeitsklage zulässig und begründet ist.

    Kosten

    36

    Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterliegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat

    DER GERICHTSHOF

    für Recht erkannt und entschieden:

     

    1)

    Der von der Kommission erlassene Verhaltenskodex zu den Modalitäten für die Anwendung von Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates betreffend die Unregelmäßigkeiten und die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems wird für nichtig erklärt.

     

    2)

    Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

     

    Due

    Schockweiler

    Gravisse

    Kapteyn

    Mancini

    Kakouris

    Moitinho de Almeida

    Diez de Velasco

    Zuleeg

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. November 1991.

    Der Kanzler

    J.-G. Giraud

    Der Präsident

    O. Due


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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