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Document 61981CC0271

    Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 1. Juni 1983.
    Société coopérative d'amélioration de l'élevage et d'insémination artificielle du Béarn gegen Lucien J.M. Mialocq und andere.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de grande instance de Pau - Frankreich.
    Staatliche Monopole: Regionale Station für künstliche Besamung.
    Rechtssache 271/81.

    Sammlung der Rechtsprechung 1983 -02057

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1983:153

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    SIR GORDON SLYNN

    VOM 1. JUNI 1983 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    Die Société coopérative d'amélioration de l'élevage et d'insémination artificielle du Béarn betreibt eine vom französischen Landwirtschaftsminister genehmigte Station für künstliche Besamung mit dem ausschließlichen Recht zur Besamung in dem ihr zugeteilten Gebiet. Herr Mialocq und Herr Saphore sind anscheinend ausgebildete Besamungsbeauftragte. Sie werden von der Société coopérative des Delikts der künstlichen Besamung ohne vorgesehenes Zuständigkeitsgebiet, nämlich der Besamung in dem der Société coopérative zugeteilten Gebiet, beschuldigt. Außerdem wurde beantragt, sie und ihren Arbeitgeber, die Gesellschaft Agri-Sem, gesamtschuldnerisch zu verurteilen, der Société coopérative Schadensersatz in Höhe von 50000 FF zu zahlen.

    Nach den Artikeln 4 und 5 des Gesetzes Nr. 66-1005 vom 28. Dezember 1966, das, wie vorgetragen worden ist, u. a. die Verbesserung der Qualität des Rinderbestands bezweckt, können die Tätigkeiten der Gewinnung und Einbringung des Samens nur durch die Inhaber einer Lizenz als Leiter einer Station für künstliche Besamung oder unter ihrer Aufsicht vorgenommen werden. Eine solche Station kann entweder beide oder nur eine dieser Tätigkeitsarten ausüben. Eine Genehmigung wird vom Landwirtschaftsminister unter Berücksichtigung u. a. der bereits bestehenden Einrichtungen erteilt. Jede Genehmigung bestimmt ein abgegrenztes Gebiet, in dem die Station hinsichtlich des Samens ein Versorgungsmonopol hat; der Tierzüchter kann jedoch von einer solchen Station die Lieferung von Samen aus anderen Samenproduktionsstationen, der den entsprechenden Vorschriften genügt, verlangen, wobei die dadurch entstehenden Kosten zu Lasten des Tierzüchters gehen. Erhält eine Genossenschaft eine Genehmigung, ist sie verpflichtet, nicht angeschlossene Tierzüchter in ihrem Gebiet zu beliefern.

    Weitere Einzelheiten des Kontrollsystems finden sich in der Verordnung Nr. 69-258 vom 22. März 1969 und in der Verordnung des Landwirtschaftsministers vom 17. April 1969. Nach Artikel 1 der letzteren muß der Inhaber der Genehmigung bei Fehlen eines Gegenseitigkeitsabkommens mit bestimmten anderen Ländern französischer Staatsangehöriger sein oder eine juristische Person mit einer Mehrheit französischer Mitglieder. Nach Artikel 10 erstreckt sich die Tätigkeit der Samenproduktionsstationen normalerweise auf die Gebiete der Besamungsstationen, mit denen sie Verträge geschlossen haben; nach Artikel 12 müssen Besamungsstationen mit einer oder mehreren Samenproduktionsstationen Verträge schließen, die die regiemäßige und ausreichende Versorgung mit Samen garantieren. Artikel 13 bestimmt, daß die Besamungsstationen zwar normalerweise von den Samenproduktionsstationen beliefert werden, mit denen sie einen Vertrag geschlossen haben, daß sie aber auf schriftlichen Antrag eines Tierzüchters Samen von „anderen Stationen“ erhalten können. Der in einer Besamungsstation vorrätige Samen ist normalerweise nur für die Verwendung in dem mit der Genehmigung festgelegten Gebiet bestimmt und kann, wenn er nicht gebraucht wird, nur an die Samenproduktionsstation zurückgegeben werden, von der er geliefert wurde. Außerdem hat der Minister nach der Verordnung das Recht, vorübergehend die Entnahme des Samens von einem bestimmten Tier einzuschränken oder zu untersagen, und die Samenproduktionsstationen können bestimmte Aufgaben an die Besamungsstationen übertragen, an die sie vertraglich gebunden sind.

    Aufgrund der Verordnung vom 12. November 1969 wurde das frühere Erfordernis, daß der Genehmigungsinhaber die französische Staatsangehörigkeit besitzen mußte, geändert, so daß auch die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind.

    Besondere Vorschriften bestehen hinsichtlich der Einfuhr von Samen aus anderen Ländern, unter anderem in einer Verordnung vom 22. Oktober 1949 (JORF vom 20. 10. 1949, S. 10600) und in der Verordnung Nr. 70-137 vom 16. Februar 1970 (JORF vom 19. 2. 1970, S. 1766) sowie in verschiedenen Mitteilungen für die Importeure. Sie haben im wesentlichen zur Folge, daß für jede Einfuhr von Samen eine besondere Genehmigung des Landwirtschaftsministeriums erforderlich ist. Um eine Genehmigung zu erhalten, muß der Antragsteller verschiedene Unterlagen vorlegen, aus denen nicht nur die Samenmengen, die eingeführt werden sollen, hervorgehen, sondern die auch die Bescheinigung eines im Ursprungsland staatlich anerkannten Laboratoriums enthalten müssen. Genehmigungen werden nur für anerkannte Rinderrassen und für Tiere erteilt, die den vom französischen Landwirtschaftsminister gestellten Anforderungen genügen.

    In dem Strafverfahren (in dem die Angeklagten weder erschienen noch vertreten waren) stellte das Tribunal de grande instance fest, daß die Station der Société coopérative nur Besamungen vornehme und sich nicht mit der Gewinnung von Samen befasse. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind die Stationen, denen für ein bestimmtes Gebiet eine Alleinlizenz erteilt worden sei, ihrer Art nach Monopole, und die Gewährung einer solchen Lizenz könne gegen Artikel 37 des Vertrages vertoßen. „Sie [sind] durch Hoheitsakt gegründet worden ...; ... ihre Ausschließlichkeit [ist] rechtlich garantiert.“ Der Staat kontrolliere die Samenproduktionsstationen hinsichtlich Qualität, Menge und Preis unmittelbar und übe in bezug auf die Besamungsstationen eine mittelbare Kontrolle aus; keine Station sei wirklich dem Wettbewerb ausgesetzt. Nach Auffassung des Gerichts kann ein staatliches Monopol die nationale Wirtschaft und den Samenhandel zwischen den Mitgliedstaaten beeinflussen. Zwar erkennt das Gericht an, daß ausländische Viehzüchter sowohl eine Besamungs- als auch eine Samenproduktionsstation in Anspruch nehmen könnten; in diesem Fall benötigten sie aber eine Genehmigung und die Zulassung des Landwirtschaftsministeriums. Dementsprechend müsse man sich „fragen, ob diese Maßnahmen, da sie keinerlei besondere Gleichheitsgarantie enthalten, diskriminierend sind, wobei dieser Charakter nicht absolut erscheint“, und „ob ein Genehmigungssystem, das dem Ermessen des Monopols überlassen ist, diskriminierenden Charakter im Sinne von Artikel 37 aufweist“.

    Das nationale Gericht hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Haben Dienstleistungen Handelscharakter im Sinne von Artikel 37 des Vertrages vori Rom, wenn sie, als staatliches Monopol ausgestaltet, dem Staat ermöglichen, einen Zweig der einheimischen Volkswirtschaft zu lenken?

    2.

    Kann, falls dies bejaht wird, ein System staatlicher Genehmigungen für diese Dienstleistungen diskriminierenden Charakter im Sinne des genannten Artikels haben?

    3.

    Kann — bei noch engerer Betrachtung — diese Diskriminierung ausschließlich Personen und nicht Erzeugnisse betreffen?

    Die Société coopérative trägt einleitend vor, daß diese Fragen nicht in einem wirklich kontradiktorischen Verfahren gestellt worden seien, da die Antragsgegner nicht erschienen seien. Wären sie erschienen, wäre keine Vorlage erfolgt. Meines Erachtens genügt es dem nationalen Gericht, daß sich eine Auslegungsfrage gestellt hatte und es eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich hielt. Der Umstand, daß die Angeklagten nicht erschienen, nimmt ihm nicht diese Möglichkeit. In jedem Fall erscheint es höchst unwahrscheinlich, daß die Angeklagten vor dem nationalen Gericht anerkannt hätten, daß sich keine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts erhebe. Das Gegenteil ist der Fall.

    Der Sachverhalt und die vorgetragenen Argumente legen nahe, daß möglicherweise eine Reihe von Beschränkungen bestehen, die Fragen nach der Gültigkeit im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Artikel 30, 52 bis 59 sowie 85 und 86 EWG-Vertrag aufwerfen — die Satzung der Union nationale des Coopératives d'élevage et d'insémination artificielle, die Regelung der Einfuhrlizenzen und die damit verbundenen Schwierigkeiten, auf die jeder trifft, der Samen aus dem Ausland einführen will, die den Besamungsstationen fehlende Möglichkeit, anderen Samen vorrätig zu halten als den, den sie aufgrund der dem Ministerium mitgeteilten laufenden Verträge erhalten, die begrenzten Möglichkeiten der Viehzüchter, selber Samen zu erhalten, die Beschränkung der Rinderrassen und die Schwierigkeit für jedermann, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, eine Genehmigung für eine Besamungsstation zu erhalten, wenn das gesamte Gebiet bereits in Monopolbezirke aufgeteilt ist. Diese Beeinträchtigungen sind meines Erachtens jedoch im Hinblick auf die vorgelegten Fragen nicht zu prüfen. Auf jeden Fall reichen die Tatsachenfeststellungen des vorlegenden Gerichts nicht aus, damit sich der Gerichtshof mit ihnen befassen kann. Dies ist keine Kritik am vorlegenden Gericht; man war einfach der Meinung, daß sich diese Probleme nicht stellen. Es ist daher wohl richtig, daß ich meine Schlußanträge auf die tatsächlich gestellten Fragen beschränke, die meines Erachtens kurz abgehandelt werden können.

    Die Anklage betrifft nur die Besamungstätigkeit, und die Station, die das Verfahren in Gang gesetzt hat, führt nur Besamungen durch. Daher geht es im vorliegenden Fall meines Erachtens nicht unmittelbar um die Beschränkungen bei der Versorgung mit Samen.

    Die Ansicht des vorlegenden Gerichts, wonach ein staatliches Monopol im Sinne von Artikel 37 vorliege, gründet sich wohl im wesentlichen auf die Auslegung der Rechtsvorschriften, die die von mir vorhin genannten Beschränkungen auferlegen. Liest man diese Rechtsvorschriften genau, so ist meines Erachtens, was die Versorgung mit Samen angeht, in rechtlicher Hinsicht kein staatliches Monopol geschaffen worden. Auch scheint es mir aufgrund der vorliegenden Tatsachen nicht faktisch errichtet worden zu sein. Es ist anerkannt, daß ein Monopol für die Belieferung mit Samen in jedem einzelnen Gebiet besteht. Ob dies auf ein staatliches Monopol hinausläuft, muß im vorliegenden Fall vielleicht nicht entschieden werden. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß ein staatliches Monopol auf einen Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats beschränkt sein kann und eine Reihe einzelner Monopole so eng verbunden sein und vom Staat beeinflußt oder kontrolliert werden können, daß sie in Wirklichkeit als ein staatliches Monopol anzusehen sind, so ist im vorliegenden Fall wohl doch nicht nachgewiesen, daß ein solches staatliches Monopol tatsächlich besteht.

    Eins scheint klar zu sein: Artikel 37 betrifft nicht Dienstleistungen, sondern den Handel mit Waren (Rechtssache 155/73, Sachi, Slg. 1974, 409). Es sind Fälle denkbar, in denen bei einem einzigen Geschäft Waren geliefert und Leistungen erbracht werden und wo die Leistung so unbedeutend ist, daß sie eher als Teil der Warenlieferung denn als eigenständige

    Tätigkeit zu behandeln ist. Die Tätigkeit, für Rechnung des Viehzüchters Samen zu besorgen oder an ihn Samen zu verkaufen, der von der Station aufgrund ihrer laufenden Verträge gekauft worden ist, scheint mir eine andere zu sein als die Dienstleistung der Besamung durch einen ausgebildeten Besamungsbeauftragten.

    Es wird offenbar geltend gemacht, daß dies eher ein „landwirtschaftlicher“ als ein „kommerzieller“ Vorgang sei, so daß Artikel 37 auf keinen Fall Anwendung finde. Diese Unterscheidung ist nach meiner Auffassung nicht richtig. In der vorliegenden Sache ist entscheidend, daß die aufgeworfene Frage — ebenso wie die Tat, die als Delikt Anlaß für die Anklage war — ganz einfach die Besamung, also eine Dienstleistung betrifft. Den Angeklagten wird, wie ich es verstehe, nicht zur Last gelegt, entgegen den französischen Bestimmungen Samen erworben zu haben, und es stellt sich hier nicht die Frage, ob sie gegen irgendwelche Beschränkungen der Sameneinfuhr aus anderen Mitgliedstaaten verstoßen haben; dies würde verschiedene Fragen nach der Gültigkeit solcher Beschränkungen (wenn sie bestehen) im Hinblick auf den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft aufwerfen.

    Unter diesen Umständen liegt kein Verstoß gegen Artikel 37 vor; die zweite und die dritte Frage erübrigen sich somit.

    Wenn tatsächlich eine Diskriminierung zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten infolge der Bedingungen und Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung, Besamungen durchzuführen, besteht, kann eine Prüfung anhand der Artikel 52 bis 59 des Vertrages erforderlich sein. Selbst wenn ein staatliches Monopol für solche Dienstleistungen besteht, kann es nicht unter Artikel 37 fallen. Eine Begrenzung des Personenkreises kann meines Erachtens sowohl unter Artikel 37 fallen, soweit der Warenaustausch betroffen ist, als auch unter die Artikel 52 bis 59 des Vertrages, soweit es um Dienstleistungen geht.

    Dementsprechend schlage ich vor, auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß „Artikel 37 sich nicht auf ein Dienstleistungsmonopol bezieht und sich Fragen der Diskriminierung bei der Erbringung von Dienstleistungen aufgrund dieses Artikels nicht stellen“.


    ( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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