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Document 61975CC0063

Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 14. Januar 1976.
SA Fonderies Roubaix Wattrelos gegen Société nouvelle des Fonderies A. Roux und Société des Fonderies JOT.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Paris - Frankreich.
Rechtssache 63-75.

Sammlung der Rechtsprechung 1976 -00111

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1976:2

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL

VOM 14. JANUAR 1976

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Nach Artikel 4 Absatz 1 der Ratsverordnung Nr. 17 vom 6. Februar 1962 (Abl. Nr. 13 vom 21.2. 1962, S. 204) sind Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestellte Verhaltensweisen der in Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags bezeichneten Art, die nach Inkrafttreten dieser Verordnung zustande kommen und für welche die Beteiligten Artikel 85 Absatz 3 in Anspruch nehmen wollen, bei der Kommission anzumelden; solange sie nicht angemeldet worden sind, kann eine Erklärung nach Artikel 85 Absatz 3 nicht abgegeben werden. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 gilt der erwähnte Absatz 1 unter anderem nicht für Vereinbarungen, an denen nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind und die nicht die Ein- oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten betreffen.

Vor allem um die Auslegung der zuletzt genannten Bestimmung geht es in dem Vorlageverfahren, das vom Pariser Appellationsgerichtshof anhängig gemacht worden ist und zu dem ich heute Stellung zu nehmen habe.

Die Firma Fonderies Roubaix-Wattrelos, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, hat im Juni 1963 mit der deutschen Firma Gontermann-Peipers einen Vertrag geschlossen, dem zufolge die Klägerin das Alleinverkaufsrecht für von der Firma Gontermann-Peipers nach einem Geschäftsgeheimnis hergestellte Gußstücke der Marke Gopag für die nördliche Hälfte von Frankreich erhielt. Außerdem durfte die Klägerin keine Konkurrenzerzeugnisse vertreiben. Anfang 1964 soll dieser Vertrag mündlich auf ganz Frankreich erstreckt worden sein. Eine Anmeldung bei der Kommission zum Zwecke einer etwaigen Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des EWG-Vertrags erfolgte am 8. September 1966, nachdem der Vertrag am 16. März 1966 schriftlich neu formuliert und unterzeichnet worden war.

Die Klägerin schloß ihrerseits am 6. Oktober 1964 mit der französischen Firma Fonderies A. Roux mit Sitz in Lyon einen Alleinvertriebsvertrag. Ihm zufolge war die Firma Fonderies A. Roux zum ausschließlichen Weiterverkauf der Gußstücke der Marke Gopag in 24 französischen Departements berechtigt, d. h. die Klägerin konnte in dem bezeichneten Gebiet Direktgeschäfte, für die bestimmte Preise gelten sollten, nur mit der Firma Fonderies A. Roux tätigen. Diese Firma wiederum traf nach dem Vertrag die Verpflichtung, keine den Vertragserzeugnissen ähnlichen Produkte herzustellen und nicht für Konkurrenten der Firma Gontermann-Peipers zu arbeiten. Ausdrücklich bestimmt war ferner, daß die Gültigkeit des soeben erwähnten Vertrages vom Bestand des zwischen der Klägerin und Gontermann-Peipers abgeschlossenen Vertrages abhänge.

Bei der Abwicklung des mit der Fonderies A. Roux abgeschlossenen Vertrages — ähnliche Verträge lokaler Bedeutung bestanden mit einer Reihe anderer französischer Unternehmen — scheint es zwischen den Vertragspartnern zu Schwierigkeiten gekommen zu sein. Die Firma Fonderies A. Roux soll nämlich die Konkurrenzklausel nicht beachtet und Gußstücke zum Zwecke des Wiederverkaufs im Konzessionsgebiet aus der Schweiz bezogen haben. Als die Klägerin davon erfuhr, hielt sie sich für berechtigt, das Konzessionsgebiet zu verkleinern. Darauf reagierte die Firma Fonderies A. Roux im Frühjahr 1973 mit der Mitteilung, sie betrachte damit die Vereinbarung als gelöst.

Dies veranlaßte die Klägerin, die Fonderies A. Roux sowie deren Filiale Société des Fonderies JOL beim Handelsgericht Paris auf Leistung von Schadensersatz zu verklagen. Das Handelsgericht gab der Klage jedoch nicht statt. Nach seiner Auffassung ist der zwischen den Parteien abgeschlossene Alleinvertriebsvertrag nichtig, und zwar deswegen, weil die ihm zugrunde liegenden Vereinbarung mit der deutschen Firma Gontermann-Peipers wegen Nichtanmeldung bei der Kommission und wegen Nichtfreistellung durch die Kommission gemäß Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags nichtig sei.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung beim Appellationsgerichtshof in Paris ein. Dieser hielt in seinem Urteil vom 5. Juli 1975 den von der Klägerin und Gontermann-Peipers abgeschlossenen Vertrag von der Anmeldung bei der Kommission an für vorläufig gültig. Die Beurteilung der Gültigkeit des von der Klägerin und der Fonderies A. Roux abgeschlossenen Alleinvertriebsvertrags hängt nach Ansicht des Appellationsgerichtshofes von der Beantwortung der Frage ab, ob die Vereinbarung gemäß Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 von der Anmeldung befreit ist. Deshalb setzte der Appellationsgerichtshof mit Urteil vom 5. Juli 1975 das Verfahren aus und legte nach Artikel 177 des EWG-Vertrags die Frage zur Vorabentscheidung vor,

„ob ein Vertrag zwischen zwei Unternehmen aus einem Mitgliedstaat zum — dank der Nutzung von Lager und Vertriebsnetz der einen Partei — ‚möglichst kostengünstigen Verkauf‛ eines von der anderen Partei aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Erzeugnisses als die Einfuhr ‚betreffend‛ anzusehen und deshalb gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 anzumelden ist“.

Hierzu nehme ich wie folgt Stellung:

1.

Vorweg ist hervorzuheben, daß das vorlegende Gericht wohl zu Recht die Wettbewerbsbestimmungen des EWG-Vertrags und nicht diejenigen des Montanvertrags herangezogen hat. Maßgebend ist dafür die Art der von der Vereinbarung erfaßten Erzeugnisse. In den Bereich des Montanvertrags fallen nur Produkte, die der im Anhang I zum Vertrag enthaltenen Beschreibung entsprechen. Bei Gußstücken ist das nur der Fall, wenn sie zum Wiedereinschmelzen in Gießereien bestimmt sind, nicht dagegen, wenn sie in anderer Weise weiterverarbeitet werden sollen. Da es sich im gegenwärtigen Fall aber anscheinend unbestritten um Gußstücke der zuletzt genannten Art handelt, kann davon ausgegangen werden, daß diesbezügliche Vereinbarungen nach den Bestimmungen des EWG-Rechts zu beurteilen sind.

2.

Was sodann die begehrte Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 angeht, so ist nach dem System des Wettbewerbsrechts des EWG-Vertrags — Artikel 85 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 17 — ohne weiteres klar, daß die Wendung „die Ein- oder Ausfuhr betreffen“ eine engere Bedeutung hat als das Kriterium „den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sein“. Andernfalls hätte die genannte Bestimmung keinen Sinn. Das System des Wettbewerbsrechts der Wirtschaftsgemeinschaft setzt voraus, daß es Vereinbarungen gibt, die nicht die Ein- oder Ausfuhr betreffen, die aber gleichwohl geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Darauf hat der Gerichtshof schon im Urteil der Rechtssache 43/69 (EuGH 18. März 1970 — Brauerei A. Bilger Söhne GmbH/Heinrich und Marta Jehle — Slg. 1970, 136) hingewiesen.

Wie die Wendung „die Einfuhr oder Ausfuhr betreffen“ genau zu umgrenzen ist, erscheint jedoch problematisch. Insoweit werden in Lehre und Praxis mancherlei Verdeutlichungsformeln mit recht unterschiedlichem Gehalt verwendet. Von einigen Autoren wird die Ansicht vertreten, nach der zitierten Wendung sei zu verlangen, daß die davon erfaßten Maßnahmen ausdrücklich die Ein- oder Ausfuhr regeln oder sie zum Gegenstand haben (Gleiss-Hirsch: EWG-Kartellrecht, 2. Auflage, Anmerkung zu Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17; Schumacher: Wirtschaft und Wettbewerb 1962, S. 480; Dörinkel: Wirtschaft und Wettbewerb 1966, S. 560). Andere sprechen in diesem Zusammenhang von bewußtem und gewolltem Einwirken auf Ein- und Ausfuhr oder davon, daß die erfaßten Maßnahmen auf Ein- und Ausfuhr gerichtet sind (Deringer: Das Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Anmerkung zu Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17; Kaul: Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters 1962, S. 156). Vielfach wird verlangt — und dies scheint die allgemein anerkannte Untergrenze zu sein —, daß zumindest mittelbare Auswirkungen ausgeschlossen werden, daß es sich um eine unmittelbare Berührung des Handels, um eine unmittelbare Handelsbeeinträchtigung handeln muß (Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 23. 4. 1968, Wirtschaft und Wettbewerb 1969, S. 263).

Meine Auffassung dazu ist prinzipiell die, daß dem Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, weil es sich um eine Ausnahmebestimmung handelt, keine zu weite Auslegung gegeben werden darf. Darüber hinaus frage ich mich aber, ob überhaupt versucht werden soll und kann, den Sinn der in Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 verwendeten allgemeinen Formulierung in einer umfassenden Formel zu verdeutlichen. Sinnvoller ist es wahrscheinlich, nach und nach in der Praxis anhand konkreter Fälle zu einer präzisen Definition zu gelangen. In bezug auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens dürfte es jedenfalls möglich sein, brauchbare Kriterien unter Berücksichtigung des von mir aufgestellten Interpretationsprinzips sowie unter Beachtung von Erkenntnissen zu gewinnen, die sich der Rechtsprechung schon entnehmen lassen.

So wurde in dem Urteil der Rechtssache 43/69 festgestellt, Alleinbelieferungsverträge, zu deren Erfüllung die ihren Gegenstand bildenden Waren die Staatsgrenzen nicht zu überschreiten bräuchten, beträfen nicht die Ein- oder Ausfuhr. Daraus läßt sich wohl ableiten — und dies ist auch die Auffassung eines Teils der Lehre (Mestmaecker: Europäisches Wettbewerbsrecht 1974, S. 273) —, daß Vereinbarungen die Ein- oder Ausfuhr betreffen, wenn die ihren Gegenstand bildenden Waren zum Zwecke der Vertragserfüllung die Staatsgrenzen überschreiten müssen. Ich würde meinen, daß sich dies auch sagen läßt im Hinblick auf rein nationale Alleinvertriebsverträge, die geschlossen werden zum Zwecke der Ausführung eines grenzüberschreitenden Alleinvertriebsvertrages, die also Instrumente zur sinnvollen Durchführung grenzüberschreitender Alleinvertriebsabkommen bilden. Da sie nur für importierte Waren gelten, da der Konzedent, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können, vorher importieren muß, ist hier wohl der unmittelbare Bezug zu Importvorgängen gegeben, der für Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 zumindest vorliegen muß.

Außerdem können in diesem Zusammenhang noch zwei weitere Umstände von Bedeutung sein, auf die ebenfalls in der Lehre hingewiesen wird (Mestmaecker: a.a.O.; Groeben-Boeckh-Thiesing: Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Auflage, Band 1, S. 863 ff.; Kaul: a.a.O.). Das ist zum einen ein für den Konzessionär geltendes Konkurrenzverbot, das auch den Import gleichartiger Erzeugnisse umfaßt. Das ist zum anderen die Verpflichtung des Konzessionärs, keine Lieferungen über die Grenze seines Konzessionsgebietes hinaus zu tätigen. Wenn solche Klauseln so zu verstehen sind, daß sie gezielt den Bezug ausländischer Erzeugnisse unmöglich machen sollen und daß sie grenzüberschreitende Exportlieferungen, die andernfalls möglich wären, verhindern sollen, so haben wir es auch dabei mit Elementen zu tun, die für die Anwendung des Artikels 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 relevant sind.

Legt man aber diesen Maßstab zugrunde, so scheint sich danach auf die Vorlagefrage die Antwort zu ergeben, daß die im Ausgangsverfahren streitige Vereinbarung nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung des Artikels 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 fällt.

3.

Damit ist freilich nicht zwangsläufig die Feststellung verbunden, daß die rechtliche Gültigkeit derartiger Vereinbarungen von einer Anmeldung zum Zwecke der Freistellung bei der Kommission abhängt. Dies machen zusätzliche, für eine sinnvolle Entscheidungshilfe unerläßliche Erwägungen deutlich, von denen zumindest eine im Grunde sogar die Aussage erlaubt, es könne dahingestellt bleiben, wie der Artikel 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 genau zu umgrenzen ist.

a)

So wurde im Verfahren zu Recht betont, Grundvoraussetzung für eine Anmeldung bei der Kommission und eine Freistellung durch diese sei, daß die zu beurteilende Vereinbarung überhaupt von Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags erfaßt wird. Darüber hat sich ein Gericht zuerst Klarheit zu verschaffen, wenn in einem Verfahren Nichtigkeit nach Artikel 85 geltend gemacht wird.

Bei dieser Prüfung kann man sich nicht auf die Erkenntnis beschränken, der Wettbewerb werde eingeschränkt, weil ein Vertrag den Konzessionär auf Bezüge beim Konzedenten beschränke, und die Vereinbarung beeinträchtige auch, weil der Direktbezug beim ausländischen Hersteller ausgeschlossen werde, den zwischenstaatlichen Handel.

Die Prüfung hat weiter zu gehen, denn nach zutreffender Kommissionspraxis und Rechtsprechung fallen Vereinbarungen nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 85 Absatz 1, die nur geringfügige Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse und den zwischenstaatlichen Handel haben, mit denen eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung und Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nicht verbunden ist. Ich verweise dazu auf das Urteil der Rechtssache 56/65 (EuGH 30. Juni 1966 — Société Technique Minière (LTM)/Maschinenbau Ulm GmbH (MBU) — Slg. 1966, 304), nach dem bei Alleinvertriebsverträgen Art und Menge der den Gegenstand der Vereinbarung bildenden Erzeugnisse in Betracht zu ziehen seien und zu prüfen sei, welche Stellung und Bedeutung der Lieferant und der Vertriebsberechtigte auf dem Markt dieser Erzeugnisse innehätten. Auf derselben Linie liegt das Urteil der Rechtssache 5/69 (EuGH 9. Juli 1969 — Franz Völk/Éts. J. Vervaecke sprl. — Slg. 1969, 302), wenn es betont, geringfügige Beeinträchtigungen des Marktes, die sich aus der schwachen Stellung der Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse erklärten, seien für Artikel 85 nicht von Bedeutung. Außerdem kann auch auf die Bekanntmachung der Kommission vom 27. Mai 1970 über Vereinbarungen etc. von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags fallen, hingewiesen werden. In ihr wird ebenfalls hervorgehoben, Artikel 85 Absatz 1 greife nicht ein bei geringfügigen Handelsbeeinträchtigungen sowie wenn keine spürbaren Auswirkungen auf die Marktverhältnisse zu verzeichnen sind. Dabei kommt es darauf an, welchen Anteil am Umsatz die den Gegenstand einer Vereinbarung bildenden Erzeugnisse in dem Gebiet des Gemeinsamen Marktes haben, auf das sich die Vereinbarung auswirkt, und welches Volumen die Umsätze der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen aufweisen.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß das vorlegende Gericht bei der Prüfung dieser Fragen zu dem Ergebnis kommt, Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags greife überhaupt nicht ein. Bei einer solchen Sachlage bedürfte es also keiner Freistellung durch die Kommission, und es wäre dann für die Beurteilung der Gültigkeit der streitigen Vereinbarung auch die Frage der Anmeldung bei der Kommission vollkommen irrelevant.

b)

Die zweite zusätzliche Erwägung bezieht sich auf die Kommissionsverordnung Nr. 67/67 vom 22. März 1967 (Abl. Nr. 57 vom 25. 3. 1967), die aufgrund der Ratsverordnung Nr. 19/65 vom 2. März 1965 (Abl. Nr. 36 vom 6.3.1965) über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ergangen ist.

Diese Verordnung erklärt Artikel 85 Absatz 1 für nicht anwendbar auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen. Einer Anmeldung bedarf es dafür nicht. Dies ergibt sich indirekt aus dem System der Verordnung in Verbindung mit der Verordnung Nr. 17, aber auch aus der Begründung der Verordnung. Dies ist offensichtlich von Bedeutung für die zwischen der Klägerin Und Gontermann-Peipers abgeschlossene Vereinbarung. Es handelt sich hier um eine Abmachung, an der nur zwei Unternehmen beteiligt sind und in der sich ein Vertragspartner dem anderen gegenüber verpflichtet, zum Zwecke des Weiterverkaufs innerhalb eines abgegrenzten Gebietes des Gemeinsamen Marktes bestimmte Waren nur an ihn zu liefern. Außerdem dürften auch die Voraussetzungen des Artikels 2 der Verordnung Nr. 67/67 erfüllt sein.

So liegt der Schluß ohne weiteres nahe, daß nichts anderes gelten kann für eine gleichgestaltete, rein nationale Vereinbarung, die ein Instrument zur Durchführung der Hauptvereinbarung darstellt. Ebenso wie die Grundvereinbarung hat sie, weil die Verkaufstätigkeit konzentriert werden kann, eine Verbesserung der Verteilung zur Folge und gleichzeitig günstige Auswirkungen für die Verbraucher. Für den Gemeinsamen Markt ist sie überdies von geringerer Gefährlichkeit als gleichartige grenzüberschreitende Abmachungen.

Diese Schlußforderung wird auch nicht durch Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 67/67 ausgeschlossen. Dort heißt es: „Absatz 1 ist nicht anwendbar auf Vereinbarungen, an denen nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind und die den Weiterverkauf von Waren innerhalb dieses Mitgliedstaats betreffen.“ Tatsächlich könnte man bei wörtlicher Auslegung der zitierten Bestimmung annehmen, eine Freistellung rein nationaler Alleinvertriebsverträge komme kraft der Gruppenfreistellungsverordnung nicht in Betracht. Eine solche Auslegung ist aber vollkommen unvertretbar, da sie ein absolut unbefriedigendes Resultat ergäbe. Sie würde die absurde Konsequenz einschließen, daß die Kommission — in Anbetracht der unsicheren Abgrenzungskriterien, die für Ausnahmen von der Notifizierungspflicht gelten, würden vorsichtige Unternehmen diesen Weg sicher gehen — mit der Anmeldung einer Vielzahl rein nationaler Alleinvertriebsvereinbarungen zum Zwecke der Einzelfreistellung überschwemmt würde.

Ein solches Ergebnis läßt sich meines Erachtens vermeiden, wenn auf den Sinn der zitierten Regelung abgestellt wird. Im Verfahren haben wir von der Kommission gehört, die Bestimmung erkläre sich daraus, daß bei der Ausarbeitung der Verordnung Nr. 67/67 die Ansicht vertreten wurde, rein nationale Alleinvertriebsvereinbarungen würden von Artikel 85 Absatz 1 gar nicht erfaßt, sie gehörten nicht in den Bereich gemeinschaftsrechtlich zu beurteilender Wettbewerbsbeschränkungen, sondern seien allein nach nationalem Wettbewerbsrecht zu behandeln. Dies wird in der Begründung der Verordnung Nr. 67/67 mit dem Satz angedeutet, der besagt: „Da Alleinvertriebsvereinbarungen innerhalb eines Mitgliedstaats nur ausnahmsweise geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, besteht kein Bedürfnis, sie in diese Verordnung einzubeziehen.“

Wenn sich nun in der Praxis zeigt, daß in seltenen Ausnahmefällen derartige Vereinbarungen doch von Artikel 85 Absatz 1 erfaßt werden, ist der einzig sinnvolle Weg, sie zu beurteilen, der eines argumentum a fortiori. Für nationale Alleinvertriebsverträge, die unterhalb dessen bleiben, was nach der Verordnung Nr. 67/67 für zulässig erklärt wird, und deren Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel weniger gravierend sind als die Auswirkungen entsprechender grenzüberschreitender Vereinbarungen, kann es keine andere als die in der Verordnung Nr. 67/67 festgelegte Bewertung geben. Sicher läßt sich ohne weiteres sagen, daß sie vom Freistellungswillen ebenso erfaßt werden wie grenzüberschreitende Alleinvertriebsverträge. Die Sachlage verlangt gebieterisch zumindest eine analoge Gesetzesanwendung. Dem Wortlaut der Bestimmung, deren Aufhebung die Kommission ohnehin anstrebt, wird auf diese Weise nicht übermäßig Gewalt angetan, gleichzeitig aber wird sichergestellt, daß die nach der Verordnung Nr. 67/67 erkennbare Interessenbewertung in befriedigender Weise zur Geltung kommt.

Letztlich gilt, vorausgesetzt, daß die nationale Vereinbarung, um die es im Ausgangsverfahren geht, von Artikel 85 Absatz 1 überhaupt erfaßt wird, die in der Verordnung Nr. 67/67 ausgesprochene Freistellung, weil die Bedingungen der genannten Verordnung offenbar erfüllt sind, auch hier, und zwar gleichfalls, ohne daß es einer Anmeldung bei der Kommission bedürfte. Auf die Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Ziffer 1 der Verordnung Nr. 17 kommt es also für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens gar nicht an, das vorlegende Gericht kann vielmehr von der Gültigkeit der streitigen Vereinbarung unter Berufung auf die Verordnung Nr. 67/67 ausgehen.

4.

Auf das Vorabentscheidungsersuchen des Appellationsgerichtshofes in Paris sollte demnach wie folgt geantwortet werden:

Ein von zwei Unternehmen eines Mitgliedstaats abgeschlossener Vertrag, nach dem ein Partner das ausschließliche Recht zum Weiterverkauf von Waren, die der andere Partner aus einem anderen Mitgliedstaat importiert, für einen Teilbereich des betreffenden Mitgliedstaats erhält, ist, soweit er von Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags erfaßt wird, ohne Anmeldung bei der Kommission nach Artikel 85 Absatz 3 ebenso freigestellt wie entsprechende grenzüberschreitende Alleinvertriebsverträge, die den Voraussetzungen der Verordnung Nr. 67/67 genügen.

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