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Έγγραφο 61975CC0010

    Schlussanträge des Generalanwalts Mayras vom 8. Juli 1975.
    Procureur près la cour d'appel d'Aix-en-Provence und Fédération nationale des producteurs de vins de table et vins de pays gegen Paul Louis Lahaille und andere.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel d'Aix-en-Provence - Frankreich.
    Vermutung der Überalkoholisierung von Wein.
    Verbundene Rechtssachen 10 bis 14-75.

    Sammlung der Rechtsprechung 1975 -01053

    Αναγνωριστικό ECLI: ECLI:EU:C:1975:99

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS HENRI MAYRAS

    VOM 8. JULI 1975 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    Einleitung

    Wie die Cour d'Appel Bordeaux hat Ihnen auch die Cour d'Appel Aix- en-Provence Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt, bei denen es um die Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen für den Bereich des Weinmarktes geht

    Bei den vor der Cour d'Appel Aix- en-Provence anhängigen Rechtssachen handelt es sich indes um Strafverfahren gegen Weinhändler aus Marseille, die zwischen November 1970 und November 1971 in Italien erzeugte Tafelweine nach Frankreich einführten. Die aufgeworfenen Probleme sind also unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu untersuchen.

    Vom Service de la répression des fraudes (Fahndungsdienst) veranlaßte Analysen führten zu der Feststellung, daß bei einigen dieser Weine die gesetzliche Vermutung der Überalkoholisierung des französischen Dekrets vom 19. April 1898 eingriff, das in Artikel 8 des Code du Vin (Weinverordnung) eingegangen ist.

    Wie Ihnen, meine Herren, bekannt ist, wird aufgrund dieser gesetzlichen Regelung eine „Überalkoholisierung“ bei Rotweinen vermutet, wenn das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt über einem bestimmten Wert liegt, der grundsätzlich auf 4,6 festgesetzt ist, jedoch Abweichungen zuläßt, um gewissen Weinbereitungsverfahren Rechnung zu tragen.

    Das Tribunal Correctionnel Marseille sprach die fünf Angeklagten frei. Die Cour d'Appel Aix- en-Provence, bei der die Fédération Nationale des Producteurs de Vins de Table et Vins de Pays, Antragstellerin im Adhäsionsverfahren, und die Staatsanwaltschaft Berufung einlegten, ist der Ansicht, daß die Entscheidung der bei ihr anhängigen Verfahren von der Auslegung der Verordnung Nr. 816/70 des Rates zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein abhängt. Sie ersucht Sie daher, zu den Fragen Stellung zu nehmen,

    1.

    ob Tafelweine, die Gegenstand dieser Verordnung sind, um diese Bezeichnung zu verdienen und um auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei befördert werden zu können, lediglich den unter Nummer 10 des Anhangs II der Gemeinschaftsverordnung enthaltenen analytischen Normen oder auch noch den innerstaatlichen Praktiken und Rechtsvorschriften entsprechen müssen;

    2.

    ob aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 die im innerstaatlichen Recht enthaltene Vermutung der Überalkoholisierung von Tafelwein, die beim Überschreiten des durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Trockenextraktalkoholverhältnisses vorliegt, für den Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft nicht gilt.

    I — Zur ersten Frage

    Die erste Frage bereitet meines Erachtens keine besonderen Schwierigkeiten. Denn Artikel 27 Absatz 1 der Verordnung Nr. 816/70 bestimmt: „Der Name Tafelwein ist dem in Anhang II unter Nummer 10 definierten Wein vorbehalten.“

    Nach dieser Definition muß Tafelwein

    ausschließlich von Rebsorten im Sinne des Artikels 16 der Verordnung stammen, nämlich aus Rebsorten, die zum Anbau in der Gemeinschaft zugelassen sind;

    in der Gemeinschaft hergestellt sein;

    einen vorhandenen Alkoholgehalt von mindestens 8,5o und einen Gesamtalkoholgehalt von höchstens 15o aufweisen, wobei sich jedoch diese Grenze bei Weinen, die aus Rebsorten bestimmter, noch festzulegender Anbauflächen gewonnen werden, auf 17o erhöht;

    einen in Weinsäure ausgedrückten Gesamtsäuregehalt von mindestens 4,5 g/l aufweisen.

    Diese Güteanforderungen werden jedoch durch die Bestimmungen der Verordnung Nr. 816/70 über die Zusammensetzung der frischen Weintrauben, des Traubenmostes, des teilweise gegorenen Mostes oder des Jungweins ergänzt. Weist eines dieser Erzeugnisse nicht die für die Gewinnung von Tafelwein vorgeschriebenen Eigenschaften auf, so darf für den Wein nicht die entsprechende Bezeichnung im Sinne des Gemeinschaftsrechts verwendet werden.

    Nach den Vorschriften des Artikels 26 über den Verschnitt sind vorbehaltlich bestimmter Abweichungen grundsätzlich nur solche Erzeugnisse Tafelweine im Sinne des Gemeinschaftsrechts, die aus dem Verschnitt von Tafelweinen untereinander oder mit zur Gewinnung von Tafelweinen geeigneten Weinen gewonnen werden.

    Schließlich werden bestimmte önologische Verfahren untersagt oder einer Regelung unterworfen. Die Verfahren, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, sind Gegenstand der Artikel 18, 19 und 25 der Verordnung Nr. 816/70.

    Die beiden ersten Bestimmungen betreffen die Erhöhung des vorhandenen oder des potentiellen natürlichen Alkoholgehalts, welche die Mitgliedstaaten, wenn es die Witterungsverhältnisse erforderlich erscheinen lassen, in bestimmten Weinbaugebieten unter gewissen Voraussetzungen zulassen dürfen. Die Erhöhung darf nur nach den in Artikel 19 geregelten Verfahren vorgenommen werden, nämlich bei frischen Weintrauben oder Most durch Zugabe von Saccharose oder konzentriertem Traubenmost sowie bei Traubenmost oder Wein durch teilweise Konzentrierang.

    Nach Artikel 25 ist der Zusatz von Alkohol zu Tafelweinen schlechthin untersagt

    Ich sollte jedoch bereits hier anmerken, daß die Beachtung dieser Bestimmungen nicht von den Dienststellen der Gemeinschaft überwacht wird, sondern der Prüfungszuständigkeit der einzelstaatlichen Behörden unterliegt, die nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind, für die Einhaltung dieser Bestimmungen zu sorgen.

    Werden die besagten Bestimmungen nicht beachtet, so darf der in einem verbotenen Verfahren hergestellte Wein nicht zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch abgegeben werden. Diese Folge, die sich bereits implizit aus dem ursprünglichen Wortlaut der Verordnung ergab, wird nun ausdrücklich in Artikel 28 a ausgesprochen, der durch die Änderungsverordnung Nr. 2680/72 eingefügt wurde.

    Daher ist es für mich, gleichgültig, ob auf die unter Nummer 10 des Anhangs II aufgeführten Tafelweineigenschaften oder auf die Vorschriften über bestimmte önologische Verfahren abgestellt wird, ganz eindeutig, daß für die Bezeichnung „Tafelwein“ nur die Bestimmungen der Verordnung Nr. 816/70 und die zu ihrer Ergänzung erlassenen Vorschriften maßgeblich sind.

    Die erste Frage kann insoweit dahin beantwortet werden, daß es bei der fraglichen Bezeichnung nicht auf innerstaatliche Praktiken oder Rechtsvorschriften ankommt

    Dasselbe gilt meines Erachtens für den Verkehr von Tafelwein aus der Gemeinschaft zwischen den Mitgliedstaaten. Die von der Verordnung Nr. 816/70 erfaßten Weinbauerzeugnisse können in der Gemeinschaft nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einem Begleitdokument versehen sind, das die Verwaltung des Erzeugerstaates erteilt Zu der Zeit, als die umstrittenen italienischen Weine importiert wurden, waren die Begleitzeugnisse erforderlich, die durch die Kommissionsverordnung Nr. 1022/70 für bestimmte Weine, darunter Tafelweine, eingeführt worden waren. Nach Artikel 4 und 5 dieser Verordnung wird das Begleitzeugnis durch die zuständige Institution des Mitgliedstaats erteilt, auf dessen Hoheitsgebiet der Wein erzeugt wurde. Diese Institution muß sich nach einer analytischen und organoleptischen Prüfung durch ein amtliches Laboratorium oder Institut vergewissern, daß der betreffende Wein von einwandfreier und handelsüblicher Qualität ist und außerdem den Vorschriften des Artikels 27 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 816/70 entspricht, d. h. zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch angeboten oder abgegeben werden darf.

    Da die Nachprüfung dieser Voraussetzungen somit der zuständigen Institution obliegt, steht es für mich fest, daß die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet die Freigabe von Tafelweinen, die der gemeinschaftsrechtlichen Bezeichnung entsprechen und in einem anderen Mitgliedstaat erzeugt wurden, nur von der Vorlage des Begleitzeugnisses abhängig machen können. Dieses Ergebnis, das sich bereits aus der ursprünglichen Fassung des Artikels 29 der Verordnung Nr. 816/70 herleiten ließ, findet sich nun ausdrücklich in der Ratsverordnung Nr. 2312/71 bestätigt, in deren Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 2 es heißt: „Für die Zeit bis zum 31. August 1972 können unbeschadet der nationalen Bestimmungen über den Verkehr der Erzeugnisse innerhalb eines Mitgliedstaats Bestimmungen bezüglich der Begleitdokumente für die … Erzeugnisse im Handel zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen werden.“

    Während dieser Übergangszeit also durfte jeder Mitgliedstaat zwar den freien Verkehr von Weinen, die auf seinem Hoheitsgebiet erzeugt wurden, von Voraussetzungen abhängig machen, die das innerstaatliche Recht bestimmte, dagegen war er bei Weinen aus einem anderen Mitgliedstaat nur befugt, die Vorlage des in der Verordnung Nr. 1022/70 vorgesehenen Begleitzeugnisses zu verlangen. Indes bedarf die genaue Tragweite dieser für den innergemeinschaftlichen Handel mit Tafelweinen geltenden Regelung noch näherer Erläuterung. Hier teile ich die Auffassung der Kommission, die zwischen dem Umlauf der aus der Gemeinschaft stammenden Weine auf den Hoheitsgebieten der einzelnen Mitgliedstaaten und dem Inverkehrbringen dieser Weine zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch unterscheiden will.

    Wird Wein, der in einem Mitgliedstaat erzeugt wurde, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats verbracht, so darf nur die Vorlage des Begleitzeugnisses verlangt werden, da andernfalls die gemeinschaftsrechtliche Regelung des Artikels 29 der Verordnung Nr. 816/70 Makulatur bliebe und der freie Warenverkehr mit diesem Erzeugnis beeinträchtigt würde.

    Die grundsätzliche Bindungswirkung beraubt den einführenden Mitgliedstaat nicht der Befugnis, Kontrollmaßnahmen zu ergreifen, um sich insbesondere zu vergewissern, daß der eingeführte Wein tatsächlich zum unmittelbaren Verbrauch geeignet ist

    Solche Kontrollen dürfen auf jeder Vertriebsstufe vorgenommen werden, beim Importeur also ebenso wie beim Einzelhändler.

    Diese Auffassung wird durch Artikel 9 der Verordnung Nr. 1022/70 bestätigt, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, bei' den Weinen mit Ursprung in der Gemeinschaft, die zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch nicht zugelassen sind, eine Kontrolle durchzuführen, um die Einhaltung ihrer Zweckbestimmung sicherzustellen.

    Ergibt die Kontrolle eines im Begleitzeugnis als „Tafelwein“ bezeichneten Importweins, daß dieser nicht den für die entsprechende Bezeichnung in der Verordnung Nr. 816/70 aufgestellten Anforderungen genügt, so kann — und, meines Erachtens, muß — die zuständige Stelle des einführenden Staates verbieten, daß er zum unmittelbaren Verbrauch angeboten wird. Dagegen darf sie aber nicht die Verbringung in das Hoheitsgebiet untersagen.

    Daher schlage ich vor, den zweiten Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts dahin zu beantworten, daß für den freien Verkehr mit Tafelwein zwischen den Mitgliedstaaten nur die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts und nicht innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Praktiken maßgeblich sind.

    II — Zur zweiten Frage

    Die zweite Frage wirft schwierigere Probleme auf. Sie betrifft die nach französischem Recht bestehende Regelung der gesetzlichen Vermutung der Überalkoholisierung und geht dahin, ob diese Vermutung für deninnergemeinschaftlichen Handel mit Tafelweinen weiterhin gilt

    Im Grunde geht es darum, ob durch den Rückgriff auf diese Regelung der gesetzlichen Vermutung der Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindert wird oder nicht

    Diese Vermutung greift ein, wenn festgestellt wird, daß das Verhältnis des Alkoholgehalts zum reduzierten Weintrockenextrakt einen bestimmten Wert überschreitet, doch kann sie weder von der im innerstaatlichen Bereich zur Feststellung dieses Verhältnisses angewandten Methode, der sogenannten 100o -Methode, noch von den Voraussetzungen, unter denen der Beweis des Gegenteils in der Praxis erbracht werden kann, losgelöst betrachtet werden.

    Daher will ich nacheinander drei Fragen untersuchen:

    1.

    Dürfen die Mitgliedstaaten innerstaatliche Rechtsvorschriften anwenden, um die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über önologische Verfahren und Analysemethoden zu überwachen und durch Sanktionen sicherzustellen? Läßt sich in diesem Zusammenhang eine auf einer gesetzlichen Vermutung der Überalkoholisierung beruhende Kontrollmaßnahme mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vereinbaren?

    2.

    Falls dies zutrifft: Untersagt nicht die Kommissionsverordnung Nr. 1539/71 zur Bestimmung gemeinsamer Analysemethoden für den Weinsektor im innerstaatlichen Bereich die Anwendung der 100o-Methode zur Ermittlung des Verhältnisses des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt?

    3.

    Bewirken nicht bei Weinen, die nicht in Frankreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat erzeugt worden sind, die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen der Beweis des Gegenteils zu erbringen ist, um die gesetzliche Vermutung zu entkräften, daß der innergemeinschaftliche Handel behindert wird, und führen sie nicht im praktischen Ergebnis zu einem System der unwiderleglichen Vermutung, so daß ihre Beachtung auf eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung hinausläuft?'

    1.

    Für mich steht es zunächst einmal außer Zweifel, daß die Mitgliedstaaten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind, geeignete Kontrollmaßnahmen zu erlassen, um die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sicherzustellen und um Betrügereien aufzudekken und zu ahnden, denen verbotene önologische Verfahren zugrunde liegen. Diese Verpflichtung ergibt sich bei den Verfahren zur Weinanreicherung ausdrücklich aus Artikel 9 der Kommissionsverordnung Nr. 1594/70, wonach: „Bis zur Verabschiedung gemeinsamer Bestimmungen auf diesem Gebiet die Mitgliedstaaten jede geeignete Maßnahme [ergreifen], um die Einhaltung der Bestimmungen über die Anreicherung, die Säuerung und die Entsäuerung zu gewährleisten. Sie unterrichten die Kommission unverzüglich über diese Maßnahmen.“

    Allgemeiner wird diese Verpflichtung in Artikel 39 a der Verordnung Nr. 816/70 formuliert, wo es heißt: „Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Vorkehrungen, um für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung zu sorgen.“

    Zwar wurde dieser Artikel erst durch die Verordnung Nr. 2680/72 vom 27. Dezember 1972 eingefügt, doch kommt ihm meines Erachtens nur eine Auslegungsfunktion zu, da durch ihn lediglich ein Grundsatz bestätigt wird, der bereits im System der Verordnung Nr. 816/70 angelegt war. Die Kommission verfügt im übrigen über keine Mittel, diese Kontrollmaßnahmen selber durchzuführen, und kann den Mitgliedstaaten höchstens vorschreiben, bei derartigen Maßnahmen bestimmte Methoden oder Verfahren anzuwenden.

    Die geltende Gemeinschaftsregelung ist aber, wie wir sehen werden, insoweit noch längst nicht erschöpfend. Ich teile also auch hier die Auffassung der Kommission, daß sich ein Mitgliedstaat bei der Feststellung, ob ein Wein unter unzulässigen Bedingungen angereichert wurde, der Vermutung der Überalkoholisierung bedienen darf, sofern das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trokkenextrakt bestimmte Werte überschreitet

    Grundsätzlich ist ein an Vermutungen geknüpftes System mit dem Gemeinschaftsrecht nicht unvereinbar.

    Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß die Mitgliedstaaten selbst für Zwecke der Weinüberwachung keine Maßnahmen anwenden dürfen, die im innergemeinschaftlichen Handel wie mengenmäßige Beschränkungen wirken. Nach der französischen Regelung liegen der Vermutung bestimmte Werte des Alkoholgehalts gemessen am Trockenextrakt zugrunde, deren Überschreiten die Vermutung auslöst. Der Festsetzung dieser Werte kann entscheidende Bedeutung zukommen, weil sie sich rein tatsächlich insofern auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirkt, als sie angesichts der Tatsache, daß sie im wesentlichen unter Berücksichtigung der klimatischen Gegebenheiten oder der heimischen Weinbereitungsverfahren erfolgt, in der Praxis zur Folge haben kann, daß in anderen Mitgliedstaaten erzeugte Weine benachteiligt werden. Bekanntlich wird in Artikel 8 des Code du Vin der für Rotwein geltende Höchstwert des Alkohol/Trockenextraktverhältnisses auf 4,6 festgesetzt. Wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, kann ein in der Gegend eines anderen Breitengrades erzeugter Wein, beispielsweise wegen der klimatischen Bedingungen, durchaus ein über dem fraglichen Grenzwert liegendes Alkoholverhältnis aufweisen.

    Desgleichen ist vorgetragen worden, die in den französischen Rechtsvorschriften enthaltenen Werte paßten nicht mehr für die modernen beschleunigten Verfahren der Weinherstellung, die das Verhältnis des Alkohols zum Trockenextrakt nicht unmaßgeblich beeinflußten, weil sie die Rückstände bestimmter im Wein befindlicher Stoffe verringerten.

    Diesen beiden Argumenten läßt sich, wie dies von Seiten des Vertreters der französischen Regierung geschehen ist, sicherlich entgegenhalten, daß die zur Auslösung der Vermutung festgesetzten Werte für die in den südlichen Gebieten der Gemeinschaft erzeugten Weine nicht weniger sachgerecht erscheinen, als sie es für Weine aus Nordafrika gewesen seien, auf welche die französische Regelung während eines sehr langen Zeitraumes mit Erfolg angewandt worden sei. Zum anderen läßt sich die Auffassung hören, das französische System sei in seiner Anwendung geschmeidig, da nach einem Runderlaß des Landwirtschaftsministers von 1965 der 4,6-Wert aufgrund des Permanganat-Indexes nach oben berichtigt werden könne, um der Verschiedenartigkeit der Weinherstellungsverfahren Rechnung zu tragen. Vor allem, so ist vorgetragen worden, sei die Vermutung keineswegs unwiderlegbar. Die Verwaltung sei darum bemüht gewesen, sowohl bei den Untersuchungsmethoden als auch beim Beweis des Gegenteils nachsichtig und flexibel zu verfahren.

    Indes handelt es sich hierbei, meine Herren, um technische Erörterungen, zu denen Sie nicht Stellung zu nehmen vermögen. Ich will mich mit dem Hinweis begnügen, daß die hier fragliche Vermutung zu den innerstaatlichen Kontrollmaßnahmen gehört, die nach dem jetzigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht unzulässig sind; der Höchstalkoholgehalt im Verhältnis zum reduzierten Trockenextrakt darf jedoch nur in der Weise bestimmt und berücksichtigt werden, daß sich daraus keine Diskriminierung zwischen Weinen aus dem Inland und Weinen aus den übrigen Mitgliedstaaten ergibt, da andernfalls der Rückgriff auf die Vermutung geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern.

    2.

    Obwohl die Cour d'Appel Aix- en-Provence nicht ausdrücklich darauf eingegangen ist, scheint es mir notwendig, auf das Problem zu sprechen zu kommen, nach welcher Methode sich bei Wein das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt bestimmen läßt, um festzustellen, ob die Vermutung eingreift oder nicht

    Denn, meine Herren, es bleibt zu prüfen, ob die an eine Vermutung anknüpfende gesetzliche Regelung, die sich als solche, abstrakt gesehen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren läßt, in der Praxis anwendbar ist oder nicht

    Da die zur Ermittlung betrügerischer Überalkoholisierung dienende 100o-Methode unbestrittenermaßen das einzige Verfahren ist, nach dem sich das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trokkenextrakt feststellen läßt, und die. Beteiligten der Ausgangsverfahren, die französische Regierung sowie die Kommission übereinstimmend die Ansicht vertreten, daß sich die nach der fraglichen Methode erzielten Ergebnisse nicht auf die mit der densimetrischen Methode ermittelten übertragen lassen, ist die 100o -Methode daraufhin zu prüfen, ob sie nach den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zulässig ist Wird dies verneint, so erweist sich der Rückgriff auf die Vermutung als schlichtweg wirkungslos, wenn nicht sogar untauglich.

    In der Verordnung Nr. 1539/71 der Kommission werden gemeinsame Analysemethoden für den Weinsektor bestimmt Nach den Begründungserwägungen der Verordnung müssen diese Methoden für alle Handelsgeschäfte und Kontrolloperationen obligatorisch sein. Dies ist zumindest das erklärte Ziel. Um was für Kontrollen handelt es sich aber? Welchen Zwecken dienen sie?

    Der Geltungsbereich dieser Kommissionsverordnung kann selbstverständlich nicht über den der Verordnung Nr, 816/70 hinausgehen. In dieser Grundverordnung werden zwar, übrigens durchaus nicht erschöpfend, bestimmte önologische Verfahren geregelt und andere verboten, zur Frage der Betrugsaufdeckung und -Überwachung fehlen jedoch jegliche Bestimmungen. Wie wir gesehen haben, räumt der durch die Verordnung Nr. 2680/72 eingefügte Artikel 39 a den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, alle zweckdienlichen Vorkehrungen zu treffen, um für die Einhaltung der Verordnungsbestimmungen zu sorgen. Darüber hinaus bestimmt Artikel 39 a, daß es dem Rat obliegt, für den Bereich der Gemeinschaft die für eine einheitliche Durchführung der Verordnung geeigneten Maßnahmen, insbesondere also auch Kontrollmaßnahmen, zu erlassen.

    Die Grandverordnung selber schafft aber kein gemeinsames System zur Betrugsaufdeckung und -überwachung. Daher regelt die Kommissionsverordnung Nr. 1539/71 nur die Analysemethoden bei der Überprüfung der Gemeinschaftsweine auf ihre wesentlichen Eigenschaften und ihre Zusammensetzung. Sie kann nicht dahin ausgelegt werden, daß sie die Methoden bestimmt, mit deren Hilfe sich betrügerische Handlungen bei der Weinherstellung aufdecken und ahnden lassen.

    Die fragliche Verordnung verweist überdies für die Anwendung der in ihr aufgeführten Analysemethoden auf das Verzeichnis der internationalen Weinanalysemethoden, das im Rahmen des internationalen Übereinkommens von 1954 zur Vereinheitlichung der Methoden zur Untersuchung und Beurteilung von Weinen aufgestellt worden ist.

    Diese internationalen Methoden dienen aber nicht dazu, Betrügereien und Fälschungen aufzudecken. Sie wurden lediglich für den Zweck entwickelt, die Weinzusammensetzung zu ermitteln. So erklärt es sich, daß im Anhang der Kommissionsverordnung zwar die Bestimmung des Gesamttrockenextrakts nach der densimetrischen Methode vorgesehen ist, mit deren Hilfe sich nur die Summe der Weinbestandteile ermitteln läßt, daß dort aber keine Methode aufgeführt wird, nach der das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt festgestellt werden kann, anhand dessen allein sich eine betrügerische Überalkoholisierung aufdecken läßt.

    Im übrigen räumte die Kommission in ihrer Antwort vom 29. Mai 1974 auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage selber ein, daß das Gemeinschaftsrecht im Bereich der Betrugskontrolle lückenhaft sei, denn sie erklärte bei dieser Gelegenheit ihre Absicht, sie wolle dem Rat gemäß Artikel 39 a der Verordnung Nr. 816 Bestimmungen über gemeinsame Methoden oder Regeln zum Erlaß vorschlagen, die es ermöglichten, Verstöße gegen die Vorschriften über önologische Verfahren aufzudecken. Damit steht zum einen fest, daß sie sich selber für unzuständig hält, gemeinsame Kontrollmethoden festzusetzen, und zum anderen, daß die in der Verordnung Nr. 1539/71 vorgeschriebenen Analysemethoden auf einer anderen Ebene liegen, jedenfalls aber für die Aufdeckung von Betrugstatbeständen unzulänglich sind.

    Des weiteren ließ die Kommission am 31. Oktober 1974 in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage, die eine bei einem mitgliedstaatlichen Gericht anhängige Rechtssache — oder ein ähnliches Verfahren — betraf, wissen, „was die Einführung eines Systems zum wirksamen Schutz vor Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht betrifft, arbeite sie zur Zeit zusammen mit den Mitgliedstaaten einen Entwurf für gemeinsame Regeln für die Bestrafung von Privatpersonen bei Verstößen in den unter Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen der Gemeinschaft fallenden Bereichen aus.“

    Daher komme ich, meine Herren, zu dem Ergebnis, daß die Verordnung Nr. 1539/71 der Kommission, in der nicht alle Methoden zur Feststellung der Weinzusammensetzung geregelt werden, nicht im Wege steht, wenn aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften die 100o-Methode angewandt wird, um Betragstatbestände zu ahnden.

    Hilfsweise, meine Herren, bleibt noch zu prüfen, ob die französischen Händler, die Wein aus der Gemeinschaft einführen, durch die im Code du vin aufgestellte Vermutung stärker belastet werden als die einheimischen Erzeuger.

    Rechtlich ist diese Vermutung nicht unwiderlegbar, da die Betroffenen nach Artikel 8 des Code du vin den Beweis des Gegenteils erbringen, d. h., anhand einer Gegenüberstellung der einzelnen im Wein enthaltenen Substanzen, einer Kostprobe, der Herstellungsbedingungen und des Herkunftsortes nachweisen können, daß der fragliche Wein ausschließlich durch Gärung frischer Trauben erzeugt wurde.

    Diese den Händlern auferlegte Verpflichtung beschränke, so ist vorgetragen worden, die Freiheit des innergemeinschafdichen Handels insofern, als es für die Betroffenen in der Praxis höchst schwierig sei, diesen Beweis bei Importweinen zu erbringen.

    Die Cour d'Appel Aix- en-Provence scheint diese Bedenken zu teilen, denn sie kommt zu dem Ergebnis, es müsse ernsthaft bezweifelt werden, ob die auf der Vermutung der Überalkoholisierung aufbauende französische Regelung mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vereinbar sei.

    Zu einer solchen Wertung aber, meine Herren, ist zumindest bei einem Verfahren nach Artikel 177 des Vertrages nicht der Gemeinschaftsrichter befugt, da es hierbei um die Auslegung und die praktische Anwendung innerstaatlichen Rechts geht

    Wie Sie in Ihrem Urteil vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache Hulst (51/74 — Slg. 1975, 92) auf ein Vorabentscheidungsersuchen hin entschieden haben, kann der Gerichtshof diese Frage nicht entscheiden, die — ebenso wie jede sonstige Weitung des Sachverhalts — der Würdigung des nationalen Richters unterliegt

    Ich möchte mich auf den Hinweis beschränken, daß der Rückgriff auf eine an Vermutungen anknüpfende Regelung nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:

    1.

    Werden die Analyseergebnisse an den vorgeschriebenen Anforderungen gemessen, so muß der Fahndungsdienst Abweichungen Rechnung tragen, die sich insbesondere auf den Herkunftsort des Weins zurückführen lassen.

    2.

    Die jeweils betroffenen Weinhersteller oder Händler müssen in der Lage sein, wirksam gegen die Entscheidungen des Fahndungsdienstes vorzugehen.

    3.

    Die Möglichkeit, ein Zweitgutachten zu erstellen, muß offenstehen.

    4.

    Schließlich müssen die tatsächlichen Mittel, den Beweis des Gegenteils zu erbringen, allen Unternehmen in gleicher Weise zugänglich sein.

    Das wäre nicht der Fall, wenn Händler, die in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachten Importtafelwein vertreiben, von diesen Mitteln nicht so leicht Gebrauch machen können wie Erzeuger oder Händler, die Tafelweine einheimischer Erzeugung absetzen (EuGH 11. Juli 1974 — Dassonville, 8/74 — Slg. 1974, 853).

    Ist somit die Methode, an die die Vermutung anknüpft, oder die Handhabung der rechtlichen Regelung, die die Vermutung begründet, angesichts der Belastung mit dem Gegenbeweis geeignet, sich diskriminierend oder wie eine mengenmäßige Beschränkung auszuwirken, so obliegt es gegebenenfalls der Kommission, gegen den betreffenden Staat ein Verfahren wegen Vertragsverstoßes einzuleiten, oder den mitgliedstaatlichen Gerichten, unbeschadet des nach Artikel 177 eröffneten Weges, die Rechte der betroffenen Unternehmer zu wahren.

    Der Gerichtshof kann meines Erachtens im Rahmen der vorliegenden Verfahren nicht die Entscheidung dieser Organe durch seine eigene ersetzen.

    Daher schlage ich vor, wie folgt zu erkennen:

    1.

    Für den Gebrauch der gemeinschaftsrechtlichen Bezeichnung „Tafelwein“ ist es ausreichend, wenn ein der Verordnung Nr. 816/70 des Rates unterliegender Wein den in Nummer 10 des Anhangs II zu dieser Verordnung getroffenen Analysevorschriften genügt.

    2.

    Um zum freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten zugelassen zu werden, reicht es ferner aus, daß den fraglichen Weinen das „Begleitzeugnis“ genannte Dokument beigegeben wurde, das im Zeitpunkt der Verbringung der in den vorliegenden Rechtssachen beanstandeten Weine aus Italien nach Frankreich aufgrund der Kommissionsverordnung Nr. 1022/70 vorgeschrieben war.

    3.

    Um im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zum unmittelbaren menschlichen Verbrauch zugelassen zu werden, hat ein Tafelwein den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften zu genügen, die der vorbeugenden Überwachung und der Ahndung von Betrügereien dienen; insoweit hindern weder die Verordnung Nr. 816/70 des Rates noch die zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen einen Mitgliedstaat daran, auf das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt abzustellen und daran die Vermutung der Überalkoholisierung zu knüpfen.

    4.

    Die Verordnung Nr. 1539/71 der Kommission schließt die Verwendung der 100o-Analysemethode bei der Ermittlung dieses Verhältnisses nicht aus.

    5.

    Die Handhabung der innerstaatlich begründeten Vermutung der Überalkoholisierung darf insbesondere mit Bezug auf die für das Verhältnis des Alkohols zum reduzierten Trockenextrakt festgesetzten Grenzwerte und die an den Beweis des Gegenteils geknüpften Voraussetzungen nicht zu einer faktischen Diskriminierung zwischen den Unternehmern führen oder auf eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengemäßige Beschränkung hinauslaufen.


    ( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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