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Document 61965CC0049

    Schlussanträge des Generalanwalts Gand vom 22. März 1966.
    Ferriere e Acciaierie Napoletane SpA gegen Hohe Behörde der EGKS.
    Rechtssache 49-65.

    Englische Sonderausgabe 1966 00106

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1966:15

    Schlußanträge des Generalanwalts Herrn Joseph Gand

    vom 22. März 1966 ( 1 )

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Das Unternehmen Fernere e Acciaierie Napoletane, das gewöhnliches Roheisen und Massenstahl erzeugt, wurde in den Jahren 1958 und 1962 durch die Schweizerische Treuhandgesellschaft kontrolliert. Das Unternehmen erleichterte die erste Kontrolle kaum; im Jahr 1962 arbeitete es bereitwilliger mit, konnte allerdings nur sehr unvollständige Belege vorweisen.

    Die Klägerin hatte für den Zeitraum von April 1955 bis November 1958 17003 Tonnen Zukaufschrott gemeldet. Die beitragspflichtige Menge wurde jedoch für die gesamte Dauer der Ausgleichseinrichtung zunächst auf 41343 Tonnen geschätzt, später auf 40034 Tonnen herabgesetzt und schließlich durch die Entscheidung vom 19. Mai 1965, die Gegenstand dieser Klage ist, auf 34300 Tonnen festgesetzt.

    Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich die Beitragspflichtigkeit einer bestimmten Schrottmenge, von der die Klägerin behauptet, es handle sich um legierten Schrott, was die Hohe Behörde bestreitet. Es geht um 8344 Tonnen, die für den Zeitraum von April 1955 bis November 1958 gemeldet wurden, und weitere 2621 Tonnen für den Zeitraum von April bis Dezember 1954. Die Klägerin beantragt zu erkennen, daß die streitigen 10965 Tonnen zu Unrecht in die beitragspflichtige Menge einbezogen worden seien. Sie beantragt ferner, die Hohe Behörde zu verurteilen, zur Wiedergutmachung des dem Unternehmen durch die Entscheidung angeblich entstandenen Schadens eine Entschädigung zu zahlen. Dieser letztere Antrag ist jedoch in keiner Weise mit Gründen versehen und deshalb unzulässig.

    Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Hohe Behörde ausgeführt, zwar hätten aufgrund von Werksrechnungen, die den Gehalt an Legierungselementen erwähnten, oder aufgrund einer im Auftrag des Lieferwerks angefertigten Analyse 864 Tonnen als legierter Schrott anerkannt werden können, dagegen habe das klagende Unternehmen bei 8344 Tonnen nicht dartun können, daß es sich tatsächlich um legierten Schrott gehandelt habe. Die Entscheidung führt aus, diese Menge müsse aus folgendenGründen als gewöhnlicher Schrott angesehen werden: Zunächst erfordere die Produktion des Unternehmens ihrer Art nach keinen Zusatz von Legierungselementen; ferner entspreche der für den fraglichen Schrott gezahlte Preis dem für gewöhnlichen Schrott, und als solcher sei der Schrott auch verwandt worden; schließlich enthielten die Rechnungen keinen Hinweis auf einen Gehalt an Legierungsmaterial.

    Die Klägerin erhebt gegen diese Entscheidung zwei Rügen. Die Hohe Behörde verkenne die auf die Ausgleichseinrichtung anwendbaren Vorschriften, insbesondere die Entscheidung Nr. 2/57, indem sie der Klägerin den Nachweis, daß es sich um legierten Schrott handle, also den Beweis der Richtigkeit ihrer Meldungen aufbürde. Die genannte Entscheidung verpflichte zwar die Unternehmen, ihre Schrottbewegungen zu melden — die Klägerin habe dieser Verpflichtung auch entsprochen und zwischen gewöhnlichem Schrott und legiertem Schrott unterschieden —, sie verpflichte jedoch nicht dazu, Belege für die Meldungen beizubringen. Zumindest hätte die Hohe Behörde, wenn sie die abgegebenen Meldungen habe berichtigen oder nachprüfen wollen, bereits bei deren Abgabe diese Nachweise verlangen müssen und nicht erst zehn Jahre später, wenn es nicht mehr möglich sei, diese Unterlagen zu beschaffen. Ihr Begehren sei sogar ermessensmißbräuchlich, soweit es darauf hinauslaufe, daß das Unternehmen lediglich deshalb zu einem höheren Beitrag veranlagt werde, weil es seinen Meldungen Unterlagen nicht beigefügt habe, die gar nicht verlangt worden seien.

    Die Klägerin bestreitet in zweiter Linie die Schlüssigkeit der in der angefochtenen Entscheidung für die Auffassung, daß der streitige Schrott als gewöhnlicher Schrott anzusehen sei, gegebenen Begründung. Entscheidend sei weder, daß die Produktion des Unternehmens ihrer Art nach keinen Zusatz von Legierungselementen erfordere, noch daß der streitige Schrott als gewöhnlicher Schrott verwandt worden sei. Denn die Hohe Behörde habe diesen beiden Punkten bei den 864 Tonnen, deren Freistellung sie anerkannt hat, keine Bedeutung beigemessen. Wenn andererseits die gezahlten Preise denjenigen für gewöhnlichen Schrott entsprochen hätten, so deshalb, weil es auf dem Markt von Neapel keine differenzierte Nachfrage gegeben habe, was aus einer Bescheinigung der Handelskammer dieser Stadt hervorgehe. Schließlich sei die Angabe des Gehalts an Legierungsmaterial auf den Rechnungen erst seit dem 1. Mai 1958, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Entschließung Nr. 17 der Ausgleichskasse für Einfuhrschrott, gefordert worden. Man müsse daher die Bescheinigungen der Lieferanten, insbesondere des Unternehmens Bonada und der Stabilimenti Meccanici di Pozzuoli, daß der gelieferte Schrott aus legiertem Stahl bestanden habe, was sich entweder aus der diesem Lieferanten bekannten Herkunft des Schrotts oder aus durchgeführten Analysen ergeben habe, als beweiskräftig anerkennen.

    Im Ergebnis läuft also alles auf die Frage hinaus, welche Beweise für die Freistellung legierten Schrotts erforderlich sind. Genügt es, daß das betroffene Unternehmen ihn als legierten Schrott bezeichnet? Oder ist die Hohe Behörde berechtigt, Belege zu verlangen, und — wenn ja — welche?

    Ohne daß die Ehrlichkeit der unternehmen in Zweifel gezogen werden soll, ist zum ersten Punkt zu bemerken, daß der Hohen Behörde nicht zugemutet werden kann, sich mit den bloßen Meldungen der Unternehmen zu begnügen. Wenn die gemeldeten Schrottmengen zu einem Teil der Ausgleichslast unterliegen, zu einem Teil jedoch freigestellt sind, so kann die zuständige Behörde verlangen, daß für diese letztere Menge zuverlässige Belege beigebracht werden; fehlen diese, so kann sie auf das Verfahren der Schätzung vom Amts wegen zurückgreifen. Dies haben Sie zum Beispiel in Ihrem Urteil Pugliesi (8/65) vom 8. Februar dieses Jahres für den in einer integrierten Eisengießerei verbrauchten Schrott entschieden.

    Ein Unternehmen muß also, wenn es die Freistellung erreichen will, nachweisen, daß es sich um legierten Schrott handelt. Die Hohe Behörde verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, daß Schrott nicht schon dann als legiert anzusehen ist, wenn er irgendeinen Anteil anderer Metalle in Form von Legierungen enthält: Der Gehalt an anderen Metallen muß vielmehr bestimmte Prozentsätze erreichen, die je nach Art des Metalls verschieden sind. Die unterschiedliche Zusammensetzung des Schrotts hat ferner sowohl wirtschaftliche als auch technische Konsequenzen: Der legierte Schrott ist normalerweise teurer, er wird für Spezialerzeugnisse verwandt. Wenn ihn die Klägerin im vorliegenden Fall zur Herstellung von gewöhnlichem Massenstahl benutzte, obwohl dies nicht nur nicht notwendig war, sondern sich sogar als kostspieliger erweisen konnte als die Verwendung von gewöhnlichem Schrott, so deshalb, weil die Preise für die verschiedenen Schrottarten aus geographischen Gründen identisch waren. Die Freistellung von der Beitragszahlung konnte dieses Verfahren als vorteilhaft erscheinen lassen.

    Die Entschließung Nr. 17 der Ausgleichskasse vom 24. April 1958 gibt die für die Anerkennung als legierter Schrott erforderlichen Prozentsätze an, im großen ganzen wiederholt sie jedoch nur die in dem seit Dezember 1954 benutzten Fragebogen 2/50 der EGKS, den die Beklagte zu den Akten gereicht hat, genannten Zahlen. Schon seit der Tätigkeitsaufnahme der Ausgleichseinrichtung besteht also eine Definition, ein gemeinsamer Begriff des legierten Schrotts, woran sich seither nichts geändert hat. Über diesen Punkt sind sich die Parteien im übrigen einig, wenn sie daraus auch entgegengesetzte Folgerungen ziehen.

    Die Entschließung von 1958 enthält jedoch eine neue Vorschrift, denn sie sieht vor, daß auf der Rechnung der Preis für die Legierungselemente getrennt aufgeführt und der durchschnittliche Gehalt an solchen Elementen angegeben werden muß. So heißt es wenigstens in der von der Hohen Behörde vorgelegten amtlichen französischen Fassung, wogegen der vom Campsider den betroffenen Unternehmen zugestellte italienische Text nur besagt, die Rechnungen müßten klar angeben, daß es sich um legierten Schrott handle. Welche Bedeutung dieser recht seltsamen Divergenz in der Fassung auch zukommen mag, die Vorschrift ist jedenfalls nicht ohne weiteres auf die früheren Käufe anwendbar, die Gegenstand dieses Rechtsstreits sind. In ihrer italienischen Fassung — die allein den Unternehmen bekannt war — ist sie recht großzügig, da ihr ein Hinweis auf der Rechnung genügt, mit dem — ohne daß der Gehalt an Legierungsmaterial genau angegeben wird — dennoch implizite gesagt wird, daß dieser Gehalt zumindest dem von der geltenden Regelung geforderten entspricht.

    Es ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich, wie man für die vor Bekanntgabe der Entschließung von 1958 abgeschlossenen Geschäfte eine strengere Haltung einnehmen könnte. Der Nachweis, daß es sich tatsächlich um legierten Schrott handelt, kann keiner strengen Formvorschrift unterliegen; er kann in jedem einzelnen Fall durch Indizien oder Vermutungen geführt werden, deren Beweiswert abzuwägen ist.

    Im vorliegenden Fall stützt die Klägerin ihr Vorbringen auf mehrere Umstände. Sie erinnert zunächst daran, daß ihre Meldungen über legierten Schrott den ab 1955 jeweils in ihren Büchern vorgenommenen Eintragungen entsprächen, wie die Schweizerische Treuhandgesellschaft bei der im Jahr 1962 vorgenommenen Prüfung festgestellt habe. Ferner — und vor allem — beruft sie sich auf die Bescheinigungen, die sie im Anschluß an die erste Kontrolle im Jahr 1958 vorgelegt hat: Ihre Lieferanten, die Stabilimenti meccanici di Pozzuoli, die Società elettrochimica Vesuviana und die Società Bonada, hätten der Klägerin im September 1958 unter genauer Bezeichnung der Rechnungen, Mengen und Zeiträume bescheinigt, daß sie ihr legierten Schrott verkauft haben. Diese Erklärungen seien nach Zustellung der Entschließung der Ausgleichskasse abgegeben; es sei daher davon auszugehen, daß sie als legierten Schrott den Schrott bezeichneten, der wenigstens den in dieser Entschließung und im übrigen auch vorher schon stillschweigend geforderten Mindestgehalt an Legierungsmaterial aufzuweisen habe. Jedenfalls müßte, so bemerkt die Klägerin, wenn über Wert und Beweiskraft dieser Bescheinigungen Zweifel beständen, versucht werden, diese durch Ermittlungen bei den Ausstellern zu beheben. Die Hohe Behörde, die diese Bescheinigungen seinerzeit und auch im Jahr 1962 nicht beanstandet habe, könne jetzt nicht von dem Unternehmen zusätzliche Beweise verlangen, die dieses nicht mehr beschaffen könne.

    In der Erwiderung ist in diesem Zusammenhang ein Schreiben vom 21. Dezember 1962 zitiert, worin die Hohe Behörde zwar anerkennt, daß die Erklärungen der Lieferanten geeignet seien, die streitige Menge „wahrscheinlich unter die Kategorie legierter Schrott fallen zu lassen“, sich jedoch weigert, dies zu berücksichtigen, und zwar aus den Gründen, die in der angefochtenen Entscheidung wieder aufgegriffen werden: fehlende Analyse des Erzeugnisses — Nichtangabe des Gehalts an Legierungsmaterial in den Rechnungen und Erklärungen — ein Preis, der sich nicht wesentlich von dem des gewöhnlichen Schrotts unterscheidet — keine Produktion von legierten Stählen durch das Unternehmen.

    Dieses Schreiben läßt deutlich das Problem erkennen, das zu entscheiden ist und dessen Lösung keineswegs auf der Hand liegt. Gegen den von der Hohen Behörde eingenommenen strengen Standpunkt ist jedoch folgendes einzuwenden: Wenn der Gehalt an Legierungsmaterial nicht angegeben ist, so besagen die Erklärungen doch zwangsläufig unausgesprochen, daß dieser Gehalt zumindest demjenigen entspricht, den der Freistellungsanspruch voraussetzt. Da die Beklagte die Angabe der Handelskammer, daß es in dem Gebiet für Schrott jeder Art nur einen Preis gegeben habe, nicht zu bestreiten scheint, sind nach meiner Auffassung das auf den Preis gestützte Argument und die aus dem Umstand, daß die Klägerin keine legierten Stähle erzeugt, gezogene Folgerung ohne Bedeutung: Im Ergebnis kommt also alles auf die Frage an, ob eine Analyse des Erzeugnisses verlangt werden konnte; denn die Angabe des Gehalts auf den Rechnungen, womit die Hohe Behörde sich zufrieden gibt, kann nicht maßgebend sein, wenn sie nicht auf einer Analyse beruht.

    Ich bin alles in allem der Auffassung, daß ein solches Verlangen übertrieben ist oder zumindest nicht allgemein gestellt werden kann. Wie es in der Entschließung Nr. 17 für die vor ihrem Inkrafttreten abgegebenen Meldungen heißt, ist die Lage „von Fall zu Fall“ zu prüfen. Wenn die Hohe Behörde im vorliegenden Fall die von der Klägerin beigebrachten Belege — Handelsbücher, Erklärungen der Lieferanten — für unzureichend hielt, konnte sie zusätzliche Aufklärung verlangen; dies mußte aber bei der ersten Kontrolle geschehen. Wenn sie bis zum Jahr 1962 oder 1963 wartete, um dann zu entscheiden, daß die Freistellung von der im Weg einer Analyse gewonnenen Angabe des genauen Gehalts an Legierungsmaterial abhänge, so verlangte sie damit einen Beweis, der nun nicht mehr erbracht werden konnte. Dies veranlaßt mich dazu, die Auffassung der Hohen Behörde zurückzuweisen und davon auszugehen, daß die Klägerin hinlänglich bewiesen hat, daß die von ihr als „legierter Schrott“ gemeldete Menge aus solchem Schrott bestand. Diese Lösung, ich wiederhole es noch einmal, liegt nicht auf der Hand, wenn jedoch ein Zweifel bleibt, so reicht er nicht aus, um dem Unternehmen die Beitragslast aufzubürden.

    Wenn auch dem Schadensersatzantrag nicht stattgegeben werden kann, ist die Klägerin mit ihrem Begehren doch im wesentlichen durchgedrungen; nach meiner Auffassung sind deshalb die Kosten der Hohen Behörde aufzuerlegen.

    Ich beantrage,

    die Entscheidung vom 19. Mai 1965 aufzuheben,

    den Schadensersatzantrag als unzulässig abzuweisen

    und die Kosten der Hohen Behörde aufzuerlegen.


    ( 1 ) Aus dem Franzosischen ubersetzt.

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