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Dokument 61988CC0202
Opinion of Mr Advocate General Tesauro delivered on 13 February 1990. # French Republic v Commission of the European Communities. # Competition in the markets in telecommunications terminals equipment. # Case C-202/88.
Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 13. Februar 1990.
Französische Republik gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte.
Rechtssache C-202/88.
Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 13. Februar 1990.
Französische Republik gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte.
Rechtssache C-202/88.
Sammlung der Rechtsprechung 1991 I-01223
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1990:64
Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 13. Februar 1990. - FRANZOESISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB AUF DEM MARKT FUER TELEKOMMUNIKATIONS-ENDGERAETE. - RECHTSSACHE C-202/88.
Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-01223
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00097
Finnische Sonderausgabe Seite I-00109
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Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1. Die vorliegende Klage betrifft die inzwischen wohlbekannte Richtlinie 88/301/EWG der Kommission vom 16. Mai 1988 (1) über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte, deren Rechtsgrundlage Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag ist. Es handelt sich um den zweiten Fall, in dem die Kommission diese Bestimmung angewandt hat, um nach der ebenso bekannten sogenannten "Transparenz"-Richtlinie, die dann zu Ihrem Urteil vom 6. Juli 1982, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich/Kommission (2), führte, eine Richtlinie zu erlassen. Daß der Rückgriff auf Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag von den Mitgliedstaaten keineswegs widerspruchslos hingenommen wird, ergibt sich nicht nur aus der Unterstützung des Standpunkts des klagenden Staates durch vier Regierungen (die belgische, die griechische, die italienische und die deutsche), sondern auch aus dem - mehrfach von der Presse betonten - Widerstand der Mitgliedstaaten und des Rates gegen eine weitere, insbesondere die Dienstleistungen betreffende Richtlinie im Bereich der Telekommunikation, die von der Kommission einige Monate nach
der uns hier beschäftigenden Richtlinie erarbeitet wurde, jedoch noch nicht verkündet worden ist.
Offensichtlich gibt der vorliegende Streit dem Gerichtshof Anlaß, ein zweifellos bedeutsames, auch institutionelles Rechtsproblem zu beurteilen und zu lösen, das die Tragweite der Verpflichtungen betrifft, die den Mitgliedstaaten im Hinblick auf das Bestehen und die Vorgehensweise öffentlicher Unternehmen oder von Unternehmen obliegen, denen ausschließliche oder besondere Rechte - im vorliegenden Fall im Bereich der Telekommunikations-Endgeräte - übertragen sind; vor allem gilt dies für die Umschreibung der Zuständigkeit der Kommission (und implizit auch der anderen Organe) hinsichtlich öffentlicher Eingriffe in die Wirtschaft der Mitgliedstaaten. Im wesentlichen soll der Gerichtshof Artikel 90 und insbesondere seinen Absätzen 1 und 3 eine Auslegung geben, die es erlaubt, dessen deutliche ... Unklarheit zu überwinden.
Der Gegenstand des Rechtsstreits
2. Sowohl im schriftlichen Verfahren als auch besonders in der mündlichen Verhandlung hat sich gezeigt, daß die Hauptsorge der die Richtlinie beanstandenden Mitgliedstaaten weniger den materiellen Inhalt der angefochtenen Maßnahme betrifft als in Wirklichkeit die Zuständigkeit der Kommission zur Regelung solcher Sachverhalte auf der Grundlage des Artikels 90 Absatz 3 sowie die Modalitäten von deren Ausübung. Dies bedeutet natürlich nicht, daß alle Mitgliedstaaten mit der Kommission darin übereinstimmen, daß die Aufrechterhaltung der ausschließlichen oder besonderen Rechte, die im Bereich der Telekommunikation arbeitenden Einrichtungen durch die jeweilige Rechtsordnung übertragen sind, gegen den EWG-Vertrag verstösst. Es soll nur heissen, daß sie alle, einige deutlicher, andere behutsamer, zu verstehen gegeben haben, daß der Prozeß der Liberalisierung des Marktes der Telekommunikations-Endgeräte, der dem Vorgehen der Kommission zugrunde liegt, sie nicht gleichgültig lässt. Was jedoch die Modalitäten, das Verfahren und die Rechtsgrundlage betrifft, deren sich die Kommission bedient hat, scheinen alle Staaten - die Klägerin und die Streithelfer - die Worte von Dante aufzunehmen: "... und noch kränkt mich die Art ...".
3. Betrachten wir also sowohl den Inhalt als auch die "Art und Weise". So umfassend der Sachverhalt, der rechtliche Rahmen und das Vorbringen der Parteien auch im Sitzungsbericht wiedergegeben sein mögen, scheint es mir nicht überfluessig, den Ursprung des Rechtsstreits kurz darzustellen.
4. Ausgangspunkt des Tätigwerdens der Kommission ist die Feststellung, daß die gegenwärtige Situation auf dem betreffenden Markt wegen der technologischen Entwicklung und insbesondere der Auswirkungen der Informatik im Bereich der Telekommunikation nicht zufriedenstellend sei. Um die Verwirklichung des grossen Binnenmarktes zu ermöglichen, erscheine es deshalb erforderlich, zu einer weitergehenden Form der Liberalisierung überzugehen, insbesondere hinsichtlich der Endgeräte mit Anschluß an das Telekommunikationsnetz. Mit anderen Worten: Wenn die Kommission - zumindest fürs erste - auch die Unvermeidlichkeit des Fortbestehens monopolistischer Strukturen mit öffentlichem Charakter im Bereich der Telekommunikationsnetze anzuerkennen scheint, so ist sie doch der Auffassung, daß die möglicherweise bestehenden besonderen oder ausschließlichen Rechte, die die Mitgliedstaaten den Konzessionsunternehmen hinsichtlich der Einfuhr, des Vertriebs, der Einrichtung, der Inbetriebsetzung und der Wartung von Telekommunikations-Endgeräten gewährt haben, nicht mehr akzeptabel sind. Der Kern der angefochtenen Richtlinie besteht also gerade in der den Mitgliedstaaten durch Artikel 2 auferlegten Verpflichtung, diese Rechte aufzuheben und der Kommission die dazu getroffenen und vorgesehenen Maßnahmen mitzuteilen.
Neben Artikel 2 ficht die klagende Regierung die Artikel 6, 7 und 9 der Richtlinie an: Artikel 6 insofern, als er die Trennung der Aufgaben der technischen Festschreibung von denen des Vertriebs von Waren und/oder der Erbringung von Dienstleistungen vorsieht; Artikel 7 deshalb, weil er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Kündigung von Miet- und Wartungsverträgen über Endgeräte, für die bei Vertragsabschluß bestimmten Unternehmen gewährte ausschließliche oder besondere Rechte bestanden, mit einer Frist von höchstens einem Jahr möglich ist; Artikel 9 insofern, als er die Verpflichtung zur Übermittlung eines jährlichen Berichts enthält, anhand dessen die Kommission feststellen kann, ob die Richtlinienbestimmungen eingehalten worden sind.
Was hingegen die anderen Artikel betrifft, die als von den angefochtenen Bestimmungen trennbar angesehen werden, ist die französische Regierung der Auffassung, daß sie aufrechterhalten werden könnten, da sie ihrer Auffassung nach nicht mit den gleichen Fehlern behaftet sind wie die beanstandeten Artikel.
Das Vorbringen der Beteiligten
5. Die von der klagenden Regierung vorgebrachten und von den Streithelfern unterstützten Klagegründe sind folgende: Unzuständigkeit der Kommission, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die sich in einer unzureichenden Begründung konkretisiere, Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismässigkeit und schließlich Verfahrensmißbrauch.
6. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß das zentrale Problem, das vom Gerichtshof zu prüfen sein wird, was auch immer die Aufgliederung und die Qualifizierung der Klagegründe sein mag, die Frage der Zuständigkeit der Kommission ist. Gerade deshalb ist es angebracht, sogleich klarzustellen, daß die beanstandete Unzuständigkeit auf verschiedene Aspekte bezogen wird.
Unter einem ersten Aspekt stellt sich der Rechtsfehler der Unzuständigkeit
bei näherer Betrachtung zunächst einmal als die fehlerhafte Anwendung einer materiellen Vorschrift, eben des Artikels 90 Absatz 1, dar. Im wesentlichen wird gerügt, daß die Kommission mit der beanstandeten Maßnahme die Rechtswidrigkeit der besonderen und ausschließlichen Rechte festgestellt (und folglich deren Aufhebung gefordert) habe, obwohl die Rechtmässigkeit dieser Rechte in Artikel 90 Absatz 1 festgestellt sei. Die Kommission habe diese Bestimmung mit anderen Worten falsch angewandt, indem sie die Gewährung der besonderen und ausschließlichen Rechte - die auch nach Artikel 37 rechtmässig sei - mit dem Erlaß vertragswidriger Bestimmungen gleichgesetzt habe, einem Verhalten, das seinerseits sehr wohl gegen Artikel 90 Absatz 1 verstosse. Die Beurteilung, die die Kommission hätte vornehmen können (und müssen), hätte daher, um sich in den materiellen Grenzen der Bestimmung zu halten, ausschließlich die Ausübung der betreffenden Rechte betreffen dürfen, um deren Vereinbarkeit mit den anderen wesentlichen Vertragsbestimmungen zu überprüfen.
Genau besehen steht mit dieser grundlegenden Prinzipienfrage sodann der Klagegrund des Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Zusammenhang, da die Kommission ein Mittel - die Abschaffung der Rechte -angewandt haben soll, das mit Hinblick auf das Ziel, deren Ausübung innerhalb der vom Vertrag festgelegten Grenzen zu halten, offensichtlich unverhältnismässig sei.
Ausserdem soll die Kommission, selbst wenn man einräumt, daß sie die materiellen Grenzen des Artikels 90 Absatz 1 nicht überschritten hat, jedenfalls die durch Artikel 90 Absatz 3 gezogenen Grenzen überschritten haben, da dieser den Erlaß einer Richtlinie zur "Repression" einer Vertragsverletzung als Alternative zu dem Verfahren nach Artikel 169 nicht zulasse: Hieraus folge auch der Verfahrensmißbrauch.
Schließlich habe die Kommission auch die bestrittene repressive
Befugnis unrichtig ausgeuebt, da keine genaue Angabe zu den Gründen gemacht worden sei, aus denen die betreffenden Rechte zu diskriminierenden oder zumindest mit den Wettbewerbsbestimmungen und dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Situationen geführt hätten: Also liege auch ein Begründungsfehler vor.
7. Die Klage der Französischen Republik und die Ausführungen der anderen dem Streit beigetretenen Mitgliedstaaten beschränken sich jedoch nicht auf diese Problematik. Die Unzuständigkeit der Kommission wird nämlich auch unter einem anderen Gesichtspunkt beanstandet; und hier ist sie als Unzuständigkeit im eigentlichen Sinne zu verstehen. Die Kommission habe unter Verstoß gegen den Grundsatz der Befugniszuweisung nach Artikel 4 EWG-Vertrag die Schwierigkeit und die Verpflichtung umgangen, von Fall zu Fall festzustellen, ob in den verschiedenen Mitgliedstaaten tatsächlich Diskriminierungen der eingeführten Endgeräte vorlägen, indem sie eine allgemeine normative Maßnahme erlassen habe, deren Ziel im wesentlichen darin bestehe, eine Gesamtregelung für einen Wirtschaftszweig zu erlassen. Eine solche Maßnahme gehöre nun aber offensichtlich nicht zu dem Bereich der Befugnisse (der Aufsichtsbefugnis und -pflicht), die Artikel 90 Absatz 3 ihr zuerkenne, und hätte höchstens Gegenstand eines Vorschlags an den Rat auf der Grundlage des Artikels 100a sein können.
8. Die Kommission bestreitet natürlich die von der Klägerin unter den beiden gerade dargelegten Gesichtspunkten geltend gemachte Unzuständigkeit.
In erster Linie bestreitet die Kommission, daß Artikel 90 Absatz 1 die Aufrechterhaltung aller besonderen oder ausschließlichen Rechte voraussetze. Es gebe in bestimmten Fällen Rechte, deren Bestehen untrennbar mit ihrer Ausübung verbunden sei, und die einzige Art, um deren rechtswidrige Ausübung zu verhindern, sei die Abschaffung des Rechtes selbst. In zweiter Linie bekräftigt die Kommission ihre Ansicht, daß es
sich bei der angefochtenen Maßnahme nicht um eine einfache Entscheidung handele, durch die vertragswidrige Maßnahmen abgeschafft werden sollten, sondern um eine "Richtlinie, die die globale Struktur der Märkte für Telekommunikations-Endgeräte in den verschiedenen Mitgliedstaaten berücksichtigt und auf der Grundlage eines globalen Ansatzes und einer detaillierten Analyse der Situation in den Mitgliedstaaten die Mittel festlegt, die anzuwenden sind, damit die Mitgliedstaaten die auf sie anwendbaren Vertragsbestimmungen einhalten können" - in diesem Sinne hat sich der Vertreter der Kommission auch in der mündlichen Verhandlung geäussert; daran anschließend macht die Kommission geltend, daß die betreffende Richtlinie nicht die Ausübung einer Regelungsbefugnis darstelle, die die Grenzen der Aufsicht und Überwachung überschreite; erst recht sei sie keine Regelung eines gesamten Wirtschaftszweigs. Die Wirklichkeit sei sehr viel einfacher: Es gehe erstens darum, bestehende Zuwiderhandlungen abzustellen, und zweitens darum, zukünftigen Zuwiderhandlungen vorzubeugen; beide Ziele fielen voll in die ihr durch Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag übertragene Zuständigkeit.
Die Kommission weist ausserdem das Vorbringen zurück, das Ziel, das sie mit der auf Artikel 90 Absatz 3 gestützten streitigen Richtlinie habe verwirklichen wollen, hätte Gegenstand einer Ratsrichtlinie nach Artikel 100a sein müssen. Der Anwendungsbereich der beiden Bestimmungen sei unterschiedlich. Artikel 100a verfolge nämlich das Ziel, die Hindernisse zu beseitigen, die sich aus dem Bestehen nationaler Rechtsvorschriften ergäben, während Artikel 90 Absatz 3 es der Kommission zur Pflicht mache, die Einhaltung der den Mitgliedstaaten durch Artikel 90 Absatz 1 auferlegten Verpflichtungen zu überwachen, mit der daraus folgenden Befugnis, die Entscheidungen und Richtlinien zu erlassen, die hierzu erforderlich seien.
Allgemeine Bemerkungen
9. Meiner Stellungnahme zu den verschiedenen Auffassungen möchte ich einige Überlegungen vorausschicken.
a) Zu Artikel 90
10. Erstens stelle ich fest, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofes zwar gewiß einige interessante Anstösse liefert, es jedoch nicht ermöglicht, alle uns heute vorliegenden Probleme zu lösen. Zwar wurde insbesondere in dem Urteil über die "Transparenz"-Richtlinie sowie in dem jüngeren Urteil vom 30. Juni 1988, Kommission/Griechenland (3), der Umfang der Befugnis der Kommission aus Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag teilweise geklärt, insofern als in ihnen bestätigt wurde, daß "der Zugehörigkeit der in dieser Bestimmung des EWG-Vertrags genannten 'Richtlinien' und 'Entscheidungen' zu der allgemeinen Kategorie der in Artikel 189 EWG-Vertrag vorgesehenen Richtlinien und Entscheidungen nicht[s] entgegensteht" (Randnr. 11 des Urteils in der Rechtssache 226/87).
Während die Frage der Rechtmässigkeit der Ausübung der Befugnis aus Artikel 90 Absatz 3 mit "repressiver" Funktion in dem Urteil Kommission/Griechenland ungelöst blieb, ist die durch den vorliegenden Rechtsstreit offenbarte lebhafte Diskussion bezeichnend für die Unsicherheit, die sowohl bei den Mitgliedstaaten als auch bei den Gemeinschaftsorganen noch hinsichtlich der Natur und der Grenzen der Befugnis der Kommission aus Artikel 90 Absatz 3 besteht.
11. Unter einem allgemeineren Aspekt möchte ich sodann feststellen, daß die deutliche Unklarheit des Artikels 90, auf die ich schon angespielt habe (ebenso wie die unklare Deutlichkeit, die seit langem und zu Recht
Artikel 37 zugeschrieben wird, beides Bestimmungen mit dem gleichen Ursprung und beide in Artikel 28 des Vertragsentwurfs niedergelegt), sicherlich nicht dem Zufall oder einer plötzlichen Formulierungsschwierigkeit zuzuschreiben ist, sondern der objektiven Schwierigkeit, die Idee eines Monopols oder eines über ausschließliche Rechte verfügenden Unternehmens an sich mit einem System freien Wettbewerbs und eines freien Marktes zu vereinbaren.
Diese Schwierigkeit ergibt sich meines Erachtens daraus, daß dem gesamten Gemeinschaftsprojekt, so wie es im EWG-Vertrag niedergelegt ist, ein grundlegender Widerspruch innewohnt zwischen dem punktüll vorgesehenen Ziel eines Gemeinsamen Marktes und eines Systems freien Wettbewerbs einerseits und der Aufrechterhaltung der wirtschaftspolitischen Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ausser im Fall von Koordinierungen andererseits. Der genannte Widerspruch hat in dem uns hier besonders interessierenden Bereich in formeller Hinsicht zu den Artikeln 222, 37 und 90, aber in anderen Bereichen zum Beispiel auch zu der grösseren "Vorsicht" der Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr im Vergleich zu den anderen Freiheiten oder auch zu den im Bereich der Banken und der Versicherungen erlaubten Besonderheiten und Verzögerungen geführt. Je näher also das Liberalisierungsziel des Vertrags in materieller Hinsicht die der Autonomie und der Verantwortung der Mitgliedstaaten überlassenen Entscheidungsbefugnisse berührt, um so mehr kann es dies nur "insoweit" tun, als es sich für seine Verwirklichung als unabdingbar erweist. Erlauben Sie mir demselben hier entwickelten gedanklichen Rahmen auch folgendes zuzuordnen: die Wendung "soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist", durch die in Artikel 67 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beseitigung der Beschränkungen des Kapitalverkehrs festgelegt und begrenzt wird, die Behutsamkeit des Artikels 90 Absatz 2, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, die Wettbewerbsregeln gelten "soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfuellung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert", und die Feststellung des Gerichtshofes in dem Urteil über die "Transparenz"-Richtlinie, daß die Befugnis der Kommission nach Artikel 90 Absatz 3 "auf den Erlaß der Richtlinien und Entscheidungen beschränkt [ist], die erforderlich sind, um die der Kommission in diesem Absatz übertragene Überwachungsaufgabe wirkungsvoll zu erfuellen" (Randnr. 13, Urteil a. a. O.).
b) Zwei Arten, die Richtlinie zu lesen
12. Erstens ergibt sich aus der Diskussion, die sich zwischen den Beteiligten entwickelt hat und zu der - übrigens ausserhalb des vorliegenden Verfahrens - einige Stellungnahmen anderer Gemeinschaftsorgane abgegeben wurden, mit hinreichender Deutlichkeit, daß sich die Beurteilung des Streits auf zwei verschiedenen Ebenen vollzieht, da die angefochtene Richtlinie nach zwei verschiedenen Lesarten ausgelegt und beurteilt werden kann und tatsächlich auch wurde.
13. Nach der ersten sieht man sich einer Richtlinie gegenüber, die im wesentlichen ein in den meisten Mitgliedstaaten anwendbares System ausschließlicher Rechte im Bereich der Telekommunikations-Endgeräte (insbesondere im Hinblick auf die Artikel 37, 59 und 86) für vertragswidrig erklärt und alle Mitgliedstaaten zu seiner Abschaffung verpflichtet, wobei sie auch akzessorische und daraus folgende Maßnahmen vorsieht. So gesehen scheint die bestrittene Zuständigkeit der Kommission mittels einer (normalen) Kontrolle der Rechtmässigkeit des Verhaltens der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Regelung über den Gemeinsamen Markt (Waren und Dienstleistungen) und den Wettbewerb ausgeuebt worden zu sein. Die Kommission selbst hat im gerichtlichen Verfahren im wesentlichen mit diesen Worten die eigene Zuständigkeit beansprucht, wenn auch in der Entgegnung auf einzelne Ausführungen des klagenden Staates und der Streithelfer einige in eine andere Richtung gehende Aussagen zu finden sind.
14. Nach der zweiten Lesart hingegen haben wir es mit einer Richtlinie zu tun, die insofern die Ausübung einer Rechtsetzungsbefugnis im eigentlichen, sagen wir gleich im weiten Sinn aufzeigt, als die Kommission, ausgehend von der Voraussetzung einer Umschreibung der den Mitgliedstaaten nach den Artikeln 30, 37, 59 und 86 EWG-Vertrag obliegenden Verpflichtungen den Sektor der Telekommunikations-Endgeräte auf andere Art als nach einem bestimmten, in den meisten Mitgliedstaaten für einige oder alle hier in Frage stehenden Endgeräte bestehenden Modell regeln wollte. So gesehen kann die Maßnahme nicht mehr der Ebene einer reinen Rechtmässigkeitskontrolle zugeordnet werden, sondern sie erscheint im wesentlichen als eine Zweckmässigkeitsentscheidung, die für die Ausübung einer Rechtsetzungsbefugnis im eigentlichen Sinne typisch ist und von der es natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß sie auch von dem Erfordernis diktiert ist, mögliche Vertragsverletzungen zu "unterbinden" und/oder ihnen "vorzubeugen". Dieses ist nämlich der Gesichtspunkt, der sich aus der alternativen Erwähnung des Artikels 100a als rechtmässige Rechtsgrundlage einer Maßnahme ergibt, mit der dieselben Ziele wie mit der streitigen Richtlinie verfolgt werden, und er wurde sowohl von dem klagenden Staat als auch von den Streithelfern (insbesondere der belgischen Regierung) vorgebracht, sowie - anderenorts - vom Europäischen Parlament (4) und vom Rat (5); tatsächlich kann man ihn aber auch am Aufbau der Richtlinie selbst erkennen und insbesondere an ihrer Begründung sowie daran, daß die Kommission den Erlaß der Richtlinie als einen bedeutenden Augenblick in einer Reihe von Initiativen legislativer Art angekündigt hatte, durch die der Markt der Telekommunikations-Endgeräte und -dienste "entwickelt" werden solle (6).
15. Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen werden die folgenden Untersuchungen nacheinander (Punkt 16 bis 41 sowie Punkt 42 bis 55) die eben aufgezeigten beiden Hypothesen behandeln, da der Gerichtshof meines Erachtens nicht umhin kann, die Fragen so erschöpfend zu beantworten, wie die Parteien es fordern und wie es im vorliegenden Fall angemessen ist.
Zur fehlerhaften Anwendung des Artikels 90 Absatz 1
16. Es ist zunächst zu prüfen, ob eine Richtlinie, die den Mitgliedstaaten die Abschaffung des Systems der ausschließlichen Rechte im Bereich der Telekommunikations-Endgeräte vorschreibt, weil es angeblich im Widerspruch zu bestimmten Vertragsbestimmungen steht, mit den in Artikel 90 niedergelegten inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Grenzen vereinbar ist.
17. Im Hinblick darauf, daß die Befugnis der Kommission aus Artikel 90 Absatz 3 ihrem Gegenstand nach durch Artikel 90 Absatz 1 begrenzt ist, bin ich der Auffassung, daß zunächst die Frage zu beantworten ist, ob allein das Bestehen eines Systems ausschließlicher Rechte zugunsten bestimmter Unternehmen zu den dem EWG-Vertrag widersprechenden "Maßnahmen" gehören kann, die die Mitgliedstaaten weder "treffen" noch "beibehalten" dürfen und hinsichtlich deren die Aufsichtsbefugnis ausgeuebt wird. Wie schon erwähnt, macht der klagende Staat nämlich geltend, die Aufhebung eines Monopols oder eines Systems ausschließlicher Rechte sei, unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Beurteilung, in keiner Vertragsbestimmung vorgesehen: Im Gegenteil liege insbesondere Artikel 90 gerade die Annahme zugrunde, daß ihr Bestehen rechtmässig sei.
18. Zu diesem Punkt hatte sich der Gerichtshof schon mehrere Male zu äussern, so daß sich auch die Parteien auf einige bedeutsame Urteile berufen haben. In der Rechtssache Manghera (7) hat der Gerichtshof zum Beispiel zunächst hinsichtlich von Artikel 37 folgendes ausgeführt: "Ohne die Abschaffung dieser Monopole zu verlangen, schreibt diese Bestimmung bindend ihre Umformung derart vor, daß am Ende der Übergangszeit die vollständige Beseitigung der erwähnten Diskriminierungen gewährleistet ist" (Randnr. 5), und er hat schließlich festgestellt, daß "Artikel 37 Absatz 1 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß jedes staatliche Handelsmonopol mit Wirkung vom 31. Dezember 1969 in der Weise umgeformt sein musste, daß das ausschließliche Recht zur Einfuhr aus den anderen Mitgliedstaaten entfallen war" (Randnr. 13).
19. Der vom Gerichtshof in der Rechtssache Manghera aufgestellte Grundsatz scheint also in die von der Kommission angestrebte Richtung zu gehen. Aber auch wenn man nicht übersehen darf, daß der Begünstigte des ausschließlichen Einfuhrrechts in jenem Fall - anders als in dem uns hier vorliegenden Fall - ebenfalls ein Erzeuger war, so daß man durchaus eine Diskriminierung anderer Wirtschaftsteilnehmer als gegeben annehmen konnte, ist doch hervorzuheben, daß das genannte Urteil nur das ausschließliche Einfuhrrecht betrifft und nicht gesagt ist, daß die in ihm enthaltenen Feststellungen ebenso für die anderen ausschließlichen oder besonderen Rechte gelten. In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Bedeutung, daß der Gerichtshof in demselben Urteil festgestellt hat, daß Artikel 37 nicht die Abschaffung der Handelsmonopole vorschreibe, die als rechtmässig anzusehen seien, sondern nur die Beseitigung der Diskriminierungen, die sich im damaligen Fall allein aus dem Bestehen eines ausschließlichen Einfuhrrechts ergaben (Randnrn. 10 bis 13).
20. Bei anderen Gelegenheiten hat sich der Gerichtshof allgemeiner ausgedrückt und festgestellt, daß "Artikel 90 Absatz 1 ... es den Mitgliedstaaten unter anderem [gestattet], Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte zu gewähren ... Diese Anstalten haben jedoch bei der Erfuellung ihrer Aufgabe die Diskriminierungsverbote zu beachten und fallen, soweit die Erfuellung ihrer Aufgaben Tätigkeiten wirtschaftlicher Art mit sich bringt, unter die in Artikel 90 genannten Bestimmungen über öffentliche Unternehmen und solche Unternehmen, denen die Staaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren. Die Auslegung von Artikel 86 in Verbindung mit Artikel 90 führt zu dem Ergebnis, daß das Bestehen eines Monopols zugunsten eines Unternehmens, dem ein Mitgliedstaat ausschließliche Rechte gewährt, als solches mit Artikel 86 nicht unvereinbar ist. Das gleiche muß folgerichtig gelten, wenn eine spätere Maßnahme dieses Staates solche Rechte erweitert" (8) (Randnr. 14). Und der Gerichtshof hat es dem einzelstaatlichen Gericht überlassen, von Fall zu Fall die Vereinbarkeit jedes Verhaltens mit den materiellen Vertragsbestimmungen zu überprüfen.
21. In der Rechtssache Hansen (9) hat der Gerichtshof festgestellt, daß "Artikel 37 ... nicht die vollständige Abschaffung der staatlichen Handelsmonopole [vorschreibt], sondern nur deren Umformung in der Weise ..., daß jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist" und, dies ist bedeutsam, daß "Artikel 37 ... anwendbar [bleibt], wenn immer die Wahrnehmung ausschließlicher Rechte durch ein staatliches Monopol auch nach der durch den Vertrag vorgeschriebenen Umformung zu einer durch diese Bestimmung untersagten Diskriminierung oder Beschränkung führt" (Randnr. 8).
22. Die Kommission gelangt, insbesondere unter Berufung auf die angeführte Feststellung des Gerichtshofes in der Rechtssache Manghera, daß jedes staatliche Handelsmonopol so umgeformt werden musste, daß das ausschließliche Recht zur Einfuhr aus den anderen Mitgliedstaaten entfallen war, zu der Schlußfolgerung, die Tatsache an sich, daß zugunsten von mit ausschließlichen Rechten hinsichtlich des Telekommunikationsnetzes ausgestatteten Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Einfuhr, zum Vertrieb, zur Einrichtung, zur Inbetriebsetzung und zur Wartung der Endgeräte aufrechterhalten werde, stelle eine Maßnahme im Sinne des Artikel 90 Absatz 1 dar; weiter erfuelle schon das Bestehen solcher Rechte den Tatbestand der Zuwiderhandlung, da die Diskriminierung und der Mißbrauch gerade aus diesem ausschließlichen Recht als solchem entstuenden (siehe insbesondere die Gegenerwiderung, S. 11).
Ich kann diesen Standpunkt nicht teilen, da er insofern eine willkürliche Auslegung des vom Gerichtshof in der Rechtssache Manghera aufgestellten Grundsatzes ist, als er die Bedeutung des Urteils auf das System der ausschließlichen Rechte insgesamt, gleichgültig, ob sie sich auf Waren oder Dienstleistungen beziehen, und jedenfalls nicht allein auf das Einfuhrrecht ausdehnt; ausserdem werden die in dem Urteil Manghera selbst und in der späteren, von mir angeführten Rechtsprechung enthaltenen weiteren Präzisierungen hierzu nicht beachtet, aus denen sich mit hinreichender Deutlichkeit eine Gesamtausrichtung ergibt, die in eine andere als die von der Kommission angenommene Richtung geht.
23. Tatsächlich denke ich, daß sich aus der genannten Rechtsprechung des Gerichtshofes, über die die jeweiligen Einzelfälle betreffenden Aussagen hinaus, eine eindeutige und schlüssige Grundausrichtung ergibt. Erstens wird das Erfordernis hervorgehoben, dem Wortlaut des Artikels 37 und des Artikels 90 Absatz 1 einen Sinn zu geben: Es ist nicht zu übersehen, mit welchem Nachdruck (auch in dem Urteil Manghera, Randnr. 5) ausgeschlossen wurde, daß ein Handelsmonopol oder ein System ausschließlicher Rechte schon an sich gegen den Vertrag (Artikel 37 und 86) verstösst und also ihre Abschaffung als solche vorgeschrieben ist. Zweitens wird auch das Erfordernis betont, konkret - jedoch ohne Einschränkungen und Vorgriffe - die Vereinbarkeit der nationalen Regelungen mit dem Vertrag zu prüfen und diese Prüfung gegebenenfalls dem nationalen Gericht zu überlassen (10). Zum Beispiel hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 7. Juni 1983, Kommission/Italien (11), nachdem er unter Verweisung auf das Urteil Manghera daran erinnert hatte, daß Artikel 37 "nicht die völlige Abschaffung der nationalen Handelsmonopole verlangt" (Randnr. 11), folgendes ausgeführt: "Da es sich um eine unterschiedslos für inländische wie eingeführte Erzeugnisse geltende Regelung handelt, ist somit zu prüfen, ob die streitige Regelung gleichwohl geeignet ist, eine diskriminierende Wirkung zu entfalten oder den Wettbewerb durch eine Beschränkung der Tabakwareneinfuhren zu verfälschen und so den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern" (Randnr. 12).
24. Allgemeiner gesagt, ist der Umstand, daß ein Monopol oder ein System ausschließlicher oder besonderer Rechte nicht völlig im Gleichklang mit einem auf den freien Wettbewerb gegründeten System sein kann, völlig offensichtlich; aber gerade deshalb ist dies ein Umstand, der den Gemeinschaftsgründern auf jeden Fall gegenwärtig sein musste.
Es ist somit klar, daß der Vertrag, wenn man will, in Übereinstimmung mit Artikel 222 und der Gesamtausrichtung der Gemeinschaft, die Monopole und die Systeme ausschließlicher oder besonderer Rechte "tolerieren" will und sie "an sich" als rechtmässig ansieht, wobei er jedoch der Kommission die Aufgabe übertragen hat, dafür zu sorgen, daß die notwendige Beachtung der Regelung über den Gemeinsamen Markt für Waren und Dienstleistungen und über den freien Wettbewerb, vorbehaltlich der möglichen Ausnahme nach Artikel 90 Absatz 2, gewährleistet ist.
So ist die scheinbar undeutliche, jedoch zweckmässig ausgewogene Formulierung sowohl des Artikels 37 als auch des Artikels 90 Absatz 1 zu erklären; dies gilt insbesondere für die von Artikel 37 verlangte "Umformung" der Handelsmonopole mittels des impulsgebenden Instruments der Empfehlung und für die der Kommission durch Artikel 90 Absatz 3 übertragenen Aufsichtsbefugnisse, sowie für die Möglichkeit, "erforderlichenfalls" die als einschneidender angesehenen Maßnahmen der Richtlinie und der Entscheidung einzusetzen, und zwar stets zum Zweck der besseren Ausübung gerade der Aufsichtspflicht.
25. Abstrakt gesehen verstösst allein das Bestehen eines Monopols oder eines Systems ausschließlicher Rechte meines Erachtens nicht "an sich" gegen den Vertrag. Aber diese Antwort ist, wie gesagt, abstrakt.
26. Konkret kann die Prüfung des Einzelfalls eine andere Antwort nahelegen. Der eigentliche Gehalt des Artikels 90 besteht, wenn man diese Vorschrift anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes analysiert, darin, zu verhindern, daß die Mitgliedstaaten, denen es freisteht, eine gesellschaftspolitisch begründete Wirtschaftspolitik durchzuführen und in diesem oder jenem Bereich ein Monopol oder ein System von ausschließlichen Rechten einzuführen oder aufrechtzuerhalten, dann ebenso frei sind, dies in der Art zu tun, daß sie öffentliche oder mit ausschließlichen Rechten ausgestattete Unternehmen von den Spielregeln, insbesondere hinsichtlich des Gemeinsamen Marktes für Waren und Dienstleistungen und des freien Wettbewerbs, ausnehmen. Und dies auch in Übereinstimmung mit Artikel 37, der dem Gerichtshof zufolge "die Einhaltung der Grundregel des freien Warenverkehrs innerhalb des gesamten Gemeinsamen Marktes insbesondere durch die Abschaffung mengenmässiger Beschränkungen und von Maßnahmen gleicher Wirkung im Handel zwischen den Mitgliedstaaten gewährleisten und auf diese Weise normale Bedingungen für den Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten für den Fall aufrechterhalten soll, daß ein bestimmtes Erzeugnis in dem einen oder anderen dieser Staaten einem staatlichen Handelsmonopol unterliegt" (Urteil Kommission/Italien, a. a. O., Randnr. 11).
27. Wenn dies so ist, so kann im Hinblick auf den Wortlaut der Artikel 90 und 37 nicht völlig ausgeschlossen werden, daß schon in der Schaffung der Rechtslage, schon in der Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte ein Verstoß gegen den Vertrag liegt und somit das Verbot des Artikels 90 Absatz 1 eingreift. Gerade in diesem Fall ist es nicht einmal erforderlich, daß der Staat andere "Maßnahmen" ergreift, damit ein Vertragsverstoß festzustellen ist und man somit in den Anwendungsbereich des Artikels 90 Absatz 1 (und ebenso des Artikels 90 Absatz 3) gelangt. Der Gerichtshof hat bis jetzt nicht ausdrücklich über die Frage entschieden, ob Artikel 37 oder Artikel 90 die Beseitigung der sogenannten potentiellen Diskriminierungen, also der blossen Möglichkeit von sich aus dem Bestehen ausschließlicher Rechte ergebenden Diskriminierungen, umfasst, obwohl ihm dies mehrfach nahegelegt wurde (siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Warner in der Rechtssache Manghera und die Vorlagefrage des innerstaatlichen Gerichts).
28. Letztlich bin ich der Auffassung, daß die fragliche Bestimmung auch den Fall erfasst, daß das Monopol oder das System ausschließlicher oder besonderer Rechte "an sich", um den in dem vorliegenden Verfahren verwendeten Begriff aufzunehmen, vertragswidrig ist.
Insbesondere im Hinblick auf die angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofes, einschließlich des Urteils Manghera, bin ich jedoch darüber hinaus der Auffassung, daß man zur Feststellung eines Vertragsverstosses allein durch die Gewährung ausschließlicher Rechte nur dadurch gelangen kann, daß man die Natur und die Wirkungsweise, die Ziele und die Implikationen der Einführung oder der Aufrechterhaltung der fraglichen Rechtslage im einzelnen im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt für Waren und Dienstleistungen und auf den freien Wettbewerb überprüft. Kurz, die Antwort muß konkret erfolgen und nicht in abstrakter Form.
29. Ich möchte hinzufügen, daß aus dem unmittelbaren, offensichtlichen Zusammenhang zwischen Artikel 90 und Artikel 222 EWG-Vertrag, auch ohne die schon erwähnte Grundidee zu bemühen, auf der der Vertrag beruht, eindeutig folgt, daß zumindest eine starke Rechtmässigkeitsvermutung zugunsten des öffentlichen oder mit ausschließlichen Rechten ausgestatteten Unternehmens als solchem besteht. Dies scheint mir nämlich eine nützliche und vernünftige Lesart des Artikels 90 Absatz 1 zu sein, die sowohl Artikel 222 als auch die Bestimmungen zum Schutz des Gemeinsamen Marktes und des Wettbewerbs berücksichtigt. Sich allein auf den Wortlaut des Artikels 90 zu beschränken, um aus ihm abstrakt die absolute und radikale Unmöglichkeit abzuleiten, daß zu den Fällen eines Vertragsverstosses auch das blosse Bestehen eines Systems ausschließlicher Rechte gehören kann, wie die französische Regierung geltend macht, scheint mir, offen gesagt, eine partielle und teilweise verkürzende Sicht der "praktischen Wirksamkeit" des Artikels 90. Ebenso falsch wäre es, völlig von der - sicherlich nicht zufälligen - Formulierung des Artikels 90 abzugehen und seine Verbindung mit Artikel 222 unbeachtet zu lassen und zu bestreiten, daß für das Bestehen oder die Einführung einer Lage der hier gegebenen Art zumindest grundsätzlich eine Vermutung der Rechtmässigkeit spricht.
In diesen Grenzen ist das Vorbringen des klagenden Staates somit zu verwerfen.
Zum Verfahrensmißbrauch
30. Die folgende (und subsidiäre) von diesem Rechtsstreit aufgeworfene Frage, die in gewisser Hinsicht mit der gerade abgehandelten in Zusammenhang steht, ist, ob die Kommission die Befugnis hat, gemäß Artikel 90 Absatz 3 und insbesondere mit dem Mittel der Richtlinie festzustellen, daß das Bestehen eines Systems ausschließlicher Rechte eine Vertragsverletzung darstellt, anstatt den allgemein in Artikel 169 EWG-Vertrag vorgesehenen Mechanismus in Gang zu setzen. Wie schon ausgeführt, bestreiten der klagende Staat und die dem Verfahren beigetretenen Staaten, daß die Richtlinie nach Artikel 90 Absatz 3 zum Zweck der Abschaffung der Systeme ausschließlicher Rechte eine rechtmässige Alternative zu dem Verfahren nach Artikel 169 darstelle; auch in der Lehre fehlt es nicht an Stellungnahmen in diesem Sinne.
Schon in abstrakter Form wirft dieses Problem nicht wenige Zweifelsfragen auf; es scheint auch nicht durch das Urteil Kommission/Griechenland gelöst worden zu sein, da der Gerichtshof in diesem Verfahren nicht festzustellen hatte, ob die Kommission ihre Befugnis nach Artikel 90 Absatz 3 rechtmässig ausgeuebt hatte, indem sie eine "repressive" Entscheidung über eine Vertragsverletzung traf, sondern nur, ob diese Entscheidung dieselben Wirkungen wie eine Entscheidung nach Artikel 189 hatte.
31. Wie bekannt sieht der Vertrag für den Fall, daß ein Mitgliedstaat "gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstossen" hat, einen allgemeinen Repressionsmechanismus vor, der auf der förmlichen Mitteilung der Vorwürfe durch die Kommission und auf der anschließenden Anrufung des Gerichtshofes beruht, der das Bestehen einer Vertragsverletzung feststellen soll. In diesem Verfahren besteht - schon im vorprozessualen Verfahren - eine klare Garantie für die Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und der Rechte der Staaten im weiten Sinne, eine Garantie, die in Artikel 90 Absatz 3 nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Ausserdem gibt es zwar schon einige Ausnahmen von dem logischen System des Verfahrens nach Artikel 169, so zum Beispiel in Artikel 93, wo es im wesentlichen umgekehrt wird, doch sind die Ausnahmen zu Artikel 169 im Vertrag ausdrücklich vorgesehen: in Artikel 93 Absatz 2, aber auch in den Artikeln 100a und 225. Es ist auch nicht zu übersehen, daß es im Bereich der Verletzung der Wettbewerbsregeln die Kommission ist, die den Verstoß feststellt, jedoch unter Beachtung des Grundsatzes der Mittelung der Vorwürfe und der Anhörung der Betroffenen zu diesen Vorwürfen im Vorverfahren; gleiches ist im übrigen in Artikel 93 Absatz 2 vorgesehen.
Weder eine solche Bestimmung noch eine ausdrückliche Ausnahmeregelung sind in Artikel 90 Absatz 3 enthalten, wie die Kommission selbst einräumen musste, um im vorliegenden Fall das Fehlen eines echten kontradiktorischen Vorverfahrens zu rechtfertigen (Klagebeantwortung, S. 33).
32. Ich frage mich ausserdem, ob sich nicht eine weitere Schwierigkeit aus der Art der von der Kommission erlassenen Maßnahme ergibt. Wenn es schon nicht völlig unstreitig ist, ob eine Entscheidung nach Artikel 90 Absatz 3 eine angemessene und rechtmässige Alternative zu dem Verfahren nach Artikel 169 darstellen kann, so erscheint die Verwendung der Richtlinie, eines Instrumentes, das schon seiner Art nach schlecht zur Beendigung eines Verstosses geeignet ist, noch weniger angemessen, zumal die Maßnahme im vorliegenden Fall an die Mitgliedstaaten insgesamt gerichtet ist.
Die hierzu von der Kommission gegebene Erklärung, die sich auf die Feststellung beschränkt, sie habe den Weg des Artikels 90 Absatz 3 dem des Artikels 169 vorgezogen, da letzterer nicht "dieselbe unmittelbare und sofortige Wirkung" wie der erstere habe (Klagebeantwortung, S. 12), ist nicht erhellend; auch nicht die Versicherung, sie habe im vorliegenden Fall zuvor die Mitgliedstaaten und die anderen Organe konsultiert. Weder die eine noch die andere Behauptung scheinen mir nämlich ausreichend, um das Fehlen einer ausdrücklichen Ausnahme von Artikel 169 und der in den Verfahren mit Sanktionscharakter bestehenden Mindestgarantien eines streitigen Verfahrens zu überwinden.
Ich bin demgemäß der Auffassung, daß die Kommission auf das in Artikel 90 Absatz 3 vorgesehene Instrument der Richtlinie grundsätzlich nicht in "repressiver" Funktion alternativ zu Artikel 169 zurückgreifen kann.
Zur Begründung
33. Andererseits kann sich die Beurteilung des Gerichtshofes in der vorliegenden Rechtssache vielleicht in zweckmässigerer Weise auf den wesentlichen Punkt konzentrieren, der die Begründung der angefochtenen Maßnahme betrifft, und die "grundsätzliche" Lösung des Problems womöglich bis zu geeigneteren Gelegenheiten aufschieben. Da es sich um ein Verfahren wegen Vertragsverstosses handelt, das darüber hinaus im vorliegenden Fall auf die Beseitigung einer Rechtslage abzielt, deren Bestehen als solches vom Vertrag als rechtmässig vorausgesetzt wird, wäre nämlich in jedem Fall eine spezifische und analytische Überprüfung des Vertragsverstosses durch die Kommission erforderlich gewesen.
34. Im vorliegenden Fall scheint mir diese Überprüfung durch die Kommission, wie sie in einem Verfahren geboten ist, das "repressiven" Charakter haben soll und das auf jeden Fall dem Gerichtshof die endgültige Kontrolle der Rechtmässigkeit ermöglichen muß, schon auf den ersten Blick zu fehlen: Dies betrifft nicht nur die Artikel 2 und 7 der Richtlinie, die
notwendigerweise eng miteinander verbunden sind, sondern auch Artikel 6, der gegebenenfalls unter den anderen berücksichtigten Aspekten teilweise autonom beurteilt werden könnte.
Im einzelnen wird im Hinblick auf Artikel 30 EWG-Vertrag festgestellt, daß das System besonderer oder ausschließlicher Rechte für die Einfuhr und den Vertrieb "in der Praxis häufig zur Behinderung der Einfuhren aus den anderen Mitgliedstaaten" führt (dritte Begründungserwägung). Im Hinblick auf Artikel 37 EWG-Vertrag wird festgestellt, daß die betreffenden Rechte "in einer Weise ausgeuebt [werden], daß Geräte aus den anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden, weil es den Benutzern verwehrt ist, die benötigten Geräte ungeachtet ihrer Herkunft frei nach Preis und Qualitätskriterien zu wählen" (fünfte Begründungserwägung).
35. Lapidare Behauptungen dieser Art können meines Erachtens keine Rechtsgrundlage für die Feststellung eines Vertragsverstosses darstellen; sicherlich dann nicht, wenn wie hier angenommen wird, daß das Bestehen des Systems ausschließlicher Rechte an sich den Vertragsverstoß ausmacht. Schon die verwendeten Formulierungen (das Monopol, das "im allgemeinen" (*) durch Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte verwirklicht wird, die "häufig" die Endgeräte umfassen und deren Gewährung "in der Praxis häufig" zur Behinderung der Einfuhren führt und sie "in der Praxis" * benachteiligt) sind sehr dürftig gemessen an dem Erfordernis der hier gebotenen Strenge, da es doch darum geht, die Vermutung der Rechtmässigkeit des Systems der besonderen oder ausschließlichen Rechte, die sich aus Artikel 90 Absatz 1 (ebenso wie aus Artikel 37) ergibt, als solche auszuräumen. Mit anderen Worten: Die Tatsache, daß das Monopol - häufig,
der Praxis o. a. - geeignet ist, das ordnungsgemässe Funktionieren des Gemeinsamen Marktes und den freien Wettbewerb zu beeinträchtigen, wurde, ich wiederhole es, von den Verfassern des Vertrages sehr wohl berücksichtigt und dennoch toleriert, so daß sich aus der Richtlinie der Kommission einerseits nichts Neues ergibt und sie andererseits den grundlegenden, in Artikel 90 Absatz 1 niedergelegten Rahmen radikal verändert, indem sie ganz einfach das Monopol oder das System ausschließlicher Rechte abschafft, ohne sich die Mühe einer angemessenen Begründung zu machen.
Das Fehlen einer Begründung ist noch offensichtlicher, wenn man erstens den Umstand bedenkt, daß in einer an alle Mitgliedstaaten gerichteten Richtlinie, mit der nach dem Vorbringen der Kommission Vertragsverletzungen abgestellt werden sollen, nicht einmal eigens festgestellt wird, daß alle Staaten solche Vertragsverstösse begangen haben, und auch nicht, durch welche Rechtsvorschriften oder Praktiken sie dies getan haben sollen. Dies war um so erforderlicher, als sich aus dem Inhalt der Begründungserwägungen und erst recht aus den Verfahrensakten einschließlich der Klagebeantwortung und der Gegenerwiderung der Kommission ergibt, daß das System des Monopols oder der ausschließlichen Rechte in einigen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Arten der einbezogenen Endgeräte nur ein teilweises ist oder daß sogar ein System absoluter Freiheit besteht, wie es paradoxerweise auch in dem klagenden Staat der Fall zu sein scheint (siehe Dokument 3 im Anhang der Klagebeantwortung der Kommission), während dieses System in anderen Mitgliedstaaten den Warenverkehr keinesfalls behindert oder nicht diskriminierend ist oder die Wettbewerbsregeln beachtet (siehe z. B. die Erklärungen der italienischen Regierung, S. 9, von der Kommission nicht bestritten). Zweitens ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand nicht unerheblich, daß der klagende Staat bestritten hat, daß man sämtliche in Frage stehenden besonderen oder ausschließlichen Rechte dem freien Warenverkehr zurechnen könne, denn zumindest einige der sogenannten Endgeräte könnten sehr wohl als zum Telekommunikationsnetz gehörig angesehen werden und somit angemessenererweise eher in den Bereich der Dienstleistungen fallen.
36. Dies alles zeigt uns auch, in welchem Masse dem Gerichtshof die Möglichkeit zu einer Kontrolle gegeben wird, deren Beurteilungskriterien schon vor der Phase des gerichtlichen Verfahrens bestehen müssen und nicht nachträglich bestimmt werden können. Man denke nur daran, daß der Gerichtshof nicht in die Lage versetzt worden ist, festzustellen, ob die angeblichen Vertragsverstösse von allen oder nur von einigen Mitgliedstaaten, ob bei allen Endgeräten oder nur bei einigen begangen wurden und welcher Modus operandi im einzelnen als gegen den Vertrag verstossend angesehen wird, über das blosse Bestehen eines Systems von (und auch nicht einmal dies weiß man) ausschließlichen oder besonderen Rechten hinaus.
37. Auch der andere Gegenstand der Richtlinie, nämlich der Verstoß der besonderen oder ausschließlichen Rechte gegen das Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung gemäß Artikel 86 EWG-Vertrag, scheint mir nicht zu anderen Ergebnissen zu führen. Die Kommission verweist insbesondere darauf (dreizehnte Begründungserwägung), daß "das Monopol für das nationale Telekommunikationsnetz entweder einer einzigen oder mehreren Fernmeldeverwaltungen übertragen" sei und daß die Telekommunikationsnetze jeweils einen Markt bildeten. Hieraus folge, daß diese Verwaltungen eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Marktes hätten. Weiter verweist sie darauf, daß die den betreffenden Verwaltungen übertragenen ausschließlichen oder besonderen Rechte zur Folge hätten, daß diese "bei Endgeräten das Mietverfahren" vorschrieben (ohne zu präzisieren, bei welchen), obgleich der Benutzer es günstiger finden könnte, sie käuflich zu erwerben. Dies führe dazu, daß zusätzliche Leistungen angenommen werden müssten. Ausserdem engten die Verwaltungen im Sinne von Artikel 86 Buchstaben b und d die Absatzmöglichkeiten ein und behinderten den technischen Fortschritt (ohne zu spezifizieren, unter welchem Gesichtspunkt).
Wie man sieht, haben wir es hier wieder, ohne daß wir uns inhaltlich mit den feinen Verästelungen der Beanstandungen zu beschäftigen brauchen, mit einer offensichtlichen Petitio principii zu tun, also nicht mit einer analytischen Begründung, die im vorliegenden Fall, ich wiederhole es, erforderlich war, sondern mit Behauptungen, die ebenso lapidar wie banal sind. Man denke nur daran, was alles bei einer Entscheidung der Kommission verlangt wird, mit der der Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch ein Unternehmen festgestellt wird; und daran, wie analytisch, spezifisch und detailliert die Begründungen waren, die die Kommission selbst als Grundlage für die Entscheidungen nach Artikel 90 Absatz 3 zur Abstellung von Vertragsverstössen Griechenlands (12), Spaniens (13) sowie, in jüngerer Zeit, der Niederlande (14) für erforderlich hielt.
38. Letztlich beschränkt sich die uns vorliegende Richtlinie auf die Feststellung des quid demonstrandum, das sie allgemein aus dem blossen Bestehen eines Systems ausschließlicher oder besonderer Rechte in allen Mitgliedstaaten auf dem Sektor (auch dieser insgesamt gesehen) der Telekommunikations-Endgeräte ableitet. Diese Feststellungen zu bestätigen, würde für den Gerichtshof nicht etwa das Ergebnis einer Beurteilung tatsächlicher und rechtlicher Aspekte und einer Prüfung der Rechtmässigkeit der angefochtenen Maßnahme darstellen, sondern ein echtes Glaubensbekenntnis: Hierzu kann ich dem Gerichtshof jedenfalls nicht raten.
39. Dem kann auch nicht begründeterweise entgegengehalten werden, daß "in einer Richtlinie, die ihrer Natur nach eine allgemeine, an alle Mitgliedstaaten gerichtete Maßnahme ist, keine detaillierte Prüfung aller
besonderen Situationen erforderlich ist" (Klagebeantwortung der Kommission, S. 27). Dies mag im allgemeinen zutreffen, wenn es sich um eine ... "normale" Richtlinie handelt, nicht jedoch, wenn es sich, wie bis jetzt im vorliegenden Fall angenommen, um eine Maßnahme handelt, mit der ein Vertragsverstoß festgestellt werden soll.
40. Im Lichte der vorangehenden Ausführungen meine ich eine erste Schlußfolgerung ziehen zu können. Wenn die Richtlinie der Kommission, wie die Kommission selbst wiederholt in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung betont hat, bezweckt, das Vorliegen von Vertragsverstössen in allen Mitgliedstaaten festzustellen und sie sich also als eine Ausübung der Aufsichtsbefugnis und -pflicht im Sinne einer Befugnis zur Kontrolle der Rechtmässigkeit der Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten darstellt, so ist sie, auch wenn man von allen anderen Problemen absehen wollte, zumindest unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Begründung mit Fehlern behaftet.
41. Die Begründungspflicht wäre natürlich bei weitem nicht so streng gewesen, wenn die Kommission, anstatt eine Kontrolle der Rechtmässigkeit des Verhaltens eines oder mehrerer Mitgliedstaaten vorzunehmen, eine normative Entscheidung im eigentlichen Sinne getroffen hätte und den Bereich der Telekommunikations-Endgeräte auf eine bestimmte Art und nicht auf eine andere geregelt hätte, auch mittels der Abschaffung der Systeme der Monopole oder der ausschließlichen Rechte, die gegebenenfalls in mehreren Mitgliedstaaten bestehen. In diesem Fall wäre nämlich die Feststellung des einen oder des anderen spezifischen Verstosses durch die Funktionsweise oder einfach das Bestehen eines Monopols oder eines Systems ausschließlicher Rechte in einem, mehreren oder allen Mitgliedstaaten nicht mehr Gegenstand der Maßnahme, sondern nur Anlaß für ihren Erlaß - und auch das Instrument der Richtlinie wäre letztlich völlig angemessen.
Zur Unzuständigkeit im eigentlichen Sinne
42. Hier handelt es sich um die zweite Art, die angefochtene Richtlinie zu lesen, die ich zu Beginn erwähnt habe und die offenkundig vom Gerichtshof zu beurteilen ist; unabhängig vom bestrittenen Vorliegen der angeblichen Verstösse wird nämlich geltend gemacht, daß die Kommission nicht befugt gewesen sei, die Systeme ausschließlicher Rechte in allen Mitgliedstaaten abzuschaffen und auf diese Art den Bereich der Telekommunikations-Endgeräte aufgrund der Befugnisse nach Artikel 90 Absatz 3 zu regeln, anstatt einen normalen Rechtsetzungsmechanismus (eventuell nach Artikel 100a) in Gang zu setzen; der Kommission wird, insbesondere von der belgischen Regierung, vorgeworfen, eine echte wirtschaftspolitische Entscheidung getroffen zu haben.
43. Daß dies die richtige Lesart für die uns vorliegende Richtlinie darstellt, ist nicht auszuschließen, ja es fehlt nicht an in diese Richtung weisenden Indizien, zu denen vor allem der Aufbau und die Begründung der Richtlinie gehören.
Eine Begründung, die im Hinblick auf die Art der Maßnahme, die für die Feststellung eines Vertragsverstosses erforderlich ist, und angesichts der zuvor erwähnten Präzedenzfälle von nach Artikel 90 Absatz 3 erlassenen Entscheidungen so offensichtlich pauschal und unzureichend ist, scheint mir nämlich weniger ein auf einem zufälligen Irrtum der Kommission beruhender Fehler, als vielmehr der Beweis dafür zu sein, daß die Befugnis nach Artikel 90 Absatz 3 auf eine andere Art ausgeuebt wurde, als bisher angenommen worden ist und als sich aus der "Transparenz"-Richtlinie oder aus anderen erwähnten Entscheidungen ergibt.
Ich beziehe mich insbesondere auf Formulierungen wie "führt in der Praxis häufig zur Behinderung der Einfuhren aus den anderen Mitgliedstaaten" oder auf jene andere, wonach die Gewährung ausschließlicher oder besonderer Rechte für den Betrieb des Netzes und für
Telekommunikationsdienste "häufig" auch die Bereitstellung von Endgeräten umfasst. Ich beziehe mich auch auf die zweite Begründungserwägung, in der festgestellt wird, daß technische und wirtschaftliche Entwicklungen mehrere Mitgliedstaaten veranlasst hätten, "das System der besonderen oder ausschließlichen Rechte im Fernmeldewesen zu überdenken", und daß die rasche Entstehung immer neuer Endgerätetypen und die Möglichkeit ihres multifunktionalen Einsatzes es notwendig machten, daß die Benutzer eine freie Wahl treffen könnten. Solche Überlegungen passen mehr zu einer Entscheidung für eine neue Ausrichtung des betreffenden Wirtschaftszweigs als zu dem reinen Erfordernis, Verstösse abzustellen, die überdies nicht spezifisch bezeichnet sind.
44. Es ist auch nicht ohne Bedeutung, daß der Abschaffung der Systeme besonderer oder ausschließlicher Rechte im Bereich der Endgeräte eine mit gleichen Begriffen, gleichem Aufbau und ähnlichen Begründungen erlassene Richtlinie für den Bereich der Telekommunikationsdienste folgte, deren Artikel 2 praktisch genauso formuliert ist wie der hier streitige Artikel 2 (15). Dieser Umstand wäre, wie die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht bemerkt hat, zumindest ungewöhnlich, wenn es sich um die blosse Feststellung eines Vertragsverstosses handelte. Er lässt aber jedenfalls eher eine allgemeine Perspektive erkennen, die ihrerseits dem Liberalisierungselan entspringt, der die Gemeinschaftsorgane und an erster Stelle den Rat in den letzten Jahren erfasst hat.
45. Zu diesem letzten Punkt erscheint es mir nützlich, an die Richtlinie
86/361/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 (16) über die erste Phase der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Endgeräten zu erinnern, in der festgestellt wird, daß "ein umfassenderer Rahmen im Hinblick auf eine zweite Phase entwickelt werden [muß], in der ein offener und einheitlicher Markt für Telekommunikations-Endgeräte geschaffen würde; dabei ist zu bedenken, daß ein solcher Markt sowohl den freien Verkehr von Telekommunikationsgeräten als auch den freien Anschluß an die Telekommunikationsnetze entsprechend den harmonisierten Bedingungen beinhaltet" (zehnte Begründungserwägung).
46. Ebenfalls bedeutsam ist eine Entschließung des Rates vom 30. Juni 1988 (17), in der der Rat auf Vorschlag der Kommission und aufgrund von Erwägungen, die grösstenteils mit denen in der hier streitigen Richtlinie übereinstimmen, die Kommission selbst auffordert, "die zur Verwirklichung dieser Ziele in den vorrangigen Bereichen notwendigen Maßnahmen, wo erforderlich, vorzuschlagen, die entsprechend den geeigneten Gemeinschaftsverfahren insbesondere zur Schaffung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienste und -geräte zu ergreifen sind"; und dies, nachdem er seine volle Zustimmung "zu den Grundsätzen des in der Mitteilung vom 9. Februar 1988 enthaltenen Aktionsprogramms [gegeben hat], das nicht zuletzt unter Berücksichtigung der mit der Einheitlichen Europäischen Akte eingeführten Artikel 8a und 8c auf die schrittweise Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten gemeinsamen Telekommunikationsmarktes bis 1992 abgestellt ist und die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zum Ziel hat, zugleich aber auch den öffentlichen Dienstleistungsauftrag der Fernmeldeverwaltungen gewährleisten soll".
47. Die Kommission ihrerseits hat aufgrund derselben offensichtlichen
Erfordernisse einer formalen Verteidigung, die sie veranlasst haben, in dem Verfahren vor dem Gerichtshof die Bedeutung der Richtlinie tendenziell auf die reine Beseitigung und Verhütung von Vertragsverstössen zu reduzieren, einige aufschlußreiche Aussagen nicht vermeiden können; insbesondere, daß
- in einer Richtlinie, die ihrer Natur nach eine allgemeine, an alle Staaten gerichtete Maßnahme sei, keine detaillierte Begründung erforderlich sei (Klagebeantwortung, S. 27);
- die Wahl der Richtlinie nach Artikel 90 Absatz 3 anstatt des Verfahrens nach Artikel 169, der die Annahme zugrunde gelegen habe, daß "in den meisten Mitgliedstaaten gegen den Vertrag verstossende Maßnahmen erlassen oder beibehalten wurden" (aber weder die Maßnahmen noch die Mitgliedstaaten werden benannt), wegen des Erfordernisses (das jedoch allgemeiner Art ist) erfolgt sei, "alle Aspekte des Marktes der Telekommunikations-Endgeräte in einer einzigen kohärenten Maßnahme zusammenzufassen, die geeignet ist, ihr die weitere wirksame Ausübung der Überwachungspflicht zu ermöglichen" (Klagebeantwortung, S. 30);
- die Kommission im Hinblick auf die bedeutenden technischen Entwicklungen im Bereich der Telekommunikation in den letzten Jahren und auf die wachsende Anzahl von Beanstandungen "möglicher Verstösse" gegen die Vorschriften über den freien Warenverkehr und den Wettbewerb "sich nicht auf punktülle rein repressive Maßnahmen gegen die festgestellten oder vermuteten Verstösse beschränken wollte, sondern im Gegenteil nach eingehender Prüfung des Marktes und der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in ihren Beziehungen mit den
Telekommunikationsunternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt haben, konkretisieren wollte" (Gegenerwiderung, S. 19; Hervorhebungen durch mich).
48. Diese letztere Bemerkung der Kommission scheint mir die Zielsetzung, mit der das Organ gehandelt hat, ins rechte Licht zu rücken; diese geht also über die im Vertrag vorgesehene Aufsichtsbefugnis hinaus oder lässt sie sogar ausser acht. Und zwar mit dem Ziel, eine generelle und abstrakte Regelung für den betroffenen Wirtschaftszweig zu treffen ("die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten konkretisieren"), was die Grenzen des Artikels 90 Absatz 3 überschreitet und in die Zuständigkeit des Rates fällt.
Ausserdem hat der Vertreter der Kommission in der mündlichen Verhandlung auf die präzise Frage, ob die Kommission vorhabe, im Fall einer Verletzung des Artikels 30 durch eine öffentliche Einrichtung, die ein ausschließliches Recht innehabe, mit dem Verfahren nach Artikel 169 oder aber durch die Beseitigung der öffentlichen Einrichtung nach Artikel 90 Absatz 3 zu reagieren, sehr wohl geantwortet, daß es, um Artikel 90 Absatz 3 seine praktische Wirksamkeit zu verschaffen, "erforderlich ist, über das hinauszugehen, was eine reine Vertragsverletzungsklage bewirken kann"; er hat also nicht den Erlaß einer Maßnahme ausgeschlossen, deren Inhalt die Abschaffung der öffentlichen Einrichtung sein könnte, die ausschließliche oder besondere Rechte innehat.
49. Dies kann mit dem wesentlichen Kern des Standpunkts der Kommission in Zusammenhang gebracht werden, sie habe keineswegs eine Regelungs- oder Rechtsetzungsbefugnis im eigentlichen Sinn ausgeuebt, sondern sich darauf beschränkt, in Übereinstimmung mit der Ausübung der Aufsichtsbefugnis und -pflicht, die ihr der Vertrag in diesem Bereich auferlege, bestehende Verstösse abzustellen und zukünftigen Verstössen vorzubeugen. Nun muß aber auch bei einer solchen bewusst einschränkenden Darstellung selbstverständlich geklärt werden, was es heisst, zukünftigen Verstössen vorzubeugen, denn je nach dem Inhalt und der Bedeutung, die die Kommission der präventiven Maßnahme zuschreibt, wird die Beurteilung sehr unterschiedlich ausfallen. Sicherlich wird das Ergebnis der Vorbeugung in zufriedenstellender und endgültiger Weise dadurch erreicht, daß die Rechtslage, die geeignet ist, Vertragsverstösse zu fördern, beseitigt wird; aber es ist recht zweifelhaft, ob dies eine rein präventive Tätigkeit ist, ebenso wie ich auch nicht sicher wäre, daß es eine Vorbeugung gegen Verletzungen des für die Mitgliedstaaten geltenden Verbots, Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle einzuführen, darstellen würde, wenn man ... das Abgaben"monopol" der Mitgliedstaaten abschaffen würde, oder wenn zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen die Auflösung der ersteren angeordnet würde.
50. Die Annahme, daß sich die angefochtene Richtlinie auf einer anderen Ebene als der der reinen Beseitigung bestehender Verstösse und der Vorbeugung gegen zukünftige Verstösse bewege, halte ich somit für völlig begründet. Im übrigen wurde sie auch vom Europäischen Parlament in diesem Sinn ausgelegt (siehe z. B. die Entschließung vom 23. November 1989 zu der "parallelen" Richtlinie über die Telekommunikationsdienste, EP 136.784); sie wurde sogar offiziell von der Kommission selbst in einer Mitteilung vom 9. Februar 1988 im Rahmen einer Reihe von Rechtsetzungsinitiativen angekündigt (18).
Die grundlegend von dem klagenden Mitgliedstaat und insbesondere von einigen dem Streit beigetretenen Regierungen aufgeworfene Frage, ob der Kommission eine Rechtsetzungsbefugnis zuerkannt werden kann, die sich, unabhängig von dem Vorliegen von Verstössen, in einer anderen Regelung des uns hier beschäftigenden Wirtschaftszweigs konkretisiert, ist also meines Erachtens mit Sicherheit zu verneinen.
51. Erstens kann meines Erachtens nicht von den völlig eindeutigen Feststellungen des Gerichtshofes in dem Urteil über die "Transparenz"-Richtlinie abgesehen werden: Die der Kommission nach Artikel 90 Absatz 3 zukommende Befugnis ist "auf den Erlaß der Richtlinien und Entscheidungen beschränkt, die erforderlich sind, um die der Kommission in diesem Absatz übertragene Überwachungsaufgabe wirkungsvoll zu erfuellen" (Randnr. 13); und dies im Unterschied zu den dem Rat eingeräumten Befugnissen, da "Artikel 94 den Rat [ermächtigt], alle zweckdienlichen Durchführungsverordnungen zu den Artikeln 92 und 93 zu erlassen" (Randnr. 13).
Aus dem so aufgestellten Grundsatz kann ohne weiteres abgeleitet werden, daß die Kommission im Gegensatz zum Rat nicht befugt ist, alle zum Zwecke der Anwendung des Artikels 90 Absatz 1 (soweit hier von Bedeutung) geeigneten Maßnahmen zu erlassen, sondern nur solche Maßnahmen, die für eine wirksamere Erfuellung der Aufsichtspflicht erforderlich werden. Damit ist der Kommission mit Sicherheit keine Rechtsetzungsbefugnis zu dem Zweck zuerkannt, aufgrund der Annahme der Möglichkeit von Verstössen in einem bestimmten Bereich und mittels einer an alle Mitgliedstaaten unterschiedslos gerichteten Maßnahme die Grenzen der Rechtmässigkeit des Verhaltens der Staaten selbst festzulegen und auf dieser Grundlage gleichzeitig die Abschaffung eines Monopols oder eines Systems ausschließlicher Rechte vorzuschreiben. Der Gerichtshof hat nämlich anerkannt, daß die Kommission Richtlinien und Entscheidungen erlassen kann, die für die Erfuellung der Aufsichtspflicht erforderlich sind, und nicht, daß sie die Voraussetzungen für die Erfuellung dieser Pflicht an sich beseitigen kann.
52. In diesem Zusammenhang scheint es mir nützlich, an die Schlussanträge von Generalanwalt Reischl in der Rechtssache über die "Transparenz"-Richtlinie zu erinnern, in denen er, nachdem er verneint hat, daß eine Alternative zwischen Artikel 169 und Artikel 90 Absatz 3 bestehe, betont, daß die Zuständigkeit der Kommission auf die Anwendung des Artikels 90 beschränkt sei, was gewährleiste, "daß die Kommission im Rahmen ihrer Überwachungsaufgaben nur solche Rechtsakte erlassen kann, die sich durch einen instrumentalen, technischen Charakter auszeichnen", während sich die des Rates auf den Erlaß von Durchführungsvorschriften zur Ergänzung und Konkretisierung der vertraglichen Normen erstrecke; diese Beschränkung trage der dem EWG-Vertrag zugrunde liegenden "Balance of power" Rechnung und erkläre auch das Fehlen der für ein Rechtsetzungsverfahren üblichen Verfahrensgarantien, wie getrenntes Initiativrecht und Anhörung des Parlaments; schließlich könne die Kommission, auch im Lichte des Artikels 222, "keine allgemeine Kompetenz zur Begründung eines Sonderstatus für öffentliche Unternehmen beanspruchen" (Slg. 1983, 2584 ff.).
53. Zweitens darf die systematische Stellung des Artikels 90, der nicht zufällig unter die auf die Unternehmen anwendbaren Wettbewerbsregeln und nicht in den institutionellen Teil eingeordnet ist, nicht ausser acht gelassen werden.
Der Komplex der Wettbewerbsregeln (Artikel 85 bis 94) ist so strukturiert, daß die Möglichkeit, die Bedingungen für die Durchführung der Vertragsbestimmungen, möglicherweise durch deren Ergänzung, näher zu regeln, dem Rat vorbehalten ist, während die Kommission eine Überwachungs- und Durchführungskompetenz erhält.
Hierzu genügt der Hinweis, daß Artikel 87 Absätze 1 und 2 dem Rat unter anderem die Befugnis gibt, gegebenenfalls den Anwendungsbereich der Artikel 85 und 86 für die einzelnen Wirtschaftszweige näher zu bestimmen (siehe insbesondere die Verordnung Nr. 141 des Rats über die Nichtanwendung der Verordnung Nr. 17 des Rats auf den Verkehr, ABl. Nr. 124 vom 28. 11. 1962, S. 2751).
Entsprechend kommt die Befugnis zu der Entscheidung, daß eine staatliche Beihilfe in Abweichung von den Bestimmungen des Artikels 92 als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen ist, wenn aussergewöhnliche Umstände eine solche Entscheidung rechtfertigen, dem Rat zu.
Die einzige scheinbare Ausnahme von dieser von den Verfassern des Vertrages verfolgten Linie ist die Befugnis, die Artikel 91 Absatz 2 Satz 2 der Kommission im Bereich von Dumping-Praktiken (innerhalb des Gemeinsamen Marktes) überträgt; sie "erlässt geeignete Regelungen zur Anwendung dieses Absatzes". Aber dies ist eine nur scheinbare Ausnahme, da es sich in Wirklichkeit um eine reine Befugnis zum Erlaß von Durchführungsbestimmungen handelt (Empfehlungen der Kommission Nr. 8 vom 11. März 1960 und Nr. 21 vom 25. März 1960).
54. Schließlich ist unbestritten, daß sich die Aufsichtsbefugnis nach Artikel 90 Absatz 3 auf den ersten Gedankenstrich des Artikels 155 ("für die Anwendung dieses Vertrages ... Sorge zu tragen") und nicht auf den dritten Gedankenstrich ("in eigener Zuständigkeit Entscheidungen zu treffen") bezieht. Es steht also fest, daß die Befugnis zum Erlaß von Entscheidungen und Richtlinien nur streng funktional im Verhältnis zur Aufsichtspflicht sein kann und nicht zu einem Rechtsakt mit allgemeinem normativem Inhalt führen darf, durch den die Organisation eines bestimmten Wirtschaftszweigs im Sinne der Beseitigung eines öffentlichen Systems besonderer oder ausschließlicher Rechte geregelt wird.
Andererseits ergibt sich aus der hohen Zahl der von der Kommission selbst und insbesondere vom Rat im Laufe der letzten Jahre abgegebenen Stellungnahmen und getroffenen Maßnahmen im Bereich der Telekommunikation, von denen ich nur einige Ausformungen erwähnt habe, insgesamt ein im wesentlichen programmatisches Bild, von dem begründeterweise angenommen werden kann, daß seine natürliche kurzfristige Entwicklung zur, diesmal zwingenden, Regelung dieses Bereichs führen wird, also zu einer Regelung
mittels eines Rechtsetzungsverfahrens, das durch Vorschläge der Kommission in Gang gesetzt und unter Beteiligung des Europäischen Parlaments vom Rat abgeschlossen werden wird. In diesem Bild, das im übrigen keine wesentlichen Kontraste hinsichtlich des sachlichen Gehalts der Liberalisierung aufweist, erscheint die von der Kommission im Alleingang erlassene Richtlinie, mit der sie "nach eingehender Prüfung des Marktes und der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in ihren Beziehungen mit den Telekommunikationsunternehmen ... konkretisieren wollte", als eine anomale Vorwegnahme des laufenden Rechtsetzungsverfahrens, da die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die allgemeinen Vertragsbestimmungen noch nicht festgelegt oder "konkretisiert" worden waren. Dies erklärt im übrigen auch die Unzulänglichkeit einer Begründung.
55. Die Bezugnahme der Klägerin auf Artikel 4 und auf den Grundsatz der Befugniszuweisung sowie auf das institutionelle Gleichgewicht ist somit nicht unbegründet. Der Erlaß einer normativen Maßnahme durch die Kommission, die, sei es auch zur Vorbeugung gegen Verstösse, die Voraussetzungen der Präsenz des Staates in einem bestimmten Wirtschaftszweig an sich verändert, verschiebt meines Erachtens die institutionellen Gewichte und kann somit vom Gerichtshof nicht als rechtmässig anerkannt werden.
Antrag
56. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Artikel 2, 6 und 7 sowie, soweit erforderlich, Artikel 9 der Richtlinie 88/301/EWG der Kommission vom 16. Mai 1988 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte für nichtig zu erklären und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
(*) Originalsprache: Italienisch.
(1) ABl. L 131, S. 73.
(2) Verbundene Rechtssachen 188/90 bis 190/90, Slg. 1982, 2545.
(3) Rechtssache 226/87, Slg. 1988, 3611.
(4) Entschließung vom 14. Dezember 1988 zur Notwendigkeit, die Zersplitterung im Bereich der Telekommunikation zu überwinden, Punkt 8, im ABl. C 12 vom 16. . 1989, S. 66.
(5) Siehe Agence de l' Europe vom 13. Oktober 1989, S. 13, sowie vom 9. Dezember 1989, S. 7.
(6) Siehe z. B. Dok. KOM(88) 48 endg., Mitteilung vom 9. Februar 1988.
(7) Urteil vom 3. Februar 1976 in der Rechtssache 59/75, Slg. 1976, 91.
(8) Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Slg. 1974, 409.
(9) Urteil vom 3. März 1979 in der Rechtssache 91/78, Slg. 1979, 935.
(10) Siehe neben den schon genannten Urteilen das Urteil vom 9. Mai 1985 in der Rechtssache 21/84, Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 1355; das Urteil vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 311/84, Telemarketing, Slg. 1985, 3261, Randnr. 17; das Urteil vom 4. Mai 1988 in der Rechtssache 30/87, Bodson, Slg. 1988, 2479.
(11) Rechtssache 78/82, Slg. 1983, 1955.
(*) Anmerkung des Übersetzers: Der Generalanwalt bezieht sich hier auf Formulierungen im italienischen Tex der Richtlinie, die in der deutschen Fassung der wiedergegebenen Passagen keine Entsprechung haben.
(12) Entscheidung vom 24. April 1985, ABl. L 152, S. 25, die der Rechtssache 226/87, a. a. O., zugrunde liegt.
(13) Entscheidung vom 22. Juni 1987, ABl. L 194, S. 28.
(14) Entscheidung vom 12. Januar 1990, ABl. L 10, S. 47.
(15) Dok. C(89) 671 endg. Die Richtlinie wurde noch nicht bekanntgemacht.
(16) ABl. L 217, S. 21.
(17) ABl. C 257, S. 1.
(18) Dok. KOM(88) 48 endg.