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Document 61958CC0024
Opinion of Mr Advocate General Roemer delivered on 1 April 1960. # Chambre syndicale de la sidérurgie de l'est de la France and others v High Authority of the European Coal and Steel Community. # Joined cases 24/58 and 34/58.
Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 1. April 1960.
Chambre syndicale de la sidérurgie de l'est de la France und andere gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
Verbundene Rechtssachen 24/58 und 34/58
Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 1. April 1960.
Chambre syndicale de la sidérurgie de l'est de la France und andere gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
Verbundene Rechtssachen 24/58 und 34/58
Englische Sonderausgabe 1960 00591
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1960:12
Schlußanträge des Generalanwalts,
HERRN KARL ROEMER
1. April 1960
GLIEDERUNG
A. Einleitung |
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B. Sind die Klagen zulässig? |
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I. Verfahren Nr. 24/58 |
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1) Tragweite des Klageantrags |
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2) Wird eine „Entscheidung“ der Hohen Behörde angegriffen? |
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3) Rechtliches Interesse der Kläger |
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4) Zulässigkeit einzelner Rügen |
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5) Ergebnis |
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II. Verfahren Nr. 34/5 |
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1) Vorverfahren und Klagefrist |
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2) Wird mit der Karenzklage ein anderes Klageziel verfolgt als mit der Anfechtungsklage? |
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a) Rechtswirkungen einer erfolgreichen Anfechtungsklage |
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b) Nichtberücksichtigung der nationalen Diskriminierung. - Tarifsituation der Bundesbahn nach Erlaß der Entscheidung der Hohen Behörde |
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c) Einführung eines Tarifs zugunsten der Kläger, der den deutschen Ausnahmetarifen entspricht |
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d) Einführung eines allgemeinen Tarifs für geschlossene Züge |
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C. Sind die Klagen begründet? |
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I. Anfechtungsklage |
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1) Untersuchung der einzelnen Tarife |
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a) Allgemeine Bemerkungen zum Begriff „Wettbewerbstarife“ |
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b) Die einzelnen Wettbewerbstarife |
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i) Der Tarif 6 B 30 II |
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ii) Der Tarif 6 B 33 |
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iii) Zusammenfassende Bemerkungen zu den Tarifen 6 B 30 II und 6 B 33 |
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iv) Der Tarif 6 B 32 |
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c) Der Tarif 6 B 31 |
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2) Enthält das Gesamtsystem der in der Entscheidung behandelten Tarife eine nationale Diskriminierung? |
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II. Karenzklage |
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1) Einführung eines Tarifs zugunsten der Kläger, der den deutschen Ausnahmetarifen entspricht |
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2) Einführung eines allgemeinen Tarifs für geschlossene Züge |
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III. Untersuchung der zur Abänderung beanstandeter Tarife bewilligten Fristen |
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D. Gesamtergebnis |
A. EINLEITUNG
Der Gerichtshof hatte im Dezember des vergangenen Jahres in einer mündlichen Verhandlung, die sich über mehrere Tage erstreckt hat, die Ausführungen einer Reihe von deutschen Klägern und Intervenienten zu der Frage gehört, ob die Entscheidungen der Hohen Behörde zur Abschaffung oder Abänderung einiger Ausnahmetarife der Deutschen Bundesbahn rechtens sind. Eine der damals angegriffenen Entscheidungen betrifft die Ausnahmetarife für die Beförderung von mineralischen Brennstoffen für die Eisen- und Stahlindustrie. Dieselbe Entscheidung ist — unter anderem — Gegenstand des Verfahrens, in dem ich heute meine Schlußanträge zu stellen habe. Während es aber den deutschen Unternehmen und Intervenienten darum geht, die Entscheidung der Hohen Behörde insoweit zu Fall zu bringen, als darin die Aufhebung der Ausnahmetarife angeordnet wird, zielen die Kläger des jetzigen Verfahrens — französische Unternehmen und Unternehmensverbände — auf eine Annullierung der Entscheidung mit der Begründung, die Hohe Behörde gehe in der Beanstandung der Ausnahmetarife nicht weit genug. Nichts, so glaube ich, vermag deutlicher zu demonstrieren, wie schwierig die Aufgaben der Hohen Behörde auf dem Gebiete des Transportwesens sind und wie schwierig auch die Aufgabe des Gerichtshofes sein wird, in diesem Streit über die richtige Vertragsauslegung und -anwendung den rechten Weg zu finden.
Die Aufhebung der genannten Entscheidung ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht das einzige Ziel der Kläger. Sie haben daneben noch ein Karenzverfahren eingeleitet, in dem sie, unterstützt von der französischen Regierung, erreichen wollen, daß die Hohe Behörde der Bundesregierung die Einführung eines allgemeinen Tarifs verbindlich empfiehlt, der bei der Beförderung von mineralischen Brennstoffen für die Eisen- und Stahlindustrie Anwendung finden soll.
B. SIND DIE KLAGEN ZULÄSSIG?
Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Klagen und einzelner Bestandteile der Klageanträge erheben sich einige Fragen, die zunächst betrachtet werden sollen.
I. Verfahren Nr. 24/58
Im Verfahren Nr. 24/58 beantragen die Kläger, wie eingangs schon angedeutet, die Aufhebung der Entscheidung der Hohen Behörde vom 12. Februar 1958
1) |
insofern, als die Anwendung der Tarife 6 B 30 II und 6 B 33 aus Gründen der Konkurrenz vollständig oder teilweise für gerechtfertigt erklärt wird; |
2) |
insofern, als gewisse Elemente des deutschen Tarifsystems aufrechterhalten werden, obwohl die Gesamtheit dieses Systems eine nationale Diskriminierung enthalte; |
3) |
insofern, als für die Beseitigung der beanstandeten Tarife 6 B 30 I, 6 B 31 und 6 B 33 Fristen gewährt werden, die über die Übergangsperiode hinausreichen. |
1. TRAGWEITE DES KLAGEANTRAGS
Die Tragweite dieses Antrags ist klar, was die Punkte 1) und 3) angeht. Punkt 2) dagegen gibt Anlaß zu Fragen. In der angegriffenen Entscheidung werden außer den Tarifen 6 B 30 II und 6 B 33, zu denen die Kläger besondere Angriffsmittel vorbringen, die Ausnahmetarife 6 B 32 und teilweise auch 6 B 31 von der Hohen Behörde nicht beanstandet. (Es handelt sich um die Tarife für Kohle- und Kokssendungen nach Lübeck - Dänischburg — 6 B 32 — sowie um die Ausnahmetarife zugunsten der ostbayrischen Werke Luitpoldhütte und Maximilianshütte.) Zu den letztgenannten Tarifen enthält die Klageschrift keine eigenen Angriffsmittel. Teilweise werden besondere Argumente zum Tarif 6 B 31 in späteren Schriftsätzen vorgebracht (über deren Zulässigkeit wird an anderer Stelle etwas zu sagen sein. — Es kann aber nach dem Grundtenor der Klage davon ausgegangen werden, daß auch die beiden nicht ausdrücklich angegriffenen Tarife Gegenstand der klägerischen Rüge sind, insoweit als sie einen Bestandteil des nach der Ansicht der Kläger bestehenden diskriminierenden Tarifsystems der Bundesbahn zugunsten der deutschen Eisen- und Stahlindustrie bilden.
2. WIRD EINE „ENTSCHEIDUNG“ DER HOHEN BEHÖRDE ANGEGRIFFEN?
Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung könnte man sich fragen, ob diejenigen Bestandteile der angegriffenen Entscheidung, in denen die Hohe Behörde erklärt, daß sie gegen die Ausnahmetarife 6 B 30 II und 6 B 32 keine Beanstandungen erhebt, überhaupt Entscheidungscharakter besitzen. Es sei daran erinnert, daß § 10 Absatz 7 des Übergangsabkommens, auf den sich die Hohe Behörde stützt, für bestehende Tarife, die den Prinzipien des Vertrages entsprechen, eine Genehmigung der Hohen Behörde nicht vorsieht. Kommt die Hohe Behörde bei der Prüfung von Ausnahmetarifen zu dem Ergebnis, daß die Vertragsprinzipien nicht verletzt werden, dann bleiben diese Tarife unangetastet, ohne daß es eines besonderen Aktes der Hohen Behörde, einer Zustimmung etwa — ähnlich wie für die bestehenden Subventionen — oder einer verbindlichen Feststellung bedarf. Das Prüfungsresultat, das sich in einer einfachen Enthaltung der Hohen Behörde manifestiert, könnte von interessierten Unternehmen also nur in einem Karenzverfahren angegriffen werden. Im vorliegenden Fall hat sich die Hohe Behörde aber nicht darauf beschränkt, die ihrer Ansicht nach einwandfreien Tarife unangetastet zu lassen, sondern sie hat im Rahmen einer Entscheidung ausdrücklich die Feststellung getroffen, daß Beanstandungen nicht am Platze sind. Ich bin der Meinung, daß diese formelle Äußerung in einer Entscheidung über Tarife den Charakter einer rechtsverbindlichen Feststellung hat, die die Hohe Behörde selbst nicht ohne weiteres ändern könnte, und daß sie darum auch eine angreifbare Entscheidung im Sinne von Artikel 33 ist.
3. RECHTLICHES INTERESSE DER KLÄGER
Daß die angegriffene Entscheidung eine solche individuellen Charakters darstellt, wird von allen Beteiligten zutreffenderweise angenommen. Hierzu sind weitere Bemerkungen nicht am Platze. Es ist aber zu fragen, ob die Kläger ein rechtliches Interesse an der Anfechtung einer Entscheidung haben, die an eine andere Stelle gerichtet ist und Tarife zum Gegenstand hat, die für andere Unternehmen bestimmt sind. Mit dieser Frage ist nicht zu verwechseln der Einwand der Hohen Behörde, der die Zulässigkeit einzelner klägerischer Rügen betrifft. Hierzu wird ebenfalls ein Wort zu sagen sein.
Der Vertrag verlangt zur Rechtfertigung einer Anfechtungsklage, daß die angegriffene Entscheidung den Kläger individuell betrifft. Es ist also zu prüfen, welchen Einfluß auf die rechtliche Lage der Kläger die angegriffene Entscheidung hat und welche Folgen ihre Aufhebung für die Kläger nach sich zieht. Die Entscheidung belastet die Kläger nicht etwa in der Weise, daß ihnen eine Pflicht auferlegt wird, sondern sie läßt zugunsten anderer Unternehmen Vorteile bestehen, die den Klägern nicht zugute kommen. — Wenn die Entscheidung aufgehoben wird, ist die Hohe Behörde verpflichtet, die bisher unbeanstandeten Tarife für vertragswidrig zu erklären und ihre Aufhebung zu verlangen. Es wird dann den Unternehmen, die in den Genuß der Ausnahmetarife kamen, dieser Vorteil entzogen, nicht dagegen ist die Hohe Behörde verpflichtet, den Klägern einen gleichwertigen Vorteil einzuräumen.
Diese Erkenntnis schließt ein Anfechtungsrecht für die Kläger freilich nicht aus, wenn feststeht, daß der Vorteil der begünstigten Werke einem Nachteil der klagenden Unternehmen entspricht. Das ist der Fall, wenn die Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen und die Wettbewerbslage durch einseitige Tarifmaßnahmen beeinflußt wird. — Ich habe diese Frage in tatsächlicher Hinsicht nicht im einzelnen nachgeprüft, obwohl denkbar ist, daß nicht jedes der klagenden Unternehmen wirklicher oder potentieller Konkurrent der durch die verschiedenen Ausnahmetarife begünstigten deutschen Unternehmen ist. Fehlt es an dieser tatsächlichen Voraussetzung, dann wird die Rechtslage der klagenden Unternehmen durch die angegriffene Entscheidung nicht berührt. Es entfällt dann das Klagerecht, da Unternehmen ohne eine besondere Beziehung zu dem in der Entscheidung geordneten Sachverhalt nicht berufen und berechtigt sind, die objektive Einhaltung der Vertragsregeln zu verlangen. — Ich werde für die weiteren Untersuchungen hier aber unterstellen, daß eine das Anfechtungsrecht gewährende Interessenlage gegeben ist.
Man kann darüber hinaus auch annehmen, daß die französischen Unternehmen, die eine Klage eingereicht haben, in besonderer Weise, und zwar in stärkerem Maße als andere Stahlunternehmen der Gemeinschaft, an der Aufhebung der Entscheidung interessiert sind, da sie mit den begünstigten deutschen Unternehmen nicht nur im Absatz ihrer Erzeugnisse konkurrieren — wie hier unterstellt werden soll —, sondern auch ihre Brennstoffe aus der gleichen Quelle und über etwa gleich große Entfernungen, aber auf Grund anderer Transporttarife beziehen.
4. ZULÄSSIGKEIT EINZELNER RÜGEN
Die Hohe Behörde hat in ihrer Klagebeantwortung den Klägern ein Anfechtungsrecht bestritten, soweit sie es auf die Rüge stützen, die Ausnahmetarife 6 B 30 und 6 B 33 seien zu Unrecht als Wettbewerbstarife anerkannt und für die Beseitigung der beanstandeten Tarife seien zu lange Fristen eingeräumt worden, während sie die Rüge für zulässig hält, die Gesamtheit der deutschen Ausnahmetarife enthalte eine nationale Diskriminierung. Diese Unterscheidung macht die Hohe Behörde mit der Begründung, die Kläger hätten kein besonderes Interesse an der Aufhebung der deutschen Ausnahmetarife, das sich unterscheide von dem Interesse aller Unternehmen der Gemeinschaft, während durch die nationale Diskriminierung ein engerer Kreis von Unternehmen, nämlich die luxemburgischen, belgischen und französischen, betroffen sei.
Dieser Einwand, der die Zulässigkeit einzelner Rügen betrifft, kann meines Erachtens nicht durchgreifen: Der Vertrag macht für die Erhebung der Anfechtungsklage zur Voraussetzung, daß die Entscheidung den Kläger individuell betrifft. Wird diese Frage, die anhand der Rechtswirkungen der Entscheidung zu beurteilen ist, bejaht, dann stehen dem Kläger alle in Artikel 33 aufgezählten Klagegründe zur Verfügung. Er kann insbesondere die Rechtswidrigkeit der Entscheidung in jeder Hinsicht geltend machen, ohne daß eine besondere Rechtfertigung des einzelnen Klagevorbringens unter dem Gesichtspunkt eines besonderen rechtlichen Interesses notwendig wäre.
Das rechtliche Interesse, das für die Anfechtung der Entscheidung in ihrer Gesamtheit anzunehmen ist, kann also nicht für einen bestimmten Teil der Entscheidung in Abrede gestellt werden, weil dieser besondere Teil außer mit den allgemeinen Argumenten (nationale Diskriminierung) mit besonderen Rügen (unzulässige Annahme von Wettbewerbstarifen) angegriffen wird. Die Kläger haben daher das Recht, eine Vertragsverletzung nicht nur im Hinblick auf Artikel 70 Absatz 2, sondern auch im Hinblick auf die übrigen Vorschriften des Artikels 70 (Wettbewerbstarife) zu rügen.
5. ERGEBNIS
Was die Klage Nr. 24/58 angeht, so habe ich keine Bedenken, ein rechtliches Interesse der Kläger an der Anfechtung der Entscheidung anzuerkennen. Da auch die Klagefrist gewahrt ist, wie ein Blick auf die maßgebenden Daten zeigt (Veröffentlichung der Entscheidung im Amtsblatt vom 3. März 1958, Klageeingang 1. April 1958), sind weitere Erörterungen zu diesem Verfahrensteil unter dem Gesichtspunkt der Klagezulässigkeit nicht notwendig.
II. Verfahren Nr. 34/58
Besondere Probleme ergeben sich im Bereich der Zulässigkeit aber noch für die Klage Nr. 34/58.
Die Kläger — dieselben Unternehmen und Unternehmensverbände wie im Verfahren Nr. 24/58 — beantragen mit Unterstützung der französischen Regierung die Aufhebung einer Entscheidung der Hohen Behörde vom 7. Juni 1958. Trotz der Fassung des Klageantrags handelt es sich hier um ein Karenzverfahren, das eingeleitet wurde durch einen Brief vom 26. März 1958, den die Hohe Behörde mit dem angegriffenen Schreiben vom 7. Juni 1958 beantwortet hat.
Den Antragstellern ging es in ihrem Brief vom 26. März 1958 darum, die Hohe Behörde zu einer Empfehlung an die deutsche Bundesregierung zu bewegen, derzufolge für die nichtdeutschen Unternehmen ein Tarifsystem eingeführt werden soll, das dem für die deutschen Unternehmen geltenden gleichwertig ist.
Die Hohe Behörde antwortete auf dieses Gesuch, in dem die Antragsteller ausdrücklich auf Artikel 35 des Vertrages Bezug genommen haben, daß seit der Entscheidung der Hohen Behörde vom 12. Februar 1958 die von den Klägern gerügte Gesamtsituation des deutschen Tarifsystems nicht mehr gültig sei, weil die Hohe Behörde die Aufhebung einiger Tarife angeordnet habe. Der Antrag sei daher ohne Gegenstand und eine ausdrückliche Empfehlung an die Bundesregierung nicht notwendig.
1. VORVERFAHREN UND KLAGEFRIST
Für die Zulässigkeit einer Karenzklage gemäß Artikel 35 ist zunächst von Bedeutung, ob alle Kläger an dem verwaltungsrechtlichen Vorverfahren, an der „Befassung“ der Hohen Behörde, beteiligt waren. Das ist, wie sich aus den Anlagen zur Klagebeantwortung der Hohen Behörde ergibt, offensichtlich der Fall.
Für die Karenzklage gelten außerdem bestimmte Verfahrensfristen: Hat die Hohe Behörde innerhalb von zwei Monaten einen Antrag nicht beschieden, so muß innerhalb eines weiteren Monats Klage beim Gerichtshof erhoben werden. Im vorliegenden Fall darf für diese Frage nicht nur betrachtet werden die Frist, die verstrichen ist zwischen der Zustellung der Antwort der Hohen Behörde und der Klageerhebung, da die Antwort der Hohen Behörde den Klägern offensichtlich erst nach Ablauf der erwähnten Zweimonatsfrist zugegangen ist. — Die notwendigen Fristen scheinen aber gewahrt zu sein, auch wenn man von der ausdrücklichen Antwort der Hohen Behörde absieht. Rechnet man vom Eingang der Klage unter Berücksichtigung der dreitägigen Distanzfrist für Frankreich, die auch ohne ausdrückliche Erwähnung in Artikel 85 § 2 der alten Verfahrensordnung für Karenzklagen gelten muß, zurück, so zeigt sich, daß der Beginn der Zweimonatsfrist nicht vor dem 1. April 1958 liegen darf. Da das Schreiben der Kläger vom 26. März stammt, kann angenommen werden, daß es der Hohen Behörde nicht vor dem 31. März zugegangen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Klagefristen scheinen daher Rügen nicht am Platze zu sein.
2. WIRD MIT DER KARENZKLAGE EIN ANDERES KLAGEZIEL VERFOLGT ALS MIT DER ANFECHTUNGSKLAGE?
Die Zulässigkeit der Karenzklage kann aber aus einem anderen Grunde in Frage gestellt sein. Die Parteien streiten darüber, ob mit der Karenzklage ein gegenüber der Anfechtungsklage Nr. 24/58 selbständiges Klageziel verfolgt wird, was allein ihre Zulässigkeit neben der Anfechtungsklage rechtfertigen kann. Es ist also zu fragen, ob die Karenzklage nicht auf eine Handlung der Hohen Behörde gerichtet ist, zu deren Vornahme die Hohe Behörde auch nach Aufhebung der angegriffenen Entscheidung in der Rechtssache Nr. 24/58 verpflichtet ist. Die Konsequenz einer erfolgreichen Anfechtungsklage besteht ja nicht allein darin, daß die angegriffene Entscheidung annulliert wird. Die Hohe Behörde ist gemäß Artikel 34 des Vertrages auch verpflichtet, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergeben.
a) Rechtswirkungen einer erfolgreichen Anfechtungsklage
Wenn die Kläger mit ihrer Anfechtungsklage Erfolg haben, ist die Hohe Behörde gehalten, von der Bundesregierung die Abschaffung aller Ausnahmetarife zu verlangen, die in der Entscheidung nicht beanstandet wurden, was zur Folge hat, daß anstelle dieser Tarife der von der Hohen Behörde als allgemeiner Tarif anerkannte 6 B 1 angewandt oder daß ein anderer allgemeiner Tarif eingeführt wird, der dann für alle deutschen Unternehmen gilt und auch als Grundlage für den direkten internationalen Tarif zu dienen hat. Die deutschen Unternehmen müßten also nach erfolgreicher Anfechtungsklage nach derselben Tarifregelung behandelt werden wie die französischen Kläger. Dasselbe begehren die Kläger aber mit ihrem Gesuch an die Hohe Behörde vom 26. März, wenn der Antrag, „für die nichtdeutschen Unternehmen ein gleichwertiges Tarifsystem einzuführen“, in dem geschilderten Sinne verstanden wird. Es fehlt bei dieser Deutung der Klageanträge für die zweite Klage an einem eigenen Rechtsschutzinteresse. Darauf allein kommt es für die Karenzklage an, nicht dagegen auf die von den Klägern angeführten äußeren Umstände (Verschiedenheit der Adressaten der angegriffenen Entscheidung).
b) Nichtberücksichtigung der nationalen Diskriminierung. — Tarifsituation der Bundesbahn nach Erlaß der Entscheidung der Hohen Behörde
Die Kläger machen demgegenüber geltend, ein Interesse an dem zweiten Verfahren sei dadurch gerechtfertigt, daß sich auch nach Erlaß der angegriffenen Entscheidung die deutsche Tarifsituation nicht geändert habe, einmal, weil für die Aufhebung der Tarife lange Fristen bewilligt worden sind, und zum anderen, weil die Bundesregierung die Entscheidung der Hohen Behörde nicht ausgeführt habe. Außerdem habe es die Hohe Behörde bei der Prüfung der Ausnahmetarife unterlassen, den Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung zu berücksichtigen. — Hierzu ist zu sagen, daß die Rüge der Fristen für die Abschaffung der Tarife und auch der Vorwurf der nationalen Diskriminierung nach dem Antrag der Kläger im Anfechtungsverfahren zu würdigen sind. — Was die Nichtbeachtung der Entscheidung der Hohen Behörde durch die deutsche Regierung angeht, so übersehen die Kläger, daß sie mit der Karenzklage der Hohen Behörde den Vorwurf machen, nicht gehandelt zu haben, nicht dagegen der deutschen Regierung. Der Hohen Behörde konnte nach Erlaß ihrer Entscheidung vorgehalten werden, daß sie in ihren Beanstandungen nicht weit genug ging, was mit der Anfechtungsklage geschehen ist. Die Hohe Behörde konnte auch dazu veranlaßt werden, die tatsächliche Nichtbeachtung ihrer Entscheidung in einem Verfahren gemäß Artikel 83 festzustellen (was die Kläger indes nicht beabsichtigen). Zu einem Karenzverfahren mit der hier erwähnten Zielrichtung ist aber neben der Anfechtungsklage kein Raum.
c) Einführung eines Tarifs zugunsten der Kläger, der den deutschen Ausnahmetarifen entspricht
Das Gesuch der Kläger vom 26. März 1958 und ihr Klageantrag im Verfahren Nr. 34/58 erlauben auch eine andere Deutung. Das Anliegen der Kläger kann so verstanden werden, daß sie für sich selbst die Einführung eines Tarifs verlangen, der den beanstandeten Ausnahmetarifen entspricht.
In diesem Falle bestünde ein Widerspruch zwischen dem Klageantrag Nr. 24/58 und dem Klageantrag Nr. 34/58. Mit der Anfechtungsklage verfolgen die Kläger das Ziel, die Abschaffung aller deutschen Ausnahmetarife und damit — eine andere Möglichkeit besteht in diesem Verfahren vom Standpunkt der Hohen Behörde aus nicht — die Anwendung des Tarifs 6 B 1 als allgemeinen Tarif zu erreichen, während sie im Verfahren Nr. 34/58 das Ziel verfolgen würden, für die französischen Unternehmen einen Tarif einzuführen, der dem System der — nach Nr. 24/58 — abzuschaffenden Ausnahmetarife entspricht, also Diskriminierungen zugunsten der französischen Werke zu schaffen.
d) Einführung eines allgemeinen Tarifs für geschlossene Züge
Führt demnach auch diese Interpretation des Klagebegehrens zur Verneinung der Zulässigkeit, so bleibt schließlich eine letzte Möglichkeit, auf die die Kläger im mündlichen Verfahren den Akzent legten. Unabhängig davon, ob die mit der Klage Nr. 24/58 angegriffenen Ausnahmetarife aufgehoben werden oder Bestand haben, soll der Bundesregierung die Einführung eines allgemeinen Tarifs für Kohletransporte in geschlossenen Zügen zu Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie empfohlen werden. Die generelle Umwandlung des deutschen Tarifsystems unter Einschluß der Ausnahmetarife und des 6 B 1 ist ein Klageziel, das mit der Anfechtungsklage allein nicht erreicht werden kann, weil auch nach erfolgreicher Anfechtung kein allgemeiner Tarif für geschlossene Züge angewandt werden muß. So gesehen hat die Klage Nr. 34/58 ein eigenständiges Klageziel, das ihre Zulässigkeit rechtfertigt.
Es könnte allenfalls die Frage aufgeworfen werden, ob eine solche Karenzklage nicht früher schon hätte erhoben werden können und müssen. Die Klage hat ja von der Interessenlage der Kläger aus gesehen nichts anderes zum Ziel, als die Anwendung des Tarifs 6 B 1 im direkten internationalen Verkehr, wo er als Grundlage für den EGKS-Tarif Nr. 102 dient, zu rügen und diesen Tarif durch einen anderen ersetzen zu lassen. Es ist bekannt, daß die Regierungen schon im Jahre 1955 ein Abkommen über die Einführung direkter internationaler Tarife geschlossen haben (vgl. Amtsblatt 1955, S. 701), das am 1. Mai 1955 in Kraft getreten ist. Damals wurde anerkannt, daß der Tarif 6 B 1 als Binnentarif mit allgemeinem Anwendungsbereich dem direkten internationalen Tarif zugrunde gelegt wird (vgl. die Tabellen über die Degressivitätsgrenzen im Anhang des Abkommens). Das Abkommen enthält in Artikel 16 eine Schiedsklausel, die lautet:
„Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist gemäß den in Artikel 89 des Vertrages vorgesehenen Bestimmungen zur Entscheidung von Streitfällen unter Mitgliedstaaten über die Auslegung oder Anwendung des vorliegenden Abkommens zuständig.“
Auf Grund dieser Schiedsklausel hätte die französische Regierung — Intervenient im vorliegenden Verfahren — eine ihrer Ansicht nach unkorrekte Anwendung des Abkommens durch die deutsche Regierung rügen können.
Es stand damals auch schon fest — die Kläger haben es im Verfahren verschiedene Male erwähnt —, daß die Hohe Behörde den 6 B 1 als allgemeinen deutschen Tarif für Kohletransporte anerkannte, während die Tarife 6 B 30 — 33 als Ausnahmetarife klassifiziert wurden, die unter dem Gesichtspunkt des Artikels 70 Absatz 4 untersucht werden sollten. Es war also erkennbar, daß die Unvereinbarkeit dieser Tarife mit Artikel 70 Absatz 4 nicht zur Einführung eines anderen allgemeinen Tarifs (auch für den internationalen Verkehr) führen würde.
Im Anschluß an diese Regelung hätten die französischen Unternehmen, die sich, wie aus den Anlagen zur Klagebeantwortung hervorgeht, schon 1956 in mehreren Schreiben über die nationale Diskriminierung beklagt hatten, die Hohe Behörde gemäß Artikel 35 befassen können.
Nun besteht zwar keine Verfahrensfrist für die Befassung der Hohen Behörde mit einem bestimmten Problem. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht verlangt werden muß, daß die Befassung der Hohen Behörde, wenn sie im Zusammenhang steht mit einer bestimmten Maßnahme, deren Abänderung gewünscht wird, in angemessener Zeit nach dem Ereignis, das zu Kritik Anlaß zu geben scheint, erfolgt. Eine Klage im Jahre 1958, deren Gegenstand in Wirklichkeit Vorgänge aus dem Jahre 1954 oder 1955 betrifft, könnte unter diesem Gesichtspunkt auch bei Anlegung großzügiger Maßstäbe als unzulässig abgewiesen werden.
Ich gehe indes nicht so weit, dem Gerichtshof diese Lösung vorzuschlagen. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf dieses Problem und werde auch die Vornahmeklage auf ihre Begründetheit überprüfen.
C. SIND DIE KLAGEN BEGRÜNDET?
I. — Anfechtungsklage
Zunächst soll untersucht werden, ob die Anfechtungsklage gegen die Entscheidung der Hohen Behörde vom 12. Februar 1958 materiell begründet ist.
Die Kläger greifen diese Entscheidung an, soweit sie Ausnahmetarife der Bundesbahn völlig oder teilweise unbeanstandet läßt und soweit sie für die Aufhebung der gerügten Tarife Fristen einräumt.
1. UNTERSUCHUNG DER EINZELNEN TARIFE
Ebenso wie die Kläger zunächst einzelne bestimmte in der Entscheidung behandelte Tarife kritisieren, werde ich bei meiner Untersuchung zuerst die einzelnen Tarife betrachten und erst danach prüfen, ob die Gesamtheit aller Tarife unter dem Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung zu beanstanden ist. Wenn sich nämlich ergibt, daß die Hohe Behörde zu Unrecht einen Tarif als Wettbewerbstarif anerkannt hat, erübrigt sich insoweit die Prüfung, ob eine nationale Diskriminierung vorliegt.
Von den in der Entscheidung behandelten Tarifen, die nach der Ansicht der Hohen Behörde Wettbewerbstarife darstellen, rügen die Kläger im besonderen die Ausnahmetarife 6 B 30 II und 6 B 33, während sie den Ausnahmetarif 6 B 32 nur generell und zusammen mit allen anderen Ausnahmetarifen unter dem Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung angreifen.
a) Allgemeine Bemerkungen zum Begriff „Wettbewerbstarife“
Ausgangspunkt der Untersuchung ist Artikel 70 des Vertrages, der die Kompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Transportwesens regelt. Artikel 70 erwähnt in Absatz 5 die Wettbewerbstarife, indem er bestimmt, daß Maßnahmen des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Transportarten den gesetzlichen Vorschriften eines jeden Mitgliedstaates unterworfen bleiben. Derartige „Maßnahmen des Wettbewerbs“ sind Wettbewerbstarife. Es läßt sich freilich — ausgehend vom Wortlaut — fragen, welchen Sinn diese Bestimmung hat, da unzweifelhaft in Ermangelung einer direkten Kompetenz der Gemeinschaft zur Festsetzung von Tarifen auch andere Tarife (etwa Ausnahmetarife im Sinne von Absatz 4) den gesetzlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten unterworfen sind. Es erscheint sinnvoll, anzunehmen, daß die Bedeutung des Absatzes 5 von Artikel 70 — soweit von Wettbewerbstarifen die Rede ist — darin liegt, auf die Besonderheiten solcher Tarife hinzuweisen und zu unterstreichen, daß sie nach eigenen Regeln zu behandeln sind. Worin liegt die Besonderheit der Wettbewerbstarife? Diese Frage wurde im Verfahren häufig angeschnitten und — wenn ich recht sehe — von beiden Parteien grundsätzlich übereinstimmend beantwortet. Sie ist zu verstehen ohne tiefgreifende wirtschaftswissenschaftliche oder transportwissenschaftliche Erörterungen.
Wettbewerbstarife sind besondere Tarife, also Ausnahmetarife, die ein Verkehrsträger auf einer bestimmten Strecke anwendet, um einem anderen Verkehrsträger Transporte zu entziehen oder eigene Transporte gegen die Konkurrenz eines anderen Verkehrsträgers zu schützen (Verkehrserhaltungstarife). Die besonderen Umstände ihrer Anwendung gestatten es nicht, sie mit anderen Tarifen zu vergleichen. Insofern fallen sie also nicht unter das Diskriminierungsverbot. Überflüssig zu sagen, daß sie vom Diskriminierungsverbot erfaßt werden, wenn sie selbst nicht in gleicher Weise auf vergleichbare Verbraucher angewandt werden.
Ihre Sonderbehandlung rechtfertigt sich nach den Grundsätzen des Vertrages, weil Unternehmen, die in den Genuß solcher Tarife kommen, keinen künstlichen, sondern einen natürlichen, standortbedingten Vorteil haben. Sie können wählen zwischen mehreren Verkehrsträgern, von denen einer so rationell arbeitet, daß er, ohne auf Gewinn verzichten zu müssen, niedrige Tarife anbieten kann. Wenn ein anderer Verkehrsträger, der über die gleichen günstigen Bedingungen nicht verfügt, mit diesen Tarifen in Wettbewerb tritt, um sich selbst ein bestimmtes Verkehrsvolumen zu erhalten, kann gegen eine solche Tarifgestaltung im eigenen wirtschaftlichen Interesse des Transporteurs nichts eingewendet werden, weil sie den begünstigten Unternehmen nichts gewährt, was diese ohne die Konkurrenzmaßnahme nicht hätten. Die Parteien scheinen sich nicht nur in dieser elementaren Beurteilung der Konkurrenztarife einig zu sein; sie stimmen offenbar auch überein im Hinblick auf die Voraussetzungen, die an einen Tarif gestellt werden müssen, damit er als Wettbewerbstarif anerkannt werden kann:
— |
Es muß feststehen, daß der Verkehrsträger, dessen Tarifen sich ein Konkurrent anpaßt, nicht selbst unzulässige Ausnahmetarife anwendet. |
— |
Es muß tatsächlich ein Wettbewerb stattfinden, in der Weise, daß ein Verkehrsträger sich darum bemüht, Kunden eines anderen Verkehrsträgers zu gewinnen oder sich selbst Kunden gegen die Konkurrenz eines anderen Transporteurs zu erhalten. Wenn kein tatsächlicher Wettbewerb dieser Art gegenwärtig vorhanden ist, genügt die ernste Gefahr, daß eine konkurrierende Transportmöglichkeit geschaffen wird, falls die Tarife des vorhandenen Transportweges über ein bestimmtes Niveau erhöht werden, wobei die sichere Feststellung eines solchen „potentiellen Wettbewerbs“ große Schwierigkeiten macht, da hier subjektive Elemente im Spiel sind (Pläne und Absichten von Unternehmen), die von zahlreichen, nicht immer wägbaren Elementen abhängig sind. |
— |
Schließlich muß die Parität zwischen den Konkurrenztarifen gewahrt sein. |
b) Die einzelnen Wettbewerbstarife
Streitig ist im vorliegenden Verfahren unter den Parteien, ob die Tarife, die die Hohe Behörde als Wettbewerbstarife angesehen hat, den erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Erfordernissen genügen. Auch 1953 konnten sich diese Experten im Sachverständigenausschuß hierüber nicht einig werden. Der Untersuchung dieser Streitpunkte will ich mich zunächst widmen.
Die Parteien haben zu den Tarifen — 6 B 30 II und 6 B 33 — eine Fülle von Tatsachen vorgetragen, die in zahlreichen erheblichen Punkten voneinander abweichen, was den Gerichtshof dazu veranlaßt hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, den Inhalt dieses Gutachtens vollständig darzustellen und eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen seinen Einzelfragen zu versuchen. Ich werde mich darauf beschränken, die besonders wichtigen Punkte herauszugreifen und eine kritische Wertung des Gutachtens anhand der Parteibemerkungen sowie der zusätzlichen Bemerkungen des Gutachters vorzunehmen, um dem Gerichtshof im Anschluß daran vorzuschlagen, welche Resultate des Gutachtens er sich für seinen Urteilsspruch zu eigen machen sollte. Diese Beurteilung verlangt, daß ich die einzelnen Tarife in ihren verschiedenen Anwendungsbereichen gesondert darstelle.
i) Der Tarif 6 B 30 II
Der Tarif 6 B 30 II findet Anwendung auf Transporte fester Brennstoffe von der Ruhr nach Osnabrück und nach Georgsmarienhütte.
Betrachten wir zunächst den Fall Osnabrück:
Vorweg ist zu bemerken, daß die Kohlelieferungen an das Werk Osnabrück einen überaus bescheidenen Umfang haben (1957: 8300 t; 1958: 5700 t), daß sie weiterhin rückläufig sind und in Zukunft völlig eingestellt werden. Die Kläger haben diese Tatsache nicht bestritten und anerkannt, daß der Fall Osnabrück im vorliegenden Verfahren nur von geringer Bedeutung sei. Es ist daher die Frage zu stellen, ob ein Interesse der Kläger an der Aufhebung des Ausnahmetarifs 6 B 30 II, soweit Lieferungen nach Osnabrück in Frage kommen, überhaupt angenommen werden kann. Durch den geringen Vorteil, der dem Werk in Osnabrück auf diese Weise zugute kommt, können die Kläger kaum ernsthaft benachteiligt sein. Man könnte also erwägen, die Klage in diesem Teil mangels Rechtsschutzinteresses für unzulässig zu erklären.
Sieht man von diesem Umstand ab, so bleiben die folgenden Bemerkungen: Für das Werk Osnabrück ist ein Transport auf dem Wasserweg durchführbar, da Osnabrück über einen städtischen Hafen verfügt. Besondere technische Vorkehrungen für die Benutzung dieses Transportweges sind nicht notwendig. Bisher hat ein Transport auf dem Wasserweg allerdings nicht stattgefunden. — Für Osnabrück kommen außerdem Kokslieferungen nicht in Frage, so daß sich Bemerkungen zu deren Besonderheiten erübrigen.
Bei der Nachprüfung der Frachten gelangt der Experte zu dem Ergebnis, daß der Transport von Kohle auf dem Bahnweg DM 11,01/t kostet, während er auf dem Wasserweg DM 11,39/t kosten würde. Er schließt daraus, daß der Eisenbahntarif nicht korrekt an den Tarif des konkurrierenden Verkehrsträgers angeglichen ist, daß er vielmehr um etwa DM 1,-erhöht werden könnte, ohne daß eine Abwanderung auf den Wasserweg zu befürchten wäre.
Trotz der geringen Bedeutung dieses Einzelfalles muß ich zu den Berechnungen des Sachverständigen einiges bemerken. Der Experte hat seinen Berechnungen die am 1. August 1959 geltenden Bahntarife zugrunde gelegt. Für den Gerichtshof ist aber maßgeblich die Lage im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Hohen Behörde, da nachgeprüft werden soll, ob die Entscheidung bei ihrem Erlaß fehlerhaft war. Anstelle von DM 10,10/t ist bei der Bahnfracht ab Unna-Königsborn daher DM 8,80/t und ab Viktor-Ickern DM 9,50/t einzusetzen. — Außerdem hat der Experte für den Eisenbahntransport dieselben Entladekosten eingesetzt wie für den Transport auf dem kombinierten Wasser-Bahn-Weg (nämlich DM 0,30/t). Er geht davon aus, daß auf längere Sicht nicht nur beim Transport vom Hafen zum Werk, sondern auch beim direkten Eisenbahntransport von der Grube zum Werk Spezialwagen eingesetzt würden, die eine rationellere Entladung ermöglichen. Diese Annahme erscheint nicht gerechtfertigt, da das Werk für den Transport vom Hafen zum Werk eigene Spezialwagen einzusetzen gedenkt, während die Bahn auf absehbare Zeit aus Rentabilitätsgründen (mangelnde Rückfracht) Spezialwagen im Verkehr nach Osnabrück nicht verwenden wird. — Bei der Berechnung der Transportkosten des Wasserweges ist für den Transport durch die Hafeneisenbahn nicht DM 0,48/t (Tarif für das Jahr 1959), sondern DM 0,41 (Tarif für das Jahr 1958) einzusetzen. — Wenn man schließlich noch berücksichtigt, daß die Bahnfracht von den Gruben Viktor-Ickern nach Osnabrück teurer ist als die Bahnfracht von Unna-Königsborn nach Osnabrück, während das umgekehrte Verhältnis für den Wassertransport gilt, und wenn man bedenkt, daß für das Werk keine Schwierigkeiten bestehen, künftig Kohle aus den werkseigenen Zechen Viktor-Ickern zu beziehen, gelangt man zu folgendem Frachtvergleich:
Bahntransport Viktor-Ickern - Osnabrück DM 11,01/t
Wassertransport Viktor-Ickern - Osnabrück DM 11,32/t
Daraus folgt, daß auch bei Berücksichtigung der Korrekturen an der Berechnung des Sachverständigen tatsächlich im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung ein Frachtvorteil zugunsten des Bahntransports in Höhe von DM 0,31/t bestand, womit dargetan ist, daß der Wettbewerbstarif der Bundesbahn für diesen Fall nicht korrekt angeglichen ist.
Schwieriger ist die Lage beim Werk Georgsmarienhütte, das in den Genuß desselben Tarifs kommt. Hier müßte das Unternehmen eine Verbindung zwischen dem Werk und dem Dortmund-Ems-Kanal schaffen, um die Benutzung des Wasserweges zu ermöglichen. Wir haben es also zu tun mit einem potentiellen Wettbewerb zwischen Wasserweg und Bahnweg, dessen Überprüfung zu zahlreichen Streitfragen Anlaß gab. In seinem Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß der Transport von Kohle auf dem Wasserweg nach Georgsmarienhütte DM 9,90/t kosten würde, während die Bahnfracht DM 9,67/t (Versandort Königsborn) und DM 9,07/t (Versandort Grube Westfalen) beträgt. Für Kokstransporte auf dem Wasserweg wäre außerdem ein Zuschlag von DM 0,80 bis DM 1,- pro Tonne gerechtfertigt. Er folgert daraus, daß eine Erhöhung der Bahnfracht um DM 1,- bis DM 1,20/t die Klöckner-Werke AG, denen Georgsmarienhütte gehört, nicht veranlassen würde, den bisher nicht bestehenden Anschluß an den Wasserweg durchzuführen, mit anderen Worten, daß für die Bahnfracht nach dem Tarif 6 B 30 II die Parität nicht gewahrt ist.
Die Kläger rügen verschiedene diesen Fall betreffende Elemente des Gutachtens. Sie vertreten vor allem die Ansicht, daß die Klöckner-Werke nicht hohe Investitionen zur Schaffung einer neuen Bahnstrecke machen würden, die sich nach ihrer Behauptung erst in 13 Jahren amortisieren. Demgegenüber ist festzustellen, daß dem Experten in seinen technischen und wirtschaftlichen Beurteilungen und in seinen äußerst zurückhaltenden Schlußfolgerungen für den Fall Georgsmarienhütte ein Fehler nicht nachgewiesen werden kann. Es ist nicht zu verkennen, daß für Georgsmarienhütte bei einer Erhöhung der Bahnfracht von einer bestimmten Grenze an die Risiken einer großen Investition zur Schaffung einer Hafenverbindung vorteilhafter erscheinen werden als die Lasten des durchgehenden Bahntransports. Wo diese Grenze liegt, kann nur Gegenstand schwieriger Prognosen und Abwägungen sein, die der Experte, wie der Gesamteindruck seines Gutachtens zeigt, aber eher in einer zu vorsichtigen als zu großzügigen Weise vorgenommen hat.
Bei der Rentabilitätsberechnung der Eisenbahnverbindung zum Dortmund-Ems-Kanal hat der Experte angenommen, daß nach Verwirklichung dieser Pläne auch die Erzlieferungen für Georgsmarienhütte auf dem Wasserweg durchgeführt würden. In einem ausführlichen Katalog von Fragen und Bemerkungen haben die Kläger versucht darzutun, daß der Experte für die Erztransporte zu Unrecht von der Konkurrenzfähigkeit des Wasserweges gegenüber dem Bahnweg ausgegangen sei. — Das Werk Georgsmarienhütte selbst hat berechnet, daß der Erztransport auf dem Wasserweg von Emden nach Dörenthe um mehr als DM 2,-/t billiger wäre als der Eisenbahntransport nach dem geltenden Tarif. Diese Berechnung hat sich der Sachverständige nicht zu eigen gemacht, aber doch in einer sehr eingehenden Untersuchung dargelegt, daß auch bei vorsichtigen Berechnungen und unter Berücksichtigung aller denkbaren Nachteile der Transport auf dem Wasserweg für Erzlieferungen nicht teurer wäre als der bisherige Bahntransport, was für die Berücksichtigung dieser Transporte in der Rentabilitätsberechnung der neuen Strecke ausreicht.
Zur Erschütterung der Schlußfolgerungen des Sachverständigen haben die Kläger schließlich noch vorgetragen, Georgsmarienhütte könne sich nicht erlauben, vom Bahn- auf den Wasserweg überzugehen, weil die Bundesbahn in diesem Fall der Klöckner-Werke AG, der das Werk Georgsmarienhütte gehört, die wesentlich wichtigeren Ausnahmetarife für Erztransporte nach dem Konzernbetrieb Hagen-Haspe entziehen würde. Diesen Einwand hat die Hohe Behörde in der mündlichen Verhandlung entkräftet: Auch die Tarife für Hagen - Haspe sind Wettbewerbstarife, die die Bundesbahn in ihrem eigenen Interesse eingeführt hat.
Einige andere Punkte des Gutachtens bedürfen aber noch unabhängig von der Stellungnahme der Kläger einer Bemerkung. Bei der Berechnung der Investitionskosten für die Anlegung der Bahnverbindung zum Hafen Dörenthe hat der Sachverständige fast durchweg die vom Werk selbst berechneten Kosten um etwa 10 bis 15 % erhöht, ohne dafür eine besondere Begründung zu geben. Man könnte versucht sein, von seinem Ergebnis (Transportkosten Dörenthe - Werk DM 1,65/t) einen entsprechenden Abzug zu machen, der freilich das Ergebnis kaum beeinflußt.
Von größerer Bedeutung für das Endresultat ist ein anderer Umstand: Ebenso wie für Osnabrück ging der Experte bei Georgsmarienhütte davon aus, daß die Entladekosten im Werk beim direkten Bahntransport in absehbarer Zukunft gleich hoch sein werden wie beim Transport von Dörenthe zum Werk. Auch hierzu hat die Hohe Behörde bemerkt, daß die geringeren Entladekosten im Werk beim kombinierten Wasser-Bahn-Weg auf die Einsetzung eigener Spezialwagen zurückzuführen sein würden, die für einen direkten Bahntransport ab Zeche bisher nicht in Betracht kamen und auch in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verwendet würden, weil sich für die Bahn der Einsatz solcher Spezialwagen ohne Rückfracht (Erz) nicht lohne. Diese Erklärungen der Hohen Behörde erscheinen überzeugend und verlangen eine Berücksichtigung in der Berechnung, wodurch sich die Kalkulation der Bahnfracht um DM 0,45/t erhöht.
Die Hohe Behörde hat außerdem mit Recht darauf hingewiesen, daß auch für die Georgsmarienhütte — weder was die Qualität der Kohle noch was die Erzeugungsprogramme der Zechen angeht — ein Hindernis besteht, ihren Bedarf in den eigenen Zechen Viktor-Ickern zu decken, was eine Erhöhung der Bahn- und eine Verminderung der Wasserfracht mit sich bringt. Schon jetzt lasse sich anhand der Statistik nachweisen, daß die Bezüge von Viktor-Ickern verstärkt würden zum Nachteil der anderen Zechen.
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren gelangt man zu folgendem Vergleich zwischen Bahn- und Wasserfracht:
Bahnfracht ab Viktor - Ickern |
DM 10,82/t, |
Wasserfracht ab Viktor - Ickern |
DM 9,42/t; |
Bahnfracht ab Unna - Königsborn |
DM 10,12/t, |
Wasserfracht ab Unna - Königsborn |
DM 9,90/t. |
Für Kokstransporte auf dem Wasserweg hat der Sachverständige einen Zuschlag in Höhe von DM 0,80 bis DM 1,-/t (Qualitätsverluste, Mehrkosten beim Umladen usw.) für zulässig gehalten. Im Fall Georgsmarienhütte entfällt ein Teil der hierfür maßgeblichen Elemente, weil das Werk selbst in der Lage ist, Koks herzustellen, und weil es besondere Einrichtungen für die Verwertung kleiner Koksstücke hat, die vor allem beim Transport auf dem Wasserweg entstehen und in der Regel als Nachteil des Wasserweges angesehen werden. Diese Umstände rechtfertigen es wohl, den angegebenen Zuschlag um einiges niedriger anzusetzen, was von Einfluß ist für die Berechnung der Parität.
Schließlich enthält das Gutachten noch eingehende Ausführungen über einen Spielraum, der zu Lasten des Wasserweges beim Vergleich der Tarife zu berücksichtigen ist im Hinblick auf die typischen Nachteile des Binnenwasserweges (Langsamkeit, große Beförderungsmengen, Wechsel im Wasserstand, Nebel, Schleusenreparaturen usw.). Die Hohe Behörde hat bemerkt, daß für Georgsmarienhütte diese Nachteile entfallen, weil die Lagerungsmöglichkeiten des Werkes und das Vorhandensein eigener Zechen eine befriedigende Versorgung auch auf dem Wasserweg zuließen. Es sei sogar umgekehrt die lange Transportzeit auf dem Wasserweg für Georgsmarienhütte ein Vorteil, weil dadurch ein Teil der Lagerkosten vermieden werde. Der Verkehr auf den Kanälen leide außerdem in wesentlich geringerem Umfang unter Ereignisen, die den Transport auf Flüssen belasten (Eis, Nebel, Änderung des Wasserstandes usw.) und die bei der Berechnung des erwähnten Frachtspielraums in der deutsch-französischen Studienkommission zur Kanalisierung der Mosel von erheblicher Bedeutung waren. Für Georgsmarienhütte weise der Transport auf dem Wasserweg gegenüber dem Bahntransport insofern noch einen besonderen Vorteil auf, als er für den Absatz der Erzeugnisse des Werkes von Bedeutung sei. Ich glaube, der Gerichtshof hat keine Veranlassung, diese Umstände bei der Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse zwischen Eisenbahn und Wasserweg unberücksichtigt zu lassen. Es muß also der bei einem Frachtvergleich zwischen Bahn und Wasserweg generell übliche Zuschlag auf den Wassertransporttarif im Falle Georgsmarienhütte niedriger gehalten werden.
Im Lichte dieser korrigierenden Bemerkungen ist zu fragen, ob nicht auch bei Anlegung strenger Maßstäbe für Georgsmarienhütte von einem ernsthaften potentiellen Wettbewerb zwischen Eisenbahn und Wasserweg gesprochen und die Ansicht vertreten werden kann, daß der Ausnahmetarif der Bundesbahn in korrekter Weise angeglichen ist an den Tarif, der auf dem Wasserweg gelten würde. Eingangs habe ich schon auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die eine Beurteilung dieser Fragen mit sich bringt. Beide Parteien haben im Prozeß wiederholt unterstrichen, daß hier zahlreiche Imponderabilien und Elemente subjektiver Bewertung sichere Feststellungen ausschließen, und sich gegenseitig die Beweislast zugeschoben. Es erscheint mir fraglich, ob in einem Prozeß der vorliegenden Art solche Beweisregelungen gelten. Die Frage kann aber auf sich beruhen, weil eine Unklarheit des Sachverhaltes nicht vorhanden ist und weil aus dem gegebenen Sachverhalt Schlußfolgerungen mit einiger Sicherheit gezogen werden können. Für den vorliegenden Fall lautet die entscheidende Frage: Durfte die Hohe Behörde die Befürchtungen der Bundesbahn, auch eine kleine Tariferhöhung könne die Klöckner-Werke zur Schaffung eines Konkurrenztransportweges veranlassen, für gerechtfertigt halten und den Ausnahmetarif 6 B 30 II daher unangetastet lassen? Diese Frage glaube ich in Anbetracht der Korrekturen, die an dem Gutachten für den Fall Georgsmarienhütte notwendig sind, in Abweichung von der Meinung des Sachverständigen bejahen zu können.
Damit aber ist festgestellt, daß die Hohe Behörde bei der Prüfung dieses Tarifes, soweit Georgsmarienhütte in Frage steht, weder bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und der daraus gezogenen Schlußfolgerungen noch in rechtlicher Hinsicht fehlerhaft gehandelt hat.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal anknüpfen an die Bemerkungen zu Osnabrück, die ja — was die Parität des Eisenbahntarifs angeht — negativ waren. Sollte der Gerichtshof den Schlußfolgerungen in der Zulässigkeitsfrage nicht folgen, die sich auf die Tatsache stützen, daß die nach Osnabrück transportierten Kohlemengen für den vorliegenden Rechtsstreit im eigentlichen Sinne des Wortes eine „quantité négligeable“ darstellen, so hätte er eine andere Überlegung anzustellen. Es ist bekannt, daß die Werke Osnabrück und Georgsmarienhütte, für welche der gleiche Tarif gilt, der Klöckner-Werke AG gehören. Diese Gesellschaft ist ein wichtiger Kunde der Bundesbahn auf anderen Strecken. Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß die Bundesbahn die Belange dieses bedeutenden Kunden in ihrem eigenen Interesse auch für die unwichtigen Lieferungen nach Osnabrück berücksichtigt und trotz gewisser Bedenken wegen der Parität den für Georgsmarienhütte aus Konkurrenzgründen zu Recht gewährten Ausnahmetarif 6 B 30 II auch für Lieferungen nach Osnabrück anwendet. Diesen Rücksichten ist eine Berechtigung gerade im Hinblick auf die bei Georgsmarienhütte drohenden Transportverluste der Bundesbahn nicht abzusprechen. — Auch wenn man ein rechtliches Interesse der Kläger an der Rüge des für Osnabrück geltenden Tarifs bejaht, käme man also zu dem Ergebnis, daß die Hohe Behörde zu Recht die Beanstandung dieses Tarifs unterlassen hat. Die Anerkennung des Ausnahmetarifs 6 B 30 II als Konkurrenztarif in allen seinen Anwendungsbereichen stellt demnach keine Verletzung des Vertrages dar.
ii) Der Tarif 6 B 33
Der zweite, von den Klägern im einzelnen gerügte Ausnahmetarif 6 B 33 findet für Transporte fester Brennstoffe von der Ruhr nach Peine und Salzgitter Anwendung. In beiden Fällen besteht ein tatsächlicher Wettbewerb des Wasserweges, da sowohl die Versandorte wie auch die Empfangswerke über einen Anschluß an den Wasserweg verfügen. Die von der Hohen Behörde gelieferten unstreitigen Zahlen zeigen auch, daß bisher der weitaus größere Teil der Transporte auf dem Wasserweg stattgefunden hat, und zwar für Peine auch die Kokstransporte.
Ich werde zunächst den Fall Peine näher betrachten. — Der Sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Bahnfracht nach Peine DM 12,17/t, die Wasserfracht DM 12,72/t beträgt. Bei seiner Berechnung hat er — das darf keinesfalls übersehen werden — bereits berücksichtigt die von der Hohen Behörde angeordnete Aufhebung der Ermäßigung der Kanalabgaben. Ohne diese Aufhebung wären die Transportkosten auf dem Wasserweg DM 1,27/t niedriger. — Ich habe im vorliegenden Verfahren schon einmal betont, daß es die Aufgabe des Gerichtshofes ist, die Entscheidung der Hohen Behörde auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht dagegen die aktuelle Tarifsituation in der Bundesrepublik zu untersuchen. Die Hohe Behörde hat in ihrer Entscheidung aber auch angeordnet, daß die Parität des Ausnahmetarifs 6 B 33 nach der Aufhebung der Kanalabgabenermäßigung entsprechend korrigiert werden müsse. Eine korrekte Paritätsberechnung muß daher entweder die Ermäßigung der Kanalabgaben oder die Abschaffung dieser Ermäßigung bei beiden Kalkulationen berücksichtigen. Man kommt dann zu folgenden Zahlen:
Bahnfracht: |
DM 12,17/t, |
Wasserfracht: |
DM 11,45/t, |
oder (nach Abschaffung der Ermäßigung):
Bahnfracht: |
DM 13,44/t, |
Wasserfracht: |
DM 12,72/t. |
Die Kläger machen hierzu geltend — diese Bemerkungen beziehen sich auch auf Salzgitter —, der Tarif für den Wasserweg sei selbst teilweise ein Unterstützungstarif, und zwar nicht nur soweit er die beanstandete Kanalgebührenermäßigung vorsieht. Das zeige ein Vergleich mit den für Lahde geltenden Frachtsätzen, die etwa gleich hoch seien, obwohl Peine vom Ruhrgebiet weiter entfernt ist. Diesen Umstand hat der Sachverständige jedoch in überzeugender Weise erklärt mit technischen Hindernissen (Schleusen, Wechsel der Schlepper), die auf dem Wege nach Lahde trotz der geringeren Entfernung einen entsprechenden Zeitverlust bedingen. Die Transporte nach Lahde spielen in der Argumentation der Kläger noch eine weitere Rolle. Die Kläger weisen darauf hin, daß für Lahde kein Ausnahmetarif der Bundesbahn gilt. Sie sehen darin einen Beweis für ihre These, daß die Bahntarife für Peine und Salzgitter keine Konkurrenztarife, sondern besondere Unterstützungstarife zugunsten der dortigen Eisen- und Stahlwerke darstellen. Die Hohe Behörde hat dem entgegengehalten, das Elektrizitätswerk in Lahde werde auch bei Einführung eines günstigen Eisenbahntarifs den Wasserweg weiter benutzen, da das Werk über eine eigene Flotte zum Transport von Kohle verfüge. Ich glaube, mit diesem Hinweis findet der Fall Lahde eine Erklärung, ohne daß die von den Klägern gezogenen Schlußfolgerungen geteilt zu werden brauchen.
Das Verfahren hat aber auch keine Bestätigung geliefert für die These der Kläger, in Wirklichkeit liege nicht eine Anpassung des Bahntarifs an den Wassertarif, sondern umgekehrt eine Anpassung des Wassertarifs an den Bahntarif vor. Die Hohe Behörde hat gezeigt, daß gerade auf den Strecken nach Peine und Salzgitter ein besonders heftiger Wettbewerb zwischen Wasserweg und Bahn besteht, der sich erklärt aus dem großen Verlust an Transportvolumen durch die Zonengrenzziehung. Beide Verkehrsträger bemühen sich besonders intensiv um den verbleibenden Verkehr nach Peine und Salzgitter — was die niedrigen Frachtsätze erklärt —, ohne daß für den einen oder anderen Transportträger die Rentabilität verlorenginge.
Ich verweise an dieser Stelle auf die Feststellungen des Sachverständigen, nach denen, abgesehen von der Kanalabgabenermäßigung, kein Element der Unterstützung in der Wasserfracht zu erkennen sei. Es verdienen insbesondere Hervorhebung der Hinweise auf die Art der Tarifbildung für die Wasserwege im allgemeinen sowie ein Vergleich mit den auf anderen Wasserstraßen gebildeten Frachtsätzen, bei denen der Verdacht einer künstlichen Niedrighaltung ausgeschlossen ist (z. B. der Verkehr auf dem Rhein). — An dieser Stelle sei auch an die unwiderlegten Ausführungen der Hohen Behörde zu den Konkurrenztarifen für Kohlesendungen außerhalb des Montanbereichs erinnert (insbesondere an Zementwerke und Elektrizitätswerke in Süddeutschland und Berlin), welche zeigen, daß Wettbewerbstarife für große Kohlelieferungen keineswegs, wie die Kläger annehmen, den deutschen Eisen- und Stahlwerken vorbehalten sind.
Schließlich ist hier noch ein Wort zu sagen zu dem von den Klägern erwähnten Wetzler-Bericht ( 1 ) über die betriebsfremden Lasten der Deutschen Bundesbahn und den daraus gezogenen Folgerungen zu der wahren Natur der angegriffenen Konkurrenztarife. Dieser Bericht wurde im Auftrag der Bundesbahn und des Bundesverkehrsministeriums angefertigt. Er sollte dazu dienen, die Bundesregierung zur Bewilligung von Zuschüssen an die Bundesbahn zu veranlassen. Die in diesem Bericht zusammengefaßten Beurteilungen der Experten sind zum Teil kontradiktorisch und haben außerhalb des damit verfolgten finanziellen Zwecks keine Anerkennung gefunden. Es hat sich gezeigt, daß die im Wetzler-Bericht verwendete Kennzeichnung der Ausnahmetarife als Unterstützungstarife insofern irreführend sind, als alle Tarife, die mit einem Einnahmeausfall für die Bundesbahn verbunden sind, als Unterstützungstarife qualifiziert werden. Eine vertiefte Studie der Berechnungen in den beigefügten Tabellen ergibt, daß die Nichtanwendung des allgemeinen Tarifs 6 B 1 zu Einnahmeausfällen führt, daß aber andererseits die Abschaffung der Konkurrenztarife zu einem Verkehrsverlust für die Bundesbahn führen würde, dem ein Gewinn aus der Anwendung der Konkurrenztarife zum Opfer fallen müßte. Die Tabellen und Darlegungen des Berichts erlauben dagegen keinesfalls den Schluß, daß die Bundesbahn bei der Anwendung von Unterstützungstarifen unter ihren Selbstkosten arbeitet und daß bei Ersetzung der Wettbewerbstarife durch den allgemeinen Tarif trotz Verkehrsverlagerungen auf den Wasserweg die Bundesbahn mit dem verbleibenden Verkehr auf den fraglichen Strecken ein günstigeres wirtschaftliches Resultat erreichen würde als bei Anwendung der Ausnahmetarife.
Wenn ich nach diesen allgemeinen Bemerkungen zu der Natur der Konkurrenztarife und zu der Festlegung der Tarife für den Wasserweg zurückkehre zum besonderen Fall des Werkes Ilsede-Peine, dann bleibt nur die Feststellung, daß nicht nur die Berechnungen des Sachverständigen, sondern vor allem auch das Bild der Transportpraxis überzeugend dartun, daß für diesen Verkehr der Ausnahmetarif 6 B 33 in der Tat einen Wettbewerbstarif darstellt, dessen Anpassung an den Tarif des Wasserweges zu Kritik keinen Anlaß gibt. Das tatsächlich vorhandene Verhältnis zwischen Wasser- und Bahnverkehr mit einem deutlichen Übergewicht zugunsten des Wasserverkehrs erübrigt es auch, besondere Bemerkungen über einen notwendigen Spielraum zwischen Wasser- und Bahnfracht und über etwaige Zuschläge für Kokstransporte zu machen. Auch in diesem Punkt weist die Entscheidung der Hohen Behörde demnach keinen Fehler auf.
Ich habe mich schließlich noch dem Fall Salzgitter zuzuwenden, der in allen Teilen, insbesondere auch, was die auf dem Wasserweg transportierte Kohlemenge angeht, eine große Ähnlichkeit aufweist mit Peine. Der Sachverständige kam bei der Untersuchung der Frachten zu dem Ergebnis, daß der Transport von Kohle auf dem Landweg durchschnittlich DM 11,61/t und auf dem Wasserweg DM 12,47/t kostet. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß bei der Berechnung der Schiffsfracht die Kanalabgabenermäßigung nicht einkalkuliert wurde. Außerdem war für den interessierenden Zeitpunkt (Erlaß der Entscheidung der Hohen Behörde) die Schiffsfracht DM 0,21/t höher. Diese Daten ergeben folgende Berichtigung:
Bahnfracht durchschnittlich |
DM 11,61/t, |
Wasserfracht durchschnittlich |
DM 11,21/t, |
oder (wenn bei beiden Transportarten, wie es die Hohe Behörde verlangt, die Beseitigung der Kanalabgabenermäßigung berücksichtigt wird):
Bahnfracht durchschnittlich |
DM 13,08/t, |
Wasserfracht durchschnittlich |
DM 12,68/t. |
Meine Bemerkungen zu der Frage, ob die Bahnfracht der Wasserfracht angepaßt worden ist oder umgekehrt, haben auch hier ihre Gültigkeit. Die besondere Lage, die für den Verkehr in das Gebiet von Peine und Salzgitter kennzeichnend ist (verstärkter Wettbewerb nach dem Wegfall der für Mitteldeutschland und Berlin bestimmten Transporte), erlaubt nicht mit Sicherheit die Feststellung, welcher Verkehrsträger sich dem anderen anpaßt. Angesichts dieser besonderen Lage kann der Hohen Behörde nicht vorgeworfen werden, sie habe den Ausnahmetarif 6 B 33 zu Unrecht als Konkurrenztarif anerkannt. Neben den von der Hohen Behörde und vom Sachverständigen gelieferten Zahlen ist der beste Beweis für die Richtigkeit dieses Schlusses der starke Verkehr auf dem Wasserweg, der überdies die Tendenz zur Ausweitung auf Kosten des Eisenbahnverkehrs hat.
Was die besonderen Zuschläge bei der Paritätsberechnung für Kokslieferungen auf dem Wasserweg angeht, so dürfen sie für Salzgitter abweichend von der Regel nur in besonders geringem Umfang berücksichtigt werden. Der Mittellandkanal erlaubt in seinem jetzigen Ausbau wegen der geringen Wassertiefe kaum eine volle Auslastung der Schiffe beim Transport von Kohle, so daß sich gegenüber Kokstransporten ein Unterschied schwerlich rechtfertigt. Außerdem entfällt die zusätzliche Berücksichtigung eines Qualitätsverlustes, weil Salzgitter über einen Hafen verfügt, der zusätzliche Umladungen auf Eisenbahnwaggons — die eigentliche Ursache für Qualitätsverluste — überflüssig macht. Berücksichtigt man schließlich noch den Umstand, daß nur geringe Koksmengen nach Salzgitter verschickt werden, so kommt man zu dem Ergebnis, daß der Ausnahmetarif 6 B 33 auch insoweit nicht zu beanstanden ist, als er für Kokstransporte die gleiche Parität aufweist wie für Kohletransporte.
iii) Zusammenfassende Bemerkungen zu den Tarifen 6 B 30 II und 6 B 33
Die Einzeluntersuchung der beiden Tarife 6 B 30 II und 6 B 33 im Lichte der besonderen klägerischen Vorwürfe führt auf Grund des Sachverständigengutachtens in Verbindung mit teils ergänzenden, teils korrigierenden Feststellungen zu dem Ergebnis, daß der Hohen Behörde aus der Anerkennung der Tarife als Wettbewerbstarife kein Vorwurf gemacht werden kann. In allen vier Anwendungsfällen kann davon ausgegangen werden, daß die Konkurrenz des Wasserweges, dessen Tarife nach den von der Hohen Behörde angeordneten Abänderungen keine Unterstützungselemente aufweisen, maßgeblich ist für die Festsetzung des Bahntarifs und daß insbesondere die Berechnung der Parität in korrekter Weise vorgenommen worden ist.
iv) Der Tarif 6 B 32
In der angegriffenen Entscheidung ist außerdem als Wettbewerbstarif für zulässig erklärt der Tarif 6 B 32, der für Transporte nach Lübeck-Dänischburg eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle spielt. Besondere Ausführungen zu diesem Tarif haben die Kläger weder in der Klage noch in späteren Schriftsätzen noch in der mündlichen Verhandlung gemacht. Er wird nur angegriffen als Bestandteil des deutschen Tarifsystems, das in seiner Gesamtheit nationale Diskriminierungen enthalten soll. Allein unter diesem Gesichtspunkt soll der 6 B 32 daher zusammen mit allen anderen Ausnahmetarifen betrachtet werden.
c) Der Tarif 6 B 31
Es ist aber noch ein Wort zu sagen zu dem Ausnahmetarif 6 B 31, der für die bayrischen Werke im Zonengrenzgebiet gilt. Die Hohe Behörde hat in der angegriffenen Entscheidung die Zulässigkeit dieses Tarifs grundsätzlich anerkannt, gleichzeitig aber bestimmt, daß seine Ermäßigung gegenüber dem 6 B 1 schrittweise auf 8 % zu beschränken ist. Auch zu diesem Tarif enthält die Klage keine besonderen Angriffsmittel. Erst in späteren Schriftsätzen bestreiten die Kläger mit detaillierten Ausführungen die Berechtigung der Unterstützungsmaßnahme zugunsten der ostbayrischen Werke. Es ist die Frage, ob diese tatsächlichen Argumente, für die in der Klageschrift keinerlei Anhaltspunkte enthalten sind, zulässig sind. Die Verfahrensordnung des Gerichtshofes — im vorliegenden Falle ist noch die alte Verfahrensordnung anzuwenden — schreibt in Artikel 29 § 3 vor, daß die Klageschrift eine tatsächliche und rechtliche Begründung enthalten muß. Auch wenn damit nicht verlangt wird eine erschöpfende Darstellung des Prozeßstoffes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, so kann diese Vorschrift doch nur dann einen Sinn haben, wenn sie die Kläger verpflichtet, das Prozeßthema substantiiert mit den einzelnen Angriffsrichtungen anzugeben. — In großzügiger Auslegung dieser Bestimmung will ich aber im vorliegenden Fall annehmen, daß die einzelnen, nachträglich vorgebrachten Argumente der Kläger zulässig sind zur Erhärtung ihrer These, auch der Ausnahmetarif 6 B 31 sei nicht durch eine besondere Lage der begünstigten Unternehmen gerechtfertigt, sondern Bestandteil eines diskriminierenden Gesamttarifsystems.
Die Kläger vertreten die Ansicht, der EGKS-Vertrag gestatte im Gegensatz zum EWG-Vertrag nicht die Berücksichtigung der sich aus der Teilung Deutschlands ergebenden besonderen Situation von Unternehmen im Zonengrenzgebiet. Sie nehmen damit Stellung zur Auslegung von Artikel 70 Absatz 4, an dessen materiellen Kriterien die Hohe Behörde die Zulässigkeit des Tarifs gemessen hat. Artikel 70 Absatz 4 spricht von Ausnahmetarifen zugunsten eines oder mehrerer Unternehmen. Einen erschöpfenden Katalog zulässiger Ausnahmetarife enthält Artikel 70 nicht; er bestimmt lediglich, daß die Unterstützungsmaßnahmen mit den Prinzipien des Vertrages im Einklang stehen müssen, und verweist damit auf allgemeine Grundsätze, die ihrerseits der Auslegung bedürfen. Es läßt sich also sagen, daß generell Voraussetzung für die Zulässigkeit von Ausnahmetarifen das Vorhandensein einer besonderen Lage ist (womit nicht festgestellt ist, daß die besondere Lage eines Unternehmens für sich allein in jedem Fall zur Rechtfertigung ausreicht). Der Vertrag schließt nicht Situationen einer bestimmten Art (etwa solche, die auf politische Einflüsse zurückgehen) prinzipiell aus dem Anwendungsbereich von Artikel 70 aus. Da Artikel 70 in der Umgrenzung seiner Voraussetzungen allgemein gehalten ist, gestattet er auch die Berücksichtigung der besonderen Umstände, die sich aus der Zonentrennung ergeben.
Ich hatte in meinen Schlußanträgen zu dem Verfahren über die französischen Ausnahmetarife Gelegenheit, einiges Grundsätzliche über die Auslegung von Artikel 70 Absatz 4 zu bemerken. Ich darf an dieser Stelle auf meine damaligen Ausführungen verweisen und nur deren Grundtenor in Erinnerung rufen: Die Vertragsprinzipien gestatten nicht eine ständige Unterstützung von Unternehmen, die nicht aus eigener Kraft am Wettbewerb des gemeinsamen Marktes teilnehmen können. Wenn Artikel 70 Absatz 4 aber einen Sinn haben soll, dann muß er wenigstens erlauben, daß solchen Unternehmen Hilfe gewährt wird, bei denen eine ständige Unterstützungsbedürftigkeit nicht gegeben ist, die aber vorübergehend infolge außergewöhnlicher und schwerwiegender Ereignisse, die ihrem Einfluß entzogen sind, in Schwierigkeiten geraten sind, wenn die Annahme berechtigt ist, daß diese Unternehmen nach einer gewissen Zeit ohne Unterstützungsmaßnahmen am Wettbewerb wieder teilnehmen können.
Die Kläger bestreiten nicht, daß die durch den 6 B 31 begünstigten Unternehmen infolge der Zonengrenzziehung unter erschwerten Umständen zu arbeiten gezwungen sind. Sie haben nicht die Ansicht vertreten, daß diese Unternehmen auch unter normalen Umständen kaum in der Lage wären, dem Wettbewerb im gemeinsamen Markt standzuhalten, und sie haben ferner keine Zweifel daran geäußertt, daß hier Schwierigkeiten mit politischer Ursache vorliegen, von denen angenommen wird, daß sie nur vorübergehenden Charakter haben! Damit aber steht nach meiner Meinung fest, daß Artikel 70 Absatz 4 auch bei strenger Auslegung auf die Unternehmen angewandt werden kann.
Die Kläger sind jedoch der Auffassung, daß die Rechtfertigung eines besonderen Ausnahmetarifs entfallen ist, weil es den Werken gelungen sei, ihre im Osten verlorenen Märkte durch Absatzgebiete im Westen zu ersetzen. Sie verweisen auch auf die Expansionsquote der Werke. — Die Kläger übersehen dabei allerdings, daß die gegenwärtige Lage mit zurückzuführen ist auf den Einfluß der Ausnahmetarife. Daß die Werke sich in gleicher Weise auch ohne besondere Unterstützungsmaßnahmen entwickelt hätten, haben sie nicht behauptet. Es ist insbesondere hinzuweisen auf die Schwierigkeiten, denen sich die Werke beim Absatz in Süddeutschland angesichts der französischen Konkurrenz gegenübersehen. Vor dem Kriege konnten die Unternehmen beim Absatz im Osten die Nachteile ihrer geographischen Lage weithin ausgleichen durch den Vorteil, den ihnen die Frachtbasis Oberhausen oder Dillingen/Saar bot. Die Hohe Behörde hat außerdem dargetan, daß die Unternehmen nicht nur durch den Verlust von Absatzgebieten im Osten, sondern auch durch den Verlust von Betrieben in Mitteldeutschland geschädigt sind. Mißt man die Unternehmen an den für die Gemeinschaft geltenden durchschnittlichen Expansionsziffern, so kann nicht davon die Rede sein, daß alle ihre Nachteile inzwischen ausgeglichen seien.
Die von den Klägern erwähnte Ausgleichskasse für den Stahlabsatz in Süddeutschland muß in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, da sie allgemein zur Verbilligung von Stahl dient, der aus großer Entfernung geliefert wird. Sie stellt also keine besondere Vergünstigung für die bayrischen Werke dar.
Zusammenfassend komme ich zu dem Ergebnis, daß auch bei strenger Auslegung von Artikel 70 Absatz 4 der Hohen Behörde nicht vorgeworfen werden kann, sie habe die Vereinbarkeit des Tarifs 6 B 31 mit den Vertragsprinzipien zu Unrecht anerkannt. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt die Feststellung, daß besondere Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der bayrischen Werke im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung gerechtfertigt waren. Ob der Ausnahmetarif in seiner genehmigten Höhe angemessen ist, habe ich hier weder in der einen noch in der anderen Richtung zu untersuchen.
2. ENTHÄLT DAS GESAMTSYSTEM DER IN DER ENTSCHEIDUNG BEHANDELTEN TARIFE EINE NATIONALE DISKRIMINIERUNG?
Nach der Einzeluntersuchung der in der angegriffenen Entscheidung erwähnten Tarife im Lichte des Artikels 70 Absatz 4 und 5, bei der sich kein Fehler der Hohen Behörde feststellen ließ, habe ich mich der Frage zuzuwenden, ob die Gesamtheit des deutschen für Kohletransporte zur Eisen- und Stahlindustrie bestimmten Tarifsystems verglichen mit dem für die französischen Kläger angewandten Tarif Anlaß gibt, von einer „auf dem Herkunfts- oder Bestimmungsland der Erzeugnisse beruhenden Diskriminierung“ — kurz von einer nationalen Diskriminierung — zu sprechen.
Diskriminierungen dieser Art sind nach Artikel 70 Absatz 2 im Verkehr zwischen den Ländern der Gemeinschaft verboten, und zwar, wie es dort heißt: „bei den Frachten und Beförderungsbedingungen aller Art“. „Die Beseitigung dieser Diskriminierungen bringt insbesondere die Verpflichtung mit sich, auf die Kohlen- und Stahltransporte aus oder nach einem anderen Mitgliedstaat die Frachttafeln, Frachten und Tarifbestimmungen aller Art anzuwenden, die für die Binnentransporte der gleichen Güterart gelten, sofern das Gut auf derselben Strecke befördert wird.“
Der Wortlaut dieser Bestimmung gibt zu erkennen, daß hier Verbote und Handlungsgebote vorliegen, die an die Regierungen der Mitgliedstaaten gerichtet sind. Eine Handlung der Hohen Behörde zur Anwendung dieser Verbote und Gebote ist nicht erforderlich. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Hohe Behörde auf diesem Gebiet keine Kompetenzen hat. Sie ist nicht nur gemäß Artikel 88 verpflichtet, im Falle der Nichtbeachtung des Artikels 70 Absatz 2 eine formelle Entscheidung zu erlassen, in der die Vertragsverletzung festgestellt wird; sie ist auch gehalten, bei der Prüfung von Ausnahmetarifen, die ihr gemäß Artikel 70 Absatz 4 vorzulegen sind oder die ihr gemäß § 10 Absatz 7 des Ubergangsabkommens mitgeteilt werden mußten, den Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung nicht aus dem Auge zu verlieren.
In der mündlichen Verhandlung hat die Hohe Behörde die Ansicht geäußert, der Vorwurf, sie habe das Gesamtsystem der deutschen Kohletarife nicht unter dem Blickwinkel der nationalen Diskriminierung gesehen, gehöre seiner Art nach in das Karenzverfahren und nicht in das Anfechtungsverfahren, weil er sich auf eine Unterlassung der Hohen Behörde beziehe. Dieser Auffassung vermag ich nicht beizupflichten. Nicht nur die falsche Anwendung einer Vertragsvorschrift, sondern auch die pflichtwidrige Nichtbeachtung einer Vertragsbestimmung bei Erlaß einer Entscheidung rechtfertigen im Rahmen einer Anfechtungsklage den Vorwurf der Vertragsverletzung. Es besteht kein Anlaß, eine Vornahmeklage zu erheben, wenn die Hohe Behörde gehandelt hat, bei ihrer Entscheidung aber angeblich einen Gesichtspunkt außer acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, den Inhalt der Entscheidung zu beeinflussen.
Die Kläger legen im Rahmen ihres Hauptvorwurfs der nationalen Diskriminierung den Akzent auf Artikel 70 Absatz 2, demzufolge auf den Verkehr zwischen den Ländern der Gemeinschaft für die Kohletransporte „die Frachttafeln, Frachten und Tarifbestimmungen aller Art anzuwenden sind, die für die Binnentransporte der gleichen Güterart gelten, soweit das Gut auf derselben Strecke befördert wird“. Sie leiten daraus den Anspruch ab, in den Genuß ähnlicher Tarife zu kommen, wie sie den deutschen Stahlwerken, die sich in entsprechender Entfernung vom Ruhrgebiet befinden, für große Kohletransporte in der Regel zugute kommen. Es reicht nach ihrer Ansicht nicht aus, wenn ihnen ein Tarif zugestanden wird, der nach seiner formellen Bezeichnung und nach der abstrakten Umschreibung seiner Anwendungsvoraussetzungen als genereller Tarif anzusprechen sein mag, in Wirklichkeit aber keine generelle Anwendung erfährt.
Es gibt im Völkerrecht eine Theorie, derzufolge von Diskriminierungen im internationalen Verkehr dann nicht gesprochen werden kann, wenn Ausländer nicht schlechter behandelt werden als die am schlechtesten gestellten Inländer. Nach dieser Theorie wäre der Vorwurf der nationalen Diskriminierung ausgeschlossen, wenn irgendein deutsches Montanunternehmen über größere Entfernungen Frachtsätze zahlt, die auf dem für die Lieferungen an die Kläger anzuwendenden Tarif 6 B 1 beruhen.
Ich bin der Meinung, daß diese Theorie im Völkerrecht ihren Platz haben mag, daß sie aber für das Recht der EGKS, für eine Gemeinschaft also, die sich von gewöhnlichen völkerrechtlichen Verbindungen grundlegend unterscheidet, nicht gilt. Das ergibt sich deutlich aus Artikel 70 Absatz 2. Der Vertrag verlangt mehr; er verlangt eine tarifmäßige Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Unternehmen, soweit sie sich in einer vergleichbaren Lage befinden.
Die Kläger leiten aus dieser Erkenntnis einen Vorwurf ab, der sich auf die Methode und die Reihenfolge der Prüfung der deutschen Tarife bezieht: Die Hohe Behörde hätte zuerst die Gesamtsituation des deutschen Tarifsystems ins Auge fassen sollen; sie hätte dabei feststellen müssen, daß das Durchschnittsniveau der deutschen Ausnahmetarife niedriger ist als das Niveau des 6 B 1, der für die französischen Unternehmen gilt, und zunächst die Beseitigung dieser nationalen Diskriminierung anordnen müssen. Nun scheint es mir zwar sicher zu sein, daß die Hohe Behörde sich bei der Prüfung der Transporttarife nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen dürfte, etwa von der Bezeichnung der Tarife (Ausnahmetarife einerseits und allgemeine Tarife andererseits) und von der Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf eine bestimmte Strecke. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß durch die Art der Darstellung eines Tarifs das Gesamtbild der Tarifsituation verzerrt werden kann. Ich glaube jedoch nicht, daß ein Vorgehen der Hohen Behörde, wie es die Kläger für richtig halten, bedenkenfrei gewesen wäre. Vergleiche sind nur zulässig, soweit eine Vergleichbarkeit gegeben ist, d. h. soweit die Tarife für vergleichbare Situationen gelten. Es müssen von einem Vergleich ausgenommen werden diejenigen Tarife, die für besondere Situationen bestimmt sind, insbesondere Wettbewerbstarife. Ein Unternehmen, das über zwei konkurrierende Transportarten verfügen kann, ist vom Standpunkt des Transports aus nicht zu vergleichen mit solchen Unternehmen, die ausschließlich auf den Bahntransport angewiesen sind. — Ebensowenig sind Unternehmen, deren wirtschaftliche Lage durch außergewöhnliche politische Ereignisse schwer betroffen ist, zu vergleichen mit Unternehmen, für die solche Besonderheiten nicht zutreffen. — Wenn die Hohe Behörde in dieser Weise festzustellen versuchte, inwieweit eine Vergleichbarkeit gegeben ist, ehe sie Vergleiche mit entsprechenden Schlußfolgerungen vornahm, kann ihr eine Unkorrektheit in der Methode nicht nachgewiesen werden.
Die gründlichen Untersuchungen des Sachverständigen haben uns gezeigt, daß der Tarif 6 B 33 als Wettbewerbstarif anzuerkennen ist. Dasselbe gilt nach einigen notwendigen Korrekturen an dem Sachverständigengutachten auch für den 6 B 30 II. Diese beiden Tarife und die durch sie begünstigten Unternehmen kommen demnach für einen Vergleich mit den Klägern nicht in Betracht. Auch der 6 B 32 (Wettbewerbstarif für Lübeck-Dänischburg) entzieht sich aus diesem Grunde einem Vergleich mit dem für die Kläger geltenden Tarif.
Bei der Überprüfung des Ausnahmetarifs für das bayrische Zonengrenzgebiet hat es sich herausgestellt, daß die besondere Lage der begünstigten Unternehmen eine Ausnahmebehandlung prinzipiell rechtfertigt, woraus sich ergibt, daß auch sie für einen Vergleich mit den Klägern nicht in Frage kommen, weil die Besonderheit ihrer Lage in Frankreich keine Entsprechung hat. Nur die Werke im Sieg-Lahn-Dill-Gebiet und die hier anzuwendenden Tarife bleiben als letzten Endes für einen Vergleich mit den Klägern übrig. Für die Tarife dieser Werke aber ist die Entscheidung der Hohen Behörde negativ, d. h. die Hohe Behörde verlangt die Aufhebung des geltenden Sondertarifs und die schrittweise Einführung des 6 B 1.
Es ist an dieser Stelle ein Hinweis zu unterstreichen, den ich im vorliegenden Verfahren schon einmal gemacht habe: Ziel des Prozesses ist es, das Verhalten und die Anordnungen der Hohen Behörde zu überprüfen, nicht dagegen die deutsche Tarifsituation zu untersuchen, die gegenwärtig noch teilweise zu den Anordnungen der Hohen Behörde im Widerspruch steht. Zu fragen ist also stets, ob die Entscheidung der Hohen Behörde rechtens und der ihr zugrunde liegende Standpunkt vertragsgemäß ist. Es hat sich gezeigt, daß nach der Anordnung der Hohen Behörde zur Abschaffung des Ausnahmetarifs 6 B 30 I (Ausnahmetarif für Siegerland) eine Gleichbehandlung der französischen Kläger mit den deutschen Unternehmen, die im Rahmen der Entscheidung als Vergleichsobjekte allein in Betracht kommen, gewährleistet ist. Für den Vorwurf einer nationalen Diskriminierung bleibt demnach der angegriffenen Entscheidung gegenüber kein Platz.
Diese Feststellung zieht eine andere nach sich: Der Tarif 6 B 1, welcher den Frachtberechnungen für die Kläger zugrunde gelegt wird, hat jedenfalls nach der Anordnung der Hohen Behörde, auf die es hier zunächst ankommt, im deutschen Tarifsystem für Transporte zu Stahlwerken, die nicht im Ruhrgebiet selbst liegen, nicht nur eine völlig untergeordnete Bedeutung. Er spielt eine Rolle für die Annahütte in Bayern, die nach den Angaben der Hohen Behörde etwa 19000 t Kohle und 1500 t Koks pro Jahr bezieht, aber auch für die Lieferungen in das Sieg-Lahn-Dill-Gebiet, die im Jahre 1955 der Hohen Behörde zufolge 873000 t umfaßt haben. Auch wenn man die außerordentlich umfangreichen Mengen, die auf Grund des 6 B 1 in das Saargebiet transportiert werden, außer Betracht läßt, kann nicht angezweifelt werden, daß der 6 B 1 nach der Entscheidung der Hohen Behörde den Charakter eines allgemeinen Tarifs hat. Dieses Bild wird noch verstärkt durch die Berücksichtigung der an die Luitpoldhütte und Maximilians hütte gelieferten Mengen, für die nach der Anordnung der Hohen Behörde gegenüber dem allgemeinen Tarif 6 B 1 nur eine Ermäßigung von 8 % rechtmäßig ist. Damit wird auch dieser Fall, für den eine Sonderbehandlung grundsätzlich gerechtfertigt ist, der allgemeinen Regelung angenähert.
Mit den Bemerkungen zum Anwendungsbereich des 6 B 1, wie er nach der Entscheidung der Hohen Behörde zu umgrenzen ist, entfallen eine Reihe von Rügen, welche die Kläger im Hinblick auf diesen Tarif vorgebracht haben. Diese Rügen hatten auch im Rahmen des Anfechtungsprozesses über eine Entscheidung, in der zu dem 6 B 1 keine verbindliche Feststellung getroffen wurde, ihren Sinn, soweit die Kläger den Hinweis auf die nachteilige Ausgestaltung des 6 B 1 dazu benutzten, um ihren Vorwurf der nationalen Diskriminierung zu untermauern. Ich erinnere hier an die Bemerkungen zum Anteil der Festkosten beim Tarif 6 B 1 und zu der Tatsache, daß er für geschlossene Züge keine besondere Ermäßigung vorsieht. Diese Nachteile treffen auch die deutschen Unternehmen, für deren Lieferungen die Anwendung des 6 B 1 vorgeschrieben ist. Unter dem Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung können sie also nicht gewürdigt werden. Ich komme demnach zu dem Ergebnis, daß die Kläger eine Aufhebung der Entscheidung vom 12. Februar 1958 auch unter dem Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung nicht verlangen können.
II. — Karenzklage
Abgesehen von der Rüge, welche die Fristen zur Aufhebung der Tarife betrifft und zu der ich mich am Schluß meiner Ausführungen äußern werde, bleibt noch die Karenzklage zu prüfen.
In diesem Verfahren, das gerichtet ist auf die Einführung eines allgemeinen Tarifs für geschlossene Züge zugunsten der Stahlindustrie oder — hilfsweise — auf die Einführung eines Tarifs für die französischen Kläger, der dem zugunsten der deutschen Stahlindustrie geltenden Tarifsystem entspricht, hat die zum Tarif 6 B 1 geäußerte Kritik vor allem Bedeutung.
Die Kläger stützen ihren Antrag in formeller Hinsicht auf Artikel 35 des Vertrages, in dem es heißt:„Ist die Hohe Behörde auf Grund einer Bestimmung dieses Vertrages oder der Durchführungsvorschriften verpflichtet, eine Entscheidung zu erlassen oder eine Empfehlung auszusprechen, und kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, so können … die Unternehmen und Verbände die Hohe Behörde befassen.“ — Es. ist also zu untersuchen, ob sich im Vertrag eine Verpflichtung der Hohen Behörde oder eine Befugnis der Hohen Behörde findet — was nach Absatz 2 von Artikel 35 ausreicht —, kraft deren die Einführung eines bestimmten Tarifs in einem Mitgliedstaat angeordnet werden kann. — Es ist bekannt und im vorliegenden Verfahren des öfteren unterstrichen worden, daß nach der Vertragskonzeption die Tarifgestaltung Sache der Mitgliedstaaten ist (vgl. Art. 70 Abs. 5). Bei der Einführung von Ausnahmetarifen ist eine Mitwirkung der Hohen Behörde vorgesehen. Ihre Befugnisse erschöpfen sich hier aber in der Ablehnung eines Tarifs oder in der befristeten oder unbefristeten (bedingten oder unbedingten) Erteilung einer Genehmigung. Im übrigen enthält der Vertrag Verpflichtungen, die die Staaten bei der Gestaltung ihrer Tarife zu beachten haben, was sich aus Artikel 70 Absatz 2 und Absatz 5 ergibt. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen kann die Hohe Behörde dazu veranlassen, ein Verfahren gemäß Artikel 88 einzuleiten, in dem sie die Verletzung feststellt und in dem sie angeben kann, in welcher Weise die Vertragspflichten zu erfüllen sind. Nur im Rahmen dieser eng begrenzten Möglichkeiten kann die Hohe Behörde auf dem Gebiete der Tarifgestaltung tätig werden.
1. EINFÜHRUNG EINES TARIFS ZUGUNSTEN DER KLÄGER, DER DEN DEUTSCHEN AUSNAHMETARIFEN ENTSPRICHT
Im vorliegenden Fall soll darüber hinweggesehen werden, daß der Antrag der Kläger nicht auf die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 88 gerichtet ist. Er kann u. U. in dieser Weise umgedeutet werden. Es soll daher geprüft werden, ob die Beibehaltung des Tarifs 6 B 1 und die Nichteinführung des von den Klägern verlangten Tarifs eine Vertragsverletzung darstellt. Die Kläger verweisen in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, daß den lothringischen Werken für den Transport von Ruhrkohle und Koks Eisenbahnausnahmetarife eingeräumt worden waren in Zeiträumen der Vergangenheit, in denen die Werke dieses Gebietes für den gesamten Transportweg unmittelbar von deutschen Bahnverwaltungen bedient wurden. Sie machen des weiteren geltend, daß die Bundesbahn für die Transporte nach Lothringen Wettbewerbstarife nicht einführe, obgleich nach Durchführung der Moselkanalisierung die Konkurrenz des Wasserweges drohe. — Diese beiden Argumente beziehen sich auf die Einführung eines dem deutschen Tarifsystem entsprechenden Ausnahmetarifs für die klägerischen Werke. Dazu ist folgendes zu bemerken. Ich bin der Auffassung, daß die Staaten auch bei der Einführung von Ausnahmetarifen das Prinzip der Gleichbehandlung zu beachten haben. Wenn sie sich dazu entschließen, Ausnahmetarife einzuführen, sind sie verpflichtet, sie für alle diejenigen Fälle zu gewähren, in denen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind. Von den Ausnahmetarifen der Deutschen Bundesbahn im eigentlichen Sinn ist nach der Überprüfung durch die Hohe Behörde allein übriggeblieben der Tarif zugunsten der ostbayrischen Werke, und auch dieser nur mit Einschränkungen. Wir wissen nicht, ob die Kläger für ihre Betriebe Tatsachen anführen und beweisen können, aus denen sich ergeben kann, daß sich einzelne von ihren Betrieben in einer Lage befinden, die vergleichbar ist mit der Lage deutscher Unternehmen, für die ein Ausnahmetarif der Bundesbahn vorhanden ist. An keiner Stelle im Verfahren haben die Kläger, soweit wir sehen, behauptet, ihre Lage gestatte einen Vergleich mit den Gegebenheiten bei den ostbayrischen Werken, deren Eisenbahntarif sie besonders kritisiert haben, ausgenommen das Vergleichselement der gleichen geographischen Entfernung. Bei dieser Sachlage ist die Annahme einer vergleichbaren Lage und eine Pflicht der Bundesbahn zur Gleichbehandlung von Transportleistungen nicht zu erkennen. Die zeitweilige Tarifgestaltung deutscher Eisenbahnunternehmungen zugunsten der Kläger in der Vergangenheit kann gültige Rückschlüsse auf die gegenwärtig notwendige und zulässige Tarifharmonisierung im gemeinsamen Markt in Anwendung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nicht rechtfertigen.
Der internationale Vertrag über die Kanalisierung der Mosel, bei dem die Vertragspartner auch von anderen Erwägungen und Zielen als von der Öffnung eines Verkehrsweges bestimmt waren, läßt erkennen, daß Interessen und Bestrebungen der Verwaltung der Deutschen Bundesbahn nicht geeignet sein konnten, die Einrichtung dieses voraussichtlich konkurrierenden Transportweges zu beeinflussen. Dieses unter verschiedenen Gesichtspunkten hochbedeutsame Werk der europäischen Integration bietet vor dem Ausbau des schiffbaren Weges vom Osten Frankreichs bis zum Rhein keine geeigneten Vergleichselemente. Die Möglichkeit einer Tarifkalkulation scheint derzeit ausgeschlossen zu sein, wie die Beratungen der Verkehrssachverständigen in den vergangenen Jahren beweisen.
Was die Wettbewerbstarife angeht, so ist die Bundesbahn, wie die Hohe Behörde mit Recht betont hat, völlig frei, den Wettbewerb mit dem Wasserweg aufzunehmen oder nicht. Es mag der Bahn angesichts der geschilderten Situation zweckmäßig erscheinen, den Wettbewerb erst dann aufzunehmen, wenn der Wasserweg benutzbar und seine Konkurrenz für sie aktuell geworden ist. — Ist also eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Einführung eines den deutschen Ausnahmetarifen entsprechenden Tarifs für die Kläger nicht zu erkennen, so kann der Hohen Behörde auch nicht vorgeworfen werden, sie habe es zu Unrecht unterlassen, eine entsprechende Empfehlung an die Bundesregierung zu richten.
2. EINFÜHRUNG EINES ALLGEMEINEN TARIFS FÜR GESCHLOSSENE ZÜGE
Wie steht es mit dem Antrag der Kläger, die Hohe Behörde solle von der Bundesregierung die Einführung eines allgemeinen Kohletarifs für geschlossene Züge verlangen? Dieser Antrag ist zurückzuführen auf die nachteilige Ausgestaltung des Tarifs 6 B 1 (geringer Anteil der Festkosten, hohe Transportkosten) und auf die Tatsache, daß der 6 B 1 keine Ermäßigung für geschlossene Züge kennt, während die Bundesbahn bei den von der Hohen Behörde für zulässig erklärten Ausnahmetarifen die Bildung geschlossener Züge verlangen kann.
Was die zuletzt genannte Bemerkung angeht, so übersehen die Kläger, daß nicht die Bildung ganzer Züge die Rechtfertigung für die Ermäßigung des generellen Tarifs abgibt. Die Bundesbahn ist vielmehr gezwungen, aus Gründen des Wettbewerbs oder zur Unterstützung eines Unternehmens, in einem besonderen Fall niedrige Tarife anzubieten. Um in einem solchen Fall die Rentabilität der Transporte zu gewährleisten, ist sie darauf angewiesen, die Beförderung großer Mengen zu verlangen. Damit ist aber nicht gesagt, daß es die wirtschaftliche Lage der Bundesbahn in jedem Fall erlaubt, bei Beförderung großer Mengen niedrigere Tarife anzuwenden und auf einen Teil ihrer Erträgnisse zu verzichten.
Die Senkung des allgemeinen Tarifs und eine generelle Einführung von Ermäßigungen für geschlossene Züge stellen Tarifgestaltungsmaßnahmen dar, die ein Transportträger ergreifen kann, wenn es ihm auf Grund seiner Ertragslage vertretbar erscheint, zu denen er aber nicht verpflichtet ist. Es sei hier daran erinnert, daß besondere Tarife für geschlossene Züge keineswegs die Regel in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft darstellen. Damit ist auch angedeutet, zu welchem Teil der Gemeinschaftstätigkeit auf dem Gebiet des Transportwesens Maßnahmen mit der von den Klägern verfolgten Zielrichtung gehören: Sie werden ausführlich behandelt im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine Harmonisierung der Tarife und Transportbedingungen. Hierher gehören alle die Fragen, die sich beziehen auf das Verhältnis zwischen den Frachten für einzelne Güter (Erz - Kohle; Kohle - Koks), auf den Anteil der festen Kosten an den Transporttarifen, auf die Degressivität, auf die Schaffung besonderer Tarifgruppen für bestimmte Wirtschaftszweige, wie etwa die Stahlindustrie usw. Diese Probleme bilden seit langem den Gegenstand diffiziler Beratungen, über die ein Bericht des Sachverständigenausschusses bereits vorliegt. Sie sind zu lösen im Einvernehmen mit allen Regierungen. Eine aktuelle Verpflichtung der Staaten zu bestimmten Maßnahmen dagegen ist nicht vorhanden, ebensowenig wie eine Befugnis der Hohen Behörde, in dieser Richtung bestimmte Anordnungen zu treffen. Damit aber entfällt die Voraussetzung des Verlangens der Kläger, und die Karenzklage erweist sich auch insoweit als unbegründet.
III. — Untersuchung der zur Abänderung beanstandeter Tarife bewilligten Fristen
Ein letzter Punkt ist nach diesen Ausführungen noch zu prüfen, nämlich die Kritik der Kläger, die sich bezieht auf die von der Hohen Behörde zur Abschaffung der beanstandeten Tarife gewährten Fristen. Diese Fristen werden in zweifacher Hinsicht gerügt: einmal weil nationale Diskriminierungen — die hier nach Ansicht der Kläger vorliegen — gemäß § 10 Absatz 5 spätestens mit der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl zu beseitigen waren, zum anderen mit der Begründung, Fristen zur Abschaffung von Ausnahmetarifen dürften — auch wenn der Gesichtspunkt der nationalen Diskriminierung ausscheidet — keinesfalls über das Ende der Übergangszeit hinausreichen (vgl. § 1 Ziffer 5 des Ubergangsabkommens).
Zum ersten Vorwurf kann ich mich kurz fassen. Die Prüfung der angegriffenen Entscheidung hat gezeigt, daß die Hohe Behörde die von ihr beanstandeten Tarife im Lichte von Artikel 70 Absatz 4 (unzulässige Aüsnahmetarife) betrachtet und ihre Aufhebung nicht auf Grund von Artikel 70 Absatz 2 (nationale Diskriminierung) angeordnet hat. Nur wenn sich ergeben hätte, daß die Abänderung des deutschen Tarifsystems aus Gründen der nationalen Diskriminierung hätte erfolgen müssen, wäre die Vorschrift des § 10 Absatz 5 zum Zuge gekommen.
Wir haben gesehen, daß von einer nationalen Diskriminierung nicht die Rede sein konnte, da der Tarif 6 B 1 auch vor Erlaß der Entscheidung der Hohen Behörde als Tarif mit allgemeinem Anwendungsbereich anzusprechen war und der einzig zu beanstandende Ausnahmetarif 6 B 30 I nicht aus nationalen Gründen gewährt wurde, sondern teils als Wettbewerbstarif, teils als Unterstützungstarif gedacht war.
Was das zweite Argument angeht, so ist richtig, daß § 1 des Ubergangsabkommens unter Ziffer 5 vorschreibt: „Die zu ihrer Durchführung“ (d. h. zur Durchführung der Bestimmungen des Ubergangsabkommens) „ergriffenen Maßnahmen verlieren im gleichen Zeitpunkt“ (d. h. mit dem Ablauf der Übergangszeit) „ihre Wirkung.“ Da sich die Bewilligung von Fristen zui Abänderung der nicht-vertragsgemäßen Ausnahmetarife auf § 10 Absatz 7 des Übergangsabkommens stützt, können sich diese Fristen — so folgern die Kläger — nicht über das Ende der Übergangszeit hinaus erstrecken. — Zunächst hat man sich zu fragen, ob unter die in § 1 erwähnten Maßnahmen dem Sinn der Vorschrift nach nicht nur solche Anordnungen fallen, die Dauerwirkung haben, etwa Schutzmaßnahmen im Sinne des § 29 des Übergangsabkommens, nicht aber der Maßnahmen, die, wie die Anordnung zur Abschaffung der Ausnahmetarife, einen einmaligen Akt betreffen, nach dessen Vollzug sie ihre Wirkung verlieren. Ich lasse die Frage dahingestellt, weil sich die Meinung vertreten läßt, daß die Bewilligung von Fristen eine vorübergehende Genehmigung der Tarife darstellt, also eine Maßnahme mit Dauerwirkung. — Ich glaube, die klägerische Rüge ist aus einem anderen Grunde nicht stichhaltig. Paragraph 1 Ziffer 5 macht für das Außerkrafttreten von Maßnahmen einen Vorbehalt: soweit nicht Ausnahmen in diesem Abkommen ausdrücklich vorgesehen sind. Dieser Vorbehalt umfaßt nach seinem Sinn auch § 10 Absatz 7, und zwar insofern, als § 10 Absatz 7 nur ein einziges Kriterium für die Begrenzung der zu bewilligenden Fristen setzt: die Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Störungen. Diese Klausel dient nach allgemeiner Ansicht dazu, die Folgen einer brüsken Abschaffung der Ausnahmetarife zu vermeiden, hat also nur dann eine sinnvolle Bedeutung, wenn von einer zeitlichen Begrenzung auf die Übergangszeit abgesehen wird, da ja bei Vertragsschluß nicht vorauszusehen war, in welchem Zeitraum die Prüfung der Ausnahmetarife abgeschlossen sein würde. Ausdrückliche Ausnahmen im Sinne von § 1 Ziffer 5 wären demnach alle diejenigen Ausnahmen, die sich bei sinnvoller Interpretation des Ubergangsabkommens zwingend ergeben. — Schließlich möchte ich hier auch die Ansicht wiederholen, die ich in dem Verfahren über die französischen Ausnahmetarife ausgesprochen habe: Nicht nur das Ubergangsabkommen, sondern auch der eigentliche Vertragstext — Artikel 2 Absatz 2 — erlaubt die Bewilligung von Fristen zur Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Störungen. Es mag sein, daß die Voraussetzungen des Artikels 2 strenger sind und daß Fristen, die nach dieser Vorschrift bewilligt werden können, kürzer sein müssen. Diese Frage mag aber dahingestellt bleiben, weil die Kläger nicht die tatsächliche Bemessung der Fristen gerügt, sondern die Möglichkeit der Fristbewilligung schlechthin bestritten haben. Dem Gerichtshof ist es auf Grund des vorliegenden Prozeßstoffes jedenfalls nicht möglich, nachzuprüfen, ob die eingeräumten Fristen auch bei Anwendung des Artikels 2 im Einzelfall bemessen sind.
Auch dieser Vorwurf der Kläger ist demnach unbegründet.
D. GESAMTERGEBNIS
Auf Grund aller dieser Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof vor,
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die Anfechtungsklage Nr. 24/58 und |
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die Karenzklage Nr. 34/58 |
als unbegründet abzuweisen und die Kosten des Verfahrens den Klägern aufzuerlegen. — Soweit besondere Kosten durch die Intervention entstanden sind, hat diese Kosten der Intervenient zu tragen.
( 1 ) Die betriebsfremden Lasten und gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Deutschen Bundesbahn; Bericht eines Sachverständigenausschusses. - Schriftenreihe des Bundesministeriums für Verkehr, Heft 9.