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Document 61972CC0056

    Schlussanträge des Generalanwalts Mayras vom 13. Dezember 1972.
    Godelieve Goeth-Van der Schueren gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
    Rechtssache 56-72.

    Sammlung der Rechtsprechung 1973 -00181

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1972:124

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS HENRI MAYRAS

    VOM 13. DEZEMBER 1972 ( 1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    Die belgische Staatsangehörige Frau Van der Schueren, die im Jahre 1954 in den Dienst der Hohen Behörde trat, ist als Beamtin in den Dienststellen der Kommission in Luxemburg tätig; sie hat als Leiterin des Zentrallagers der Registratur eine Planstelle der Besoldungsgruppe C 1 inne.

    Zu ihren Bezügen gehörte die Auslandszulage nach Artikel 69 des Beamtenstatuts.

    Am 1. Oktober 1971 schloß sie mit dem österreichischen Staatsangehörigen Herrn Goeth, der seit 1964 als Angestellter eines Privatunternehmens in Luxemburg wohnt, die Ehe.

    Nachdem Frau Goeth die Verwaltung von ihrer Heirat unterrichtet hatte, wurde sie in einem Schreiben der Personalabteilung vom 15. Oktober gleichen Jahres gebeten, zum Nachweis des Wohnsitzes oder des Orts der hauptberuflichen Tätigkeit ihres Ehemanns während einer sechs Monate vor dem Zeitpunkt der Eheschließung endenden Frist von fünf Jahren ein „amtliches Schriftstück“ vorzulegen.

    Nach der damaligen Fassung des Statuts bestimmt Artikel 4 Absatz 3 des Anhangs VII: „Ein Beamter verliert den Anspruch auf die [Auslands]-Zulage, wenn er durch die Eheschließung mit einer Person, welche die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Zulage im Zeitpunkt der Eheschließung nicht erfüllt, die Eigenschaft als Familienvorstand nicht erwirbt.“

    Am 28. Oktober 1971 übermittelte der Leiter der Personalabteilung der Generaldirektion Personal und Verwaltung der Kommission Frau Goeth ein Schreiben folgenden Inhalts:

    „Aufgrund Ihrer am 1. Oktober 1971 erfolgten Eheschließung ist Ihr Anspruch auf Auslandszulage erneut geprüft worden. Aus der von Ihnen eingereichten Wohnsitzbescheinigung geht hervor, daß Ihr Ehemann seit dem 25. September 1964 in Luxemburg wohnt. Nach Artikel 4 Absatz 3 des Anhangs VII zum Statut ist es daher nicht möglich, Ihnen die Auslandszulage nach Ihrer Eheschließung weiterzugewähren; sie wird ab 1. Oktober 1971 gestrichen.

    Die Ihnen im Oktober und November ausgezahlten Zulagebeträge werden in vier Raten von Ihren nächsten Bezügen einbehalten.“

    Die Klägerin bat den Abteilungsleiter mit Schreiben vom 22. Dezember 1971 um erneute Prüfung ihres Falles; sie machte geltend, da ihr Ehemann jedes Jahr die von den Behörden des Großherzogtums erteilte, für die Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit in Luxemburg unerläßliche Arbeitsgenehmigung verlängern lassen müsse, habe er in diesem Land nur einen vorläufigen Wohnsitz. Frau Goeth äußerte die Hoffnung, daß es bei dieser Sachlage möglich sein werde, ihr die Auslandszulage weiterzuzahlen.

    Der Leiter der Personalabteilung wies dieses Argument am 14. Januar 1971 zurück und bestätigte lediglich seinen früheren Standpunkt.

    Hierauf unternahm die Klägerin zunächst nichts. Erst am 5. April 1972 richtete sie an den Präsidenten der Kommission eine Beschwerde mit dem Ziel, ihr die Auslandszulage wieder zu gewähren.

    Diese im Generalsekretariat der Kommission am folgenden Tage, dem 6. April, eingetragene Beschwerde blieb bis auf eine Empfangsbestätigung ohne Antwort.

    Am 7. Juni 1972 erließ Ihre Kammer in den Rechtssachen 20/71 (Frau Bertoni-Sabbatini) und 32/71 (Frau Bauduin-Cholet) zwei Urteile, in denen Sie für Recht erkannten, daß das Statut, indem es die Weiterzahlung der Auslandszulage an einen Beamten, der durch die Eheschließung mit einer Person, welche die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Zulage nicht erfüllt, vom Erwerb der Eigenschaft als Familienvorstand abhängig macht, eine willkürliche Ungleichbehandlung von Beamten vorsieht, je nachdem, ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts sind.

    Die Klägerin versäumte nicht, alsbald nach Bekanntwerden dieser Urteile eine Überprüfung ihres eigenen Falls zu fordern.

    Die Verwaltung teilte ihr mit Schreiben vom 5. Juli mit, daß ihr die Auslandszulage ab 1. Juli wieder gewährt würde, daß aber „diese Regelung … in keiner Weise der Entscheidung über Ihre Beschwerde nach Artikel 90 des Statuts vor[greift]“.

    Daraufhin erhob Frau Goeth am 3. August beim Gerichtshof eine Klage auf Aufhebung der stillschweigenden ablehnenden Entscheidung über ihre Beschwerde vom 5. April. Sie beantragt, demgemäß auch die Entscheidung aufzuheben, durch die ihr die Auslandszulage vom 1. Oktober 1971 bis 1. Juli 1972 entzogen wurde, und zu erkennen, daß ihr die Zulage für diesen Zeitraum nachzuzahlen ist.

    Gegen diese Klage erhebt die Kommission gemäß Artikel 91 der Verfahrensordnung eine auf Verspätung gestützte prozeßhindernde Einrede. Sie haben beschlossen, in die mündliche Verhandlung über diese prozeßhindernde Einrede einzutreten, deren Begründetheit ich daher im folgenden prüfen werde.

    Ausschlaggebend hierfür ist eine Prüfung des Schreibens des Abteilungsleiters vom 28. Oktober 1971. Wenn dieses Schreiben, wie die Kommission behauptet, als beschwerende Entscheidung anzusehen ist, so folgt hieraus, daß die erst am 5. April 1972, d. h. mehr als drei Monate nach Erlaß der Entscheidung über die Streichung der Auslandszulage an den Präsidenten der Kommission gerichtete Beschwerde nach Artikel 90 des damals geltenden Statuts, verspätet erhoben worden ist. Diese Beschwerde konnte daher die Frist für die Klage zum Gerichtshof nicht wahren, da die Frist selbst bereits abgelaufen war.

    Die Klägerin macht geltend, das Schreiben vom 28. Oktober 1971 sei lediglich eine Mitteilung, eine vorbereitende Maßnahme gewesen. Es habe nichts enthalten, was zu der Annahme berechtigt habe, daß es sich um eine endgültig beschlossene Maßnahme handle; insbesondere seien darin weder die Worte „entscheiden“ noch „Entscheidung“ vorgekommen.

    Die Klägerin glaubt überdies eine Bestätigung für dieses Vorbringen darin zu finden, daß der Ausdruck „Entscheidung“ erst in dem zweiten vom Leiter der Personalabteilung am 14. Januar 1972 unterzeichneten Schreiben verwendet wurde. Daher meint die Klägerin, sie habe ihre an den Präsidenten der Kommission gerichtete Beschwerde am 5. April innerhalb der ab diesem 14. Januar laufenden Dreimonatsfrist rechtzeitig eingereicht.

    Meine Herren, diese Auffassung vermag ich nicht zu teilen. Ihre ständige Rechtsprechung geht dahin, daß Sie sich bei der Ermittlung der eigentlichen Natur und Tragweite eines Aktes nicht an seine äußere Form, an seine Erscheinung, sondern an seinen objektiven Inhalt und seine wahre Bedeutung halten.

    Es ist daher unerheblich, daß die am 28. Oktober 1971 an die Klägerin gerichtete Mitteilung nicht den Ausdruck „Entscheidung“ enthält und in Form eines „Schreibens an Frau Goeth“ erging.

    Des weiteren hat dieses Schreiben offensichtlich nicht den Charakter einer bloßen Mitteilung, einer Ankündigung oder einer vorbereitenden Maßnahme.

    Es hat Entscheidungscharakter. Zunächst heißt es: „Aus der uns von Ihnen eingereichten Wohnsitzbescheinigung geht hervor, daß ihr Ehemann seit dem 25. September 1964 in Luxemburg wohnt. Nach Artikel 4 Absatz 3 des Anhangs VII zum Statut ist es daher nicht möglich, Ihnen die Auslandszulage nach Ihrer Eheschließung weiterzugewähren.“ Darin kommt die Begründung der Entscheidung zum Ausdruck. Dann folgt der Entscheidungssatz: „Sie (die fragliche Zulage) wird ab 1. Oktober 1971 gestrichen“ („il sera procédé à sa suppression à partir du 1er octobre 1971“).

    Diese französische Fassung ist zweifellos unvollkommen und hätte besser lauten sollen: L'indemnité est supprimée à partir du 1er octobre 1971; dennoch ist sie völlig klar: sie bringt eine tatsächlich erlassene Entscheidung zum Ausdruck, deren praktische Durchführungsmaßnahmen übrigens in dem letzten Absatz des Schreibens präzisiert sind:

    „Die Ihnen im Oktober und November ausgezahlten Zulagebeträge werden in vier Raten von Ihren nächsten Bezügen einbehalten.“

    Lassen Sie mich außerdem noch darauf hinweisen, daß die Verwaltung der Klägerin am 15. Oktober die Möglichkeit dieser Streichung ja schon angekündigt hatte, indem sie sie aufforderte, eine amtliche Bescheinigung über den gewöhnlichen Wohnsitz oder den Ort der beruflichen Tätigkeit ihres Ehemanns während des fünf Jahre vor der Eheschließung umfassenden Zeitraums vorzulegen.

    Die Verwaltung wollte auf diese Weise Frau Goeth eindeutig davon unterrichten, daß sich ihre kürzliche Eheschließung auf ihren Anspruch auf die Auslandszulage auswirken könne. Dieses erste Schreiben stellte tatsächlich eine bloße Vorbereitungsmaßnahme dar. Dagegen ist das Schreiben vom 28. Oktober die eigentliche Entscheidung, deren möglicher Erlaß der Klägerin angekündigt worden war.

    Ferner kann das am 22. Dezember 1971 an den Leiter der Personalabteilung gerichtete Schreiben der Klägerin nicht als „Beschwerde“ im Sinne von Artikel 90 des Beamtenstatuts angesehen werden:

    Erstens, weil es nicht, wie in diesem Artikel gefordert, an die „Anstellungsbehörde“ gerichtet war;

    zweitens, weil die Klägerin nicht die Rücknahme der in dem Schreiben vom 28. Oktober enthaltenen Entscheidung forderte; sie behauptete lediglich, ihr Ehemann sei in Luxemburg nur widerruflich und vorläufig wohnhaft, da er eine Arbeitsgenehmigung benötige, deren Verlängerung jedes Jahr abgelehnt werden könne.

    Im übrigen wäre die Klage, selbst wenn Sie dieses Schreiben ab echte Beschwerde ansehen sollten, dennoch verspätet eingereicht, da das Antwortschreiben des Leiters der Personalabteilung vom 14. Januar 1972 als ausdrückliche Zurückweisung der genannten Beschwerde zu betrachten wäre. Die Klägerin hätte dann binnen drei Monaten nach dieser Ablehnung, d. h. spätestens am 15. April 1972 den Gerichtshof anrufen müssen.

    In Wahrheit hat dieses Schreiben der Klägerin aber aus den eben angegebenen Gründen nicht die Rechtsnatur einer Beschwerde im Sinne von Artikel 90 des Statuts. Was das Schreiben anbelangt, mit dem der Leiter der Personalabteilung das Vorbringen der Klägerin zurückgewiesen hat, so ist es eine bloße Bestätigung der ursprünglichen Entscheidung vom 28. Oktober 1971. Es enthält keine neuen Entscheidungselemente.

    Meine Herren, nach alledem ist folgendes festzustellen: Die Klägerin hätte gemäß Ihrer Rechtsprechung entweder innerhalb von drei Monaten nach dem 28. Oktober 1971, dem Zeitpunkt der Zustellung der sie beschwerenden Entscheidung unmittelbar bei Ihnen Klage erheben müssen, oder sie hätte innerhalb derselben Frist an die Verwaltung eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 richten müssen; sie hätte auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, die ausdrückliche oder stillschweigende Ablehnung dieser Beschwerde anzufechten und gleichzeitig die Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung zu beantragen.

    Wie wir aber gesehen haben, richtete sie erst am 5. April 1972, also nach Ablauf der vom Tage der Zustellung der beschwerenden Entscheidung an laufenden Dreimonatsfrist gemäß Artikel 90 des Statuts eine Beschwerde an den Präsidenten der Kommission.

    Ich kann daher nur beantragen:

    die Klage Nr. 56/72 als unzulässig abzuweisen,

    der Klägerin gemäß Artikel 70 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten aufzuerlegen, während die Kommission ihre eigenen Auslagen trägt.


    ( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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