EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61986CC0232

Schlussanträge des Generalanwalts Mancini vom 8. Oktober 1987.
Nicolet Instrument GmbH gegen Hauptzollamt Berlin-Packhof.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Berlin - Deutschland.
GZT - Zollbefreiung für wissenschaftliche Geräte - Überdimensionierte Leistungsfähigkeit eines in der Gemeinschaft hergestellten Gerätes.
Rechtssache 232/86.

Sammlung der Rechtsprechung 1987 -05025

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1987:434

61986C0232

Schlussanträge des Generalanwalts Mancini vom 8. Oktober 1987. - NICOLET INSTRUMENT GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT BERLIN-PACKHOF. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM FINANZGERICHT BERLIN. - GZT - ZOLLBEFREIUNG FUER WISSENSCHAFTLICHE GERAETE - WISSENSCHAFTLICHE GLEICHWERTIGKEIT. - RECHTSSACHE 232/86.

Sammlung der Rechtsprechung 1987 Seite 05025


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Sie sind wieder einmal mit der Auslegung der Gemeinschaftsregelung über die Freistellung von den Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs ( GZT ) für wissenschaftliche Geräte befasst worden . Im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Firma Nicolet Instrument GmbH und dem Hauptzollamt Berlin-Packhof stellt Ihnen das Finanzgericht Berlin die Frage, ob die Zollbefreiung abgelehnt werden kann, wenn ein in der Gemeinschaft hergestelltes Gerät vorhanden ist, das zwar für ein Forschungsvorhaben geeignet ist, dem eingeführten Gerät aber in so hohem Masse überlegen ist, daß es die objektiven Anforderungen des Vorhabens bei weitem übersteigt .

Zum Sachverhalt . Die Klägerin des Ausgangsverfahrens führte aus den USA das Fourier-Transform-Infrarot-Spektrometersystem Modell MX-1 mit Zubehör ein und verkaufte es an das Robert-Koch-Institut des Bundesgesundheitsamtes in Berlin ( West ), das es für Untersuchungen an bakteriellen Lebewesen benötigte . In dem Antrag auf zollfreie Einfuhr erklärte die Klägerin, Geräte von gleichem wissenschaftlichen Wert würden weder in Deutschland noch in den übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hergestellt . Der Beklagte des Ausgangsverfahrens lehnte jedoch den Antrag mit der Begründung ab, es seien zumindest zwei gleichwertige Geräte vorhanden, die beide von der Firma Bruker Analytische Messtechnik GmbH hergestellt würden . Gegen diesen Bescheid ( vom 23 . Februar 1982 ) legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein und erhob daraufhin Klage vor dem Finanzgericht Berlin .

Dort trug die Klägerin vor, die beiden deutschen Geräte IFS 110 und IFS 85 könnten nicht als dem amerikanischen Gerät gleichwertig angesehen werden, da ihre Leistungsfähigkeit deutlich höher sei und sie daher im Hinblick auf die für die Experimente des Berliner Instituts erforderlichen Leistungen überproportioniert seien : Für die Experimente sei nämlich ein Auflösungsvermögen im Umfang von zwei bis vier Auflösungselementen erforderlich, während das Auflösungsvermögen für die viel teureren IFS 110 und IFS 85 bis 0,2 und 0,5 reiche . Der Beklagte berief sich zu seiner Verteidigung auf den Wortlaut der Gemeinschaftsverordnung, wonach die über die Anforderungen des Forschungsvorhabens hinausgehende Leistungsfähigkeit bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit nicht berücksichtigt werden könne .

Mit Beschluß vom 27 . Juni 1986 hat der Siebte Senat des Finanzgerichts Berlin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof nach Artikel 177 EWG-Vertrag folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist ein Gerät im Sinne der Verordnung Nr . 1798/75 des Rates 'wissenschaftlich gleichwertig' , wenn es zwar zur Durchführung des Forschungsvorhabens verwendet werden kann, es in seiner Leistungsfähigkeit aber derart überdimensioniert ist, daß bei objektiver Überlegung eine Anwendung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen wird?"

Im vorliegenden Verfahren haben die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Regierung der Niederlande und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften Erklärungen eingereicht . In der mündlichen Verhandlung ist nur die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erschienen .

2 . Bekanntlich wurden die Kriterien, nach denen die Gleichwertigkeit wissenschaftlicher Geräte zu beurteilen ist, in der Verordnung Nr . 1798/75 des Rates vom 10 . Juli 1975 über die von den Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs befreite Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters ( ABl . L*184, S.*1 ) aufgestellt . Diese Verordnung wurde durch die Verordnung Nr . 1027/79 des Rates vom 8.*Mai 1979 ( ABl . L*134, S.*1 ) geändert und durch die am 1.*Januar 1980 in Kraft getretene Verordnung Nr . 2784/79 der Kommission vom 12 . Dezember 1979 ( ABl . L*318, S.*32 ) ergänzt .

Nach Artikel 3 Absatz 3 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 1798/75 ( in ihrer geänderten Fassung ) ist die Gleichwertigkeit zu ermitteln, "indem die wesentlichen technischen Merkmale des ... Geräts, dessen zollfreie Einfuhr ... beantragt worden ist, und des entsprechenden, in der Gemeinschaft hergestellten ... Geräts miteinander verglichen werden, um festzustellen, ob sich das letztgenannte zu denselben wissenschaftlichen Zwecken eignet und ob es in vergleichbarer Weise gebraucht werden kann wie das ... (( erste )) Gerät ". Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr . 2784/79 bestimmt dazu, daß "bei dem Vergleich ... nur die technischen Merkmale als 'wesentlich' berücksichtigt (( werden )), die die Ergebnisse der spezifischen Vorhaben entscheidend beeinflussen können", während der Umstand, daß ein Gerät "höherwertige Leistungen erbringen kann, als sie für die Durchführung ... (( dieser Vorhaben )) erforderlich sind", nicht zu berücksichtigen ist .

3 . Der Streit konzentriert sich gerade auf die letztgenannte Vorschrift . Das vorlegende Gericht vertritt nämlich eindeutig die Auffassung, daß bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit der Verhältnismässigkeitsgrundsatz nicht ausser Betracht bleiben dürfe; die Klägerin pflichtet dem bei und fügt hinzu, ein Forschungsvorhaben mit unangemessenen Mitteln durchzuführen, widerspreche zugleich den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der wissenschaftlichen Methodik . Dagegen ist es nach Ansicht der niederländischen Regierung und der Kommission dem zukünftigen Recht vorbehalten, diese Auffassung zu bestätigen . So, wie die Lage heute sei, verbiete die maßgebliche Vorschrift die Berücksichtigung der "höherwertigen Leistungen", die einem Gerät, gleich, ob es in der Gemeinschaft hergestellt oder eingeführt worden sei, bescheinigt worden seien : Dies genüge, um die Vorabentscheidungsfrage zu bejahen .

Ich möchte sogleich bemerken, daß die erste Auffassung meines Erachtens vorzuziehen ist . Ich meine also, daß es bereits heute möglich ist, die streitige Regelung anzuwenden, ohne ihren Sinn oder Wortlaut zu entstellen und gleichzeitig ohne in Widerstreit mit den Anforderungen der Forschung und mit den Budgets der wissenschaftlichen Einrichtungen zu geraten .

Beginnen wir mit einer selbstverständlichen Feststellung . Die grössere Leistungsfähigkeit eines Geräts allein genügt sicherlich nicht, um seine Gleichwertigkeit zu verneinen, und zwar auch in dem Fall, daß sich das in der Gemeinschaft hergestellte Gerät als überdimensioniert erweist ( den entgegengesetzten Fall betrifft das Urteil vom 25 . Oktober 1984 in der Rechtssache 185/83, Universität Groningen/Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen, Slg . 1984, 3623, Randnr . 33 der Entscheidungsgründe ). Zu diesem Ergebnis führt im übrigen nicht nur der Wortlaut des Artikels 5 Absatz 2, sondern auch ein unwiderlegbarer Gegenschluß : Wenn das Gemeinschaftsgerät nicht unter die Vorschrift fiele, wären für den Vergleich auch diejenigen Merkmale "wesentlich", die nicht "die Ergebnisse der ... (( Forschungsvorhaben )) entscheidend beeinflussen können", so daß die Zahl der Fälle, in denen das Gerät nicht als gleichwertig angesehen würde, ausserordentlich zunehmen würde .

Es ist also nicht dieser Punkt, mit dem Sie das vorlegende Gericht befasst . Es möchte vielmehr wissen, ob die Regel, nach der höherwertige Leistungen keine Bedeutung haben, dort ihre Grenze findet, wo der Vergleich von Geräten unmöglich ist, weil ihre Leistungsfähigkeit in einem derartigen Mißverhältnis zueinander steht, daß die Verwendung des einen Geräts statt des anderen "vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen" werden kann . Ich meine, daß es diese Grenze gibt und daß dafür zumindest zwei Textstellen sprechen .

Die erste findet sich in der ersten Begründungserwägung der Verordnung Nr . 1798/75, mit der die Absicht der "Erleichterung ... der wissenschaftlichen Forschung in der Gemeinschaft" zum Ausdruck gebracht wird . Der Vorrang der Gemeinschaftserzeugnisse wird alsodurch die Belange der Wissenschaft abgeschwächt; diesen Belangen wird zweifellos nicht angemessen Rechnung getragen, wenn sich die Ablehnung der Zollbefreiung auf das Vorhandensein von Geräten stützt, deren Einsatz zur Durchführung eines bestimmten Vorhabens einem Forscher nicht im Traum einfallen würde . Als zweite Textstelle ist Artikel 3 Absatz 3 dritter Gedankenstrich derselben Verordnung zu nennen, wonach, wie wir gesehen haben, das eingeführte Gerät mit dem "entsprechenden, in der Gemeinschaft hergestellten" Gerät zu vergleichen ist, um festzustellen, ob das letztgenannte "in vergleichbarer Weise gebraucht werden kann ". Diese Adjektive besagen nach meiner Meinung eindeutig, daß die beiden Gegenstände zur selben oder zu vergleichbaren Kategorien gehören müssen; das heisst, sie müssen so beschaffen sein, daß der Vergleich zwischen den entsprechenden Merkmalen immerhin noch einen Sinn ergibt .

Der Grundsatz des Artikels 5 Absatz 2 ist daher unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen auszulegen . Mit anderen Worten, die eventuell höhere Leistungsfähigkeit dieses oder jenes Geräts ist zwar unerheblich; unerheblich aber nur insoweit, als es sich um Geräte handelt, von denen das eine nur ausgeklügelter oder leistungsfähiger ist als das andere . Dagegen kann man nicht von Unerheblichkeit sprechen, wenn die grössere Vervollkommnung und höhere Leistungsfähigkeit dazu führen, daß die Geräte nicht vergleichbar oder nicht austauschbar sind . Hier fehlen nämlich gerade die Voraussetzungen für die Feststellung der Gleichwertigkeit; streng genommen sind die beiden Geräte nicht nur nicht gleichwertig, sondern einem Vergleich überhaupt nicht zugänglich .

Die von mir vorgeschlagene Auslegung liegt im übrigen auf der Linie der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in der dem Kriterium der Verhältnismässigkeit stets Rechnung getragen worden ist . Nur diese Auslegung kann im übrigen paradoxe Ergebnisse vermeiden, deren Unsinnigkeit man vollkommen begreift, wenn man den manchmal nebelhaften Bereich der Rechtsbegriffe verlässt und zu Analogien aus dem täglichen Leben greift . Ein Beispiel : Wie ist das Argument zu beurteilen, daß ein BMW 735 und ein Pferd gleichwertig seien, nur weil man mit beiden Fortbewegungsmitteln die Entfernung zwischen den beiden Enden des Kurfürstendamms zurücklegen kann?

4 . Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen schlage ich Ihnen vor, auf die Ihnen vom Siebten Senat des Finanzgerichts Berlin in dem vor diesem anhängigen Rechtsstreit zwischen der Firma Nicolet Instrument GmbH und dem Hauptzollamt Berlin-Packhof anhängigen Rechtsstreit mit Beschluß vom 27 . Juni 1986 vorgelegte Frage wie folgt zu antworten :

"Die Verordnung Nr . 1798/75 des Rates und die Verordnung Nr . 2784/79 der Kommission sind dahin gehend auszulegen, daß bei der Beurteilung nach Artikel 3 Absatz 3 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 1798/75 die blosse höhere Leistungsfähigkeit eines Geräts, auch eines in der Gemeinschaft hergestellten, in bezug auf ein spezifisches Vorhaben unerheblich ist; dagegen lässt sich ein Gerät nicht als wissenschaftlich gleichwertig ansehen, wenn es bei objektiver Prüfung für das konkrete Forschungsvorhaben so überdimensioniert erscheint, daß seine Verwendung für dieses Vorhaben vernünftigerweise in keinem Fall in Betracht kommen kann ."

(*) Aus dem Italienischen übersetzt .

Top