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Document 52020DC0014

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN EIN STARKES SOZIALES EUROPA FÜR EINEN GERECHTEN ÜBERGANG

    COM/2020/14 final

    Brüssel, den 14.1.2020

    COM(2020) 14 final

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

    EIN STARKES SOZIALES EUROPA FÜR EINEN GERECHTEN ÜBERGANG













    1. Stärkung des sozialen Europas

     „Den Menschen geht es um die Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft und um Gerechtigkeit und Gleichheit in jedem Sinne des Wortes.”

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

    In Europa haben wir einen der höchsten Lebensstandards, die besten Arbeitsbedingungen und den wirksamsten Sozialschutz der Welt. Europäer zu sein bedeutet heute, die Möglichkeit zu haben, erfolgreich zu sein, und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Soziale Gerechtigkeit ist das Fundament der europäischen sozialen Marktwirtschaft und das ureigene Anliegen unserer Union. Sie untermauert die Vorstellung, dass soziale Gerechtigkeit und Wohlstand die Eckpfeiler für den Aufbau einer widerstandsfähigen Gesellschaft mit den höchsten Lebensstandards weltweit sind. Dies zeigt sich auch in dem Bestreben Europas, die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung vollständig zu verwirklichen. Europa ist heute ein einzigartiger Ort, an dem Wohlstand, Gerechtigkeit und eine nachhaltige Zukunft gleichermaßen wichtige Anliegen sind.

    Wir leben in einer Zeit des Wandels. Klimawandel und Umweltverschmutzung erfordern eine Anpassung unserer Wirtschaft und Industrie, der Art, wie wir reisen und arbeiten, und der Produkte, die wir kaufen und essen. Mit dem europäischen Grünen Deal hat Europa seine Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Das ist unsere neue Wachstumsstrategie für das nächste Jahrzehnt, mit der neue Unternehmen und Arbeitsplätze geschaffen und mehr Investitionen angestoßen werden sollen. Sie muss sicherstellen, dass Europa auch künftig die fortschrittlichsten Sozialsysteme der Welt hat und ein dynamisches Zentrum für Innovation und wettbewerbsfähiges Unternehmertum ist. Dank ihr wird Europa über die Instrumente verfügen, die es für mehr Aufwärtskonvergenz, soziale Gerechtigkeit und gemeinsamen Wohlstand braucht.

    Die digitale Wirtschaft von heute und morgen muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Es wird davon ausgegangen, dass die künstliche Intelligenz und die Robotik allein in den nächsten 5 Jahren weltweit fast 60 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, während viele andere Tätigkeiten sich verändern oder gar verschwinden. Neue Technologien werden neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und flexiblere Arbeitsregelungen ermöglichen, aber wir müssen dafür sorgen, dass neue Arbeitsplätze auch hochwertig sind und dass die Menschen über die richtigen Kompetenzen verfügen, um sie annehmen zu können. Die gesetzlichen und sozialen Regelwerke des 20. Jahrhunderts sind für die digitale Wirtschaft nicht geeignet; es ist an der Zeit, den Sozialschutz in der neuen Arbeitswelt anzupassen und zu garantieren und die Steuervorschriften so zu ändern, dass jeder seinen gerechten Beitrag leistet.

    Die Demografie Europas verändert sich: Dank der Fortschritte in der Medizin und der öffentlichen Gesundheit leben wir heute länger und gesünder. Dadurch entstehen allerdings auch neue Bedürfnisse und Möglichkeiten. Die Senioren- und Pflegewirtschaft schafft für viele Menschen neue Arbeitsplätze und sorgt gleichzeitig dafür, dass ältere Menschen aktiv bleiben oder die von ihnen benötigte Pflege erhalten. Aufgrund von Bevölkerungsalterung und Landflucht geht die Bevölkerung in vielen ländlichen Gebieten Europas zurück. Das Stadt-Land-Gefälle nimmt zu und darf nicht länger ignoriert werden. Auch wenn der technologische Wandel und die Energiewende zahlreiche Chancen bieten, werden sie allein nicht ausreichen, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu überbrücken, es sei denn, wir helfen armen Regionen, zu den wohlhabenderen Gebieten aufzuschließen.

    Alle Europäerinnen und Europäer sollten die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu entfalten – wir müssen das, was unsere Eltern und Großeltern aufgebaut haben, erhalten, anpassen und verbessern. Heute haben 241 Millionen Menschen in der EU einen Arbeitsplatz – ein Rekordhoch. Diese Zahl ist jedoch nur ein Teil des Ganzen. In Wirklichkeit bestehen nach wie vor Ungleichheiten, und nicht jeder profitiert von diesen positiven Entwicklungen. Zu viele Menschen kommen nach wie vor finanziell kaum über die Runden oder sind aufgrund von Ungleichheiten mit Hindernissen konfrontiert. Viele Kinder und Jugendliche, die allzu oft aus benachteiligten sozioökonomischen Verhältnissen stammen, haben keinen Zugang zu hochwertiger Bildung oder Gesundheitsversorgung. Noch immer haben viele ältere Menschen keinen Zugang zu Pflegediensten. Ungleichheit wirkt als Wachstumsbremse und bedroht den sozialen Zusammenhalt. Wir müssen jetzt handeln, um unseren Kindern und Enkelkindern eine gerechte, grüne und prosperierende Zukunft zu garantieren und die Generationengerechtigkeit zu gewährleisten.

    Diese Veränderungen, Möglichkeiten und Herausforderungen betreffen alle Länder und alle Europäerinnen und Europäer. Es ist sinnvoll, sie gemeinsam anzupacken und dem Wandel aktiv zu begegnen.

    Die europäische Säule sozialer Rechte ist die europäische Antwort auf diese grundsätzlichen Ziele. Unsere Sozialstrategie besteht darin, dafür sorgen, dass der Wandel in Bezug auf Klimaneutralität, Digitalisierung und demografischen Wandel sozialverträglich und gerecht erfolgt.

    Die europäische Säule sozialer Rechte zielt auf Gerechtigkeit im Alltag aller Bürgerinnen und Bürger ab, unabhängig davon, ob sie lernen, arbeiten, einen Arbeitsplatz suchen oder im Ruhestand sind, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben, und ungeachtet des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der religiösen Überzeugung oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Die 20 Grundsätze der Säule, die 2017 von allen EU-Organen proklamiert wurde, sollen Chancengleichheit, Arbeitsplätze für alle und faire Arbeitsbedingungen schaffen sowie den Sozialschutz und die soziale Inklusion verbessern. Mit ihrer Umsetzung wird das auf höchster Ebene abgegebene Bekenntnis bekräftigt, dass die Menschen trotz aller Veränderungen im Mittelpunkt stehen müssen und niemand zurückgelassen wird. 

    Ausgehend von dem bisher Erreichten ist es nun an der Zeit, dieses Engagement in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Die Staats- und Regierungschefs haben die Umsetzung der Säule auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten unter gebührender Berücksichtigung der jeweiligen Zuständigkeiten gefordert 1 . Das Europäische Parlament hat darüber hinaus die Bedeutung unterstrichen, die Umsetzung der 20 Grundsätze fortzusetzen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat ihre Entschlossenheit bekräftigt, einen entsprechenden Aktionsplan vorzulegen. Der Erfolg hängt vom Handeln aller Akteure auf allen – auf europäischer, nationaler, regionaler sowie auf lokaler Ebene – Ebenen ab.

    Diese Mitteilung gibt den Weg für die Aufstellung eines Aktionsplans für die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte vor. Sie enthält eine Aufstellung der Initiativen auf EU-Ebene, die die Umsetzung der Säule unterstützen, und gibt den Startschuss für eine breit angelegte Debatte mit allen EU-Ländern und ‑Regionen sowie mit allen unseren Partnern: dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten, die die Bürgerinnen und Bürger Europas vertreten. Dem Rat und den nationalen Regierungen, die die europäischen Länder vertreten. Den Sozialpartnern, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten. Der Zivilgesellschaft, den entscheidenden Stimmen zu den Themen, die unseren Bürgerinnen und Bürgern besonders am Herzen liegen.

    Auf der Grundlage der Beiträge aller Beteiligten werden wir Anfang 2021 einen Aktionsplan vorlegen, um die in der Säule verankerten Rechte und Grundsätze zu verwirklichen.

    Im Rahmen des Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik werden die Fortschritte der europäischen Säule sozialer Rechte weiterhin überwacht. Ab diesem Jahr werden die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in das Europäische Semester integriert, damit Nachhaltigkeit und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik und der wirtschaftspolitischen Steuerung gestellt werden. Vor diesem Hintergrund wird in der Jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Strategie der EU im Einklang mit den Prioritäten des europäischen Grünen Deals dargelegt. Sie verbindet makroökonomische Stabilität, Produktivität, Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Die Steuerstruktur sollte Beschäftigung und Wachstum fördern und gleichzeitig mit den klima-, umwelt- und sozialpolitischen Zielen in Einklang stehen. Eine ungerechte Besteuerung – auch auf globaler Ebene – untergräbt die Fähigkeit der Länder, den Bedürfnissen ihrer Wirtschaft und ihrer Bevölkerung gerecht zu werden.

    Gemeinsam werden wir die soziale Marktwirtschaft Europas an die Chancen und Herausforderungen von heute und morgen anpassen und gerechte Übergänge für alle schaffen.

    2. Chancengleichheit und Arbeitsplätze für alle

    Befähigung der Menschen durch hochwertige allgemeine und berufliche Bildung und Kompetenzen

    Kompetenzen sind der Schlüssel für die Zukunft. Angesichts der immer häufigeren Arbeitsplatzwechsel und flexiblen Arbeitsmuster sind lebenslanges Lernen und Weiterbildung die Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Kompetenzen ermöglichen es den Menschen, die Vorteile eines sich rasch wandelnden Arbeitsplatzes zu nutzen. Die Hälfte der derzeitigen Arbeitskräfte wird in den nächsten fünf Jahren neue Kompetenzen erwerben müssen. Heute mangelt es jedoch zu vielen jungen Menschen an grundlegenden und digitalen Kompetenzen, und zu wenige haben die Möglichkeit, ihre Lücken nach Verlassen der Schule aufzuholen. In jedem Monat nimmt nur jeder zehnte Erwachsene an einer Fortbildung teil, und eine Million unbesetzte Stellen für IKT-Spezialisten bremsen die Investitionen in den digitalen Wandel. Mehr als 50 % der Unternehmen, die 2018 IKT‑Fachleute eingestellt haben oder einstellen wollten, berichteten von Schwierigkeiten bei der Besetzung freier Stellen.

    Die allgemeine und berufliche Bildung ist die Voraussetzung für den Erwerb von Kompetenzen. Die Mitgliedstaaten müssen die nationalen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in ganz Europa anpassen, um von Kindheit an eine inklusive und hochwertige allgemeine und berufliche Bildung anzubieten und die Menschen dabei zu unterstützen, Verantwortung für ihre kontinuierliche Entwicklung während des gesamten Berufslebens zu übernehmen. Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um Fähigkeiten und Kompetenzen, die außerhalb der formalen allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme erworben wurden, zu validieren. Kompetenzen und Erfahrungen, die am Arbeitsplatz, im Rahmen einer Freiwilligentätigkeit oder in einem anderen informellen Umfeld erworben wurden, können – wenn sie anerkannt und geschätzt werden – für Menschen auf der Suche nach einer neuen Stelle von großem Nutzen sein.

    Um herauszufinden, welche Kompetenzen benötigt werden, müssen die nationalen und regionalen Regierungen mit denjenigen zusammenarbeiten, die es am besten wissen: Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Lehrkräften und Ausbildern. Auf einem instabilen und sich wandelnden Arbeitsmarkt ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Menschen über umfassende Schlüsselkompetenzen verfügen, die eine gute Grundlage für ihre Anpassungsfähigkeit bilden. Darüber hinaus können starke Partnerschaften zwischen denjenigen, die nach neuen Talenten suchen, und denjenigen, die sie aus- und weiterbilden, in Kombination mit modernen Prognosetechniken und der Verfolgung des Werdegangs von Absolventen Hinweise darauf bieten, was und wie zu lernen ist. Dies ist insbesondere in den Regionen erforderlich, in denen die Bevölkerung zurückgeht und die Arbeitgeber keine qualifizierten Arbeitskräfte mehr finden. Dies gilt auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die das Rückgrat unserer Wirtschaft darstellen. Ein Viertel der europäischen KMU berichtet von großen Schwierigkeiten bei der Suche nach erfahrenen Mitarbeitern und Führungskräften. Und ganz allgemein gilt dies überall dort, wo der digitale und der grüne Wandel neue Kompetenzen erfordern. Die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie die Lehrlingsausbildung können die Beschäftigungsfähigkeit sowohl von jungen Menschen als auch von Erwachsenen verbessern und den sich wandelnden Bedürfnissen der Unternehmen gerecht werden. Eine solche Investition in Weiterbildung und Umschulung werden Kosten verursachen, die gemeinsam vom öffentlichen Sektor, von den Arbeitgebern und den Betroffenen getragen werden müssen. Um Kompetenzen, Beschäftigungsfähigkeit und Humankapital in den Mittelpunkt zu stellen, wird die Kommission im ersten Quartal 2020 die europäische Agenda für Kompetenzen aktualisieren und einen Vorschlag für eine Empfehlung zur europäischen beruflichen Aus- und Weiterbildung unterbreiten. Darüber hinaus werden innovative Lösungen geprüft, die es den Menschen ermöglichen, ihr eigenes Lernen und ihre eigene Karriere zu steuern, wie z. B. ein individuelles Lernkonto für Menschen im erwerbsfähigen Alter.

    Eine hochwertige allgemeine und berufliche Bildung schafft Chancengleichheit und kann den Kreislauf des geringen Bildungsstands durchbrechen. Der Europäische Bildungsraum, der bis 2025 verwirklicht werden soll, wird den Lernenden die grenzüberschreitende Mobilität in Europa erleichtern und den Zugang zu hochwertiger und inklusiver allgemeiner und beruflicher Bildung verbessern. Im dritten Quartal 2020 wird die Kommission die Ziele des Europäischen Bildungsraums weiterentwickeln und mit den Mitgliedstaaten einen neuen Rahmen für die Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung schaffen; dabei soll insbesondere angestrebt werden, dass junge Menschen mindestens die Sekundarstufe II abschließen und über ein ausreichendes Niveau an Grundfertigkeiten verfügen. Erasmus+ wird die allgemeine und berufliche Bildung, die Jugend und den Sport in Europa weiterhin unterstützen und stärken; dazu werden die Haushaltsmittel für den Zeitraum 2021-2027 deutlich aufgestockt. Künftig soll dieses Programm für junge Menschen mit geringeren Chancen leichter zugänglich gemacht und damit inklusiver gestaltet werden. Die Ausweitung des Programms auf Lehrkräfte, Ausbilder und Akademiker hat zum Ziel, unsere Systeme einander anzunähern und die Vorteile eines Austauschs bewährter Verfahren zu nutzen. Das Programm Digitales Europa wird die Entwicklung fortgeschrittener digitaler Kompetenzen fördern, um den Einsatz dieser Technologien in der gesamten Wirtschaft zu ermöglichen und die digitalen Fähigkeiten der Bildungsanbieter zu stärken. Zur Unterstützung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten wird die Kommission im zweiten Quartal 2020 auch den Aktionsplan für digitale Bildung aktualisieren, um die digitalen Kompetenzen von jungen Menschen und Erwachsenen zu verbessern und sicherzustellen, dass alle Bildungsorganisationen für das digitale Zeitalter gerüstet sind.

    Unsere jungen Menschen sind die Zukunft Europas und verdienen eine vielversprechende Zukunft. Eltern wünschen sich natürlich gute Arbeitsplätze und Karriereaussichten für ihre Kinder. Dennoch finden zu viele junge Menschen häufig nur Niedriglohnjobs, befristete oder atypische Stellen, die sie ihre Talente nicht entfalten und ihre Zukunft nicht planen lassen. Junge Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund und junge Eltern sind noch stärker dem Risiko ausgesetzt, den Anschluss zu verlieren. Um die Jugendarbeitslosigkeit stärker zu bekämpfen, wird die Kommission im zweiten Quartal 2020 ihre Vorschläge zur Stärkung der Jugendgarantie vorlegen, die bereits 3,5 Millionen jungen Menschen jährlich hilft, eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren oder eine Arbeit zu finden. Die neue Jugendgarantie soll junge Menschen dabei unterstützen, Kompetenzen zu entwickeln und Berufserfahrung zu sammeln, insbesondere im Bereich des grünen und des digitalen Wandels.

    Unterstützung der beruflichen Mobilität und der wirtschaftlichen Umstellung

    Alle Menschen in Europa, ob jung oder alt, sollten Zugang zu zeitnaher und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützung – einschließlich Aus- und Fortbildung – haben, um ihre Chancen zu verbessern, einen hochwertigen Arbeitsplatz zu finden oder ein Unternehmen zu gründen. Fast jeder Erwachsene hat zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens eine Arbeitsstelle gesucht. Einige Menschen finden unmittelbar nach dem Schulabschluss Arbeit und können dank eines soliden Netzwerks und einer nachweislichen Erfolgsgeschichte problemlos den Arbeitsplatz wechseln. Für andere ist dies viel schwieriger. Ihnen mangelt es möglicherweise an Informationen über Beschäftigungsmöglichkeiten, oder sie finden keine Stelle, die ihren Fähigkeiten und Erfahrungen entspricht, oder aber sie befinden sich in einer schwierigen persönlichen und familiären Situation. Öffentliche und private Arbeitsvermittlungsstellen sollten nicht nur Arbeitslose unterstützen, sondern auch diejenigen, die Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz aufgrund überholter Kompetenzen zu verlieren.

    Der heute vorgestellte Investitionsplan für ein nachhaltiges Europa – Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal wird zur Finanzierung des Wandels beitragen, mit dem Europa konfrontiert ist. Der Übergang zu einer grüneren Wirtschaft wird voraussichtlich in einigen Regionen und Wirtschaftszweigen größere Auswirkungen haben als in anderen. Fester Bestandteils des Plans ist ein Mechanismus für einen gerechten Übergang einschließlich eines speziellen Fonds für einen gerechten Übergang, aus dem Regionen unterstützt werden sollen, die wahrscheinlich stärker vom Übergang betroffen sein werden, um dafür zu sorgen, dass niemand auf der Strecke bleibt. Dies zeigt die Erkenntnis der EU, dass ökologische und soziale Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Investitionen lassen neue wirtschaftliche Tätigkeiten und Arbeitsplätze entstehen, reduzieren unseren CO2-Fußabdruck, gewährleisten die Bereitstellung erschwinglicher Energien und fördern den Erwerb neuer Kompetenzen. Darüber hinaus wird der Modernisierungsfonds einen gerechten Übergang in kohleabhängigen Regionen ermöglichen, indem Umschulung, berufliche Weiterbildung und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern sowie Bildung, Arbeitssuche und Gründung von Start-up-Unternehmen unterstützt werden. Schließlich kann der Europäische Globalisierungsfonds genutzt werden, um Solidarität mit entlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Selbstständigen zu zeigen und ihnen Unterstützung zuteilwerden zu lassen.

    Schaffung von Arbeitsplätzen

    Die europäische Wirtschaft verzeichnet nun das siebte Wachstumsjahr in Folge. Es wird davon ausgegangen, dass die Wirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 weiter wachsen wird, auch wenn sich die Wachstumsaussichten verschlechtert haben. Die Arbeitsmärkte bleiben robust, und die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück, wenn auch langsamer als zuvor.

    Europa muss auf dieser soliden Grundlage aufbauen, damit die soziale Marktwirtschaft in Europa auch in den kommenden Jahren mehr und bessere Arbeitsplätze für alle schafft. Im Mittelpunkt dieses Wandels wird eine für das erste Quartal 2020 geplante industriepolitische Strategie mit einer starken Verankerung im Binnenmarkt stehen, die unsere Unternehmen in die Lage versetzen soll, Innovationen und neue Technologien zu entwickeln, die Kreislaufwirtschaft zu fördern und neue Märkte zu schaffen. Die Berücksichtigung sozialer und beschäftigungspolitischer Aspekte ist ein integraler Bestandteil der Strategie, damit der industrielle Wandel allen – Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, Regionen und Städten – zugutekommt. Darüber hinaus wird die Kommission im ersten Quartal 2020 eine spezifische Strategie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vorschlagen. Auf diese Unternehmen entfallen 85 % der in den letzten fünf Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze. Die Förderung von Innovation, die Sicherstellung der Finanzierung und der Bürokratieabbau für KMU sind für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa von entscheidender Bedeutung.

    Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, der Europäische Sozialfonds Plus und der Kohäsionsfonds werden weiterhin eine entscheidende Rolle für die Unterstützung des sozialen und territorialen Zusammenhalts in unseren Mitgliedstaaten, Regionen und ländlichen Gebieten spielen, damit sie mit dem digitalen und ökologischen Wandel unserer Welt Schritt halten können. Im Vorschlag der Kommission für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) wurde die Gesamtzuweisung für die Kohäsionspolitik im Zeitraum 2021-2027 auf 373 Mrd. EUR zu jeweiligen Preisen festgesetzt. Auch der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Europäische Meeres- und Fischereifonds werden zum territorialen Zusammenhalt beitragen. Die Kommission hat zudem das Programm InvestEU vorgeschlagen, das 650 Mrd. EUR an Investitionen mobilisieren soll, darunter 50 Mrd. EUR für soziale Infrastrukturprojekte und soziale Investitionen in Bildung und Kompetenzen, soziales Unternehmertum und Mikrofinanzierung. InvestEU wird neue Partnerschaftsmodelle sowie neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle mit dem Ziel einrichten, bessere soziale Ergebnisse zu erreichen und das Potenzial des Kapitals von Investoren und philanthropischen Geldgebern zu erschließen.

    Die Schaffung neuer Arbeitsplätze bedeutet mehr als nur Wachstum. Dies gilt umso mehr für die Sozialwirtschaft, die sozialen Bedürfnissen dient. In Europa arbeiten rund 13,6 Millionen Menschen in der Sozialwirtschaft. Sozialunternehmen und -organisationen generieren Engagement, Initiativen und Erträge in lokalen Gemeinschaften und führen gleichzeitig alle näher an den Arbeitsmarkt heran. Die Sozialwirtschaft bietet innovative Lösungen in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Energiewende, Wohnungswesen und Erbringung sozialer Dienstleistungen. Sie kann auch eine Vorreiterrolle bei lokalen grünen Deals spielen, indem sie Bündnisse in Gebieten schafft, um Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen an der Klimawende zu beteiligen. Die Kommission wird 2021 einen Aktionsplan für die Sozialwirtschaft auf den Weg bringen, um soziale Investitionen und Innovationen zu fördern und das Potenzial der Sozialunternehmen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu steigern, auch für diejenigen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind. Ein sozial verantwortliches öffentliches Beschaffungswesen kann auch sicherstellen, dass vorhandene Mittel eingliederungsfördernd ausgegeben werden, indem beispielsweise Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen oder für von Armut bedrohte Menschen geschaffen werden.

    Förderung der Gleichstellung

    Unsere Union gewinnt ihre Stärke und Einheit aus ihrer Vielfalt – Vielfalt der Menschen, der Kulturen und der Traditionen. Europa kann jedoch nur voranschreiten, wenn es alle seine Fähigkeiten, seine Talente und sein Potenzial nutzt. Das setzt eine gerechtere Gesellschaft voraus, in der alle diejenigen, die die gleichen Ziele verfolgen, die gleichen Chancen haben, sie zu erreichen. Zwar finden sich in der Union die gerechtesten Gesellschaften der Welt, es bleibt jedoch noch viel zu tun. Europa muss sein Engagement für Inklusion und Gleichheit in jeder Hinsicht stärken, unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, religiöser Überzeugung oder Weltanschauung, einer Behinderung, Alter oder sexueller Ausrichtung. Gleichstellung steht ganz oben auf der politischen Tagesordnung dieser Kommission, die zum ersten Mal ein Portfolio für Gleichstellung umfasst und eine neue Taskforce eingerichtet hat.

    Die Situation von Frauen verdient besondere Aufmerksamkeit. Ein niedriges Beschäftigungsniveau ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die Frauen selbst schlecht. Trotz höherer Bildungsabschlüsse haben Frauen eine kürzere und stärker fragmentierte Karriere als Männer, was oft auf ihre Betreuungspflichten zurückzuführen ist. Ihre Karriere verläuft langsamer, und sie haben niedrigere Einkommen und Renten, leben aber länger. In einigen Wirtschaftszweigen sind Frauen unterrepräsentiert. Dies gilt für digitale Berufe, in denen nicht einmal jeder fünfte IKT-Spezialist eine Frau ist. Frauen erhalten bei ihrem Eintritt in den Ruhestand im Durchschnitt nur zwei Drittel der Renten von Männern, was einen noch größeren Unterschied als das Lohngefälle darstellt. Die Bekämpfung von Stereotypen in der Arbeitswelt ist von entscheidender Bedeutung, damit Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn vorankommen und eine gerechte Entlohnung erhalten. Verbesserte Kinderbetreuung und Langzeitpflege sind Teil der Lösung, mit der sichergestellt werden soll, dass die Betreuungspflichten gleichmäßiger zwischen Frauen und Männern aufgeteilt werden. Im ersten Quartal 2020 wird die Kommission eine neue europäische Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter sowie verbindliche Maßnahmen für mehr Lohntransparenz vorschlagen, um die Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohn- und Rentengefälles voranzutreiben, den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt zu fördern und die Zahl der Frauen in Führungspositionen in Unternehmen und Organisationen zu erhöhen. 

    Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen ist eine Wirtschaft, die sich auch für Menschen mit Behinderungen einsetzt. Der europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit wird neue Möglichkeiten für die Entwicklung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen schaffen. Die Technologie, in Verbindung mit angepassten Tätigkeiten und Arbeitsplätzen, kann Menschen mit Behinderungen sowie Menschen und Unternehmen, die ihren Bedürfnissen gerecht werden, neue Möglichkeiten eröffnen. Menschen mit Behinderungen erfahren jedoch nach wie Schwierigkeiten beim Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung, Beschäftigung, Sozialschutzsystemen und Gesundheitsversorgung. Häufig haben sie es auch schwerer, sich aktiv am politischen oder kulturellen Leben ihrer Gemeinschaften zu beteiligen. Die Kommission wird die Umsetzung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fortsetzen. Die Kommission wird 2021 eine verstärkte Strategie für Menschen mit Behinderungen vorlegen, die auf den Ergebnissen der laufenden Evaluierung der Europäischen Strategie für Menschen mit Behinderungen 2010-2020 aufbaut.

    Schnellere und effizientere Integrationsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige kommen nicht nur diesen selbst, sondern auch dem Arbeitsmarkt und der Gesellschaft im Ganzen zugute. Viele Mitgliedstaaten könnten die Kompetenzen und Qualifikationen dieser Menschen besser nutzen und ihren Zugang zu inklusiver und hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung fördern. Aufbauend auf dem Aktionsplan für Integration von 2016 wird die Kommission die Integrationsmaßnahmen der Mitgliedstaaten und anderer Interessenträger wie lokaler und regionaler Behörden, Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Wirtschafts- und Sozialpartner stärker unterstützen.

    3. Faire Arbeitsbedingungen

    Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa sollten einen angemessenen Mindestlohn erhalten, der ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Das bedeutet nicht, dass für jeden Arbeitnehmer in der EU derselbe Mindestlohn festgelegt wird. Mindestlöhne sollten entsprechend der jeweiligen nationalen Tradition durch Tarifverträge oder Rechtsvorschriften festgelegt werden. Gut funktionierende Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sind ein sehr wirksames Mittel, um angemessene und faire Mindestlöhne festzulegen, da Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Branche und ihre Region am besten kennen. Die Kommission leitet heute eine erste Anhörungsphase der Sozialpartner zu der Frage ein, wie gerechte Mindestlöhne für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Union gewährleistet werden können.

    Arbeiten bedeutet mehr, als nur seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ein Arbeitsplatz bietet soziale Beziehungen und einen Platz in der Gesellschaft sowie Möglichkeiten für die persönliche und berufliche Entwicklung. Dies gilt jedoch nur, solange faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen herrschen. Neue Formen der Arbeit entwickeln sich rasch und werden vor allem durch die digitale Technologie beschleunigt. Sie tragen zu Wachstum und Beschäftigung bei und fördern innovative Dienstleistungen, indem sie Arbeitnehmern, Selbstständigen, Kunden und Unternehmen Flexibilität und neue Möglichkeiten bieten. Sie können jedoch auch zu neuen Formen prekärer Beschäftigungsverhältnisse führen. Um Vertrauen in den digitalen Wandel aufzubauen und sein Potenzial voll auszuschöpfen, benötigen neue Geschäftsmodelle klarere Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch, zur Aufrechterhaltung hoher Gesundheits- und Sicherheitsstandards und zur Gewährleistung eines besseren Sozialschutzes. Technologische Innovation muss mit sozialer Innovation einhergehen. Der europäische Weg ist ein menschlicher, ein ethischer Weg, und diese Einstellung muss auch weiterhin unsere Zukunft prägen. 

    Insbesondere das nachhaltige Wachstum der Plattformwirtschaft erfordert bessere Arbeitsbedingungen der Plattformarbeiter. Ein neuer Rechtsakt über digitale Dienstleistungen, der im Laufe des zweiten Halbjahrs 2020 vorgelegt werden soll, wird unsere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienstleistungen und Produkte verbessern und unseren digitalen Binnenmarkt vollenden. Gleichzeitig wird die Kommission einen Gipfel für Plattformarbeit organisieren, um vorrangige Themen und mögliche Lösungen zu erörtern, wie zum Beispiel Beschäftigungsstatus, Arbeitsbedingungen und Zugang der Plattformarbeiter zum Sozialschutz, Zugang zu Arbeitnehmervertretung und Tarifverhandlungen sowie grenzüberschreitende Aspekte der Plattformarbeit.

    Die Digitalisierung und die neuen Technologien verändern auch den Arbeitsplatz. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU genießen hohe Gesundheits- und Sicherheitsstandards. Roboter und digitale Werkzeuge können gefährliche und monotone Aufgaben von Menschen übernehmen. Dennoch können Veränderungen auch neue Bedenken hervorrufen. Neue Arbeitsmuster – ständige Erreichbarkeit, zunehmende Online- und mobile Arbeit, Mensch-Maschine-Schnittstellen, Überwachung der Arbeitnehmer, Rekrutierung und Management durch Algorithmen usw. – können die Produktivität erhöhen, die für die allgemeine Verbesserung des Lebensstandards von entscheidender Bedeutung ist, sollten sich jedoch so entwickeln, dass neue Formen der Diskriminierung oder Ausgrenzung oder neue Risiken für die körperliche oder geistige Gesundheit der Arbeitnehmer vermieden werden. Um ihre hohen Standards aufrechtzuerhalten, wird die Kommission ihre Arbeitsschutzstrategie überarbeiten und diese neuen Risiken parallel zu den traditionellen Risiken wie der Exposition gegenüber gefährlichen Stoffen oder dem Risiko von Arbeitsunfällen aufgreifen. 

    Faire Arbeitsbedingungen beruhen auch auf einem starken sozialen Dialog: Arbeitnehmer und Arbeitgeber können gemeinsam Lösungen für ihre jeweiligen Anforderungen finden. Starke Vertretungsorganisationen und ihre rechtzeitige Einbeziehung in die Politikgestaltung auf nationaler und europäischer Ebene sind äußerst wichtig. Die Kommission wird prüfen, wie sozialer Dialog und Tarifverhandlungen gefördert und die Kapazitäten der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf EU- und nationaler Ebene ausgebaut werden können. Ein wirksamer Dialog auf Unternehmensebene ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn Unternehmen umstrukturiert werden oder wesentliche Veränderungen durchlaufen. Da Unternehmen zunehmend grenzüberschreitend tätig sind, sollten wir die bestehenden Instrumente zur Einbeziehung der Arbeitnehmer, wie die Europäischen Betriebsräte, umfassend nutzen, um die Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu fördern.

    Für europäische Bürgerinnen und Bürger, die derzeit in einem anderen EU-Land leben oder arbeiten, stehen faire Arbeitsbedingungen für eine faire Mobilität. Heute leben oder arbeiten doppelt so viele Bürgerinnen und Bürger in einem anderen EU-Land wie noch vor zehn Jahren. Millionen von Unternehmen, insbesondere KMU, sind grenzüberschreitend tätig. Sie profitieren vom Binnenmarkt, einem wichtigen Motor für Wachstum und Beschäftigung. Die EU-Vorschriften müssen sicherstellen können, dass alles fair und transparent abläuft, ein fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen möglich ist, die Arbeitnehmerrechte geschützt und doppelte Beiträge und Sozialdumping vermieden werden. Die neu geschaffene Europäische Arbeitsbehörde (ELA) wird ein wichtiges Instrument sein, um die Anwendung und Durchsetzung der EU-Vorschriften in diesem Bereich zu erleichtern und so das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern. Sie wird den Zugang von Bürgerinnen und Bürgern und Arbeitgebern zu Informationen über die Arbeit oder Tätigkeit in einem anderen EU-Land erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden unterstützen, unter anderem bei der Verstärkung der Kontrollen, der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit und der Betrugsbekämpfung.

    4. Sozialschutz und Eingliederung

    Sicherung eines hohen Sozialschutzes

    Ein widerstandsfähiger Sozialvertrag muss auf einer starken Solidarität beruhen. Wir müssen mehr tun, um diejenigen zu unterstützen, die ihren Arbeitsplatz aufgrund externer Ereignisse mit Auswirkungen auf unsere Wirtschaft verlieren, und ihre Umschulung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern. Die Kommission wird ein europäisches Arbeitslosenversicherungssystem vorschlagen, um unsere Bürgerinnen und Bürger zu schützen und den Druck auf die öffentlichen Finanzen bei externen Schocks zu verringern. 

    Unsere Sozialschutzstandards müssen auch an die neuen Gegebenheiten der Arbeitswelt, die neuen Schwachstellen und die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger angepasst werden. In mehreren Mitgliedstaaten haben einige Selbstständige und Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen keinen Zugang zu einem angemessenen Sozialschutz. Die Umsetzung der Empfehlung über den Zugang zum Sozialschutz wird gewährleisten, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Invalidität oder Arbeitsunfällen geschützt sind.

    Damit niemand auf der Strecke bleibt, muss auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet sein. Ärmere Menschen haben eine um sechs Jahre niedrigere Lebenserwartung als wohlhabendere. Die Förderung einer gesunden Lebensweise, besserer Präventivmaßnahmen und eines auf den Patienten ausgerichteten Gesundheitssystems kann eine erschwingliche, aber gleichwohl hochwertige Gesundheitsversorgung für alle sicherstellen. Die Gestaltung von Sozialschutzsystemen, die auf den Werten der EU und den Grundsätzen der Universalität, Solidarität und Fairness beruhen, erfordert die Entwicklung neuer und integrierter Gesundheits- und Sozialfürsorgemodelle. Außerdem können kosteneffiziente Innovationen bestmöglich genutzt werden, die den tatsächlichen Bedürfnissen der öffentlichen Gesundheit gerecht werden. Ein auf den Patienten ausgerichteter Ansatz würde dazu beitragen, bessere Ergebnisse zu erzielen, z. B. kürzere Wartezeiten auf eine Behandlung und problemloser Zugang zur Pflege. Darüber hinaus muss dafür gesorgt werden, dass Europa Krebserkrankungen bekämpft, eines der größten Gesundheitsprobleme dieses Jahrhunderts, das das Leben von Millionen Europäerinnen und Europäern gefährdet. Europa ist entschlossen, die Führung im Kampf gegen den Krebs zu übernehmen. Im Februar 2020 wird die Kommission eine europaweite Debatte einleiten, um im vierten Quartal des Jahres einen ehrgeizigen europäischen Plan für den Kampf gegen den Krebs vorzulegen, der dazu beitragen soll, das durch diese Krankheit verursachte Leid zu verringern.

    Die Bevölkerungsalterung stellt die Angemessenheit unserer Sozialschutzsysteme in Frage. Renten könnten für eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer zur Haupteinkommensquelle werden. Die höhere Lebenserwartung sollte mit der Möglichkeit einhergehen, die Menschen länger arbeiten zu lassen. Dies würde durch eine bessere Gesundheit und eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer am Arbeitsplatz möglich werden. Auf diese Weise könnten die Tragfähigkeit der Rentensysteme erhalten und die betriebliche Altersversorgung sowie die dritte Säule gestärkt werden. Viele ältere Menschen werden jedoch besondere Fürsorge benötigen. Die Sicherung des Zugangs zu erschwinglicher und hochwertiger Langzeitpflege ist von entscheidender Bedeutung, um ein menschenwürdiges Leben im Alter zu unterstützen und gleichzeitig die Möglichkeiten zu nutzen, die in der Pflegewirtschaft durch die Schaffung von Arbeitsplätzen entstehen.

    Eine alternde Gesellschaft ist nicht die einzige demografische Herausforderung. Neue Haushaltsmuster wie mehr Einpersonenhaushalte, Mobilität in die Städte, die zur Entvölkerung ländlicher Gebiete führt, Abwanderung von Fachkräften oder sogar Migrationsströme verändern die demografische Landschaft in der EU. Zur Erfassung der aktuellen Lage wird die Kommission im ersten Quartal 2020 einen Bericht über die Auswirkungen des demografischen Wandels vorlegen. Im Anschluss daran wird im vierten Quartal 2020 ein Grünbuch über das Altern vorgelegt, um eine Debatte über die langfristigen Auswirkungen der alternden Bevölkerung, insbesondere auf Pflege und Renten, und über die Förderung von Aktivität im Alter anzustoßen. Die Kommission erkennt an, dass der grüne, der digitale und der demografische Wandel verschiedene Menschen auf unterschiedliche Weise betreffen, und lässt daher dem Demografiebericht im Jahr 2021 eine langfristige Vision für ländliche Gebiete folgen. Diese langfristige Vision zielt darauf ab, die ländlichen Gebiete bei der Bewältigung ihrer eigenen besonderen Probleme zu unterstützen, von der Alterung und Entvölkerung bis zur Konnektivität, dem Armutsrisiko und dem eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen, Sozialschutz und Gesundheitsversorgung.

    Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung

    Damit niemand im Zeitalter des Wandels auf der Strecke bleibt, muss die Armut bekämpft werden. In den letzten zehn Jahren wurden Millionen von Menschen in der EU aus der Armut geführt, doch trotz des gemeinsamen Ziels der EU, bis 2020 20 Millionen Menschen aus der Armut zu helfen, ist mehr als jeder fünfte Europäer nach wie vor armutsgefährdet. Ein Leben in Würde bedeutet die für die Arbeitssuche erforderliche Unterstützung, Zugang zu erschwinglicher und hochwertiger Gesundheitsversorgung, menschenwürdige Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, erschwinglichen Wohnraum und erschwinglichen Zugang zu lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen wie Wasser, Energie, Verkehr und digitale Kommunikation. Für Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, stellen Mindesteinkommensregelungen in Verbindung mit Unterstützungsdiensten das letzte Mittel dar, um ein Leben in Würde zu gewährleisten. Die Immobilienpreise sind in der gesamten Union gestiegen, so dass die Wohnungs- und Wohnkosten für die Mehrheit der Bevölkerung immer weniger erschwinglich sind. Obdachlosigkeit, die schlimmste Auswirkung steigender Wohnkosten, nimmt in den meisten Mitgliedstaaten zu. Energiearmut und die mangelnden Mittel, um in moderne, kostensparende Lösungen zu investieren, zeigen, dass die neuen Verteilungsprobleme, die sich aus dem Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft ergeben, aufmerksam beobachtet werden müssen. 2 Aus all diesen Gründen müssen breit angelegte Überlegungen angestellt werden, um die vielfältigen und miteinander verknüpften Ursachen der Armut zu betrachten, sich über die Auswirkungen der verschiedenen politischen Instrumente Gedanken zu machen und das weitere Vorgehen zu überdenken.

    Armut betrifft alle Mitglieder einer Familie – Eltern wie Kinder – gleichermaßen. Kinder in armen Familien haben keinen fairen Start ins Leben. Sie haben ein erhöhtes Risiko von Gesundheitsproblemen und schlechteren Bildungsleistungen im späteren Leben, was letztendlich wieder zurück zu Armut führt. Investitionen in hochwertige und inklusive frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und Schulen sowie in den Zugang zu Gesundheitsversorgung, in Ernährung und angemessenen Wohnraum können diesen negativen Kreislauf durchbrechen. 2021 wird die Kommission eine Kindergarantie vorlegen, um sicherzustellen, dass Kinder Zugang zu den Dienstleistungen haben, die sie benötigen, und dass sie unterstützt werden, bis sie erwachsen sind. 

    Viele Roma in der EU sind trotz des Diskriminierungsverbots in den EU-Staaten Opfer von Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung. Die Überwindung der Ausgrenzung der Roma erfordert ein langfristiges Engagement auf allen Ebenen. Der EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma, der bis 2020 gilt, hat einige positive Ergebnisse gebracht. Im vierten Quartal 2020 wird eine Folgeinitiative zur Gleichstellung und Inklusion der Roma vorgelegt, die auf den Ergebnissen der Evaluierung des EU-Rahmens aufbaut. 

    5. Verbreitung europäischer Werte in der Welt

    Europa sollte seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss nutzen, um die soziale Gerechtigkeit im Rest der Welt zu fördern. Unsere Politik der internationalen Zusammenarbeit, unsere Entwicklungs- und Handelspolitik schaffen Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand – sowohl in Europa als auch bei unseren Partnern. Handel ist mehr als nur der reine Austausch von Waren und Dienstleistungen. Er ist auch ein strategischer Vorteil für Europa. Er ermöglicht uns, Partnerschaften aufzubauen, unseren Markt vor unlauteren Praktiken zu schützen und die Einhaltung international vereinbarter Normen zu gewährleisten. Die Kommission wird an einer starken, offenen und fairen Handelsagenda arbeiten. Jedes neue umfassende bilaterale Abkommen wird ein Kapitel über nachhaltige Entwicklung und die höchsten Standards des Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutzes und die Nulltoleranz von Kinderarbeit enthalten, um angemessene und gleiche Wettbewerbsbedingungen mit unseren Handelspartnern zu gewährleisten. Die Kommission wird auch den Dialog gerade mit den westlichen Balkanstaaten intensivieren, um die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte in dieser Region zu fördern.

    Europa sollte auch bei der Durchsetzung bestehender Abkommen oder Handelsabkommen entschlossen Position beziehen, um international vereinbarte Normen im Bereich der Arbeitnehmerrechte zu fördern und zu schützen. Die Kommission wird einen leitenden Handelsbeauftragten ernennen, der die Einhaltung unserer Handelsabkommen überwacht und verbessert, und sie wird mit ihren Handelspartnern zusammenarbeiten, um die wirksame Erfüllung der Verpflichtungen sicherzustellen. Die EU wird die Umsetzung der in unseren Handelsabkommen verankerten Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen engmaschig überwachen und gegenüber Kinderarbeit eine Nulltoleranz-Politik verfolgen.

    6. Gemeinsame Arbeit

    Diese Mitteilung hat zum Ziel, eine umfassende Diskussion mit allen EU-Ländern und ‑Regionen sowie mit all unseren Partnern anzustoßen. Sie enthält eine Reihe von Initiativen, die in den kommenden Monaten auf EU-Ebene ergriffen werden und zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte beitragen sollen.

    Doch Maßnahmen allein auf EU-Ebene werden nicht ausreichen. Da sich die Auswirkungen neuer Technologien immer deutlicher zeigen, die Ergebnisse von Klimaschutzmaßnahmen unser tägliches Leben beeinflussen und der demografische Druck zunimmt, müssen wir unsere Reaktion auf allen Ebenen kontinuierlich anpassen und verstärken. Der Schlüssel zum Erfolg liegt häufig in den Händen der nationalen, regionalen und lokalen Behörden sowie der Sozialpartner und der einschlägigen Interessenträger auf allen Ebenen, die auf EU-Ebene zusammenarbeiten.

    Die Kommission fordert daher alle europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Behörden und Partner auf, sich bis November 2020 zu weiteren erforderlichen Maßnahmen zu äußern und sich zu ihren eigenen konkreten Verpflichtungen im Hinblick auf die Umsetzung der Säule zu bekennen. Das ganze Jahr 2020 hindurch wird sich die Kommission um ein aktives Engagement und eine aktive Beteiligung aller unserer Partner – Europäisches Parlament, Rat, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen, Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft – bemühen. Beiträge und Zusagen können über die Website „yoursay-socialeurope“ eingereicht werden. 3

    Ziel ist es, gemeinsam einen Aktionsplan auszuarbeiten‚ der alle Beiträge widerspiegelt und auf der höchsten politischen Ebene zur Billigung vorgeschlagen wird.

    (1)

    Schlussfolgerungen des Europäischen Rates – Neue Strategische Agenda 2019-2024 [Verweis], Juni 2019.

    (2)

     Entsprechend ihrer Ankündigung im europäischen Grünen Deal wird die Kommission 2020 Leitlinien zur Energiearmut vorlegen.

    (3)

      https://ec.europa.eu/social/yoursay-socialeurope

     

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    Brüssel, den 14.1.2020

    COM(2020) 14 final

    ANHANG

    der

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

    EIN STARKES SOZIALES EUROPA FÜR EINEN GERECHTEN ÜBERGANG


    Anhang: Initiativen der Kommission

    1. Quartal 2020

    Erste Phase der Anhörung der Sozialpartner zu Mindestlöhnen

    Investitionsplan für ein nachhaltiges Europa – Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal

    Fonds für einen gerechten Übergang

    Europäische Gleichstellungsstrategie, gefolgt von Maßnahmen zur Einführung verbindlicher Lohntransparenzmaßnahmen

    Aktualisierte Kompetenzagenda für Europa

    Industriepolitische Strategie

    KMU-Strategie

    Demografiebericht

    2. Quartal 2020

    Verstärkte Jugendgarantie

    Aktualisierter Aktionsplan für digitale Bildung

    3. Quartal 2020

    Gipfel zum Thema Arbeit auf Plattformen

    Europäischer Bildungsraum

    4. Quartal 2020

    Rechtsakt über digitale Dienstleistungen

    Grünbuch zum Thema Altern

    Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung

    Initiative zur Gleichstellung und Inklusion der Roma

    Europäische Arbeitslosenrückversicherung

    2021

    Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte

    Garantie gegen Kinderarmut

    Aktionsplan für die Sozialwirtschaft

    Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen

    Langfristige Vision für ländliche Gebiete

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