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Document 52021AE2707

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021–2025“ (COM(2021) 170 final)

EESC 2021/02707

ABl. C 517 vom 22.12.2021, p. 91–96 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.12.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 517/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021–2025“

(COM(2021) 170 final)

(2021/C 517/14)

Berichterstatter:

Rafał Bogusław JANKOWSKI

Befassung

Europäische Kommission, 31.5.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

7.9.2021

Verabschiedung im Plenum

22.9.2021

Plenartagung Nr.

563

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

226/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021–2025. In dieser Strategie werden die Prioritäten, Maßnahmen und Ziele für die nächsten fünf Jahre festgelegt. Besondere Bedeutung erhält sie dadurch, dass seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erstmals konkrete, unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte umzusetzende mittel- und langfristige Zielvorgaben für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gemacht werden.

1.2.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Strategie hauptsächlich auf der Stärkung der bestehenden Instrumente zur Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beruht, wobei der internationalen Zusammenarbeit, der Bekämpfung von Straftaten mit hoher Priorität, Maßnahmen zur Verhinderung der Finanzierung von Straftaten und der Unterwanderung der Wirtschaft, u. a. durch Korruption, sowie der Bekämpfung des Einsatzes neuer Technologien durch Kriminelle Rechnung getragen wird.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU und die Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, die Aktivitäten krimineller Vereinigungen zu antizipieren, um ihnen einen Schritt voraus zu sein, indem sie sich auf die Überwachung, Unterwanderung gefährdeter Umfelder, die Erhebung und Analyse von Daten sowie auf präventive Maßnahmen konzentrieren. Dabei sollte der Fokus insbesondere auf der Entwicklung zeitgemäßer und umfassender Formen der internationalen Zusammenarbeit, der Ausweitung der Funktionen der verwendeten Systeme und Datenbanken, der Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Investitionen in neue technologische Instrumente liegen;

1.4.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Ausweitung der Maßnahmen im Rahmen des EU-EMPACT-Zyklus (Europäische multidisziplinäre Plattform gegen kriminelle Bedrohungen). Die Ankündigung einer Aufstockung der Mittel für diese Initiative sowie die Unterstützung einer vertieften Zusammenarbeit mit Drittländern in diesem Bereich sind nach Auffassung des EWSA vollkommen gerechtfertigt.

1.5.

Der EWSA ist überzeugt, dass auch folgenden Aspekten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte:

der Hilfe und Unterstützung, die Europol und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) bei der Risikoanalyse im Bereich der Drogenkriminalität leisten,

der Weiterentwicklung und Verbesserung der Funktionsweise der bestehenden Systeme wie des Schengener Informationssystems (SIS), des Prüm-Rahmens, der Fluggastdatensätze (PNR) und der vorab übermittelten Fluggastdaten (API),

der Bedeutung der Entwicklung und des Ausbaus der Kooperationsnetze sowie der internationalen Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung organisierter krimineller Gruppen, etwa einer Plattform für gemeinsame Ermittlungsgruppen und sogenannter hochrangiger Ziele.

1.6.

Der EWSA befürwortet die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um die Mitgliedstaaten bei hochmodernen internetbasierten Lösungen für die Beschaffung elektronischer Informationen sowie bei der Sicherung elektronischer Beweismittel und der Bereitstellung spezifischer technischer Ausrüstung und Software für den Praxiseinsatz bei grenzüberschreitenden Operationen und Ermittlungen zu unterstützen.

1.7.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass es bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität entscheidend darauf ankommt, die Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung und Bekämpfung der Geldwäsche zu stärken sowie Finanzermittlungen zu fördern, die darauf abzielen, Gewinne durch organisierte Kriminalität auszuschließen und das Eindringen in die legale Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern. (1)

1.8.

Der EWSA stellt fest, dass die organisierte Kriminalität erhebliche Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften, öffentliche und kommunale Dienste, den Schutz gefährdeter Gruppen, die Rahmenbedingungen für lokale Geschäftstätigkeiten, insbesondere für KMU, und auf den Bereich der Klimaneutralität haben kann. Der EWSA empfiehlt, die Rolle von NGOs, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, Jugendorganisationen, sozialen Kontrollinstitutionen und Hinweisgebern bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität im weiteren Sinne und insbesondere bei der Prävention zu stärken.

1.9.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, Aufklärungskampagnen zum Thema organisierte Kriminalität durchzuführen, um die Bürgerinnen und Bürger ausreichend darüber zu informieren, welcher Praktiken sich organisierte kriminelle Gruppen bedienen und wie man sich davor schützen kann. Die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netz für Kriminalprävention ist diesbezüglich eine hervorragende Ergänzung. Jeder Mitgliedstaat sollte alles Erforderliche unternehmen, um ein leicht verständliches, sicheres und Anonymität garantierendes System aufzubauen, über das Vorkommnisse und Phänomene gemeldet werden können, die mit der organisierten Kriminalität in Zusammenhang stehen könnten.

1.10.

Der EWSA hebt hervor, dass einer der wichtigsten Aspekte der Bekämpfung der organisierten Kriminalität darin besteht, die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz für das digitale Zeitalter zu rüsten, wozu auch der Zugang zu digitalen Ermittlungshinweisen und Beweismitteln gehört.

1.11.

Um den Zugang der Zivilgesellschaft zu Informationen zu verbessern, schlägt der EWSA vor, auf der Grundlage der von der Europäischen Kommission bereitgestellten Informationen ein Verfahren für eine Überprüfung (Halbzeit- und abschließende Bewertung) der Umsetzung der EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021–2025 zu schaffen.

1.12.

Der EWSA stellt fest, dass die Strafverfolgungsbehörden unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte Zugang zu den erforderlichen Informationen haben müssen, damit sie organisierte kriminelle Vereinigungen auch im Vorfeld wirksam bekämpfen und die Sicherheit als eine der obersten Prioritäten der EU-Bürger gewährleisten können. Es dürften keine Bedenken im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre und der Grundrechte bei der Datenverarbeitung bestehen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist bereits sehr streng geregelt und entspricht dem neuesten Stand, und harmonisierte Rechtsvorschriften würden eine wirksamere Prüfung von Datenschutzfragen ermöglichen.

1.13.

Der EWSA begrüßt und unterstützt die Initiative zum Ausbau der Zusammenarbeit mit Drittländern, insbesondere die Bestrebungen,

Verhandlungen zu Übereinkommen über die Zusammenarbeit zwischen Eurojust und Drittstaaten aufzunehmen,

die Verhandlungen über die Zusammenarbeit zwischen Europol und Drittländern voranzutreiben,

gemeinsam mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst die internationale Zusammenarbeit mit Drittländern und internationalen Organisationen zu verstärken.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1.

In ihrer Mitteilung zu einer EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021-2025 ist die Europäische Kommission bestrebt, das Thema organisierte Kriminalität in seiner ganzen Komplexität und Vielfalt zu erfassen. In dieser Strategie werden die Prioritäten, Maßnahmen und Ziele für die nächsten fünf Jahre festgelegt. Besondere Bedeutung erhält sie dadurch, dass seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erstmals konkrete, unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte umzusetzende mittel- und langfristige Zielvorgaben für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gemacht werden.

2.2.

Die Europäische Kommission weist darauf hin, dass die organisierte Kriminalität eine erhebliche Bedrohung für die Sicherheit der Menschen überall in der EU darstellt. In der gesamten EU sind immer mehr organisierte kriminelle Vereinigungen tätig, die enorme Gewinne generieren und diese nutzen, um ihre Aktivitäten auszuweiten und die legale Wirtschaft zu unterwandern.

2.3.

Die von der Europäischen Kommission formulierten Prioritäten zeigen, dass die Maßnahmen auf EU-Ebene verstärkt werden müssen, um die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu unterstützen durch:

Förderung der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs- und Justizbehörden,

Zerschlagung von Strukturen der organisierten Kriminalität und Bekämpfung von Straftaten mit hoher Priorität,

Ausschluss von Gewinnen aus der organisierten Kriminalität und Verhinderung des Eindringens in die legale Wirtschaft und Gesellschaft,

Rüstung der Strafverfolgung und Justiz für das digitale Zeitalter.

2.4.

Es bedarf einer Vielfalt von Initiativen zur Ermittlung und Ausweitung der Maßnahmen im Bereich der operativen und nicht-operativen Zusammenarbeit sowie der Schulungen. Wichtig sind auch jene (unterschiedlichen, vielfältigen) Initiativen, die deutlich machen, dass es in der derzeitigen Situation sowie angesichts der verschiedenen Bedrohungen durch organisierte und schwere Kriminalität keinen anderen Weg und keine andere Möglichkeit gibt, als zusammenzuarbeiten, gemeinsam zu handeln, sich mit internationalen Partnern über bewährte Verfahren auszutauschen, die Funktionsweise der bestehenden Systeme zu verbessern und in die Entwicklung neuer Technologien zu investieren.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Schwere und organisierte grenzüberschreitende Kriminalität stellt eine der größten globalen Bedrohungen für die Entwicklung moderner Gesellschaften dar. Organisierte kriminelle Vereinigungen sind hochgradig mobil und operieren in den meisten Fällen international, weshalb sie von einzelnen Ländern nicht wirksam bekämpft werden können. Der grenzüberschreitende Charakter der organisierten Kriminalität erfordert eine enge Zusammenarbeit von Dienststellen und Institutionen mit den jeweiligen Behörden in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie mit internationalen Einrichtungen. Die Strategie der Kommission kommt nach Auffassung des EWSA deshalb zum richtigen Zeitpunkt und ist sehr wichtig.

3.2.

Angesichts der aktuellen Bedrohungslage müssen nicht nur neue Ebenen der Zusammenarbeit geschaffen werden, um die Zuständigkeiten der verschiedenen im Sicherheitsbereich tätigen Akteure zusammenzuführen und die Instrumente zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität zu stärken, sondern es müssen auch andere Instrumente und Technologien genutzt werden. Der EWSA hält eine enge Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten in diesem Bereich deshalb für erforderlich, ebenso wie die Koordinierung und die Möglichkeit, die operative Unterstützung von Europol in Anspruch zu nehmen.

3.3.

Vor allem kommt es nach Meinung des EWSA darauf an, die Konzepte für die Maßnahmen zur Bekämpfung von kriminellen Vereinigungen und hochrangigen Zielen mit dem höchsten Gefahrenpotenzial unter Einsatz operativer Taskforces sowie im Rahmen internationaler Projekte und regionaler Initiativen weiterzuentwickeln. Sowohl die hochrangigen Ziele als auch die operativen Taskforces sind als Beispiel für eine praktische und echte Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten zu betrachten.

3.4.

Bei den kriminellen Aktivitäten, die derzeit im Cyberraum stattfinden, werden nur hochmoderne Technologien eingesetzt, um traditionelle Straftaten im Bereich des illegalen Handels mit Feuerwaffen und Munition, mit Stoffen, die zur Herstellung von Sprengstoffen verwendet werden, sowie mit Drogen und neuen synthetischen Drogen zu begehen. Das größte Hindernis für die wirksame Aufdeckung dieser Art von Kriminalität ist zweifellos der Einsatz von Instrumenten zur Anonymisierung krimineller Aktivitäten. Die von den Straftätern genutzte über verschiedene Apps und Internet-Messenger-Dienste verschlüsselte Kommunikation stellt ein ernstes Problem in den Ermittlungsverfahren dar.

3.5.

Der mangelnde Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu verschlüsselter Kommunikation, die von organisierten kriminellen Vereinigungen verwendet wird, ist als eines der größten Probleme zu werten, da der fehlende Zugang zu Informationen wirksam verhindert, dass rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden. Das von der Kommission neu geschaffene Europol-Entschlüsselungsprogramm wird nach Auffassung des EWSA zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen und ist daher als dringlich erforderliches, stark praxisorientiertes Instrument anzusehen. Angesichts der raschen Entwicklung neuer Technologien sind jedoch weitere Arbeiten in diesem Bereich unbedingt erforderlich.

3.6.

Eine weitere Ebene, auf der die Cyberkriminalität bekämpft werden muss, ist das Darknet. Dieser Bereich des Internets, auf den über das Netzwerk „Tor“ zugegriffen wird, gewährleistet verlässlich die Anonymität der Kriminellen auf dem „Darkmarket“, einem Sammelplatz für kommerzielle illegale Dienste, über den kriminelle Aktivitäten wie der Handel mit Waffen und Drogen, gestohlenen Kreditkartendaten und Schadsoftware abgewickelt werden und auf dem Auftragsmörder ihre Dienste anbieten. Die Bezahlung erfolgt mittels virtueller Währungen (wie z. B. Bitcoin), die als Instrument für den anonymen Transfer von Geldern aus kriminellen Aktivitäten im Cyberraum auch zur Geldwäsche genutzt werden können. Die Strafverfolgungsbehörden verfügen nicht über die geeigneten rechtlichen Instrumente, um Diensteanbieter dazu zu verpflichten, die für den Zugang zu Kommunikationsinhalten notwendigen Verschlüsselungscodes offenzulegen, für die Zwecke laufender Verfahren unentgeltlich Daten zur Verfügung zu stellen sowie Nutzerdaten und die für Telefonie und Messaging verwendeten IP-Adressen zu speichern.

3.7.

Der EWSA fordert die EU-Institutionen auf, den Rechtsrahmen zu verbessern, um die Kapazitäten spezialisierter Einrichtungen in den Mitgliedstaaten zur wirksamen Bekämpfung dieser Bedrohungen zu unterstützen und zu stärken. Die Ankündigung, über die Gemeinsame Forschungsstelle ein Überwachungsinstrument zur Sammlung von Erkenntnissen über illegale Aktivitäten im Darknet zu entwickeln, ist als äußerst ehrgeizig anzusehen. Die Entwicklung eines solchen Instruments wäre zweifellos ein Meilenstein bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Cyberraum.

3.8.

Aus der Praxis und den bisherigen Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden ergibt sich, dass Kryptowährungen zunehmend für kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche sowie für Betrug, insbesondere über IT-Netze, und die Zahlung von Lösegeld bei Ransomware-Angriffen genutzt werden. Ebenso erheblich und offensichtlich ist die Gefahr, dass Straftäter Kryptowährungen nutzen, um zu verhindern, dass illegal erworbene Vermögenswerte von Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden. Der EWSA empfiehlt weitere Schritte bei der Ausarbeitung von Vorschriften für die Überwachung und Kontrolle von Finanztransaktionen, bei denen derartige Instrumente zur Anwendung kommen.

3.9.

Sehr zu begrüßen ist nach Meinung des EWSA, dass die Mitgliedstaaten jetzt auch in technischer Hinsicht unterstützt werden sollen. Eine hochmoderne Infrastruktur wird die Wirksamkeit der Maßnahmen erhöhen und die finanzielle Belastung für die einzelnen Behörden erheblich verringern (Steigerung der Effizienz der auf nationaler Ebene ausgegebenen Mittel). Die Herausforderung für die Mitgliedstaaten besteht nämlich darin, die Hard- und Software für die Instrumente zur wirksamen Bekämpfung der Cyberkriminalität auf dem neuesten Stand zu halten, was angesichts des sich rasch wandelnden und wachsenden Markts eine erhebliche finanzielle Belastung für einzelne Behörden darstellt. Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten deshalb, den Bedarf der Institutionen besser zu bewerten und ausreichende Ressourcen bereitzustellen, damit sie wirksam gegen diese Bedrohungen vorgehen können.

3.10.

Der EWSA unterstützt die Absicht der Europäischen Kommission, Rechtsvorschriften zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexuellem Missbrauch vorzulegen, als wichtige Initiative. Unter anderem sollen Anbieter von Online-Diensten verpflichtet werden, bekannte Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch aufzuspüren und den Behörden zu melden (2).

3.11.

Das EU-Instrumentarium zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie, das der Festlegung von Grundsätzen für das gemeinsame Handeln, die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden, Rechteinhabern und Zwischenhändlern dienen soll, erhält insbesondere angesichts der Fälschung von Medizin- und Hygieneartikeln im Zuge der COVID-19-Pandemie eine völlig neue Bedeutung. Die organisierte Kriminalität ist nämlich in die Herstellung und Lieferung von gefälschten Schutzausrüstungen, Testkits und Arzneimitteln eingestiegen. Da Zusammenarbeit und Datenaustausch für den EWSA von grundlegender Bedeutung sind, unterstützt er die Weiterentwicklung dieses Instruments.

3.12.

Für den EWSA als Stimme der europäischen Zivilgesellschaft müssen Aktivitäten zum Schutz der Umwelt und von Kulturgütern, darunter der Aufbau von Kapazitäten für Sachverständige und die strukturelle Zusammenarbeit, angemessen unterstützt werden.

3.13.

Der EWSA hält es für wichtig, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten nutzen, die das Operative Netz zur Geldwäschebekämpfung, ein internationales informelles Netz von im Geldwäschebereich aktiven Strafverfolgungsbehörden, sowie das Camdener zwischenstaatliche Netz der Vermögensabschöpfungsstellen (CARIN) bieten — ein informelles Netzwerk von Fachleuten der Strafverfolgungsbehörden und Justiz für die Ermittlung, Sicherstellung, Beschlagnahme und Einziehung von Vermögen.

3.14.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission zur Entwicklung eines Schulungssystems für Cyberkriminalität und empfiehlt insbesondere die Einrichtung eines Zertifizierungs-/Akkreditierungssystems für Experten für digitale Ermittlungen als ganz praktische Dimension bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität.

3.15.

Die schwere und organisierte Kriminalität stellt eine der größten globalen Bedrohungen für die Entwicklung moderner Gesellschaften dar. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität war als Herausforderung noch nie so groß wie heute. Straftäter werden in ihrer Arbeitsweise immer raffinierter, spezialisierter und unauffälliger. Auch werden sie immer geschickter darin, ihre Machenschaften hinter allen möglichen anderen Aktivitäten zu verschleiern. Der EWSA hält deshalb alle Initiativen zur Ermittlung und Ausweitung der Maßnahmen im Bereich der operativen und nicht-operativen Zusammenarbeit sowie gemeinsamer Schulungen für wichtig. Außerdem muss verdeutlicht werden, dass es mit Blick auf die derzeitige geopolitische Situation sowie angesichts der verschiedenen Bedrohungen durch organisierte und schwere Kriminalität keinen anderen Weg und keine andere Möglichkeit gibt, als zusammenzuarbeiten, gemeinsam zu handeln und sich auf internationaler Ebene über bewährte Verfahren auszutauschen.

3.16.

Die Bekämpfung der Finanzierung krimineller Aktivitäten sowie die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten sind von entscheidender Bedeutung, um kriminelle Aktivitäten aufzudecken, kriminelle Strukturen zu zerschlagen, das Gesetz des Schweigens zu brechen und neue Straftaten zu unterbinden. Außerdem kann so auch die Unterwanderung der legalen Wirtschaft und Gesellschaft verhindert werden. Trotz der Weiterentwicklung des Rechtsrahmens und der Ausweitung der Taktik der Strafverfolgungsbehörden können nur 1 % der illegal erworbenen Vermögenswerte beschlagnahmt werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Drogenhandels im Darknet in erster Linie in der Geschwindigkeit, mit der sich der Markt verändert (Märkte mit einer sehr kurzen „Lebensdauer“) und der Komplexität des Systems zur Ermittlung von Zahlungen in Kryptowährungen bestehen. Ein Schwachpunkt, der durch die Umsetzung der Kommissionsvorschläge beseitigt werden kann, ist das mangelnde Wissen der Strafverfolgungsbeamten über Cyberkriminalität, einschließlich Drogenkriminalität im Internet bzw. Darknet.

3.17.

Der EWSA schlägt vor, öffentlichkeitssensibilisierende Maßnahmen zur Prävention krimineller Handlungen in Erwägung zu ziehen. In diesem Zusammenhang könnten etwa Kampagnen durchgeführt werden, um das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für neue Bedrohungen sowie die Tätigkeitsbereiche krimineller Vereinigungen und ihre Arbeitsweise zu schärfen, denn die Gesellschaft und die Menschen erkennen kriminelle Aktivitäten dieser Gruppierungen oftmals gar nicht als solche.

Durch die Schaffung eines niedrigschwelligen Verfahrens, das es den Unionsbürgerinnen und -bürgern bei einem Verdacht auf kriminelle Aktivitäten ermöglicht, die Strafverfolgungsbehörden zu informieren (Anonymisierung der Anzeigen), könnten sowohl das Sicherheitsgefühl als auch die Wirksamkeit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität erheblich gestärkt werden.

3.18.

Überall auf der Welt greifen die Strafverfolgungsbehörden und die Polizei meist erst dann ein, wenn bereits eine Straftat begangen wurde, und häufig sind sie nicht in der Lage, die Begehung einer verbotenen Handlung zu verhindern. Nach Auffassung des EWSA wäre es der beste Ansatz, hier entsprechend zu reagieren und kriminelle Aktivitäten zu verhindern, jedoch müssen wir uns alle bewusst sein, dass es äußerst schwierig ist, kriminellen Vereinigungen einen Schritt voraus zu sein. Straftäter haben keine Schwierigkeiten, neue Technologien zu nutzen, sie müssen sich nicht an Haushaltsvorgaben, Gesetze und politische Korrektheit halten, und sie stellen ihre Gewinne über Menschenleben. Kriminelle passen sich sehr schnell an neue Bedingungen an, finden neue Methoden und erschließen sich neue Tätigkeitsbereiche. Die COVID-19-Pandemie ist ein gutes Beispiel hierfür.

3.19.

Die Plattform EMPACT erstellt alljährlich operative Aktionspläne, in denen den jüngsten Entwicklungen im Bereich der Kriminalität auf europäischer und globaler Ebene Rechnung getragen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der jeweilige Aktionsplan die Probleme der EU-Mitgliedstaaten und der kooperierenden Drittländer wie Island, Norwegen und der Schweiz widerspiegelt. Dank ihrer Arbeit können Probleme nicht nur frühzeitig erkannt, sondern auch eine geeignete Vorgehensweise entwickelt werden. Außerdem muss die operative Tätigkeit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität finanziell unterstützt werden.

3.20.

Der EWSA betont die Bedeutung der neuen Instrumente zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, etwa a) des SIS, des Prüm-Rahmens, der Fluggastdatensätze (Passenger Name Record, PNR) und der vorab übermittelten Fluggastdaten (Advance Passenger Information, API), b) der Plattform für gemeinsame Ermittlungsgruppen zur Verbesserung der Kommunikation und des Informationsaustauschs sowie zugleich der Vertiefung der Zusammenarbeit von Eurojust mit Drittländern und c) der sogenannten hochrangigen Ziele und der Nutzung operativer Taskforces, internationaler Projekte und regionaler Initiativen für den Aufbau von Netzen für die Zusammenarbeit und internationale Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung krimineller Vereinigungen.

3.21.

Häufig werden die zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in der Gesetzgebung bzw. der Praxis bestehenden Unterschiede als Grund für die unzureichende oder fehlende internationale Zusammenarbeit angeführt. Die Initiative zur Schaffung eines EU-Kodexes für die polizeiliche Zusammenarbeit ist daher umso begrüßenswerter. Die von der Europäischen Kommission bereits in Auftrag gegebene externe Studie zur Bewertung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus dem Jahr 2008 wird in dieser Hinsicht zweifellos hilfreich sein.

3.22.

Eine wichtige Rolle bei der Förderung der lokalen Dimension spielt im Verbund mit einem administrativen Ansatz für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität die Art und Weise, wie die lokalen Gebietskörperschaften in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden und der Zivilgesellschaft die administrativen Instrumente nutzen, um zu verhindern, dass die organisierte Kriminalität rechtmäßig handelnde Unternehmen und Verwaltungsinfrastrukturen unterwandern.

3.23.

Das Problem der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das in der Strategie der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2021–2025 umfassend behandelt wird, unterliegt einem ständigen Wandel und betrifft in unterschiedlichster Weise alle Bereiche unseres Lebens sowie von Politik und Gesellschaft. Die organisierte Kriminalität bedient sich der neuesten Errungenschaften des digitalen Zeitalters und nutzt üblicherweise Armut und niedere Instinkte aus, bringt verzweifelte Menschen in ein Abhängigkeitsverhältnis und zwingt sie zu kriminellen Handlungen, indem sie Angst verbreitet. Hier sind nach Überzeugung des EWSA gemeinsame Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten nötig. Zudem muss klar sein, dass man den kriminellen Vereinigungen voraus sein muss, indem neue Entwicklungen in Bezug auf diese Vereinigungen festgestellt werden, die über politische und administrative Grenzen hinweg tätig sind.

3.24.

Der EWSA hat sich vor kurzem in Stellungnahmen und einem Informationsbericht zur Terrorismusbekämpfung geäußert, die Berührungspunkte mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität aufweist. Er wird die künftigen Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter krimineller Vereinigungen weiter im Namen der Zivilgesellschaft beobachten und begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission dem Rat und dem Europäische Parlament vorgeschlagen hat, den Europäischen Auswärtigen Dienst, Eurojust und Europol in die entsprechenden Verhandlungen mit Drittländern einzubeziehen (3).

3.25.

Der EWSA betont, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft, unabhängige Überwachungsinstitutionen und Hinweisgeber zu den Instrumenten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität konsultiert und einbezogen werden sollten, dabei aber umfassenden Schutz genießen müssen. Dies dient dem wirksamen Schutz der Bürger, der europäischen Wirtschaft und der lokalen Gemeinschaften sowie der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte.

Brüssel, den 22. September 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 6.

(2)  ABl. C 374 vom 16.9.2021, S. 58.

(3)  SOC/673: Stärkung des Mandats von Europol (ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 66), SOC/675: Bewertung der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung, SOC/676: Eine EU-Agenda für Terrorismusbekämpfung (ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 71).


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