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Document 52021IE2473

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine ganzheitliche Strategie für nachhaltige ländliche und städtische Entwicklung (Initiativstellungnahme)

EESC 2021/02473

ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 49–55 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 105/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine ganzheitliche Strategie für nachhaltige ländliche und städtische Entwicklung

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 105/08)

Berichterstatter:

Josep PUXEU ROCAMORA

Mitberichterstatterin:

Piroska KÁLLAY

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2021

Verabschiedung im Plenum

21.10.2021

Plenartagung Nr.

564

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

220/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist überzeugt, dass sich Europas Zukunft auch in den ländlichen Gebieten entscheiden wird und eine engere Zusammenarbeit mit den städtischen Gebieten erforderlich ist, damit alle Gebiete und alle Menschen gleichermaßen vom gerechten Übergang zu einer klimaneutralen, nachhaltigen und wohlhabenden Europäischen Union profitieren. Dies stünde im Einklang mit den Zielen des europäischen Grünen Deals, der auch ein Sozialer Deal sein muss, dem Aufbaupaket „NextGenerationEU“, der Territorialen Agenda 2030 und den 17 Nachhaltigkeitszielen.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU die Unterschiede zwischen den Gebieten durch politische Maßnahmen für einen gerechten und nachhaltigen Übergang in allen Bereichen und eine gute Lebensqualität auf dem Land abbauen sollte.

1.3.

Angesichts der mit dem Klimawandel und Pandemien einhergehenden Herausforderungen betont der EWSA, dass dringend umgehend gehandelt und ein Paradigmenwechsel vollzogen werden muss, um den Mehrwert der Zusammenarbeit zu verdeutlichen und zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger die gegenseitige Achtung und das Verständnis füreinander zu fördern.

1.4.

Daher fordert der EWSA die politischen Entscheidungsträger auf, eine umfassende und ganzheitliche EU-Strategie für eine ausgewogene, kohärente, gerechte und nachhaltige ländliche und städtische Entwicklung auszuarbeiten und umzusetzen und dafür die Stärkung der Rolle der lokalen Gemeinschaften, die Förderung traditioneller Wirtschaftszweige und die Schaffung neuer Wirtschaftstätigkeiten und Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land bei gleichzeitiger Förderung von Synergien mit städtischen Gebieten wirksam zu nutzen.

1.5.

Der EWSA empfiehlt Folgendes, um in stärkerem Maße gleiche Rahmenbedingungen für den ländlichen und den städtischen Raum sicherzustellen:

1.

es müssen ausreichende Mittel für die Politik für den ländlichen Raum, technische Kommunikationsmittel, Verkehrsinfrastrukturen (insbesondere öffentliche Verkehrsmittel, die für Alltags- und Berufsleben unabdingbar sind) und hochwertige und effiziente Bildungs- und Gesundheitssysteme bereitgestellt werden. Diese sollten genau auf die einschlägigen städtischen Dienstleistungen abgestimmt sein („Gleichbehandlung im Gesundheitsbereich“);

2.

das Arbeitsplatz-, Ausbildungs- und Wohnraumangebot sollte den im ländlichen Raum vorhandenen Ressourcen entsprechen und darauf aufbauen und gleichzeitig innovative Geschäftsmöglichkeiten schaffen;

3.

die ländlichen Parlamente und die von der örtlichen Bevölkerung betriebene lokale Entwicklung (Community Led Local Development — CLLD) müssen als Modelle partizipativer Demokratie von den politischen Entscheidungsträgern unterstützt werden und alle Bürgerinnen und Bürger des ländlichen Raums einbeziehen, darunter auch die Sozialpartner, Frauen, älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen, Minderheiten und insbesondere die jungen Menschen;

4.

das Kulturerbe sollte geschützt und gefördert werden (1).

1.6.

Hinsichtlich der Entwicklung der ländlichen/städtischen Gebiete spricht der EWSA folgende Empfehlungen aus:

1.

die Regierungs- und Verwaltungsebenen müssen Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen transparent und fair erbringen;

2.

die Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich LEADER und der lokalen Aktionsgruppen, sollten im ländlichen und städtischen Raum lokale Partnerschaften entwickeln, um neue wirtschaftliche, soziale und ökologische Möglichkeiten zu schaffen und ein besseres Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeiten zu fördern;

3.

das Verwaltungsmodell der Ernährungsräte könnte als Vorbild für eine wirksame Zusammenarbeit zwischen allen Interessenträgern auf lokaler Ebene dienen. Die Telearbeitsmöglichkeiten, das Wohnraumangebot im ländlichen Raum und der Zugang zu Landnutzung haben sich durch die neuen ökologischen Auswirkungen und Herausforderungen sowie durch die Pandemie verändert;

4.

die Förderung und Unterstützung des Austausches von bewährten Verfahren und Informationen über Risikofälle unter den Regionen ist zu begrüßen;

5.

der Zugang zu hochwertiger Bildung im ländlichen Raum kann zur lokalen Wirtschaftsentwicklung beitragen und die ländlichen Gemeinschaften bei der Anpassung an ein sich rasch wandelndes Umfeld unterstützen.

1.7.

Insbesondere richtet der EWSA folgende Empfehlungen an die Europäische Kommission und die nationalen Regierungen und regionalen Verwaltungen:

1.

die kürzlich von der Kommission verabschiedete langfristige Vision für die ländlichen Gebiete (2) muss weiterentwickelt werden und sich als Engagement für die ländlichen und städtischen Gebiete mit einem fairen Ansatz niederschlagen. Es ist wichtig, den Mehrwert aufzuzeigen, den die Zusammenarbeit zwischen ländlichen und städtischen Organisationen bringt, z. B. bei der Initiative „Vom Hof auf den Tisch“ und bei einem sozialverträglichen Grünen Deal;

2.

die Europäische Kommission sollte sich dafür einsetzen, dass auf der Grundlage der Initiative „Intelligente Dörfer“ eine Gruppe von Interessenträgern aus dem ländlichen und städtischen Raum gebildet wird, um bewährte Verfahren bei Partnerschaftsmodellen zu entwickeln;

3.

zur Unterstützung dieses Engagements sollten Investitionen in lokale Pilotprojekte sowie europaweite Anreize/Konditionalitäten und Auszeichnungen für beispielhafte inklusive Vereinbarungen vorgesehen werden.

1.8.

Der EWSA verpflichtet sich darüber hinaus, bei der Inauftraggabe von Untersuchungen, der Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft und der Förderung einer Europäischen Charta der Rechte und Pflichten des ländlichen und städtischen Raums mit dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen zusammenzuarbeiten.

1.9.

Der EWSA wird in seinen künftigen Stellungnahmen zur territorialen, städtischen und ländlichen Politik einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Die vorliegende Stellungnahme wurde bspw. vor ihrer Verabschiedung unter verschiedenen EWSA-Fachgruppen erörtert.

2.   Einleitung

2.1.

Entsprechend den Empfehlungen der EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ein integrierter Ansatz für die ländlichen Gebiete der EU unter besonderer Berücksichtigung der benachteiligten Regionen“ vom September 2020 (3) und der Anhörung vom 18. Juni 2021 (4) strebt der EWSA nun eine ganzheitliche Strategie der EU für eine nachhaltige ländliche/städtische Entwicklung an. Dazu wird er den Gesamtrahmen analysieren, in dem die Politik für den ländlichen Raum mit den anderen relevanten Politikbereichen verknüpft ist, bestehende Herausforderungen und Hindernisse ermitteln und die Rolle der Zivilgesellschaft, der Unternehmen und der lokalen Gemeinschaften bei der Entwicklung von Bottom-up-Konzepten herausstellen. Der EWSA wird aktiv dafür sorgen, dass diese Strategie bei der Konzipierung der EU-Maßnahmen berücksichtigt wird.

2.2.

Erforderlich ist ein besserer Ansatz für die Vielfalt des ländlichen Raums entsprechend den Möglichkeiten der einzelnen Gebiete. Manche ländlichen Gebiete profitieren aufgrund ihrer Stadtnähe über die Wechselbeziehung zwischen Stadt und Land vom „Ballungsraumeffekt“; in anderen, entlegeneren Gebieten, die deutlich stärker von einem einzigen Sektor wie der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, der Fischerei oder dem Bergbau abhängen, ist die Interaktion mit der Stadt weniger spürbar.

2.3.

Ländliche und städtische Gebiete sind zwar zwei unterschiedliche Räume mit eigenen Besonderheiten und einer ungleichen Entwicklung, doch in Wirklichkeit sind sie eng miteinander verknüpft. Diese wechselseitigen Abhängigkeiten werden zugleich immer komplexer und dynamischer und umfassen strukturelle und funktionale Ströme von Personen und Investitionsgütern, Informationen, Technologien, Lebensweisen usw. Daher muss ein Gleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Gebieten gefunden werden, zwei Räumen, die aufeinander angewiesen sind und nicht ohneeinander existieren können.

2.4.

Es gilt — selbst in entlegenen und benachteiligten Gebieten — das Ideal eines Lebens auf dem Lande zu verwirklichen, bei dem das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bevölkerung sichergestellt sind. Die Strategie muss den Ansatz für das notwendige Gleichgewicht zwischen diesen beiden Aspekten und ihre Ergänzung bieten, um künftig für Nachhaltigkeit zu sorgen.

2.5.

Die Herausforderungen der ländlichen Gebiete (demografischer Wandel, Bevölkerungsabwanderung, digitale Kluft, geringes Einkommen, eingeschränkter Zugang zu bestimmten Dienstleistungen, mangelnde Beschäftigungsaussichten, spezifische Auswirkungen des Klimawandels) lassen sich nur mit einem ganzheitlichen und neuen territorialen Ansatz meistern, der auf eine auf Gegenseitigkeit beruhende Entwicklung ausgerichtet ist.

2.6.

Dieser neue Kontext, der über die traditionelle Verbindung zwischen den ländlichen Gebieten mit deren Kopplung an den Agrarsektor und Trennung vom städtischen Raum hinausgeht, erfordert Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums mit einem alle Regionen umfassenden multisektoralen und integrierten Ansatz, bei dem bestehende Synergien genutzt werden und die ländlichen, städtischen und Übergangsgebiete einander ergänzen.

3.   Herausforderungen und vorgeschlagene Maßnahmen

3.1.

Herkömmlicherweise wird klar zwischen ländlichen und städtischen Gebieten unterschieden. Nun sind für die Klassifizierung des betreffenden Gebietes neue Konzepte, Interpretationen und Ansätze erforderlich und muss der Realität vor Ort Rechnung getragen werden.

3.2.

Die künftige Entwicklung der europäischen Regionen sollte sich auf die Komplementarität des ländlichen und des städtischen Raums und auf die Koordinierung der auf sie ausgerichteten politischen Maßnahmen stützen, mit dem letztlichen Ziel, dort für sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit zu sorgen.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA müssen die Strategieansätze für die Entwicklung des ländlichen und städtischen Raums kohärenter gestaltet werden, um Überschneidungen und Diskrepanzen zwischen Strategien (z. B. LAG-Strategie, Strategie für integrierte territoriale Investitionen, lokale Entwicklungsstrategie, regionale Entwicklungsstrategie) zu vermeiden und ihre Umsetzung durch die Akteure vor Ort bei Entwicklungsprozessen und Investitionen zu erleichtern.

3.4.

Die ländliche und städtische Entwicklung muss im Einklang mit den Grundsätzen der Territorialen Agenda 2030 der EU, der Leipzig Charta, der Städteagenda der Vereinten Nationen, der EU-Städteagenda, dem Pakt von Amsterdam, der Erklärung von Cork 2.0 „Für ein besseres Leben im ländlichen Raum“ und den Grundsätzen der OECD für die Politik zur städtischen und ländlichen Entwicklung stehen, in denen thematische Partnerschaften und geteilte Verwaltung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten berücksichtigt werden.

3.5.

Die mittelgroßen Städte spielen eine Schlüsselrolle bei der Anbindung der ländlichen Gebiete an die großstädtischen Ballungsräume, weshalb sie sowohl bei der Raumplanung als auch bei der Zuweisung von Ressourcen und Dienstleistungen besondere Aufmerksamkeit verdienen. Viele europäische Städte (wie Toulouse in Frankreich, Manresa in Spanien, Turin in Italien oder Aalborg in Dänemark) haben bereits sehr erfolgreiche Konzepte umgesetzt. Städtenetze wie ICLEI (5), Eurotowns (6) und Eurocities (7) sind wichtige Akteure beim Erfahrungsaustausch und bei der Förderung bewährter Verfahren.

3.6.

Die Wechselbeziehungen zwischen dem Land und der Stadt müssen auf die politische Tagesordnung gesetzt und den politischen Entscheidungsträgern und denjenigen, die die Maßnahmen konzipieren, besser verständlich gemacht werden. Zudem müssen gebietsbezogene Organisationsformen für die Maßnahmen gefördert werden.

3.7.

Auch die von der EU finanzierte Forschung sollte weiterhin nach Wegen suchen, wie eine gerechte und nachhaltige ländliche/städtische Entwicklung gefördert und die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Gebiete neubelebt werden kann. Projekte wie ROBUST (8), RUBIZMO (9) und LIVERUR (10) sollten weiterentwickelt werden und zu konkreten Veränderungen führen.

3.8.

Wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige ländliche und städtische Gebiete erfordern eine umfassende Politik, die an die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ethnografischen Gegebenheiten vor Ort anknüpft und die Zusammenarbeit zwischen dem ländlichen und dem städtischen Raum und das Engagement der verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Akteure sowie geeignete Steuerungsmechanismen der lokalen Behörden fördert.

3.9.

Abgelegene ländliche Gebiete sind noch stärker mit den besonderen Schwierigkeiten der ländlichen Gebiete konfrontiert und benötigen daher spezifische politische Maßnahmen und eine Sonderbehandlung. Der EWSA schlägt vor, neben der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, u. a. in den Bereichen Gesundheit und Bildung, Programme zur Wiederbelebung des lokalen Wirtschaftsgefüges in Zusammenarbeit mit dem Umland aufzulegen.

3.10.

Viele der Herausforderungen der ländlichen Gebiete sprengen den rechtlichen und finanziellen Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), wie im jüngsten Informationsbericht des EWSA zur Bewertung der Auswirkungen der GAP auf die territoriale Entwicklung ländlicher Gebiete (11) hervorgehoben wird. Deshalb ist bei den verschiedenen Maßnahmen mit Auswirkungen auf den ländlichen Raum ein integrierter Handlungs- und Finanzierungsansatz erforderlich. Die GAP-Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums sollten durch Mittel aus nationalen Politikbereichen ergänzt werden.

3.11.

Die Agrar- und Ernährungspolitik und die Politik für den ländlichen Raum müssen mit der Klima- und Biodiversitätspolitik, der Politik zur Verringerung der Armut, der Infrastruktur- und Verkehrspolitik, der Bildungs- und Berufsbildungspolitik, der Politik der Daseinsvorsorge (Gesundheit, Wohnraum usw.), der Politik zur Förderung neuer Aktivitäten auf der Grundlage der Kreislaufwirtschaft und der Bioökonomie, der Digitalisierung und der Bekämpfung der Bevölkerungsabwanderung im Einklang stehen.

3.12.

Diese Politikbereiche müssen europäische Strategien (u. a. Grüner Deal (12) , Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (13)) schlüssig ergänzen. Das gilt nicht zuletzt auch für die neue Industriestrategie (14), in der die Agrar- und Ernährungswirtschaft als eines der wichtigsten strategischen Ökosysteme der EU definiert wird, sowie für politische Maßnahmen zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit. Die Erprobung neuer Formen der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land im Rahmen des europäischen Grünen Deals ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern auch eine Chance für einen gerechten Übergang und eine regional ausgewogene nachhaltige Entwicklung.

3.13.

Die europäischen, nationalen und subnationalen Mittel müssen besser verwaltet und aufeinander abgestimmt werden, um die nachhaltige Entwicklung besser angehen zu können, indem stärker auf bereichsübergreifende Aspekte eingegangen wird und stets die Bedürfnisse der einzelnen Gebiete berücksichtigt werden.

3.14.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Zugang zu einer nachhaltigen Finanzierung und die Konzipierung maßgeschneiderter Finanzinstrumente für die Entwicklung des ländlichen und des städtischen Raums unter Berücksichtigung seiner Risikostruktur und der Merkmale seines Wirtschaftsgefüges gewährleistet werden müssen. Außerdem sollten die Taxonomie und der haushaltspolitische Ansatz für ländliche Gebiete ihrem Entwicklungs- und Investitionsbedarf Rechnung tragen.

3.15.

Dieser integrierte Ansatz erfordert eine Abstimmung der verschiedenen Behörden und Verwaltungsstellen, einschließlich der zahlreichen für bereichsübergreifende Strategien zuständigen Direktionen der Europäischen Kommission. Diese horizontale Koordinierung setzt einen Ansatz voraus, bei dem die politischen Entscheidungsträger die Fragen des ländlichen Raums in allen Politikbereichen berücksichtigen, um sicherzustellen, dass diesen Bedürfnissen Rechnung getragen wird.

3.16.

Eine erfolgreiche Koordinierung zwischen den Behörden sollte folgende Aspekte umfassen:

i)

Ermittlung der richtigen Interventionsebene;

ii)

Festlegung einer klaren Führungsrolle bei der Koordinierung der Maßnahmen;

iii)

Stärkung von Kooperationsvereinbarungen zwischen den Regionen oder Kommunen;

iv)

Förderung von Partnerschaften zwischen Stadt und Land, um funktionale Verknüpfungen nutzen zu können;

v)

Verbesserung der vertikalen Koordinierung zwischen den verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen.

3.17.

Es gilt, dank einer aktiven Rolle der Regionen der EU den direkten Kontakt mit den ländlichen Gebieten aufrechtzuerhalten. Denn die Regionen tragen entscheidend zur Festlegung und Umsetzung von Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf lokaler Ebene bei. Die Einbeziehung verschiedener Interessenträger und ein „Bottom-up“-Ansatz sind wesentliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Politik des ländlichen Raums und die Eigenverantwortung der lokalen Ebene für diese Politik. Der EWSA fordert, die potenzielle Rolle der lokalen Aktionsgruppen und des Modells der von der örtlichen Bevölkerung betriebenen lokalen Entwicklung (CLLD) zu berücksichtigen.

3.18.

Der EWSA schlägt ferner vor, für eine wirksame Zusammenarbeit zwischen allen Interessenträgern auf lokaler Ebene das Verwaltungsmodell der Ernährungsräte als Vorbild zu nutzen.

3.19.

Es sollten Fortschritte bei territorialen Verträgen auf der Grundlage einer engagierten Politik erzielt werden. Dies erfordert die Festlegung von Zielen, Bündelung von Kräften, Schaffung von Anreizen für öffentliche und private Verpflichtungen mit territorialem Schwerpunkt, Entwicklung interinstitutioneller und bereichsübergreifender Kooperationsmechanismen, Umstrukturierung des institutionellen Gefüges, Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, Anerkennung der Vielfalt der ländlichen Gebiete und Förderung der Verbindungen zwischen Stadt und Land. In diesem Zusammenhang haben Unternehmen und Organisationen des Agrar- und Lebensmittelsektors nun die Möglichkeit, den von der Kommission im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ auf den Weg gebrachten Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Unternehmens- und Marketingpraktiken (15) zu unterzeichnen.

3.20.

Die territorialen Verträge müssen auf Fairness und Respekt beruhen. In England, Wales und Schottland gibt es Verhaltenskodizes für den ländlichen Raum, mit denen eine Wertschätzung des ländlichen Raums vermittelt werden soll. Dies könnte die Grundlage für eine europäische Charta der Rechte und Pflichten für faire und nachhaltige Beziehungen zwischen Stadt und Land sein. (16) Diese Charta sollte Bestandteil einer staatsbürgerlichen Bildung für alle sein.

3.21.

Der EWSA erkennt an, dass es keine auf die verschiedenen Gebiete passenden Pauschalkonzepte gibt und jede Gebietseinheit unter Berücksichtigung der Besonderheiten, Vielfalt und Multifunktionalität der Anwendungsbereiche entsprechende Schwerpunkte setzen und sich spezialisieren und entsprechend den eigenen Möglichkeiten, Bedürfnissen, Fähigkeiten und Zielen Lösungen finden muss. Die Nutzung bestehender Infrastrukturen und Überlegungen zur Entwicklung neuer erfordern eine globale Herangehensweise. Zugleich müssen die Tendenzen beobachtet werden, um am richtigen Ort zu investieren.

3.22.

Die Beschäftigungsmöglichkeiten müssen verbessert werden:

i)

durch die COVID-19-Pandemie wurden Digitalisierung und Ökologisierung beschleunigt, die es nun mit entsprechenden Anstrengungen zu verstetigen gilt;

ii)

in den ländlichen Gebieten müssen neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen und bewahrt werden, u. a. in Verbindung mit der Bereitstellung von Dienstleistungen auf dem Land sowie mit der Telearbeit, den neuen Technologien oder den erneuerbaren Energien;

iii)

die Stärkung der multifunktionalen Aspekte der Landwirtschaft, die Förderung nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeiten, die Ansiedlung von Dienstleistungsunternehmen für die Erzeugung sauberer Energie und von Gewerbebetrieben im ländlichen Raum können viele neue Arbeitsplätze bringen;

iv)

Förderung des Unternehmertums, Sicherstellung fairer Wettbewerbsregeln für KMU und Berücksichtigung der Bedürfnisse der jüngeren Generationen (z. B. Telearbeit);

v)

Verbleib der Arbeitsplätze und Geschäfte vor Ort. die Vision für den ländlichen und den städtischen Raum bietet Möglichkeiten für die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft;

vi)

Förderung guter Arbeitsplätze und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in ländlichen Gebieten, wobei sicherzustellen ist, dass alle Verantwortlichen in den Verbesserungsprozess eingebunden werden;

vii)

Verknüpfung der Verbrauchernachfrage mit den regionalen und ländlichen Märkten durch die Vermarktung lokaler Erzeugnisse und Gütesiegel;

viii)

in den ländlichen Gebieten sollten umfassend neue kulturelle Möglichkeiten gefördert werden, u. a. Kulturveranstaltungen und Schutz historischer und religiöser Stätten (Kirchen, Burgen usw.);

ix)

die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, da sie den Menschen — insbesondere Jugendlichen — Perspektiven und Anreize bieten und eine Trendwende bei der Bevölkerungsabwanderung und der Lebensqualität auf dem Land bewirken kann. Dazu muss der ländliche Raum über eine angemessene Infrastruktur verfügen, um die Konnektivität zu gewährleisten. Hier bieten Konnektivitätsstrategien und digitale Plattformen Lösungen, während ein Digitalisierungsgesetz für den ländlichen Raum die Entwicklung digitaler Technologien in landwirtschaftlichen und in ländlichen Gebieten vorantreiben würde;

x)

in ländlichen und stadtnahen Gebieten sollten nachhaltige Landwirtschaft und Aquakultur (17) gefördert werden, ebenso wie der Ökotourismus, das Freizeitangebot und Bildungsmaßnahmen zum Thema Nachhaltigkeit. Diese Aktivitäten sollten mit dem Schutz der biologischen Vielfalt vereinbar sein, um für eine hohe Lebensqualität der Menschen zu sorgen;

xi)

Eine hochwertige und zugängliche frühkindliche Bildung im ländlichen Raum, kann zu besseren Lernergebnissen beitragen, während der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und Schulen ein standortbezogener Faktor ist, der mit zur Attraktivität ländlicher Gebiete, auch für hochqualifizierte Arbeitskräfte, beiträgt.

3.23.

Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzschaffung sind wichtig, sie müssen aber durch ein ausreichendes und hochwertiges Angebot an Dienstleistungen, Wohnraum, Energie, Freizeitmöglichkeiten, allgemeiner und beruflicher Bildung, Möglichkeiten für lebenslanges Lernen und Gesundheitsversorgung ergänzt werden, das dafür sorgt, dass ländliche Gebiete nicht nur zukunftsfähig, sondern auch lebenswert sind. Die EU muss dringend die Grundlagen für eine nachhaltige und inklusive Ökonomie des Wohlergehens entwickeln, die allen zugutekommt (18).

3.24.

So sollte insbesondere der kontinuierliche Auf- und Ausbau erschwinglicher öffentlicher Verkehrsdienste eine Priorität für die Entwicklung ländlicher Gebiete und somit für ihre Anbindung an städtische Gebiete sein. Die Bereitstellung solcher Verkehrsdienste ist für Alltags- und Berufsleben unabdingbar, wird damit doch der Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen wie Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Ärzten und Apotheken sowie die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes gesichert.

3.25.

Dies erfordert neue Formen von Dienstleistungen auf dem Land:

i)

integrierte Dienstleistungen (Erbringung mehrerer Dienstleistungen in gemeinsamen Räumlichkeiten, Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern, Zusammenarbeit zwischen Fachkräfteteams, Zusammenwirken öffentlicher, privater und lokaler Organisationen);

ii)

alternative und flexiblere Konzepte für die Dienstleistungserbringung (mobile Dienstleistungen, Hubmodelle für die regelmäßige Erbringung von Dienstleistungen von einem zentralen Standort aus, besser auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittene Dienstleistungen);

iii)

technologische und digitale Lösungen, auch in den Bereichen Bildung und Gesundheit.

3.26.

Eine umfassende Strategie zur Erreichung eines gewissen Dienstleistungsniveaus in den verschiedenen Gebieten und der Austausch von Diensten zwischen verschiedenen Gebietsteilen sind Schlüsselelemente für die Gestaltung nachhaltiger städtischer und ländlicher Gebiete.

3.27.

Es ist eine Strategie erforderlich, damit sich Menschen aufgrund eines besseren Dienstleistungsangebots und neuer Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Lande niederlassen und vor allem der notwendige Generationswechsel gewährleistet wird.

Brüssel, den 21. Oktober 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  EWSA-Stellungnahme „Der Beitrag der ländlichen Gebiete Europas zum Jahr des Kulturerbes 2018 durch die Gewährleistung von Nachhaltigkeit und Zusammenhalt zwischen Stadt und Land“ (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 22).

(2)  COM(2021) 345 final.

(3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 60.

(4)  Eine ganzheitliche Strategie für eine nachhaltige und gerechte ländliche/städtische Entwicklung | Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss.

(5)  https://www.iclei.org

(6)  http://www.eurotowns.org

(7)  https://eurocities.eu

(8)  https://rural-urban.eu

(9)  https://rubizmo.eu

(10)  https://liverur.eu/

(11)  https://www.eesc.europa.eu/de/our-work/opinions-information-reports/information-reports/evaluation-caps-impact-territorial-development-rural-areas-information-report

(12)  Ein europäischer Grüner Deal | Europäische Kommission.

(13)  Strategie „Vom Hof auf den Tisch“.

(14)  Mitteilung der Kommission: Aktualisierung der neuen Industriestrategie von 2020.

(15)  Verhaltenskodex (europa.eu).

(16)  The Countryside Code: advice for countryside visitors (Verhaltenskodex für den ländlichen Raum: Empfehlungen für Besucher auf dem Lande) — GOV.UK.

(17)  Siehe die EWSA-Stellungnahmen „Strategische Leitlinien für die nachhaltige Entwicklung der Aquakultur in der EU“ — NAT/816 (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 103) und „Neuer Ansatz für eine nachhaltige blaue Wirtschaft in der EU“ — NAT/817 (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 108).

(18)  EWSA-Stellungnahme „Die nachhaltige Wirtschaft, die wir brauchen“ (ABl. C 106 vom 31.3.2020, S. 1).


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