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Document 61985CC0058

    Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 27. Februar 1986.
    Ethicon GmbH gegen Hauptzollamt Itzehoe.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
    Zollaussetzung - Spinnfäden aus Polyglykolsäure.
    Rechtssache 58/85.

    Sammlung der Rechtsprechung 1986 -01131

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1986:95

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    JEAN MISCHO

    vom 27. Februar 1986 ( *1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    Der Bundesfinanzhof ersucht Sie gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag um Vorabentscheidung über die Auslegung und hilfsweise über die Gültigkeit der Verordnungen Nrn. 1162/79 ( 1 ) und 1481/80 ( 2 ) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für einige industrielle Waren, soweit diese Verordnungen „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ der Tarifstelle ex 51.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) betreffen.

    Die Ethicon GmbH, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, führte von Januar bis September 1980 Garn mit der Bezeichnung Polyglactin 910 ein, das zu 90 % aus Polyglykolsäure und zu 10 % aus Milchsäure (Lactid) zusammengesetzt war. Dieses Garn wird in der Gemeinschaft zur Herstellung chirurgischer Nähmittel verwendet.

    Bei der Zollabfertigung wies das Hauptzollamt Itzehoe, der Beklagte des Ausgangsverfahrens, dieses Garn der Tarifstelle 51.01 A des GZT zu und erhob Zoll nach dem Satz von 9 %.

    Die Klägerin erhob gegen die Zollbescheide Klage, da sie der Meinung war, ihr müsse die für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ derselben Tarifstelle geltende Zollbefreiung gewährt werden.

    Die in Rede stehende Zollaussetzung wurde gemäß Artikel 28 EWG-Vertrag erstmals durch die Verordnung Nr. 2990/74 des Rates vom 26. November 1974, die am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, eingeführt ( 3 ).

    Sie wurde in der Folgezeit regelmäßig verlängert. Zur Zeit der Einfuhren, für die die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Zollbefreiung beantragt, waren die Verordnungen Nr. 1162/79 (vom 1. Juli 1979 bis 30. Juni 1980) und Nr. 1481/80 (vom 1. Juli 1980 bis 30. Juni 1981) in Kraft.

    Auf Anregung der Klägerin des Ausgangsverfahrens führte der Rat mit seiner Verordnung Nr. 2916/80 vom 11. November 1980 ( 4 ), die am 13. November 1980 in Kraft getreten ist, eine Zollaussetzung auch für das von der Klägerin importierte Erzeugnis ein.

    Diese Zollaussetzung, die zu derjenigen für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ hinzukam, war wie folgt formuliert:

    „ex 51.01 A: Spinnfäden mit einem Gehalt an Polyglykolsäure von nicht weniger als 88 %.“

    Mit Wirkung vom 1. Juli 1981 ( 5 ) wurde der Wortlaut dieser Aussetzung wie folgt geändert:

    „ex 51.01 A: Spinnfäden aus einem Mischpolymerisat aus Glykol- und Milchsäure, zum Herstellen von chirurgischen Nähmitteln.“

    In einer Fußnote dazu heißt es, daß die Überwachung der zweckentsprechenden Verwendung nach den einschlägigen Gemeinschaftsbestimmungen erfolgt.

    Es scheint festzustehen, daß beide Erzeugnisse dieselben Eigenschaften haben und zur Herstellung chirurgischer Nähmittel verwendet werden. Dafür, daß das von der Klägerin importierte Erzeugnis auch aus Milchsäure besteht, sind patentrechtliche Gründe ausschlaggebend. Diese spielen jedoch für das vorliegende Verfahren keine Rolle.

    Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in Betracht kommende Zollaussetzung erfasse „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ der Tarifstelle ex 51.01 A, nicht aber die streitbefangenen Waren, die erst durch die seit dem 13. November 1980 geltende Zollaussetzung nach der bereits angesprochenen Verordnung Nr. 2916/80 begünstigt worden seien.

    Auf die von der Klägerin gegen dieses Urteil eingelegte Revision hat der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof die folgenden drei Fragen vorgelegt:

    1)

    Ist die Zollaussetzung für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ der Tarifstelle ex 51.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs gemäß den Verordnungen (EWG) Nr. 1162/79 des Rates vom 12. Juni 1979 (ABl. L 147 vom 15. 6. 1979, S. 1) und Nr. 1481/80 vom 9. Juni 1980 (ABl. L 148 vom 14. 6. 1980, S. 1), beide zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für einige industrielle Waren, entgegen dem Wortlaut, jedoch unter Berücksichtigung ihres auch in späteren Aussetzungsregelungen zum Ausdruck gelangten Zwecks dahin auszulegen, daß sie auch zur Herstellung chirurgischen Nahtmaterials bestimmte Fäden mit einem Gehalt an Polyglykolsäure von 90 % und einer für die Eigenschaften und die Verwendung dieser Erzeugnisse unerheblichen Beimischung von 10% Lactid (Milchsäure) umfaßt?

    2)

    Bei Verneinung der Frage 1: Ist die in der Frage 1 bezeichnete Zollaussetzung wegen Verstoßes gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot ungültig, weil sie lediglich für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ gilt, nicht aber für Fäden aus 90 % Polyglykolsäure und 10 % Lactid, die dieselben Eigenschaften und denselben Verwendungszweck haben wie die von einem Konkurrenten des Einfuhr- und Herstellungsunternehmens eingeführten und verarbeiteten Fäden mit 100 % Polygly-kolsäure-Gehalt?

    3)

    Bei Verneinung der Frage 2: Welche Folgen ergeben sich aus der Ungültigkeit der in der Frage 1 bezeichneten Zollaussetzung?

    Der der Rechtssache 58/85 zugrunde liegende Sachverhalt weist offensichtlich eine große Ähnlichkeit mit dem Sachverhalt in der Rechtssache 227/84 auf, die einen Rechtsstreit zwischen der Texas Instruments Deutschland GmbH und dem Hauptzollamt München-Mitte zum Gegenstand hatte (Urteil des Gerichtshofes vom 14. November 1985, Slg. 1985, 3639).

    In der Rechtssache Texas Instruments wurde eine Aussetzung der Zollsätze, die durch eine erste Verordnung des Rates zunächst für elektronische Speicher („Eproms“) mit einer bestimmten Gehäuseabmessung gewährt worden war, später auf elektronische Speicher desselben Typs, aber mit größerer äußerer Abmessung erstreckt. Das vorlegende Gericht hatte den Gerichtshof gefragt, ob die erste Verordnung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstoße, da sie die Zollfreiheit von der Gehäuseabmessung abhängig mache. Der Gerichtshof hat diese Frage verneint.

    In der vorliegenden Rechtssache enthält der Vorlagebeschluß jedoch nicht genau denselben rechtlichen Ansatz, denn der Bundesfinanzhof wirft in erster Linie die Frage einer weiten Auslegung der einschlägigen Verordnungen auf.

    Die Frage nach der Gültigkeit dieser Verordnungen wird nur hilfsweise gestellt.

    Daher kann ich nicht ohne eingehende Prüfung vorschlagen, diese Rechtssache auf der Grundlage des in der Rechtssache Texas Instruments ergangenen Urteils zu entscheiden.

    I — Zur Auslegung der Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 (erste Frage)

    Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht geltend, der Rat habe innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Frist die Verordnung Nr. 2916/80 erlassen, um eine Zollaussetzung auch für Polyglactin 910 zu gewähren, und mit der Verordnung Nr. 1533/81 (ABl. 1981, L 155, S. 1 und 4) die Beschreibung des zollfreien Erzeugnisses durch Hinzufügung der Worte „zum Herstellen von chirurgischen Nähmitteln“ geändert. Damit habe er zu erkennen gegeben, daß er von Anfang an, somit bereits seit 1971, nicht nur die ausdrücklich genannten „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“, sondern alle synthetischen Spinnfäden zur Herstellung von chirurgischen Nähmitteln, auch wenn ihr Gehalt an Polyglykolsäure weniger als 100 % betragen habe, mit der Zollaussetzung habe begünstigen wollen. Dem Rat sei es, mit anderen Worten, auf die Verwendung des Erzeugnisses und nicht auf dessen chemische Zusammensetzung angekommen. Diese Zielsetzung ergebe sich auch aus den Begründungserwägungen der in Rede stehenden Verordnungen, in denen auf die Notwendigkeit hingewiesen werde, „den Bedarf der verarbeitenden Industrien der Gemeinschaft... [zu] decken“.

    Schließlich verweisen die Klägerin und der Bundesfinanzhof auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 292/82 (Merck/Hauptzollamt Hamburg-Jonas, Slg. 1983, 3781), in dem der Gerichtshof anerkannt habe, daß „bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen [ist], sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden“.

    Es sei deshalb zulässig, die streitigen Verordnungen entgegen ihrem Wortlaut, aber unter Berücksichtigung ihrer Zielsetzung auszulegen.

    Was ist von diesen Argumenten zu balten?

    1.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Wortlaut der Zollaussetzung für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ völlig klar ist. Er erfaßt eindeutig nur Spinnfäden, die zu 100 % aus Polyglykolsäure bestehen. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, daß eine Auslegung des Wortlauts der Zollaussetzung zu keinem anderen Ergebnis führen kann.

    Ausnahmen vom Gemeinsamen Zolltarif dürfen aber nur eng und allein auf der Grundlage der Allgemeinen Tarifierungsvorschriften zum Schema des Gemeinsamen Zolltarifs ausgelegt werden.

    Ich teile die Sichtweise der Kommission, die auf Seite 7 ihres Schriftsatzes vom 8. Mai 1985 ausführt: „Der Versuch, sich aus Billigkeitserwägungen des Einzelfalles über den klaren Tariftext hinwegzusetzen, bedeutet, den Tarif nicht mehr aus sich selbst heraus und für alle Fälle einheitlich auszulegen und anzuwenden, sondern in seiner Tragweite von vornherein an die wirtschaftlichen Bedürfnisse einzelner Importeure zu binden. Damit verlöre die Tarifnomenklatur ihre objektive Verläßlichkeit und würde ihrer Ordnungsfunktion nicht mehr gerecht. Der GZT sieht gerade deshalb spezifische und feste Tarifierungsregeln vor, um eine mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit unvereinbare subjektive Relativierung der Tarifauslegung zu verhindern.“

    Es liefe in der Tat der Rechtssicherheit zuwider, wenn bei allen Erzeugnissen, die unter eine gemäß Artikel 28 ergangene Entscheidung fallen, die etwaige Ausdehnung dieser Entscheidung im Wege der Auslegung auf andere Erzeugnisse, die demselben Verwendungszweck dienen können, geprüft und womöglich gar zugelassen werden müßte.

    Es bleibt zu untersuchen, ob den Umständen des vorliegenden Falles objektive Anhaltspunkte dafür entnommen werden können, daß der Rat möglicherweise etwas anderes sagen wollte, als er tatsächlich gesagt hat.

    2.

    Für eine weite Auslegung der Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 läßt sich weder aus dem Wortlaut ihrer Begründungserwägungen noch aus den Begründungserwägungen der Verordnungen Nrn. 2916/80 und 1533/81 etwas herleiten.

    Wie sich aus den Erklärungen des Rates und der Kommission in der Rechtssache 227/84 (Texas Instruments, Randnr. 9 der Entscheidungsgründe) ergibt, werden pro Jahr normalerweise für mehr als tausend Waren Zollaussetzungen gewährt.

    Der Wortlaut der Begründungserwägungen dieser Verordnungen ist, soweit ich feststellen konnte, immer gleich.

    Die Zollaussetzungen werden stets damit begründet, daß die betreffenden Waren in der Gemeinschaft nicht oder nur in unzureichender Menge hergestellt würden und daß der Bedarf der verarbeitenden Industrien gedeckt werden müsse.

    Die Anerkennung dieses Bedarfs ist jedoch strikt auf die in der jeweiligen Entscheidung aufgeführten Erzeugnisse beschränkt. Die Zielsetzung und die Rechtsnatur des GZT verbieten es, daß die in einer bestimmten Entscheidung ausgesprochenen Aussetzungen im Wege der Analogie auf andere Erzeugnisse ausgedehnt werden, die denselben Bedarf decken.

    Schließlich darf auch nicht vergessen werden, daß Artikel 28 eine rein verfahrensrechtliche Bestimmung ist, die dem Rat nicht vorschreibt, welche Politik er auf dem Gebiet der Zollaussetzungen zu verfolgen hat.

    Die Tatsache, daß es in der Gemeinschaft eine bestimmte Produktion nicht gibt und daß deshalb bei der Verarbeitungsindustrie ein Einfuhrbedarf besteht, eröffnet keinen automatischen Anspruch auf eine Zollaussetzung.

    Der Bedarf der Gemeinschaft kann nämlich auch dann gedeckt werden, wenn für das Einfuhrerzeugnis der vorgesehene Zollsatz entrichtet wird. Gegen eine Aussetzung der Zollsätze könnten zum Beispiel finanzielle Erwägungen sprechen.

    Die einzige Grenze, an die das Ermessen des Rates stößt, ist der Gleichheitssatz. Ich werde im Zusammenhang mit der zweiten Frage prüfen, ob dieser Grundsatz im vorliegenden Fall verletzt worden ist.

    3.

    Zu dem Vorbringen, die 1974 beschlossene Zollaussetzung müsse im Lichte der Verordnungen Nrn. 2916/80 und 1533/81 ausgelegt werden, durch die auch für das von der Klägerin importierte Erzeugnis eine Aussetzung eingeführt worden sei, ist folgendes zu bemerken.

    Anders als in der Rechtssache Texas Instruments wurde hier nicht die ursprüngliche Zollaussetzung erweitert (was leicht möglich gewesen wäre, indem nämlich die Bezeichnung „Spinnfäden, nur aus Polyglykol-säure“ durch die Bezeichnung „Spinnfäden mit einem Gehalt an Polyglykolsäure von nicht weniger als 88 %“ ersetzt worden wäre, die beide Erzeugnisarten umfaßt), sondern die ursprüngliche Rubrik wurde um eine weitere Rubrik ergänzt.

    Außerdem wurde, wie ich bereits erwähnt habe, durch die Folgeverordnung Nr. 1533/81 eine Bedingung hinsichtlich der Verwendung des Erzeugnisses eingeführt.

    Die Aussetzung für Polyglactin 910 bezieht sich nunmehr auf „Spinnfäden aus einem Mischpolymerisat aus Glykol- und Milchsäure, zum Herstellen von chirurgischen Nähmitteln“.

    Auf die von der Konkurrenzfirma der Klägerin eingeführten „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ wurde diese an die Verwendung geknüpfte Bedingung nicht erstreckt.

    In der mündlichen Verhandlung hat sich herausgestellt, daß diese Änderung nicht zufällig erfolgt ist: Das von der Klägerin eingeführte Erzeugnis kann tatsächlich auch für andere Zwecke als für die Herstellung chirurgischer Nähmittel, nämlich für die Herstellung von Prothesen, verwendet werden.

    Nach Angaben der Klägerin soll dies auch für das Konkurrenzerzeugnis gelten.

    Wie dem auch immer sei, es steht fest, daß die Zollbefreiung für das Konkurrenzerzeugnis seit 1975 unabhängig von seiner Zweckbestimmung besteht.

    Daher kann nicht argumentiert werden, wie die Klägerin es tut, die Gewährung der Zollbefreiung für Polyglactin 910 zur Herstellung von chirurgischen Nähmitteln zeige, daß der Rat bereits 1975 in Wirklichkeit nicht ein Erzeugnis mit einer bestimmten chemischen Zusammensetzung, sondern alle Erzeugnisse im Sinn gehabt habe, die für einen bestimmten Zweck verwendet werden könnten.

    4.

    Obgleich die Klägerin des Ausgangsverfahrens keinen förmlichen Antrag auf rückwirkende Anwendung der Verordnung Nr. 2916/80 stellt, käme es, wenn ihrem Antwortvorschlag gefolgt würde, in der Sache zu diesem Ergebnis.

    Nun hat sich der Rat aber in seiner Entschließung vom 27. Juni 1974 über die Maßnahmen zur Vereinfachung der Aufgaben der Zollverwaltungen (ABl. C 79 vom 8. 7. 1974, S. 1) vorgenommen, außer in zwingenden Ausnahmefällen wirtschaftlicher Irt keine Bestimmungen mit rückwirkender Kxaft zu erlassen.

    Im vorliegenden Fall hat der Rat der Verordnung Nr. 2916/80 keine Rückwirkung beigemessen. Angesichts seiner allgemeinen Einstellung zur Rückwirkung im Zollrecht darf deshalb davon ausgegangen werden, daß er dieser Verordnung auch nicht stillschweigend eine solche Wirkung verleihen wollte.

    Dies um so weniger, als der Rat in diesem konkreten Fall von einem anderen Grundsatz abgewichen ist, den er in derselben Entschließung aufgestellt hatte, nämlich Änderungen des Gemeinsamen Zolltarifs jährlich zum 1. Januar und gegebenenfalls zum 1. Juli wirksam werden zu lassen.

    Hier trat die erste Aussetzung des Zollsatzes für Polyglactin 910 am 13. November in Kraft.

    Man kann deshalb annehmen, daß der Rat die Einführung der fraglichen Zollbefreiung — zweifellos wegen der günstigen Behandlung des Konkurrenzerzeugnisses — für dringlich hielt, eine rückwirkende Maßnahme jedoch nicht als gerechtfertigt ansah.

    Dies alles spricht ebenfalls dafür, daß „die wirkliche Absicht des Gesetzgebers“ nicht dahin ging, bereits 1975 oder Anfang 1980 die Zollbefreiung für alle synthetischen Spinnfäden unabhängig von ihrer Zusammensetzung zu gewähren, die zur Herstellung chirurgischer Nähmittel dienten.

    5.

    Es bleibt noch zu untersuchen, ob das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 292/82 (Merck/Hauptzollamt Hamburg-Jonas) meine Argumentation möglicherweise entkräftet.

    Zwischen den Sachverhalten, die beiden Rechtssachen zugrunde liegen, besteht eine gewisse Ähnlichkeit.

    Auch in der Rechtssache Merck wurde dem Gesetzgeber, damals der Kommission, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein neuer Gesichtspunkt zur Kenntnis gebracht, woraufhin sie ihre Regelung so schnell wie möglich dieser neuen Sachlage anpaßte.

    Die Kommission hatte nämlich erfahren, daß Mannit und Sorbit aus einem Stoff hergestellt wurden, der nicht zu einer Erstattung bei der Erzeugung berechtigte. Daraufhin veranlaßte sie, daß für diese Waren die höhere Erstattung bei der Ausfuhr gewährt wurde, die für die anderen Waren vorgesehen war, für die keine Erstattung bei der Erzeugung gewährt worden war.

    In der Rechtssache Merck hielt die Kommission die Argumentation der Klägerin im Kern nicht für unbegründet. Sie erklärte im Gegenteil, daß sie die Ausfuhrerstattungen für bei der Erzeugung nicht erstattungsberechtigte Waren keineswegs habe kürzen wollen.

    Sie gab damit gewissermaßen zu, daß ihr in Unkenntnis einer Tatsache ein Fehler unterlaufen sei.

    Der Gerichtshof erkannte deshalb für Recht, die sieben in der Zeit vor der Berichtigung des Fehlers geltenden Verordnungen seien dahin auszulegen, daß für die betreffende Ware eine höhere Ausfuhrerstattung als die in diesen Verordnungen tatsächlich festgesetzte beansprucht werden könne. Mannit und Sorbit, für die keine Erstattung bei der Erzeugung gewährt worden sei, müßten so behandelt werden, als stünden sie auf der Liste II des jeweiligen Anhangs dieser Verordnungen, während sie in Wirklichkeit in Liste I enthalten waren.

    Der Gerichtshof stützte seine Überlegung auf die Notwendigkeit, „den streitigen Vorschriften im Einklang mit den Zielen der Gemeinschaftsregelung, zu der sie gehören, eine praktische Wirksamkeit zu verleihen“ (Randnr. 17 der Entscheidungsgründe in der Rechtssache 229/82).

    Außerdem entschied der Gerichtshof, die Prüfung der vorgelegten Fragen habe nichts ergeben, was bei dieser Auslegung die Gültigkeit der betreffenden Verordnungen ii Frage stellen könnte.

    Ich bin allerdings der Ansicht, daß das Urteil in der Rechtssache Merck für die vorliegende Rechtssache keine Bedeutung hat.

    Die „Gemeinschaftsregelung“, um die es ir der Rechtssache Merck ging, war eint Agrarmarktordnung.

    Es stand außer Streit, daß für Mannit und Sorbit eine Ausfuhrerstattung in Anspruch genommen werden konnte.

    Es war ebenfalls unstreitig, daß die Höhe dieser Erstattung davon abhängen mußte, ob für die bei der Herstellung dieser Waren verarbeiteten Grunderzeugnisse eine Erstattung bei der Erzeugung gewährt worden war oder nicht.

    Deshalb war es legitim, die Durchführungsverordnungen nach Maßgabe des mit der Grundverordnung verfolgten Ziels auszulegen und auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit zurückzugreifen.

    Die vorliegende Rechtssache weist folgende Unterschiede auf:

    Wir haben es nicht mit einer „Gemeinschaftsregelung“ im Sinne eines komplexen Systems zu tun, das verhältnismäßig schwierige Berechnungen erfordert und das seine praktische Wirksamkeit verlieren könnte, wenn bestimmte Gegebenheiten nicht berücksichtigt würden.

    Die praktische Wirksamkeit der Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80, d. h. die Schaffung der Möglichkeit, das betreffende Erzeugnis zollfrei einzuführen, wurde mit dem Inkrafttreten dieser auf Artikel 28 EWG-Vertrag gestützten Verordnungen des Rates erreicht.

    Zwischen dem mit diesen Verordnungen verfolgten Ziel und dem Verordnungswortlaut besteht keine Divergenz.

    Auch der Wortlaut der beiden Verordnungen und Artikel 28 widersprechen einander nicht, da letzterer, wie ich bereits ausgeführt habe, nicht eine Politik festlegt, sondern nur ein Verfahren vorschreibt.

    Aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 292/82 (Merck) können somit keine für die vorliegende Rechtssache maßgeblichen Kriterien hergeleitet werden, aufgrund deren der Gerichtshof die Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 entgegen ihrem Wortlaut auslegen müßte.

    II — Zur Gültigkeit der Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 (zweite Frage)

    Für den Fall, daß der Gerichtshof die erste Frage verneinen sollte, möchte der Bundesfinanzhof zweitens wissen, ob die in der er-, sten Frage bezeichnete Aussetzung der Zollsätze wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot ungültig ist, weil sie lediglich für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ gilt, nicht aber für Fäden aus 90 % Polyglykolsäure und 10 % Lactid.

    In seinem Urteil in der Rechtssache 227/84 (Texas Instruments) hat der Gerichtshof festgestellt: „Artikel 28 räumt dem Rat zwar ein weites Ermessen ein, doch ist es Sache des Gerichtshofes zu überprüfen, ob der Rat die Aufgaben, die ihm damit übertragen sind, ohne Ermessensmißbrauch und ohne Diskriminierung wahrgenommen hat.“

    Meines Erachtens kann man dem Rat im vorliegenden Fall einen solchen Vorwurf nicht machen.

    1.

    Obwohl es richtig sein dürfte, daß vor dem 13. November 1980 Spinnfäden ohne und solche mit Lactid während einiger Monate unterschiedlich behandelt wurden, muß in diesem Unterschied eine normale Folge davon gesehen werden, daß der Rat auf diesem Gebiet nur auf Anregung der Wirtschaftsteilnehmer tätig wird, soweit diese Anregung von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission aufgegriffen wird.

    Diese Vorgehensweise ist folgerichtig. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft beruht auf dem Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz, der im Gemeinsamen Zolltarif zum Ausdruck kommt. Der Rat und die Kommission sind, um es so auszudrücken, seine Hüter.

    Es obliegt denjenigen, die für sich eine Ausnahme von diesem Tarif beanspruchen, einen dahin gehenden Antrag zu stellen, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit einer solchen Ausnahme zu rechtfertigen und so genau wie möglich das Erzeugnis zu beschreiben, dem nach ihren Vorstellungen diese Vorzugsbehandlung zuteil werden soll.

    Außerdem wären die Wirtschaftsteilnehmer gut beraten, wenn sie, gegebenenfalls mit Hilfe ihrer Berufsverbände, die Entscheidungen des Rates zur Aussetzung der Zollsätze des GZT regelmäßig überprüften, um festzustellen, ob bestimmte Rubriken umformuliert werden sollten, um die eine oder andere Variante desselben Erzeugnisses oder ein sehr ähnliches Erzeugnis „abzudecken“, hinsichtlich deren dieselben Aussetzungsgründe anzuerkennen sind.

    Die Aufgabe des Rates besteht darin, aufgrund der ihm übermittelten Auskünfte und Stellungnahmen der Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission zu entscheiden, ob es zweckmäßig ist, die Zölle des GZT vollständig oder teilweise auszusetzen, und wie das betreffende Erzeugnis definiert werden soll.

    Dabei hat der Rat darauf zu achten, daß der Gleichheitsgrundsatz gewahrt wird, und zwar auf der Grundlage der Tatsachen, die ihm zu dem Zeitpunkt, in dem er seine Entscheidung treffen muß, zur Kenntnis gebracht worden sind.

    Ich halte es für völlig legitim, daß der Rat bei der Entscheidung über die Zollbefreiung auf die genauen Eigenschaften des Erzeugnisses abstellt, auf das sich der Antrag bezieht.

    Es ist nämlich denkbar, daß ein Erzeugnis, selbst wenn es nur geringfügige Unterschiede in seiner Zusammensetzung oder bei seinen anderen Eigenschaften aufweist, für andere Zwecke als das erste verwendet werden kann und daß es in bezug auf diese Zwecke mit in der Gemeinschaft hergestellten Erzeugnissen in Wettbewerb tritt.

    2.

    Es kann natürlich auch sein, daß der Rat in einem Fall wie dem unseren oder wie in der Rechtssache Texas Instruments später von der Existenz eines Erzeugnisses erfährt, für das die Zollbefreiung nicht gilt, das jedoch demselben Zweck dienen kann.

    Wenn sich auf diese Weise herausstellt, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz betroffen ist, muß der Rat selbstverständlich das Erforderliche veranlassen, um die beiden Erzeugnisse so schnell wie möglich gleich zu behandeln.

    Genau dies hat er im vorliegenden Fall getan.

    Wie ich bereits ausgeführt habe, hat der Rat, nachdem ihm erst im August 1980 der Antrag der Bundesregierung zugegangen war, die Zollbefreiung für Polyglactin 910 mit Wirkung vom 13. November 1980 eingeführt. Er ist somit von dem Grundsatz abgewichen, den er in seiner Entschließung vom 27. Juni 1974 über die Maßnahmen zur Vereinfachung der Aufgaben der Zollverwaltungen für sich selbst aufgestellt hat, nämlich Tarifänderungen jährlich zum 1. Januar und gegebenenfalls zum 1. Juli wirksam werden zu lassen.

    Berücksichtigt man die durch die interne Organisation und die Arbeitsweise des Rates bedingten Fristen, so ist der Rat zweifellos seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen.

    3.

    Drittens ist darauf hinzuweisen, daß mit den beanstandeten Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 eine Zollbefreiung für ein Erzeugnis, „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“, nicht aber zugunsten eines bestimmten Unternehmens gewährt wurde.

    Auch die Klägerin des Ausgangsverfahrens konnte jederzeit derartige Spinnfäden zollfrei zu Verarbeitungszwecken einführen.

    4.

    Schließlich möchte ich noch daran erinnern, daß durch die Verordnungen Nrn. 1162/79 und 1481/80 lediglich eine Zollbefreiung verlängert wurde, die erstmals „in tempore non suspecto“ gewährt worden war, nämlich fünf Jahre bevor das Erzeugnis der Klägerin in die Gemeinschaft eingeführt wurde.

    Es kann also wirklich nicht der Schluß gezogen werden, daß diese Verordnungen bestimmte Unternehmen hätten begünstigen oder benachteiligen sollen oder Diskriminierungen geschaffen hätten.

    III — Zu den Folgen einer etwaigen Ungültigkeit der in der ersten Frage bezeichneten Zollaussetzung (dritte Frage)

    Da ich die zweite Frage verneint habe, erübrigt sich meines Erachtens eine Beantwortung der dritten Frage.

    Xu den Kosten

    Die Auslagen des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

    Abschließend schlage ich vor, die Fragen des Bundesfinanzhofs wie folgt zu beantworten :

    1)

    Die Zollaussetzung für „Spinnfäden, nur aus Polyglykolsäure“ der Tarifstelle 51.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs gemäß den Verordnungen des Rates Nr. 1162/79 vom 12. Juni 1979 und Nr. 1481/80 vom 9. Juni 1980 kann nicht dahin ausgelegt werden, daß sie auch ähnliche, jedoch aus Polyglykolsäure und Milchsäure zusammengesetzte Spinnfäden umfaßt.

    2)

    Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit dieser Verordnungen in Frage stellen könnte.


    ( *1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

    ( 1 ) ABl. 1979, L 147, S. 1.

    ( 2 ) ABl. 1980, L 148, S. 1.

    ( 3 ) ABl. 1974, L 319, S. 6 und 7.

    ( 4 ) ABI. 1980, L 304, S. 1.

    ( 5 ) Verordnung Nr. 1533/81 (ABI. 1981, L 155, S. 1).

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