EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52021IE3554

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung der künstlichen Intelligenz in europäischen Kleinstunternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU)“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2021/03554

ABl. C 194 vom 12.5.2022, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

12.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 194/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung der künstlichen Intelligenz in europäischen Kleinstunternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU)“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 194/01)

Berichterstatterin:

Marie-Françoise GONDARD-ARGENTI

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

13.12.2021

Verabschiedung im Plenum

19.1.2022

Plenartagung Nr.

566

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

238/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KKMU) künstliche Intelligenz (KI) in dem Maße übernehmen werden, wie diese als zuverlässig, inklusiv und nachhaltig gilt. Zudem muss sie Teil eines umweltfreundlichen Wirtschafts- und Sozialmodells sein, das die Unternehmensentwicklung, die Beschäftigungsfähigkeit und eine bessere Lebensqualität und Gesundheit für alle Arbeitnehmer und Bürger in Europa fördert. Die Nutzung von KI durch alle Bürgerinnen und Bürger sowie KKMI und deren Vertrauen in KI werden durch die Achtung der Grundrechte und der sozialen Rechte sowie die Stärkung der Transparenzanforderungen gefördert.

1.2.

Der EWSA erinnert daran, dass Selbstständige und KKMU 99 % der Unternehmen aller Branchen in der EU ausmachen und für zwei Drittel der Arbeitsplätze im privaten Sektor und über die Hälfte der Wertschöpfung der Unternehmen in der EU stehen. Diese Unternehmen sind einem durch die Digitalisierung der Wirtschaft radikal veränderten Wettbewerb ausgesetzt und spielen bei der Bewältigung der Herausforderungen des digitalen und ökologischen Wandels in der EU eine entscheidende Rolle. Daher müssen sie gleichberechtigten Zugang zu KI erhalten. Andernfalls würde Europa seiner wertvollsten wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Ressourcen beraubt.

1.3.

Wie vom EWSA bereits in der Stellungnahme zum koordinierten Plan für künstliche Intelligenz (1) betont, ist der großflächige Einsatz von KI in den KKMU für den Aufholprozess der europäischen Industrie entscheidend. Trotz ihrer Agilität stehen KKMU beim digitalen Wandel vor erheblichen internen und externen Problemen: Kosten, Mangel an Breitbandinfrastruktur in bestimmten Gebieten, Zugang zu Finanzmitteln, Humanressourcen, Information, Bildung usw.

1.4.

Der EWSA ruft dazu auf, KKMU mit einfachen Instrumenten und leicht zugänglichen Finanzmitteln auszustatten, die ihnen bei der Übernahme dieser Technologie helfen, die zwar kostspielig, aber für den Erhalt bzw. Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich ist. Der Zugang zu Daten in ausreichender Qualität und Quantität sowie die Erprobung in großtechnischem Maßstab ist vorrangig.

1.5.

Nach Auffassung des EWSA ist für eine wirksame Unterstützung und Begleitung der KKMU bei der Nutzung von KI ein starker politischer Willen auf allen Ebenen und die enge Zusammenarbeit mit allen Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft erforderlich. Es bedarf eines hochwertigen sozialen Dialogs in den Mitgliedstaaten.

1.6.

Aufgrund der Vielfalt der KKMU in den verschiedenen Sektoren sind in Bezug auf KI maßgeschneiderte und gezielte Unterstützung sowie intelligente und integrative Rechtsvorschriften erforderlich, die zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und Vertrauen grundlegend sind.

1.7.

Der EWSA empfiehlt, das pädagogische Instrumentarium des in der einschlägigen Studie (2) des EWSA enthaltenen Werkzeugkastens rasch an alle Beteiligten und in erster Linie an die Unternehmer weiterzugeben. Darin werden die verschiedenen Phasen der Nutzung der KI durch KKMU beschrieben. Mit diesen Hilfsmitteln lassen sich Zweifel bezüglich KI zerstreuen und die Darstellungen in diesem Bereich weiterentwickeln.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

In der vom EWSA veröffentlichten Studie Boosting the use of artificial intelligence in Europe’s micro, small and medium-sized enterprises werden fünf Wirtschaftsbereiche — Landwirtschaft, Baugewerbe, Gesundheitswesen, juristische Dienstleistungen und Rechnungsführung — in fünf Mitgliedstaaten (Italien, Frankreich, Irland, Rumänien und Schweden) untersucht. Die im Werkzeugkasten enthaltenen Empfehlungen sind für politische Entscheidungsträger und KKMU zugänglich.

2.2.

In dem im Juli von der Europäischen Kommission veröffentlichten KMU-Bericht 2021 (3) wird der Fortschritt der Digitalisierung in den KKMU in den 27 Mitgliedstaaten auf der Grundlage von zwei Umfragen bewertet, eine aus der ersten Phase der Pandemie und eine aus dem letzten Quartal 2020.

2.3.

Die 25 Mio. KKMU in Europa, mit rund 100 Mio. Arbeitsplätzen und fast 57 % des europäischen BIP das Rückgrat der EU-Wirtschaft. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Wertschöpfung in allen Sektoren (vom traditionellen selbstständigen Handwerk bis zur Sozialwirtschaft, d. h. 2,8 Mio. Unternehmen, Hightech-Start-ups usw.) und bedürfen maßgeschneiderter und gezielter Unterstützung sowie intelligenter und integrativer Rechtsvorschriften, um Rechtssicherheit, Vertrauen und Lebensqualität für die Arbeitnehmer zu gewährleisten.

2.4.

Der EWSA fordert, dass die von der Kommission und den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen vor Ort weiterhin konkret umgesetzt werden. Besagter Werkzeugkasten sollte Behörden dazu anregen, in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den betroffenen Unternehmen maßgeschneiderte Initiativen zu erproben.

2.5.

KI als Garant für den industriellen Wandel ist für KKMU häufig nicht zugänglich: Trotz ihrer Agilität stehen KKMU beim digitalen Wandel vor erheblichen internen (Humanressourcen, Kosten, Zugang zu hochwertigen Daten usw.) und externen Problemen (Zugang zu Breitbandinfrastruktur, Finanzmitteln, Information, Bildung usw.).

2.6.

Die allgemeine Nutzung von KI durch KKMU ist für den Aufholprozess der europäischen Industrie entscheidend (4). Denn die schwächsten Bevölkerungsgruppen, Selbständigen, Kleinstunternehmen, Familienbetriebe oder Unternehmen fern städtischer Zentren sowie sozialwirtschaftliche Unternehmen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, um Diskriminierung zu vermeiden, die verheerende wirtschaftliche und soziale Folgen für die gesamte EU hätte.

2.7.

Es muss dringend ein Klima des Vertrauens geschaffen werden, um KKMU in die von der EU geplante Exzellenz- und Führungsstrategie einzubinden. Dies setzt die Mobilisierung aller institutionellen Akteure — von der Kommission bis hin zu nationalen Regierungen und den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften — voraus, um maßgeschneiderte und größenspezifische Instrumente und Hilfen bereitzustellen und Unterstützung und Garantien zu gewährleisten. Die Verringerung der digitalen Kluft und die Integration von Netzen, um den Abstand zwischen KKMU und Großunternehmen in Bezug auf KI zu schließen, sind von entscheidender Bedeutung.

2.8.

Vertrauen basiert auf einem starken politischen Willen zur engen Zusammenarbeit auf allen Ebenen mit der organisierten Zivilgesellschaft, den Sozialpartnern, Verbänden, Handelskammern, Berufsverbänden, Vereinigungen usw., die vor Ort sind und sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern der KKMU bekannt und von ihnen anerkannt sind. Diese sind am besten in der Lage, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Gefahren und Herausforderungen in ihrem Wirtschaftsbereich zu informieren. Sie verfügen über alle Kompetenzen, um politische Entscheidungen aller Ebenen dahingehend zu beeinflussen, dass dem KI-Bedarf von KKMU bestmöglich Rechnung getragen wird. Nach Auffassung des EWSA läge es im Interesse der Mitgliedstaaten, einen konstruktiven sozialen und gewerkschaftlichen Dialog zu fördern, um die Wirkung der Maßnahmen für KKMU zu maximieren.

2.9.

Die Bedeutung einer wirksamen Ausrichtung europäischer Programme wie Digitales Europa und Horizont Europa auf die KKMU (5) liegt auf der Hand. Alle Instrumente müssen in benutzerfreundlicher Form mobilisiert werden.

2.10.

Die Qualität und der Schutz der Daten sowie ihre Sicherheit und Transparenz wird durch immer komplexere Algorithmen gefährdet. Dies führt zu zahlreichen ethischen Bedenken in puncto Diskriminierung, zunehmender sozialer Ungleichheit, Unabhängigkeit der menschlichen Entscheidungen usw. Diese Herausforderungen, die die größte Wachsamkeit aller, auch der KKMU erfordern, dürfen die Einführung von KI in diesen Unternehmen nicht verzögern.

2.11.

Zahlreiche Empfehlungen des EWSA werden durch die Ergebnisse der oben genannten Studie untermauert:

die Akzeptanz der KI durch KKMU hängt in erster Linie davon ab, ob sie von ihren Führungskräften und Mitarbeitern vor der Anwendung beherrscht wird und ob ihre Risiken bekannt sind;

nur mit einer angemessenen Finanzierung können die Größennachteile und der Entwicklungsrückstand kompensiert werden, die den umfassenden Einsatz von KI in KKMU de facto ausbremsen. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die von der Kommission im Rahmen des Programms „Digitales Europa“ angekündigte (6) Mittelausstattung in Höhe von 1,98 Mrd. EUR. Die Innovationszentren bieten den besten Zugang zu den neuesten digitalen Kapazitäten und zur Ausbildung der Betroffenen;

KKMU benötigen hochwertige externe Datenbanken. Der EWSA hat bereits betont, dass der Zugang aller zu Massendaten des öffentlichen Sektors zu gewährleisten ist. Es bedarf robuster Programmierschnittstellen (API) oder sogar europäischer Plattformen für die sichere gemeinsame Nutzung von Daten (7) wie GAIA-X. Außerdem hat er einen gemeinsamen Ansatz für die Verwaltung und den Austausch von Daten vorgeschlagen und betont, wie wichtig die Förderung des Datenaltruismus (8) ist;

für die Bereitstellung von KI-Technologien, den Datenzugang, die Standardisierung und den Zugang zu Finanzmitteln benötigen die KKMU klare und einheitliche Regeln auf dem europäischen Markt, die die Voraussetzungen für einen gesunden Wettbewerb bilden, der wiederum Wachstum und Arbeitsplätze schafft. Ferner müssen sie selbst so früh wie möglich an die Ausarbeitung von Normen und Vorschriften auf europäischer Ebene teilnehmen. Klare und transparente Lösungen zu Fragen der Ethik und der Rechenschaftspflicht gestatten, das Vertrauen der Bürger und Verbraucher zu gewinnen und werden KKMU dazu bewegen, sich für KI zu entscheiden.

2.12.

Der EWSA unterstützt die Empfehlungen der genannten Studie und betont, dass sie eines besonders starken und beharrlichen politischen Willens bedürfen:

Förderung einer allgemeinen KI-Kompetenz der Bürger durch die allgemeine und berufliche Bildung, damit alle Teile der Zivilgesellschaft, einschließlich der KKMU, ihre Vorbehalte gegenüber der Aneignung von KI aufgeben und sich diesbezüglich kompetent und verantwortungsvoll verhalten. Es ist unerlässlich, die akademische Ausbildung durch praktische Einheiten zu ergänzen und angemessene und erschwingliche Fortbildungen für Selbstständige, Führungskräfte von KKMU und deren Beschäftigte anzubieten. (9) Für Führungskräfte muss der Zugang zu externem Fachwissen durch B2B-Partnerschaften, allgemein zugängliche KI und das Angebot von AIaaS (Artificial Intelligence as a Service), d. h. KI als Dienstleistung, erleichtert werden;

Sicherstellung eines einfachen Zugangs von KKMU zu öffentlichen und privaten Finanzmitteln und Mobilisierung der durch EU-Finanzmittel entstehenden Synergien zu ihren Gunsten;

Gewährleistung der erforderlichen Infrastrukturen und Verbindungen in allen — auch ländlichen — Gebieten, um eine digitale Kluft zu vermeiden und den Zugang zu relevanten und interoperablen Daten zu ermöglichen, die insbesondere von der Landwirtschaft in großem Maße genutzt werden;

Gewährleistung einer guten Koordinierung zwischen allen Akteuren und Ebenen;

Förderung des allgemeinen Bewusstseins für die Herausforderungen der Cybersicherheit (10) sowie für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden‚ der durch verzerrte Daten und andere potenzielle Risiken verursacht wird. Die Berücksichtigung der menschlichen Vielfalt bei der Entwicklung von KI-Tools ist ein wichtiges Mittel zur Verbesserung der Datenqualität;

umfassende Verbreitung bewährter Verfahren und Erfolgsgeschichten vor Ort sowie Erleichterung des Austauschs von Feedback, um Impulse für die allgemeine Nutzung von KI durch KKMU zu geben.

2.13.

Der EWSA möchte die EU-Organe auf folgende Handlungsgrundsätze bezüglich der KI aufmerksam machen:

klein anfangen, um nach und nach angemessene und verhältnismäßige politische Maßnahmen zu entwickeln und sie gegebenenfalls später an Großunternehmen anzupassen;

die Rechtssicherheit stärken und das Verständnis der Regeln fördern, um den Unternehmen die Akzeptanz zu erleichtern und ihre Investitionen zur Entwicklung von Innovationen und KI zu unterstützen;

das KI-Verständnis für alle erleichtern, indem Koordination und Synergien zwischen politischen Instrumenten und Initiativen dank einer speziellen Plattform für KKMU verstärkt werden;

die frühzeitige Erprobung in großtechnischem Maßstab fördern, insbesondere durch operative Verpflichtungserklärungen. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, „über Teststätten und ‚Reallabore‘ für die Erprobung neuer Ideen zu verfügen, die dann auch bewertet werden müssen“ (11), um sie besser anpassen zu können (12). Digitale Innovationszentren, das Enterprise Europe Network (EEN) und Plattformen für „KI auf Abruf“ müssen eng zusammenarbeiten, um die Umsetzungsbemühungen der KMU zu unterstützen;

einen gesamteuropäischen Ansatz durch Vollendung des europäischen Binnenmarkts und Anpassung der Politik an die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten von der Entwicklung der KI bis zu ihrer Einführung fördern;

den Zugang zu offenen Daten unter Wahrung des Datenschutzes und des Eigentums an Daten sowie Erhöhung des Datenflusses für KI-gestützte Systeme ermöglichen;

einen transparenten europäischen Binnenmarkt gewährleisten, um Risiken zu verringern und die Übertragbarkeit von KI-Lösungen auf KKMU zu verbessern. Die Interoperabilität der grundlegenden digitalen Infrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.

3.   Besondere Bemerkungen (13)

3.1.   Landwirtschaft

3.1.1.

Der Agrarsektor, der zahlreiche familiengeführte KKMU zählt (96 % der landwirtschaftlichen Betriebe im Jahr 2016), steht vor mehreren Herausforderungen: demografische Entwicklung, Klimawandel, Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit.

3.1.2.

Angesichts des nachgewiesenen Nutzens von KI und Robotik in diesem Sektor ist es wünschenswert, Landwirte und ihre Beschäftigten bezüglich dieser Veränderungen kontinuierlich zu begleiten und zu unterstützen. Es gilt, entsprechende Schulungen und pädagogische Maßnahmen für den Austausch und die Aggregation von Daten (14) zu entwickeln und gleichzeitig neue Möglichkeiten für die Kostenteilung wie kooperative Lösungen zu erkunden.

3.2.   Baugewerbe

3.2.1.

Dieser arbeitsintensive Sektor könnte stärker von der Digitalisierung profitieren: nur 36 % der Unternehmen haben mindestens eine KI-Technologie eingeführt, im Gesamtschnitt sind es 42 %.

3.2.2.

Die Bauwerksdatenmodellierung (Building Information Modeling — BIM)‚ die für die Branche immer wichtiger wird und von 29 % der Unternehmen im Jahr 2016 genutzt wurde, erfordert massive Investitionen in die Ausbildung und die Gewährleistung eines offenen und diskriminierungsfreien Zugangs zu elektronischer Planungssoftware über offene und standardisierte Schnittstellen („Open BIM“), um den Marktzugang für KKMU nicht zu beeinträchtigen.

3.2.3.

Dieser Sektor ist aufgrund seiner Merkmale und seines Potenzials prädestiniert, ein Aushängeschild für ein grünes und digitalisiertes Europa zu werden, wenn die Voraussetzungen für einen sicheren Marktzugang in Bezug auf Technologie und Vergaberecht gegeben sind.

3.3.   Gesundheit

3.3.1.

Im Gesundheitsbereich muss die Innovation von — der Konzipierung bis zur Anwendung — mehr als anderswo ethischen und sicherheitstechnischen Anforderungen genügen. Für die Entwicklung einer KI-Branche im Gesundheitswesen ist der Zugang zu ausreichenden und hochwertigen Daten erforderlich. Territoriale Experimente wie „Reallabore“ sind begrüßenswert, um KKMU diesbezüglich zu unterstützen.

3.3.2.

KKMU sind besonders stark in den Bereichen medizinische Ausrüstung (95 % der 32 000 Unternehmen des Sektors) und Dienstleistungen. Sie haben bei Innovation und Produktivität eine Vorreiterrolle (47 % der Unternehmen haben bereits eine KI-Technologie eingeführt).

3.3.3.

Sie sind jedoch mit den hohen Kosten für FuE und langen Innovationszyklen, komplexen Zulassungsverfahren und dem verbindlichen Rahmen der DSGVO konfrontiert.

3.3.4.

Die Schaffung eines europäischen Raums für zuverlässige Gesundheitsdaten sowie die Einstellung von Beschäftigten, die sowohl Gesundheitsfachleute sind als auch die digitalen Techniken beherrschen, würden innovative Lösungen auch bei KKMU fördern und Einsparungen im Sinne resilienterer und nachhaltigerer Gesundheitssysteme ermöglichen (15).

3.4.   Freie Berufe (16)

3.4.1.

Da die Angehörigen der freien Berufe hochsensible Daten verwalten, sind die Herausforderungen in Bezug auf Schutz der Privatsphäre, Vertraulichkeit, Transparenz und Nichtdiskriminierung in diesem Sektor besonders hoch.

3.4.2.

Die Nutzung von KI für die Automatisierung besonders langwieriger Aufgaben sollte es den Angehörigen der freien Berufe ermöglichen, sich auf die Kernaufgaben ihres Berufs zu konzentrieren, um den Bedürfnissen ihrer Kunden/Patienten noch besser gerecht zu werden.

3.4.3.

Wie in der Stellungnahme des EWSA „Freie Berufe 4.0“ (17) hervorgehoben, stellt KI das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Angehörigen der freien Berufe und ihren Mandanten/Patienten sowie den Begriff der Unabhängigkeit und der beruflichen Verantwortung auf die Probe. Dazu gehören auch die Überarbeitung der Berufs- und Standesregeln unter Einbeziehung der technischen und ethischen Aspekte der KI und die Festlegung neuer Anforderungen an die Ausbildung und die entsprechenden Kompetenzen (Sicherheit und Qualität der Daten, Schutz personenbezogener Daten, Cybersicherheit usw.).

3.5.   Rechtsberatung

3.5.1.

Trotz eines anhaltenden und von den Konjunkturzyklen unabhängigen Wachstums (2,6 % pro Jahr zwischen 2014 und 2018) werden Fortschritte in diesem Sektor durch Transparenz und Verzerrungen betreffende Probleme verlangsamt, mit denen die KI von Anfang an in einem Bereich zu kämpfen hatte, in dem das Vertrauen von direkten menschlichen Kontakten abhängt.

3.6.   Rechnungsführung/Finanzkontrolle

3.6.1.

Dieser Sektor, in dem 2018 in Europa 640 000 Unternehmen tätig waren, wird von KKMU dominiert. Da die Hälfte der Rechnungsführungsaufgaben für die Automatisierung in Frage kommt, lässt sich durch KI der Mehrwert steigern. Die Fachkräfte könnten sich wieder auf die Beratung der Nutzer konzentrieren.

3.6.2.

In beiden Bereichen und insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung von Hackerangriffen im zweiten Bereich ist die Konzipierung hybrider Berufsbilder, bei denen Recht oder Rechnungslegung und IT kombiniert werden, äußerst wünschenswert.

Brüssel, den 19. Januar 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 56.

(2)  Ausschreibung des EWSA Nr. CES/FSA/02/2020; Verfasser: Space Tec Partners.

(3)  Annual Report on European SMEs 2020/2021, Europäische Kommission, Juli 2021.

(4)  Stellungnahme „Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz“ (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 56).

(5)  Stellungnahme des EWSA (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 210).

(6)  Ankündigung von Kommissionsmitglied Thierry Breton vom 10. November 2021.

(7)  Siehe ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 51.

(8)  Gemäß Definition in Erwägungsgrund 36 des Vorschlags der Kommission für ein Daten-Governance-Gesetz, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0767.

(9)  Siehe Stellungnahme des EWSA (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 1).

(10)  Siehe Stellungnahme des EWSA, Ziffer 4.7 und 4.8 (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 1).

(11)  Siehe ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 51.

(12)  Siehe ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 51.

(13)  Diese spezifischen Bemerkungen beziehen sich auf die verschiedenen Sektoren, die in der oben genannten Studie des EWSA analysiert wurden.

(14)  Laut dem Bericht Intelligence artificielle — Etat de l’art et perspectives pour la France von 2021 teilen Landwirte, obwohl sie große Nutzer von Satelliten- und Automationsdaten sind, ihre Daten nur ungern.

(15)  Siehe insbesondere die EWSA-Stellungnahme „Europas Plan gegen den Krebs“ (ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 76), und die Stellungnahme „Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz“ (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 56), aber auch die Strategische Vorausschau 2021 der Europäischen Kommission.

(16)  Sie werden vom EuGH wie folgt bestimmt: Die freien Berufe sind „Tätigkeiten, die u. a. ausgesprochen intellektuellen Charakter haben, eine hohe Qualifikation verlangen und gewöhnlich einer genauen und strengen berufsständischen Regelung unterliegen“ (Urteil C 267/99, I-7467, 2001).

(17)  ABl. C 286 vom 16.7.2021, S. 8.


Top