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Document 52013PC0411

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den Standpunkt des Rates zur Annahme eines Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung gemeinsamer Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus

/* COM/2013/0411 final - 2009/0165 (COD) */

52013PC0411

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den Standpunkt des Rates zur Annahme eines Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung gemeinsamer Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus /* COM/2013/0411 final - 2009/0165 (COD) */


2009/0165 (COD)

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den

Standpunkt des Rates zur Annahme eines Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung gemeinsamer Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus

1.           Hintergrund

Übermittlung des Vorschlags an das Europäische Parlament und den Rat (Dokumente KOM(2009) 554 endg. und KOM(2011) 319 endg. – 2009/0165 COD): || 22.10.2009; geänderter Vorschlag: 6.6.2011.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses: || 28.4.2010, 26.10.2011.

Standpunkt des Europäischen Parlaments in erster Lesung: || 6.4.2011.

Festlegung des Standpunkts des Rates: || 7.6.2013.

2.           Gegenstand des Vorschlags der Kommission

Das vom Europäischen Rat auf der Tagung vom 10./11. Dezember 2009 angenommene Stockholmer Programm unterstrich die Notwendigkeit, „auf der Grundlage eines einheitlichen Asylverfahrens und eines einheitlichen Status für Personen, denen internationaler Schutz gewährt wird“, bis 2012 „einen gemeinsamen Raum des Schutzes und der Solidarität zu schaffen“, der auf „hohen Schutzstandards“ und „fairen, wirksamen Verfahren“ beruht. Dem Stockholmer Programm zufolge ist Menschen, die internationalen Schutz benötigen, der Zugang zu rechtlich gesicherten und effizienten Asylverfahren zu gewährleisten. Sie sollten unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie ihren Asylantrag förmlich stellen, eine gleichwertige Behandlung hinsichtlich des Verfahrens und der Bestimmung des Schutzstatus erfahren. Ziel sollte sein, dass ähnliche Fälle in gleicher Weise behandelt werden und zu dem gleichen Ergebnis führen.

Wie in der Asylstrategie von 2008[1] angekündigt, stellt der Vorschlag der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2005/85/EG[2] darauf ab, wirksame und faire Verfahren zu erreichen. Der Vorschlag folgt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, und stellt damit sicher, dass die Grundrechte in vollem Umfang gewahrt sind. Gegenüber der Richtlinie 2005/85/EG wurden die Verfahrensgarantien überarbeitet, um eine homogenere Anwendung der Verfahrensgrundsätze zu erreichen und faire und effiziente Verfahren zu gewährleisten. Auch die verfahrensrechtlichen Begriffe und prozessualen Hilfsmittel wurden besser aufeinander abgestimmt und vereinfacht, damit den Asylbehörden das nötige Instrumentarium an die Hand gegeben wird, um Missbrauch entgegenzuwirken und eindeutig unbegründete Anträge rasch erledigen zu können.

3.           Bemerkungen zu dem Standpunkt des Rates

Der Standpunkt des Rates spiegelt einen im Rahmen informeller Treffen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission von der Kommission herbeigeführten Kompromiss wider.

Der Standpunkt des Rates behält die wesentlichen Ziele des Kommissionsvorschlags bei, was eine deutliche Verbesserung gegenüber der Richtlinie 2005/85/EG bedeutet. Die Kommission bedauert zwar eine geringe Anzahl von Änderungen, sie kann dem Kompromiss jedoch zustimmen und seine Verabschiedung durch das Parlament empfehlen.

3.1.        „Frontloading“: verstärkte Verfahrensgarantien für bessere Asylverfahren

Der Standpunkt des Rates steht in Einklang mit dem Grundsatz des „Frontloading“. Er enthält starke Garantien für alle Asylbewerber.

Er gewährleistet einen raschen und einfachen Zugang zum Asylverfahren. Noch bevor eine Person die Absicht äußert, Schutz beantragen zu wollen, müssen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige an den Grenzübergangsstellen und in Gewahrsamseinrichtungen bei Anzeichen für eine entsprechende Absicht darüber informieren, dass sie internationalen Schutz beantragen können. Zudem müssen grundlegende Vorkehrungen für die Bereitstellung von Dolmetschern getroffen werden, um an diesen Orten den Zugang zum Asylverfahren zu ermöglichen. Obwohl die Fristen für die Registrierung eines (noch so informell gestellten) Asylantrags gegenüber dem Kommissionsvorschlag verlängert wurden, wurde klargestellt, dass eine Person, die den Wunsch geäußert hat, internationalen Schutz zu beantragen, unabhängig von einer formalen Registrierung oder Antragstellung unmittelbar zum Antragsteller wird und ihr alle einschlägigen Rechte zustehen.

Abgesehen von redaktionellen oder anderen geringfügigen Änderungen blieb der wesentliche Inhalt des Kommissionsvorschlags zu den meisten Garantien für Asylbewerber unangetastet; diese umfassen unter anderem: Grundsatz einer einzigen zuständigen Behörde, Inhalt der persönlichen Anhörung, erstinstanzliche Auskünfte über rechtliche und verfahrenstechnische Aspekte, Bericht über die persönliche Anhörung, unentgeltliche Rechtsberatung bei Einlegung eines Rechtsbehelfs; Streichung aller Stillhalteklauseln und Ausnahmen von Grundsätzen und Garantien.

Hinsichtlich der Schulungen für das an dem Verfahren beteiligte Personal liegen die Normen des Standpunktsgeringfügig über denen des Vorschlags der Kommission. Laut Ratskompromiss sollten alle Behörden, die neben den Asylbehörden die persönliche Anhörungen über die Zulässigkeit von Anträgen durchführen, eine grundlegende Schulung in Asylfragen erhalten.

Ein zentrales Element des von der Kommission vorgeschlagenen „Frontloading“ war die auf zwölf Monate verlängerbare allgemeine Frist von sechs Monaten für die Prüfung eines Antrags. Dieses Element wird zwar beibehalten, allerdings wird die Prüfungsfrist verlängert. Gegenüber dem Vorschlag fasst der Standpunkt des Rates die Möglichkeit einer Aufschiebung des Verfahrens in den Fällen besser, in denen die Lage im Herkunftsstaat unsicher ist und es nicht angemessen wäre, eine Entscheidung innerhalb der üblichen Fristen zu treffen.

3.2.        Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen, darunter unbegleitete Minderjährige

Die Kommission bedauert zwar, dass das Niveau der Garantien für unbegleitete Minderjährige im Standpunkt des Rates herabgesenkt wurde, doch kann sie diesen Kompromiss trotzdem akzeptieren, da er ein angemessenes Schutzniveau vorsieht.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, unbegleitete Minderjährige von beschleunigten Verfahren und von Verfahren an der Grenze sowie von der nicht automatischen aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen auszunehmen, da diese Verfahrensmittel die zum Nachweis von Ansprüchen verfügbare Zeit erheblich reduzieren. Minderjährige bedürfen besonderer Unterstützung, um ausdrücken zu können, dass sie internationalen Schutz benötigen. Verfahren an der Grenze sehen eine Ingewahrsamnahme vor, die nach Ansicht der Kommission grundsätzlich nicht auf unbegleitete Minderjährige angewendet werden sollte. Die nicht automatische aufschiebende Wirkung könnte den Zugang eines unbegleiteten Minderjährigen zu einem wirksamen Rechtsbehelf, der in der Charta der Grundrechte verbrieft ist, gefährden.

Der Standpunkt des Rates ermöglicht die Anwendung beschleunigter Verfahren auf unbegleitete Minderjährige, wenngleich nur in einigen wenigen Fällen: Erstens, wenn die Staatsangehörigkeit eines sicheren Herkunftsstaats objektiv darauf hindeutet, dass der Antrag wahrscheinlich unbegründet ist. Zweitens, wenn eine beschleunigte Prüfung eines Folgeantrag durch die umfassende Prüfung des Vorantrags gerechtfertigt werden kann. Und drittens, wenn von einer Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung auszugehen ist.

Die Mitgliedstaaten können in sechs Fällen Verfahren an der Grenze anwenden. Zu den drei genannten Gründen für beschleunigte Verfahren kommen zwei weitere hinzu, die die Zulässigkeit betreffen (Folgeanträge sowie mögliche Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats). Zwei weitere wesentliche Ergänzungen sind Fälle, in denen der Antragsteller die Behörden durch die Vorlage falscher Dokumente täuscht oder ein Identitäts- oder Reisedokument mutwillig zerstört oder beseitigt. Diese Gründe hätte die Kommission nicht gelten lassen, da von unbegleiteten Minderjährigen nicht generell erwartet werden kann, dass sie die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Asylbehörden vollkommen verstehen. Gemäß dem Standpunkt des Rates können diese Gründen jedoch nur dann geltend gemacht werden, wenn es schwerwiegende Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Antragsteller wesentliche Elemente verheimlichen will, die wahrscheinlich zu einer negativen Entscheidung führen würden. Dabei sind weitere Verfahrensgarantien zu beachten. Der Standpunkt des Rates ist annehmbar, da gewährleistet ist, dass nur solche Anträge im Verfahren an der Grenze bearbeitet werden, bei denen deutliche objektive Anzeichen für eine Unbegründetheit oder sonstige berechtigte Gründe (Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Folgeantrag) vorliegen. Zudem können Verfahren an der Grenze im Gegensatz zu beschleunigten Verfahren nur in Ausnahmefällen angewandt werden, da sie mit Gewahrsam einhergehen und unbegleitete Minderjährige nach der neuen Richtlinie über Aufnahmebedingungen nur in Ausnahmefällen in Gewahrsam genommen werden dürfen.

In Bezug auf Rechtsbehelfsvorschriften darf die Möglichkeit einer nicht automatischen aufschiebenden Wirkung nur mit erheblichen zusätzlichen Garantien bestehen. Insbesondere muss der Antragsteller über mindestens eine Woche Zeit, den erforderlichen Rechtsbeistand sowie Dolmetschhilfe verfügen, um den Antrag auf Verbleib im Hoheitsgebiet vorzubereiten. Im Rahmen dieses Antrags muss das zuständige Gericht de facto und de jure die ablehnende Entscheidung überprüfen. Demnach muss die Überprüfung über die pure Schwelle der Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung hinausgehen. Nach Auffassung der Kommission können diese Garantien gemeinsam mit einer hochwertigen erstinstanzlichen Prüfung selbst ohne vollständige automatische aufschiebende Wirkung einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten, wenn offenkundig unbegründete Anträge von unbegleiteten Minderjährigen vorliegen.

Im Hinblick auf andere Personengruppen mit besonderen Bedürfnissen enthält der Standpunkt des Rates eine eindeutige Verpflichtung, einen wirksamen Mechanismus zur Identifizierung einzurichten und angemessene Unterstützung im Verfahren bereitzustellen. Darüber hinaus sind Personen, die aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse nicht an speziellen Schnellverfahren teilnehmen können, von beschleunigten Verfahren und von Verfahren an der Grenze ausgeschlossen und erhalten bei nicht aufschiebender Wirkung von Rechtsbehelfen die gleichen zusätzlichen Garantien wie unbegleitete Minderjährige. Asylverfahren sind auch weiterhin geschlechterdifferenziert, wobei die Antragsteller Dolmetscher und Anhörende gleichen Geschlechts beantragen können und geschlechterspezifische Gewalt bei der Bewertung der besonderen Bedürfnisse zu berücksichtigen ist. Die Vorschriften über besondere Bedürfnisse wahren somit die wichtigsten Ziele der Kommission.

Die Frage der besonderen Bedürfnisse ist eng verbunden mit der Verwendung medizinischer Berichte und Untersuchungen im Rahmen des Asylverfahrens. Auch hier wahrt der Standpunkt des Rates die wichtigsten Ziele des Vorschlags (Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, gegebenenfalls eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, sowie Möglichkeit für die Antragsteller, selbst eine Untersuchung durchführen zu lassen). Die Kommission bedauert jedoch, dass die Anwendung des Istanbul-Protokolls über die Erkennung und Dokumentation von Folter fakultativ geworden ist, obwohl die Union Drittstaaten ermutigt, die systematische Anwendung des Protokolls zur Dokumentation von Folterfällen zu fördern.[3]

3.3.        Beschleunigte Verfahren, Verfahren an der Grenze und wirksame Rechtsbehelfe

Die Harmonisierung der Anwendung von beschleunigten Verfahren und Verfahren an der Grenze, die in allen Fällen gemäß der Richtlinie 2005/85/EG zulässig sind, war eines der zentralen Ziele des Vorschlags. Dieses Ziel bleibt gewahrt, da der Standpunkt des Rates eine umfassende Aufzählung von Gründen für die Anwendung dieser Verfahren enthält.

Der Kompromiss fügt der Liste der Kommission drei weitere Gründe hinzu: Folgeanträge, die nicht unzulässig sind, Antragsteller, die die Abnahme ihrer Fingerabdrücke zwecks Verwendung im Eurodac-System verweigern, und Antragsteller, die unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet eingereist sind oder ihren Aufenthalt unrechtmäßig verlängert haben und es ohne ersichtlichen Grund versäumt haben, angesichts der Umstände ihrer Einreise so bald wie möglich die Behörden zu kontaktieren und/oder einen Asylantrag zu stellen.

Der letztgenannte zusätzliche Grund wirkt sich am gravierendsten aus. Er enthält jedoch wichtige Garantien, die einen angemessenen Schutz für Antragsteller gewährleisten: Erstens können die Mitgliedstaaten diesen Grund nur bei missbräuchlich gestellten Anträgen anwenden. Antragsteller, die begründen können, warum sie angesichts der Umstände ihrer Einreise nicht die Behörden kontaktiert haben (warum ihr Antrag nicht missbräuchlich ist), unterliegen keinem beschleunigten Verfahren bzw. Verfahren an der Grenze. Zweitens müssen die Mitgliedstaaten bei der Anwendung diese Grundes – im Gegensatz zu allen anderen Gründen für ein beschleunigtes Verfahren bzw. Verfahren an der Grenze – im Rechtsbehelfsverfahren einen automatischen Anspruch auf Verbleib im Hoheitsgebiet (vollständige automatische aufschiebende Wirkung) gewähren.

Mit dem Vorschlag sollte – bis auf wenige Ausnahmen – durch die Festlegung des Grundsatzes der automatischen aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen auch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gestärkt werden. Dieser Grundsatz wurde im Standpunkt des Rates beibehalten, wenngleich nun mehr Ausnahmen vorgesehen sind: Zu den zwei oben genannten Gründen für die Beschleunigung des Verfahrens sind die stillschweigende Rücknahme des Antrags sowie die Anwendung des europäischen Konzepts des sicheren Drittstaats hinzugekommen.

Im Hinblick auf die stillschweigende Rücknahme wurden einschlägige Garantien vor dem Rechtsbehelfsverfahren eingerichtet; insbesondere kann die betroffene Person die Wiederaufnahme ihres Falles beantragen, und es besteht stets die Möglichkeit, das Ersuchen als Folgeantrag zu prüfen. Angesichts der strengen Anforderungen an ein Drittland, um als sicherer europäischer Drittstaat gelten zu können, ist das Risiko eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung im Zuge der Anwendung des europäischen Konzepts des sicheren Drittstaats ebenfalls gering.

Außerdem besteht, sofern ein Rechtsbehelf keine automatische aufschiebende Wirkung hat, die Möglichkeit, eine aufschiebende Wirkung zu beantragen, wobei der betroffenen Person während der Bearbeitung des Antrags der Verbleib im Hoheitsgebiet gestattet werden muss. Daher besteht kein Risiko der Rückkehr ohne Rechtsbehelf.

Schließlich hatte die Kommission im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorgeschlagen, dass ein Rechtsbehelf gegen eine ablehnende Entscheidung in einem Verfahren an der Grenze eine automatische aufschiebende Wirkung haben sollte. Der Standpunkt des Rates sieht dagegen für Rechtsbehelfe bei Verfahren an der Grenze die gleichen Garantien wie für unbegleitete Minderjährige vor. Bei offenkundig unbegründeten Fällen können diese Garantien die negativen Folgen der nicht automatischen aufschiebenden Wirkung abfedern. Insbesondere wird in ihnen klargestellt, dass keine Abschiebung erfolgen darf, solange der Antrag auf aufschiebende Wirkung noch geprüft wird (dies gilt – wie oben dargelegt – allgemein auch für sonstige Rechtsbehelfe ohne aufschiebende Wirkung). Die Garantien stellen sicher, dass der Antragsteller in den Genuss eines wirksamen Rechts- und Sprachbeistandes kommt. Sie führen eine angemessene Mindestfrist für die Vorbereitung des Antrags ein und – was besonders wichtig ist – legen den gerichtlichen Prüfungsumfang in Bezug auf den Antrag auf aufschiebende Wirkung fest, um sicherzustellen, dass diese Prüfung eingehend und gründlich ist. Antragsteller sollen hierdurch ausreichend Gelegenheit erhalten, die Stichhaltigkeit ihres Ersuchens nachzuweisen, wodurch die in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte angemahnte Einhaltung der Grundrechtsverpflichtungen gewährleistet sein dürfte.

3.4.        Bekämpfung von Missbrauch

Um Ausgewogenheit zwischen den Zielen des Schutzes echter Asylsuchender und missbräuchlicher wiederholter Antragsstellung zu gewährleisten, hat die Kommission vorgeschlagen, den Mitgliedstaaten die Abschiebung eines Antragstellers nach einem zweiten Folgeantrag (d. h. nach dem insgesamt dritten Antrag) zu gestatten, sofern der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung gewahrt bleibt. Der Standpunkt des Rates bestätigt die Ziele des Vorschlags, fügt jedoch einen weiteren Fall hinzu, in dem das Recht des Antragstellers auf Verbleib im Hoheitsgebiet aufgehoben werden kann: nach einem unzulässigen ersten Folgeantrag, der allein zur Vereitelung einer unmittelbaren Rückkehr gestellt wurde. Nach Auffassung des Rates ist dies notwendig, um gegen in letzter Minute gestellte missbräuchliche Folgeanträge vorzugehen.

Die Kommission kann diese Bestimmungen akzeptieren, da die im Vorschlag enthaltenen grundlegenden Garantien beibehalten wurden. Diese sollen dafür sorgen, dass Antragsteller, die echte Folgeanträge stellen, nicht ohne eine sorgfältige Prüfung ihres Ersuchens aus dem Hoheitsgebiet abgeschoben werden. Besondere Ausnahmeregelungen für Folgeanträge können erst nach der rechtskräftigen Entscheidung über den Erstantrag angewandt werden, und auch nur dann, wenn mindestens ein Folgeantrag gestellt wurde, der entweder unbegründet ist oder im Vergleich zum Erstantrag keine neuen Elemente enthält, was eindeutig auf Missbrauch schließen lässt. Zudem stellt der Standpunkt des Rates klar, dass Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Einklang mit dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung anzuwenden sind.

Der Standpunkt des Rates ändert den Kommissionsvorschlag auch hinsichtlich des Verfahrens bei stillschweigender Rücknahme des Antrags oder Nichtbetreiben des Verfahrens. Ziel des Vorschlags war es, die Vorschriften für diese Situationen zu harmonisieren und insbesondere zu verhüten, dass ein Antrag vor seiner Ablehnung möglicherweise niemals in der Sache geprüft wurde. Dieses Ziel bleibt im Standpunkt des Rates erhalten, da darin ausgeführt wird, dass ein Antrag nicht ohne eine angemessene substanzielle Prüfung abgelehnt werden darf. Die Kommission bedauert die Aufnahme der Vorschrift, wonach die Wiedereröffnung eines Verfahrens erst dann möglich ist, sobald sich der Antragsteller nach Einstellung der Antragsprüfung wieder bei der zuständigen Behörde meldet. Die negativen Auswirkungen dieser Bestimmung werden jedoch weitgehend durch zusätzliche Garantien gemildert, denen zufolge ein Antrag nicht als stillschweigend zurückgezogen anzusehen ist, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass der Antrag aufgrund von Umständen, die sich seinem Einfluss entzogen, als stillschweigend zurückgezogen galt.

4.           Schlussfolgerung

Der Standpunkt des Rates bestätigt die Hauptziele des Vorschlags der Kommission. Er stellt einen deutlichen Fortschritt bei der Harmonisierung der Verfahrensgarantien in Asylverfahren dar, da klare, ausführliche und verbindliche Vorschriften eingeführt und Ausnahmeregelungen und Stillhalteklauseln gestrichen werden. Dies wird auf der Grundlage des kosteneffizienten Konzepts des „Frontloading“ zu leicht zugänglichen, schnelleren und faireren Verfahren führen. Die Anwendung von beschleunigten Verfahren und Verfahren an der Grenze wird harmonisiert, und durch die Einführung detaillierter EU-Vorschriften wird das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet. Bei gleichzeitiger Verbesserung und Beschleunigung der Asylverfahren sind auch neue Instrumente vorgesehen, um gegen missbräuchliche wiederholte Anträge vorzugehen. Ebenso werden strenge Bestimmungen über besondere – unter anderem geschlechterspezifische – Verfahrensgarantien eingeführt. Schließlich ist für einen angemessenen Schutz unbegleiteter Minderjähriger gesorgt, während gleichzeitig den Bedenken hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs Rechnung getragen wird.

Der Standpunkt des Rates stimmt daher inhaltlich weitgehend mit dem Vorschlag der Kommission überein und kann folglich befürwortet werden.

[1]               Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Künftige Asylstrategie – Ein integriertes Konzept für EU-weiten Schutz“, KOM(2008) 360, 17.6.2008.

[2]               Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13-34.

[3]               Leitlinien für Politik der Europäischen Union gegenüber Drittländern betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, Ratsdokument 6129/12, 15. März 2012.

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