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Document 52022XC0321(03)
Communication from the Commission on Operational guidelines for the implementation of Council implementing Decision 2022/382 establishing the existence of a mass influx of displaced persons from Ukraine within the meaning of Article 5 of Directive 2001/55/EC, and having the effect of introducing temporary protection 2022/C 126 I/01
Mitteilung der Kommission zu operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes 2022/C 126 I/01
Mitteilung der Kommission zu operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes 2022/C 126 I/01
C/2022/1806
ABl. C 126I vom 21.3.2022, p. 1–16
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
21.3.2022 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
CI 126/1 |
MITTEILUNG DER KOMMISSION
zu operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes
(2022/C 126 I/01)
Am 4. März 2022 erließ der Rat den Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (1) (im Folgenden „Ratsbeschluss“). Er trat am selben Tag in Kraft.
Ausgehend von den jüngsten Fragen, die von den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzung des Ratsbeschlusses und der Richtlinie 2001/55/EG („Richtlinie über den vorübergehenden Schutz“) aufgeworfen worden waren, hat die Kommission eine Reihe von Aspekten ermittelt, zu denen es ihrer Auffassung nach sinnvoll wäre, den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen an die Hand zu geben. Diese Aspekte, z. B. der Anwendungsbereich (Personen, die unter den Ratsbeschluss fallen/nicht unter den Ratsbeschluss fallen, Familienangehörige) und die Frage, wie Kinder, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger, zu behandeln sind, sind Gegenstand der beigefügten Leitlinien. Auch Fragen der Freizügigkeit in den Mitgliedstaaten, der Registrierung und der Bereitstellung von Informationen werden in den Leitlinien behandelt.
Die aktuelle Situation stellt die Mitgliedstaaten vor große Herausforderungen; so sind bereits knapp 3 Millionen Menschen angekommen. Die Lage ändert sich täglich. Da die Leitlinien mit den Entwicklungen Schritt halten müssen, wird es vonnöten sein, sie im Zuge der von den Mitgliedstaaten fortwährend gesammelten Erfahrungen zu aktualisieren.
Die Leitlinien sind daher als dynamisches Dokument gedacht und müssen regelmäßig auf der Grundlage neuer Fragen der Mitgliedstaaten auf den neuesten Stand gebracht werden, um der Situation vor Ort sowie den sich wandelnden Bedürfnissen der Mitgliedstaaten gebührend Rechnung zu tragen. Auf die vorliegenden Leitlinien könnten spezifischere Empfehlungen zu bestimmten Themen folgen. Die Kommission beabsichtigt zudem, die spezielle Website mit Informationen für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine regelmäßig mit zusätzlichen Orientierungshilfen zu aktualisieren, die die Mitgliedstaaten möglicherweise benötigen. Darüber hinaus plant sie, monatliche Treffen mit den Mitgliedstaaten abzuhalten, um Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung des Ratsbeschlusses und der Richtlinie 2001/55/EG zu erörtern.
Die Kommission hat eine Solidaritätsplattform eingerichtet, um die operative Reaktion der Mitgliedstaaten nach Maßgabe von Artikel 3 Absatz 2 des Ratsbeschlusses zu koordinieren. Die Solidaritätsplattform wird mit dem in Artikel 3 Absatz 1 des Ratsbeschlusses genannten EU-Vorsorge- und Krisenmanagementnetz für Migration zusammenarbeiten und dabei die in diesem Rahmen erhaltenen Lageinformationen berücksichtigen. Sie wird Informationen sammeln, den in den Mitgliedstaaten ermittelten Bedarf prüfen und die operativen Folgemaßnahmen in Reaktion auf diesen Bedarf koordinieren.
Die Solidaritätsplattform wird die Mobilisierung einschlägiger EU-Instrumente erleichtern, die Abstimmung von Solidaritätsangeboten auf die ermittelten Bedürfnisse koordinieren und die Überstellung von Personen auf allgemeiner Ebene zwischen den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls in Drittländer in Zusammenarbeit mit EU-Agenturen und anderen einschlägigen Akteuren koordinieren.
Die Mitgliedstaaten haben zwei Personen benannt, von denen eine als nationale Kontaktstelle mit Entscheidungsbefugnis fungieren und eine auf operativer Ebene tätig sein wird. Sämtliche Informationen, die die Solidaritätsplattform betreffen, sowie alle weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Ratsbeschlusses zu diesen Leitlinien sollten – wie den Mitgliedstaaten bereits mitgeteilt wurde – an die spezielle Funktionsmailbox geschickt werden.
Im Jahr 2020 hat die Kommission als festen Bestandteil der Vorschläge für das Migrations- und Asylpaket eine Empfehlung für einen Vorsorge- und Krisenplan der EU für Migration angenommen. Ziel ist es, einen operativen Rahmen für die Überwachung und Antizipation von Migrationsströmen und Migrationslagen, die Stärkung der Resilienz sowie die Organisation einer situationsbezogenen Reaktion auf eine Migrationskrise zu schaffen.
Seit Anfang Januar 2022 arbeitet die Kommission im Rahmen des Vorsorge- und Krisenmanagementnetzes im Bereich Migration sehr eng mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst, den einschlägigen EU-Agenturen und den Mitgliedstaaten zusammen, um einen Überblick über den Stand der Vorbereitung auf eine potenzielle Krise zu erstellen. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine tritt das Netz zweimal wöchentlich zusammen und ist kontinuierlich über tägliche gemeinsame Lageerfassungsberichte in Kontakt, um eine koordinierte Notfallreaktion auf die durch einschlägige Ereignisse verursachten Herausforderungen im Bereich Migration zu gewährleisten.
Diese Arbeit ist vollumfänglich auf die integrierte Regelung der Europäischen Union für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR) abgestimmt, und der Bericht zum Vorsorge- und Krisenplan ist im wöchentlichen ISAA-Bericht (Integrated Situation Awareness Analysis) enthalten.
Das Netz wird weiterhin dem Austausch von Lageinformationen und der Konsolidierung aller relevanten Informationen über das Migrationsmanagement im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine, einschließlich zur Umsetzung der Richtlinie 2001/55/EG, dienen.
Mit den vorliegenden Leitlinien sollen die Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Ratsbeschlusses und der Richtlinie 2001/55/EG (2) („Richtlinie über den vorübergehenden Schutz“) sowie anderer geltender EU-Rechtsvorschriften unterstützt werden. Die Leitlinien ergänzen die Mitteilung der Kommission vom 2. März 2022, mit der operative Leitlinien für das Außengrenzenmanagement zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Grenzen zwischen der Ukraine und der EU (3) bereitgestellt wurden.
1. PERSONEN MIT VORÜBERGEHENDEM SCHUTZ
Personen, die gemäß dem Durchführungsbeschluss 2022/382 des Rates (im Folgenden der „Ratsbeschluss“) Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz haben
Nach Artikel 2 Absätze 1 und 2 des Ratsbeschlusses erhalten spezifische Personengruppen vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht:
Nach Artikel 2 Absatz 1 des Ratsbeschlusses gilt vorübergehender Schutz gemäß der Richtlinie 2001/55/EG für
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ukrainische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Ukraine, die am oder nach dem 24. Februar 2022 vertrieben wurden, und ihre Familienangehörigen; |
(2) |
Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz in der Ukraine genossen haben, und die am oder nach dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden, und ihre Familienangehörigen. |
Nach Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses gilt der vorübergehende Schutz nach Maßgabe der Richtlinie 2001/55/EG oder ein angemessener Schutz nach nationalem Recht der Mitgliedstaaten für Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in das Land [ihrer Herkunft] oder die Region [innerhalb des Landes] ihrer Herkunft zurückzukehren.
Was ist unter „angemessenem Schutz“ nach nationalem Recht gemäß Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses zu verstehen?
„Angemessener Schutz“ nach nationalem Recht gemäß Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses kann von den Mitgliedstaaten als mögliche Alternative zu vorübergehendem Schutz angeboten werden und muss daher nicht mit den Vorzügen einhergehen, die an den vorübergehenden Schutz nach Maßgabe der Richtlinie 2001/55/EG geknüpft sind. Nichtsdestotrotz müssen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Ratsbeschlusses die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den Geist der Richtlinie 2001/55/EG wahren. Die Achtung der Menschenwürde und damit eines menschenwürdigen Lebensstandards (wie Aufenthaltsrechte, Zugang zu Mitteln zur Bestreitung des Lebensunterhalts und Wohnraum, Notversorgung und angemessene Betreuung von Minderjährigen) muss für alle Menschen gewährleistet werden.
Was ist unter „gleichwertigem nationalen Schutz“ in der Ukraine nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b des Ratsbeschlusses zu verstehen?
Nach Auffassung der Kommission ist der „gleichwertige nationale Schutz“ in der Ukraine eine Alternative zu internationalem Schutz und umfasst andere Formen des von den ukrainischen Behörden gewährten Schutzes, wie den vorübergehenden Schutz oder humanitären Schutz. Die Kommission holt derzeit von den ukrainischen Behörden Informationen zu den nach ukrainischem Recht gewährten Formen des Schutzes und den Dokumenten ein, die ukrainische Behörden für Personen ausgestellt haben, denen diese Formen des Schutzes gewährt wurden. Aus den vorläufigen Informationen geht hervor, dass die ukrainischen Behörden folgende Dokumente ausgestellt haben: ein „Reisedokument für Personen, denen zusätzlicher Schutz gewährt wird“, ein „Reisedokument für Staatenlose“ und ein „Zertifikat für Personen, denen zusätzlicher Schutz gewährt wird“.
Nachweis des Anspruchs auf vorübergehenden Schutz nach Maßgabe der Richtlinie 2001/55/EG oder auf angemessenen Schutz nach nationalem Recht
Mit dem Ratsbeschluss wird den in Artikel 2 Absätze 1 und 2 aufgeführten Personengruppen ein sofortiger vorübergehender Schutz gewährt. Nach nationalem Recht gibt es kein Antragsverfahren für vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz. Daher müssten betreffenden Personen, wenn sich sie bei den Behörden melden, um die mit dem vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz verbundenen Rechte in Anspruch zu nehmen, lediglich ihre Staatsangehörigkeit, ihren internationalen Schutz oder einen gleichwertigen Schutz, den Wohnsitz in der Ukraine oder gegebenenfalls eine familiäre Bindung nachweisen. Das Recht auf vorübergehenden Schutz ist unverzüglich gegeben. Damit jedoch eine ordnungsgemäße Verwaltung und Registrierung der betreffenden Person gewährleistet ist, können die Mitgliedstaat die Erfüllung bestimmter Anforderungen festlegen, wie ein Registrierungsformular und die Vorlage der im Ratsbeschluss vorgesehenen Nachweise.
Ein Ziel des vorübergehenden Schutzes besteht darin, ein rasches Verfahren zu gewährleisten, indem die Formalitäten auf ein Minimum reduziert werden. Wie in Erwägungsgrund 12 des Ratsbeschlusses dargelegt, sollten Personen, die um Schutz nachsuchen, nachweisen können, dass sie die Zulassungskriterien erfüllen, indem sie den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats die entsprechenden Dokumente vorlegen.
Dazu gehören unter anderem Nachweise, die beitragen zu
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der Ermittlung der Identität und des Wohnsitzes; |
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dem Nachweis der familiären Bindung oder des Familienverbands sowie des Unterhalts enger Verwandter. |
Sind die vorgelegten Dokumente abgelaufen, so werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, diese als Nachweis für die Identität oder den Aufenthaltsstatus der betreffenden Person zu betrachten.
Sollten die Mitgliedstaaten Zweifel an der Echtheit der Dokumente haben oder Personen nicht im Besitz der vorgenannten Dokumente sein, könnten ukrainische Behörden in den Mitgliedstaaten unterstützend hinzugezogen werden bzw. (sofern möglich) zur Bestätigung der ukrainischen Staatsangehörigkeit einer Person oder ihres Wohnsitzes in der Ukraine hinzugezogen werden.
Wenn eine Person keine einschlägigen Dokumente vorlegen kann, und die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, rasch festzustellen, ob die betreffende Person Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht hat, so schlägt die Kommission vor, die Person dem Asylverfahren zuzuführen. Analog sollten Personen, die angeben, dass sie nicht sicher in ihr Herkunftsland/ihre Herkunftsregion zurückkehren können, für die jedoch das Verfahren zur Feststellung des Anspruchs auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht zu komplex wird, in jedem Fall dem Asylverfahren zugeführt werden.
Indikative Liste der Dokumente, die die ukrainische Staatsangehörigkeit belegen, selbst wenn ihre Gültigkeitsdauer abgelaufen ist:
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Reisepässe jeglicher Art (nationale Pässe, Diplomatenpässe, Dienstpässe, Sammelpässe und Ersatzpässe einschließlich Kinderpässen), |
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nationale Personalausweise (einschließlich vorläufiger Personalausweise), |
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Wehrpässe und Militärausweise, |
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Seefahrtsbücher, Kapitänsausweise und Seemannspässe, |
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Staatsbürgerschaftsbescheinigungen und |
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sonstige amtliche Dokumente, in denen die Staatsangehörigkeit erwähnt oder angegeben wird. |
Was ist unter Personen, „die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren“ nach Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 2 Absatz 3 des Ratsbeschlusses zu verstehen?
Nach Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses müssen die Mitgliedstaaten entweder den Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren. Nach Artikel 2 Absatz 3 können die Mitgliedstaaten diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.
Die sichere und dauerhafte Rückkehr in das Herkunftsland oder die Herkunftsregion ist weder in der Richtlinie 2001/55/EG noch im Ratsbeschluss festgelegt. Nach Auffassung der Kommission handelt es sich dabei um ein Konzept sui generis der Richtlinie.
Der Verweis auf die unmögliche sichere und dauerhafte Rückkehr in das eigene Herkunftsland oder die eigene Herkunftsregion sollte im Lichte von Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2001/55/EG gesehen werden, der sich konkret auf Situationen bewaffneter Konflikte, dauernder Gewalt oder die ernsthafte Gefahr systematischer oder weitverbreiteter Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland bezieht. Darüber hinaus sieht Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2001/55/EG vor, dass die Lage im Herkunftsland eine sichere, dauerhafte Rückkehr der Personen, denen der vorübergehende Schutz gewährt wird, unter Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Nichtzurückweisung (4) zulassen muss, damit der vorübergehende Schutz endet.
In diesem Zusammenhang kann die unmögliche „sichere Rückkehr“ beispielsweise aus einem offensichtlichen Risiko für die Sicherheit der betroffenen Person, aus bewaffneten Konflikten oder dauernder Gewalt, dokumentierten Gefahren der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung resultieren.
Für eine „dauerhafte“ Rückkehr sollte die betreffende Person aktive Rechte in ihrem Herkunftsland oder ihrer Herkunftsregion in Anspruch nehmen können, damit sie Perspektiven für die Deckung ihrer Grundbedürfnisse in ihrem Herkunftsland/ihrer Herkunftsregion und die Möglichkeit der Reintegration in die Gesellschaft hat.
Bei der Beurteilung, ob eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr möglich ist, sollten sich die Mitgliedstaaten auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Dennoch sollte betreffende Person individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren kann. In diesem Zusammenhang sollten die Mitgliedstaaten berücksichtigen, ob die betreffende Person nach wie vor einen bedeutsamen Bezug zu ihrem Herkunftsland/ihrer Herkunftsregion hat, beispielsweise indem der in der Ukraine verbrachten Zeit oder der Familie in ihrem Herkunftsland Rechnung getragen wird. Besondere Aufmerksamkeit sollte den besonderen Bedürfnissen von schutzbedürftigen Menschen und Kindern – insbesondere unbegleiteten Minderjährigen und Waisen – auf der Grundlage des Grundsatzes des Kindeswohls gewidmet werden.
Familienmitglieder mit Anspruch auf vorübergehenden Schutz und andere Möglichkeiten der Familienzusammenführung
Angesichts der Bedeutung der Wahrung des Familienverbands und zur Vermeidung unterschiedlicher Rechtsstellungen von Angehörigen derselben Familie fallen Familienmitglieder von Personen nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b ebenso in den Anwendungsbereich des Ratsbeschlusses, wenn sich ihre Familien bereits vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben.
Die folgenden Personengruppen gelten als Familienangehörige im Sinne des Ratsbeschlusses:
a) |
der Ehegatte der Person, der vorübergehender Schutz gewährt wird, oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit dieser Person in einer dauerhaften Beziehung lebt, sofern nicht verheiratete Paare nach den nationalen ausländerrechtlichen Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verheirateten Paaren gleichgestellt sind; dies könnte anhand einschlägiger Registerdokumente und Zertifikate oder jeglicher anderen von den ukrainischen Behörden ausgestellten Dokumente belegt werden, auch anhand von Bescheinigungen einer Vertretung des Landes in diesem Mitgliedstaat; |
b) |
die minderjährigen ledigen Kinder der vorgenannten Person, der vorübergehender Schutz gewährt wird, oder ihres Ehegatten, gleichgültig, ob es sich um ehelich oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt, was durch Geburtsurkunden oder Ähnliches nachgewiesen werden könnte; |
c) |
andere enge Verwandte, die zum Zeitpunkt der den Massenzustrom von Vertriebenen auslösenden Umstände innerhalb des Familienverbands lebten und zu diesem Zeitpunkt für ihren Unterhalt vollständig oder größtenteils auf die vorgenannte Person, der vorübergehender Schutz gewährt wird, angewiesen waren, was anhand von Wohnbescheinigungen, Familienregisterauszügen und einschlägiger Pflegeleistungen nachgewiesen werden könnte. Die Mitgliedstaaten sollten „bei der Nutzung ihres Ermessensspielraums humanitären Gesichtspunkten Vorrang geben“ (5). |
Einige Bestimmungen der Richtlinie 2001/55/EG sind für Familienangehörige besonders relevant: So gilt Artikel 15 der Richtlinie 2001/55/EG über die Zusammenführung von Familienangehörigen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten vorübergehenden Schutz genießen (Absatz 2), die Berücksichtigung des Kindeswohls (Absatz 4), die Solidarität bei der Überstellung zum Zwecke der Familienzusammenführung (Absatz 5), die Ausstellung und der Entzug von Dokumenten nach der Zusammenführung (Absatz 6) und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch (Absätze 6 und 7).
Die Kommission betont, dass Familienangehörige von Staatenlosen und Staatsangehörigen anderer Drittländer als der Ukraine, die nachweisen können, dass sie vor dem 24. Februar 2022 aufgrund eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels ihren rechtmäßigen Aufenthalt in der Ukraine hatten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können, keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen nationalen Schutz nach dem Ratsbeschlusses haben. Wenngleich der Ratsbeschluss nicht festlegt, dass Familienangehörige der in Artikel 2 Absatz 2 genannten Personen vorübergehenden Schutz nach der Richtlinie 2001/55/EG oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht der Mitgliedstaaten genießen müssen, so ermutigt die Kommission die Mitgliedstaaten, die Anwendung des vorübergehenden Schutzes oder des angemessenen Schutzes nach nationalem Recht auf Familienangehörige dieser Personen auszuweiten.
Darüber hinaus könnten sowohl Personen, mit Anspruch auf vorübergehenden Schutz und jene ohne Anspruch darauf von folgenden Vorzügen profitieren:
— |
Familienzusammenführung nach Maßgabe der Richtlinie 2003/86/EG, wenn es sich um Familienangehörige eines Drittstaatsangehörigen mit rechtmäßigem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat handelt und sie die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen; |
— |
Rechte nach Maßgabe der Richtlinie 2004/38/EG, wenn es sich um Familienangehörige eines Unionsbürgers handelt, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. |
Der Erwerb von Rechten nach Maßgabe der Richtlinie 2003/86/EG, der Richtlinie 2004/38/EG oder nach nationalem Recht der betreffenden Mitgliedstaaten kann nicht den Verlust des vorübergehenden Schutzes für jene nach sich ziehen, die Anspruch darauf haben. Sofern die einschlägigen Bedingungen weiterhin erfüllt werden, dürften sich diese Personen mit Aufenthaltsrecht nach dem Ende des vorübergehenden Schutzes im Einklang mit Artikel 6 der Richtlinie 2001/55/EG weiterhin rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.
Personen, die gemäß dem Ratsbeschluss keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht haben, und Möglichkeit der Erweiterung des vorübergehenden Schutzes auf diese Personengruppe (Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie über vorübergehenden Schutz)
Die folgenden Kategorien von Vertriebenen haben im Prinzip keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz gemäß der Richtlinie 2001/55/EG oder angemessenem Schutz nach nationalem Recht:
(1) |
Ukrainische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden oder sich vor diesem Datum außerhalb der Ukraine befanden, beispielsweise aufgrund eines Arbeits- oder Studienaufenthalts, von Urlaub, eines Familienbesuchs oder Aufenthalt aus gesundheitlichen Gründen oder anderer Gründe; |
(2) |
Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und die vor dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden oder sich vor diesem Datum außerhalb der Ukraine befanden, beispielsweise aufgrund eines Arbeits-, Studienaufenthalts, Urlaub, Familienbesuch oder Aufenthalt aus gesundheitlichen Gründen oder aus anderen Gründen; |
(3) |
Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die nachweisen können, dass sie vor dem 24. Februar 2022 aufgrund eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels ihren rechtmäßigen Aufenthalt in der Ukraine hatten und sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren könnten. |
Darüber hinaus haben auch folgende Gruppen von Vertriebenen keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz nach Maßgabe der Richtlinie 2001/55/EG oder auf angemessenen Schutz nach nationalem Recht:
(4) |
Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 rechtmäßig in der Ukraine kurzfristig wohnhaft waren, wie Studenten und Arbeitnehmer, die nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können; |
(5) |
Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 rechtmäßig in der Ukraine kurzfristig wohnhaft sind, wie Studenten und Arbeitnehmer, die sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können; |
Nichtsdestotrotz können die Mitgliedstaaten im Einklang mit Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG den vorübergehenden Schutz nach Maßgabe der Richtlinie über die unter den Ratsbeschluss fallenden Kategorien hinaus auf zusätzliche Gruppen von Vertriebenen ausweiten, wenn diese aus denselben Gründen und aus demselben Herkunftsland oder derselben Herkunftsregion vertrieben wurden, und informieren den Rat und die Kommission unverzüglich davon. In Artikel 2 Absatz 3 des Ratsbeschlusses wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf andere Personen, darunter Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine verwiesen, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.
Im Einklang mit Erwägungsgrund 14 des Ratsbeschlusses ermutigt die Kommission die Mitgliedstaaten nachdrücklich, die Ausdehnung des vorübergehenden Schutzes insbesondere auf Personen in Erwägung zu ziehen, die nicht lange vor dem 24. Februar 2022 (unter Nummer 1 und 2 aufgeführte Personen), als die Spannungen zunahmen, aus der Ukraine geflohen sind oder die sich kurz vor diesem Zeitpunkt (z. B. im Urlaub oder zur Arbeit) im Gebiet der Union oder einem anderen Drittland befunden haben und die infolge des bewaffneten Konflikts nicht in die Ukraine zurückkehren können.
Denn diese Personen können angesichts der aktuellen Lage nicht in die Ukraine als ihr Herkunftsland oder Zufluchtsland in die Ukraine zurückkehren. Die Alternative besteht darin, ihnen sofortigen Zugang zu Asylverfahren zu gewähren und ihre Fälle vorrangig zu behandeln, da diese Menschen ebenso wie die Ukrainer, die am 24. Februar geflohen sind, unmittelbaren Schutz benötigen.
Die Gewährung von vorübergehendem Schutz wäre angesichts des einfachen Verfahrens auch zum Vorteil der Mitgliedstaaten, weil damit das Risiko der Überlastung des Asylsystems weiter verringert würde.
Des Weiteren könnten die Mitgliedstaaten in Bezug auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels (unter Nummer 3 aufgeführte Personen) wie vorgenannt (siehe Abschnitt „sicher und dauerhaft“) rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, die Auffassung vertreten, dass diese Personen dem Anschein nach eine sinnvollere Bindung zur Ukraine haben als zu ihrem Herkunftsland oder ihrer Herkunftsregion und damit die Ukraine ihre Heimat ist. Dies gilt umso mehr für Staatenlose, die per se kein Herkunftsland haben, in das sie zurückkehren können.
In jedem Fall sollten Personen wie in Erwägungsgrund 13 erwähnt, die keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht haben und die sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können, von der Union aufgenommen werden, selbst wenn sie nicht alle Einreisevoraussetzungen nach Maßgabe des Schengener Grenzkodex erfüllen, um eine sichere Durchreise im Hinblick auf die Rückkehr in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zu gewährleisten. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, im Hinblick auf die sichere Rückkehr von Drittstaatsangehörigen proaktiv mit den betreffenden Drittstaaten zusammenzuarbeiten. Dies berührt nicht das Recht von Personen, die nicht in den Anwendungsbereich des Ratsbeschlusses fallen, auf Zugang zum Asylverfahren.
Die Mitgliedstaaten sollten den Rat und die Kommission im Einklang mit Artikel 7 der Richtlinie 2001/55/EG unverzüglich informieren, wenn sie die Anwendung des vorübergehenden Schutzes über den vom Ratsbeschluss vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus ausdehnen. Die Kommission ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten der Kommission über THEMIS/Richtlinien informieren sollten, da dies der offizielle Kanal für die Übermittlung der Umsetzungsvorschriften ist.
Personen, die von vorübergehendem Schutz ausgeschlossen werden können (Artikel 28 der Richtlinie über vorübergehenden Schutz)
Die Mitgliedstaaten können Vertriebene vom vorübergehenden Schutz ausschließen, wenn sie schwerwiegende Gründe zu der Annahme haben, dass eine Person ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats vor der Aufnahme durch diesen Mitgliedstaat als eine Person mit vorübergehendem Schutz begangen hat, oder eine Person sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.
Die Mitgliedstaaten können einen Vertriebenen auch vom vorübergehenden Schutz ausschließen, wenn triftige Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die betreffende Person eine Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats oder eine Gefahr für die Allgemeinheit im Aufnahmemitgliedstaat darstellt.
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten nachdrücklich, vor der Ausstellung eines Aufenthaltstitels für Personen, die vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht genießen, die einschlägigen internationalen, EU- und nationalen Datenbanken zu konsultieren, insbesondere die Ausschreibungen zu Personen, und Dokumente im Schengener Informationssystem (SIS), um die erforderlichen Sicherheitskontrollen durchführen zu können (weitere Einzelheiten siehe Abschnitt 4).
Kinder
Schätzungen zufolge machen Kinder (Personen unter 18 Jahren) mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus, die die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 aufgrund des Krieges verlassen hat (6). Im Einklang mit der Mitteilung „Schutz minderjähriger Migranten“ von 2017 (7) gebührt dem Schutz der aus der Ukraine ankommenden minderjährigen Migranten Priorität. Die Empfehlungen, die die Kommission in diesem Zusammenhang abgegeben hat, um den Schutz aller minderjährigen Migranten unabhängig von ihrem Status zu verstärken, bleiben auch angesichts der Ukraine-Krise gültig.
Es gilt sicherzustellen, dass allen vor dem Ukraine-Konflikt fliehenden Kindern uneingeschränkter Schutz und rascher Zugang zu ihren spezifischen Rechten (auf Bildung und Gesundheitsfürsorge einschließlich Vorsorge und psychosozialer Betreuung) sowie zu allen erforderlichen Unterstützungsdiensten gewährt wird, um das Kindeswohl zu wahren (8). Die Meinung der Kinder muss je nach Alter und Reifegrad angehört und berücksichtigt werden. Es sollte ein integriertes Vorgehen zum Schutz von Kindern gewährleistet werden, das die Zusammenarbeit und Koordinierung der zuständigen Behörden einschließt.
Spezifische Hindernisse, mit denen minderjährige Migranten häufig konfrontiert sind (z. B. Sprachbarrieren) und die den Zugang zu angemessenem Wohnraum, hochwertiger Bildung und anderen sozialen Diensten erschweren, sollten gebührend berücksichtigt und angegangen werden.
Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, dafür zu sorgen, dass alle Kinder in kind-, alters- und kontextgerechter Weise über die Situation, ihre Rechte und die für ihren Schutz zur Verfügung stehenden Verfahren und Dienste informiert werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem dafür Sorge tragen, dass alle Personen, die mit den Kindern – ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft an den EU-Grenzen – arbeiten, entsprechend geschult sind und dass erforderlichenfalls Kinderschutzfachkräfte hinzugezogen werden.
Vorrangige Erwägung bei allen die Kinder betreffenden Entscheidungen und Maßnahmen muss der Grundsatz des Kindeswohls sein.
Die Situation unbegleiteter und von ihren Familien getrennter Kinder oder von Waisenkindern wird in Abschnitt 5 ausführlicher behandelt.
Zugang Minderjähriger zu Bildung (Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie über vorübergehenden Schutz)
Gemäß Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG gewähren die Mitgliedstaaten Personen unter 18 Jahren, die vorübergehenden Schutz genießen, in gleicher Weise wie ihren eigenen Staatsangehörigen und EU-Bürgern Zugang zu ihrem Bildungssystem. Die Mitgliedstaaten können den Zugang auf das öffentliche Bildungssystem begrenzen. Die Kommission ist der Auffassung, dass dies auch für Minderjährige gilt, die im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses einen angemessenen Schutz nach nationalem Recht genießen. Erforderlichenfalls sind Dokumente zu berücksichtigen, die das in der Ukraine erlangte Bildungsniveau belegen (z. B. Abschluss der Sekundarschule, Niveau A1 in Englisch usw.).
Die Kommission empfiehlt, Unterstützungsmaßnahmen (z. B. Vorbereitungskurse) für Kinder anzubieten, um diesen den Zugang zum und die Teilnahme am Bildungssystem zu erleichtern. Solche Unterstützungsmaßnahmen umfassen die Förderung des Erwerbs von Kenntnissen der Sprache des Aufnahmelandes (in der Regelschule oder in Vorbereitungskursen, die einen raschen Übergang in die Regelschule ermöglichen), die Bewertung des Kompetenzniveaus der Schüler, die Beratung von Schülern und Eltern über das Aufnahmeland, psychologische Unterstützung sowie Unterstützung für Lehrkräfte und andere Bildungsfachkräfte bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Minderjährigen sollte so rasch wie praktisch möglich Zugang zu Bildung gewährt werden, wenn feststeht, dass sie die Voraussetzungen für einen vorübergehenden Schutz oder einen angemessenen Schutz nach nationalem Recht erfüllen. Dies gilt auch, wenn das Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels noch nicht abgeschlossen ist. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann anhand von Ausweisdokumenten der Minderjährigen oder anderer amtlicher Dokumente, die zum Nachweis der Identität vorgelegt werden können, nachgewiesen werden.
Ebenso rät die Kommission, auch unbegleiteten Minderjährigen so rasch wie möglich den Zugang zu Bildung zu erleichtern, selbst wenn etwaige Verfahren zur Bestellung eines Vormunds oder Vertreters und zur Bestimmung der Art der Betreuung, auf die das Kind Anspruch hat, noch nicht abgeschlossen sind.
Die Mitgliedstaaten sollten zudem den Zugang zu frühkindlicher Erziehung, Bildung und Betreuung sowie zu beruflicher Bildung unter den gleichen Bedingungen wie für ihre eigenen Staatsangehörigen und andere Unionsbürger unterstützen. Insbesondere in Mitgliedstaaten, in denen ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung besteht oder in denen die Teilnahme an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung obligatorisch ist, sollte der Zugang zu frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung gemäß dem Ratsbeschluss unter den gleichen Bedingungen wie für Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats gewährt werden.
2. DAS RECHT AUF FREIZÜGIGKEIT
Das Recht auf Umzug in einen anderen Mitgliedstaat vor Ausstellung des Aufenthaltstitels
Damit die Mitgliedstaaten, in denen die Personen, die nach nationalem Recht Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz haben, ihre Rechte in Anspruch nehmen wollen, geeignete Vorkehrungen treffen können, empfiehlt die Kommission, dass die Behörden des Mitgliedstaats der ersten Einreise alle Personen, die in einen anderen Mitgliedstaat umziehen möchten, um Angabe des betreffenden Mitgliedstaats bitten. Zweck dieser Frage sollte sein, einen Hinweis darauf zu erhalten, wie viele Personen in welche Mitgliedstaaten umzuziehen gedenken. Die gesammelten Informationen (voraussichtliche Zahl der in die einzelnen Mitgliedstaaten weiterziehenden Personen) sollten von den Mitgliedstaaten der ersten Einreise anonym über das Blueprint-Netz übermittelt werden.
Ukrainische Staatsangehörige, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, oder andere Drittstaatsangehörige, die für die Einreise in die Union kein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt benötigen, haben das Recht, sich im Schengen-Raum frei zu bewegen, nachdem sie innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen für 90 Tage in das Hoheitsgebiet zugelassen wurden. Sie können mithin in den Mitgliedstaat einreisen, in dem sie die mit dem vorübergehenden Schutz verbundenen Rechte in Anspruch nehmen wollen, und ihrer Familie und ihren Freunden in den großen ukrainischen Diaspora-Netzen nachziehen, die derzeit in der Union bestehen.
In Bezug auf Personen, die nicht von der Visumpflicht befreit sind (weil sie beispielsweise nicht im Besitz eines biometrischen Reisepasses sind), die weder Inhaber eines Visums für einen kurzfristigen Aufenthalt noch eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt oder eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, und die nach nationalem Recht Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz haben, erinnert die Kommission daran, dass die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 2001/55/EG Personen, die nach nationalem Recht Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz haben, jede Hilfe zur Erlangung der erforderlichen Visa (einschließlich Transitvisa) gewähren müssen. Die Formalitäten sind angesichts der Dringlichkeit der Lage auf das Mindestmaß zu begrenzen. Für den Fall, dass die Person ihre Rechte in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der ersten Einreise in Anspruch nehmen möchte, empfiehlt die Kommission, dass der Mitgliedstaat der ersten Einreise an der Grenzübergangsstelle (oder, um Überlastungen zu vermeiden, an einem Ort im Inland) ein Visum für einen Aufenthalt von höchstens 15 Tagen (gemäß Artikel 35 Absatz 3 des Visakodex (9)) erteilt. Somit kann sich die betreffende Person im Schengen-Raum bewegen (10). Die Gültigkeitsdauer eines für 15 Tage gültigen, auf der Grundlage von Artikel 35 des Visakodex an der Grenze oder in der Nähe einer Grenzübergangsstelle erteilten Visums kann bei Bedarf verlängert werden (vergleiche Artikel 33 des Visakodex). Alle Daten im Zusammenhang mit der Beantragung und Erteilung eines solchen Visums sind gemäß den geltenden Vorschriften im Visa-Informationssystem (VIS) zu erfassen (11). Die Kommission empfiehlt, für derartige Visa keine oder nur minimale Gebühren zu erheben.
Wenn eine Person, die nach nationalem Recht Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz hat, an der Grenze eines EU-Mitgliedstaats ankommt, der den Schengen-Besitzstand nicht vollständig anwendet und daher keine Schengen-Visa ausstellt, und sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben möchte, um von ihren Rechten Gebrauch zu machen, können verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen werden: Mitgliedstaaten, die den Schengen-Besitzstand vollständig anwenden, können in ihren Konsulaten in Mitgliedstaaten, die den Schengen-Besitzstand nicht vollständig anwenden, Schengen-Visa ausstellen. Sie könnten auch den Personen, die nach nationalem Recht Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz haben, bei ihrer Ankunft in dem betreffenden Mitgliedstaat Schengen-Visa ausstellen.
In Übereinstimmung mit den operativen Leitlinien für das Außengrenzenmanagement (12) empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, keine finanziellen Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen zu verhängen, die Personen befördern, welche ein Recht auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen nationalen Schutz haben, aus einem anderen Mitgliedstaat kommen und nicht im Besitz eines für die Einreise in den Bestimmungsmitgliedstaat erforderlichen Visums sind. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die Luftfahrtunternehmen darüber informiert werden.
Generell empfiehlt die Kommission, in Fällen, in denen die betreffende Person nicht im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, die Verwendung des in Anhang I der Richtlinie 2001/55/EG enthaltenen Musterformulars für die Überstellung auszuweiten, auf dem der Mitgliedstaat der ersten Einreise den Mitgliedstaat angeben kann, in den die betreffende Person reisen möchte, um die mit dem vorübergehenden Schutz verbundenen Rechte in Anspruch zu nehmen.
Zudem können die Mitgliedstaaten, um die Unterstützung bei der Überstellung von Personen zu koordinieren, welche nicht über die Mittel verfügen, um in den Mitgliedstaat zu reisen, in dem sie von ihrem Recht auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen nationalen Schutz Gebrauch machen möchten, auf die Solidaritätsplattform zurückgreifen. Personenbezogene Daten sollten gleichwohl nur über den sicheren DubliNet-Kommunikationskanal ausgetauscht werden.
Das Recht, sich nach der Erteilung des Aufenthaltstitels frei in der Union zu bewegen
Sobald ein Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2001/55/EG erteilt hat, hat die Person, die vorübergehenden Schutz genießt, das Recht, binnen eines Zeitraums von 180 Tagen für 90 Tage in andere Mitgliedstaaten zu reisen. Zieht eine solche Person anschließend in einen anderen Mitgliedstaat um, wo ihr ein weiterer Aufenthaltstitel im Rahmen des vorübergehenden Schutzes ausgestellt wird, müssen der erste ausgestellte Aufenthaltstitel und die damit verbundenen Rechte gemäß Artikel 15 Absatz 6 und Artikel 26 Absatz 4 der Richtlinie 2001/55/EG eingezogen werden bzw. erlöschen.
Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten, die die Haupteinreiseländer für den Massenzustrom von vor dem Krieg flüchtenden Vertriebenen aus der Ukraine sind, welche unter den Ratsbeschluss fallen, und zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen auf alle Mitgliedstaaten sind die Mitgliedstaaten übereingekommen, Artikel 11 der Richtlinie 2001/55/EG in Bezug auf Personen, die in einem gegebenen Mitgliedstaat gemäß dem Ratsbeschluss vorübergehenden Schutz genießen und sich ohne Genehmigung in einen anderen Mitgliedstaat begeben haben, nicht anzuwenden, es sei denn, die Mitgliedstaaten beschließen auf der Grundlage einer bilateralen Vereinbarung etwas anderes (13).
3. REGISTER DER PERSONENBEZOGENEN DATEN (ARTIKEL 10 DER RICHTLINIE ÜBER VORÜBERGEHENDEN SCHUTZ)
Die Mitgliedstaaten sind nach Artikel 10 der Richtlinie 2001/55/EG verpflichtet, zu den Personen, die in ihrem Hoheitsgebiet vorübergehenden Schutz genießen, ein Register der personenbezogenen Daten (Name, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum und -ort, Familienstand und Verwandtschaftsverhältnis) zu erstellen. Wenn dies nicht bereits geschehen ist, sollten die Mitgliedstaaten bei ihren Kontrollen und Untersuchungen die einschlägigen internationalen, EU-eigenen und nationalen Datenbanken konsultieren, insbesondere die Personen- und Dokumentenausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS).
Gemäß der bestehenden Rechtsgrundlage dürfen weder Eurodac noch andere IT-Großsysteme und -Datenbanken der EU für die Registrierung von Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, verwendet werden. Daher rät die Kommission den Mitgliedstaaten, diese Personen unter vollständiger Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung in ihren nationalen Ausländerregistern oder in anderen nationalen Registern zu registrieren. Dabei sollten die Mitgliedstaaten keine anderen personenbezogenen Daten als die in Anhang II der Richtlinie 2001/55/EG aufgeführten Daten erfassen.
Aufgrund der Herausforderung, dass nur mit nationalen Datenbanken gearbeitet werden kann, ist es nur in begrenztem Maße möglich, Informationen auszutauschen, um beispielsweise nachzuverfolgen und in Erfahrung zu bringen, ob ein und dieselbe Person in mehr als einem Mitgliedstaat mit dem vorübergehenden Schutz verbundene Rechte in Anspruch nimmt. Die Kommission ist bereit, mit Unterstützung vonseiten der Asylagentur der Europäischen Union mit den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung dieser Herausforderung zusammenzuarbeiten und zu diesem Zweck beispielsweise eine Plattform für den Informationsaustausch bereitzustellen.
Wenn es erforderlich ist, Informationen über bestimmte, gemäß Anhang II der Richtlinie 2001/55/EG registrierte Personen für die Zwecke der Richtlinie (z. B. im Falle der Familienzusammenführung oder falls in einem Fall weitere Nachforschungen erforderlich sind) mit anderen Mitgliedstaaten auszutauschen, können diese Daten über den sicheren DubliNet-Kommunikationskanal ausgetauscht werden.
4. AUFENTHALTSTITEL (ARTIKEL 8 DER RICHTLINIE ÜBER VORÜBERGEHENDEN SCHUTZ)
Gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG müssen die Mitgliedstaaten Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, mit einem Aufenthaltstitel für die gesamte Dauer des Schutzes ausstatten und ihnen entsprechende Dokumente oder andere gleichwertige Nachweise ausstellen. Der durch den Ratsbeschluss eingeführte vorübergehende Schutz gilt gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG ein Jahr ab dem Inkrafttreten des Ratsbeschlusses, also vom 4. März 2022 bis zum 4. März 2023.
Danach würde der Aufenthaltstitel als Statusnachweis bei anderen Behörden (Arbeitsämter und Verwaltungen, Schulen, Krankenhäuser usw.) dienen. Die Kommission weist darauf hin, dass es sich bei der Gültigkeitsdauer dieser Aufenthaltstitel um einen objektiven Zeitraum handelt, der unabhängig vom jeweiligen Ausstellungsdatum am 4. März 2023 endet. Ablaufdatum hat daher bei allen gemäß dem Ratsbeschluss ausgestellten Aufenthaltstiteln – in Übereinstimmung mit Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG – der 4. März 2023 zu sein.
Wenn bis dahin nicht auf Vorschlag der Kommission ein einschlägiger Beschluss des Rates zur Beendigung des vorübergehenden Schutzes erlassen wird, verlängert sich dieser Schutz automatisch um sechs Monate (bis zum 4. September 2023) und danach erneut um sechs Monate (bis zum 4. März 2024). Während dieser Zeiträume würde auch die Pflicht zur Ausstellung bzw. Verlängerung der Aufenthaltstitel weiterbestehen. Um den Verwaltungsaufwand für die Verlängerung der Aufenthaltstitel zu verringern, können die Mitgliedstaaten den Aufenthaltstitel (in dem Bewusstsein, dass der vorübergehende Schutz gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie jederzeit beendet werden kann) bereits für zwei Jahre erteilen. Falls die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen, müssen sie die Aufenthaltstitel zweimal um sechs Monate verlängern.
Falls jedoch der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen würde, den vorübergehenden Schutz gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2001/55/EG vor Ablauf dieser Zeiträume zu beenden, würden die ausgestellten Aufenthaltstitel ungültig (da sie nur deklaratorische Bedeutung haben und im Gegensatz zu dem einschlägigen Ratsbeschluss keine Rechte begründen) und müssten eingezogen werden. Die Mitgliedstaaten sollten in diesem Fall über ihre nationalen Verfahren und Kanäle publik machen, dass alle im Rahmen des vorübergehenden Schutzes ausgestellten Aufenthaltstitel zu dem betreffenden Zeitpunkt ungültig geworden sind.
Für die Gewährung von Rechten im Zusammenhang mit dem vorübergehenden Schutz oder dem angemessenen Schutz nach nationalem Recht empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, gegebenenfalls die Eröffnung eines Bankkontos und den Zugang zu einschlägigen Dienstleistungen auf der Grundlage eines Ausweisdokuments oder einer gleichwertigen von den Mitgliedstaaten akzeptierten Identifizierungsmöglichkeit und des Nachweises der Einreise in die EU am oder nach dem 24. Februar 2022 zu erleichtern, auch wenn das Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels noch nicht abgeschlossen ist.
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten nachdrücklich, vor der etwaigen Ausstellung eines Aufenthaltstitels für Personen, die vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht genießen, bei ihren Kontrollen und Untersuchungen die einschlägigen internationalen, EU-eigenen und nationalen Datenbanken zu konsultieren, insbesondere die Personen- und Dokumentenausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS).
Daten über Schleuser, Menschenhändler und andere Personen, die schwere Straftaten begangen haben, sowie über etwaige Mittäter sollten von den Mitgliedstaaten so rasch wie möglich in das SIS eingegeben werden. Die Ergebnisse der Kontrollen hängen von der Qualität der von den ausschreibenden Mitgliedstaaten eingegebenen Daten ab. Daher möchte die Kommission die ausstellenden Mitgliedstaaten daran erinnern, alle sachdienlichen Daten, die verfügbar sind, einzugeben. Das System gibt den ausschreibenden Mitgliedstaaten die Möglichkeit, operativ miteinander zusammenhängende Ausschreibungen miteinander zu verknüpfen. Daher werden die ausschreibenden Mitgliedstaaten zudem ermutigt, alle bestehenden Funktionen des SIS optimal zu nutzen. In den kommenden Monaten (d. h. im Laufe des Jahres 2022) wird das erneuerte SIS seinen Betrieb aufnehmen. Die Kommission erwartet, dass die Mitgliedstaaten seine neuen Funktionen rasch implementieren und optimal nutzen werden.
5. UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE (ARTIKEL 16 DER RICHTLINIE ÜBER DEN VORÜBERGEHENDEN SCHUTZ)
Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine erlebt Europa eine beispiellose Welle der Solidarität mit Menschen, und insbesondere Kindern, die aus der Ukraine fliehen. Europäische Familien, Einzelpersonen oder Vereinigungen reisen an die EU-Grenze zur Ukraine, um sich um ukrainische Kinder zu kümmern, deren Eltern in der Ukraine verblieben sind.
Die Kommission weist darauf hin, dass bei der Anwendung der rechtlichen Garantien für unbegleitete Minderjährige und von ihren Eltern getrennte Kinder stets ein ausgewogenes Verhältnis anzustreben ist zwischen dem Maß an Flexibilität, das nötig ist, um Solidarität wirksam funktionieren zu lassen, und der Notwendigkeit, die grundlegenden Garantien für unbegleitete Minderjährige zu respektieren und ihren Schutz in vollem Umfang zu gewährleisten.
Das Leisten von Solidarität berührt nicht die Verpflichtung der Behörden der Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung der Richtlinie 2001/55/EG und des Ratsbeschlusses die spezifischen Anforderungen der Richtlinie und des Artikels 24 der Charta einzuhalten. Gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 2001/55/EG müssen die Mitgliedstaaten für unbegleitete Minderjährige, die in ihrem Hoheitsgebiet vorübergehenden Schutz genießen, so bald wie möglich einen Vormund/gesetzlichen Vertreter bestimmen; erforderlichenfalls kann bis zur Bestellung des ständigen Vormunds auch ein vorläufiger Vormund bestellt werden oder wird die Vertretung von einer Organisation, die für die Betreuung und das Wohlergehen von Minderjährigen zuständig ist, oder von einer anderen geeigneten Instanz übernommen.
Die Vertretung kann durch einen gesetzlichen Vormund, durch eine Organisation, die für die Betreuung und das Wohlergehen von Minderjährigen zuständig ist, oder durch eine andere geeignete Instanz übernommen werden. „Geeignete Instanz“ müssen nach Auffassung der Kommission im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen geeignet und insbesondere in der Lage sein, das Wohl des Kindes zu beurteilen und in dessen Sinne zu handeln. Die Vertretung dürfen nur Personen übernehmen, die keine Straftaten zulasten von Kindern begangen haben („Überprüfung des Strafregisters“).
Für die Vertretung muss so bald wie möglich im Mitgliedstaat der ersten Einreise gesorgt werden. Das heißt, dass bei Entscheidungen über Kinder, die im Interesse des Kindeswohls zu treffen sind, gewährleistet sein muss, dass zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens Vertreter der Kinderschutzdienste oder erforderlichenfalls Einzelpersonen oder Organisationen, die im Namen der Kinderschutzdienste handeln, anwesend sind. Diese Vertreter brauchen nicht für jeden einzelnen unbegleiteten Minderjährigen bestellt werden; ein allgemeines Mandat zur Unterstützung bei Bedarf dürfte ausreichen, um sicherzustellen, dass dem Wohl der unbegleiteten Minderjährigen Rechnung getragen wird.
Im Falle von
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unbegleiteten Minderjährigen, die ihre Reise in Richtung eines anderen Mitgliedstaats fortsetzen, um mit einem Familienangehörigen im Sinne von Artikel 15 der Richtlinie 2001/55/EG zusammengeführt zu werden, oder |
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unbegleiteten Minderjährigen, um die sich nicht mit ihnen verwandte Personen (die sie bereits während der bisherigen Reise begleitet haben) oder öffentliche oder private Organisationen aus anderen Mitgliedstaaten, in denen sie versorgt werden sollen, kümmern, |
sollte der Mitgliedstaat der ersten Einreise mindestens sicherstellen, dass
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seine zuständigen Behörden im Einklang mit dem nationalen Recht die Identität der Kinder und der Erwachsenen, mit denen die Kinder ihre Reise fortsetzen, sowie den angegebenen Bestimmungsmitgliedstaat registrieren, bevor das Kind/die Kinder und die begleitenden Erwachsenen die Reise fortsetzen; |
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zum Zeitpunkt der oben genannten Registrierung zügige Kontrollen vorgesehen und durchgeführt werden, um mögliche Fälle oder die Gefahr von Missbrauch oder Menschenhandel zu verhindern und aufzudecken. Bei Verdacht auf Menschenhandel sollten die Mitgliedstaaten eine präventive Warnung im Schengener Informationssystem vornehmen; |
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zum Zeitpunkt der oben genannten Registrierung – wie im vorstehenden Absatz beschrieben – ein Vertreter der Kinderschutzdienste anwesend ist. |
Die Mitgliedstaaten sollten umgehend Verfahren zur Ermittlung von möglicherweise in anderen EU-Mitgliedstaaten aufhältigen Familienangehörigen im Sinne von Artikel 15 der Richtlinie 2001/55/EG und im Falle, dass solche Personen ermittelt wurden, Verfahren zur Zusammenführung mit den Familienangehörigen einleiten.
Unbegleitete Minderjährige mit Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat, die ebenfalls vorübergehenden Schutz genießen, sollten gemäß den Bestimmungen der Artikel 15 und 26 der Richtlinie 2011/95/EG mit diesen Familienangehörigen zusammengeführt werden, wobei unter Berücksichtigung von Alter und Reife der Kinder und unter Berücksichtigung des Wohls der Kinder auch deren Wünsche zu berücksichtigen sind. Unbegleitete Minderjährige mit Familienangehörigen, die nach einer anderen rechtlichen Regelung in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, können im Einklang mit anderen gegebenenfalls relevanten Instrumenten des Unionsrechts (z. B. Richtlinie 2003/86/EG, Richtlinie 2004/38/EG, Verordnung (EU) 604/2013) oder auf der Grundlage des nationalen Rechts mit ihnen zusammengeführt werden. Die Verfahren zur Familienzusammenführung sollten unbeschadet der Möglichkeit gelten, dass Familienangehörige der betreffenden Kinder in den Mitgliedstaat der ersten Einreise kommen können, um sie dort abzuholen, sowie unbeschadet anderer Vereinbarungen, die im Rahmen der Solidaritätsplattform vereinbart wurden.
Den Bestimmungsmitgliedstaaten empfiehlt die Kommission die Einrichtung eines zügigen Verfahrens für die Registrierung anwesender unbegleiteter Minderjähriger, die in ihrem Hoheitsgebiet bleiben, und die schnellstmögliche Einleitung der Verfahren für die Bestellung des Vormunds/gesetzlichen Vertreters und für die Betreuung der Kinder im Einklang mit dem nationalen Recht, vorbehaltlich der im nationalen Recht vorgesehenen Prüfungen wie die Bewertung des Wohls des Kindes und die Überprüfung des Strafregisters der beteiligten Erwachsenen im Hinblick auf jegliche frühere Straftaten zulasten von Kindern.
Die Verfahren für die Betreuung der Kinder können getrennt von den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren für die Bestellung der Vormunde/gesetzlichen Vertreter für dieselben Kinder erfolgen. Die Vormundschaft/gesetzliche Vertretung kann gemäß Artikel 16 der Richtlinie erforderlichenfalls auch durch eine Organisation, die für die Betreuung und das Wohlergehen von Minderjährigen zuständig ist, oder durch eine andere geeignete Instanz übernommen werden. Pflegefamilien und Gemeinschaften/Organisationen, die nach nationalem Recht mit der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger, die vorübergehenden Schutz genießen, betraut sind, sollten entsprechend dem nationalen Recht des Aufnahmemitgliedstaats Familien- und Unterstützungszulagen für die aufgenommenen Kinder erhalten.
Gemäß Artikel 16 Absatz 2 der Richtlinie 2001/55/EG sorgen die Mitgliedstaaten während der Dauer des vorübergehenden Schutzes für die Unterbringung der unbegleiteten Minderjährigen bei volljährigen Verwandten oder in einer Pflegefamilie oder in Aufnahmezentren mit speziellen Einrichtungen für Minderjährige oder anderen Unterkünften mit geeigneten Einrichtungen für Minderjährige. Dies gilt sowohl für den Mitgliedstaat der ersten Einreise als auch für die Mitgliedstaaten, in die unbegleitete Minderjährige gegebenenfalls überstellt werden.
Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass eine solche Unterbringung möglich ist. Dazu gehört es, je nach Alter und Reife der Kinder auch deren Wünsche zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass die gewählte Unterbringungsform für die Kinder geeignet ist und ihrem Wohl dient. Die Mitgliedstaaten müssen gegebenenfalls auch die Zustimmung der betroffenen Erwachsenen zur Unterbringung des/der unbegleiteten Minderjährigen einholen.
Für unbegleitete Minderjährige, die nicht unter den beiden oben beschriebenen Umständen ihre Reise in einen anderen Mitgliedstaat fortsetzen, sollte der Mitgliedstaat der ersten Einreise neben der Bestellung eines Vormunds/gesetzlichen Vertreters dafür sorgen, dass diese Kinder so bald wie möglich über eine geeignete Unterkunft verfügen (14) (vorzugsweise Alternativen zur Heimunterbringung wie Pflegefamilien oder gemeindenahe Betreuung, teilweise unabhängige Unterkünfte für Jugendliche über 16 Jahren usw.), Zugang zu Aus- und Fortbildung und/oder beruflicher Fortbildung, zu Gesundheitsversorgung (einschließlich Gesundheitsvorsorge und psychischer Gesundheitsfürsorge) und zu psychosozialer Hilfe haben.
Unbegleitete Minderjährige, die unter einem der oben genannten Umstände aufgenommen wurden und danach ihre Reise nicht fortsetzen, können gemäß Artikel 26 der Richtlinie 2001/55/EG dennoch in den Mitgliedstaat überstellt werden, der nach einer im Mitgliedstaat der ersten Einreise vorzunehmenden Prüfung des Kindeswohls als am besten geeignet erachtet wird, das Kind zu übernehmen.
Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, durch entsprechende Zusammenarbeit den grenzüberschreitenden Austausch von Informationen und Daten über unbegleitete Minderjährige, die Grenzen zwischen EU-Mitgliedstaaten überschreiten, zu erleichtern.
Wie oben erwähnt, ermutigen wir die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Kontrollen durchzuführen und das Schengener Informationssystem bestmöglich zu nutzen. Der erneuerte SIS wird, sobald er in Betrieb genommen ist, die Möglichkeit bieten, nicht nur „reaktive“ Ausschreibungen zu vermissten Kindern einzugeben, sondern auch „präventive“ Ausschreibungen zu
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von Entführung bedrohten Kindern; |
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Kindern, die Gefahr laufen, illegal ins Ausland verbracht zu werden, oder die zu ihrem eigenen Schutz an der Reise gehindert werden müssen; |
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schutzbedürftigen Erwachsenen, die Gefahr laufen, illegal ins Ausland verbracht zu werden, oder die zu ihrem eigenen Schutz an der Reise gehindert werden müssen; |
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der Erhebung von Informationen über Personen oder Gegenstände im Rahmen von Ermittlungen (Ermittlungsanfragen) und |
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unbekannten gesuchten Personen, die mithilfe von Fingerabdrücken, die am Tatort schwerer Straftaten gefunden wurden, identifiziert werden sollen. |
6. MENSCHENHANDEL
Die Richtlinie 2011/36/EU („Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels“) (15) und die Rechtsvorschriften zu ihrer Umsetzung in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten sind auf die Situation von Personen, die aus der Ukraine fliehen, anwendbar, sofern die in diesen Rechtsinstrumenten festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels umfassen Maßnahmen zur Verringerung des Risikos und der Nachfrage nach allen Formen der Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel.
Die meisten Menschen, die aus der Ukraine fliehen, sind Frauen und Kinder. Menschenhändler, und vor allem organisierte kriminelle Gruppen, könnten ihre Schutzbedürftigkeit für alle Formen der Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel, insbesondere für Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder der Ausbeutung der Arbeitskraft, ausnutzen. Die Mitgliedstaaten werden nachdrücklich aufgefordert, angemessene Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, die auf Personen abgestimmt sind, die aus der Ukraine fliehen. Dies können z. B. Informationen über die Risiken des Menschenhandels sein, die in einer Sprache, die Personen aus der Ukraine verstehen können, und – im Falle unbegleiteter Minderjähriger – in kindgerechter und altersgerechter Weise an Grenzübergangsstellen und in Unterkünften bereitgestellt werden und die sich auch an die zuständigen Behörden und Organisationen der Zivilgesellschaft, die mit diesen Personen voraussichtlich in Kontakt kommen, richten. Solche Informationen sollten auch online verfügbar sein und die Nummer einer Notruf-Hotline angeben, die rund um die Uhr in mehreren Sprachen erreicht werden kann.
Eine zentrale Rolle spielt auch die Sensibilisierung der Fachleute, die mit potenziellen Opfern von Menschenhandel und mit den Aufnahmegemeinschaften wahrscheinlich in Kontakt kommen. Besondere Aufmerksamkeit sollte unbegleiteten Minderjährigen gelten, die aufgrund ihrer Situation noch schutzbedürftiger sind. Kinderbetreuungseinrichtungen (z. B. Waisenhäuser, Schulen, Pflegeheime) sollten über die Risiken des Menschenhandels und die in solchen Fällen zu befolgenden Verfahren besonders gründlich informiert werden.
Angemessene Fortbildungsmaßnahmen und Anweisungen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Grenzbehörden werden diese in die Lage versetzen, ihr Augenmerk auf besonders schutzbedürftige Kategorien von Personen, die aus der Ukraine fliehen, zu richten, um Menschenhandel zu verhindern und potenzielle Opfer frühzeitig zu erkennen. Zu diesem Zweck sollten auch Notruf-Hotlines eingerichtet werden, die rund um die Uhr in mehreren Sprachen kontaktiert werden können, um den zuständigen Behörden einschlägige Fälle zu melden und Opfer an geeignete Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzdienste zu verweisen.
Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass ihre nationalen Verweismechanismen voll funktionsfähig sind, um die frühzeitige Erkennung, Unterstützung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels zu verbessern. Die Zusammenarbeit zwischen den Asyl-, Grenz-, Strafverfolgungs- und Justizbehörden sollte sowohl intern als auch extern mit anderen Mitgliedstaaten sichergestellt werden. Informationen über grenzüberschreitende Fälle sollten über die Kanäle der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit der EU, einschließlich Europol und Eurojust, ausgetauscht werden.
Die nationalen Behörden werden im Interesse einer frühzeitigen Erkennung, Unterstützung und Betreuung der Opfer nachdrücklich aufgefordert, mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Werden konkrete Fällen von Menschenhandel aufgedeckt, sollten die Opfer Unterstützung, Betreuung und Schutz gemäß der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels erhalten, sobald die Behörden berechtigte Gründe für die Annahme haben, dass die Person ausgebeutet wurde und bedingungslos bereit ist, an strafrechtlichen Ermittlungen, Strafverfolgungen oder Gerichtsverfahren mitzuwirken. Dabei sollten mindestens Lebensstandards gewährleistet werden, die den Unterhalt der Opfer sichern, indem z. B. eine angemessene und sichere Unterkunft und materielle Unterstützung bereitgestellt werden sowie notwendige medizinische Behandlung einschließlich psychologischer Betreuung, Beratung und Information sowie gegebenenfalls Übersetzungs- und Dolmetschleistungen.
Befinden sich Opfer im Kindesalter, so muss das Kindeswohl Vorrang haben und sollte unverzüglich Zugang zu Unterstützung, Betreuung und Schutz ermöglicht werden. Die Mitgliedstaaten sorgen für dauerhafte, am Wohl der Kinder orientierte Lösungen für unbegleitete Minderjährige.
7. ZUGANG ZUM ASYLVERFAHREN
Gemäß Artikel 17 der Richtlinie 2001/55/EG haben Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, das Recht, jederzeit einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. In diesem Fall findet der Asyl-Besitzstand Anwendung, einschließlich der Registrierung von Antragstellern in Eurodac. Gleiches gilt für Personen, denen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses ein angemessener Schutz nach nationalem Recht gewährt wird.
Unbeschadet des Rechts, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, sollten Personen, die vorübergehendem Schutz genießen, Gewissheit über die Rechte haben, die mit diesem Status verbunden sind.
Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit vorzusehen, dass die Rechte, die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergeben, nicht mit dem Status einer Person, deren Antrag auf internationalen Schutz geprüft wird, kumuliert werden können (Artikel 19 der Richtlinie 2001/55/EG).
Daher ist es sehr wichtig, dass die betreffenden Personen umfassend darüber informiert werden, wie der Mitgliedstaat dies in der Praxis handhabt, und so entscheiden können, ob sie zusätzlich zu einem Aufenthaltstitel, der ihren vorübergehenden Schutzstatus belegt, internationalen Schutz beantragen.
Beschließt eine Person, die für vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht in Betracht kommt oder einen solchen Schutz genießt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, und wird sie nach Prüfung des Antrags nicht als Flüchtling anerkannt oder wird ihr keine andere Art von Schutz gewährt, so gelangt diese Person gemäß Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie 2001/55/EG für die verbleibende Schutzdauer in den Genuss von vorübergehendem Schutz oder angemessenem Schutz nach nationalem Recht oder genießt diesen Schutz weiterhin.
Wurde die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz während des Zeitraums des vorübergehenden Schutzes oder angemessenen Schutzes nach nationalem Recht nicht abgeschlossen, so ist sie gemäß Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 2001/55/EG nach Beendigung des vorübergehenden Schutzes zum Abschluss zu bringen.
Anwendung der Dublin-III-Verordnung
Stellt eine Person, die Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht hat oder einen solchen Schutz genießt, einen Antrag auf internationalen Schutz, so gilt hinsichtlich der Bestimmung des für die Prüfung dieses Antrags zuständigen Mitgliedstaats die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (16) („Dublin-III-Verordnung“). Nach dieser Verordnung wird der zuständige Mitgliedstaat auf der Grundlage objektiver Kriterien (17) bestimmt, die auf verschiedene Szenarien anwendbar sind, einschließlich der Erteilung von Aufenthaltstiteln für vorübergehenden Schutz (18).
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten nachdrücklich, bei der Anwendung der Dublin-Verordnung den Geist der Erklärung zu berücksichtigen, die der Rat bei Annahme des Durchführungsbeschlusses 2022/382 des Rates abgegeben hat, um den Druck auf Mitgliedstaaten, in denen ein Massenzustrom stattfindet, zu verringern. Da Personen, die Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht haben und einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, ihre Rechte in jedem Mitgliedstaat genießen können, wird dem Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wird, nachdrücklich nahegelegt, im Falle, dass nach den Zuständigkeitskriterien (19) der Dublin-III-Verordnung ein Mitgliedstaat, in dem ein Massenzustrom stattfindet, zuständig wäre, gemäß der Ermessensklausel in Artikel 17 Absatz 1 die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags zu übernehmen, um den Druck auf diesen Mitgliedstaat zu verringern.
Der von der Kommission vorgeschlagene Ansatz dürfte auch das Risiko von Mehrfachanträgen in mehreren Mitgliedstaaten verringern und damit die Asylsysteme entlasten.
In Bezug auf die Familienzusammenführung fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, zügig zusammenzuarbeiten, um eine rasche Zusammenführung der Familienangehörigen zu gewährleisten.
8. UNTERSTÜTZUNG DER REPATRIIERUNG
Im Einklang mit den operativen Leitlinien für das Außengrenzenmanagement (20) sollte allen Personen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, einschließlich derjenigen, die möglicherweise keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht haben, die Einreise in die Union gestattet werden.
Bei Personen, die keinen vorübergehenden Schutz oder angemessenen Schutz nach nationalem Recht genießen und auf der Grundlage des Unionsrechts oder nationalen Rechts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht aufenthaltsberechtigt sind, ist eine Repatriierung in ihr Herkunftsland erforderlich.
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie (21) nationale Aufenthaltstitel oder Aufenthaltsberechtigungen zu erteilen, die ein befristetes Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen gewähren. Dadurch würde sichergestellt, dass Personen, die sich in einer solchen Situation befinden, bis zu ihrer Repatriierung leichter Zugang zu grundlegender Unterstützung, einschließlich Unterbringung, sozialer und medizinischer Versorgung, haben.
Auch wenn es in erster Linie in der Verantwortung der Herkunftsländer liegt, für eine sichere Repatriierung ihrer in der EU festsitzenden Bürger zu sorgen, sollten sich die Mitgliedstaaten mit den Behörden dieser Länder abstimmen, um die Organisation von Repatriierungsmaßnahmen zu erleichtern und zu unterstützen. Andere Mitgliedstaaten und/oder die Kommission und der Hohe Vertreter sollten im Falle einer Repatriierung erforderlichenfalls Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit den Behörden bestimmter Drittländer leisten.
Die Mitgliedstaaten sollten für Unterstützung und Betreuung der betroffenen Personen sorgen, indem sie die Kontaktaufnahme mit den zuständigen Konsularbehörden des Herkunftslandes erleichtern und erforderlichenfalls finanzielle Unterstützung für Repatriierungen auf Linienflügen leisten. Die Mitgliedstaaten können Repatriierungsflüge gemeinsam organisieren, gegebenenfalls mit operativer und logistischer Unterstützung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex). Frontex kann auf Antrag der betreffenden Mitgliedstaaten operative Unterstützung leisten, z. B. durch Buchung von Sitzplätzen auf Linienflügen oder die Organisation von Charterflügen, wenn die Zahlen dies erfordern.
9. BEREITSTELLUNG VON INFORMATIONEN IN DOKUMENTEN/MERKBLÄTTERN (ARTIKEL 9 DER RICHTLINIE ÜBER DEN VORÜBERGEHENDEN SCHUTZ)
Gemäß Artikel 9 der Richtlinie 2001/55/EG händigen die Mitgliedstaaten Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, ein Informationsdokument/Merkblatt in einer Sprache aus, von der angenommen werden kann, dass diese Personen sie verstehen; darin werden die einschlägigen Bestimmungen über den vorübergehenden Schutz in klarer Form dargelegt (vorgesehene Leistungen, Rechte und Pflichten aus dem vorübergehenden Schutz). Die Kommission hat unter dem Link https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/stronger-europe-world/eu-solidarity-ukraine_de Fragen und Antworten zur Richtlinie 2001/55/EG veröffentlicht, die den Mitgliedstaaten hilfreich sein werden, um dieser Verpflichtung unter Berücksichtigung der Anforderung bezüglich der Sprachkenntnisse nachzukommen. Die Kommission entwickelt außerdem einen QR-Code, der gescannt werden kann, um den Zugang zu den Informationen zu erleichtern. Die Kommission ermutigt die Mitgliedstaaten dazu, ähnliche Websites einzurichten, die nationalen Besonderheiten Rechnung tragen und mit der Website der Kommission verlinkt werden sollten, sodass ein einziges Zugangsportal für alle betroffenen Personen geschaffen würde. Die Informationen sollten auch für Kinder verständlich sein, wobei deren Alter und Reife zu berücksichtigen sind.
Für den Fall von Überstellungen in einen anderen Staat sollten in Abstimmung mit der Kommission und anderen Mitgliedstaaten spezifische Informationen ausgearbeitet und zur Verfügung gestellt werden, bevor die Personen der Überstellung zustimmen.
10. ÜBER DAS BLUEPRINT-NETZ ZU MELDENDE INFORMATIONEN
Um die ordnungsgemäße Durchführung des Ratsbeschlusses zu gewährleisten, fordert die Kommission die Mitgliedstaaten im Einklang mit Artikel 7 Absatz 2, Artikel 19, Artikel 25, Artikel 26 Absatz 2, Artikel 27 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2001/55/EG auf, folgende Informationen über das Blueprint-Netz zu übermitteln:
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die Erweiterung des vorübergehenden Schutzes auf weitere Kategorien Vertriebener; |
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allgemeine Anfragen und die Aufnahmekapazitäten für Überstellungen; |
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Angaben zur Zahl der Personen, die vorübergehenden Schutz genießen; |
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die Zahl der Drittstaatsangehörigen, die im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels der Ukraine sind und vorübergehenden Schutz oder sonstigen Schutz genießen, und |
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Informationen über die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Durchführung des vorübergehenden Schutzes. |
Weitere Angaben, die sie bereitstellen können, wären etwa Informationen über spezifische Aspekte der Lage in der Ukraine, die für die Freizügigkeit und die Situation der Menschen unmittelbar relevant sind, oder Informationen über die Antizipation weiterer Neuankömmlinge in der EU, die Lage an und vor der Grenze, Hindernisse für eine reibungslose Ausreise und Maßnahmen zur Erleichterung des Transits an der Grenze, die Lage und die Bedürfnisse bezüglich der Aufnahme, Zahlen und Verfahren für unbegleitete Minderjährige, die Situation von Drittstaatsangehörigen, die nicht aus der Ukraine stammen, und entsprechenden Unterstützungsbedarf, die Bereitstellung bilateraler Unterstützung für andere Mitgliedstaaten und die Zahl der Personen, die in einen anderen Mitgliedstaat weiterreisen wollen. Umfang und Art der von Mitgliedstaaten angeforderten Informationen hängen von den sich verändernden Gegebenheiten bezüglich des Blueprint-Netzes ab.
Die gesammelten Informationen werden gegebenenfalls auch auf der Solidaritätsplattform und im Rahmen der integrierten EU-Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR) verwendet.
(1) ABl. L 71 vom 4.3.2022, S. 1.
(2) Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. L 212 vom 7.8.2001, S. 12).
(3) ABl. C 104 I vom 4.3.2022, S. 1.
(4) Im Einklang mit der Genfer Konvention darf niemand an die Grenzen von Hoheitsgebieten zurückgeführt werden, wo das Leben oder die Freiheit der betreffenden Person aufgrund der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund einer politischen Überzeugung bedroht wäre. Darüber hinaus darf nach Maßgabe von Artikel 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bei der Umsetzung von EU-Recht niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.
(5) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, COM(2014) 210 final vom 3. April 2014.
(6) https://www.unicef.org/press-releases/one-week-conflict-ukraine-half-million-children-become-refugees (veröffentlicht am 3. März 2022). Für aktuelle Informationen über die Neuankömmlinge in der EU siehe https://data2.unhcr.org/en/situations/ukraine.
(7) COM(2017) 211 final vom 12. April 2017.
(8) Im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, der EU-Kinderrechtsstrategie und den einschlägigen Rechtsvorschriften der EU.
(9) Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).
(10) Dies gilt nur für Staatsangehörige, die nicht der vorherigen Konsultation der zentralen Behörden anderer Mitgliedstaaten vor der Erteilung eines Visums unterliegen (Artikel 22 des Visakodexes).
(11) Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung) (ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 60).
(12) Mitteilung der Kommission über operative Leitlinien für das Außengrenzenmanagement zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Grenzen zwischen der Ukraine und der EU (ABl. C 104 I vom 4.3.2022, S. 1).
(13) https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-6826-2022-ADD-1/de/pdf.
(14) Siehe Leitfaden der EUAA zu den Aufnahmebedingungen für unbegleitete Minderjährige – https://euaa.europa.eu/sites/default/files/Guidance-on%20reception-%20conditions-%20for-unaccompanied-children.pdf.
(15) Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1).
(16) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.
(17) Die objektiven Kriterien sind in hierarchischer Reihenfolge die Anwesenheit von Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat, die Ausstellung von Visa oder Aufenthaltstiteln, die illegale Einreise in die EU oder die visafreie Einreise. Trifft keines dieser Kriterien zu, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag gestellt wurde.
(18) Artikel 2 Buchstabe l sowie Artikel 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013.
(19) Siehe die in den Artikeln 12 bis 15 oder in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung festgelegten Kriterien.
(20) Mitteilung der Kommission über operative Leitlinien für das Außengrenzenmanagement zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Grenzen zwischen der Ukraine und der EU (C(2022) 1404 final).
(21) Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98).