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Document 61973CC0003

Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 7. Juni 1973.
Hessische Mehlindustrie Karl Schöttler KG gegen Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Hessischer Verwaltungsgerichtshof - Deutschland.
Denaturierung von Getreide.
Rechtssache 3-73.

Sammlung der Rechtsprechung 1973 -00745

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1973:63

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS JEAN-PIERRE WARNER

VOM 7. JUNI 1973 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Wie Sie wissen, ist die Stützung des Großhandelsmarktes für gewisse Erzeugnisse mittels „Denaturierung“ ein Hauptmerkmal der gemeinsamen Agrarpolitik. Der vorliegende Fall, ein Ersuchen um Vorabentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, betrifft die Auslegung von bestimmten Gemeinschaftsverordnungen, welche die Denaturierung von handelsüblichem Weizen zum Gegenstand haben.

Im wesentlichen bedeutet die Denaturierung von handelsüblichem Weizen, daß dieser so zu behandeln ist, daß er nur noch als Tiernahrung oder als Bestandteil von Tiernahrung verwendet werden kann, um ihn dadurch aus dem Markt für einwandfreien Brotweizen herauszunehmen und so die auf diesem Markt geltenden Preise zu stützen. Dieser Methode wird gegenüber der früher in einigen Teilen der Welt angewandten Methode, große Mengen an Weizen in die See zu pumpen, der Vorzug gegeben.

Die einschlägigen Verordnungen der Gemeinschaft sehen drei Wege für die Denaturierung von handelsüblichem, für die Brotherstellung geeignetem Weizen vor:

1.

die Beimischung von farbigen Körnern;

2.

die Beimischung von Fischöl oder Fischlebertran;

3.

die Beimischung des Weizens zu bestimmten Sorten von Mischfutter.

Für jeden dieser Fälle schreiben die Verordnungen in einiger Ausführlichkeit das bei dem Denaturierungsvorgang zu beachtende Richtverfahren vor, so zum Beispiel die Art und die Menge an Farb stoff oder Öl, die zur Beimischung zu verwenden ist, und (mit Bezugnahme auf eine Nummer des Gemeinsamen Zolltarifs) die Eigenschaften, welche die Futtermittel durch die Weizenbeimischung erlangen müssen. Die Beachtung dieses Richtverfahrens ist offensichtlich notwendig, um einerseits sicherzustellen, daß das denaturierte Getreide tatsächlich für die Verwendung in oder als Futtermittel geeignet ist, und um andererseits zu gewährleisten, daß das Getreide weder in seiner ursprünglichen Form noch in Form eines Verarbeitungserzeugnisses wieder auf den Markt für menschliche Ernährung gebracht werden kann. Aus der Natur der Sache ergibt sich, daß die Verordnungen ebenfalls Normen für die Mindestqualität festlegen, denen jeder Weizen genügen muß, der denaturiert werden soll, denn die Denaturierung belastet die Gemeinschaftsmittel, und es wäre nicht zu vertreten, diese Gemeinschaftsmittel für die Kosten der Denaturierung von solchem Weizen in Anspruch zu nehmen, der von vornherein nur als Futtermittel geeignet war. Wie es sich weiter versteht, verlangen die Verordnungen, daß der zu denaturierende Weizen aus dem Gebiet der Gemeinschaft stammt.

Derartiger Weizen kann entweder einer Interventionsstelle oder einer natürlichen oder juristischen Person gehören. Wenn er einer Privatperson gehört, hat diese unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf die Auszahlung einer Prämie, deren Höhe von Zeit zu Zeit durch Gemeinschaftsverordnungen festgelegt wird. Diese Prämie setzt sich aus zwei Teilbeträgen zusammen; der eine soll den Unterschied zwischen dem Preis, welcher für den Weizen vor der Denaturierung hätte verlangt werden können, und dem Preis für Futterkörner ausgleichen; der andere Teilbetrag soll die Kosten des Denaturierungsverfahrens dekken.

Zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Denarurierungsprämie gezahlt wird, gehören die des Artikels 7 der Ratsverordnung Nr. 172/67/EWG, der bestimmt:

„Um einen Anspruch auf die Prämie zu begründen, muß die Denaturierung mit Einverständnis der Interventionsstelle und unter deren Kontrolle erfolgen.“

Das ist die wesentliche Bestimmung, die der Gerichtshof in dem vorliegenden Fall auszulegen hat. Das Erfordernis der von der Interventionsstelle durchzuführenden Kontrolle wird in Artikel 4 Absatz 3 der Kommissionsverordnung (EWG) Nr. 1403/69 wiederholt, aber nicht weiter ausgeführt.

Somit haben in diesem Bereich die Gemeinschaftsverordnungen den Begriff des „Einverständnisses“ der Interventionsstelle und denjenigen der „Kontrolle“ durch die Interventionsstelle überhaupt nicht definiert. Mit anderen Worten, die Verordnungen haben es jedem Mitgliedstaat überlassen, die Art und Weise zu bestimmen, wie auf ihrem Staatsgebiet Artikel 7 zu verwirklichen ist. Über den Umfang des so den einzelnen Mitgliedstaaten übergebenen Ermessensspielraums hat der Gerichtshof vorliegend im wesentlichen zu entscheiden.

Der Inhalt der deutschen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet ist im ersten Teil der Gründe des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zusammengefaßt, durch den dieser Fall dem Gerichtshof vorgelegt wurde. Um mich kurz zu fassen: Diese Vorschriften sehen vor, daß die Denaturierung, für die eine Prämie beansprucht werden kann, nur in einem anerkannten Denaturierungsbetrieb durchgeführt werden darf, und zwar zu einer Zeit, die der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel — der deutschen Interventions-stelle und Beklagten des Ausgangsverfahrens — bekannt ist und zu der die Vorratsstelle Kontrollpersonen in den Denaturierungsbetrieb entsenden kann. Der Anspruch auf die Prämie wird aber nicht davon abhängig gemacht, daß ein Kontrolleur die Denaturierung tatsächlich überwacht hat. Die von der Beklagten entworfenen Formulare sehen drei verschiedene Kontrollarten vor, nämlich:

1.

vollständige Kontrolle an Ort und Stelle,

2.

stichprobenweise Kontrolle an Ort und Stelle,

3.

Buchkontrollen.

In den Fällen, in denen die Kontrolle unterblieben ist oder in denen die Überwachung nicht vollständig war, wird die Denaturierungsprämie allein aufgrund der von dem Denaturierungsbetrieb ausgestellten „Denaturierungsbescheinigung“ gewährt.

Um die Anerkennung als Denaturierungsbetrieb zu erhalten, muß der Betrieb über die notwendige Ausrüstung und ein entsprechend qualifiziertes Personal verfügen. Des weiteren muß der Antragsteller und, soweit dieser nicht selber Betriebsleiter ist, der Leiter des Denaturierungsbetriebes für hinreichend „zuverlässig“ erachtet werden, um die Denaturierung in Übereinstimmung mit den geltenden Rechtsvorschriften durchzuführen.

Im vorliegenden Fall ist ein Antrag der Klägerin, als Denaturierungsbetrieb anerkannt zu werden, von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt worden, der persönlich haftende Gesellschafter der Klägerin könne nicht als zuverlässig angesehen werden, da er verschiedene Male wegen Straftaten verurteilt worden sei, bei denen Unehrlichkeit im Zusammenhang mit dem Getreide- und Mehlhandel im Spiel gewesen sei.

Am 12. August 1970 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main Klage, um die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten zu erreichen. Die Klage wurde von jenem Gericht aus technischen, dem deutschen Recht eigenen Gründen abgewiesen, die das Wesentliche dieses Falles nicht berühren. Die Klägerin befindet sich jetzt in der Berufungsinstanz vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Im Rahmen dieses Berufungsverfahrens hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Artikel 7 der Verordnung Nr. 172/67/EWG des Rates und Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1403/69 der Kommission

„so auszulegen sind, daß die Denaturierung vollständig also von der Feststellung der Menge und Qualität an bis zum Abschluß des Färbens oder des Beimischens von Fischöl usw. unter der persönlichen Aufsicht eines Beauftragten der Interventionsstelle erfolgt sein muß

oder ob dem Erfordernis der Kontrolle auch dadurch genügt werden kann, daß die Interventionsstelle sich nur die Möglichkeit einer jederzeitigen Überprüfung des Denaturierungsvorganges sichert, aber die ‚Zuverlässigkeit‘ der Leiter von Denaturierungsbetrieben verlangt.“

Die Gründe des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, die Anlaß zu diesen Fragen gaben, werden im folgenden Absatz dargelegt, welcher dem zweiten Teil des Vorlagebeschlusses entnommen ist:

„Das Verlangen nach dieser ‚Zuverlässigkeit‘ ist zur Durchführung der EWG-Bestimmungen über die Denaturierungsprämie dann erforderlich, wenn die Überwachung der Denaturierung seitens der Beklagten so großzügig erfolgt, wie es nach der Verordnung Denaturierungsprämie Getreide möglich ist und in der Praxis der Beklagten wirklich geschieht. Das Verlangen nach der Zuverlässigkeit wäre hingegen dann überflüssig und unberechtigt, wenn die Praxis der Beklagten mit den in der Vorlagefrage genannten Bestimmungen des Rates und der Kommission der EWG nicht vereinbar wäre und jede Denaturierung vollständig überwacht werden müßte. Denn dann wären Manipulationen bei der Bestimmung von Menge und Beschaffenheit des Getreides und bei dem Denaturierungsvorgang selbst ohnedies ausgeschlossen und auch die Aufzeichnungen würden nicht mehr von Bedeutung sein.

Es kommt also für die Entscheidung des vorliegenden Prozesses darauf an, wie das Wort ‚Kontrolle‘ in den Verordnungen des Rates und der Kommission der EWG zu verstehen ist…“

Meine Herren, bei allem Respekt für den Hessischen Verwaltungsgerichtshof habe ich dennoch Zweifel, ob diese Erwägungen zutreffend sind.

Erstens steht keinesfalls fest, daß die Anwesenheit eines Kontrolleurs während des ganzen Denaturierungsverfahrens notwendigerweise die Wirkung hat, jede Manipulationsmöglichkeit völlig auszuschließen. Sowohl die Regierung der Bundesrepublik in ihren schriftlichen als auch die Kommission in ihren mündlichen Erklärungen haben überzeugend dargelegt, daß es nicht so ist und daß ein Kenner, der es auf Betrug anlegt, einen Kontrolleur täuschen kann. Des weiteren stelle ich fest, daß in den Mitgliedstaaten, in denen die Anwesenheit eines Kontrolleurs während des ganzen Denaturierungsverfahrens verlangt wird, nämlich in Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien und dem Vereinigten Königreich, in all den Fällen, in denen die Denaturierung durch Beimischung erfolgt, zusätzliche Prüfungen durch Stichproben oder durch Überprüfung der Bücher und Belege oder durch beides vorgesehen sind. Das deutet darauf hin, daß die verantwortlichen Stellen in diesen Staaten ebenfalls in der bloßen Anwesenheit eines Kontrolleurs keine vollständige Sicherheit erblicken.

Zweitens ist das Erfordernis der „Zuverlässigkeit“, das man in den deutschen Rechtsvorschriften findet, überhaupt kein wirklicher Bestandteil des „Kontrollverfahrens“. Wenn ihm überhaupt Bedeutung zukommt, so gehört es zu dem anderen in Artikel 7 enthaltenen Tatbestandmerkmal, nämlich demjenigen, daß „die Denaturierung mit Einverständnis der Interventionsstelle… erfolgen muß“.

Wie die Kommission ausführt, ist in diesem Zusammenhang von einem „Denaturierer“, dem der zu denaturierende Weizen gehört, derjenige „Denaturierer“ zu unterscheiden, der Eigentümer eines Denaturierungsbetriebes ist. (Meine Herren, ich verwende das Wort „Betrieb“ , um diejenigen Einrichtungen zu erfassen, die in den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten mit verschiedenen, im wesentlichen aber gleichbedeutenden Worten bezeichnet werden, wie zum Beispiel mit „installation“ in Belgien, „centre de dénaturation“ in Frankreich, „premises“ in Irland, „installation“ in dem Vereinigten Königreich). Der Eigentümer eines Denaturierungsberriebes kann Weizen denaturieren, der ihm selber gehört; in diesem Fall ist er Denaturierer im doppelten Sinn und erhält die Denaturierungsprämie, falls alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind; oder er kann im Rahmen eines Vertragsverhältnisses Weizen denaturieren, der einem anderen gehört, welcher dann ein „Denaturierer“ lediglich im ersteren Sinne ist. Im letzteren Fall ist es der Eigentümer des Weizens, der die Denaturierungsprämie erhält, wenn alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind; der Eigentümer des Denarurierungsbetriebes bekommt von dem Eigentümer des Weizens nur ein vertragliches Entgelt, das vermutlich die Kosten für die Durchführung des Denaturierungsverfahrens deckt, zuzüglich eines Gewinnanteils.

Die meisten Mitgliedstaaten (das gilt für Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande und das Vereinigte Königreich) verlangen, ebenso wie die Bundesrepublik, daß die Denaturierung, damit für sie ein Prämienanspruch entsteht, in einem „anerkannten“, „genehmigten“ oder „zugelassenen“ Denaturierungsbetrieb stattfinden muß. Die amtlichen Stellen in all diesen Staaten verlangen, bevor sie einen Betrieb „anerkennen“, „genehmigen“ oder „zulassen“, daß der Betrieb die notwendige Ausrüstung und ein entsprechend qualifiziertes Personal hat. Die Auflage, derartige Bedingungen zu erfüllen, ist eindeutig mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Wie ich die Dinge sehe, so ist die „Anerkennung“ oder die „Genehmigung“ oder die „Zulassung“ eines Betriebes ein Teil des Verfahrens, das „Einverständnis“ der Interventionsstelle dazu zu bekommen, die Denaturierung in diesem Betrieb vorzu nehmen. Dieses Verfahren trägt dazu bei, so weit wie möglich sicherzustellen, daß die Prämien nur für eine Denaturierung gezahlt werden, die den in den Gemeinschaftsverordnungen niedergelegten technischen Nonnen entspricht.

Ausschließlich in der Bundesrepublik wird das zusätzliche Erfordernis der „Zuverlässigkeit“ des Betriebsleiters verlangt. Ich denke, daß es wichtig ist, den Sinn dieses Erfordernisses zu verstehen.

Es würde mir meinerseits nicht schwerfallen, eine Vorschrift als gültig anzuerkennen, welche die Interventionsstelle in einem jeden Mitgliedstaat ermächtigen würde, einen Antrag auf Anerkennung, Genehmigung oder Zulassung als Denaturierungsbetrieb dann abzulehnen, wenn sich herausstellt, daß der Betriebsleiter wegen früherer Straftaten verurteilt worden ist, bei denen Unehrlichkeit im Spiel war. Die Möglichkeiten für Betrügereien in diesem Bereich sind so groß und der Schutz der Gemeinschaftsmittel hiergegen ist von so offenkundiger Bedeutung, daß eine solche Vorschrift meines Erachtens gerechtfertigt wäre. Vorschriften dieser Art kommen üblicherweise in anderen Bereichen vor, in denen für die Ausübung eines Gewerbes eine Zulassung verlangt wird. Darüber hinaus würde eine solche Vorschrift meiner Meinung nach gut zu dem Begriff des „Einverständnisses“ passen, der in Artikel 7 verwendet wird. Aber ihr entscheidendes Merkmal für die hier interessierenden Zielsetzungen bestände darin, daß eine so gefaßte Vorschrift eine objektive Prüfung beinhalten würde, nämlich diejenige, ob Vorstrafen vorliegen. Das Erfordernis der „Zuverlässigkeit“ in den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften dagegen gestattet es der Interventionsstelle, ein subjektives Urteil zu fällen. Dies wird an dem Sachverhalt des Falles 39/70 Fleischkontor/Hauptzollamt Hamburg (Slg. 1971, 49) deutlich, in dem das deutsche Recht das Vorliegen des gleichen Erfordernisses im Zusammenhang mit Anträgen auf Sondergenehmigungen zur Einfuhr von Fleisch zu Verarbeitungszwecken verlangte, wobei derartige Genehmigungen nach den Gemeinschaftsverordnungen den Vorteil der Befreiung von Zollpflichten mit sich brachten. Obwohl in diesem Fall die deutschen Gerichte die Klägerin von allen strafrechtlich relevanten Anklagepunkten freigesprochen hatten, blieb es nach dem hier einschlägigen Deutschen Recht den deutschen Zollbehörden freigestellt, der Gesellschaft die Genehmigung mit der Begründung zu versagen, daß sie die Antragstellerin nicht für zuverlässig hielten. Der Gerichtshof befand, was nicht überraschend sein konnte, daß ein derartiges Ermessen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei.

Meine Herren, die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen und der Vertreter der Klägerin in seinen mündlichen Ausführungen darauf hingewiesen, daß es dieses Erfordernis nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Frankreich gibt, wo vorgesehen ist, daß „Getreidesammelstellen“ collecteurs de céréales — die Denaturierung vornehmen dürfen, und wo man, um die Zulassung als „Getreidesammelstelle“ zu bekommen, gewisse Voraussetzungen hinsichtlich der „moralité“ und der Kreditwürdigkeit erfüllen muß. Im Kern geht dieser Hinweis fehl. Erstens beschränkt die einschlägige französische Gesetzgebung das Recht, die Denaturierung vorzunehmen, nicht auf genehmigte „Sammelstellen“; sie führt diese lediglich ausdrücklich unter den Betrieben an, die denaturieren dürfen (ich verweise hierzu auf die Absätze 1 und 7 des Runderlasses S.T.E. 4 Nr. 23.237 vom 13. August 1971 des Office National Interprofessionel des Céréales). Zweitens sind die Voraussetzungen der „moralité“ und der Kreditwürdigkeit, welche die zugelassenen „Sammelstellen“ erfüllen müssen, rein objektiver Natur. Sie sind in Artikel 6 Absatz 2 der Gesetzesverordnung vom 23. November 1937 enthalten, der bestimmt:

„Der Bezirksausschuß hat diejenigen Großhändler aus dem Melderegister zu streichen, welche zu entehrenden Freiheitsstrafen oder wegen eines Vergehens des Diebstahls, des Betruges, der Unterschlagung oder wegen irgendwel cher anderen Verstöße gegen die Ehrlichkeit verurteilt werden, oder des weiteren diejenigen, welche wegen eines Vergehens gegen die Weizengesetzgebung verurteilt werden oder sich in Konkurs oder in gerichtlicher Abwicklung befinden.“

Nichts könnte objektiver als die vorstehend angeführte Bestimmung sein.

Die Kernfrage ist demnach — und darüber sind sich die Klägerin, die Regierung der Bundesrepublik und die Kommission in der Tat einig —, ob der in Artikel 7 jedem Mitgliedstaat eingeräumte Ermessensspielraum diesen Staat berechtigt, seine Interventionsstelle zu ermächtigen, ihr Einverständnis dazu zu verweigern, daß die Denaturierung in einem bestimmten Betrieb stattfindet, wenn nach ihrem subjektiven Urteil der jeweilige Betriebsleiter unzuverlässig ist.

Die Klägerin stützt sich auf den Fleischkontorfall und trägt vor, daß eine so weitgehende Ermächtigung nicht gegeben ist.

Die Regierung der Bundesrepublik und die Kommission wenden ein, daß jener Fall anders gelagert gewesen sei, weil dort die einschlägigen Gemeinschaftsverordnungen ins einzelne gehend die gegen Betrügereien zu ergreifenden Sicherungsvorkehrungen vorschrieben, so daß es mit dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts unvereinbar gewesen wäre, einem Mitgliedstaat zu gestatten, weitere oder andere Sicherheitsvorkehrungen vorzuschreiben. Im vorliegenden Fall hingegen überlassen die einschlägigen Verordnungen es dem einzelnen Mitgliedstaat vollkommen, die im Hinblick auf die bestehenden Verhältnisse in diesem Staat für zweckdienlich erachteten Maßnahmen zu ergreifen. Die Kommission führt des weiteren aus, daß ein Antragsteller, dem die Anerkennung seines Betriebes als Denaturierungsbetrieb versagt wird, nicht von dem Recht ausgeschlossen sei, sich eine Denaturierungsprämie zu verdienen, denn er könne stets gegen Entgelt seinen Weizen im Betrieb eines Dritten denaturieren lassen; dagegen habe in dem Fleischhontorfall die Versagung der Genehmigung notwendigerweise bedeutet, daß dem betreffendem Importeur jegliche Möglichkeit genommen war, in den Genuß der Vorteile zu kommen, welche das Gemeinschaftsrecht vorsah.

Meine Herren, das sind gewichtige Argumente und, wenn die nach dem Deutschen Recht vorgeschriebene Prüfung der „Zuverlässigkeit“ ein Verfahren nach objektiven Gesichtspunkten gewesen wäre, würde ich diese Argumente für ausschlaggebend gehalten haben. Aber wir haben es hier mit einem subjektiven Prüfungsverfahren zu tun, obgleich in diesem besonderen Fall das Kriterium, auf das bei der Anwendung abgestellt wurde, ein objektives war (Vorstrafen). Die Frage bleibt: Ist die Einführung eines solchen subjektiven Prüfungsverfahrens bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht mit diesem Recht vereinbar?

Diese Frage möchte ich mit „Nein“ beantworten. Außer vielleicht dort, wo es keine anderen brauchbaren Mittel gibt, die Gesellschaft gegen schwere Gefahren zu schützen, scheint es mir mit dem Rechtsstaatsgedanken, der in unterschiedlicher Ausprägung von allen Mitgliedstaaten anerkannt, ja ausdrücklich proklamiert wird und auch die Grundlage der Gemeinschaften selbst bildet, unvereinbar, die Rechte eines Bürgers von der subjektiven Meinung abhängig zu machen, die eine Verwaltungsbehörde (die sich ja von einem Gericht unterscheidet) von ihm gewonnen hat.

In dieser Ansicht werde ich durch die Ausführungen des Herrn Generalanwalts Dutheillet de Lamothe im Fleischkontorfall auf den Seiten 66 und 67 der Rechtsprechungssammlung bestärkt und nicht zuletzt auch durch die Stelle (auf Seite 66), wo er darlegt, daß die Ermächtigung einer Verwaltungsbehörde zu einem subjektiven Urteil über die Zuverlässigkeit eines Großhändlers nicht deutscher Rechtsüberlieferung entspricht, sondern in dieses Recht erst gegen Ende der dreißiger Jahre eingeführt wurde, als Deutschland sich in der Gewalt eines Alleinherrschers befand.

Obwohl das Urteil des Gerichtshofes im Fleischkontorfall so verstanden werden kann, daß es auf einer konkreteren Begründung beruht, erkennt es meines Erachtens ebenfalls an, daß ein subjektives Prüfungsverfahren hinsichtlich der „Zuverlässigkeit“ ab Voraussetzung für die Gewährung oder Versagung einer Genehmigung zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes im allgemeinen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist. Für die Klägerin wurde sowohl schriftlich als auch mündlich vorgetragen, die einzige in Betracht kommende Prüfung der „Zuverlässigkeit“ sei die nach dem allgemeinen Gewerberecht des Mitgliedstaates, in dem der Betrieb gelegen ist. Meine Herren, dieser Gedanke sollte meines Erachtens verworfen werden und sei es auch nur aus dem Grunde, daß er in einigen Mitgliedstaaten inhaltsleer wäre.

Meine Herren, wenn ich bis hierher Recht habe, dann ist die Frage, welches die genaue Bedeutung des Wortes „Kontrolle“ in den hier auszulegenden Gemeinschaftsverordnungen ist, wahrscheinlich für die Entscheidung dieses Falles unerheblich. Aber diese Frage ist gestellt worden, und ich muß, so meine ich, zu ihr Stellung nehmen.

Meines Erachtens besagt der Gebrauch des Wortes „Kontrolle“ nicht, daß ein Vertreter der Interventionsstelle während des Denaturierungsvorganges ständig anwesend sein muß. Vier Haupterwägungen scheinen mir zu dieser Schlußfolgerung zu führen:

1.

Wie ich bereits ausgeführt habe, kann aus den Erklärungen der Kommission und der Regierung der Bundesrepublik in dieser Sache wie auch aus einer Prüfung der in den anderen Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen gefolgert werden, daß die Anwesenheit eines solchen Vertreters nicht notwendigerweise eine vollkommene Sicherheit bietet.

2.

Diese Prüfung zeigt auch, daß selbst von den Mitgliedstaaten, welche die ständige Anwesenheit eines solchen Vertreters bei der Denaturierung durch Zugabe verlangen, einige davon Abstand genommen haben, die Anwesenheit in allen Fällen vorzuschreiben, in denen die Denaturierung durch Beimischung des Weizens zu Futtermitteln erfolgt. So bestimmt zum Beispiel in Frankreich der Absatz 20 des bereits zitierten Runderlasses, daß bei Denaturierung durch Beimischung zu Futtermitteln das Kontrollverfahren für jeden Betrieb gesondert zu bestimmen ist. Im Vereinigten Königreich verlangt der einschlägige Runderlaß (MS/CER/6) von denjenigen, die eine Genehmigung zur Denaturierung in einem stehenden Verarbeitungsbetrieb (im Gegensatz zu einem beweglichen) erhalten haben, lediglich, gewisse vorgeschriebene Register anzulegen und weiterzuführen, die Überprüfung dieser Register zu gestatten, jederzeit eine Prüfung des ganzen Betriebes ohne vorherige Ankündigung wie auch die Entnahme von Stichproben zuzulassen. Daraus folgt, daß es in diesen Staaten als für nicht durchführbar erachtet worden ist, in allen Fällen der Denaturierung durch Beimischung für die Anwesenheit eines Kontrolleurs zu sorgen.

3.

Die Kommission hat in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen die Vielfalt der in den verschiedenen Mitgliedstaaten vorhandenen Gegebenheiten hervorgehoben wie auch die Notwendigkeit, den Mitgliedstaaten nichts vorzuschreiben, was entweder undurchführbar oder unverhältnismäßig teuer wäre.

4.

Wenn die Verfasser der einschlägigen Gemeinschaftsverordnungen die Absicht gehabt hätten, die Anwesenheit eines Kontrolleurs während jeder Phase des Denaturierungsvorganges zu verlangen, wäre nichts leichter gewesen, als dies zu sagen. Die Tatsache, daß sie davon Abstand nahmen und sogar den Begriff „Kontrolle“ Undefiniert ließen, führt zu der Schlußfolgerung, daß sie ein derartiges Erfordernis nicht schaffen, sondern es vielmehr den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen wollten, in jedem Einzelfall das wirksamste und entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten sachgerecht zu handhabende Prüfungsverfahren einzuführen.

Andererseits glaube ich nicht, daß die bloße Kontrolle der Bücher — sei es mit oder ohne Zuverlässigkeitserfordernis — ausreichend ist. Das ist überhaupt keine Kontrolle, sondern einfache Buchprüfung.

Ich bin daher der Ansicht, daß die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten ist:

1.

Artikel 7 der Verordnung Nr. 172/67/EWG des Rates und Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1403/69 der Kommission sind dahin auszulegen, daß sie nicht besagen, daß die Denaturierung notwendigerweise vollständig unter der persönlichen Kontrolle eines Vertreters der Interventionsstelle durchgeführt werden muß, sondern daß die Denaturierung von der Interventionsstelle mit den sachgerecht wirksamsten und entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten zu handhabenden Mitteln überwacht werden muß.

2.

Eine Vorschrift, welche die Interventionsstelle ermächtigt, nach ihrem subjektiven Urteil über die Zuverlässigkeit des Betriebsleiters zu entscheiden, ob sie ihr Einverständnis dazu gibt, daß die Denaturierung in einem bestimmten Betrieb stattfindet, ist mit jenen Verordnungen unvereinbar.


( 1 ) Auf. dem Englischen übersetzt.

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