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Document 61969CC0038

Schlussanträge des Generalanwalts Gand vom 10. Dezember 1969.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik.
Rechtssache 38-69.

Sammlung der Rechtsprechung 1970 -00047

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1969:72

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS JOSEPH GAND

VOM 10. DEZEMBER 1969 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften klagt vor Ihnen aufgrund von Artikel 169 des Vertrages auf Feststellung, daß die Italienische Republik durch die Erhebung der von ihr seit dem 1. Januar 1968 auf die Einfuhr von Rohblei (Tarifnummer 78.01 A), Rohzink (Tarifnummer 79.01 A) und in bestimmten Fällen auf die Einfuhr von Bearbeitungsabfällen und Schrott aus Blei (Tarifnummer 78.01 B) und von Bearbeitungsabfällen und Schrott aus Zink (Tarifnummer 79.01 B) angewandten Zölle gegen Verpflichtungen verstoße, die ihr nach der Beschleunigungsentscheidung des Rates vom 26. Jul 1966 und nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages obliegen.

Darüber, welche Zölle in dem fraglichen Zeitraum tatsächlich angewandt wurden — ich gehe hierauf noch näher ein —, besteht kein Streit. Dagegen hat die Beklagte aus Gründen, die sie in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, stets nachdrücklich bestritten, daß sich aus dieser Entscheidung des Rates für sie irgendwelche Verpflichtungen ergäben. Daher empfiehlt es sich, bevor auf das Vorbringen der beiden Parteien eingegangen wird, die Vorschriften in Erinnerung zu rufen, die in zeitlicher Reihenfolge auf diesem Gebiet gegolten haben und dem Rechtsstreit zugrunde liegen.

I

1.

Blei und Zink, zwei für die Italienische Republik äußerst empfindliche Waren, die einen bedeutenden Platz in der Wirtschaft der ärmsten Notstandsgebiete Sardiniens einnehmen, sind in der dem Vertrag von Rom als Anlage beigefügten Liste G aufgeführt. Daher mußten die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs für diese Waren im Wege von Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt werden, was tatsächlich durch das Abkommen vom 2. März 1960 geschah. Gleichzeitig aber sieht das auf diese beiden Waren bezügliche Protokoll Nr. XV Bestimmungen vor, die den auseinanderlaufenden Interessen der Mitgliedstaaten gerecht werden sollen. Einerseits ermächtigt die Kommission beginnend mit der ersten Angleichung an den Gemeinsamen Zolltarif die Bundesrepublik Deutschland, Belgien und die Niederlande auf deren Antrag, in einem bestimmten Umfang Zollkontingente zum Zollsatz Null einzuführen. Andererseits „befürworten“ die Mitgliedstaaten die Anwendung des Artikels 226 des Vertrages in Form einer Isolierung des italienischen Blei- und Zinkmarktes vom dem der übrigen Mitgliedstaaten und der Drittländer während eines Zeitabschnitts von sechs Jahren, beginnend mit der Unterzeichnung des Protokolls, also bis zum 2. März 1966.

Um zunächst bei diesem zweiten Aspekt des Problems zu bleiben, so ermächtigte die Kommission Italien mit Entscheidungen vom 27. Juli 1961 und 28. Februar 1962, die am 2. März 1960 geltenden spezifischen Mindestzölle für Rohblei und Rohzink sowie für Bearbeitungsabfälle und Schrott aus beiden Erzeugnissen bis zum 7. August 1962 beizubehalten. Diese Entscheidungen wurden in zeitlicher Folge durch andere, die dem von der italienischen Regierung für diesen Wirtschaftszweig eingeleiteten Sanierungs- und Wiederaufbauprogramm Rechnung trugen, erneuert und angepaßt.

So wurde die Beklagte letztlich durch eine Entscheidung der Kommission vom 6. Juli 1966, neugefaßt durch Entscheidungen vom 22. März und 1. August 1967, ermächtigt, auf Einfuhren aus den Mitgliedstaaten und aus Drittländern höhere als die Zölle zu erheben, die sich bei Anwendung der Vertragsbestimmungen und der bereits ergangenen Beschleunigungsbeschlüsse ergeben hätten. Diese Entscheidung galt bis zum 31. Dezember 1967. Sie gab dem Antrag der italienischen Regierung vom 23. Februar des Vorjahres, der auf die Beibehaltung der durch die Entscheidung vom 20. Dezember 1963 genehmigten Schutzmaßnahmen bis zum 30. Juni 1968 und auf die Festsetzung von Fristen und Einzelheiten für die schrittweise Verwirklichung der Senkung der innergemeinschaftlichen Zölle und die vollständige Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs für die Zeit nach dem 30. Juni 1968 gerichtet war, nur teilweise statt.

Daraufhin beantragte die italienische Regierung am 7. Dezember 1967 eine neue Schutzmaßnahme des Inhalts, daß die durch die Entscheidung vom 6. Juli 1966 genehmigten Zölle bis zum 30. Juni 1968 beibehalten und die gesenkten Zollsätze bis zum 31. Dezember 1969, dem Zeitpunkt, an dem durch das Ende der Übergangszeit Maßnahmen nach Artikel 226 unmöglich wurden, angewandt werden dürften. Ihr Antrag wurde von der Kommission am 20. März 1968 abgelehnt. Ein neuer Antrag vom 24. Juni 1969 wurde am 24. Juli 1969 ebenfalls abgelehnt.

2.

Inzwischen war aber die Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 (ABl. Nr. 165 vom 21. September 1966 S. 2971) ergangen, auf die der ganze Rechtsstreit zurückgeht. Da die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinschaft früher als vorgesehen die vollständige Abschaffung der im Handel zwischen den Mitgliedstaaten angewandten Einfuhrzölle und die uneingeschränkte Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs ermöglichte, beschloß der Rat die nachstehenden Maßnahmen, welche alle Waren mit Ausnahme der in Anhang II des Vertrages aufgeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse betrafen :

für die innergemeinschaftlichen Zölle: Senkung des Zollsatzes auf 15 % des Ausgangszollsatzes vom 1. Juli 1967 und endgültige Abschaffung des Zolls mit Wirkung vom 1. Juli 1968;

für den Gemeinsamen Zolltarif bei der Einfuhr aus dritten Ländern: Anwendung dieses Tarifs vom 1. Juli 1968 an.

3.

Die Klägerin vertritt daher folgende Auffassung :

a)

Da Italien nach dem 31. Dezember 1967 keine Schutzmaßnahmen mehr habe anwenden dürfen, hätte es ab 1. Januar 1968in seinen innergemeinschaftlichen Handelsbeziehungen die Beschleunigungsentscheidung vom 26. Juli 1966 anwenden müssen.

Die Ausgangszollsätze hätten am 1. Januar 1957 bei Blei 35 Lire je kg und bei Zink 25 Lire je kg betragen; die Beklagte hätte demnach bis zum 30. Juli 1968 nur 5,25 beziehungsweise 3,75 Lire je kg erheben dürfen und von diesem Zeitpunkt an jede Zollerhebung beenden müssen. Unstreitig habe sie aber im Verlauf des ersten Halbjahres 1968 Zollsätze von 17,5 Lire für Blei und 12,5 Lire für Zink angewandt, die sie dann vom 1. Juli 1968 an auf 7 beziehungsweise 5 Lire je kg gesenkt habe.

Mit anderen Worten, sie habe vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1968 den Ausgangszollsatz um 50 % anstatt um die in der Beschleunigungsentscheidung vorgesehenen 85 % gesenkt; vom 1. Juli 1968 an habe sie den Zoll nur um 80 % gesenkt, anstatt ihn vollständig abzuschaffen.

Bei Bearbeitungsabfällen und Schrott sei ihre Politik etwas anders gewesen. Sie hätte im ersten Halbjahr 1968 Wertzölle von 1,5 % für Bearbeitungs-abfälle und Schrott aus Blei und von 1,65 % für Bearbeitungsabfälle und Schrott aus Zink anwenden müssen, habe aber Zollsätze von 5 beziehungsweise 5,5 % angewandt. Vom 1. Juli 1968 an hätte sie keinen Zoll mehr erheben dürfen und habe für Bearbeitungsabfälle und Schrott aus Zink auch tatsächlich keinen mehr erhoben, für Bearbeitungsabfälle und Schrott aus Blei aber Zollsätze beibehalten, die je nach der Qualität dieser Nebenerzeugnisse zwischen 3,8 Lire und 6,9 Lire je kg gelegen hätten.

b)

Entsprechende Verstöße rügt die Klägerin hinsichtlich der Einfuhren aus dritten Ländern.

Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1968 hätten sich die Verpflichtungen der Beklagten nicht aus der Beschleunigungsentscheidung, sondern unmittelbar aus Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages ergeben. Da sie durch keine Schutzmaßnahme mehr gedeckt gewesen sei, hätte sie, wie es dieser Artikel vorsieht, die zweite, 30 % des Abstands zwischen dem am 1. Januar 1957 tatsächlich angewandten Zollsatz und dem Satz des Gemeinsamen Zolltarifs betragende Zollsenkung anwenden müssen. Ferner hätte sie vom 1. Juli 1968 an, diesmal aufgrund der Beschleunigungsentscheidung, den Gemeinsamen Zolltarif uneingeschränkt anwenden müssen.

Unstreitig hat die Beklagte aber — hierzu brauche ich lediglich auf die im Sitzungsbericht angegebenen Zahlen zu verweisen — im ersten Halbjahr 1968 höhere als die sich aus Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages ergebenden Zölle erhoben, und zwar sowohl bei Blei und Zink als auch bei Bearbeitungsabfällen und Schrott aus diesen beiden Erzeugnissen. Desgleichen steht fest, daß sie vom 1. Juli 1968 an den Gemeinsamen Zolltarif nur auf Bearbeitungsabfälle und Schrott angewandt, auf Einfuhren von Blei und Zink aber weiterhin höhere als die in diesem Tarif vorgesehenen Zölle erhoben hat.

Aufgrund dieser Feststellungen hat die Klägerin mit Schreiben vom 13. September 1968 die Beklagte zur Äußerung aufgefordert. Da ihr diese Äußerung nicht zufriedenstellend erschienen ist, hat sie am 2. April 1969 eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu den Verstößen abgegeben, welche die Beklagte gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages und aus der Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 begangen haben soll; gestützt auf diese beiden Vorschriften hat sie bei Ihnen Klage erhoben.

II

Der ganze Streit geht um die Tragweite, die der Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 beizumessen ist. In der Sitzung, in der diese Entscheidung verabschiedet wurde, hat die Beklagte eine Erklärung abgegeben, wonach die Beschleunigungsentscheidung keinen Verzicht auf Schutzmaßnahmen im Blei- und Zinksektor bedeuten könne. Jetzt meint sie, diese von den übrigen Mitgliedstaaten ohne Einwände hingenommene Erklärung sei als Weigerung auszulegen, sich bei diesen beiden Waren an die Beschleunigung der Zollunion zu halten. In der mündlichen Verhandlung wurde die Auffassung vertreten, wenn die hohen vertragschließenden Parteien Verhandlungen über ein bestimmtes Abkommen einleiteten, so seien nach internationalem Recht und nach Gemeinschaftsrecht Erklärungen der Parteien, die diesem Abkommen beigefügt werden, ebenso zu bewerten wie die diplomatische Urkunde selbst.

Zu dieser Auffassung sind zwei Bemerkungen erforderlich.

1.

Als erstes ist festzustellen, daß die Parteien bekanntlich über den Wortlaut der von der italienischen Regierung in der erwähnten Sitzung abgegebenen Erklärung nicht einig sind. In den Akten finden Sie die von der Delegation dieses Landes in den Vorberatungen der Ständigen Vertreter nacheinander abgegebenen Stellungnahmen. Sie beschränken sich darauf, entweder die Frage offenzuhalten oder die Aufmerksamkeit auf das durch das Protokoll Nr. XV aufgeworfene Problem zu lenken, wobei die Delegation den Wunsch äußert, daß die Beschleunigungsentscheidung kein Hindernis für eine etwaige Anwendung von Artikel 226 des Vertrages bilden möge. Über diese Texte besteht kein Streit.

Das gleiche gilt aber nicht für die Sitzung des Rates; hier liegen Ihnen zwei Versionen vor. Die eine findet sich im Protokollentwurf zur 191. Tagung des Rates vom Juli 1966, einem Schriftstück mit dem Datum vom 7. Mai 1968. Der Rat stimmt darin einer Anzahl von Erklärungen zu :

Die erste Erklärung erkennt an, daß die Schutzklauseln sowie die anderen Bestimmungen des Vertrages bei der Ausführung der Entscheidung des Rates Anwendung finden;

in der zweiten Erklärung lenkt die italienische Delegation die Aufmerksamkeit auf das durch das Protokoll Nr. XV aufgeworfene Problem und auf die etwaige Anwendung von Artikel 226; sie tut dies mit Worten, die den von mir soeben gebrauchten sehr nahekommen. Der Vertreter der Kommission erklärt darauf, die Entscheidung des Rates präjudiziere nicht die Anwendbarkeitsvoraussetzungen der Schutzmaßnahmen im Sinne von Artikel 226, die erforderlich sind, um Schwierigkeiten zu begegnen, welche einen Wirtschaftszweig erheblich und voraussichtlich anhaltend treffen oder welche die wirtschaftliche Lage eines bestimmten Gebietes beträchtlich verschlechtern können.

Es handelt sich aber nur um einen Protokollentwurf, der anscheinend weder jemals genehmigt noch zum Gegenstand eines Berichtigungsantrags gemacht wurde. In der mündlichen Verhandlung hat es der Bevollmächtigte der Beklagten jedoch abgelehnt, ihn als die richtige Wiedergabe der Auffassung seiner Regierung anzuerkennen. Der richtige Wortlaut, den er Ihnen verlesen hat, sei folgender : „Die italienische Delegation lenkt die Aufmerksamkeit auf das Problem, welches das dem Abkommen über die Liste G als Anhang beigefügte Protokoll Nr. XV über Blei und Zink aufwirft. Die Delegation wünscht, daß die Beschleunigungsentscheidung nicht zu einem Hindernis für eine etwa erforderliche Verlängerung der die Blei- und Zinkindustrie schützenden Zollbehandlung werden kann, auch wenn diese Verlängerung im Wege des Artikels 226 erfolgt.“ Diese neue Fassung weicht meines Erachtens ihrem Sinne nach im Grunde nicht sehr von der im Protokollentwurf enthaltenen ab. Es ist darin von der etwaigen Anwendung von Artikel 226 die Rede; die italienische Delegation äußert hier einen Wunsch, der aber — besonders wenn man die fragliche Erklärung mit der der Kommission vergleicht — nicht zur Folge hat, daß der Rat ein unbedingtes Recht der italienischen Regierung auf neue Schutzmaßnahmen nach Artikel 226 anerkennt. Wie die Klägerin erklärt, wollte Italien eine nicht erforderliche Bestätigung dafür, daß bis zum 31. Dezember 1969 unter Umständen Artikel 226 angewandt werden könne. Es wurde niemals gesagt, daß diese Anwendung automatisch erfolge.

2.

Ferner kommt es — und das ist die zweite Bemerkung, die zur Auffassung der Beklagten erforderlich ist — für die Frage, welche Tragweite die streitige Entscheidung hat und ob sie mit Vorbehalten versehen werden kann, die ihre Tragweite einschränken, auf die Rechtsnatur dieser Entscheidung und auf ihre Stellung im Vertragssystem an.

In diesem Punkt kann kein Zweifel bestehen. Es handelt sich um eine Entscheidung nach Artikel 235 des Vertrages, die, wenn sie einmal ergangen ist, sämtliche Wirkungen zeitigt, die Artikel 189 einer Entscheidung beimißt.

Ich brauche nicht daran zu erinnern, daß nach Artikel 235 der Rat, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und wenn in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind, einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Versammlung die „geeigneten Vorschriften“ erläßt.

Dies ist vorliegend geschehen. Der Begründung der streitigen Entscheidung ist zu entnehmen, daß eines der Ziele der Gemeinschaft darin besteht, den Gemeinsamen Markt innerhalb kürzester Frist zu verwirklichen, daß ein Tätigwerden der Gemeinschaften hierfür erforderlich ist, und daß, da der Vertrag nicht in besonderen Bestimmungen sämtliche hierfür erforderlichen Befugnisse vorgesehen hat, auf Artikel 235 des Vertrages zurückzugreifen ist. Der Vorschlag der Kommission und die Stellungnahme des Europäischen Parlaments werden erwähnt. Auf diesen Grundlagen erläßt der Rat seine Entscheidung, von der es in Artikel 4 heißt, daß sie an die Mitgliedstaaten gerichtet ist.

Die Form, in der der Rat nach Artikel 235 tätig wird, kann gewiß von Fall zu Fall verschieden sein, denn es ist in diesem Artikel von „geeigneten Vorschriften“ die Rede. Sie kann die der Verordnung sein (wie z.B. die Verordnung Nr. 167/64 EWG des Rates vom 30. Oktober 1964 über die Abschöpfung für bestimmte Mischungen von Milcherzeugnissen und bestimmte Butter enthaltende Zubereitungen, ABl. Nr. 173 vom 31. Oktober 1964, Seite 2752). Sie kann aber auch wie vorliegend die der Entscheidung im Sinne von Artikel 189 sein, also einer Maßnahme, die „in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich [ist], die sie bezeichnet“. Gewiß unterliegt sie besonderen Verfahren und bedarf der Einstimmigkeit des Rates; sind aber diese Voraussetzungen einmal erfüllt — und sie waren es in dem uns beschäftigenden Fall —, so fällt sie unter die allgemeinen Vorschriften von Artikel 189. Deshalb kann ich die in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigten der Beklagten vertretene Auffassung nicht teilen, der von „diesem Abkommen, das Entscheidung genannt wird, aber in Wahrheit ein internationales Abkommen ist“ sprach. Damit will man Sie auf den unsicheren Boden der Beschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten hinüberziehen, wie es die beiden vorangegangenen Beschleunigungsbeschlüsse vom 12. Mai 1960 und 15. Mai 1962 waren. Anders als damals haben wir es aber hier mit einer in vollem Umfang und ausschließlich gemeinschaftsrechtlichen Organhandlung zu tun, die, einmal ergangen, für diejenigen, die sie bezeichnet — d.h. für die Mitgliedstaaten — verbindlich ist, ohne daß diese die Anwendung ablehnen oder einen Vorbehalt anbringen könnten; also mit einer Handlung, gegen die nur nach Artikel 173 vorgegangen werden kann.

Bedürfte es noch eines zusätzlichen Beweises dafür, daß die Maßnahme des Rates tatsächlich eine Entscheidung in dem eindeutigen Sinne ist, den Artikel 189 diesem Ausdruck verleiht, so würde ein Hinweis auf die Terminologie in den einzelnen sprachlichen Fassungen der Maßnahme genügen. Diese trägt im Deutschen die Überschrift „Entscheidung“, im Niederländischen die Überschrift „beschikking“, was die in Artikel 189 gebrauchten Ausdrücke sind; dagegen hat man sich beispielsweise für die Beschleunigungsbeschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der umfassenderen und weniger präzisen Ausdrücke „Beschluß“ bzw. „besluit“ bedient.

Wie dem auch sei, der Wortlaut der streitigen Entscheidung ist völlig klar. Abgesehen von den landwirtschaftlichen Erzeugnissen des Anhangs II gilt sie für alles, was dem Zolltarif unterliegt; sie enthält keine Ausnahme, keine Einschränkung, keine Abschwächung, keine Befristung für irgendeine Ware und insbesondere nicht für Blei und Zink. Gemäß der von Ihnen ständig vertretenen Auffassung besteht also kein Anlaß, auf die Materialien zurückzugreifen; es genügt, die Vorschrift anzuwenden, wie sie ist.

III

Überdies richtet sich die Kritik der Beklagten in der von mir wiedergegebenen Form ausschließlich gegen die Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966. Selbst wenn ihrem Antrag entsprechend diese Entscheidung außer Anwendung zu lassen wäre, bliebe die Beklagte bei den Einfuhren aus dritten Ländern doch an Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages gebunden, der sie dazu verpflichtete, eine zweite Zollsenkung um 30 % des Abstands zwischen dem am 1. Januar 1957 tatsächlich angewandten Zollsatz und dem Gemeinsamen Zolltarif vorzunehmen. Von dieser Vorschrift spricht sie nicht. Sie kann diese Vorschrift jedoch nur stillschweigend ausschließen, wenn sie irgendein Recht auf Schutzmaßnahmen für die Blei- und Zinkindustrie geltend macht.

Es ist aber nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage ihr dieses Recht zugestanden werden könnte.

Das Protokoll Nr. XV kann jedenfalls nicht als Grundlage dienen. Bei der Unterzeichnung dieses Protokolls hatten die Mitgliedstaaten wohl die Anwendung des Artikels 226 des Vertrages für die Dauer von sechs Jahren befürwortet. In einem analogen Fall haben Sie zum Protokoll Nr. VIII über Seide die Ansicht vertreten, daß eine solche Befürwortung eine Richtlinie darstelle, welche die Kommission zu berücksichtigen habe, ohne jedoch an eine bestimmte Rechtspflicht gebunden zu sein, da ihr Ermessensspielraum gänzlich unberührt bleibe (Rechtssache 32/64, Italienische Republik gegen EWG-Kommission, 17.6.1965, Slg. XI, 507). Dies gilt um so mehr, wenn wie im vorliegenden Fall die im Protokoll vorgesehene Frist von sechs Jahren abgelaufen ist.

Zweifellos war die Beklagte bei Ablauf der letzten Schutzmaßnahme am 31. Dezember 1967 immer noch berechtigt, deren Verlängerung zu beantragen, und sie hat auch nicht verfehlt, dies zu tun; aber es war Sache der Kommission, zu beurteilen, ob diesen Anträgen stattzugeben war oder nicht. Die abschlägigen Bescheide konnten die Beklagte zur Erhebung einer Klage vor dem Gerichtshof nach Artikel 173 berechtigen, aber nicht zur Weigerung, den Verpflichtungen nachzukommen, die sich für sie aus der Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 und aus Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages ergaben. Entgegen der augenscheinlichen Annahme der Beklagten liegt durchaus kein Widerspruch darin, wenn die Klägerin gleichzeitig behauptet, daß die der Beklagten vorgeworfenen Verstöße in der Verletzung der Entscheidung des Rates und des Artikels 23 des Vertrages bestehen und daß sie die Ablehnung ihrer Anträge auf Schutzmaßnahmen hätte anfechten müssen. Nur auf eine solche Klage hin hätte sie ihre langen Ausführungen über die besondere Lage der Blei- und Zinkförderung in Sardinien mit Aussicht auf Erfolg vorbringen können, die im vorliegenden Rechtsstreit Ihrer Würdigung völlig entzogen sind, so interessant sie auch sein mögen.

Aus allen diesen Gründen komme ich zu folgendem Ergebnis :

1.

Im ersten Halbjahr 1968 hat die Italienische Republik auf die Einfuhr von Rohblei und Rohzink sowie von Bearbeitungsabfällen und Schrott aus diesen beiden Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten Zölle angewandt, die 15 % der am 1. Januar 1957 angewandten Zölle überstiegen. Sie hat damit gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 1 der Entscheidung des Rates vom 26. Juli 1966 verstoßen.

In dem gleichen Zeitraum hat sie auf die Einfuhr der gleichen Waren aus dritten Ländern Zölle angewandt, die höher waren als die am 1. Januar 1957 tatsächlich angewandten Zölle, vermindert um 60 % des Unterschiedsbetrages zwischen diesen Zöllen und den Sätzen des Gemeinsamen Zolltarifs. Sie hat dadurch gegen die Bestimmungen von Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrages verstoßen.

2.

Am 1. Juli 1968 hat sie die Zölle auf die Einfuhr von Rohblei und Rohzink sowie von Bearbeitungsabfällen und Schrott aus Blei aus den übrigen Mitgliedstaaten nicht aufgehoben; zum gleichen Zeitpunkt hat sie auf die Einfuhr von Rohblei und Rohzink aus dritten Ländern nicht die Sätze des Gemeinsamen Zolltarifs angewandt. Damit hat sie gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 1 und 2 der Entscheidung des Rates verstoßen.

Endlich beantrage ich, die Kosten der Italienischen Republik aufzuerlegen.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

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