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Document 52022AE1663

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien“ (COM(2022) 141 final)

EESC 2022/01663

ABl. C 443 vom 22.11.2022, p. 106–111 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 443/106


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien“

(COM(2022) 141 final)

(2022/C 443/15)

Berichterstatter:

Florian MARIN

Ko-Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Befassung

Europäische Kommission, 2.5.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständiges Arbeitsorgan

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

24.6.2022

Verabschiedung im Plenum

14.7.2022

Plenartagung Nr.

571

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

202/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Textilindustrie kann zur Verwirklichung der Umweltziele der EU beitragen und muss Verantwortung für ihre Umweltwirkungen übernehmen. Es gilt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Kosten, die den Textilherstellern am Ende der Nutzungsdauer entstehen, und der Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu finden.

1.2.

Um den digitalen Wandel und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu bewältigen, benötigt die Textilindustrie geeignete und flexible Maßnahmen, die ihren besonderen Merkmalen Rechnung tragen. Kreativität und nachhaltige Innovation müssen feste Bestandteile der Textilstrategie sein.

1.3.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die umfassenden Kennzeichnungsvorschriften für den Recyclinggrad und den ökologischen Fußabdruck von Textilerzeugnissen, weil sie die Verbraucher veranlassen könnten, sich für nachhaltige Produkte und für Qualität statt Quantität zu entscheiden. Er meint jedoch, dass dies eine gründliche Folgenabschätzung und eine umfassende Informationskampagne auf europäischer Ebene erfordert.

1.4.

Der EWSA ist besorgt über unlautere Wettbewerbspraktiken und dringt auf eine stärkere Marktüberwachung importierter Produkte sowie auf eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Durchsetzungsbehörden. Der Ausschuss fordert Maßnahmen zur Gewährleistung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Akteuren der textilen Lieferketten und empfiehlt die Einführung weltweit bewährter Verfahren im Bereich der Nachhaltigkeit, die in vollem Einklang mit den technischen Normen von CEN, CENELEC und ETSI stehen, und betont gleichzeitig das Recht auf Gesundheit und Umweltschutz.

1.5.

Der Ausschuss hält es für notwendig, bestehende und künftige Handelsabkommen zu stärken und Paragraphen zur Nachhaltigkeit und zum Schutz der Menschenrechte in das Allgemeine Präferenzsystem für Entwicklungsländer einzuführen.

1.6.

Der Ausschuss hatte erwartet, dass den sozialen Aspekten in dieser Branche mehr Bedeutung beigemessen wird, da der ökologische Wandel mit dem gerechten Übergang Hand in Hand gehen muss. Es sollten weitere Initiativen im Zusammenhang mit dem sozialen Dialog und Tarifverhandlungen ausgearbeitet werden.

1.7.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass Investitionen und Programme notwendig sind, um die Kapazitäten der Kontrollinstitutionen und die operativen Kapazitäten der Sozialpartner für die Überwachung der globalen Abkommen, der Grundrechte und der Arbeitnehmerrechte zu bündeln. Die Kohäsionsfonds müssen auf intelligente Weise genutzt werden, um zum Abbau der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen beizutragen.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass den Mitgliedstaaten zusätzliche Unterstützung im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Marktüberwachung, wirksame Kontrolle und harmonisierten Normen gewährt werden sollte, und fordert einen supranationalen Überwachungsprozess.

1.9.

Der Ausschuss befürwortet eine verbindliche Sorgfaltspflicht für alle Unternehmen in der EU mit besonderer Unterstützung für die KMU bei der Einhaltung der Vorschriften und fordert strenge Maßnahmen, mit denen Wirtschaftsbeziehungen mit Unternehmen, die Kinderarbeit nutzen oder keine menschenwürdigen Arbeitsbedingungen bieten, verboten werden, wie es in den Kernübereinkommen der IAO vorgesehen ist.

1.10.

Die in die Branche investierten EU-Mittel sollten an soziale und ökologische Kriterien für die Finanzierung von Projekten geknüpft sein. Der EWSA fordert ferner eine spezielle EU-Initiative, um den Sozialschutz, die Arbeitsbedingungen, den Arbeitsschutz sowie die Löhne im Textilsektor zu verbessern und dabei die Sozialpartner sowohl inner- als auch außerhalb der EU einzubeziehen.

1.11.

Der Übergang zu neuen, auf einer umweltgerechten Gestaltung basierenden, nachhaltigen Geschäftsmodellen erfordert wirksame Strategien in den Bereichen Materialien und Design, Produktion und Vertrieb, Marktentwicklung, Verwendung und Wiederverwendung sowie Sammlung und Recycling. Dieser Übergang muss ergänzend durch bessere Finanzierungsmöglichkeiten und Anreize für lokale Hersteller unterstützt werden, damit diese ihre Produktionsprozesse auf qualitativ hochwertige, langlebige und recyclingfähige Produkte umstellen.

1.12.

Das künftige Instrument der erweiterten Herstellerverantwortung sollte das Faser-zu-Faser-Recycling anstelle trügerischer Kreislaufprozesse fördern und muss mit der Einrichtung ausreichender Sammelstellen in allen Regionen aller Mitgliedstaaten, auch in ländlichen Gebieten, einhergehen.

1.13.

Der EWSA fordert nationale Kampagnen, um die Beschäftigungsmöglichkeiten im Textilsektor zu fördern, sowie Finanzierungsprogramme für die Weiterbildung und Umschulung der Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Umsetzung der Programme für die Berufsbildung und Lehrlingsausbildung.

1.14.

Der Ausschuss dringt auf branchenspezifische und harmonisierte Sozial- und Umweltschutzvorschriften für das öffentliche Auftragswesen in der Union. Es sollte ein dreigliedriger europäischer Ausschuss unter Einbeziehung der Sozialpartner und zivilgesellschaftlicher Organisationen eingerichtet werden, um Sozial- bzw. Umweltkriterien in den Beschaffungsverfahren in der Textilbranche zu überwachen und zu unterstützen.

2.   Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit

2.1.

Der EWSA nimmt die in der Mitteilung der Kommission (1) dargelegten Ziele zur Kenntnis, ist jedoch der Ansicht, dass diese Mitteilung lediglich die notwendigen Schritte und künftigen gesetzgeberischen Maßnahmen, Verpflichtungen und delegierten Rechtsakte aufzählt und keine konkreten Maßnahmen enthält, mit denen diese Ziele für den Textilsektor selektiv angegangen und erreicht werden können. Der Ausschuss wäre bereit gewesen, sich an einer ausführlicheren Diskussion zu beteiligen, und hatte sie auch dringend erwartet. Er begrüßt jedoch, dass das Thema Textilien in die Diskussion eingebracht wurde, und ist der Ansicht, dass die 16 angekündigten künftigen Gesetzesinitiativen kohärent, realistisch und durchsetzbar sein sollten.

2.2.

Das Textilökosystem ist ein extrem komplexes System, in dem jede Komponente ihre besonderen Eigenschaften aufweist, die geeignete und anpassungsfähige Maßnahmen erfordern. Um einen angemessenen kreislauforientierten und digitalen nachhaltigen Wandel sicherzustellen, müssen diese Besonderheiten in einem stufenweisen Vorgehen und nicht mit einem Pauschalansatz angegangen werden. Der Krieg in der Ukraine und der Anstieg der Energiepreise belasten die Produktivität und die Leistung der Branche noch zusätzlich.

2.3.

Die starke Zunahme des Online-Einkaufs stellt die Textilunternehmen vor ein Problem in Verbindung mit der Wettbewerbsfähigkeit, wodurch die Branche insbesondere gegen große Plattformen zu kämpfen hat. Besonderes Augenmerk muss auf Unternehmen gelegt werden, die in mehreren Mitgliedstaaten und in Drittländern tätig sind. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine Regulierung der digitalen Märkte und eine supranationale Überwachung erforderlich sind. Zudem sollten die Mitgliedstaaten bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, der Marktüberwachung, der wirksamen Kontrolle und bei der Angleichung von Normen zusätzliche Unterstützung erhalten.

2.4.

Der Einkauf, die Beziehungen zwischen den Marken und den verschiedenen Unterauftragnehmern, große Mengen und niedrige Preise sind Faktoren, die zu Verletzungen der Menschen- und Arbeitnehmerrechte beitragen. Durch den enormen Einfluss der Marken auf der Ebene der Lieferketten können die Bemühungen der Hersteller, die Arbeitnehmer- und Menschenrechte zu achten und die Umweltauflagen einzuhalten, untergraben werden. Der EWSA fordert Maßnahmen zur Gewährleistung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Akteuren in den Lieferketten. Darüber hinaus empfiehlt der Ausschuss nachdrücklich, dass die EU-Textilstrategie und alle künftigen damit zusammenhängenden Maßnahmen den Besonderheiten der KMU in angemessener Weise Rechnung tragen und dass spezifische Folgenabschätzungen allen Maßnahmen vorausgehen und sie begleiten.

2.5.

Der EWSA ist besorgt über unlautere Wettbewerbspraktiken und fordert eine verstärkte Marktüberwachung importierter Produkte, insbesondere in Bezug auf Endprodukte, die aus Drittländern auf den Binnenmarkt gelangen. Um den Verbrauchern sichere und konforme Produkte zu liefern, müssen die Koordinierung und die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Durchsetzungsbehörden verbessert werden.

2.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass bei den Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung für die Textilbranche die Haltbarkeit, Recyclingfähigkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwendbarkeit der Produkte wie auch Beschränkungen für die Verwendung von Chemikalien ebenso wie soziale Rechte weit über die „klassischen“ Aspekte der Produktkonzeption hinaus berücksichtigt werden müssen. Der EWSA weist auf die Notwendigkeit hin, dass ein Gleichgewicht zwischen den Kosten, die den Textilherstellern am Ende der Nutzungsdauer entstehen werden, und der Wettbewerbsfähigkeit der Branche gefunden werden muss.

2.7.

Freihandelsabkommen können dazu beitragen, menschenwürdige Arbeit, faire Lieferketten und den sozialen Dialog in der Branche zu fördern. Der Ausschuss hält es für dringend erforderlich, die den Handel und die nachhaltige Entwicklung betreffenden Kapitel in den bestehenden und künftigen Handelsabkommen zu stärken und Abschnitte zu Nachhaltigkeit und dem Schutz der Menschenrechte in das Allgemeine Präferenzsystem für Entwicklungsländer aufzunehmen. Ex-ante- und Ex-post-Abschätzungen der Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt sollten unter Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozess einfließen und einen großen Zeitraum innerhalb der Unternehmen abdecken.

2.8.

Sozialwirtschaftliche Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen sollten und müssen einbezogen und unterstützt werden und können einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele im Textilökosystem leisten. Wenn man bedenkt, wie viel Kunststoff für die Herstellung von Bekleidung verwendet wird, sollte die EU nach Auffassung des EWSA die Einführung einer Steuer auf neu hergestellte Kunstfasern in Betracht ziehen, um den Einsatz von fabrikneuen Kunststoffen zu verringern. Darüber hinaus sollten bei der Reparatur, der Abfallsammlung, beim Sortieren und Recycling von Abfällen die räumliche Verteilung der Industrie, regionale und geopolitische Ziele sowie die Entwicklung des ländlichen Raums berücksichtigt werden.

3.   Nachhaltigkeit, Kreislauffähigkeit und grüner Wandel

3.1.

Der EWSA möchte betonen, dass unabhängig von den künftigen Entwicklungen des Übergangspfads zu einem widerstandsfähigeren, nachhaltigeren und digitalen Textilökosystem die Verlängerung der Lebensdauer der Produkte größere Vorteile bietet als das Recycling. Der Ausschuss weist auch darauf hin, dass ein echter EU-Markt für Sekundärrohstoffe geschaffen werden muss, und ist der Ansicht, dass die EU bei sekundären Textilmaterialien weltweit führend werden kann, wenn die Recyclinganforderungen eingehalten werden. Ein Beitrag dazu kann über die Europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft (2) geleistet werden.

3.2.

Der EWSA befürwortet die Verpflichtung zu mehr Rückverfolgbarkeit und Transparenz in Bezug auf die Zahl der Produkte, die von großen Unternehmen entsorgt und vernichtet werden. Darüber hinaus fordert der Ausschuss die gesetzgebenden Organe auf, die Kommission darin zu unterstützen, ein Verbot der Vernichtung unverkaufter Textilerzeugnisse einzuführen und gegebenenfalls Spenden von Textilerzeugnissen an benachteiligte Gruppen oder Einrichtungen, die karitative Maßnahmen durchführen, zu fördern.

3.3.

Die Verschmutzung durch Mikroplastik, die durch die derzeitige Gestaltung von Textilien verursacht wird, hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Der EWSA unterstützt die Schlussfolgerung der Kommission, dass der Hauptgrund dafür in den derzeitigen Produktionsverfahren, insbesondere im Phänomen der „Fast Fashion“, liegt.

3.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Unternehmen finanzielle Unterstützung benötigen, um automatisierte Sortiertechniken für nicht weitertragbare Textilien einzuführen und verbesserte Recyclinganlagen zu entwickeln, einschließlich der Möglichkeit, lokale und regionale Recycling- und Sortierzentren zu schaffen. Darüber hinaus muss es den Interessenträgern in der Branche ein wichtiges Anliegen sein, die Infrastruktur für die Reparatur von Bekleidung, z. B. Läden und Geschäfte, aufzubauen. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss die EURATEX-Initiative zur Einrichtung von fünf ReHubs (Textilrecyclingzentren) unweit der europäischen Textil- und Bekleidungsregionen zur Sammlung, Sortierung, Verarbeitung und zum Recycling textiler Abfälle aus dem Industrie-, dem Prä-Verbraucher- und dem Post-Verbraucher-Bereich. Der Ausschuss hält technische, ökologische, soziale und energetische Normen für Recyclingprodukte für notwendig, die auf ISO-Ebene umgesetzt und angewandt und in die internationalen Handelsabkommen aufgenommen werden.

3.5.

Der EWSA ist besorgt darüber, dass Textilabfälle als Gebrauchtwaren ausgeführt werden können, und hält diesbezüglich ein sofortiges Handeln auf EU-Ebene für erforderlich. Über alle Wertschöpfungsketten hinweg müssen wirksame Kontrollen der Chemikalien durchgeführt werden. Darüber hinaus fordert der EWSA, globale bewährte Verfahren im Bereich der Nachhaltigkeit anzuwenden, mit denen Käufer und Markeninhaber verpflichtet werden, die Einhaltung der technischen Normen von CEN, CENELEC und ETSI zu kontrollieren und zu verlangen.

3.6.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass in der Union branchenspezifische und harmonisierte Sozial- und Umweltschutzvorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge entwickelt werden müssen, die die grenzüberschreitende Beteiligung und gleiche Rahmenbedingungen erleichtern. Endziel sollte es sein, dass in der gesamten EU verbindliche und harmonisierte Systeme gelten. Es sollte ein dreigliedriger europäischer Ausschuss unter Einbeziehung der Sozialpartner und zivilgesellschaftlicher Organisationen eingerichtet werden, um Sozial- und Umweltkriterien in den Beschaffungsverfahren in der Textilbranche zu überwachen und zu unterstützen.

4.   Verbraucher und Digitalisierung

4.1.

Der EWSA fordert die Kommission auf, eine Folgenabschätzung zu möglichen Verbesserungen bei der Kennzeichnung von im Binnenmarkt hergestellten/verkauften Textilien vorzunehmen. Für die Verbraucher muss der faire Zugang zu Informationen über die Reparierbarkeit, die Rückverfolgbarkeit und zu den Angaben auf dem digitalen Etikett sichergestellt sein. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Einführung umfassender Kennzeichnungsvorschriften für den Recyclinggrad und den ökologischen Fußabdruck von Textilerzeugnissen einen wichtigen Anreiz für die Verbraucher darstellen könnte, sich für nachhaltigere Textilerzeugnisse zu entscheiden.

4.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine groß angelegte Informationskampagne auf europäischer Ebene den Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen kann, fundierte nachhaltige Entscheidungen zu treffen, und dass gleichzeitig Anreize für die Verbraucher geschaffen werden sollten, sich für Qualität statt Quantität zu entscheiden, wie etwa über unterschiedliche Mehrwertsteuersätze für nachhaltige/nicht nachhaltige Produkte im Binnenmarkt.

4.3.

Transparente und gemeinsam genutzte Daten über Produkte, recycelte und wiederverwendete Bestandteile, die Vernichtung von Waren, die im Produktionsprozess verwendeten Chemikalien, die Auswirkungen des Produktionsprozesses auf den sozialen und Arbeitsbereich sowie die Umweltauswirkungen in Bezug auf jedes Unternehmen in der Lieferkette spielen eine wichtige Rolle für die Überwachung der Lieferketten. Darüber hinaus sind die Schaffung eines offenen Datenrahmens und die Sicherstellung des freien Zugangs für Verbraucher, Zivilgesellschaft und Sozialpartner von großer Bedeutung dafür, die ökologische und soziale Situation im Textilsektor zu verbessern. Der EWSA ist der Ansicht, dass die digitalen Kompetenzen der Verbraucher berücksichtigt werden müssen und die Dateninhalte auf alle Interessenträger in der Lieferkette ausgerichtet sein sollten. Es muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Bedarf an transparenten Daten und dem Schutz der Rechte des gewerblichen Eigentums hergestellt werden.

4.4.

Der EWSA ist besorgt darüber, dass weltweit weniger als 1 % der Textilien zu neuen Textilien recycelt werden (3), und ist der Ansicht, dass das künftige System der erweiterten Herstellerverantwortung die richtigen Anreize schaffen sollte, um das Faser-zu-Faser-Recycling von Textilien anstatt trügerischer Kreislaufprozesse wie etwa die Verwendung von Polyester aus recycelten Plastikflaschen zu fördern.

5.   Bildung und Arbeitsbedingungen

5.1.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die sozialen Aspekte des Textilsektors ausführlicher hätten behandelt werden können und dass mehr Initiativen zu begrüßen gewesen wären. Der ökologische Wandel muss Hand in Hand mit dem gerechten Übergang gehen, und der Ausschuss ist enttäuscht darüber, dass keine weiteren Initiativen in Bezug auf den sozialen Dialog und Tarifverhandlungen angekündigt wurden.

5.2.

Eine gerechte Umverteilung des Mehrwerts innerhalb der Lieferketten und verantwortungsvollere Produkte setzen die Konsolidierung von Tarifverhandlungen, die Reduzierung atypischer Beschäftigungsformen und angemessene Kontrollen der Arbeitsbedingungen voraus. Gleichzeitig mit der Umstellung des Sektors auf eine nachhaltige Produktion und digitale Technologien herrscht ein akuter Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Im Vergleich zu den Vorjahren verschiebt sich der Bedarf der Branche in Richtung mittel- und hochqualifizierte Arbeitnehmer.

5.3.

Die Textilindustrie hat ein ernsthaftes Überalterungsproblem, und ihre Arbeitsplätze gelten unter der jüngeren Generation nicht als attraktiv. Die meisten Beschäftigten sind Frauen, wodurch sich der soziale Druck auf das Ökosystem noch erhöht. Besondere Aufmerksamkeit muss den ländlichen Aspekten, den Kleinbauern und ihrer Rolle in den globalen Lieferketten gewidmet werden. Der Ausschuss fordert spezifische Kampagnen in allen Mitgliedstaaten, die für die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Textilindustrie werben, sowie Finanzierungsprogramme für die Weiterbildung und Umschulung der vorhandenen Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Umsetzung der Programme für die Berufsbildung und Lehrlingsausbildung in allen Mitgliedstaaten, um hochwertige Arbeitsplätze im Textilsektor zu schaffen. Die Finanzinstitute sollten soziale Aspekte in die Vertragsbedingung für Finanzierungen in ihre Leistungsstandards aufnehmen.

5.4.

Die Verletzung von Arbeitnehmerrechten und Arbeitsbedingungen (prekäre Arbeit, Armutslöhne, mangelhafter Arbeitsschutz, Zwangsarbeit) ist nach wie vor ein Problem, während sich verschiedene freiwillige Initiativen (Sozialaudits, globale Vereinbarungen, Verhaltenskodizes) als unzureichend erwiesen haben. Der EWSA plädiert für den Aufbau und die Stärkung der Kapazitäten der Inspektionseinrichtungen, Kohärenz und Konvergenz der Inspektionsmethoden und -kriterien, eine Ausbildung der Inspektoren und die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Investitionen in den Ausbau der operativen Kapazitäten der Sozialpartner zur Überwachung globaler Vereinbarungen, der Grundrechte und der Arbeitnehmerrechte sind von größter Bedeutung. Die Kohäsionsfonds müssen auf intelligente Weise so genutzt werden, dass sie zum Abbau der Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen in der EU beitragen.

5.5.

Im Kontext sehr komplexer und fragmentierter Wertschöpfungsketten erfordert der Pfad zur Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit ergänzende Ansätze. Ungleiche Machtverhältnisse und unlautere Wettbewerbspraktiken haben den Weg für die Ausbeutung der Arbeitskräfte und für ein Produktionsmodell geebnet, das von den Grenzen der Umweltbelastbarkeit abgekoppelt ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein Beschwerdemechanismus auf europäischer Ebene und in jedem Mitgliedstaat unter Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft eingerichtet werden muss, um sicherzustellen, dass die Strategie ordnungsgemäß umgesetzt wird und die Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie die Umweltauflagen eingehalten werden, um die erniedrigende Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verhindern.

5.6.

Der EWSA begrüßt die jüngste Veröffentlichung des Vorschlags für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (4). Er ist der Ansicht, dass eine verbindliche Sorgfaltspflicht für alle EU-Unternehmen mit besonderer Unterstützung für die KMU bei der Einhaltung der Vorschriften notwendig ist, und fordert strenge Maßnahmen, mit denen Wirtschaftsbeziehungen mit Unternehmen, die Kinderarbeit nutzen oder keine menschenwürdigen Arbeitsbedingungen bieten, verboten werden, wie es in den Kernübereinkommen der IAO vorgesehen ist. Darüber hinaus nimmt der Ausschuss die in einigen Ländern bestehenden Beschränkungen für gewerkschaftliche Aktivitäten zur Kenntnis und ist der Ansicht, dass diese zu Arbeitsunfällen, schwierigen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen, Armutslöhnen, mangelnden grundlegenden Schutzausrüstungen usw. geführt haben.

5.7.

Die Vereinigungsfreiheit, das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen oder ihr beizutreten, und das Recht auf Tarifverhandlungen sollten auch Textilarbeitern offenstehen. Im Hinblick auf die EU-Mittel, die auf EU-Ebene in die Textilindustrie investiert werden, sollten bei der Finanzierung von Projekten soziale und ökologische Kriterien in das Bewertungsschema aufgenommen werden. Aufgrund der Besonderheiten der Textilbranche fordert der EWSA eine spezielle EU-Initiative zur Verbesserung des Sozialschutzes, der Arbeitsbedingungen, des Arbeitsschutzes sowie der Löhne, die ausdrücklich auf die Textilindustrie abzielt und an der die Sozialpartner sowohl inner- als auch außerhalb der EU beteiligt werden.

6.   Finanzierung und Investitionen

6.1.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Konsolidierung der Wettbewerbsfähigkeit und die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der europäischen Textilindustrie von einer integrierten und vernetzten Produktpolitik abhängen, die mit einer stärkeren Regulierung, Marktinstrumenten und -anreizen, neuen Normen und angemessenen Informationen für Verbraucher, Hersteller und weitere Interessenträger einhergeht. Das CO2-Grenzausgleichssystem kann das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen verringern und sicherstellen, dass der Preis von Einfuhren den ökologischen Fußabdruck in vollem Umfang berücksichtigt.

6.2.

Die Umstellung auf neue nachhaltige Geschäftsmodelle erfordert wirksame Strategien, die sich auf Materialien und Design, Produktion und Vertrieb, Marktentwicklung, Nutzung und Wiederverwendung, Sammlung und Recycling beziehen, und muss mit verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten und Anreizen für lokale Hersteller einhergehen, die Produktionsprozesse umzustellen, neue Technologien zu erforschen und einzuführen, nachhaltige Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen zu ergreifen und die große Menge an verfügbaren Daten zu nutzen sowie gleichzeitig die kulturelle Kreativität zu fördern. Der EWSA erkennt die Rolle der kreativen Bereiche der Textilindustrie bei der Entwicklung innovativer Lösungen an, die sich positiv auf andere Branchen auswirken und zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

6.3.

Die Klimaverpflichtungen müssen auf der Ebene der Lieferketten umgesetzt werden, da die Marken nicht die Eigentümer der Fabriken sind, in denen die Produkte hergestellt werden. Anreize sollten auch Unternehmen gewährt werden, die klimaneutral sind und zu 100 % erneuerbare Energien nutzen. Die volle Ausschöpfung der im Rahmen von NextGenerationEU bereitgestellten Mittel kann dazu beitragen, strategische Investitionen, das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Wohlstand und Beschäftigung, insbesondere für KMU, sicherzustellen.

6.4.

Die Branche benötigt einen gemeinsamen europäischen Rahmen und finanzielle Unterstützung, um qualitativ hochwertige, langlebige und recyclingfähige Produkte herzustellen. Dies kann mit umfassenden Investitionen in Forschung und Entwicklung und umfangreichen europäischen Programmen erreicht werden, die die Zusammenarbeit zwischen großen Unternehmen und KMU unter direkter Einbeziehung der Sozialpartner, der Wissenschaft und weiterer Interessenträger finanzieren und unterstützen.

6.5.

Die Einführung des Systems der erweiterten Herstellerverantwortung muss mit der Einrichtung ausreichender Sammelstellen in allen Regionen aller Mitgliedstaaten — auch in ländlichen Gebieten — einhergehen. Der EWSA dringt auf spezielle Maßnahmen für KMU, um die Kapazität zur Gewährleistung von Rückverfolgbarkeit und Transparenz in den Lieferketten zu verbessern und eine gute Verbindung zu den Herstellern sicherzustellen, wobei Kleinst- und Kleinunternehmen besondere Aufmerksamkeit gelten muss.

Brüssel, den 14. Juli 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien.

(2)  Europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft.

(3)  Europäische Kommission — Textilstrategie.

(4)  Vorschlag für eine Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen und Anhang.


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