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Document 61990CC0208

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 23. April 1991.
Theresa Emmott gegen Minister for Social Welfare und Attorney General.
Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court - Irland.
Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit - Leistungen bei Invalidität - Unmittelbare Wirkung und nationale Klagefristen.
Rechtssache C-208/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 I-04269

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1991:164

61990C0208

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 23. April 1991. - THERESA EMMOTT GEGEN MINISTER FOR SOCIAL WELFARE UND ATTORNEY GENERAL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT - IRLAND. - GLEICHBEHANDLUNG AUF DEM GEBIET DER SOZIALEN SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI INVALIDITAET - UNMITTELBARE WIRKUNG UND NATIONALE KLAGEFRISTEN. - RECHTSSACHE C-208/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-04269
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00393
Finnische Sonderausgabe Seite I-00411


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die Frage, die den Gegenstand dieser Schlussanträge bildet, wurde uns vom irischen High Court im Rahmen eines Rechtsstreits vorgelegt, der dadurch ausgelöst wurde, daß Irland die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (1) nicht fristgemäß umgesetzt hat; sie hätte spätestens am 23. Dezember 1984 umgesetzt werden müssen, wurde es aber tatsächlich erst durch den Social Welfare Act vom 16. Juli 1985. Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind jedoch erst zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahre 1986 in Kraft getreten.

2. Frau Emmott, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine verheiratete Frau, die seit Dezember 1983 aufgrund der irischen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften Invaliditätsleistungen erhalten hat. Bis zum 18. Mai 1986 erhielt sie diese Leistungen zu dem damals für alle verheirateten Frauen geltenden niedrigeren Satz. Eine erste Angleichung dieser Leistungen aufgrund der in Durchführung der Richtlinie erlassenen neuen Rechtsvorschriften fand am 19. Mai 1986 statt; von diesem Zeitpunkt an erhielt Frau Emmott die Invaliditätsleistungen zu dem für Männer, die weder erwachsenen Personen noch Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sind, geltenden Satz. Vom 17. November 1986 an wurden die Leistungen mit Rücksicht auf ihre drei unterhaltsberechtigten Kinder erhöht. Im Juni 1988 wurde eine dritte Angleichung vorgenommen.

3. Anscheinend war Frau Emmott die Existenz der Richtlinie bis zu dem Zeitpunkt unbekannt, zu dem sie durch die Presse vom Inkrafttreten der zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen irischen Rechtsvorschriften erfuhr.

4. Erst nach Ihrem Urteil vom 24. März 1987 in der Rechtssache McDermott und Cotter (2) (im folgenden: Urteil McDermott und Cotter I) scheint ihr jedoch bewusst geworden zu sein, daß die Richtlinie ihr einen Anspruch auf Gleichbehandlung gewährt hatte, den sie seit dem 23. Dezember 1984 geltend machen konnte. Einige Tage nach diesem Urteil begann sie einen Schriftwechsel mit dem Minister for Social Welfare, um zu erreichen, daß die Richtlinie mit Wirkung vom 23. Dezember 1984 zu ihren Gunsten angewandt werde. Die irischen Behörden antworteten, solange der High Court nicht in der Rechtssache McDermott und Cotter über die Frage entschieden habe, ob die Leistungen rückwirkend zum 23. Dezember 1984 zu gewähren seien, könne keine Entscheidung in ihrem Fall getroffen werden; gleichzeitig ließen sie durchblicken, daß ihr Antrag alsbald nach der Entscheidung in der anhängigen Rechtssache geprüft werden würde.

5. Im Januar 1988 wandte sich die Klägerin schließlich an eine Anwaltskanzlei, der im Juli die Erlaubnis erteilt wurde, eine Klage vor dem High Court zu erheben, jedoch vorbehaltlich des Rechts der Beklagten, sich auf die Versäumung der Verfahrensfristen zu berufen. Da die Beklagten von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, befasst uns das vorlegende Gericht mit folgender Frage:

Ist das Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1987 in der Rechtssache 286/85 (Norah McDermott und Ann Cotter/Minister for Social Welfare; Slg. 1987, 1453), in dem der Gerichtshof auf die ihm gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vom High Court vorgelegten Fragen in Auslegung des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 wie folgt geantwortet hatte:

"1) Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 über das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit, konnte, solange die Richtlinie nicht durchgeführt war, seit dem 23. Dezember 1984 in Anspruch genommen werden, um die Anwendung aller mit dieser Bestimmung unvereinbaren innerstaatlichen Vorschriften auszuschließen.

2) Bei Fehlen von Maßnahmen zur Durchführung des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie haben Frauen Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt",

dahin auszulegen, daß es gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstösst, wenn sich die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats gegenüber einer vor einem nationalen Gericht erhobenen und auf Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie gestützten Klage einer verheirateten Frau auf Gleichbehandlung und Ausgleichszahlungen wegen angeblich dadurch erlittener Diskriminierung, daß für Männer in der gleichen Lage geltende Vorschriften auf sie nicht angewendet worden seien, auf nationale Verfahrensvorschriften über die Klageerhebung, insbesondere auf Fristvorschriften, berufen, um einen solchen Ausgleich zu beschränken oder zu verweigern?

6. Mit Recht bemerkt die Kommission, daß die Antwort auf diese Frage nicht in einer Auslegung des dort angeführten Urteils zu suchen sei. In der Tat geht es in diesem Urteil um den Anspruch als solchen und nicht um die Frage, ob sich ein Mitgliedstaat auf eine nationale Verfahrensvorschrift, insbesondere eine Fristvorschrift, berufen kann, um einer auf das Gemeinschaftsrecht gestützten Klage nicht stattgeben zu müssen; das aber ist das Problem, das sich im vorliegenden Fall stellt.

7. Die nationale Vorschrift, um die es sich handelt, ist, wie die Beteiligten übereinstimmend vortragen, Order 84, Rule 21 (1) der Verfahrensordnung der höheren Gerichte von 1986, die die Praxis und das Verfahren bei dem High Court und dem irischen Supreme Court regelt und wie folgt lautet:

"Anträge auf Erlaubnis zur Erhebung einer Klage sind unverzueglich zu stellen, in jedem Falle innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem die Klagegründe erstmals zutage getreten sind, oder innerhalb von sechs Monaten, wenn die Klage im Wege der Aktenanforderung [' certiorari' ] betrieben wird, es sei denn, daß nach Ansicht des Gerichts triftige Gründe dafür bestehen, die Frist, innerhalb deren der Antrag gestellt werden kann, zu verlängern."

8. Wir müssen also prüfen,

- ob Irland berechtigt ist, Frau Emmott irgendeine Frist entgegenzuhalten,

- und, wenn dies bejaht wird, wie lange diese Frist sein kann und zu welchem Zeitpunkt sie beginnen kann.

9. Nach Ansicht von Frau Emmott würde man den zuständigen irischen Behörden die Möglichkeit einräumen, Nutzen aus ihren eigenen Zuwiderhandlungen zu ziehen, wollte man ihnen gestatten, sich darauf zu berufen, daß ihre Klage verspätet erhoben worden sei.

10. Frau Emmott macht geltend, die Beklagten könnten sich auch aus einem anderen Grund nicht auf verspätete Klageerhebung berufen, nämlich weil dies auf die Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinauslaufen würde. Während der Zeit vom 23. Dezember 1984 bis 18. November 1986 hätten alle verheirateten Männer einen höheren Satz und eine günstigere Behandlung hinsichtlich der ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen erhalten als die verheirateten Frauen. Der Minister for Social Welfare habe verheiratete Männer in dieser Weise behandelt, ohne daß sie gezwungen gewesen seien, zu diesem Zweck ein Verfahren einzuleiten; die Beklagten wollten nunmehr durchsetzen, daß verheiratete Frauen nur dann entsprechend behandelt würden, wenn sie zu diesem Zweck unverzueglich die erforderlichen Schritte unternähmen. Würde man diesem Vorbringen der Beklagten folgen, liefe dies darauf hinaus, den verheirateten Frauen eine schwer zu erfuellende Vorbedingung aufzuerlegen, nämlich daß sie unverzueglich ein Verfahren einleiten müssten, wenn sie die Gleichbehandlung durchsetzen wollten. Diese Auffassung gestatte es dem Beklagten und dem irischen Staat, diese verheirateten Frauen diskriminierend zu behandeln.

11. Man kann sich in der Tat fragen, ob sich nicht aus Ihrem Urteil vom 13. März 1991 in der Rechtssache C-377/89 (Cotter und McDermott, Slg. 1991, I-1155; im folgenden: Urteil McDermott und Cotter II) ergibt, daß Irland nicht berechtigt ist, Frau Emmott irgendeine Frist entgegenzuhalten, gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt diese Frist begonnen hat. In der Tat heisst es unter Randnummer 19 dieses Urteils:

"Dies bedeutet, daß dann, wenn ein verheirateter Mann ab dem 23. Dezember 1984 ohne weiteres Leistungszuschläge für als unterhaltsberechtigte Angehörige geltende Personen erhielt, ohne deren tatsächliche Abhängigkeit von ihm nachweisen zu müssen, eine verheiratete Frau, die sich in der gleichen Lage wie ein solcher Mann befand, ebenfalls Anspruch auf diese Zuschläge hatte, ohne daß für sie irgendeine zusätzliche, nur für verheiratete Frauen geltende Voraussetzung festgelegt werden durfte."

12. Sie haben festgestellt, daß diese Regel mit unbedingter Automatik anzuwenden ist, auch wenn sie zu einer Doppelleistung führen sollte, nämlich der gleichzeitigen Gewährung von Zulagen für unterhaltsberechtigte Personen an den Ehemann und die Ehefrau.

13. Andernfalls - so haben Sie weiterhin ausgeführt - könnten sich die staatlichen Behörden auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten berufen, um dem Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie seine volle Wirkung zu nehmen.

14. Es ist also denkbar, daß Sie zu der Ansicht gelangen, Irland verletze die in Rede stehenden Grundsätze, wenn es von den verheirateten Frauen die Einhaltung einer Frist verlange.

15. Ich kann mich indessen nicht zu der Auffassung durchringen, die Anwendung der innerstaatlichen Verfahrensvorschriften habe diskriminierenden Charakter. In der Tat sind diese Vorschriften ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Klägers anwendbar und würden auch für einen Mann gelten, der in Streit mit den Beklagten läge, weil er seiner Meinung nach das ihm Zustehende nicht erhalten hat. Überdies liefe es meines Erachtens dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider, wollte man die irischen Gerichte verpflichten, noch nach 10 oder 20 Jahren Zahlungsklagen stattzugeben, die sich auf den Zeitraum vom 23. Dezember 1984 bis 16. November 1986 beziehen.

16. Ebenso wie die beklagten irischen Behörden, die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission meine ich, daß hier Ihre ständige Rechtsprechung zur Erstattung grundlos gezahlter Beträge Anwendung finden kann. Diese betrifft auch Fälle, in denen ein Mitgliedstaat durch eine Handlung oder eine Unterlassung gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen hat. Dieser Umstand hat Sie jedoch nicht an der Feststellung gehindert, daß sich die einzelnen nach den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften einschließlich der Bestimmungen über Fristen richten müssen, wenn sie erlangen wollen, was ihnen das Gemeinschaftsrecht gewährt.

17. Von den zahlreichen im Laufe des vorliegenden Verfahrens angeführten Urteilen (3) drückt das Urteil vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache Rewe Ihre Auffassung zu den hier interessierenden Fragen wahrscheinlich am deutlichsten aus; ich erlaube mir daher, einen umfassenden Auszug aus Randnummer 5 dieses Urteils zu zitieren:

"Die Aufgabe, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt, obliegt entsprechend den in Artikel 5 EWG-Vertrag ausgesprochenen Grundsatz der Mitwirkungspflicht den innerstaatlichen Gerichten.

Mangels einer gemeinschaftlichen Regelung auf diesem Gebiet sind deshalb die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten solle, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelstaatlichen Mitgliedstaaten; dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger gestaltet werden als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen.

Die Artikel 100 bis 102 und 135 EWG-Vertrag gestatten es ebenfalls, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Unterschiede in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auszuräumen, wenn sich erweisen sollte, daß sie Verzerrungen hervorzurufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen geeignet sind.

In Ermangelung solcher Harmonisierungsmaßnahmen müssen die durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte vor den innerstaatlichen Gerichten nach den Verfahrensregeln des innerstaatlichen Rechts verfolgt werden.

Anders wäre es nur, wenn diese Verfahrensregeln und Fristen die Verfolgung von Rechten, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machten.

Dies lässt sich von der Festsetzung angemessener Ausschlußfristen für die Rechtsverfolgung nicht sagen.

Die Festsetzung solcher Fristen für die Rechtsverfolgung im abgabenrechtlichen Bereich ist ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit, das zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt."

18. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall gibt Anlaß zu folgenden Bemerkungen:

19. Nach Artikel 173 EWG-Vertrag beträgt die Frist für die Erhebung von Klagen natürlicher und juristischer Personen beim Gerichtshof zwei Monate. Die in den irischen Rechtsvorschriften vorgesehene Dreimonatsfrist ist somit sicherlich eine "angemessene Frist" im Sinne Ihrer Rechtsprechung. Aber Rule 21 (1) der irischen Verfahrensordnung bestimmt, daß "Anträge auf Erlaubnis zur Erhebung einer Klage ... unverzueglich zu stellen [sind], in jedem Fall innerhalb von drei Monaten ...". Wenn dies bedeutet, daß eine Klage, die weniger als zwei Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Umstände zum erstenmal in Erscheinung getreten sind, dennoch abgewiesen werden kann, so wäre eine solche Möglichkeit mit dem Kriterium der "angemessenen Frist" unvereinbar.

20. Zweitens darf nach der angeführten Rechtsprechung das für Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, nach dem innerstaatlichen Recht geltende Verfahren nicht günstiger ausgestaltet sein als das Verfahren bei gleichartigen Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen.

21. Da Order 84, Rule 21 (1) der Verfahrensordnung der höheren irischen Gerichte von 1986 unterschiedslos für Klagen, die das innerstaatliche Recht, und solche, die das Gemeinschaftsrecht betreffen, anwendbar zu sein scheint, dürften insoweit keine Probleme bestehen. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob nicht im innerstaatlichen Recht Klagearten bestehen, die eine ähnliche Tragweite haben wie die Klage von Frau Emmott und keiner Frist unterworfen sind. In der mündlichen Verhandlung war in diesem Zusammenhang von bestimmten unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Ansprüchen die Rede.

22. Drittens dürfen die Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts einschließlich der Fristen die Ausübung von Rechten, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, nicht praktisch unmöglich machen. Sollte dies der Fall sein, so könnten sich die zuständigen irischen Behörden nicht hierauf berufen; vor allem dürfte das vorlegende Gericht diese Vorschriften nicht anwenden. Der Gerichtshof hat also nicht einfach sagen wollen, das nationale Recht sei uneingeschränkt anwendbar, sondern Wert auf die Feststellung gelegt, daß dieses Recht nur insoweit anwendbar ist, als es den Schutz der Rechte, die den Bürgern aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts zustehen, nicht praktisch unmöglich macht. Diese Bedingung ist von grundlegender Bedeutung, da sie dartut, daß der in Rede stehenden Rechtsprechung der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zugrunde liegt, von dem sich die Antwort auf die gestellte Frage leiten lassen muß. Der Gerichtshof hat im übrigen die Bedeutung dieses Grundsatzes für die Anwendung von Richtlinien bereits in seinem Urteil Grad (4) herausgestellt.

23. Ob die Ausübung jener Rechte möglich ist oder nicht, hängt aber in sehr weitem Masse von dem Zeitpunkt ab, zu dem die "angemessene Frist" zu laufen beginnt. Erstaunlicherweise geben die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die eine auf die nationale Fristbestimmung gestützte Einrede geltend machen wollen, nirgends an, welches dieser Zeitpunkt sei. Ebensowenig gehen sie in der Antwort, die sie für die Vorlagefrage vorschlagen, auf die Bedingung ein, daß die innerstaatliche Vorschrift die Ausübung der vom Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte nicht praktisch unmöglich machen darf.

24. Könnte vorliegend der Zeitpunkt, zu dem die Gründe für den Antrag das erstemal zutage getreten sind, das Datum sein, an dem die Richtlinie spätestens hätte umgesetzt werden müssen? In der Tat erfahren wir aus dem Urteil McDermott und Cotter I, daß die Frauen seit dem 23. Dezember 1984 einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben. Das vorlegende Gericht spielt im übrigen speziell auf dieses Datum an. Muß hieraus gefolgert werden, daß die Frauen, die sich für Opfer einer Diskriminierung hielten, vor dem 23. März 1985 oder jedenfalls innerhalb von drei Monaten nach der ersten Weigerung, ihnen nach dem 23. Dezember 1984 die Gleichbehandlung zu gewähren, Klage hätten erheben müssen?

25. Ich für meinen Teil bin der Ansicht, daß die Frist nur dann von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnen konnte, bis zu dem die Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, wenn die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt wusste, daß sie sich unmittelbar auf den in Artikel 4 der Richtlinie niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung berufen konnte.

26. Im gegenteiligen Fall steht meines Erachtens die Zugrundelegung dieses Datums schon mit dem Wesen der Richtlinie in Widerspruch. Der Grundsatz "Unkenntnis des Gesetzes wird nicht vermutet" kann nämlich den einzelnen im Fall einer noch nicht umgesetzten Richtlinie nicht entgegengehalten werden. Eine Richtlinie ist nur für den Mitgliedstaat verbindlich; sie richtet sich nicht an die einzelnen. Aus der Richtlinie als solcher lassen sich somit keine Verpflichtungen für die einzelnen ableiten (5). Infolgedessen vermag sie auch keine Klagefrist auszulösen, die diesen entgegengehalten werden könnte.

27. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, daß die Veröffentlichung der Richtlinien im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, auf die sich die Beklagten in der mündlichen Verhandlung berufen haben, grundverschieden von der Veröffentlichung derjenigen Akte ist, die für die einzelnen verbindlich sind. Es handelt sich nicht, wie bei den Verordnungen, um eine rechtlich vorgeschriebene Veröffentlichung mit rechtlichen Wirkungen, sondern lediglich um eine Veröffentlichung zu Informationszwecken.

28. Nicht ohne Interesse ist übrigens der Hinweis darauf, daß es der Wortlaut der veröffentlichten Richtlinie den einzelnen nicht ermöglicht, den genauen Zeitpunkt zu erfahren, bis zu dem diese umgesetzt werden musste. Dieser Wortlaut erwähnt nämlich lediglich das Bestehen einer Frist, bis zu deren Ablauf der Mitgliedstaat, an den die Richtlinie gerichtet ist, sie umzusetzen hat, sowie die Tatsache, daß diese Frist mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem die Richtlinie dem Mitgliedstaat bekanntgegeben wurde. Dieser Zeitpunkt wird dort jedoch nicht angegeben, und es besteht kein Grund für die Annahme, daß er den einzelnen bekannt war.

29. Ausserdem trifft es zwar zu, daß die vom Gerichtshof in einer Vorabentscheidung gegebene Auslegung rückwirkende Kraft hat, da sie klarstellt, wie die ausgelegte Vorschrift von Anfang an hätte verstanden werden müssen; es steht aber ebenso fest, daß es bis zur Entscheidung der Frage durch den Gerichtshof nicht sicher ist, ob die Richtlinie oder dieser oder jener ihrer Artikel unmittelbare Wirkung hat.

30. Es stellt sich daher die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Frist billigerweise beginnen sollte. Mit der Kommission bin ich der Ansicht, daß es unbillig wäre, diesen Zeitpunkt vor demjenigen anzusetzen, zu dem der Kläger vernünftigerweise Kenntnis von der unmittelbaren Wirkung der Bestimmung, auf die er sich beruft, sowie gegebenenfalls von deren genauer Tragweite haben musste, wenn diese nicht offenkundig war. Im vorliegenden Fall stellen sich nämlich zwei verschiedene Probleme, nämlich das (durch das Urteil McDermott und Cotter I entschiedene) der Gewährung der rückwirkend zum 23. Dezember 1984 geschuldeten Leistungen und das des Rechts der verheirateten Frauen auf Leistungen für unterhaltsberechtigte Personen oder auf Übergangszahlungen (das durch das erst am 13. März 1991 ergangene Urteil McDermott und Cotter II entschieden wurde).

31. Diese Lösung findet übrigens eine Parallele in Artikel 173 Absatz 3 EWG-Vertrag, dem zufolge die Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsklage von dem Zeitpunkt an läuft, zu dem der Kläger von der angefochtenen Handlung Kenntnis erlangt hat.

32. Frau Emmott verweist auch auf das Urteil Adams (6), unter dessen Randnummer 50 Sie im Hinblick auf die in Artikel 43 der Satzung des Gerichtshofes der EWG festgesetzte fünfjährige Verjährungsfrist ausgeführt haben, "daß dem Geschädigten keine Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn er von dem schadenstiftenden Ereignis erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangen konnte und somit nicht über einen angemessenen Zeitraum verfügte, um vor Ablauf der Verjährungsfrist Klage zu erheben oder seinen Anspruch geltend zu machen".

33. Selbstverständlich gibt es einen Zeitpunkt, von dem an der Kläger vernünftigerweise nicht mehr behaupten kann, er habe die ganze Zeit lang nichts von den Rechten gewusst, die ihm die in Rede stehende Bestimmung verleihe. Dieser Zeitpunkt variiert zwangsläufig je nach dem Sachverhalt des Einzelfalls; es ist daher Sache des nationalen Gerichts, ihn im Hinblick auf die gegebenen Umstände zu bestimmen.

34. Schließlich bleibt noch ein letzter Aspekt des Problems zu prüfen, den die Kommission zu Recht nachdrücklich betont hat, nämlich daß es der zuständigen Behörde, die nach ihren Angaben noch nicht in der Lage war, über den Antrag zu entscheiden, und zu verstehen gegeben hat, daß eine Entscheidung ergehen werde, sobald das mit der Frage befasste Gericht über die Sache befunden habe, nicht gestattet sein dürfe, später die Einrede der Fristversäumnis zu erheben, wenn sich der Betroffene schließlich entscheidet, die Gerichte anzurufen.

35. In einem der Vorlageentscheidung beigefügten Schreiben des irischen Sozialministeriums zum 26. Juni 1987 steht in der Tat, daß

"no action can be taken on anyone' s claim as the Directive is still the subject of High Court Proceedings.

When a decision is given by the High Court, the necessary action will be taken to deal with it, and your case will be dealt with immediately".

36. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, über die Tragweite dieses Schreibens und des gesamten Schriftwechsels zwischen den Parteien zu entscheiden.

37. Abgesehen von etwa in Betracht kommenden, auf das irische Recht gestützten Überlegungen könnte das Gemeinschaftsrecht eine Lösung des Problems in dem Sinne beisteuern, daß das Verhalten der Verwaltung geeignet gewesen sein könnte, Frau Emmott die Verfolgung ihrer Rechte praktisch unmöglich zu machen.

Ergebnis

38. Nach alledem schlage ich Ihnen vor, die gestellte Frage wie folgt zu beantworten:

Angesichts einer Klage wie der in der Frage beschriebenen verstossen die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn sie sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften, insbesondere diejenigen über die Fristen, berufen, falls diese Fristen auch für gleichartige, auf das innerstaatliche Recht gestützte Klagen gelten. Erforderlich ist ferner, daß diese Fristen von angemessener Dauer sind, erst von dem Zeitpunkt an laufen, zu dem der Betroffene vernünftigerweise Kenntnis von seinen Rechten haben musste, und ihm die Ausübung seiner Rechte nicht durch die Haltung der zuständigen Behörde praktisch unmöglich gemacht wurde.

(*) Originalsprache: Französisch.

(1) ABl. 1979, L 6, S. 24.

(2) Urteil vom 24. März 1987 in der Rechtssache 286/85 (McDermott und Cotter, Slg. 1987, 1453).

(3) Vgl. Urteile vom 19. Dezember 1968 in der Rechtssache 13/68 (Salgoil, Slg. 1968, 662), vom 16. Dezember 1976 in den Rechtssachen 33/76 (Rewe, Slg. 1976, 1989) und 25/76 (Comet, Slg. 1976, 2043), vom 27. März 1980 in der Rechtssache 61/79 (Denkavit, Slg. 1980, 1205), vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82 (San Giorgio, Slg. 1983, 3595), vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 309/85 (Barra, Slg. 1988, 355), vom 29. Juni 1988 in der Rechtssache 240/87 (Deville, Slg. 1988, 3513) und schließlich vom 9. November 1989 in der Rechtssache 386/87 (Bessin und Salson, Slg. 1989, 3551).

(4) Urteil vom 6. Oktober 1970 in der Rechtssache 9/70 (Grad, Slg. 1970, 825).

(5) Vgl. Urteil vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84 (Marshall, Slg. 1986, 723).

(6) Urteil vom 7. November 1985 in der Rechtssache 145/83 (Adams/Kommission, Slg. 1985, 3539, 3591).

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