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Document 52010DC0573

    MITTEILUNG DER KOMMISSION Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union

    /* KOM/2010/0573 endg.*/

    52010DC0573

    /* KOM/2010/0573 endg.*/ MITTEILUNG DER KOMMISSION Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union


    [pic] | EUROPÄISCHE KOMMISSION |

    Brüssel, den 19.10.2010

    KOM(2010) 573 endgültig

    MITTEILUNG DER KOMMISSION

    Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union

    MITTEILUNG DER KOMMISSION

    Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union

    Das Europa der Grundrechte ist entscheidend vorangekommen. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist inzwischen rechtsverbindlich[1] und die Union wird in Kürze der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten[2]. Das Europäische Parlament[3] und der Europäische Rat[4] haben die Förderung der Grundrechte in der Union zu einer ihrer Prioritäten für die künftige Gestaltung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erhoben. Die Europäische Kommission hat eines ihrer Mitglieder mit einem Aufgabenbereich betraut, der der Förderung von Justiz, Grundrechten und Bürgerschaft gewidmet ist, und die Kommissionsmitglieder haben sich bei dem feierlichen Eid vor dem Gerichtshof zur Achtung der Grundrechtecharta verpflichtet.[5] Generell stellt der Vertrag von Lissabon einen erheblichen Fortschritt dar, da das Mitentscheidungsverfahren nunmehr breitere Anwendung findet, die Säulenstruktur des vorherigen Vertrags abgeschafft wurde, dem Gerichtshof eine allgemeine Befugnis im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts übertragen wurde und die Menschenrechte zu einem zentralen Anliegen des auswärtigen Handelns der Union gemacht wurden.

    Somit sind alle Voraussetzungen für eine ehrgeizige Grundrechtspolitik gegeben. Die Achtung der Grundrechte war stets eine der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegende Verpflichtung und ein integraler Bestandteil des Aufbaus der Europäischen Union. Dennoch kann der neue Rechtsstatus der Charta den einschlägigen Maßnahmen der Union neue Impulse verleihen.

    In der vorliegenden Mitteilung soll die Strategie der Kommission zur Umsetzung der Charta in dem seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden neuen rechtlichen Umfeld dargelegt werden.

    Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union

    Mit der Charta[6] hat sich die Union ihren eigenen, an die gesellschaftliche Entwicklung sowie den wissenschaftlichen und technologischen Wandel angepassten Grundrechtskatalog gegeben.

    Die Charta ist ein innovatives Instrument, denn sie vereint in einem einzigen Text alle in der Union geschützten Grundrechte[7] und gibt ihnen somit einen sichtbaren, präzisen und vorhersehbaren Inhalt. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die in der Charta verankerten Rechte, Freiheiten und Grundsätze anerkannt und dieser dieselbe Rechtsverbindlichkeit wie den Verträgen verliehen. Damit wurde die Außenwirkung der Charta verbessert und die Rechtssicherheit für die Bürger verstärkt.

    Die Charta gelt in erster Linie für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Artikel 51 Absatz 1 der Charta). Sie bietet somit insbesondere eine Richtschnur für die Gesetzgebungs- und Entscheidungsarbeit der Kommission, des Parlaments und des Rates, deren Rechtsakte in vollem Umfang mit der Charta in Einklang stehen müssen.

    Artikel 51 Absatz 1 der Charta sieht außerdem vor, dass diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Sie gelangt nicht zur Anwendung in Situationen, die keinerlei Bezug zum Unionsrecht aufweisen.[8] Die Rechtsverbindlichkeit, die der Charta mit dem Vertrag von Lissabon verliehen wurde, hat daran nichts geändert; so ist im Vertrag von Lissabon ausdrücklich festgeschrieben, dass durch die Bestimmungen der Charta die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert werden.[9]

    Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention

    Der Beitritt der Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention, der laut Vertrag von Lissabon (Artikel 6 Absatz 2 EUV) erfolgen muss, wird das System zum Schutz der Grundrechte ergänzen, da dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Zuständigkeit für die Überprüfung der EU-Rechtsakte übertragen wird. Diese externe gerichtliche Kontrolle muss die Union noch stärker zu einer ehrgeizigen Grundrechtspolitik veranlassen: Je besser die Union dafür sorgt, dass ihre Rechtsakte den Grundrechten uneingeschränkt Rechnung tragen, je geringer ist das Risiko, dass sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet werden.

    Ziel der Strategie: Die Union muss Vorbild sein

    Die Politik, die die Kommission nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon entwickeln wird, soll den in der Charta enthaltenen Grundrechten eine möglichst große Wirksamkeit in der Union verleihen. Dazu muss die Union mit gutem Beispiel vorangehen. Die Charta ist kein Text mit abstrakten Werten, sondern ein Instrument, das Personen, die sich in einer Situation mit Bezug zum Unionsrecht befinden, die Inanspruchnahme der in der Charta festgeschriebenen Rechte ermöglicht. Daher wird die Kommission ihre Anstrengungen auf eine wirksame Umsetzung der Charta konzentrieren.

    Die auf die Verträge gestützten Politiken zu bestimmten Grundrechten werden weiterentwickelt; dies gilt unter anderem für den Schutz personenbezogener Daten, die Rechte des Kindes, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Nichtdiskriminierung, das geistige Eigentum und die Freizügigkeit.

    Der Vorbildcharakter der Union ist nicht nur für die in der Union lebenden Menschen, sondern auch für die Entwicklung der Union selbst unerlässlich. Die Achtung der Grundrechte in der Union ist die Voraussetzung dafür, dass zwischen den Mitgliedstaaten Vertrauen aufgebaut werden kann und auch die Öffentlichkeit Vertrauen in die EU-Politiken hat. Ein mangelndes Vertrauen darin, dass die Grundrechte bei der Durchführung des Rechts der Union in den Mitgliedstaaten gewahrt werden, und in die Fähigkeit der Kommission und der nationalen Behörden, für die Achtung der Grundrechte zu sorgen, würde insbesondere verhindern, dass die Kooperationsmechanismen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts funktionieren und ausgebaut werden können. Eines wirksamen Grundrechtsschutzes bedarf es auch, damit die Maßnahmen der Union zur weltweiten Förderung der Menschenrechte an Glaubwürdigkeit gewinnen.

    Die Tätigkeit der Union im Bereich der Grundrechte geht über ihre internen Maßnahmen hinaus. Die Charta gilt auch für das auswärtige Handeln der Union. Gemäß Artikel 21 EUV will die Union bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der universellen Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Achtung der Menschenwürde, den Grundsätzen der Gleichheit und der Solidarität sowie der Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen. Einige von den Vereinten Nationen entwickelte Menschenrechtsnormen haben für die Union sowohl eine interne als auch eine externe Dimension.[10] So hat die Union eine spezifische Politik zur Förderung der Menschenrechte und der Demokratisierung in Drittländern entwickelt. Außerdem sieht Artikel 8 EUV vor, dass die Union besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft entwickelt, die auf den Werten der Union aufbauen. Darüber hinaus sieht Artikel 49 EUV vor, dass jeder europäische Staat, der die Werte, auf die sich die Union gründet, achtet, beantragen kann, Mitglied der Union zu werden. Nach den politischen Beitrittskriterien, die der Europäische Rat von Kopenhagen 1993 festlegte, muss das Bewerberland eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben. So werden nur dann Beitrittsverhandlungen aufgenommen, wenn das Bewerberland diese Kriterien hinreichend erfüllt. Während der Beitrittsverhandlungen wird die Grundrechtssituation eingehender geprüft.

    1. DIE UNION MUSS VORBILD SEIN

    Die Tätigkeit der Union darf keinerlei Angriffspunkte in Bezug auf die Grundrechte bieten. Die Charta muss als Richtschnur für die EU-Politiken und für deren Umsetzung durch die Mitgliedstaaten dienen.

    1.1. Stärkung der Grundrechtskultur in der Kommission

    Die Kommission stellt sicher, dass systematisch kontrolliert wird, ob ihre Legislativvorschläge und die von ihr angenommenen Rechtsakte mit der Charta vereinbar sind. Entsprechend dem neuen Rechtsstatus der Charta müssen die Grundrechte in den Kommissionsdienststellen, die diese Vorschläge und Rechtsakte ausarbeiten, in stärkerem Maße automatisch berücksichtigt werden. In allen Verfahrensphasen muss eine „Grundrechtskultur“ gefördert werden, die bereits im frühen Stadium der Vorschlagskonzeption in den Kommissionsdienststellen greift und auch während der Folgenabschätzung bis hin zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der endgültigen Fassung des Entwurfs eines Rechtsakts zum Tragen kommt.

    Diese Grundrechtskultur ist unerlässlich für eine eingehende Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Vorschläge, die die Kommission vorzulegen hat. Abgesehen von einigen absoluten Rechten[11] können die Grundrechte unter bestimmten Bedingungen Einschränkungen unterworfen werden. Solche Einschränkungen müssen gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt dieser Rechte achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.[12]

    Grundrechts-Checkliste 1. Welche Grundrechte sind betroffen? 2. Handelt es sich dabei um absolute Rechte (die in keinem Fall eingeschränkt werden dürfen – zum Beispiel die Würde des Menschen und das Verbot der Folter)? 3. Wie wirken sich die verschiedenen ins Auge gefassten politischen Optionen auf die Grundrechte aus? Handelt es sich dabei um positive (Förderung der Grundrechte) oder negative Auswirkungen (Einschränkung der Grundrechte)? 4. Haben die Optionen sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die einschlägigen Grundrechte (zum Beispiel eine negative Auswirkung auf die Freiheit der Meinungsäußerung und eine positive Auswirkung auf das geistige Eigentum)? 5. Sind etwaige Grundrechtseinschränkungen präzise und vorausschauend formuliert worden? 6. Für den Fall, dass es zu Grundrechtseinschränkungen kommen sollte: - Sind diese zur Verwirklichung eines Ziels von allgemeinem Interesse oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter (welcher?) erforderlich? - Stehen sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel? - Tragen sie dem Wesensgehalt der einschlägigen Grundrechte Rechnung? |

    Die Kommission hat bereits interne organisatorische Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass die Dienststellen systematisch und gründlich prüfen, ob bei der Ausarbeitung jedes Rechtsetzungsvorschlags alle einschlägigen Grundrechte gewahrt wurden; in diesem Sinne hat sie das „methodische Vorgehen“[13] festgelegt. Der Bericht zur Bewertung des methodischen Vorgehens[14] hat deutlich gemacht, dass sich dieses zwar im Hinblick auf die Zielstellung bewährt hat, bei der praktischen Anwendung jedoch noch Raum für Verbesserungen besteht: Es muss systematischer, gründlicher und nachvollziehbarer vorgegangen werden. Wie in dem Bericht auch hervorgehoben wird, handelt es sich bei der Folgenabschätzung nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine inhaltliche Angelegenheit.

    Daher wird die Kommission in stärkerem Maße interne Fortbildungsmaßnahmen über die Grundrechte durchführen, um die Dienststellen in die Lage zu versetzen, die vorstehenden Fragen zu beantworten, und um eine Grundrechtskultur zu fördern und zu verstärken.

    Im Folgenden werden das methodische Vorgehen der Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge sowie die Maßnahmen erläutert, die im Hinblick auf eine konsequentere Anwendung dieses Vorgehens getroffen wurden. Diese Maßnahmen werden zur Umsetzung der Politik der „besseren Rechtsetzung“ beitragen. Wie im Stockholmer Programm betont wurde, trägt die Abfassung der Rechtsvorschriften der Union in einer klaren und verständlichen Sprache dazu bei, dass die Bürger ihre Rechte besser in Anspruch nehmen können. Im Einklang mit der Politik der „besseren Rechtsetzung“ und dem Stockholmer Programm, in dem die Bedeutung der Bewertung herausgestellt wurde, wird die Kommission auch dafür Sorge tragen, dass die Charta bei der Ex-post-Bewertung der Rechtsakte der Union, insbesondere in den Berichten über die Anwendung sensibler Rechtsvorschriften, sowie im Rahmen der gegenseitigen Evaluierung Berücksichtigung findet.

    Die von der Kommission angenommenen Rechtsakte ohne Gesetzescharakter wie Beschlüsse werden zwar keiner Folgenabschätzung unterzogen, aber während ihrer Ausarbeitung auch auf ihre Vereinbarkeit mit der Charta hin kontrolliert.

    Besondere Aufmerksamkeit wird die Kommission den sogenannten „sensiblen“ Vorschlägen und Rechtsakten widmen, also jedem Legislativvorschlag sowie den Durchführungsrechtsakten (Artikel 291 AEUV) und den delegierten Rechtsakten (Artikel 290 AEUV), bei denen besondere Aspekte der Vereinbarkeit mit der Charta zu prüfen sind oder die speziell eines der Grundrechte der Charta fördern sollen.

    1.1.1. Konsultationen im Vorfeld

    Vor der eigentlichen Ausarbeitung von Vorschlägen wird die Kommission – wenn sie interessierte Akteure zu Fragen, die zu neuen sensiblen Vorschlägen führen könnten, konsultiert (Grünbücher, Mitteilungen, Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen) – mögliche „Grundrechtsaspekte“ herausstellen, um diesbezügliche Beiträge einzuholen, die in die Folgenabschätzung einfließen werden. Sie wird auch darauf verweisen, dass die etwaigen Vorschläge entsprechend dem methodischen Vorgehen Gegenstand einer Folgenabschätzung sein werden.

    1.1.2. Folgenabschätzung

    In den Folgenabschätzungen zu den Kommissionsvorschlägen werden – sofern relevant – deren Auswirkungen auf die Grundrechte untersucht. Die 2009 überarbeiteten Leitlinien zur Folgenabschätzung[15] sehen vor, dass bestimmte Durchführungsrechtsakte (Komitologie), die erhebliche Auswirkungen haben könnten, ebenfalls einer Folgenabschätzung unterzogen werden. Im Rahmen der Folgenabschätzung soll ermittelt werden, auf welche Grundrechte der betreffende Vorschlag Auswirkungen haben könnte, inwieweit in das betreffende Recht eingegriffen wird und inwieweit dieser Eingriff im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten und die angestrebten Ziele erforderlich und verhältnismäßig ist. Allerdings ist die rechtliche Prüfung der Vereinbarkeit eines geplanten Rechtsakts mit den Grundrechten nicht Gegenstand der Folgenabschätzung. Diese Prüfung wird später auf der Grundlage eines konkreten Entwurfs des Rechtsakts vorgenommen. In den Leitlinien zur Folgenabschätzung ist für jede Prüfungsphase genau festgelegt, wie die Grundrechte zu berücksichtigen sind. Die Kommission wird ihren allgemeinen Ansatz für die Durchführung von Folgenabschätzungen beibehalten und gleichzeitig verstärkt die Auswirkungen auf die Grundrechte bewerten.[16]

    1.1.2.1. Einbeziehung der „Grundrechtsdimension“ in die Arbeiten der Steuerungsgruppen für Folgenabschätzung

    Die Erstellung jeder Folgenabschätzung wird von einer Steuerungsgruppe für Folgenabschätzung begleitet, an der die betroffenen Kommissionsdienststellen beteiligt sind und der in allen Phasen der Folgenabschätzung eine Schlüsselrolle zukommt. Die zuständigen Kommissionsdienststellen stellen diesen Gruppen gezielt ihr Fachwissen auf dem Gebiet der Grundrechte zur Verfügung, um dafür zu sorgen, dass die Auswirkungen auf diese Rechte in einer frühen Phase der Maßnahmenausarbeitung systematisch ermittelt und analysiert werden. Erforderlichenfalls werden diese Auswirkungen auf die Grundrechte im Folgenabschätzungsbericht klar und deutlich aufgezeigt. Dies wird dazu beitragen, dass die Grundrechtskultur bei der Ausarbeitung des Entwurfs eines Rechtsakts gestärkt wird.

    1.1.2.2. Operative Leitlinien zu den Grundrechten

    Damit gewährleistet ist, dass ein Ansatz entwickelt wird, der sich auf eine echte Berücksichtigung der Grundrechte stützt, und um den Kommissionsdienststellen Anleitungen dazu zu erteilen, wie die Auswirkungen einer Initiative auf die Grundrechte zu analysieren sind, sollen operative Leitlinien („ operational guidance “) ausgearbeitet werden. Diese Leitlinien werden sich auf die Fragen der oben aufgeführten Gundrechts-Checkliste beziehen.

    1.1.2.3. Ausschuss für Folgenabschätzung

    Der Ausschuss für Folgenabschätzung ( Impact Assessment Board ) ist ein dem Kommissionspräsidenten unterstelltes zentrales Gremium, das Unterstützungs- und Qualitätskontrollfunktionen ausübt. Er ist unabhängig von den Dienststellen, die politische Maßnahmen ausarbeiten. Der Ausschuss prüft alle Folgenabschätzungen der Kommission und gibt Stellungnahmen dazu sowie zur Qualität der den Maßnahmenvorschlägen der Kommission zugrunde liegenden Analyse ab. Er prüft systematisch die grundrechtsbezogenen Aspekte in den ihm vorgelegten Folgenabschätzungsentwürfen und nimmt erforderlichenfalls zu diesen Fragen Stellung.

    1.1.3. Abfassung des Entwurfs eines Rechtsakts

    1.1.3.1. Gezielte Erwägungsgründe

    Wenn der Entwurf eines Legislativvorschlags (oder eines delegierten Rechtsakts oder eines Durchführungsrechtsakts) ausgearbeitet worden ist, kontrolliert die Kommission nach der Folgenabschätzung seine Rechtmäßigkeit und trägt insbesondere für seine Vereinbarkeit mit der Charta Sorge.

    Vorschläge, die einen besonderen Grundrechtsbezug aufweisen, müssen spezielle Erwägungsgründe enthalten, die ihre Vereinbarkeit mit der Charta erläutern. Die Erwägungsgründe sollen die Motive für die Annahme des betreffenden Rechtsakts darlegen und so eine etwaige rechtliche Kontrolle seiner Vereinbarkeit mit der Charta ermöglichen bzw. erleichtern. Daher muss jegliche Banalisierung vermieden werden, zu der es aufgrund einer generellen Verwendung eines Erwägungsgrunds zur Feststellung der Vereinbarkeit mit der Charta kommen würde. Die Aufnahme solcher Erwägungsgründe ist nicht nur reine Formsache, sondern soll auch deutlich machen, dass die Vereinbarkeit des Vorschlags mit der Charta eingehend überprüft worden ist.

    Erwägungsgründe, die die Vereinbarkeit des Vorschlags mit der Charta erläutern, müssen sorgfältig formuliert werden und genau angeben, auf welche Grundrechte sich der betreffende Vorschlag auswirkt. Außerdem werden gezielte Erwägungsgründe zu bestimmten Grundrechten aufgenommen, wenn dies erforderlich ist, um die Tragweite einer Bestimmung oder die in dem Vorschlag gefundenen Lösungen zu erklären, damit sichergestellt ist, dass eine Grundrechtseinschränkung im Einklang mit Artikel 52 der Charta gerechtfertigt ist.

    1.1.3.2. Zusammenfassung der „Grundrechtsaspekte“ in der Begründung

    Hat ein Legislativvorschlag, wie an den Erwägungsgründen erkennbar, Auswirkungen auf die Grundrechte, muss in die Begründung eine Zusammenfassung aufgenommen werden, in der dargelegt wird, in welcher Weise den grundrechtlichen Verpflichtungen Rechnung getragen wurde.

    Im Falle sensibler Vorschläge wird die Begründung dadurch verstärkt, dass alle in der Folgenabschätzung und im Legislativvorschlag genannten „Grundrechtsaspekte“ in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst werden. In diesem Abschnitt wird insbesondere erklärt, warum die Kommission die Einschränkungen der Grundrechte für notwendig und verhältnismäßig und somit für gerechtfertigt hält. Diese Zusammenfassung wird es ermöglichen, die „Grundrechts-Erwägungsgründe“ zu sensiblen Vorschlägen gezielter zu formulieren. Die Sichtbarkeit wird erhöht, indem aufgezeigt wird, dass die Auswirkungen und die Vereinbarkeit mit der Charta eingehend überprüft worden sind.

    1.2. Berücksichtigung der Charta während des Gesetzgebungsverfahrens

    Das von der Kommission eingeführte methodische Vorgehen gilt nur für die Phase der Vorschlagsausarbeitung. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens kann einer der Mitgesetzgeber an den Kommissionsvorschlägen Änderungen vornehmen, die Grundrechtsfragen aufwerfen, ohne dass die Auswirkungen dieser Änderungen und ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten systematisch überprüft werden. Auf diesen Punkt hat der Europäische Rat im Stockholmer Programm hingewiesen, in dem die Organe der Union und die Mitgliedstaaten ersucht werden sicherzustellen, dass „ Rechtsetzungsinitiativen während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens mit den Grundrechten und Grundfreiheiten vereinbar sind und bleiben, indem die Anwendung der Methodik für eine systematische und strenge Überwachung der Einhaltung der Europäischen Konvention und der in der Grundrechtecharta verankerten Rechte und Freiheiten gestärkt wird “[17]. Im Einklang mit dem Ziel, eine Grundrechtskultur während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens zu fördern, ist die Kommission bereit, die anderen Organe dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von deren Änderungen auf die Umsetzung der Charta angemessen zu berücksichtigen, wobei auch die (in der Grundrechts-Checkliste genannten) Fragen zu beachten sind.

    1.2.1. Änderungen

    Die von den Mitgesetzgebern an den Kommissionsvorschlägen vorgenommenen Änderungen müssen mit der Charta vereinbar sein. Die Kommission wird ihre Position, was den Grundrechtsschutz in einem von ihr vorgelegten Vorschlag anbelangt, mit Nachdruck vertreten und gegenüber den Mitgesetzgebern ihre Ablehnung zum Ausdruck bringen, wenn diese diesbezügliche Abstriche machen. Sie wird nicht zögern, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, und unter Umständen sogar verlangen, dass der Rechtsakt einstimmig angenommen wird, oder gegebenenfalls ihren Vorschlag zurückziehen oder Nichtigkeitsklage gegen die betreffenden Bestimmungen erheben.[18]

    1.2.2. Interinstitutioneller Dialog

    Änderungsvorschläge, die Fragen der Vereinbarkeit mit der Charta aufwerfen, sollten Gegenstand eines transparenten interinstitutionellen Dialogs sein, um insbesondere sicherzustellen, dass

    - die fraglichen Änderungen in geeigneter Weise im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Grundrechte und ihre Vereinbarkeit mit der Charta bewertet werden. Die interinstitutionelle Vereinbarung „ Gemeinsames Interinstitutionelles Konzept für die Folgenabschätzung “[19] sieht generell vor, dass das Parlament und der Rat für die Abschätzung der Folgen der eigenen „wesentlichen“ Änderungen verantwortlich sind. Dass „Grundrechtsaspekte“ zu berücksichtigen sind, wird nicht erwähnt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass jede Änderung, die Grundrechtsfragen aufwirft, als „wesentlich“ eingestuft werden sollte;

    - die Entscheidungen hinsichtlich solcher Änderungen auf der entsprechenden Ebene getroffen und beispielsweise, was den Rat anbelangt, den Ministern mitgeteilt werden;

    - die juristischen Dienste der drei Organe in vollem Umfang beteiligt werden.

    Im Zuge der bevorstehenden Überarbeitung der Interinstitutionellen Vereinbarung „ Gemeinsames Interinstitutionelles Konzept für die Folgenabschätzung “ wird die Kommission vorschlagen vorzusehen, dass in der Folgenabschätzung, die zusammen mit den Vorschlägen der Mitgliedstaaten in den nach dem Vertrag zulässigen Ausnahmefällen[20] vorzulegen ist, auch die Auswirkungen auf die Grundrechte bewertet werden. Im Übrigen wird die Kommission im Rahmen ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen der Mitgliedstaaten die Bewertung der Auswirkungen auf die Grundrechte sorgfältig prüfen.

    1.3. Sicherstellung der Achtung der Charta bei der Durchführung des Rechts der Union durch die Mitgliedstaaten

    Die Bestimmungen der Charta gelten für die Mitgliedstaaten ausschließlich „ bei der Durchführung des Rechts der Union “ (Artikel 51 Absatz 1). Die Achtung der Grundrechte durch die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union liegt im gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten, denn es handelt sich hierbei um eine wesentliche Voraussetzung für das gegenseitige Vertrauen, das für ein gutes Funktionieren der Union notwendig ist. Dieser Grundsatz ist umso wichtiger, als die Union immer mehr Rechtsvorschriften in Bereichen erlässt, die für die Grundrechte von besonderer Bedeutung sind; dabei handelt es sich unter anderem um Rechtsvorschriften, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die Nichtdiskriminierung und die Unionsbürgerschaft, die Informationsgesellschaft oder die Umwelt betreffen.

    Wenn die Kommission tätig wird, um für die Einhaltung der Grundrechte zu sorgen, wird sie sich auf folgende Grundsätze stützen:

    1.3.1. Prävention

    Die Kommission wird einen Präventivansatz entwickeln und gegebenenfalls die für die Umsetzung der Rechtsvorschriften zuständigen Behörden an die Verpflichtung zur Achtung der Charta bei der Durchführung der betreffenden Rechtsvorschriften erinnern und ihnen insbesondere im Rahmen der Sachverständigenausschüsse, die die Umsetzung der Richtlinien erleichtern sollen, Unterstützung gewähren. So wurde in der Sachverständigengruppe, die sie zur Begleitung der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG („Rückführungsrichtlinie“) eingesetzt hat und auch in dem Ausschuss zum Rahmenbeschluss 2008/919/JI, mit dem der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung geändert wird, herausgestellt, welche Bedeutung der Achtung der Charta, insbesondere der Rechte des Kindes, zukommt.

    1.3.2. Vertragsverletzungsverfahren

    Missachtet ein Mitgliedstaat die Grundrechte bei der Durchführung des Rechts der Union, verfügt die Kommission als Hüterin der Verträge über spezifische Befugnisse, um einem solchen Verstoß ein Ende zu setzen, und kann gegebenenfalls den Gerichtshof anrufen (Vertragsverletzungsklage). Damit die Kommission eingreifen kann, muss die betreffende Situation einen Bezug zum Unionsrecht aufweisen. Ob ein solcher Bezug vorliegt, hängt von der jeweiligen konkreten Situation ab.[21]

    Die Kommission ist entschlossen, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um für die Achtung der Charta durch die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union Sorge zu tragen. Sie wird in jedem Fall, in dem dies notwendig ist, Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten, die die Charta bei der Durchführung des Unionsrechts missachten. Vertragsverletzungen, die Grundsatzfragen aufwerfen oder die besonders gravierende negative Auswirkungen für die Bürger haben, werden vorrangig behandelt werden.

    1.3.3. Nicht unter die Charta fallende Situationen

    Die Charta findet keine Anwendung bei Grundrechtsverletzungen, die keinen Bezug zum Unionsrecht aufweisen. Die Mitgliedstaaten haben eigene Systeme zum Schutz der Grundrechte durch die nationalen Gerichte, an deren Stelle nicht die Charta tritt. Es obliegt somit den nationalen Gerichten, für die Achtung der Grundrechte zu sorgen, und es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, entsprechend ihren nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Verpflichtungen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. In solchen Situationen ist die Kommission nicht befugt, als Hüterin der Verträge zu intervenieren.

    Artikel 7 EUV sieht eine Regelung vor, nach der die Unionsorgane tätig werden können, wenn eine „ eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung “ oder eine „ schwerwiegende und anhaltende Verletzung “ der in Artikel 2 EUV genannten Werte, einschließlich der Achtung der Menschenrechte, durch einen Mitgliedstaat besteht. Dabei handelt es sich um einen politischen Notfallmechanismus, der auf Ausnahmesituationen mit systematischer und struktureller Dimension abzielt.[22] Besteht die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung dieser Werte, kann der Mechanismus auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission ausgelöst werden.

    2. BESSERE INFORMATION DER BÜRGER

    2.1. Informationsbedarf

    Damit die in der Charta verankerten Rechte ihre Wirkung voll entfalten können, müssen die Bürger gut über diese Rechte und die Möglichkeiten, sie im Falle einer Verletzung geltend zu machen, informiert werden. Es scheint großer Bedarf an Informationen über mögliche Rechtsmittel zu bestehen:

    - Was beispielsweise die Rechte des Kindes anbelangt, so sehen Jugendliche es am häufigsten als problematisch an, dass sie nicht wissen, wie sie ihre Rechte einklagen können und wen sie kontaktieren sollen (80 %).[23] Auf Schwierigkeiten derselben Art hat die Agentur für Grundrechte im Bereich Diskriminierung hingewiesen;[24]

    - da es schwierig ist, die geeigneten Rechtsmittel in Erfahrung zu bringen, und Verwirrung über deren Funktionen herrscht, wenden sich Beschwerdeführer mitunter an die „falsche Adresse“. So erhält die Kommission zahlreiche Schreiben zu Situationen, für die sie aufgrund der Verträge über keinerlei Befugnisse verfügt, da kein Bezug zum Unionsrecht besteht. In diesem Zusammenhang weist die Kommission erneut darauf hin, dass es Aufgabe der nationalen Behörden und Gerichte ist, zu angeblichen Grundrechtsverletzungen Stellung zu nehmen, und dass sie nicht als Berufungsinstanz bei Entscheidungen nationaler oder internationaler Gerichte fungiert;

    - das Fehlen geeigneter Informationen erschwert das Einlegen von Rechtsmitteln und verstärkt die damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten (Sprache, Verfahrenskenntnis und Verfahrenskosten, Situation des Klägers usw.), die Opfer von Grundrechtsverletzungen mitunter davon abhalten, den Rechtsweg zu beschreiten („unsichtbare Kläger“).

    2.2. Maßnahmen der Kommission

    Zur Überwindung dieser Probleme müssen gezielte und situationsgerechte Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt werden.

    2.2.1. Information über die Rolle der Union auf dem Gebiet der Grundrechte

    Die Kommission wird ihre Informationsmaßnahmen über die Rolle und Zuständigkeiten der Union auf dem Gebiet der Grundrechte sowie über ihre Interventionsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der sprachlichen Bedürfnisse von Bürgern und Fachleuten verstärken:

    - Beschwerdeführern und Interessierten werden zielgruppengerechte Erläuterungen zur Verfügung gestellt; so sind zum Beispiel Kindern besonders leicht verständliche Erläuterungen auszuhändigen. Insbesondere werden die Antworten der Kommission auf Einzelbeschwerden, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen, einen erklärenden Anhang in Form häufig gestellter Fragen („ Frequently Asked Questions “) umfassen;

    - die Information und Fortbildung von Angehörigen der Rechtsberufe und Bediensteten der Justizbehörden, einschließlich Richtern, wird insbesondere über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, das Europäische Justizielle Netz für Strafsachen oder das Europäische Rechtsforum gefördert.

    2.2.2. Information über mögliche Rechtsmittel

    Personen, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen, müssen Zugang zu praktischen Informationen darüber haben, welche Rechtsmittel sie in den Mitgliedstaaten im Falle eines etwaigen Verstoßes gegen die Grundrechte einlegen können. Die Kommission wird folgende Maßnahmen ergreifen:

    - Sie wird dafür sorgen, dass auf das E-Justiz-Portal im Verlauf des Jahres 2011 Informationen für Bürger über die Rechtsmittel im Falle etwaiger Grundrechtsverletzungen gestellt werden;

    - sie wird gemeinsam mit folgenden Stellen Überlegungen über die Information über Rechtsmittel auf dem Gebiet der Grundrechte anstellen: mit dem Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments, den nationalen Menschenrechtsinstitutionen oder zuständigen nationalen Behörden, den Kanzleien des Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und anderen Gremien des Europarats.

    3. JAHRESBERICHT ÜBER DIE ANWENDUNG DER CHARTA

    Die Kommission wird einen Jahresbericht über die Anwendung der Charta vorlegen, der den folgenden Zielen dient:

    - transparente, kontinuierliche und kohärente Darlegung der erzielten Fortschritte. Es wird erläutert werden, was bereits geschehen ist und was noch zu tun ist, um eine wirksame Anwendung der Charta sicherzustellen;

    - jährlicher Meinungsaustausch mit dem Europäischen Parlament und dem Rat.

    Der Jahresbericht wird ein neues zweckmäßiges Instrument darstellen, um aufzuzeigen, wie die Charta der Grundrechte der Union umgesetzt wird. Auf der Grundlage der in dieser Mitteilung erwähnten Maßnahmen wird die Kommission erläutern, auf welche Weise sie bei der Ausarbeitung ihrer Initiativen den Grundrechten Rechnung getragen hat. Dank des Berichts wird die Kommission außerdem dem Parlament und dem Rat darlegen können, inwiefern die Charta während des Gesetzgebungsverfahrens Berücksichtigung fand.

    Der Jahresbericht wird sich systematisch mit den in der Charta festgeschriebenen Rechten und ihrer Umsetzung im Rahmen der Befugnisse der Union befassen. Er wird zwar anders ausgerichtet sein als der Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt[25], der die Maßnahmen der Union in Drittländern abdeckt, wird diesen aber ergänzen. Der Bericht wird sich zunächst auf die Tätigkeiten der EU-Organe, vor allem der Kommission, konzentrieren. Da er sämtliche Rechte der Charta Jahr für Jahr kontinuierlich abdecken wird, kann er über die jeweils erzielten Fortschritte und die neu auftretenden Probleme Aufschluss geben.

    Eingang in den Jahresbericht finden zudem die verschiedenen Angelegenheiten, auf die die Kommission von Bürgern, Mitgliedern des Europäischen Parlaments oder Interessierten aufmerksam gemacht wird; somit werden auch Sachverhalte behandelt, die Anlass zur Besorgnis geben. Der Bericht wird ferner zu einer besseren Information der Bürger über die Inanspruchnahme ihrer Rechte beitragen, da die Fragen, die der Kommission zu Recht zur Kenntnis gebracht wurden, von jenen abgegrenzt werden, die eher in die Zuständigkeit anderer Behörden fallen.

    In dem Jahresbericht wird außerdem aufgezeigt, welche Anstrengungen die Kommission unternimmt, um für eine wirksame Anwendung der Charta vor Ort zu sorgen; so leitet sie beispielsweise Vertragsverletzungsverfahren ein oder führt Informationsmaßnahmen durch. Der Bericht soll die Transparenz und die Verbreitung von Informationen über die Charta verbessern und wird damit den Mitgliedstaaten bei der Einhaltung der Charta bei der Durchführung des Rechts der Union helfen und so dazu beitragen, dass Vertragsverletzungsverfahren vermieden werden.

    Bei der Erstellung des Jahresberichts wird die Kommission mit den interessierten Institutionen und Akteuren partnerschaftlich zusammenarbeiten, um die erforderlichen Informationen und Daten einzuholen; dazu gehört auch die Grundrechts-Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der nationalen Gerichte, sofern sie das Recht der Union betrifft.

    Das Europäische Parlament ist aufgrund der Anfragen und Petitionen ein wichtiger Ansprechpartner, um über die Grundrechtslage in den Mitgliedstaaten in Bezug auf Fragen, die in die Zuständigkeit der Union fallen, Aufschluss zu erhalten. Gemeinsam mit dem Parlament wird die Kommission prüfen, wie am besten zusammengearbeitet werden kann und wie sich die Anstrengungen im Rahmen der Erstellung des Jahresberichts der Kommission und der Mechanismen für die Kooperation zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten bündeln lassen.

    Mit der Agentur für Grundrechte hat sich die Union ein Instrument gegeben, das vor allem zuverlässige und vergleichbare Daten auf dem Gebiet der Grundrechte liefern soll und somit die EU-Organe und -Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union unterstützt. Die Kommission ermutigt die Agentur, solche Daten zusammenzutragen, da sie von entscheidender Bedeutung für den Jahresbericht sein werden.

    Bei der Ausarbeitung des Berichts wird die Kommission auch die Informationen berücksichtigen, die sie von den beteiligten Akteuren erhält, darunter die nationalen Instanzen wie die obersten Gerichtshöfe, die unabhängigen nationalen Menschenrechtsbehörden und die nationalen Behörden, die die Auswirkungen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf die Grundrechte bewerten sollen. Die Überwachungsmechanismen des Europarates und der Vereinten Nationen können ebenfalls eine relevante Informationsquelle für Maßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union darstellen. Da die Nichtregierungsorganisationen am besten mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut sind, werden auch Informationen aus der Zivilgesellschaft in den Bericht einfließen.

    So wird der Jahresbericht allen beteiligten Akteuren ermöglichen, ihren Beitrag zu dem fortlaufenden Prozess der Umsetzung der Charta zu leisten, und durch eine sichtbare und transparente Gestaltung dieses Prozesses eine dynamische Entwicklung der Grundrechtskultur in der Europäischen Union fördern. Die Kommission arbeitet derzeit den ersten Jahresbericht aus, der das Jahr 2010 abdecken wird und im Frühjahr 2011 veröffentlicht werden soll.

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    Der von der Kommission dargelegten Strategie liegt ein klares Ziel zugrunde: Die Union muss mit gutem Beispiel vorangehen, um für die Wirksamkeit der in der Charta verankerten Grundrechte Sorge zu tragen. Die Kommission hat im Hinblick auf die Verwirklichung dieses Ziels organisatorische Maßnahmen getroffen und insbesondere der Abschätzung der Folgen ihrer Vorschläge auf die Grundrechte mehr Gewicht verliehen. Sie wird auch die anderen Organe der Union ermutigen, bei ihrer Gesetzgebungsarbeit die uneingeschränkte Achtung der Charta sicherzustellen. Sie erinnert die Mitgliedstaaten in jedem Fall, in dem dies notwendig ist, daran, dass die Charta bei der Durchführung des Rechts der Union zu achten ist. Sie wird am Bedarf der Bürger orientierte Kommunikationsmaßnahmen ausarbeiten.

    Diese Strategie wird ihre Wirkung entfalten, wenn sie in Zusammenarbeit mit allen interessierten Akteuren kontinuierlich, entschlossen und transparent umgesetzt wird. Die Kommission hat beschlossen, jährlich einen Jahresbericht über die Anwendung der Charta vorzulegen, um die erzielten Fortschritte aufzuzeigen und ihre künftige Politik auszurichten. Eine solche Verpflichtung zeugt davon, dass die Kommission fest entschlossen ist, die Charta in der Praxis umzusetzen.

    [1] Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union („EUV“). Außerdem erinnert Artikel 6 Absatz 3 daran, dass die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind.

    [2] Artikel 6 Absatz 2 EUV.

    [3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25.11.2009 zu der Mitteilung der Kommission – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger – Stockholm-Programm. P7_TA(2009)0090.

    [4] „Stockholmer Programm“ (ABl. C 115 vom 4.5.2010).

    [5] Wortlaut der feierlichen Erklärung: Ich verpflichte mich feierlich, „- bei der Erfüllung aller meiner Pflichten die Verträge und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu achten; - meine Tätigkeit in voller Unabhängigkeit im allgemeinen Interesse der Union auszuüben; - bei der Erfüllung meiner Aufgaben Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder jeder anderen Stelle weder einzuholen noch entgegenzunehmen; - mich jeder Handlung zu enthalten, die mit meinem Amt oder der Erfüllung meiner Aufgaben unvereinbar ist. - Ich nehme zur Kenntnis, dass sich jeder Mitgliedstaat verpflichtet, diesen Grundsatz zu achten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. - Ich verpflichte mich außerdem, während der Ausübung und nach Ablauf meiner Amtstätigkeit die sich aus meinem Amt ergebenden Pflichten zu erfüllen, insbesondere die Pflicht, bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf dieser Tätigkeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein.“

    [6] Die Charta wurde am 7. Dezember 2000 in Nizza feierlich vom Parlament, vom Rat und von der Kommission proklamiert. Am 12. Dezember 2007 wurde sie von den Präsidenten des Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission unterzeichnet und erneut feierlich proklamiert. Diese zweite Proklamation war insofern erforderlich, als die 2000 verkündete Charta im Hinblick auf ihre Rechtsverbindlichkeit angepasst wurde.

    [7] Die in der Charta enthaltenen Rechte und Grundsätze gehen insbesondere zurück auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und internationalen Übereinkommen der Mitgliedstaaten, die Europäische Menschenrechtskonvention, die von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Union und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

    [8] Siehe Abschnitt 1.3.

    [9] In Artikel 51 Absatz 2 der Charta heißt es, dass diese den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert.

    [10] Alle Mitgliedstaaten sind den wichtigsten Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten, und der Rat hat einen Beschluss über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Gemeinschaft erlassen (ABl. L 23 vom 27.1.2010, S. 35).

    [11] Zum Beispiel Verbot der Folter.

    [12] Artikel 52 Absatz 2 der Charta.

    [13] Mitteilung der Kommission „Berücksichtigung der Charta der Grundrechte in den Rechtsetzungsvorschlägen der Kommission - Methodisches Vorgehen im Interesse einer systematischen und gründlichen Kontrolle“ - KOM(2005) 172 vom 27.4.2005.

    [14] Bericht über das methodische Vorgehen bei der Grundrechtskontrolle - KOM(2009) 205 vom 29.4.2009.

    [15] Leitlinien zur Folgenabschätzung ( Impact Assessment Guidelines ) - SEK(2009) 92 vom 15.1.2009.

    [16] In der Mitteilung „Intelligente Regulierung in der Europäischen Union“ - KOM(2010) 543 vom 7.10.2010 - hat die Kommission betont, dass sie entsprechend dem neuen Rechtsstatus der Charta die Auswirkungen auf die Grundrechte vermehrt prüfen und hierfür spezielle Leitlinien entwickeln wird.

    [17] Abschnitt 2.1.

    [18] Abschnitt 3.4 des Berichts vom 29.4.2009.

    [19] Ratsdokument Nr. 14901/05 vom 24.11.2005.

    [20] Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, der polizeilichen Zusammenarbeit und der Verwaltungszusammenarbeit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Artikel 76 AEUV).

    [21] Beispielsweise liegt ein solcher Bezug vor, wenn eine Richtlinie der Union durch eine nationale Rechtsvorschrift auf eine mit den Grundrechten nicht zu vereinbarende Weise umgesetzt wird, wenn eine Behörde eine Rechtsvorschrift der Union auf eine mit den Grundrechten nicht zu vereinbarende Weise anwendet oder wenn das Recht der Union durch eine endgültige nationale gerichtliche Entscheidung auf eine mit den Grundrechten nicht zu vereinbarende Weise angewandt oder ausgelegt wird.

    [22] Die Bedingungen für die Anwendung dieses Mechanismus werden in der „Mitteilung der Kommission zu Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union - Wahrung und Förderung der Grundwerte der Europäischen Union“ erläutert - KOM(2003) 606 vom 15.10.2003.

    [23] Ergebnis einer Befragung von Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren hinsichtlich etwaiger Probleme von Personen unter 18, die ihre Rechte einklagen wollen. EB 273. Mai 2009. Die Rechte des Kindes.

    [24] EU-MIDIS European Union Minorities and Discrimination Survey (Erhebung der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierung).

    [25] Siehe beispielsweise „ Menschenrechte und Demokratie in der Welt. Bericht über die Maßnahmen der EU. Juli 2008 bis Dezember 2009 “.

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