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Document 61976CC0014
Opinion of Mr Advocate General Reischl delivered on 15 September 1976. # A. De Bloos, SPRL v Société en commandite par actions Bouyer. # Reference for a preliminary ruling: Cour d'appel de Mons - Belgium. # # Case 14-76.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 15. September 1976.
A. De Bloos, SPRL gegen Société en commandite par actions Bouyer.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Mons - Belgien.
Artikel 5, 1 und 5.
Rechtssache 14-76.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 15. September 1976.
A. De Bloos, SPRL gegen Société en commandite par actions Bouyer.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Mons - Belgien.
Artikel 5, 1 und 5.
Rechtssache 14-76.
Sammlung der Rechtsprechung 1976 -01497
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1976:120
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL
VOM 15. SEPTEMBER 1976
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
Zum Verständnis des Vorabentscheidungsersuchens, das der Appellationsgerichtshof in Mons durch Beschluß vom 9. Dezember 1975 an den Gerichtshof gerichtet hat, ist folgendes vorauszuschikken:
Am 24. Oktober 1959 hat die französische Gesellschaft Bouyer mit Sitz in Tomblaine (Departement Meurthe-et-Moselle) mit der belgischen Gesellschaft De Bloos, die ihren Sitz in Leuze hat, einen Vertrag abgeschlossen, dem zufolge der Alleinvertrieb der von Bouyer hergestellten Erzeugnisse in Belgien, Luxemburg und dem früheren Belgischen Kongo der genannten belgischen Gesellschaft zustehen sollte. Der Vertrag galt zunächst für drei Jahre, danach wurde er jeweils, weil eine Kündigung nicht ausgesprochen wurde, stillschweigend verlängert. Gemäß der Verordnung Nr. 17 wurde er bei der Kommission angemeldet; er bedurfte aber keiner Einzelfreistellung, da er einer Mitteilung der Kommission aus dem Jahre 1969 zufolge in den Anwendungsbereich der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 67/67 (ABl. Nr. 57 vom 25. März 1967, S. 849) fiel.
Im Herbst 1972 kam es offenbar zwischen den Vertragspartnern zu Schwierigkeiten. Sie gingen darauf zurück, daß die Firma Bouyer in Belgien mit einem anderen Unternehmen Verhandlungen über den Absatz ihrer Erzeugnisse aufnahm. Darin sieht die Firma De Bloos einen Vertragsbruch, der bestimmte Rechtsfolgen nach sich zieht. Sie beruft sich insofern auf ein belgisches Gesetz vom 27. Juli 1961, das durch Gesetz vom 13. April 1971 geändert wurde. Ihm zufolge gelten Verträge wie der streitige, wenn sie zweimal verlängert wurden, als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Außerdem sieht das Gesetz vor, daß die verletzte Partei bei einseitiger Aufhebung ohne Einhaltung einer vernünftigen Kündigungsfrist Anspruch auf angemessene Entschädigung hat und daß ihr, wenn die Kündigung durch den Lieferanten aus anderen Gründen als wegen Verschuldens des Konzessionärs ausgesprochen wird, zusätzlich eine billige Entschädigung zu gewähren ist.
Unter Bezugnahme auf diese Bestimmungen rief die Firma De Bloos das Handelsgericht in Tournai an. Sie beantragte die Feststellung, daß der Alleinvertriebsvertrag zum 1. Oktober 1972 zu Lasten der Firma Bouyer wegen Vertragsbruchs aufgelöst worden sei, sowie die Verurteilung der französischen Gesellschaft zur Leistung von Schadensersatz.
Die beklagte Gesellschaft bestritt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Dazu bestimmt das bereits erwähnte belgische Gesetz, daß Klagen eines Alleinvertriebshändlers gegen seinen Lieferanten wegen Vertragsverletzung bei dem für den Wohnsitz des Händlers zuständigen Gericht eingebracht werden können, wenn der Alleinvertriebsvertrag in Belgien Wirkungen entfaltet. Diese Vorschrift ließ das Handelsgericht aber beiseite, weil es sie — offensichtlich zu Recht — als durch das am 1. März 1973 in Kraft getretene Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ersetzt ansah. Es stützte sich vielmehr auf das genannte Übereinkommen und insbesondere auf dessen Artikel 5 Nr. 1, in dem es heißt:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden: 1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, …“
Aus Klauseln in Geschäftsbriefen und Rechnungen der Beklagten, nach denen Gerichtsstand Nancy sein sollte, die Rechnungen in Nancy zahlbar und die Waren in den Geschäftsräumen der Beklagten zu liefern waren, folgerte das Handelsgericht, die beklagte Firma habe ihre Verpflichtungen nicht in Belgien, sondern in Frankreich erfüllen müssen. Deshalb schloß es eine Zuständigkeit belgischer Gerichte für die Behandlung des Rechtsstreits aus.
Gegen dieses Urteil legte die Firma De Bloos Berufung beim Appellationsgerichtshof in Mons ein. Das Berufungsgericht gelangte bei der Würdigung des Sachverhalts zunächst insofern zu einem anderen Ergebnis, als es die Vereinbarung eines französischen Erfüllungsortes und damit eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Artikel 17 des erwähnten Übereinkommens in bezug auf die streitige Verpflichtung nicht als gegeben ansah. Es hielt nämlich dafür, die angeführten Klauseln hätten nur für die einzelnen Kaufgeschäfte gegolten, nicht aber für den Rahmenvertrag, um dessen Einhaltung es im Gerichtsverfahren allein gehe. Daneben hält es das Gericht für denkbar, daß belgische Gerichte entweder aufgrund des bereits zitierten Artikels 5 Nr. 1 des Zuständigkeitsübereinkommens oder nach dessen Artikel 5 Nr. 5 zuständig seien, wo es heißt:
„wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet“.
Zweifelsfrei ist dies für das Berufungsgericht allerdings nicht, und zwar aus folgenden Gründen:
Bei Anwendung des belgischen Rechts — und belgisches Recht ist für das Gericht aufgrund einer in dem belgischen Gesetz aus dem Jahre 1961. enthaltenen Kollisionsnorm auf den Sachverhalt deswegen anzuwenden, weil die Alleinvertriebsvereinbarung Wirkungen in Belgien entfaltete — kam das Gericht, was Artikel 5 Nr. 1 des Zuständigkeitsübereinkommens, also den Gerichtsstand des Erfüllungsortes angeht, zu der Feststellung, daß der geltend gemachte Anspruch in verschiedener Weise qualifiziert werden könne. Für die einen sei maßgebend, daß die Entschädigungspflicht an die Stelle der Verpflichtung trete, eine vernünftige Kündigungsfrist einzuhalten; sie sähen in der Hauptverpflichtung des Konzedenten die Grundlage für den Entschädigungsanspruch und betrachteten diesen also als vertraglichen Anspruch. Andere stellten darauf ab, daß der Konzedent die Wahl zwischen der Einhaltung einer vernünftigen Kündigungsfrist und der Leistung von Entschädigung habe, für sie sei die Entschädigungspflicht eine gesetzliche Folge der Vertragsauflösung, d. h. eine neue, selbständige Verpflichtung. Je nachdem werde ein Erfüllungsort in Belgien — dem Gebiet, wo die Hauptverpflichtung des Konzedenten zu erfüllen sei — oder — da Zahlungsverpflichtungen beim Schuldner zu erfüllen seien — ein Erfüllungsort am Sitz des beklagten französischen Schuldners angenommen.
Für die Anwendung des Artikels 5 Nr. 5 des Zuständigkeitsübereinkommens sieht das Berufungsgericht Schwierigkeiten darin, daß der Alleinvertriebshändler nach den im Verfahren getroffenen Feststellungen nicht befugt war, im Namen des Lieferanten zu handeln, und daß er nicht dessen Aufsicht und Leitung unterlag. Deshalb hat es Zweifel daran gegeben, ob der belgische Alleinvertriebshändler als Zweigniederlassung etc. im Sinne des Artikels 5 Nr. 5 des Zuständigkeitsübereinkommens angesehen werden könne.
Aus diesen Gründen hat das Berufungsgericht das Verfahren ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung über die Auslegung des Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommens einzuholen. Folgende Fragen sind in seinem Vorlagebeschluß vom 9. Dezember 1975 formuliert:
I — |
Umfaßt bei einem Rechtsstreit zwischen den Parteien einer Alleinvertriebsvereinbarung, in welchem dem Lieferanten Bruch des Ausschließlichkeitsverhältnisses vorgeworfen wird, der Begriff „Verpflichtung“ in Artikel 5 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 sämtliche nachstehend aufgeführten Verpflichtungen oder nur einige von ihnen:
|
II — |
Steht der Alleinvertriebshändler einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung des Lieferanten im Sinne des Artikels 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens vor, wenn er — zum einen — nicht befugt ist, in dessen Namen aufzutreten oder ihn zu verpflichten, und — zum anderen — weder dessen Aufsicht noch Leitung untersteht? |
I — |
Bevor ich auf diese Fragen eingehen kann, muß ich zu einem verfahrensrechtlichen Problem Stellung nehmen. Es ergibt sich daraus, daß zu dem Vorabentscheidungsersuchen, das routinemäßig allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zugeleitet worden ist, auch die Regierung des Vereinigten Königreichs Bemerkungen gemacht hat, obwohl das Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen und das Protokoll über seine Auslegung bislang nur für die ursprünglichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gelten. Wie sich im Verlaufe des Verfahrens gezeigt hat, besteht Uneinigkeit darüber, ob derartige Äußerungen von Seiten der drei neuen Mitgliedstaaten zulässig sind. Die Befürworter nehmen vor allem Bezug auf Artikel 5 des Auslegungsprotokolls, der für das Vorabentscheidungsverfahren auf das EWG-Protokoll über die Satzung des Gerichtshofes verweist. Sie sind der Auffassung, es müsse, weil in Artikel 20 des genannten Protokolls sicher alle Mitgliedstaaten gemeint seien, ein Gleiches auch für Verfahren nach Artikel 3 des Auslegungsprotokolls gelten. Daneben weisen sie auf Artikel 37 der EWG-Satzung des Gerichtshofes hin, nach dem alle Mitgliedstaaten das Recht haben, „einem bei dem Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit“ beizutreten. — Demgegenüber hat die französische Regierung, die allein Einwendungen geltend gemacht hat, ausgeführt, für den Ausschluß der neuen Mitgliedstaaten aus dem Verfahren spreche, daß nur die Gerichte der ursprünglichen Mitgliedstaaten und ihre „zuständigen Stellen“ im Sinne des Artikels 4 des Auslegungsprotokolls die Möglichkeit hätten, den Gerichtshof zu befassen. Außerdem seien nur die Vertragsstaaten, d. h. die Staaten, die das Übereinkommen abgeschlossen hätten, in der Lage, seinen Inhalt zu präzisieren. Bei der Beurteilung dieses Streitpunktes kann man sicher Zweifel daran haben, ob für die Rechtfertigung einer Beteiligung der neuen Mitgliedstaaten an den das Zuständigkeitsübereinkommen betreffenden Vorlageverfahren der Hinweis auf Artikel 5 des Auslegungsprotokolls ausreicht. Man darf nämlich nicht übersehen, daß Artikel 5 mit den Worten beginnt, „soweit dieses Protokoll nichts anderes bestimmt“. Dies könnte so zu verstehen sein, daß es auf Sinn und System des Protokolls ankommt und daß darauf abzustellen ist, für welche Mitgliedstaaten das Protokoll schon Verbindlichkeit erlangt hat. Außerdem läßt sich auf Artikel 4 des Protokolls hinweisen, in dem — von der Kommission und vom Rat abgesehen — nur von einer Zustellung an die Vertragsstaaten die Rede ist. Darin mag man eine allgemeine Verdeutlichung des Teilnahmerechts erblicken, ist doch nicht recht einzusehen, warum für Verfahren nach Artikel 4 des Auslegungsprotokolls, in denen es auch nur um Auslegungsfragen geht, bezüglich der Mitgliedstaaten ein anderer Teilnehmerkreis gelten soll als für Verfahren nach Artikel 3. Andererseits muß man jedoch einräumen, daß den im Verfahren gemachten Hinweisen auf Artikel 3 Absatz 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der Verträge sowie auf Artikel 63 des Zuständigkeitsübereinkommens beträchtliches Gewicht zukommt. Nach Artikel 3 Absatz 2 der Beitrittsakte sind die neuen Mitgliedstaaten verpflichtet, „den in Artikel 220 des EWG-Vertrags vorgesehenen und von den ursprünglichen Mitgliedstaaten unterzeichneten Übereinkommen und den Protokollen über die Auslegung dieser Übereinkommen durch den Gerichtshof beizutreten und zu diesem Zweck mit den ursprünglichen Mitgliedstaaten Verhandlungen im Hinblick auf die erforderlichen Anpassungen aufzunehmen“ — Verhandlungen, die, wie wir wissen, inzwischen in einer ersten Phase schon abgeschlossen sind. Artikel 63 des Zuständigkeitsübereinkommens bestimmt: „Die Vertragsstaaten bekräftigen, daß jeder Staat, der Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird, verpflichtet ist, sein Einverständnis zu erklären, daß dieses Übereinkommen den Verhandlungen zwischen den Vertragsstaaten und diesem Staat zugrunde gelegt wird, die erforderlich werden, um die Ausführung des Artikels 220 letzter Absatz des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sicherzustellen. Die erforderlichen Anpassungen können Gegenstand eines besonderen Übereinkommens zwischen den Vertragsstaaten einerseits und diesem Staat andererseits sein.“ Nach dem Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — abkürzend werde ich diesen in der Folge einfach „Bericht“ nennen — bedeutet dies, daß von den Grundsätzen des Übereinkommens nicht abgewichen werden darf, daß also der Kernbestand und die Grundprinzipien des Übereinkommens auch für die neuen Mitgliedstaaten gelten werden. Es besteht infolgedessen ein echtes und schutzwürdiges Interesse künftiger Vertragsstaaten daran, sich schon jetzt an den Auslegungsbemühungen zu beteiligen; denn die entsprechenden Gerichtsentscheidungen werden — jedenfalls was die Grundprinzipien des Übereinkommens angeht — zu dem Rechtsbestand gehören, den die neuen Mitgliedstaaten übernehmen müssen. Weil aber sicherlich nicht leicht abzugrenzen ist, was zum Kernbestand des Übereinkommens gehört und was Anpassungen zuläßt, sollte man meines Erachtens nicht zögern, einen Schritt weiter zu gehen und generell Äußerungen neuer Mitgliedstaaten in Vorlageverfahren zum Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen zuzulassen. Dazu kann man sich im übrigen auch deswegen entschließen, weil es sich ja um ein objektives Verfahren zur Sinnermittlung des Übereinkommens handelt, in dem prinzipiell nichts zur Disposition der Beteiligten steht. Sollte es darauf ankommen, so könnten außerdem die Absichten, die die Vertragsstaaten bei Abschluß des Übereinkommens hatten, ohne weiteres über Äußerungen der ursprünglichen Mitgliedstaaten zur Geltung kommen. Ohne daß ich es für nötig halte, im einzelnen noch auf Artikel 37 der EWG-Satzung des Gerichtshofes einzugehen — seine Anwendung auf Verfahren der vorliegenden Art erscheint mir ohnehin höchst zweifelhaft —, schlage ich also vor, auszusprechen, daß gegen die Mitwirkung der neuen Mitgliedstaaten in Verfahren zur Auslegung des Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommens nichts einzuwenden ist. |
II — |
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