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Document 61978CC0033
Opinion of Mr Advocate General Mayras delivered on 11 October 1978. # Somafer SA v Saar-Ferngas AG. # Reference for a preliminary ruling: Oberlandesgericht Saarbrücken - Germany. # Case 33/78.
Schlussanträge des Generalanwalts Mayras vom 11. Oktober 1978.
Somafer SA gegen Saar-Ferngas AG.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Saarbrücken - Deutschland.
Rechtssache 33/78.
Schlussanträge des Generalanwalts Mayras vom 11. Oktober 1978.
Somafer SA gegen Saar-Ferngas AG.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Saarbrücken - Deutschland.
Rechtssache 33/78.
Sammlung der Rechtsprechung 1978 -02183
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1978:176
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS HENRI MAYRAS
VOM 11. OKTOBER 1978 ( 1 )
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
I. |
Die Firma Établissements Somafer aus Uckange in Lothringen bewarb sich auf eine Ausschreibung des saarländischen Innenministeriums für bestimmte Abbrucharbeiten auf dem Werksgelände der Firma Röchling-Burbach. Da ihr die von dem französischen Unternehmer gebotenen Sicherheitsgarantien unzureichend erschienen, meinte die deutsche Firma Saar-Ferngas, von der Leitungen in unmittelbarer Nähe an der abzubrechenden Anlage vorbeiführten, selbst zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen zu müssen, die sie der Firma Établissements Somafer am 16. Januar 1974 mitteilte. Nachdem die Firma Etablissements Somafer ordnungsgemäß das saarländische Gewerbeaufsichtsamt benachrichtigt hatte, dessen Aufgaben insoweit denen des Service des Ponts et Chaussées und des Service des Mines in Frankreich entsprechen, erhielt sie am 29. Januar 1974 vom Bürgermeister von Völklingen die Erlaubnis, die Arbeiten durchzuführen. Um Ersatz für ihre Aufwendungen zu erlangen, schickte die deutsche Firma der Firma Etablissements Somafer am 29. Oktober 1974 ihre Rechnung. Die in Beckingen (Saar) gelegene Vertretung der Hauptverwaltung Uckange für die Bundesrepublik Deutschland lehnte ihr gegenüber die Zahlung ab. Saar-Ferngas verklagte daraufhin die Firma Établissements Somafer bei dem Gericht des Orts dieser „Vertretung“ in der Bundesrepublik, dem Landgericht Saarbrücken. Lassen Sie mich nebenbei bemerken, daß in Frankreich für Rechtsstreitigkeiten über von der Verwaltung geschlossene Verträge und bei öffentlichen Arbeiten eingetretene Schäden die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Über die Rolle, die die Beckinger Stelle in den Besprechungen zwischen dem Innenministerium und dem Gewerbeaufsichtsamt auf der einen und der Firma Etablissements Somafer auf der anderen Seite gespielt hat, widersprechen sich die Aussagen der Parteien, und im Hinblick auf die Lösung dieses Problems hat Sie das Oberlandesgericht Saarbrücken angerufen. Bevor ich mit der Untersuchung der Ihnen vorgelegten Fragen beginne, möchte ich daran erinnern, daß Saar-Ferngas in der ersten Instanz die Zuständigkeit des Landgerichts Saarbrücken mit der Begründung geltend gemacht hatte, die Firma Etablissements Somafer besitze in Beckingen eine Niederlassung im Sinn des deutschen Rechts (§ 21 Zivilprozeßordnung) und außerdem sei das Landgericht das Gericht „des Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“ gemäß Artikel 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens von 1968. Das erstinstanzliche Gericht folgte weder der einen noch der anderen Begründung; vielmehr hielt es sich aufgrund von Artikel 5 Nr. 5 dieses Übereinkommens für zuständig, denn es vertrat die Ansicht, daß diese Bestimmung weiter gehe als das interne deutsche Recht. Ihr zufolge könne nämlich der Zusammenhang mit dem Betrieb einer bloßen Zweigniederlassung oder Agentur die Zuständigkeit des Gerichts des Orts, an dem sich diese befinde, begründen. Nach Auffassung des Landgerichts besaß Somafer in Beckingen zumindest eine Agentur im Sinn von Artikel 5 Nr. 5 des Übereinkommens, denn sie habe sich ihres Büros in dieser Ortschaft bedient, um mit Dritten zu verhandeln; jedenfalls habe sie bei Saar-Ferngas den Anschein erweckt, daß das Büro eine derartige Agentur sei. Damit bezog sich das Landgericht zwar auf Grundsätze des deutschen Rechts, es meinte aber, daß diese auch für die Anwendung von Artikel 5 Nr. 5 des Übereinkommens gelten könnten. Das saarländische Unternehmen übernahm in der Berufungsinstanz diese Argumentation. Es verzichtete also auch auf die auf § 23 Zivilprozeßordnung gestützte Begründung, die es in der ersten Instanz hilfsweise geltend gemacht hatte. Diese Vorschrift, die eine besondere Zuständigkeitsnorm des nationalen Rechts darstellt, bestimmt, daß dann, wenn es kein anderes zuständiges Gericht im deutschen Staatsgebiet gibt, für vermögensrechtliche Klagen gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk sich Vermögen dieser Person oder der Streitgegenstand befindet. Diese Vorschrift kann jedoch nach Artikel 3 des Übereinkommens von 1968 nicht mehr geltend gemacht werden. |
II. |
Mit der ersten Frage werden Sie im wesentlichen um Entscheidung darüber ersucht, ob die Begriffe „Agentur“, „Zweigniederlassung“ und „sonstige Niederlassung“ unter Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht auszulegen oder aber Gegenstand einer autonomen Auslegung sind. |
1. |
Zugunsten einer Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht für die Bestimmung des Gerichtsstands läßt sich anführen, daß es im allgemeinen große Vorteile bringt, das Recht des Staates, dessen Gerichte angerufen werden, oder das für die Hauptsache geltende Recht anzuwenden. Denn es ist wichtig, daß die Zuständigkeitsfragen rasch gelöst werden können. Einem Gericht wird es leichter fallen, sein eigenes Recht anzuwenden; darüber hinaus sind fast alle der in dem Übereinkommen genannten Zuständigkeitskriterien mit Begriffen verbunden, die im nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu anderen Zwecken als der Bestimmung der Zuständigkeit verwendet werden. Wegen der Begriffe des Wohnsitzes von natürlichen Personen und des Sitzes von Gesellschaften und juristischen Personen, in bezug auf die die Begriffe des Artikels 5 Nr. 5 schließlich nur eine Aufgliederung oder eine Unterkategorie darstellen, verweist das Übereinkommen ausdrücklich auf die Anwendung des innerstaatlichen Rechts des angerufenen Gerichts (Art. 52 Abs. 1) oder auf die Vorschriften des internationalen Privatrechts dieses Gerichts (Art. 53). Eine autonome Auslegung der in Artikel 5 Nr. 5 erwähnten Begriffe hätte eigentlich nichts zu tun mit der „Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen“, die das durch Artikel 220 dem Übereinkommen zugewiesene Ziel darstellt. Im Gegenteil, es wäre für Saar-Ferngas rascher gegangen, wenn sie Somafer direkt bei dem Gericht des Orts verklagt hätte, an dem dieses Unternehmen seinen Sitz hat, um ihm gegenüber ein Urteil zu erwirken, das direkt in Frankreich hätte vollstreckt werden können. Es läßt sich außerdem bezweifeln, ob die Verfasser des Übereinkommens eine allgemeine, autonome Definition der Zweigniederlassung, der Agentur und der Niederlassung geben wollten. Eine solche Definition könnte durch die Entwicklung der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung überholt werden. Bereits die Tatsache, daß sie die Wendung „eine sonstige“ gebraucht haben, eine Art Auffangposition, die alle übrigen Fälle dekken soll, bestätigt, daß sie darauf verzichtet haben, zumindest dem Begriff der Niederlassung einen präzisen Inhalt zu geben. Ein derartiges Vorhaben, das in den Bereich der einheitlichen Gesetzgebung gehört, wäre dem Übereinkommen fremd. Schließlich haben Sie in bezug auf die Auslegung des Übereinkommens allgemein in ihrem Urteil vom 6. Oktober 1976 (Tessili — Slg. 1976, 1473) entschieden, daß die in dem Übereinkommen gebrauchten Wendungen und Begriffe (es handelte sich in jenem Fall auch um einen in Art. 5 verwendeten Begriff, den des „Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“) unter bestimmten Umständen als Verweisung auf die Sachnormen des Rechts verstanden werden müssen, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit zuerst befaßten Gerichts anwendbar ist. |
2. |
Zugunsten des autonomen Charakters der Qualifizierungen des Artikels 5 Nr. 5 lassen sich dagegen folgende Überlegungen anführen: Auch wenn nach dem innerstaatlichen Recht des angerufenen Gerichts oder nach dem in der Hauptsache anzuwendenden internationalen Privatrecht die Zuständigkeit von Kriterien abhängt, die mit den in Artikel 5 Nr. 5 genannten mehr oder weniger identisch sind, ist es wenig wahrscheinlich, daß die Bedeutung, die das staatliche Gericht diesen Kriterien gewöhnlich beimißt, den unter das Übereinkommen fallenden Rechtssachen angemessen ist. In Ihrem Urteil De Bloos vom 6. Oktober 1976 (Slg. 1976, 1497) haben Sie selbst begonnen, die in Artikel 5 Nr. 5 aufgeführten Begriffe einheitlich und autonom auszulegen, als Sie den Inhalt des Ausdrucks „Zweigniederlassung“ zu bestimmen suchten. Diesen Präzedenzfall sehe ich jedoch für sich allein nicht als unbedingt entscheidend an, denn der in diesem Urteil enthaltene Anfang einer Definition ist rein negativ formuliert und im Hinblick auf interne Beziehungen zwischen einem Alleinvertriebshändler und seinem Lieferanten entwickelt worden. Etwas später, am 14. Oktober 1976, haben Sie in Ihrem Urteil in der Rechtssache Lufttransportunternehmen (Slg. 1976, 1541) entschieden, daß der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in Artikel 1 des Übereinkommens nicht nach Maßgabe der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit, wie sie einige Staaten kennen, ausgelegt werden darf und daher als autonomer Begriff anzusehen ist, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen. Am 14. Juli 1977 haben Sie in den verbundenen Rechtssachen Bavaria Fluggesellschaft Schwabe und Germanair Bedarfsluftfahrt (Slg. 1977, 1517) ausgeführt, daß Ihrer Auslegung das Bestreben zugrunde liegt, im Rahmen des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, daß sich aus dem Übereinkommen für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, und daß der Grundsatz der Rechtssicherheit in der Gemeinschaftsrechtsordnung und die Ziele des Übereinkommens gemäß dem ihm zugrunde liegenden Artikel 220 des Vertrags eine in allen Mitgliedstaaten einheitliche Anwendung der Rechtsbegriffe und rechtlichen Qualifizierungen erfordert, die der Gerichtshof im Rahmen des Übereinkommens entwickelt. In der Rechtssache Industrial Diamond Supplies (Slg. 1977, 2175) haben Sie am 22. November 1977 entschieden, daß es bei einer Auslegung des Begriffs „ordentlicher Rechtsbehelf“ durch Bezugnahme auf ein einzelstaatliches Rechtssystem, sei es das des Urteilsstaats oder das des Anerkennungs- oder Vollstreckungsstaats, in einigen Fällen unmöglich wäre, einen bestimmten Rechtsbehelf im Hinblick auf die Artikel 30 und 38 des Übereinkommens mit dem gewünschten Grad an Sicherheit zu qualifizieren, und daß die Auslegung des Begriffs „ordentlicher Rechtsbehelf“ sinnvollerweise nur im Übereinkommen selbst gesucht werden kann. Schließlich sind Sie in Ihrem Urteil Bertrand vom 21. Juni 1978 über den „Teilzahlungskauf beweglicher Sachen“ den gleichen Weg gegangen. Aufgrund dieser Präzedenzfälle bin ich der Ansicht, daß die Zuständigkeit für Streitigkeiten „aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung“ autonom zu bestimmen ist, d. h. nach Maßgabe der Zielsetzungen und der Systematik des Übereinkommens von 1968 sowie der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus den staatlichen Rechtsordnungen ergeben. Diese „autonome“ Auslegung muß die Rechtslehre und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten, die Parteien des Übereinkommens sind, in bezug auf die Auswirkungen der Begriffe der Zweigniederlassung, der Agentur oder der Niederlassung für den Gerichtsstand berücksichtigen, wie auch die nationale Rechtsprechung zum Gerichtsstand der abhängigen Niederlassungen juristischer Perso, nen, wie er in einigen, von den Mitgliedstaaten vor dem Brüsseler Übereinkommen geschlossenen bilateralen Verträgen bestimmt ist. Diese bilateralen Verträge legen das in Rede stehende Anknüpfungskriterium sowohl für die unmittelbare Zuständigkeit als auch für die mittelbare Zuständigkeit auf dem Weg über eine Gerichtsstandsvereinbarung zugrunde. Das Brüsseler Übereinkommen hat diese bilateralen Bestimmungen sozusagen „kodifiziert“ und internationalisiert, ohne jedoch insoweit die Rechtsprechung der einzelnen Länder zu deren Anwendung zu vereinheitlichen. So scheint der direkte Vorläufer des Artikels 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe d des deutsch-niederländischen Vertrages vom 30. August 1962 zu sein, der folgendes bestimmt: „Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung ergangen ist, wird im Sinn dieses Vertrages anerkannt, …
Es ist aber ausdrücklich zu vermerken, daß das Brüsseler Übereinkommen in seinem Artikel 5 Nr. 5 ein Anknüpfungskriterium für die unmittelbare Zuständigkeit aufstellt, auf der Grundlage dessen, was nur ein Kriterium für die mittelbare Zuständigkeit für die Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung sowie der Vermutung einer Gerichtsstandsvereinbarung war. Aus den gleichen Gründen schlage ich Ihnen vor, auch die Frage 1 b zu verneinen, denn der Rückgriff auf eine Qualifizierung nach dem auf die Hauptsache der vor das staatliche Gericht gebrachten Streitigkeit anzuwendenden Recht würde letztlich zu einer Bezugnahme auf Rechtsvorschriften führen, die wahrscheinlich voneinander abweichen. |
III. |
Für den Fall, daß die Zuständigkeit im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Niederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung autonom zu bestimmen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Auslegungskriterien für die Begriffe „Zweigniederlassung“ und „Agentur“ in bezug auf die Selbständigkeit von Entscheidungen (u. a. Geschäftsabschlüsse) sowie den Umfang der äußeren Einrichtung gelten. Es ist darauf hinzuweisen, daß sich die Frage nicht auf die Niederlassung bezieht; ich halte es aber für nötig, diesen Begriff in die Untersuchung mit einzubeziehen. Zwei Bemerkungen werden uns bei diesem Schritt leiten. Zunächst müssen unabhängig von dem gewählten Anknüpfungspunkt die im 2. Abschnitt („Besondere Zuständigkeiten“) des Übereinkommens und insbesondere in seinem Artikel 5 Nr. 5 genannten Begriffe restriktiv ausgelegt werden, da nicht vergessen werden darf, daß es noch ein allgemeines Zuständigkeitskriterium gibt, nämlich den Wohnsitz des Beklagten (Art. 2). Dieser Grundsatz ergibt sich aus Ihrem Urteil Bier vom 30. November 1976 (Slg. 1976, 1735). Sodann ist es, allgemein gesagt, schwierig, die besonderen Merkmale einer Niederlassung oder einer Agentur, auf die die Kompetenznorm des Artikels 5 Nr. 5 anwendbar ist, zu bestimmen. Der Begriff der Zweigniederlassung hat zwar verhältnismäßig genaue Konturen; an die Begriffe der Agentur und der Niederlassung knüpfen sich aber meistens tatsächliche Fragen, die in der nationalen Rechtsprechung im allgemeinen der uneingeschränkten Beurteilung des Gerichts der Hauptsache überlassen sind. Auch wenn man entscheidet, daß die Begriffe des Artikels 5 Nr. 5 einen autonomen Inhalt haben, ist es daher unvermeidlich, daß zur Bestimmung ihres Inhalts der Sachverhalt aufgeklärt werden müßte und daß dies die Aufgabe des staatlichen Gerichts wäre. |
1. |
Die Frage bezieht sich ebenso — wenn nicht noch mehr — auf den Begriff des Betriebs wie auf den der Zweigniederlassung, Agentur oder Niederlassung. Es muß sich also um eine Streitigkeit aus dem Betrieb eines solchen Gebildes handeln, und nicht um eine Streitigkeit, die sich aus etwas ergibt, was nur zur Tätigkeit des Stammhauses gehört oder mit dieser verschmilzt. Mit anderen Worten, es kommt darauf an, ob die ausländische Handelsgesellschaft ihre Geschäfte in der Bundesrepublik Deutschland betreibt, und das fragliche Gebilde muß dort eine eigene Tätigkeit, die sich von der der Muttergesellschaft unterscheidet, entfalten, ohne daß sie jedoch Rechtspersönlichkeit besitzt. Das Übereinkommen zeigt einen bemerkenswerten Mangel an Formalismus: Es spricht nicht nur von Zweigniederlassung oder Agentur, die niemals Rechtspersönlichkeit besitzen, obgleich sie — jedenfalls die Zweigniederlassung — eine verhältnismäßig präzise Rechtsstellung haben, sondern auch von „einer sonstigen“ Niederlassung. Das gemeinsame Merkmal der in Artikel 5 Nr. 5 genannten Begriffe besteht demnach darin, daß es sich um Einheiten handelt, die keine Rechtspersönlichkeit haben; es ist insbesondere zu bemerken, daß nicht auf die Filiale eines Unternehmens abgestellt wird, und zwar aus dem Grund, weil eine Filiale mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist und deshalb an dem Ort, an dem sie errichtet ist, verklagt werden kann. Infolgedessen muß, damit man von Betrieb sprechen kann, die Firma im Ausland über äußere industrielle oder kommerzielle Einrichtungen verfügen, die ausreichend beständig sind. Einige der im Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29. Februar 1968 niedergelegten Kriterien könnten analog mit den erförderlichen Anpassungen angewandt werden, auch wenn dieses Übereinkommen einen anderen Gegenstand hat und noch nicht in Kraft getreten ist. Um anerkannt werden zu können, muß die Gesellschaft oder juristische Person in wirklicher Verbindung mit der Wirtschaft eines der Hoheitsgebiete stehen, für welche dieses Übereinkommen gilt (Art. 3); die Gesellschaft oder juristische Person muß nachweisen, daß sie ihre Tätigkeit tatsächlich während eines angemessenen Zeitraums in dem Vertragsstaat ausgeübt hat, nach dessen Recht sie gegründet worden ist (Art. 4). |
2. |
Die in Artikel 5 Nr. 5 bezeichnete Einheit muß zwar eine gewisse Entscheidungsautonomie besitzen und u. a. befugt sein, Geschäfte für Rechnung der Muttergesellschaft abzuschließen, bei denen sie diese verpflichtet; sie muß aber deren Aufsicht und deren Leitung unterstehen. Diesen Grundsatz haben Sie in Ihrem bereits erwähnten Urteil De Bloos aufgestellt: „Zweigniederlassung und Agentur sind unter anderem wesentlich dadurch charakterisiert, daß sie der Aufsicht und Leitung des Stammhauses unterliegen.“ (Randnr. 20 der Entscheidungsgründe). Dieses Kriterium haben Sie auf die Niederlassung erstreckt: „Wortlaut und Zweck dieses Artikels ergeben, daß der ebenfalls verwendete Begriff Niederlassung' nach dem Geist des Übereinkommens die gleichen Wesensmerkmale aufweist wie die Begriffe Zweigniederlassung und Agentur.“ (Randnr. 21 der Entscheidungsgründe). Man kann hieraus jedoch nicht ohne weiteres a contrario schließen, daß jede „Vertretung“, die an die Weisungen des Stammhauses gebunden ist, in ihren Beziehungen zu Dritten nur als Zweigniederlassung oder Agentur zu qualifizieren ist. Hier stellt sich eine heikle Frage der Beweislast: Wem obliegt es, die Existenz dieser Aufsicht und Leitung der Muttergesellschaft nachzuweisen? Ist zu fordern, daß sich diese Aufsicht und Leitung aus einer internen Satzung der Muttergesellschaft und des abhängigen Gebildes ergeben, daß dieses also rechtlich fähig ist, die Muttergesellschaft zu verpflichten, oder genügt es, daß aus der Sicht Dritter die Zuständigkeit der Zweigniederlassung, der Agentur oder der Niederlassung aus deren Verhalten resultiert, auch wenn sie rechtlich ihre Vollmacht überschritten haben? Die Beantwortung dieser Frage überschneidet sich mit der Prüfung der dritten Frage des vorlegenden Gerichts. |
IV. |
Ich denke, daß man im Hinblick auf den Sondercharakter der Zuständigkeit des Artikels 5 Nr. 5 die Realität der Dinge — jenseits des Anscheins — zu erforschen hat und daß Dritte, die beabsichtigen, sich auf diese Ausnahme zu berufen, den Beweis dafür erbringen müssen, daß das Gebilde, das sie verklagen wollen, wirklich der Aufsicht und Leitung der Muttergesellschaft unterlag, und insbesondere daß das Geschäft, in bezug auf das die Streitigkeit entstanden ist, tatsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Zweigniederlassung oder der Agentur fiel und in ausreichender Verbindung mit dem Betrieb dieser Gebilde stand. Im vorliegenden Fall müßte die saarländische Firma nachweisen, daß der saarländische Leiter des Büros der lothringischen Firma kein bloßes Ausführungsorgan oder nur mit Fachaufgaben betrauter Angestellter war, sondern daß er die Befugnis besaß, das Geschäft abzuschließen, und daß insoweit die Verhandlungen wirklich von diesem Vertreter und nicht von der Hauptniederlassung geführt wurden. In diesem Zusammenhang ist es nicht unzweckmäßig, an eine Bestimmung des deutsch-französischen Saarvertrags vom 26. Oktober 1956 zu erinnern, auch wenn diese nur eine mittelbare Zuständigkeit begründete und nicht mehr in Kraft ist. Es handelt sich um Artikel 46 der Anlage 12 zu diesem Vertrag, der folgendes bestimmte: „Wenn ein Saarländer in Frankreich oder ein französischer Staatsangehöriger im Saarland eine Industrie-, Handelsoder eine andere Niederlassung oder Zweigniederlassung besitzt, so können die gegen ihn gerichteten Klagen aus Verträgen, die unmittelbar von der Niederlassung oder Zweigniederlassung geschlossen sind, bei den Gerichten des Landes erhoben werden, in dem sich die Niederlassung oder Zweigniederlassung befindet.“ Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, daß die These vom Rechtsschein, auf die sich das Gericht in seiner letzten Frage bezieht, zurückzuweisen ist. Ich weiß nicht genau, inwieweit diese Theorie im deutschen Recht in bezug auf untergeordnete Niederlassungen anerkannt ist, und auch wenn man einräumt, daß das Problem der „praktischen Auswirkungen“ des Rechtsscheins keine Besonderheit dieses Rechts ist, so halte ich es doch für zweifelhaft, ob die Theorie Bestandteil der Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten ist, die Parteien des Übereinkommens sind. Vor allem würde der Rückgriff auf dieses Kriterium in Wirklichkeit den Weg für sämtliche Auslegungen frei machen und eine Qualifizierung sozusagen wieder nationalisieren, die, wie anzunehmen ist, autonom sein soll. Ich glaube außerdem, einen Hinweis darin erblicken zu können, daß nach Ihrer Rechtsprechung das konkludente Verhalten einer Vertragspartei die in Artikel 17 des Übereinkommens genannte ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung nicht ersetzen kann (EuGH 14. 12. 1976 — Estasis — Slg. 1976, 1831, und EuGH 14. 12. 1976 — Segoura — Slg. 1976, 1851). |
Ich beantrage, wie folgt für Recht zu erkennen: In Zivil- und Handelssachen genügt es für die Anwendung von Artikel 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens von 1968, daß die in dieser Bestimmung bezeichnete Einheit unmittelbar den Vertrag geschlossen hat, auf dem die Klage beruht.
( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.