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Document 52011AE0993

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente: Überprüfung des EU-Haushalts“ KOM(2010) 700 endg.

    ABl. C 248 vom 25.8.2011, p. 75–80 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    25.8.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 248/75


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente: Überprüfung des EU-Haushalts“

    KOM(2010) 700 endg.

    2011/C 248/13

    Berichterstatter: Henri MALOSSE

    Mitberichterstatter: Gérard DANTIN

    Die Europäische Kommission beschloss am 19. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente: Überprüfung des EU-Haushalts

    KOM(2010) 700 endg.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2011 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 16. Juni) mit 175 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1   Bei der Überprüfung des EU-Haushalts geht es nicht in erster Linie um Zahlen, sondern sie ist ein Instrument zur Umsetzung eines politischen Projekts. Die Europäische Union verfügt derzeit weder über die Haushaltsmittel zur Umsetzung ihrer politischen Strategie noch über die Mittel zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen, die ihr aus dem Vertrag von Lissabon erwachsen.

    1.2   Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die ihren Ausgang in den USA nahm, hat Europa schwer getroffen und in den meisten Mitgliedstaaten in einer Art Dominoeffekt wachsende Haushaltsdefizite verursacht. Diese Situation wirkt sich zwangsläufig auf die Vorbereitung der Finanziellen Vorausschau 2014-2020 aus, doch darf die Europäische Union nicht ihr Opfer werden.

    1.3   Deshalb muss mit Phantasie ein „intelligenter EU-Haushalt“ aufgestellt werden, mit dessen Hilfe die EU ihre Ziele verwirklichen kann, ohne die steuerliche Gesamtbelastung der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen zu erhöhen.

    1.4   Der Begriff der „angemessenen Gegenleistung“ muss aufgegeben werden, weil er im Widerspruch zu den Werten der Solidarität und des gegenseitigen Nutzens der europäischen Integration steht. Vielmehr muss der Grundsatz der Subsidiarität Anwendung finden, indem jene Verfahren auf die europäische Ebene übertragen werden, die ihren Inhalt und ihre Wirksamkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten verloren haben. Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, zum Prinzip der Eigenmittel zurückzukehren, die völlig neu festgelegt werden oder an die Stelle nationaler Steuern treten können.

    1.5   Der EU-Haushalt muss gestärkt werden und eine Hebelwirkung entfalten. Der EWSA empfiehlt, dass sich die nationalen Haushalte und der europäische Haushalt ergänzen, was größenbedingte Einsparungen zur Verwirklichung der großen politischen Ziele der EU ermöglicht. Verstärkt wird die Wirksamkeit der EU-Maßnahmen auch durch die systematischere Inanspruchnahme von Darlehen der EIB und die Nutzung öffentlich-privater Partnerschaften sowie die Schaffung eines Instruments von Euro-Anleihen für Investitionen.

    1.6   Um nachzuweisen, dass ein Euro auf europäischer Ebene sinnvoller eingesetzt werden kann, muss die EU andererseits ihre derzeit viel zu schwerfälligen Verfahren grundlegend reformieren und sich darauf konzentrieren, bei für die Bürger sichtbaren Projekten tätig zu werden.

    1.7   Zur erfolgreichen Umsetzung eines ehrgeizigen Haushalts ist es unumgänglich, den Kampf um die öffentliche Meinung zu gewinnen. Deshalb spricht sich der EWSA dafür aus, dass Untersuchungen über die Kosten eines Europas ohne EU durchgeführt und veröffentlicht werden, in denen deutlich gemacht wird, an welcher Stelle ein unnötiger paralleler Ressourceneinsatz in den nationalen Haushalten erfolgt. Der EWSA schließt sich damit der Initiative des Europäischen Parlaments an und wird einen eigenen Beitrag dazu leisten.

    1.8   Der Haushalt der EU ist in den Augen der Unionsbürger nur dann glaubwürdig, wenn er in Sachen verantwortungsvolles Regierungshandeln, Effizienz, Transparenz und Kontrolle der Verwaltungsausgaben vorbildlich ist.

    2.   Ein neues Ziel

    2.1   Die Kommission manifestiert in ihrer Mitteilung deutlich ihren Willen, für die Finanzielle Vorausschau der EU nach 2013 ein ehrgeiziges Konzept festzulegen. Der EWSA begrüßt das, denn der Vertrag von Lissabon hat den Weg für eine Europäische Union bereitet, die künftig über eine starke politische Identität verfügt.

    2.2   Der EWSA ist gemeinsam mit der Kommission der Auffassung, dass der Begriff „angemessene Gegenleistung“ heute noch weniger angezeigt ist als zu Beginn des europäischen Aufbauwerks. Dieses Konzept, das das europäische Aufbauwerk schon viel zu oft verzerrt und die europäischen Debatten vergiftet hat, ist zum großen Teil Ursache der aufgetretenen Unzulänglichkeiten, Verzögerungen und Misserfolge. Es steht im Widerspruch zum Gedanken einer Union der Staaten und Völker und zu jeder rationalen wirtschaftlichen Argumentation. Die Vorteile und der Mehrwert einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer politischen Union müssen naturgemäß allen zugute kommen. Die Fortschritte der Europäischen Union beruhen alle auf dem Multiplikatoreffekt des Zusammenlegens von Ressourcen, das dem Begriff der „angemessenen Gegenleistung“ diametral entgegensteht.

    2.3   Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat der Ausschuss bereits 2008 Folgendes festgestellt: „Für die Gestaltung der Haushaltspolitik kommt man nicht umhin, die grundlegende Entscheidung zwischen Föderalismus oder Regierungszusammenarbeit zu treffen. Der Fortschritt bei der europäischen Integration wird natürlich auch daran gemessen, wie der EU-Haushalt finanziert wird“ (1).

    2.4   Dabei wünscht der Ausschuss auch, dass aus einer objektiven Analyse der derzeitigen Funktionsweise des Haushaltsverfahrens alle entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Kommission prangert zu Recht die Verzögerungen beim Start der Programme, systemimmanente Komplikationen sowie die dezentrale Umsetzung an, die sich nicht positiv ausgewirkt hat. Diese Mängel müssen unter Einbeziehung aller Beteiligten gründlich analysiert werden, um die zu ihrer Behebung notwendigen Lehren zu ziehen.

    2.5   Der EWSA unterstützt die vier von der Kommission angeführten Hauptprioritäten: Umsetzung der grundlegenden Handlungsprioritäten, Steigerung des Mehrwerts, Ergebnisorientierung und Optimierung des gegenseitigen Nutzens durch Solidarität. Zudem möchte der EWSA ein weiteres Erfordernis hinzufügen, nämlich die Öffentlichkeitswirksamkeit.

    2.5.1   Die derzeitige Bilanz der Bereitstellung von Mitteln durch die EU ist in diesem Punkt nicht zufriedenstellend. Dieser Mangel behindert die europäische Integration, da dadurch eine tatsächliche Unterstützung der Bürger erschwert wird und den Mitgliedstaaten Argumente gegeben werden, um die Aufstockung des EU-Haushalts zu bremsen. Hier müsste sowohl beim für die Bürger sehr undurchsichtigen Haushaltsverfahren als auch bei den operativen Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden, da diese zu häufig vertraulich, auf Miniprojekte verteilt oder im Rahmen komplexer Kofinanzierungsmaßnahmen versteckt sind.

    2.6   Nach Auffassung des EWSA muss eine solche Neuausrichtung der Haushaltspolitik der EU direkt zum Ziel der Erneuerung der Gemeinschaftsmethode beitragen, die er in seiner im Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten Stellungnahme (2) ausdrücklich gefordert hat.

    3.   Mehr Komplementarität zwischen nationaler und europäischer Ebene

    3.1   Es ist für den EWSA inakzeptabel, dass der europäische Integrationsprozess, der von den dafür bereitgestellten Finanzmitteln abhängt, durch die Frage des Abbaus der öffentlichen Defizite gelähmt wird. Ein solches Konzept würde die sich aus dem Vertrag von Lissabon ergebenden politischen Ziele der Europäischen Union und der Europa-2020-Strategie unmittelbar in Frage stellen.

    3.2   Der EWSA schlägt vor, dafür zu sorgen, dass sich nationale Haushalte und EU-Haushalt mit Blick auf gemeinsame Ziele ergänzen, insbesondere mittels Entwicklungs- und Investitionspartnerschaften im Zusammenhang mit der Europa-2020-Strategie. Damit ließe sich eine „intelligente“ Aggregation nationaler und europäischer Mittel zur Realisierung größenbedingter Einsparungen, zur Erzielung einer Hebelwirkung und zur Reduzierung der nationalen Haushaltsdefizite dank der positiven Effekte einer gemeinsamen Nutzung der Mittel erreichen.

    3.3   Zu diesem Zweck ersucht der Ausschuss die Kommission, die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um unverzüglich die Evaluierung der Kosten eines Verzichts auf Europa zu aktualisieren, die seit dem vor 23 Jahren vorgelegten Cecchini-Bericht (3) nicht mehr berechnet wurden. Der Ausschuss begrüßt, dass das Europäische Parlament seine Bereitschaft erklärt hat, selbst eine diesbezügliche Initiative zu ergreifen. Der Ausschuss seinerseits hat die Absicht, sich in die Arbeit zu diesem Thema umfassend einzubringen und einen aktiven Beitrag zur Aktualisierung zu leisten.

    3.3.1   Die Bürgerinnen und Bürger und Steuerzahler der EU müssen wissen, wie hoch die Rechnung ist, die sie aufgrund des überflüssigen doppelten Kostenaufwands zu begleichen haben, der durch die in Verwaltung und Wirtschaft immer noch unzureichende Integration entsteht. Sie sollten über die größenbedingten Einsparungen informiert werden, von denen die europäische Politik durch eine stärkere europäische Integration profitieren könnte. So bezahlen die Bürger z.B. das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik, die doch in den Römischen Verträgen festgeschrieben ist, tagtäglich mit Verspätungen und Störungen und die Unternehmen mit einem gewissen Produktivitätsverlust. Dasselbe gilt für die unzureichende Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge, deren europaweite Öffnung Schätzungen des Cecchini-Berichts zufolge etwa 2 Mio. neue Arbeitsplätze bringen würde.

    3.4   Der EWSA unterstreicht ganz besonders den wirtschaftlichen Ankurbelungseffekt, der von einer besseren Nutzung des EU-Haushalts auf der Grundlage solcher größenbedingten Einsparungen zu erwarten wäre. Die Abschwungseffekte, die aufgrund der drastischen Einschnitte bei den Staatshaushalten entstehen, könnten mit Hilfe dieser Produktivitätsgewinne aufgefangen werden. Dadurch ließen sich die angesichts der Defizite gebotene Haushaltsdisziplin und die wirtschaftlichen und sozialen Impulse miteinander in Einklang bringen, die für die Überwindung der Krise und der Wachstumsschwäche in Europa notwendig sind.

    3.5   Die so erzielte Stützung der Wirtschaft würde sich ihrerseits positiv auf die Steuereinnahmen und damit auf die Sanierung der öffentlichen Finanzen auswirken. Eine sinnvolle Verwendung des EU-Haushalts dürfte die Einleitung und Konsolidierung einer Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung mit positiven Rückkopplungen ermöglichen, wenn gemeinsam das Potenzial für gegenseitige Ergänzung erschlossen wird. Die Nutzung der Chancen, die die gegenseitige Ergänzung von nationaler und europäischer Ebene bietet, ist deshalb die Voraussetzung für die nachhaltige Konsolidierung von Wachstum und Beschäftigung in Europa.

    4.   Rückkehr zu mehr Haushaltsautonomie

    4.1   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Aufstockung des EU-Haushalts nicht nur an sich wünschenswert, sondern angesichts der neuen Herausforderungen, auf die gemeinsam reagiert werden muss, auch erforderlich ist.

    4.2   Deshalb unterstützt er den Vorschlag der Europäischen Kommission, einem System Vorrang einzuräumen, das auf Eigenmitteln beruht, die direkt in den Haushalt der Europäischen Union fließen, ohne über die nationale Ebene zu laufen. Nach Auffassung des EWSA wird eine wirksame Reform des EU-Haushalts nur dann möglich sein, wenn wieder eigenständige, gezielte und nachhaltige Eigenmittel erhoben werden, die an die Stelle der Beiträge der Mitgliedstaaten treten, die 1980 mit dem Sonderkorrekturkoeffizienten zugunsten des Vereinigten Königreichs eingeführt und dann durch die Vereinbarung von Fontainebleau 1984 dauerhaft festgelegt wurden und die dem falschen Konzept der „angemessenen Gegenleistung“ Vorschub leisten.

    4.3   Der EWSA begrüßt die Vielfalt der Vorschläge zu den neuen Einnahmen, die die Kommission in ihrer Mitteilung unterbreitet, insbesondere die Vorschläge zu den Finanztransaktionen und zu CO2. Der EWSA möchte zu diesem Zeitpunkt noch nicht Stellung zur Art der neuen Eigenmittel beziehen, betont jedoch, dass eine Folgenabschätzung zu allen diesbezüglichen Vorschlägen vorzulegen ist, damit diese besser bewertet werden können. Der Ausschuss wünscht, dass auch die Möglichkeit geprüft wird, ob nach dem Beispiel der Mehrwertsteuerregelung bestimmte nationale Steuern oder Teile davon auf die europäische Ebene übertragen werden könnten, beispielsweise ein Teil der Körperschaftssteuer, sobald es, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen, eine gemeinsame Bemessungsgrundlage gibt.

    4.4   Der EWSA erwartet von einer solchen Reform die mögliche Abschaffung der nationalen Korrekturkoeffizienten in absehbarer Zeit, da sie in einem reformierten EU-Haushalt, der allen Mitgliedstaaten einen erhöhten Mehrwert bietet, keine Daseinsberechtigung mehr haben.

    4.5   Ferner dringt der EWSA auf drei Grundsätze, die ihm für eine erfolgreiche Reform der Einnahmen des EU-Haushalts unabdingbar erscheinen:

    4.5.1

    Die Steuerbelastung in Europa darf sich infolge der Reform der Eigenmittel nicht erhöhen.

    4.5.2

    Die eventuellen neuen europäischen Abgaben dürfen weder eine übermäßige Diskriminierung bestimmter Mitgliedstaaten auf Grund ihrer nationalen Besonderheiten mit sich bringen, noch dürfen sie die Tätigkeit der in der Europäischen Union ansässigen Unternehmen beeinträchtigen. Sie dürfen zudem keine übermäßige Belastung der Bürgerinnen und Bürger bewirken, insbesondere der am meisten benachteiligten, wie es bei der Mehrwertsteuer der Fall ist.

    4.5.3

    Die Umstrukturierung muss zur Rationalisierung und einer ausgewogeneren Gesamtsteuerbelastung führen und den Zielen der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung der Union entsprechen. Zudem müssen die Ausgaben der EU verstärkt auf die Prioritäten der EU und die Bereiche ausgerichtet werden, in denen sich größenbedingte Einsparungen erzielen lassen. Der EWSA betrachtet dies als notwendige Voraussetzung für eine erhebliche Aufstockung des EU-Haushalts.

    4.6   Bis die EU ein höheres Maß an Integration erreicht hat, könnten nach Meinung des EWSA innovative Lösungen umgesetzt werden, bei denen die nationalen Haushalte und der EU-Haushalt in Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Innovation, Entwicklungshilfe oder Finanzierung der Großinfrastruktur über Sondereinrichtungen oder in anderer Form aggregiert werden. Mit solchen Lösungen ließen sich Prioritäten und Mittel wirklich integrieren, wobei auf allen politischen Kompetenzebenen, den nationalen wie der europäischen, die jeweilige Kontrollbefugnis gewahrt würde.

    5.   Gezielter auf den europäischen Mehrwert ausgerichtete Maßnahmen

    5.1   Der EWSA unterstreicht, dass der EU-Haushalt in Einklang mit den Zielen und Verpflichtungen der Europa-2020-Strategie gebracht werden muss. Dies umfasst außer den entsprechenden Finanzmitteln auch eine sichtbare Verknüpfung zwischen den im Rahmen dieses Haushalts geplanten Maßnahmen und den verschiedenen Säulen der Europa-2020-Strategie.

    5.2   Der EWSA betont insbesondere die Notwendigkeit einer effizienten Finanzierung in den Bereichen, für die die Europäische Union zuständig ist: in erster Linie die Konsolidierung der Wirtschafts- und Währungsunion, die Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie die Umsetzung neuer, sich aus dem Vertrag von Lissabon ergebender politischer Maßnahmen in den Bereichen Energie und Klima, Recht und Inneres sowie Außenpolitik.

    5.3   Durch die jüngsten Krisen im Euroraum wurde deutlich, dass insbesondere die Solidarität im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion gestärkt werden muss. Die im EU-Haushalt verfügbaren Mittel wurden in dringenden Fällen nutzbringend eingesetzt, bevor später die Stabilisierungsfonds eingerichtet wurden. Die Entscheidung, diesen Stabilisierungsmechanismus in den Vertrag aufzunehmen, markiert eine neue Etappe der Solidarität innerhalb der EU, aber auch ihres Ziels der politischen und wirtschaftlichen Integration, um die Wirtschafts- und Währungsunion nachhaltig zu konsolidieren. Denn diese stellt einen entscheidenden Fortschritt für das europäische Aufbauwerk sowie den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt des Binnenmarkts dar. Insbesondere ist es dringend erforderlich, die Wirtschaftsunion wieder in Schwung zu bringen, die hinter der Währungsunion zurückgeblieben ist und diese damit schwächt. Die Europa-2020-Strategie wird kaum erfolgreich sein, wenn dieser Rückstand nicht aufgeholt wird. Dieser Gesichtspunkt hätte im Kommissionsdokument eingehender erörtert werden sollen.

    5.4   Die andere wichtige Priorität für den EU-Haushalt ist, wie von der Kommission ganz zu Recht hervorgehoben, die Stärkung der politischen Maßnahmen des magischen Dreiecks „Forschung, Innovation und Bildung“, das im Zentrum der aus der Globalisierung erwachsenden Herausforderungen steht.

    5.4.1   Angesichts der internationalen Herausforderungen wird es allerdings mit Finanzmitteln in Höhe von nur 4 % des Budgets der öffentlichen Forschung in Europa nicht möglich sein, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Es müssen insbesondere die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, um aus den europäischen Programmen wirksame Instrumente zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu machen.

    5.4.2   Die Einbindung der nationalen Programme in das europäische Forschungsrahmenprogramm ist unabdingbar, um größenbedingte Einsparungen und einen Mengeneffekt zu erzielen. Zudem ist dafür zu sorgen, dass das Forschungsrahmenprogramm unter Berücksichtigung der jeweiligen Ausgangspositionen in den Mitgliedstaaten auf Schlüsselbranchen konzentriert wird und dass bestehende Mängel, z.B. umständliche und langwierige Verwaltungsverfahren, behoben werden.

    5.4.3   Die europäische Innovationspolitik muss das Fundament der Forschung in Europa bilden, wurde jedoch von der Kommission bisher lediglich als Nebenprodukt der Forschungstätigkeit behandelt. Es war an der Zeit, dass die Kommission einen Kurswechsel vornimmt: Diesen schlägt sie in ihrer jüngsten Mitteilung „Leitinitiative der Strategie Europa 2020 – Innovationsunion“ (KOM(2010) 546 endg.) vor.

    5.4.4   Der EWSA bekräftigt insbesondere seine Forderungen nach einer wesentlich ehrgeizigeren Politik, die die Unterstützung von Unternehmergeist, die Öffnung der nationalen Netze zur Unterstützung und Verbreitung von Innovation und die europäische Cluster-Politik miteinander verknüpft, damit anstelle „nationaler Marktführer“„europäische Marktführer“ entstehen. Der EWSA begrüßt den Beschluss, zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents für eine verstärkte Koordinierung zu sorgen. Das Gemeinschaftspatent sollte so bald wie möglich eingeführt werden, um einen Zustand zu beenden, der die Wettbewerbsfähigkeit der EU seit mehreren Jahrzehnten erheblich behindert.

    5.4.5   Im Bereich Bildung plädiert der EWSA für ehrgeizigere Initiativen und insbesondere die Einrichtung neuer, allen offenstehender „Europaschulen“ als Zeichen einer stärkeren europäischen Identität, die Einrichtung echter europäischer Hochschulen (4) sowie eine europäische Politik im Bereich der neuen Kompetenzen für neue Beschäftigungen (5).

    5.4.6   Die Europäische Kommission sollte ihre Aufmerksamkeit stärker darauf lenken, die Auswirkungen der europäischen Politik objektiv zu analysieren und die Daten der technischen Anhänge eng mit dem Hauptdokument zu verknüpfen.

    5.5   Auch die Politik des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts ist unmittelbarer Ausdruck europäischer Solidarität. Der EWSA wird jeder Demontage dieser Politik, die das Symbol der „Union der Völker“ ist, entschlossen entgegentreten. Der EWSA fordert jedoch eine Reform dieser Politik, um sie wirksamer zu gestalten, insbesondere durch die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren, die stärkere Fokussierung auf Vorzeigeprojekte in Verbindung mit europäischen Prioritäten sowie eine intensivere Einbeziehung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure. Deshalb muss die EU aktiv gegen die Ausgrenzung der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen eintreten und jene Länder und Regionen unterstützen, die sich in extremer Randlage befinden und auf Grund ihrer Besonderheiten am meisten benachteiligt sind, damit diese am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt voll und ganz teilhaben können. Im Bereich der Beschäftigung ist der Europäische Sozialfonds daher das - vor allem bei der Finanzierung – zu bevorzugende Instrument zur Umsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie, die im Mittelpunkt der Strategie für integratives Wachstum im Rahmen der Europa-2020-Strategie stehen muss.

    5.6   Eine wichtige Priorität des Gemeinschaftshaushalts, die direkt mit dem Ziel einer effizienteren, solidarischeren und gleichzeitig bürgernäheren Union verbunden ist, sollten größere Investitionen in europäische Kollektivgüter sein. Die Kommission weist zu Recht auf diese Priorität hin, die jedoch präzisiert und konkretisiert werden müsste. Der EWSA beabsichtigt seinerseits, gemeinsam mit den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren weitergehende Überlegungen anzustellen, um hier den Bedarf und die Ziele zu klären. Der EWSA hat verschiedene Erfordernisse in diesem Bereich bereits in den Mittelpunkt gerückt.

    5.6.1   In erster Linie unterstreicht der EWSA, dass zur Ergänzung der nationalen Verwaltungen und gemeinsam mit den europäischen Nutzern auf europäischer Ebene echte Dienstleistungen von allgemeinem Interesse entwickelt werden müssen, um die ordnungsgemäße Verwaltung und die Sicherheit der Union in den Bereichen sicherzustellen, die in ihre kollektive Verantwortung fallen.

    5.6.1.1   Dies betrifft insbesondere die Organisation des Binnenmarkts und des Zolls, aber auch die neuen Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten der EU Kompetenzen übertragen haben: Einwanderungs- und Asylpolitik, Justiz und Inneres, Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Diensts und Maßnahmen im Außenbereich sowie die Überwachung der Außengrenzen.

    5.6.2   Außerdem hebt der EWSA hervor, dass die Investitionen in die transeuropäische Infrastruktur ausgeweitet werden müssen, auch um die europäischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu unterstützen und ihre korrekte Erbringung zu ermöglichen. Seit dem durch Jacques Delors 1993 vorgelegten Weißbuch der Kommission, dessen Vorschläge und Methodik kaum Wirkung zeitigten, haben sich zu viele Verzögerungen angehäuft. Ein großer Teil des EU-Gebiets, vor allem in den kürzlich beigetretenen Ländern, ist wegen dieser Probleme nach wie vor von den großen Handelsströmen ausgeschlossen. Unter den umzusetzenden Infrastrukturprioritäten betont der EWSA insbesondere Strukturvorhaben wie die Umsetzung der Spezifikationen für den einheitlichen europäischen Luftraum (6), für die Hochgeschwindigkeitszüge sowie für das Netz schiffbarer Kanäle. Umfassende europäische Investitionen sind auch in der Energiepolitik erforderlich, um eine größere Unabhängigkeit bei der Versorgung zu gewährleisten und in Sicherheit, Effizienz und erneuerbare Energien zu investieren.

    5.6.3   Erforderlich sind ferner gemeinsame innovative Investitionen, um den neuen Herausforderungen in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit bzw. Sicherheit bei Telekommunikation, Umwelt und Zivilschutz zu begegnen.

    5.7   Der EWSA bekräftigt seinen Standpunkt (7), dass die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) reformiert werden muss, um sie den neuen Gegebenheiten anzupassen, ohne sie zu renationalisieren oder die Grundsätze aufzugeben, auf denen ihr Erfolg beruht: Solidarität nach innen und außen, Qualität der Nahrungsmittelproduktion, Gemeinschaftspräferenz, territorialer Zusammenhalt zugunsten des ländlichen Raums, insbesondere von Berg- und Inselregionen. Eine der wichtigsten Aufgaben der GAP besteht insbesondere darin, die Stellung der Landwirte aufzuwerten. Darüber hinaus muss sie zur nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen beitragen, indem sie es ermöglicht, die großen Aufgaben, Eindämmung des Klimawandels sowie Schutz der Umwelt und der Artenvielfalt (8), konkret in Angriff zu nehmen.

    5.8   In den Bereichen Außenpolitik und Entwicklungshilfe für Drittstaaten erinnert der EWSA daran, dass er sich für eine Rationalisierung der Vertretungen der EU und der Mitgliedstaaten sowie eine größere Effizienz der europäischen Unterstützung in Ergänzung zu den nationalen Hilfen in engerer Zusammenarbeit mit den direkt betroffenen wirtschaftlichen und sozialen Akteuren ausgesprochen hat.

    5.9   Zum Thema Entwicklungshilfe, deren Rückverfolgbarkeit gewährleistet sein muss, ist der EWSA der Auffassung, dass die nationalen und die europäischen Programme künftig zusammengefasst werden sollten, sowohl um Effizienz und Kohärenz zu steigern als auch um der europäischen Hilfe mehr Öffentlichkeitswirksamkeit zu verschaffen. Dabei weist der EWSA darauf hin, dass die Klausel in den Abkommen von Cotonou, nach der 15 % der Entwicklungshilfe des EEF für Maßnahmen nichtstaatlicher Akteure vorzusehen sind, auf ihn zurückgeht. Er schlägt vor, diesen Grundsatz auf alle Entwicklungshilfeprogramme auszudehnen.

    6.   Mehr Effizienz

    6.1   Angesichts der Schwierigkeiten bei den öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten ist es erforderlich, durch eine verantwortungsvolle Verwaltung des EU-Haushalts mit gutem Beispiel voranzugehen. Ohne in billige Demagogie über die Verwaltungskosten der europäischen Institutionen zu verfallen, die relativ gesehen wesentlich weniger kosten als die nationalen Verwaltungen (so hat die Kommission z.B. nicht mehr Bedienstete als die Stadt Paris!), empfiehlt der EWSA, Maßnahmen zu ergreifen, um die Beteiligung der europäischen Institutionen an den Einsparungen der Mitgliedstaaten im Verwaltungsbereich deutlich zu machen. Gleichzeitig müssen die Institutionen, einschließlich des EWSA, bei den Einstellungs- und Beförderungsverfahren für die Wahrung der im Vertrag verankerten Grundsätze der Chancengleichheit und des Diskriminierungsverbots sorgen. Der EWSA betont jedoch, dass eine verantwortungsvolle Verwaltung auch bedeutet, der europäischen Zivilgesellschaft die erforderlichen Mittel an die Hand zu geben, damit sie sich uneingeschränkt an der europäischen Debatte beteiligen kann.

    6.2   Die den Mitgliedstaaten über den EU-Haushalt gewährten Beihilfen sollten strengeren Bedingungen unterliegen, insbesondere bezüglich der Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften und der Achtung der Entscheidungen des EuGH durch die Begünstigten. Außerdem sollte überprüft werden, ob die Gemeinschaftsbeihilfen mit den Wettbewerbsregeln vereinbar sind.

    6.3   Angesichts der Notwendigkeit einer engeren Abstimmung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Rahmen der WWU kommt es auch darauf an, dass die Bedingungen und Regeln des Euro-Plus-Pakts bei den Beihilfen konsequenter eingehalten werden.

    6.4   Die Unterstützung für Drittstaaten sollte von folgenden Kriterien abhängig gemacht werden: Nachvollziehbarkeit der Verwendung der Finanzmittel, Einhaltung ihrer Verpflichtungen, insbesondere bezüglich der Wirtschafts- und Sozialreformen zur Anpassung im Hinblick auf eine Öffnung, Partnerschaften sowie Einbindung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure der Zivilgesellschaft.

    6.5   Auch die Entwicklung des Euro und die Notwendigkeit, den Zusammenhalt des Euroraums gegenüber den Märkten zu stärken, bieten Chancen für eine innovative Darlehens- und Kreditpolitik auf europäischer Ebene, die die Wirkung der Beihilfen im Rahmen des EU-Haushalts verstärken würde, bisher aber zu wenig genutzt wurden. Der EWSA empfiehlt zunächst eine engere Koordinierung zwischen EZB, Eurogruppe und EIB. Er begrüßt die ermutigenden Ergebnisse, die bei den ersten Euro-Anleihen zu verzeichnen waren, und wünscht die Ausweitung auf die Bereiche Bildung, Forschung, Industrie und europäische Infrastruktur. Gleichzeitig könnte die Schaffung des „europäischen Schatzamts“ vorbehaltlich strenger Bedingungen und strikter Regeln genutzt werden, um einen erheblichen Teil der Schulden der Mitgliedstaaten gemeinsam zu schultern. Mit diesen Instrumenten soll die Solidarität innerhalb der Europäischen Union bekräftigt und gleichzeitig bewiesen werden, dass sich die EU politisch für die Unumkehrbarkeit des Euro einsetzt.

    6.6   Der EWSA spricht sich insofern für eine bessere Auswahl der Projekte aus, die von der Europäischen Union unterstützt werden, als sich die EU auf jene Projekte konzentrieren sollte, die den größten Mehrwert für die EU bringen. Der EWSA fordert deshalb eine Lockerung des Grundsatzes der „Zusätzlichkeit“, die nicht länger für jedes einzelne Projekt, sondern im Rahmen der strategischen Partnerschaften mit den Mitgliedstaaten insgesamt bewertet werden sollte.

    6.7   Auch mit beschleunigten Verfahren zur Festlegung der Prioritäten und zur Aufteilung von Mitteln kann auf bestimmte Notwendigkeiten reagiert werden. Der EWSA hat bereits empfohlen, den vermehrten Rückgriff auf Sonderorganisationen oder auf „Globalzuschüsse“ zu prüfen, die basisnahen Körperschaften wie den Regionen oder Organisationen der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Letzteres, vom EWSA bevorzugtes Vorgehen hat sich bei der Regionalpolitik bewährt und könnte auf alle Finanzmaßnahmen der EU ausgedehnt werden.

    6.8   Bei großen Investitionsprojekten sollte ebenfalls die Inanspruchnahme von Darlehen der EIB sowie von privaten Finanzierungsmöglichkeiten gefördert werden, und zwar innerhalb eines Rechtsrahmens, wie ihn der EWSA in einer Stellungnahme (9) kürzlich dargelegt hat. In einem neuen Maßstab entwickelt, könnten mit ihrer Hilfe der europäische Rückstand bei der Infrastrukturentwicklung aufgeholt und die technischen Großprojekte finanziert werden, von denen unsere Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt abhängt.

    6.8.1   Darüber hinaus ist der EWSA der Auffassung, dass Notlagen eine größere Flexibilität und besser angepasste Mechanismen nach dem Vorbild des Fonds zur Anpassung an die Globalisierung erfordern (10).

    Brüssel, den 16. Juni 2011

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  Stellungnahme des EWSA „Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung“, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 113.

    (2)  Stellungnahme des EWSA „Die Erneuerung der Gemeinschaftsmethode (Leitlinien)“, ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 29.

    (3)  Cecchini-Bericht „Kosten der Nichtverwirklichung Europas“, Paolo CECCHINI, 1988.

    (4)  Stellungnahme des EWSA „Universitäten für Europa“; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48.

    (5)  Stellungnahme des EWSA „Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen“; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 74.

    (6)  Stellungnahme des EWSA „Europäisches Luftverkehrssystem“; ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 50.

    (7)  Stellungnahme des EWSA „Stärkung des europäischen Modells der Nahrungsmittelerzeugung“; ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 1.

    (8)  Stellungnahme des EWSA „Die GAP bis 2020“, ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 63.

    (9)  Stellungnahme des EWSA „Private und öffentliche Investitionen“, ABl. C 52 vom 17.2.2011, S. 59.

    (10)  Stellungnahme des EWSA „Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung“, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 113.


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