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Document 52010IE0102

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Frühkindliche Betreuung und Bildung“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 339 vom 14.12.2010, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

14.12.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 339/1


459. PLENARTAGUNG AM 20. UND 21. JANUAR 2010

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Frühkindliche Betreuung und Bildung“

(Initiativstellungnahme)

(2010/C 339/01)

Berichterstatterin: Mária HERCZOG

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2009 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Frühkindliche Betreuung und Bildung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. Dezember 2009 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 459. Plenartagung am 20./21. Januar 2010 (Sitzung vom 20. Januar) mit 194 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Einleitung

Die Mitgliedstaaten sind verantwortlich für die Bildung und Betreuung aller in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Kinder. Es gibt unterschiedliche Betreuungs- und Bildungsformen, und ihre Bezeichnungen, Inhalte und Ziele waren in den letzten 15 Jahren Veränderungen unterworfen. Die im Bereich der frühkindlichen Betreuung verwendeten Definitionen und Begrifflichkeiten haben sich gewandelt. Kindliche Bildung und Betreuung umfasst nicht nur die Gewährleistung eines sicheren Umfelds für das Kind, sondern auch die Förderung und Betreuung, die das Kind braucht, um zu gedeihen und mithilfe der notwendigen emotionalen, physischen, sozialen und pädagogischen Unterstützung seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Frühkindliche Bildung und Betreuung beinhaltet eine Reihe umfassender Leistungen, die für Kinder vom Neugeborenen bis ins Vorschulalter angeboten werden. Außerschulische Betreuung bezeichnet jene Leistungen, die Schulkindern außerhalb der Unterrichtszeiten - d.h. nachmittags, am Wochenende und während der Schulferien - angeboten werden.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt die von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten unternommenen Anstrengungen zum Auf- und Ausbau einer qualitativ hochwertigen, erschwinglichen und allgemein zugänglichen Kinderbetreuung, einschließlich frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, an und unterstützt diese Bemühungen. Gleichzeitig muss noch mehr getan werden, um sicherzustellen, dass diese Leistungen allen Kindern offenstehen.

1.2   Der Ausschuss erkennt die Bedeutung eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes in Kinderbetreuungsfragen an, um zusammenhängende Vorgänge besser verstehen zu können und eine menschliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten müssen Einzelpersonen und Familien die Möglichkeit geben, persönliche Optionen und Entscheidungen zu treffen und ihre Präferenzen in Bezug auf Form und Dauer der Betreuung ihrer Kinder zu äußern. In diesem Zusammenhang sollten die politischen Entscheidungsträger verschiedene Bedürfnisse, konkurrierende Werte und Interessen in folgenden Bereichen berücksichtigen:

Wohl des Kindes (1);

Unterstützung der Eltern, Elternbildung und -stärkung;

demografische Fragen (u.a. niedrige Geburtenraten und schneller Anstieg der Rentnerzahlen);

Arbeitsmarkterfordernisse;

Bildung und lebenslanges Lernen;

Chancengleichheit für Frauen und Männer;

Unterschiede in der geographischen Verteilung (Städte, ländliche Gegenden, abgelegene Gebiete);

Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben;

allgemein zugängliche, erschwingliche und qualitativ hochwertige Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder;

aktive Bürgerbeteiligung;

Solidarität zwischen den Generationen;

Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

1.3   Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass auf nationaler Ebene unterschiedliche Familien- und somit Kinderbetreuungspolitiken verfolgt werden. Die in Barcelona formulierten Zielsetzungen und andere einschlägige EU-Dokumente geben jedoch recht einheitliche Ziele vor (2).

1.4   Der Ausschuss betont, dass das Hauptaugenmerk auf besondere Gruppen von Kindern gerichtet werden muss, vor allem auf die am stärksten Benachteiligten mit besonderen Bedürfnissen wie Kinder mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, aus ethnischen Minderheiten oder sozial ausgegrenzten Familien bzw. ohne ihre Eltern lebende Kinder, für die die Kinderbetreuung bei der Vorbereitung auf die Schule und für die Erreichung schulischer Erfolge eine wichtige Rolle spielt. Auch plädiert der Ausschuss dafür, zusätzliche Unterstützung für die Eltern dieser Gruppen von Kindern zur Verfügung zu stellen.

1.5   Im Einklang mit der Sozialagenda und anderen einschlägigen politischen Dokumenten betrachtet der Ausschuss eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung als Möglichkeit zur Steigerung der Lebensqualität und als Beitrag zur Vereinbarung von Berufs-, Privat- und Familienleben für alle Mitglieder der Familie. Außerdem wird dadurch die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt gestärkt und das Familieneinkommen erhöht.

1.6   Der Ausschuss begrüßt, dass diverse Betreuungs- und Dienstleistungsangebote für Kinder verschiedener Altersgruppen bestehen, die sich nicht nur an Kinder im Vorschulalter richten, sondern auch Aktivitäten im außerschulischen Bereich, in der Freizeit und im Rahmen der informellen Bildung umfassen. Es sollten allgemein zugängliche, erschwingliche und qualitativ hochwertige Leistungen für alle Kinder angeboten werden.

1.7   Der Kinderbetreuungssektor verzeichnet ein rasches Wachstum. Gleichwohl sind in Bezug auf die Qualifikationen und deren Anerkennung, das Geschlechtergleichgewicht, das Ansehen und das Arbeitsentgelt der in der formellen und vielmehr noch der informellen Kinderbetreuung beschäftigten Arbeitskräfte weitere Verbesserungen und Unterstützungsmaßnahmen vonnöten, um ein differenzierteres, den verschiedenen Bedürfnissen entsprechendes Leistungsangebot bereitstellen zu können. Zwar besteht das Ziel darin, allen Kindern Bildung und Betreuung zu ermöglichen, doch muss auch daran erinnert werden, dass ein flexibler, nachhaltiger und sensibler Ansatz erforderlich ist, um eine breite Palette an Leistungen bieten zu können, die den Rechten und Bedürfnissen verschiedener Gruppen von Kindern gerecht werden.

1.8   Die Bedürfnisse von Familien und Kindern, die in benachteiligten, abgelegenen Gebieten und Regionen leben, sollten besser und auf vielschichtigere Weise berücksichtigt werden, unter anderem durch Einbeziehung des Gemeinwesens und Unterstützung durch die öffentliche Hand. Mit verschiedenen Betreuungsangeboten - integriert, im häuslichen Umfeld, Unterstützung der Eltern usw. - kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien eingegangen werden.

1.9   Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich die Anerkennung der Verantwortung der Mitgliedstaaten und das zunehmende Engagement der Sozialpartner zur Verbesserung universeller und flexibler Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder und würdigt die Tatsache, dass sie alle gangbaren Wege beschreiten, damit diese Möglichkeiten verfügbar und von Erfolg gekrönt werden. Arbeitgeber können selbst Kinderbetreuungseinrichtungen anbieten oder sie finanziell unterstützen, während Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen ihren Beitrag leisten können, indem sie auf die Bedeutung solcher Angebote hinweisen und die laufende Analyse und Bewertung unterstützen. Die Mitgliedstaaten können Arbeitgebern, die sich um die Bereitstellung von Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bemühen, steuerliche Anreize bieten.

1.10   Im Einklang mit den gemeinsamen Grundsätzen und dem lebenszyklusbezogenen Ansatz der Flexicurity ist der Ausschuss der Auffassung, dass der Vorschlag vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Betreuungs- und Bildungsbedürfnissen von Kleinkindern unter drei Jahren und von Kindern nach dem Einschulungsalter betrachtet werden muss. Die Inanspruchnahme flexibler Arbeitszeiten für Eltern, die von sämtlichen Partnern ausgehandelt wurden, hat sich in diesem Rahmen bewährt.

1.11   Den Sozialpartnern kommt insofern eine wichtige Rolle zu, als sie die Umsetzung bildungs- und betreuungsrelevanter Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten sowie einen umfassenden Ansatz unterstützen können.

2.   Hintergrund

2.1   Die Empfehlung des Rates zur Kinderbetreuung (92/241/EWG), in der nahegelegt wurde, Qualitätskriterien für die Kinderbetreuung festzulegen, machte bereits 1992 die wichtige Rolle der Kinderbetreuung deutlich; seitdem haben sich Umfang und Bandbreite der Kinderbetreuung jedoch stark gewandelt. So konzentrierte sich das „Netzwerk Kinderbetreuung“ der Europäischen Kommission im Jahr 1996 auf qualitative Zielsetzungen für Leistungen der Kleinkinderbetreuung und nicht auf die Zahl oder den Anteil von Kindern, die Einrichtungen der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) besuchen.

2.2   In der EU-25 (3) wurde die Zahl der Kinder bis zum schulpflichtigen Alter auf rund 30 Millionen geschätzt. Davon besuchten weniger als 25 % der unter Dreijährigen formale Kinderbetreuungseinrichtungen, wohingegen dieser Prozentsatz bei den Kindern zwischen drei Jahren und dem Einschulungsalter auf über 80 % stieg. Zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestanden beträchtliche Unterschiede, je nach der jeweiligen politischen Ausrichtung, den geltenden Regelungen für Mutterschafts- und Elternurlaub, den Traditionen und Werten. Auch gibt es große Unterschiede zwischen den Formen der Betreuung und ihrer Qualität sowie in Bezug auf die dort verbrachten Zeiträume und Tage.

2.3   Frühkindliche Förderungs- und Betreuungseinrichtungen befinden sich in den EU-Mitgliedstaaten in unterschiedlichen Entwicklungsstufen und sind nach wie vor einer der am rasantesten wachsenden Märkte für Betreuungsangebote in Europa. Dies hängt teilweise mit den Zielsetzungen von Barcelona zusammen, doch muss noch mehr Engagement an den Tag gelegt werden, um zu gewährleisten, dass allen Kindern eine Vielfalt an Betreuungsformen offensteht. Hierbei sind die unterschiedlichen Hintergründe und Bedürfnisse der Kinder und Familien zu berücksichtigen.

2.4   Die Bedeutung qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungsmöglichkeiten als wesentlicher Faktor für die Erreichung der Geschlechtergleichstellung und die Erhöhung der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen wurde vom Europäischen Rat und von der Kommission hervorgehoben und in die 2002 formulierten Zielsetzungen von Barcelona aufgenommen. Dies kam 2000 und 2008 auch in der Lissabon-Strategie zum Ausdruck. In dem Bericht der Kommission über die Umsetzung der Barcelona-Ziele auf dem Gebiet der Betreuungseinrichtungen für Kinder im Vorschulalter wurden Errungenschaften und weitere Aufgabenstellungen in diesem Bereich analysiert. „Die Mitgliedstaaten sollten Hemmnisse beseitigen, die Frauen von einer Beteiligung am Erwerbsleben abhalten, und bestrebt sein, nach Maßgabe der Nachfrage nach Kinderbetreuungseinrichtungen und im Einklang mit den einzelstaatlichen Vorgaben für das Versorgungsangebot bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen.“ (4) In einigen Ländern bedarf es größerer Anstrengungen, um die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen zu verwirklichen.

2.5   In der Mitteilung der Europäischen Kommission zum demografischen Wandel werden die Faktoren genannt, die zu einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung in Europa führen: niedrige Geburtenraten haben einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung und eine wachsende Belastung der öffentlichen Ausgaben zur Folge (5). Der Europäische Rat betonte im März 2006 die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Privatleben, damit Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden können, und billigte den Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (6). In einer weiteren Mitteilung zur Förderung der Solidarität zwischen den Generationen befasst sich die Kommission mit der Frage des demografischen und gesellschaftlichen Wandels, einschließlich möglicher Schwierigkeiten bei der Finanzierung und dem Angebot von Waren und Dienstleistungen, unter anderem auch Kinderbetreuungsleistungen (7).

2.6   Die von der Kommission angehörten Bürgerinnen, Bürger und Vertreter der Zivilgesellschaft zeigten sich darüber besorgt, dass die Berufsaussichten von Müttern sehr viel stärker beeinträchtigt werden als die von Vätern. Die Beschäftigungsquote von Frauen mit unterhaltsberechtigten Kindern liegt bei nur 65 % im Vergleich zu 91,7 % bei den Männern. Auch haben Frauen mit Stereotypen in Bezug auf ihre häuslichen Pflichten und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu kämpfen (8). Dies kann dazu führen, dass weniger Frauen nach der Geburt ihres Kindes auf den Arbeitsmarkt zurückkehren.

2.7   Kinderarmut in Europa (9) und das Ziel der EU-weiten Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes (UNKRK) (10) sind entscheidende Themen, da die Kommission in ihrer Mitteilung feststellt, dass Armut und soziale Ausgrenzung von Eltern die Möglichkeiten und Lebenschancen der Kinder ernsthaft beeinträchtigen. Ein Durchbrechen dieses Armutskreislaufes ist daher von entscheidender Bedeutung (11).

2.8   Zwischen 1986 und 1996 sollte sich die von der Kommission eingesetzte länderübergreifende Gruppe „Netzwerk Kinderbetreuung“ im Wesentlichen drei speziellen Bereichen widmen: Leistungen für Kinder, Elternurlaub und die Rolle der Männer bei der Betreuung. Die 40 qualitativen Zielsetzungen, die das Netzwerk erarbeitet hat, stecken den Rahmen für die künftige Politik ab. Dies bedeutet, dass die EU eine politische Verpflichtung in Bezug auf die Kinderbetreuung und ihrer Ziele eingeht.

2.9   Dank zahlreicher Studien, Strategiepapiere und Analysen konnte man sich ein Bild von den Bedürfnissen der Kinder und Familien sowie von den verfügbaren und künftigen Einrichtungen machen (12). Frühkindliche Betreuung und Bildung wurde unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert und beleuchtet, so u.a. in den Dokumenten, die die Europäische Kommission und ihre Agenturen in den letzten Jahren veröffentlicht haben. Dazu gehören eine Kinderrechtsstrategie (13), Bildungsfragen (14), die aktuelle Situation und Zukunft der Kinderbetreuung in der EU (15), das Symposium zur Verbesserung der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) (16), die sozialpolitische Komponente der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung mit Blick auf die am stärksten benachteiligten Gruppen von Kindern sowie Forschung und Projektevaluierung (17).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   In einer Mitteilung aus dem Jahr 2006 (18) erklärt die Kommission, dass Kinderrechte für die EU ein vorrangiges Anliegen sind und dass die Mitgliedstaaten zur Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UNKRK) und der dazugehörigen Fakultativprotokolle sowie zur Verwirklichung der Millennium-Entwicklungsziele verpflichtet sind. Im März 2006 ersuchte der Europäische Rat die Mitgliedstaaten, „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Kinderarmut rasch in erheblichem Maße zu verringern und damit allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die gleichen Chancen zu bieten (19). Im Zusammenhang mit dem hier zu behandelnden Thema bedeutet dies, dass allen Kindern die Möglichkeit einer angemessenen frühkindlichen und außerschulischen Betreuung und Bildung entsprechend ihren Entwicklungsbedürfnissen und familiären Verhältnissen gegeben wird und dass sie mindestens bis zum Alter von 14 Jahren Zugang zu allgemein offenstehenden, flexiblen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen erhalten.

3.2   Der Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ermöglicht den Eltern eine bessere Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben. Dies betrifft vor allem Frauen, die aufgrund unangemessener Kinderbetreuungsmöglichkeiten häufiger ihre Arbeit aufgeben müssen, keine Arbeit finden bzw. geeignete Arbeitsformen nicht in Anspruch nehmen können. Somit werden sie daran gehindert, ihr Potenzial voll zu entfalten und ihre Familie vor Armut zu schützen. Dies steht in engem Zusammenhang mit dem demografischen Wandel, da mangelnde Möglichkeiten der Vereinbarung von Arbeit und Familie zu niedrigeren Geburtenraten führen.

3.3   Der Rechtsrahmen der EU verbietet durch eine Reihe legislativer Maßnahmen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Häufig reduzieren Frauen jedoch ihre Arbeitszeiten oder unterbrechen ihre Berufstätigkeit für längere Zeit, um sich um ihre Kinder zu kümmern, was zu einer geringeren Bezahlung und niedrigeren Renten sowie zu Armut trotz Erwerbstätigkeit führt, insbesondere in Einelternfamilien oder kinderreichen Familien. Auch wenn die Verringerung von Arbeitszeiten eine persönliche Entscheidung ist, kann diese z.B. auch mit dem Mangel an angemessenen Kinderbetreuungsmöglichkeiten zusammenhängen.

3.4   Eltern sollten wählen können, wann sie ihren Elternurlaub nehmen, und diesen möglichst mit ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten verbinden können. Diesbezüglich müssen aber auch Faktoren wie einzelstaatliche Politiken, Prioritäten, Bedürfnisse der Unternehmen, sozialer Druck und Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden, und Veränderungen müssen so behutsam gestaltet werden, dass Raum für spezifische Maßnahmen bleibt.

3.5   In der EU erklären mehr als 6 Millionen Frauen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren, dass sie aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen an einer Erwerbstätigkeit gehindert sind oder lediglich einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen können, wobei mehr als ein Viertel von ihnen als Grund den Mangel an Betreuungseinrichtungen für Kinder oder die Kosten dafür angibt (20).

3.6   Der Zugang zu qualitativ hochwertiger, erschwinglicher und allgemein zugänglicher frühkindlicher Förderung und Betreuung und zu außerschulischen Programmen, ist nicht nur eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Kinder ihre Zeit in einer an ihre Entwicklungsbedürfnisse angepassten lebenswerten Umwelt verbringen, sondern ermöglicht auch den Eltern (insbesondere den Frauen), einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine hochwertige Kinderbetreuung wirkt sich auf die Lebensqualität und die Zukunft der Kinder, der Eltern, der Familien und des Gemeinwesens aus.

3.7   Die verschiedenen Ziele der EU-Strategien für die Umsetzung der Lissabon-Strategie, die in Barcelona und darüber hinaus formulierten Zielsetzungen, aber auch die demografische Situation, die Solidarität zwischen Generationen, die Chancengleichheit für Männer und Frauen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben können zum Teil auch durch Kinderbetreuungsangebote erreicht werden. Damit diese Möglichkeiten zum Wohl des Kindes gewährleistet werden können, sind größere Anstrengungen erforderlich.

3.8   Der schnell wachsende Kinderbetreuungssektor bietet auch immer mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen und Männer (21), da die Bildungs- und Ausbildungsanforderungen, das Ansehen und die Löhne steigen.

3.9   Damit Beruf, Privatleben und Familie besser vereinbart werden können, hat ein Großteil der Mitgliedstaaten Maßnahmenpakete entwickelt, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelstaatlichen Arbeitsmärkte sowie die Vielfalt der in Europa bestehenden Traditionen und Kulturen widerspiegeln. Eine umfassende und flexible Kinderbetreuung ist neben anderen Instrumenten in diesem Bereich Teil eines umfassenderen Konzepts. Hierzu gehören Programme zur sozialen Eingliederung, flexible Arbeitszeitregelungen, Elternurlaub und andere Urlaubsformen zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Privat- und Berufsleben, Kinderrechte und dadurch Fortschritte bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitgliedstaaten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   In der EU ist die Kinderbetreuung eine schnell wachsende und sich rasch entwickelnde Branche mit einer Reihe von Mindeststandards. Die Bedürfnisse des Kindes insbesondere in den wichtigen ersten Lebensjahren, der Aspekt der Investition beim Angebot von Leistungen, wie die Vorbereitung auf die Schule, eine erfolgreiche Bildung und ein gelungenes Erwachsenenleben, ebenso wie eine unbeschwerte Kindheit sind Inhalt eines relativ neuen Konzepts, das vor allem dem Wohl des Kindes, aber auch der Gemeinschaft und der Gesellschaft als Ganzes dient (22).

4.2   Bis vor kurzem waren die öffentlichen Ausgaben für die Kinderbetreuung häufig vor allem auf Kinder von drei Jahren bis zum Einschulungsalter gerichtet, um diese auf die Schule vorzubereiten. Investitionen in die Kinderbetreuung müssen aber in einem noch früheren Alter ansetzen und sich auch auf Schulkinder bis zu 14 Jahren erstrecken. Dies impliziert nicht nur das Angebot einer besseren Tagesbetreuung, während die Eltern arbeiten, sondern auch das Angebot von Aktivitäten, außerschulischer Betreuung und Bildung sowie von Freizeittätigkeiten für alle. Diese Maßnahmen bieten erwiesenermaßen nicht nur eine sichere und unbeschwerte Kindheit, sondern auch eine sehr wirksame Vorbereitung auf das Erwachsenenleben.

4.3   Die Sozialisierung und die Entwicklung eines Wertesystems sind entscheidende Elemente des familiären Umfelds eines Kindes, das durch die formelle frühkindliche Bildung und Betreuung ergänzt wird. Außerdem tragen Anbieter informeller Bildung - wie nichtstaatliche Kinder- und Jugendorganisationen sowie Kinder- und Jugendzentren - zur Aneignung von Fähigkeiten für das praktische Leben bei und sind für den Prozess des lebenslangen Lernens von Bedeutung. 70 % unseres Wissens und unserer Fähigkeiten sind auf informelle Bildung zurückzuführen. Alle Formen der Bildung sollten anerkannt und gefördert werden.

4.4   In besonderen Fällen wie bei Kindern mit Behinderungen, Migrantenkindern oder Eltern mit psychischen Problemen kann durch Kinderbetreuung ermöglicht werden, dass die Kinder in ihren Familien bleiben statt von ihnen getrennt zu werden. Die Verfügbarkeit vielfältiger Kinderbetreuungsformen ist ein wichtiges Element der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und spielt eine entscheidende Rolle in benachteiligten Gebieten, für benachteiligte Bevölkerungsgruppen und für vergleichsweise schlechter gestellte Haushalte. Kinderbetreuungseinrichtungen können bei der Bewältigung sozialer, wirtschaftlicher und gesundheitsbezogener Probleme solch benachteiligter Haushalte helfen und zur sozialen Integration ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen beitragen.

4.5   Die Kommission sollte mit Blick auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (23) eine Parallelstudie durchführen, in der untersucht wird, welche Folgen die vorgeschlagenen Maßnahmen für die Kinder haben. Es muss gewährleistet sein, dass Kinder gut betreut aufwachsen können und ihr persönliches Wohlergehen gesichert ist. Das Wohlbefinden von Kindern und der Wert der Kindheit in diesem äußerst wichtigen Lebensabschnitt sind von entscheidender Bedeutung, aber gleichzeitig stellen Kinder die Arbeitskräfte der Zukunft dar, und mangelnde Pflege und Unterstützung in diesem frühen Lebensabschnitt können zu Schulversagen und später zu mangelnder gesellschaftlicher Integration führen.

4.6   Obgleich die Kinderbetreuung traditionell überwiegend für Frauen Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, sind Gleichstellung und eine Durchmischung der Geschlechter am Arbeitsplatz durch einen höheren Anteil an männlichen Beschäftigten wünschenswert. Hochwertige Ausbildung und Qualifizierung, Kontrolle und bessere Anerkennung durch höhere Gehälter garantieren bessere Dienstleistungen und tragen zur Geschlechtergleichstellung bei den Beschäftigten bei.

4.7   Entsprechend den in Barcelona formulierten Zielsetzungen sollen bis 2010 mindestens für 33 % der Kinder unter 3 Jahren und für 90 % der Kinder zwischen 3 Jahren und dem schulpflichtigen Alter Tagesbetreuungsplätze zur Verfügung stehen, aber es gibt keine einschlägigen Bestimmungen für die verschiedenen Formen der Kinderbetreuung. Deshalb wird dringend eine europäische Plattform benötigt, die sich mit deren Klassifizierung und Verbesserung anhand der Grundsätze der Qualität, Flexibilität, Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit befasst. Die Frage ist: Was geschieht mit Kindern, die trotz eines benötigten Betreuungsplatzes nicht untergebracht werden können? Für die Erörterung dieser Fragen und mögliche Antworten sind Untersuchungen und geeignetere Daten erforderlich.

4.8   Zur Qualität der Kinderbetreuung, die zu Hause geleistet wird, liegen nur wenige Informationen vor. Viele der Anbieter sind unqualifiziert, nicht offiziell gemeldet und nicht durch anerkannte Kontrollsysteme erfasst. Diese Arbeitnehmer fallen nicht unter die offiziellen Beschäftigungsstrukturen und genießen somit keinen ordnungsgemäßen Schutz am Arbeitsplatz. Die Mitgliedstaaten und lokalen Gebietskörperschaften sollten sich verpflichten, für hochwertige Betreuung in jeglicher Form zu sorgen. Durch diese inoffiziellen Betreuungsformen werden auch die Kinder gefährdet. Die Sozialpartner sollten sich für Bestimmungen und Transparenz nicht nur für die professionelle Kinderbetreuung, sondern für alle informellen Formen der Betreuung zu Hause einsetzen, indem sie Ausbildungen und Kontrollen unterstützen und fordern. Steueranreize könnten zur Schaffung von mehr qualitativ hochwertigen Betreuungseinrichtungen beitragen. Angesichts der hohen Zahl von Frauen, die im Pflege- und Betreuungsbereich tätig sind, wäre die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Qualifikationen auch der Gesamtstrategie der EU auf diesem Gebiet (24) förderlich.

Brüssel, den 20. Januar 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Vor dem Hintergrund der am 4. Juli 2006 veröffentlichten Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (http://europa.eu/legislation_summaries/human_rights/fundamental_rights_within_european_union/r12555_de.htm).

(2)  Auf seiner Tagung im März 2002 in Barcelona erkannte der Europäische Rat die Bedeutung der Kinderbetreuung für Wachstum und Chancengleichheit an und rief die Mitgliedstaaten dazu auf, „Hemmnisse [zu] beseitigen, die Frauen von einer Beteiligung am Erwerbsleben abhalten, und bestrebt [zu] sein, nach Maßgabe der Nachfrage nach Kinderbetreuungseinrichtungen und im Einklang mit den einzelstaatlichen Vorgaben für das Versorgungsangebot bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen.“

(3)  Kinderbetreuung in der EU im Jahr 2006, Eurostat/08/172; Bulgarien und Rumänien traten der EU am 1. Januar 2007 bei und wurden im Vorfeld nicht zur Datenerhebung aufgefordert.

(4)  Bericht der Kommission „Umsetzung der Barcelona-Ziele auf dem Gebiet der Betreuungseinrichtungen für Kinder im Vorschulalter“. KOM(2008) 638, Brüssel.

(5)  Mitteilung der Kommission: „Die demografische Zukunft Europas - Von der Herausforderung zur Chance“, KOM(2006) 571 endg., http://ec.europa.eu/employment.

(6)  Siehe Anlage II zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates am 23./24. März 2006 in Brüssel, abrufbar unter http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/ec/89013.pdf.

(7)  Mitteilung der Kommission „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“, KOM(2007) 244 endg.

(8)  Mitteilung der Kommission „Bürgerinfo - Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch bessere Vorschriften für den Mutterschaftsurlaub“ (http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=611&langId=de); Gemeinsamer Standpunkt der Sozialplattform in Bezug auf die Überarbeitung der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, Januar 2009.

(9)  Europäische Kommission, Child Poverty and Well-Being in the EU – Current status and way forward, Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2008.

(10)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes.

(11)  Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie, KOM(2006) 367 endg., Brüssel 2006.

(12)  Starting Strong (Ein guter Start ins Leben), OECD, 2001 / Kinderbetreuung in Europa, Foundation Findings, 2009 / Families and childcare services (Familien und Kinderbetreuungseinrichtungen), Eurofound, 2009 / Early Childhood education and care – key lessons for policy makers (Frühkindliche Bildung und Betreuung: Erkenntnisse aus der Forschung für Politiker), NESSE, 2009 / The Provision of childcare services, Comparative review of 30 European countries, Europäische Kommission, 2009 / Child Poverty and well being in the EU (Kinderarmut und Wohlergehen von Kindern), Europäische Kommission, 2008 / Changing Childhood in a Changing Europe, ESF, 2009 / Babies and Bosses (Babys und Chefs), OECD, 2007 / Education Today, the OECD perspective (Auf welchem Stand ist die Bildung heute?), 2009 / Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung in Europa: ein Mittel zur Verringerung sozialer und kultureller Ungleichheiten, Eurydice, 2009 / Out of school care services for school aged children, Eurofound, 2007 / Employment developments in childcare services for school-aged children, Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, 2006 / UNICEF-Bericht Nr. 8, The Childcare Transition, Florenz, 2008 / Von der Kommission veranstaltetes Symposium zur FBBE mit dem Titel „Early matters“, Brüssel, 2008.

(13)  Mitteilung im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie, 2006.

(14)  Mitteilung der Kommission „Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung“, KOM(2006) 481 endg.

(15)  Childcare services in the EU- what future?, Eurofound.

(16)  Von der Kommission veranstaltetes Symposium zur FBBE mit dem Titel „Early matters“, Oktober 2008, Brüssel.

(17)  Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung in Europa: ein Mittel zur Verringerung sozialer und kultureller Ungleichheiten, Eurydice, 2009, Early Childhood education and care – key lessons for policy makers (Frühkindliche Bildung und Betreuung: Erkenntnisse aus der Forschung für Politiker), NESSE, 2009.

(18)  Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie, KOM(2006) 367 endg.

(19)  Siehe Ziffer 72 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tagung des Europäischen Rates vom 23./24. März 2006 (Referenz s.o. unter Fußnote 8).

(20)  Kinderbetreuung in Europa, Foundation Findings, Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Dublin, 2009. S. 9, www.eurofound.europa.eu.

(21)  Und zwar durch die oben genannte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung.

(22)  P. Reid, D. White: Eurofound, Out of school care services for children living in disadvantaged areas (Original EN, etwa: Außerschulische Betreuungseinrichtungen für Kinder in benachteiligten Gebieten), Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2007

(23)  Übereinkommen über die Rechte des Kindes, am 20. November 1989 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet (Resolution 44/25) und im Einklang mit Artikel 49 am 2. September 1990 in Kraft getreten. Der Wortlaut ist u.a. abrufbar unter: http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/projekte/themen/PDF/UN-Kinderrechtskonvention.pdf.

(24)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 102.


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