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Document 52012AE2282

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verbesserung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen: Steigerung der Wirkung öffentlicher Investitionen in die Forschung“ COM(2012) 401 final

ABl. C 76 vom 14.3.2013, p. 48–53 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

14.3.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 76/48


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verbesserung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen: Steigerung der Wirkung öffentlicher Investitionen in die Forschung“

COM(2012) 401 final

2013/C 76/09

Berichterstatter: Gerd WOLF

Die Europäische Kommission beschloss am 17. Juli 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Verbesserung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen: Steigerung der Wirkung öffentlicher Investitionen in die Forschung“

COM(2012) 401 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. Januar 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 486. Plenartagung am 16./17. Januar 2013 (Sitzung vom 16. Januar) mit 151 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Forschung und Innovationsförderung, also auch für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Dazu gehört der Wissenstransfer zwischen Forschern, zwischen Forschungspartnerschaften – insbesondere zwischen Forschung und Unternehmen – sowie zwischen Forschern und Bürgern.

1.2

Unter Berücksichtigung der nachfolgenden Aussagen unterstützt der Ausschuss die von der Kommission formulierten Ziele und Vorschläge; er sieht darin eine – technisch durch das Internet ermöglichte – Erleichterung und potenzielle Effizienzsteigerung wissenschaftlicher Arbeit.

1.3

Um diese Ziele erfolgreich umzusetzen, sind Urheberschaft und geistiges Eigentum der Forscher und ihrer Organisationen weiterhin sicherzustellen, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung nicht anzutasten sowie von den Forschern effizienzmindernde Zusatzarbeit oder administrativen Mehraufwand fernzuhalten.

1.4

Der freie Zugang (via Internet) zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist eine den heutigen technischen Möglichkeiten angepasste Erweiterung bzw. Ergänzung von Bibliotheken. Er ist sehr hilfreich, wird inzwischen vielfach praktiziert und sollte weiterverfolgt und komplettiert werden. Anzustreben ist eine globale Symmetrie zwischen Europa und den außereuropäischen Staaten.

1.5

Die Bewahrung wissenschaftlicher Informationen (Speicherung von Forschungsdaten) für möglichen späteren Gebrauch ist notwendig; sie gehört heute zur guten wissenschaftlichen Praxis. Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Kommission, die dazu benötigten Infrastrukturen auch zukünftig zu unterstützen. Soweit Datenspeicherung in Projektvereinbarungen detaillierter behandelt werden sollte, ist zusammen mit den betroffenen Forschern jeweils fachspezifisch über Umfang, Format, Detaillierung und Beschreibung (mit Metadaten) zu entscheiden.

1.6

Darauf aufbauend ergibt sich die Frage eines freien (also allgemeinen, globalen, kostenfreien, unkontrollierten und bedingungslosen) Zugangs per Internet zu gespeicherten Forschungsdaten. Diese Frage hat viele Aspekte, sie betrifft die bisherige Wissenschaftskultur und ist sehr differenziert und behutsam zu behandeln. Während Forschungsbereiche denkbar sind, bei denen freier externer Zugang nützlich und unbedenklich sein kann, stehen dem in vielen anderen Bereichen entscheidende Gesichtspunkte entgegen. Vor einer Verallgemeinerung wird daher gewarnt.

1.7

Für ausgewählte Fälle sollten mögliche Lösungen darum schritt- und versuchsweise auf heute bereits üblichen freiwilligen Verfahren des selbstorganisierten Datenaustauschs (Beispiel: CERN, World Wide Web!) aufbauen und im Einvernehmen mit den im Forschungsprozess aktiven Wissenschaftlern in einem Pilotprojekt empirisch erprobt werden. Allerdings dürfen bei den damit verbundenen administrativen Prozeduren die gerade begonnenen Bemühungen um Vereinfachung nicht durch neue Auflagen oder Zusatzprozeduren konterkariert werden.

1.8

Davon unbeschadet könnte – vor allem im Falle einer globalen Symmetrie zwischen Europa und den außereuropäischen Staaten – der freie Zugang zu einer sinnvollen Auswahl jener Daten, die den frei zugänglichen Veröffentlichungen zu Grunde liegen, nützlich sein, sofern sich der damit verbundene Zusatzaufwand als akzeptabel und gerechtfertigt erweist.

1.9

Alle diese Maßnahmen sind mit zum Teil beachtlichen Zusatzkosten für die Forscher und deren Organisationen verbunden. Diese sind in der Budgetplanung und Budgetzuteilung voll zu berücksichtigen.

2.   Kurzinhalt der Mitteilung der Kommission

2.1

Die Mitteilung betrifft von der Kommission geplante Maßnahmen, die darauf abzielen, den Zugang zu wissenschaftlichen Informationen zu verbessern und die Wirkung öffentlicher Investitionen in die Forschung zu steigern.

2.2

Ziele der Maßnahmen sind

Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen;

Bewahrung wissenschaftlicher Informationen;

Zugang zu Forschungsdaten.

2.3

Bezüglich des Zugangs zu wissenschaftlichen Publikationen werden derzeit mit den Verlagen wissenschaftlicher Publikationen zwei Modelle verhandelt:

„Goldener“ freier Zugang: die Zahlung der Publikationskosten verlagert sich von den Lesern (über Subskriptionen) auf die Autoren. Die Kosten werden in der Regel von der Hochschule oder der Forschungseinrichtung getragen, der der Wissenschaftler angehört, oder von der Finanzierungseinrichtung, die die Forschungsarbeiten unterstützt.

„Grüner“ freier Zugang (Selbstarchivierung): der veröffentlichte Artikel oder die Endfassung des von einem Fachkollegen begutachteten Manuskripts wird vom Wissenschaftler vor der, nach der oder parallel zur Veröffentlichung in ein Online-Archiv eingestellt. Der Zugang zu diesen Artikeln wird oft auf Ersuchen des Verlags verzögert (Wartezeit), um für Abonnenten einen Mehrwert zu erhalten.

2.4

Darüber hinaus wird ein Zeitplan vorgelegt, wie diese Ziele im Verlauf von „Horizont 2020“ schrittweise verwirklicht werden könnten.

3.   Bemerkungen des Ausschusses

Das hier behandelte Thema betrifft den freien, d.h. den allgemeinen, kostenlosen, globalen und uneingeschränkten Zugang per Internet zu zukünftigen Veröffentlichungen und den diesen zu Grunde liegenden Forschungsdaten, die inzwischen üblicherweise auch in digitalisierter Form vorliegen.

3.1   Frühere Aussagen

Der Ausschuss hatte bereits in seiner Stellungnahme (1)Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU – eine wichtige Voraussetzung für Innovation“ das hier zur Diskussion stehende Thema behandelt und dazu grundsätzliche Bemerkungen gemacht, die noch Gültigkeit haben. Sie galten dem Ziel, den Wissenstransfer zwischen Forschungspartnerschaften (insbesondere zwischen Forschung und Unternehmen) zu verbessern. Darin wurde ein wesentlicher Faktor der Innovationsförderung und damit der Wettbewerbsfähigkeit Europas gesehen. Sie betrafen auch den Umgang mit dem beim Forschungs- und Innovationsprozess entstehenden geistigen Eigentum sowie die Freiheit der Kunst und Wissenschaft (2)  (3).

3.2   Urheberschaft und Geistiges Eigentum

Bei Urheberschaft und geistigem Eigentum der Forscher und ihrer Organisationen handelt es sich einerseits um die Anerkennung, als erster eine wissenschaftliche Entdeckung gemacht oder Erkenntnis gewonnen zu haben, üblicherweise durch Autorenschaft in einer Veröffentlichung dokumentiert, andererseits um die Anerkennung sowie ggf. die Verwertungsrechte (oder Teile davon) des kreativen Prozesses, bei dem aus neuen Erkenntnissen möglicherweise Innovationen und Erfindungen entstehen, für die dann häufig auch Patentschutz gesucht wird. Der Ausschuss begrüßt daher die Aussage der Kommission (Punkt 4.1), „dass die vorgeschlagenen Strategien des freien Zugangs nicht die Freiheit des Autors beeinträchtigen, sich für oder gegen eine Veröffentlichung zu entscheiden. Sie lassen auch die Erteilung von Patenten oder andere Formen der kommerziellen Nutzung unberührt […].

3.3   Neuheitsunschädliche Schonfrist

Bei der Abwägung, wissenschaftliche Ergebnisse frühzeitig zu veröffentlichen, dann aber zugleich den Neuheitsanspruch an möglichen daraus erwachsenden Erfindungen zu verlieren, oder, um letzteres zu vermeiden, eine Veröffentlichung zunächst zurückzuhalten und so möglicherweise den Prioritätsanspruch z.B. an einer Entdeckung zu verlieren, handelt es sich um ein schwieriges und gegebenenfalls mit Verlusten verbundenes Dilemma. Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung, bei Einführung des angemahnten EU-Gemeinschaftspatents (4) eine sog. neuheitsunschädliche Schonfrist vorzusehen, um dieses Dilemma zu entschärfen.

3.4   Beispiel Patentrecht

In jahrzehntelanger internationaler Fortentwicklung wurde im Patentrecht eine ausgewogene Balance zwischen einerseits den anfänglichen Vertraulichkeitsansprüchen geistigen Eigentums und andererseits dem freien Zugang zu dessen Produkten erarbeitet und installiert. So werden heute Patentanmeldungen nach 18 Monaten offengelegt und sind auch im Internet für jedermann verfügbar.

3.5   Forschungsdaten

Je nach Fachdisziplin mehr oder weniger stark ausgeprägt, ist es ist ein charakteristischer Teil bisheriger Verfahrensweisen,

i.

dass die im Forschungsprozess anfallenden Daten, aufbauend auf so genannten Rohdaten, zunächst kalibriert und auf Fehlmessungen überprüft, in einem internen Meinungsbildungsprozess auf Konsistenz geprüft, in ihrer Bedeutung bewertet, und erforderlichenfalls mit anderen Messdaten verglichen oder kombiniert werden müssen, bevor sie einem validierten, belastbaren Datensatz zugeführt und bekanntgemacht werden können, und

ii.

dass die damit befassten Forscher als erste in Veröffentlichungen darüber berichten, die Ergebnisse interpretieren und Folgerungen ziehen.

3.6   Grundsätzliche Zustimmung

Unter Berücksichtigung der obengenannten Aussagen unterstützt der Ausschuss die von der Kommission formulierten Ziele. Er sieht darin eine – technisch durch das Internet ermöglichte – potenzielle Erleichterung und Effizienzsteigerung wissenschaftlicher Arbeit. Er empfiehlt, die dazu begonnenen Prozesse oder Denkansätze in stetiger Rückkopplung mit den im Forschungsprozess aktiv tätigen Wissenschaftlern schrittweise weiterzuentwickeln. Dabei sind die jeweiligen Besonderheiten der verschiedenen Forschungsdisziplinen zu berücksichtigen sowie effizienzmindernde Zusatzarbeit und administrativen Mehraufwand von den Forschern fernzuhalten. Im nächsten Kapitel werden dazu weitere Gesichtspunkte und Einschränkungen dargelegt.

4.   Besondere Bemerkungen des Ausschusses

4.1   Freier Zugang zu Veröffentlichungen

Der freie Zugang (via Internet) zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist eine den heutigen technischen Möglichkeiten angepasste Ergänzung von Bibliotheken. Er ist nützlich und hilfreich, wird inzwischen schon vielfach praktiziert, und sollte mit Nachdruck weiterverfolgt und komplettiert werden.

4.1.1   Golden oder Grün

Dabei ist es eine eher pragmatische bzw. Kosten-Frage, ob man sich mit den jeweiligen Verlagen auf den „goldenen“ oder den „grünen“ Zugang einigen kann oder will. Wichtig ist der grundsätzliche und nicht zu weit verzögerte Zugang per Internet zu wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen.

4.1.2   Überhöhte Kosten

Allerdings ist der Eindruck entstanden, dass die maßgeblichen Verlage hierfür zu hohe Gebühren in Rechnung stellen. Dem könnte wohl mehr Wettbewerb im Wechselspiel zwischen Autoren, Herausgebern und Verlagen abhelfen. Bei Bewertung wissenschaftlicher Leistung spielt jedoch auch das Prestige der Zeitschrift eine Rolle, in der publiziert wurde. Der Ausschuss ermuntert daher die Kommission, hier zusammen mit den Wissenschaftsorganisationen weitere Überlegungen anzustellen, wie Verbesserungen erreicht werden können. Dabei darf jedoch die Freiheit der Autoren in der Wahl der Zeitschrift nicht eingeschränkt werden.

4.1.3   Vorab-Berichte

Der Ausschuss verweist auf die verbreitete Gepflogenheit, neue Ergebnisse, deren Veröffentlichung in Fachzeitschriften sich noch im Prozess der Begutachtung durch externe Experten (Referees) befindet, der Fachwelt bereits in Form von Berichten vorab – auch per Internet – zugänglich zu machen. Analoges gilt für Vorträge auf Symposien und Fachkonferenzen, deren verbindende Funktion daher sehr wichtig ist.

4.1.4   Internationale Vereinbarungen - Symmetrie

Dabei sollten auf internationaler Ebene zwischen der EU und den übrigen Staaten keine starken Einseitigkeiten entstehen. Wenn Wissenschaftler bzw. Bürger aus aller Welt per Internet kostenfreien Zugriff auf in der EU entstandene wissenschaftliche Veröffentlichungen erlangen, ist es nötig, dass auch den Wissenschaftlern bzw. Bürgern in der EU kostenfreier Zugriff auf alle außerhalb der EU entstandenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen gewährt wird. Der Ausschuss unterstützt die Bemühungen der Kommission, diese Symmetrie durch internationale Vereinbarungen zu erreichen. Erst mit dem globalen Informationsfluss wird die wissenschaftliche Arbeit wirklich erleichtert.

4.1.5   Fachkonferenzen und Bibliotheken

Gleichzeitig warnt der Ausschuss vor dem Gedanken, mit Open Access könnten die anderen Formen von Informations- und Gedankenaustausch überflüssig oder unwichtig werden. Das Arbeiten vor dem Computer ist kein Ersatz für die stimulierende Wirkung von Gesprächen und Diskussionen oder dem geistigen Milieu einer Bibliothek und einer Fachkonferenz.

4.2   Datenspeicherung

Die meisten großen Forschungsorganisationen haben Datenspeicherung bereits in ihre Regeln guter wissenschaftlicher Praxis aufgenommen. Angesichts der heute anfallenden sehr großen Datenmengen ist auch diese Aufgabe primär eine Frage der verfügbaren Ressourcen und Infrastrukturen, also des beachtlichen apparativen und personellen Aufwands, um die Datenmengen zu validieren, die Rohdaten ggf. zu ordnen, zu komprimieren, zu kürzen oder zu löschen sowie mittels Metadaten zu beschreiben, ohne dass wichtige Informationen verloren gehen. Dabei muss der jeweilige Kosten-Nutzen-Aufwand berücksichtigt werden.

4.2.1   Förderung durch die Kommission

Der Ausschuss begrüßt die bisherigen und geplanten zukünftigen Maßnahmen der Kommission, die Speicherung von Forschungsdaten und die dazu nötigen Infrastrukturen zu fördern.

4.2.2   Fachspezifische Lösungen

Der Ausschuss stimmt mit der Kommission darüber überein, dass dazu keine generellen Lösungen gesucht werden sollen, sondern dass jedes Fachgebiet eigenständig zu entscheiden hat, wie weitgehend und mit welchen Mitteln Datenspeicherung zu betreiben ist und wie weitgehend Normierungen gesucht werden sollten. Dies sollte möglichst offene und internationale Standards nutzen, um Interoperabilität zu ermöglichen.

4.3   Externer freier Zugang zu Daten

Der Absicht, den freien (digitalen) Zugang zu Forschungsdaten zu fördern, liegen seitens der Kommission und sonstiger Befürworter (5) insbesondere folgende Ziele zu Grunde:

a)

die Qualität des wissenschaftlichen Diskurses zu erhöhen, weil im Regelfall das Nachvollziehen und detaillierte Bewerten veröffentlichter Forschungsergebnisse den Zugriff auf die ausgewerteten Daten und der für deren Auswertung genutzten Werkzeuge erfordert;

b)

durch Nachnutzung der Daten den Ertrag der für die Erhebung der Daten aufgewendeten öffentlichen Mittel zu steigern.

Diesen Zielen kann der Ausschuss in ihrer Allgemeinheit zunächst voll zustimmen.

Die Frage ist jedoch, mit welchen Instrumenten, wie differenziert und wie weitgehend dies geschehen soll, welcher zusätzliche – auch administrative – Aufwand damit verbunden ist, ob dieser Aufwand durch den erwarteten Nutzen gerechtfertigt wird, und welche Gesichtspunkte dem entgegenstehen.

4.3.1   Bisherige Verfahrensweisen

Es ist ein Wesensmerkmal wissenschaftlicher Forschung, dass der jeweilige Erkenntnisprozess samt der dabei gewonnenen Daten und Quellen nachvollziehbar bzw. reproduzierbar sein muss und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen jedweder Diskussion und Debatte standhalten müssen. Dafür gibt es in der Scientific Community vor, neben und nach der Veröffentlichung in Zeitschriften wohlinstallierte und erfolgreiche Prozeduren wie Seminare, Konferenzen, Gutachter-Verfahren, Peer Review, Informations- und Datenaustausch, Personalaustausch etc. Dazu werden inzwischen auch die modernen Mittel der digitalen Agenda benutzt. Seitens CERN (6) wurde das World Wide Web (www) genau für den Zweck des Datenaustauschs vorgeschlagen und mit Partnern weiterentwickelt.

4.3.2   Zusätzliche Maßnahmen

Also kann es bei den Vorschlägen der Kommission nur um die Frage gehen, wodurch sich diese bisher geübten Prozesse der Selbstorganisation ergänzen, verbessern, vereinfachen und effizienter gestalten lassen. Die dazu konkret beabsichtigten zusätzlichen Maßnahmen sind aus der Mitteilung der Kommission nicht genügend klar ersichtlich; offenbar sind u.a. Pilotprojekte beabsichtigt.

4.3.3   Probleme – Unmöglichkeiten

Während die Erwartungen an den freien Zugang bereits genannt wurden, ist es notwendig, auch auf die zu lösenden Probleme, Ausnahmen oder Unmöglichkeiten hinzuweisen. Letztere betreffen z.B.:

Vertraulichkeit bei innovativen Entwicklungen, insbesondere gemeinsam mit der Industrie (KMU); Patentaspekte;

Vertraulichkeit von Patientendaten in der medizinischen Forschung;

Sicherung der Urheberschaft (von Forschern und Forschungsorganisationen) der Daten;

Missverständnisse bei Datenabruf und Dateninterpretation samt Folgen;

ggf. exportkontrollrechtliche Beschränkungen des Technologietransfers;

Sicherstellen einer globalen Symmetrie zwischen der EU und den Drittstaaten;

personeller und apparativer Aufwand, um aus einer oft unüberschaubaren Rohdatenmenge die relevanten Daten herauszufiltern und für Außenstehende verständnissicher nutzbar zu machen.

Ganz offensichtlich stehen diese Probleme einer generellen Einführung des freien Zugangs zu Forschungsdaten entgegen.

4.3.4   Differenzieren

Also muss man hier differenzieren. Der Ausschuss bekräftigt, dass es Bereiche gibt, bei denen freier externer Zugang zu Forschungsdaten per Internet vorteilhaft sein kann, wie z.B. meteorologische Daten, Genpools, demographische Daten oder Daten ähnlich klarer Definition und statistischer Relevanz (wobei auch hier dennoch zu klären ist, wie „Daten“ zu definieren sind).

Zugleich empfiehlt er jedoch ein deutlich zurückhaltenderes Vorgehen zum Beispiel:

i.

in den Fällen hochkomplexer Experimente wie Beschleuniger oder Versuchsanlagen der Fusionsforschung und

ii.

bei allen Zusammenarbeiten mit industrieller Forschung einschließlich KMU.

4.3.5   Gerade für letzteren Fall sieht der Ausschuss einen inhärenten Gegensatz zwischen den Zielen, einerseits offenen Zugang zu Forschungsdaten zu propagieren und andererseits gerade die Innovationsförderung mit ihrer Konzentration auf öffentlich-private Partnerschaften etc. zu verstärken, bei der Vertraulichkeit ein Schlüsselanliegen ist. Allerdings ist auch der Versuch eines Interessenausgleichs dieser gegensätzlichen Ziele, nämlich zwischen einerseits „harmlosen“ Daten z.B. der Grundlagenforschung und andererseits innovationsträchtigen Daten z.B. der angewandten Forschung zu unterscheiden, nicht ohne Risiko. Denn eine solche „a-priori“-Unterscheidung beansprucht, in die Zukunft schauen zu können. Schließlich können gerade bahnbrechende neue Erkenntnisse der sog. Grundlagenforschung besonders innovationsträchtig sein und so bei zu frühzeitiger Veröffentlichung zum Verlust eines Patentschutzes führen (siehe auch Ziffer 3.3). Darum sollte hier eine ähnlich pragmatische Lösung wie bei „normalen“ Veröffentlichungen gefunden werden (siehe Ziffer 3.2 sowie Punkt 4.1 der Mitteilung der Kommission).

4.3.6   Freiwilligkeit

Daher sollte den am jeweiligen Forschungsprojekt beteiligten Forschern die freie Entscheidung überlassen werden, ob, ab wann, und wenn ja bis zu welcher Detaillierungstiefe sie im Projekt gewonnene Daten unter gewissen Voraussetzungen frei zugänglich machen. Gerade das Beispiel CERN zeigt, dass freiwillige „Bottom-up“-Prozesse auch dem hier zur Diskussion stehenden Anliegen mehr entgegenkommen als erzwungene Regeln. Der Ausschuss empfiehlt, den Selbstorganisations-Kräften des Wissenschaftssystems mehr Vertrauen entgegenzubringen. Jeder erzwungene Eingriff (siehe dazu Ziffer 4.3.10) in die bisher sehr erfolgreiche, aber auch sensible Wissenschaftskultur ist zu vermeiden.

4.3.7   Daten aus Veröffentlichungen

Beispielsweise könnte man in Betracht ziehen, eine Auswahl (siehe Ziffer 4.2) jener Daten, die den durch Open Access zugänglichen Veröffentlichungen zugrunde liegen, zusammen mit den Veröffentlichungen elektronisch aufzubereiten und frei zugänglich zu machen. Aber selbst hierbei ist fraglich und jeweils zu prüfen, ob der erwartete Zugewinn durch die Online-Verwertung der Daten seitens Dritter den damit verbundenen zusätzlichen Aufwand der Erstautoren, der diese von ihrer eigenen Forschungsarbeit abhält, tatsächlich rechtfertigt.

4.3.8   Pilotversuch

Der Ausschuss unterstützt die Bemühungen der Kommission, in einem eher unkomplizierten und dafür geeigneten Fachgebiet zunächst einen Pilotversuch zu starten und damit Erfahrungen sammeln. Über den erzielten Mehrwert sollte berichtet werden.

4.3.9   Bürokratie und Akzeptanz

Der beachtliche Missmut vieler Forscher über die kommissionsseitige Überbürokratisierung der Antrags- und Vergabeprozeduren hatte sich inzwischen auf Grund der Bemühungen um Vereinfachung und Kontinuität (7) der Förderinstrumente gerade etwas beruhigt. Er könnte durch noch unausgereifte neue Auflagen, Eingriffe in die Forschungsarbeit und neue bürokratische Hindernisse wieder voll aufbrechen.

4.3.10   Interesse des „Geldgebers“

In der Debatte über die oben angesprochenen Fragen wird auch die Frage aufgeworfen, ob und wie weitgehend der „Geldgeber“ oder „Steuerzahler“, hier vertreten durch die Kommission, als Voraussetzung seiner Förderung einfach erzwingen sollte, alle erzielten Forschungsdaten frei im Internet verfügbar zu machen. Unbeschadet der Aussagen unter den Ziffern 3.1 und 3.2 steht diese Frage nicht im Focus der Überlegungen dieser Stellungnahme. Dem Ausschuss geht es vielmehr um die Frage, mit welchen Verfahrensweisen der Forschungsförderung und des Forschungsmanagements – gerade auch im Interesse des „Geldgebers“ – ein optimaler wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Erfolg erzielt werden kann.

4.4   Zusatzbelastung der Forschungsbudgets

Alle seitens der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen entlasten den Empfänger von Informationen (Veröffentlichungen, Daten) davon, dafür bezahlen zu müssen. Diese Kosten müssen stattdessen von den Schöpfern der Daten und Veröffentlichungen, nämlich den Forschern und deren Organisationen, getragen werden. Also müssen diese Kosten in den jeweiligen Forschungsbudgets enthalten sein – soweit es sich um EU-seitige Förderung handelt, im Budget von „Horizont 2020“. Darum sind diese Kosten in die jeweilige Fördersumme einzubeziehen.

4.4.1

Beim freien Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen muss das jeweilige Forschungsbudget also nicht nur für den Aufwand aufkommen, neue Forschungsergebnisse zu erzielen, sondern auch, diese allgemein zugänglich zu machen.

4.4.2

Analoges gilt zusätzlich für die Kosten vermehrter Datenspeicherung und des damit verbundenen Personal- und Infrastrukturaufwands (u.a. als Voraussetzung für Ziffer 4.4.3).

4.4.3

Und es gilt selbstverständlich erst recht für den zusätzlichen Aufwand, ggf. einen öffentlichen Zugang für alle oder ausgewählte Forschungsdaten einzurichten.

4.5   Mögliches Missverständnis

Der Ausschuss steht unter dem Eindruck, dass in der politischen Debatte einige Forderungen an und Gründe für freien Zugang auch auf Missverständnissen über die Arbeitsweise von Wissenschaft und Forschung sowie über das wissenschaftsspezifische Auffassungsvermögen des normalen Bürgers beruhen. Denn wissenschaftliche Veröffentlichungen sind normalerweise nur dem im jeweiligen Fachgebiet tätigen Experten verständlich; darum informiert der freie Zugang dazu auch nur den Experten. Analoges gilt für den Zugang zu Forschungsdaten.

4.6   Information der Bürger und politischen Akteure

Umso wichtiger sind daher alle Bemühungen, wesentliche Aussagen neuer Erkenntnisse auch für den Laien darzustellen. Der Ausschuss hat schon mehrfach auf die Bedeutung derartiger Medien hingewiesen und anerkennt die diesbezüglichen Bemühungen der Kommission einschließlich CORDIS (8). Hervorzuheben ist das Engagement jener Wissenschaftler, welche die Begabung besitzen, die Erkenntnisse ihres Fachbereichs möglichst allgemeinverständlich zu erklären. Schließlich ist es auch für die politischen Akteure wichtig, über Inhalte und Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie über das Potenzial weiterer Forschung bestmöglich informiert zu sein, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.

4.7   Zugang zu Expertise

Von Firmen und von Organisationen der Zivilgesellschaft wird oft über unzureichenden Zugang zu spezifischer Fachexpertise geklagt. Daher ist es insbesondere auch für KMU wichtig, zumindest über einen rezeptionsfähigen internen oder externen Experten oder über Zugang zu einer entsprechenden Beratungsorganisation zu verfügen. Zudem verweist der Ausschuss einerseits auf seine Empfehlungen (in einer früheren Stellungnahme (9)) an die Kommission, eine spezifische Suchmaschine zu diesem Thema bereitzustellen, andererseits auf die vom Europäischen Patentamt zur Verfügung gestellte Suchmaschine (10), mit der inzwischen ein Großteil der weltweit vorhandenen neueren Patentschriften gefunden werden kann.

4.8   Internet-Zugang zu früheren Veröffentlichungen

Über das hier behandelte Thema hinausgehend besteht ein Interesse, u.a. auch seitens der Geisteswissenschaften, ältere Originalpublikationen ebenfalls elektronisch im Internet verfügbar zu machen. Diesbezügliche Bemühungen werden vom Ausschuss durchaus begrüßt, sind jedoch nicht Gegenstand der hier vorliegenden Stellungnahme.

Brüssel, den 16. Januar 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8, Kapitel 3.

(2)  Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 13 (März 2010): „Die akademische Freiheit wird geachtet.

(3)  Z.B. Torsten Wilholt in FORSCHUNG & LEHRE, 19. Jahrgang 12/12, Seite 984; www.forschung-und-lehre.de

(4)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39, Ziffer 3.9.

(5)  Z.B. www.royalsociety.org/uploadedFiles/Royal_Society_Content/policy/projects/sape/2012-06-20-SAOE.pdf, www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2359-12.pdf

(6)  European Organisation for Nuclear Research.

(7)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 129.

(8)  http://cordis.europa.eu/home_de.html

(9)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8, Ziffer 3.2.

(10)  http://worldwide.espacenet.com


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