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Document 52006DC0404

    Mitteilung der Kommission an den Rat gemäß Artikel 27 Absatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG

    /* KOM/2006/0404 endg. */

    52006DC0404

    Mitteilung der Kommission an den Rat gemäß Artikel 27 Absatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG /* KOM/2006/0404 endg. */


    [pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

    Brüssel, den 19.7.2006

    KOM(2006) 404 endgültig

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT

    gemäß Artikel 27 Absatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG

    1. HINTERGRUND

    Nach Artikel 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage[1] (77/388/EWG) kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern. Mit diesem Verfahren werden Ausnahmeregelungen von den harmonisierten allgemeinen Grundsätzen des MwSt-Rechts genehmigt, die nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs restriktiv und verhältnismäßig sein müssen.

    Mit Schreiben, das am 27. Oktober 2005 beim Generalsekretariat der Kommission eingetragen wurde, hat die Republik Österreich um Ermächtigung zur Einführung einer von Artikel 21 der Richtlinie 77/388/EWG abweichenden Regelung ersucht. Nach Maßgabe von Artikel 27 Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG hat die Kommission die anderen Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 8. Juni 2006 über das Ersuchen Österreichs informiert. Mit Schreiben vom 9. Juni 2006 hat sie Österreich mitgeteilt, dass sie über alle Angaben verfügt, die sie für die Beurteilung des Antrags für zweckdienlich hält.

    Mit Schreiben, das am 18. April 2006 beim Generalsekretariat der Kommission eingetragen wurde, hat die Bundesrepublik Deutschland um Ermächtigung zur Einführung einer von Artikel 21 der Richtlinie 77/388/EWG abweichenden Regelung ersucht. Nach Maßgabe von Artikel 27 Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG hat die Kommission die anderen Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 7. Juni 2006 über das Ersuchen Deutschlands informiert. Mit Schreiben vom 8. Juni 2006 hat sie Deutschland mitgeteilt, dass sie über alle Angaben verfügt, die sie für die Beurteilung des Antrags für zweckdienlich hält.

    2. KURZE DARSTELLUNG DER ANTRÄGE

    2.1. Der österreichische Antrag

    Österreich möchte die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei allen Leistungen von Unternehmen an andere Unternehmen (B2B) einführen, deren Entgelt 10 000 EUR überschreitet. Die Steuerschuldnerschaft soll auch dann auf den Leistungsempfänger übergehen, wenn der Gesamtbetrag aller von einem Leistungserbringer an den Leistungsempfänger in Rechnung gestellten Entgelte in einem Voranmeldungszeitraum über 40 000 EUR liegt.

    Österreich gibt als Grund für seinen Antrag an, die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft erleichtere die Bekämpfung von Karussell- oder Missing-Trader-Betrug, und verweist auf die positiven Erfahrungen, die mit diesem Verfahren im Baugewerbe gemacht wurden. Österreich ist der Auffassung, dass MwSt-Betrug, vor allem Karussellbetrug und Betrug mittels Scheinrechnungen, mit herkömmlichen Methoden nicht mehr verhindert werden kann. Bei einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ließen sich bestimmte Formen der Steuerhinterziehung und -umgehung verhindern. Dazu zählen die bloß teilweise Abführung der in Rechnung gestellten MwSt und die Nichtabführung des in Rechnung gestellten MwSt-Betrags durch einen später nicht mehr greifbaren Unternehmer. Außerdem würde die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft die Tätigkeit der Steuerverwaltung erleichtern, der es häufig große Schwierigkeiten bereitet, geschuldete und nicht abgeführte MwSt-Beträge einzutreiben oder vor der Gewährung von MwSt-Erstattungen Überprüfungen vorzunehmen. Aus der Sicht der Unternehmen sei die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft ebenfalls hilfreich, weil die Vorfinanzierung der Mehrwertsteuer[2] entfalle. Damit sich keine neuen Betrugsmuster herausbilden, möchte Österreich die Unternehmen verpflichten, für die einzelnen Kunden monatliche Gesamtumsatzzahlen vorzulegen.

    2.2. Der deutsche Antrag

    Deutschland möchte die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei allen Leistungen von Unternehmen an andere Unternehmen (B2B) einführen, wenn der Rechnungsbetrag höher ist als 5 000 EUR. Der Leistungserbringer müsste die Gültigkeit der MwSt-Kennnummer des anderen Unternehmens bestätigen, bevor er die betreffenden Leistungen erbringt. Die Bestätigung der Gültigkeit der MwSt-Kennnummer würde elektronisch und online erfolgen. Ist die Gültigkeit der MwSt-Nummer des Kunden bestätigt worden, müsste das leistende Unternehmen keine Mehrwertsteuer abführen, dafür hätte der Leistungsempfänger die Umsatzsteuerschuld gegenüber dem Finanzamt zu erklären, wobei er aber normalerweise sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann. Zusätzlich zu der Überprüfung der Gültigkeit der Kundennummer würde das leistende Unternehmen jeden Reverse-Umsatz einzeln elektronisch an die Finanzverwaltung melden und gleichzeitig den Wert der Umsätze erklären. Der Leistungsempfänger müsste ebenfalls in seiner Steuererklärung gesondert angeben, welche Lieferungen er im Rahmen der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bezogen hat. Die Steuerbehörden würden dann die elektronischen Einzelmeldungen der Leistungserbringer mit den vom Leistungsempfänger übermittelten Angaben abgleichen. Auf diese Weise möchte Deutschland sich gegen neue durch die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft möglicherweise geschaffene Betrugsmöglichkeiten schützen.

    Deutschland führt für seinen Antrag ähnliche Gründe an wie Österreich für den seinen, aber anders als der österreichische Vorschlag sieht das deutsche System umfangreiche zusätzliche Meldepflichten der Steuerpflichtigen vor.

    3. GRÜNDE FÜR DIE ANTRÄGE – DAS PROBLEM DES MWST-BETRUGS

    Die Bekämpfung des MwSt-Betrugs ist seit langem ein Schwerpunkt der Arbeit der Kommission, wobei sichergestellt werden muß, dass die Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen gegen Betrüger ergreifen, um Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu verhindern. Wegen der schlechten Haushaltslage in den letzten Jahren wird die Bekämpfung des MwSt-Betrugs auch in bestimmten Mitgliedstaaten immer mehr zu einem zentralen Thema.

    Die Kommission begrüßt es, dass Deutschland und Österreich gegen die spezielle Form des MwSt-Betrugs vorgehen wollen, die unter dem Namen Karussell- oder Missing-Trader-Betrug bekannt geworden ist. Diese Betrugsform hat Auswirkungen auf die MwSt-Einnahmen, weil ein Steuerpflichtiger die Vorsteuerpflicht auf einen anderen Steuerpflichtigen überträgt und dann selbst verschwindet, ohne die Steuer zu zahlen. Deutschland und Österreich glauben, dass sich dieses Problem lösen lässt, wenn die Steuerschuldnerschaft bei Inlandsumsätzen auf den Leistungsempfänger übergeht. Dies würde den Betrug insoweit verhindern, als der „verschwundene Händler“ nicht mehr Steuerschuldner wäre. Als Faustregel in allen Mitgliedstaaten gilt jedoch, dass 80 % des MwSt-Aufkommens von weniger als 10 % der Steuerpflichtigen erbracht wird. Dies bedeutet, dass die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten relativ wenige Kontrollen durchführen müssen, um den größten Teil ihrer MwSt-Einnahmen zu sichern.

    Nur sehr wenige Mitgliedstaaten veröffentlichen Zahlen über die MwSt-Ausfälle aufgrund von Betrug. Österreich schätzt, dass sich die Ausfälle durch MwSt-Betrug auf 4,4 % der gesamten MwSt-Einnahmen belaufen, allerdings liegen keine genauen Schätzungen über den Anteil des Karussellbetrugs an diesen Ausfällen vor. Deutschland schätzt, dass es etwa 2 % der MwSt-Einnahmen durch Karussellbetrug verliert. Das ist keine Bagatelle und zeigt deutlich, wie ernst MwSt-Betrug und insbesondere Karussellbetrug zu nehmen sind. Die Kommission ist sich der Bedeutung dieses Phänomens bewusst. Maßnahmen gegen Steuerbetrug sind deshalb ein wichtiges Ziel innerhalb der Lissabon-Strategie, weil sich durch Steuerbetrug nicht nur die Einnahmen verringern, die die Mitgliedstaaten für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen auf nationaler Ebene benötigen, sondern weil Steuerbetrug auch zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen führt. In diesem Kontext will die Kommission noch in diesem Jahr eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament über eine neue europäische Strategie zur Bekämpfung von Steuerbetrug vorlegen. Der MwSt-Betrug und speziell der Karussellbetrug werden ein wichtiges Thema dieser Mitteilung sein.

    Trotzdem müssen die Zahlen über den Karussellbetrug im Kontext gesehen werden, vor allem, wenn eine beabsichtigte Änderung eines Besteuerungssystems sowohl steuerehrliche Unternehmen als auch Betrüger betrifft, die sich die Unfähigkeit der Steuerbehörden zunutze machen, den Betrug schnell und ein für alle Mal abzustellen.

    Auch steht zu erwarten, dass neue Betrugsmöglichkeiten und -muster entstehen, wenn die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für weitere Bereiche genehmigt wird. Geht die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über, wäre es für das letzte Unternehmen in der Unternehmerkette interessanter zu verschwinden. Klar ist auch, dass die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft das Problem der Schwarzverkäufe (Verkäufe ohne Rechnung) nicht lösen kann, die außerhalb des offiziellen Wirtschaftskreislaufs bleiben. Für einen Steuerpflichtigen, der am Ende der Unternehmerkette die Mehrwertsteuer in Rechnung stellen muss, wird der Anreiz, Waren und Dienstleistungen „schwarz“ erwerben zu wollen, größer, weil er nun den gesamten MwSt-Betrag schuldet und nicht mehr nur den dem „Mehrwert“ entsprechenden Teilbetrag.

    4. DAS KONZEPT DER UMKEHRUNG DER STEUERSCHULDNERSCHAFT

    Im Regelfall wird die Mehrwertsteuer bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen innerhalb eines Mitgliedstaats vom Leistungserbringer in Rechnung gestellt. Ist der Kunde selbst ein Steuerpflichtiger, kann dieser die ihm in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer zurückfordern, indem er die Vorsteuer in seinen regelmäßigen MwSt-Erklärungen meldet. Der Vorsteuerabzug erfolgt sofort, unabhängig davon, ob der Leistungserbringer die Mehrwertsteuer an den Fiskus abgeführt hat oder nicht. Das Problem ergibt sich dadurch, dass der Fiskus, wenn die Person, die die Rechnung ausstellt, die Mehrwertsteuer nicht abführt, die Vorsteuer erstattet, obwohl er diese nie erhalten hat. Außer mit Konkursen und Insolvenzen haben die Mitgliedstaaten auch Probleme mit Unternehmen, die nur kurze Zeit Geschäfte tätigen, die Mehrwertsteuer in Rechnung stellen und dann, ohne sie selbst zu entrichten, verschwinden. Allerdings wird in der überwiegenden Zahl der Fälle (90 bis 95 % je nach Mitgliedstaat) der korrekte MwSt-Betrag zum richtigen Zeitpunkt an den Fiskus abgeführt.

    Derzeit wird ein Großteil der in den Mitgliedstaaten erhobenen Mehrwertsteuer von einer sehr kleinen Gruppe großer, steuerehrlicher Steuerpflichtiger abgeführt. Würde die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft zur allgemeinen Regel, würde die Mehrwertsteuer bei einer sehr viel größeren Gruppe Steuerpflichtiger erhoben, was die Kontrollen entsprechend erschweren würde.

    Bei der Anwendung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in der von Deutschland und Österreich gewünschten Form müsste das leistende Unternehmen den Status seines Kunden überprüfen, um festzustellen, ob dieser Steuerpflichtiger ist oder nicht, d. h., ob er ihm die Mehrwertsteuer in Rechnung stellen muss oder nicht. Beim derzeitigen MwSt-System ist eine solche Überprüfung nicht erforderlich, weil das leistende Unternehmen die Mehrwertsteuer generell und unabhängig vom Status des Kunden in Rechnung stellt. Ebenso würde die Forderung, dass für einzelne Geschäftskunden (im Falle Österreichs) monatliche Umsatzzahlen mitgeteilt werden müssen, bzw. dass den Steuerbehörden elektronisch der Wert jeder nicht besteuerten Lieferung gemeldet werden muss (im Falle Deutschlands), ein Novum darstellen und den Unternehmen zusätzliche Belastungen aufbürden.

    5. STELLUNGNAHME DER KOMMISSION ZU DEN ANTRÄGEN

    Die Kommission prüft die nach Maßgabe von Artikel 27 gestellten Anträge, um sicherzugehen, dass die Grundvoraussetzungen für ihre Genehmigung erfüllt sind, nämlich, dass die beantragte Ausnahmeregelung die Verfahren für die Steuerpflichtigen und/oder die Steuerverwaltung vereinfacht oder Steuerhinterziehung bzw. -umgehung verhindert. Die Kommission ist dabei immer sehr vorsichtig vorgegangen und hat enge Maßstäbe angelegt, damit die Ausnahmeregelungen nicht das allgemeine MwSt-System untergraben. In diesem Kontext ist auch ihr Vorschlag aus dem Jahr 2005 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen[3] zu sehen, der es allen Mitgliedstaaten gestatten würde, Ausnahmeregelungen anzuwenden, die sich als nützlich und wirksam erwiesen haben.

    Zwar könnte man die Sonderregelung für Anlagegold gemäß Artikel 26b der Sechsten MwSt-Richtlinie als etablierte Umkehrung der Steuerschuldnerschaft beschreiben, doch gelten diese Bestimmungen nur für einen einzigen, eng umgrenzten Bereich und sind daher mit den derzeitigen Anträgen nicht zu vergleichen.

    5.1. Der deutsche und der österreichische Antrag

    Nach Auffassung der Kommission versuchen Deutschland und Österreich mit ihren Anträgen, unter Berufung auf Artikel 27 der Sechsten MwSt-Richtlinie das MwSt-System grundlegend zu verändern, wobei auch eines der wesentlichen Merkmale dieses Systems, die fraktionierte Zahlung, wegfallen würde. Grund für die Anträge ist die Tatsache, dass Deutschland und Österreich anscheinend nicht ausreichend in der Lage sind, die Unternehmen, die an Karusselbetrug beteiligt sind, zu kontrollieren, was zu Steuerausfällen in der Größenordnung von 2 % sowohl in Deutschland als auch in Österreich führt. Deutschland und Österreich sind der Meinung, dass Unternehmen, denen es nicht gestattet ist, die Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen, auch keinen Anreiz haben, zu „verschwinden”.

    Österreich schätzt, dass eine begrenzte Umkehrung der Steuerschuldnerschaft 7 Millionen in Österreich ausgestellte Rechnungen betreffen würde; deutschen Schätzungen zufolge würde der Vorschlag 0,5 % aller Ausgangsrechnungen in Deutschland betreffen, das sind immerhin 130 Millionen Rechnungen. Festzuhalten bleibt, dass alle Steuerpflichtigen betroffen wären, weil sie neben dem normalen MwSt- System auch noch das Reverse-Charge-Verfahren anwenden müssten.

    6. FAZIT

    Nach Auffassung der Kommission sind die Anträge Deutschlands und Österreichs ein Versuch, unter Berufung auf Artikel 27 der Sechsten MwSt-Richtlinie das MwSt-System grundlegend zu verändern und ein zentrales Merkmal des Gemeinsamen MwSt-Systems, den Grundsatz der fraktionierten Zahlung, aufzugeben. Bei einer Genehmigung würde es außerdem drei unterschiedliche Steuersysteme geben:

    - das klassische MwSt-System;

    - die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für B2B-Lieferungen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind;

    - das innergemeinschaftliche System.

    Dies würde den Unternehmen noch weitere Belastungen aufbürden. Ebenso würde die administrative Belastung der steuerehrlichen Unternehmer (Überprüfung des Status der Kunden und Meldung von Umsätzen) in Bereichen zunehmen, in denen Betrug eher selten ist. Zusätzlich müssten die deutschen und die österreichischen Steuerbehörden deutlich mehr Mittel für MwSt-Kontrollen einsetzen, da nicht mehr wie bisher eine kleine Zahl von Steuerpflichtigen den Großteil der Mehrwertsteuer entrichten würde, sondern diese Zahl sehr viel größer wäre.

    Die Kommission ist der Auffassung, dass die Anträge den Anforderungen von Artikel 27 insoweit nicht genügen , als die Dinge sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Steuerbehörden komplizierter anstatt einfacher würden und es überdies mehr anstatt weniger Möglichkeiten für Steuerhinterziehung gäbe.

    Nach Auffassung der Kommission ist Artikel 27 nicht die korrekte Rechtsgrundlage , um eine derart weit reichende Umkehrung der Steuerschuldnerschaft vorzuschlagen. Die Kommission hat dem Rat schon in früheren Fällen vorgeschlagen, Mitgliedstaaten die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft zu gestatten, aber die früheren Anträge unterschieden sich von den Anträgen Österreichs und Deutschlands insoweit, als sie sich auf bestimmte Branchen (Baugewerbe, Schrotthandel, Holzwirtschaft usw.) bezogen und die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft die vorgeschalteten Glieder der Unternehmerkette betraf (und so nur den Schwachpunkt zu Beginn der Kette beseitigten), so dass betrugsanfällige, kleine und häufig nur kurz bestehende Unternehmen zwar keine Mehrwertsteuer in Rechnung stellten, dies aber durch die größeren, leichter zu kontrollierenden Unternehmen wett gemacht wurde. Das einzige Beispiel, wo die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für eine Ware gewährt wurde, ist Anlagegold, aber selbst dabei geht es um eine spezifische Ware und nicht um eine Vielzahl von Waren verschiedener Branchen. Zudem würden die von Deutschland und Österreich geplanten Maßnahmen Geschäfte in allen Wirtschaftssektoren betreffen, darunter auch solchen, in denen es nie Hinweise auf Missing-Trader- oder Karussellbetrug gegeben hat. Die Kommission ist der Auffassung, dass Ausnahmeregelungen wie die von Deutschland und Österreich beantragten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderlaufen, den der Gerichtshof in verschiedenen Urteilen bekräftigt hat.

    Überdies wäre es nicht binnenmarktverträglich, würde man einzelnen Mitgliedstaaten die Anwendung derart einschneidender Ausnahmeregelungen, die Auswirkungen auf alle Unternehmen haben, gestatten. Abhängig vom Wert der Lieferung, der Art des Erzeugnisses oder irgendwelcher anderen Kriterien wären die Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Vorschriften und Verfahren für Inlandsumsätze konfrontiert. Aus diesem Grund gehen die vorgeschlagenen Maßnahmen deutlich über den Anwendungsbereich von Artikel 27 der Sechsten MwSt-Richtlinie hinaus.

    Außerdem geht bei dem Reverse-Charge-System das finanzielle Risiko durch die Nichtabführung der Mehrwertsteuer vom Fiskus auf die Unternehmen über. Die Unternehmen würden das Risiko tragen, wenn sie nach Überprüfung des Status ihres Kunden entscheiden, ob sie die Mehrwertsteuer in Rechnung stellen oder nicht. Eine solche Verlagerung der Verantwortlichkeit von der Steuerbehörde auf die Unternehmen und die dadurch den Unternehmen potenziell entstehenden Kosten laufen den Zielen der Lissabon-Strategie zuwider.

    Zusätzlich schwächt ein Reverse-Charge-System die Kontrollen am Ende der Unternehmerkette ganz beträchtlich. Dementsprechend müssten die Steuerbehörden sehr viel mehr Kontrollbedienstete einsetzen, weil die Tatsache, dass die Steuerschuld auf eine größere Zahl von Steuerpflichtigen verteilt wird, sehr viel größere Gefahren mit sich bringt. Schließlich würde die von Deutschland und Österreich vorgeschlagene Ausweitung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft eine sehr viel komplexere Alternativregelung zu der normalen MwSt-Regelung in Kraft setzen.

    Die Anträge Deutschlands und Österreichs sind ein Versuch, Artikel 27 für eine grundlegende Veränderung der MwSt-Regelung heranzuziehen und dabei eines ihrer wichtigsten Merkmale, den Grundsatz der fraktionierten Zahlung, aufzugeben. Die Anträge beruhen auf der Annahme, dass für Unternehmen, denen es nicht gestattet ist, die Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen, der Anreiz „zu verschwinden“ entfällt, so dass sich zusätzliche MwSt-Einnahmen ergeben.

    Die Kommission glaubt zwar weiterhin, dass die Lösung für das Problem des Karussellbetrugs in verstärkten MwSt-Kontrollen auf der Grundlage einer Risikoanalyse und nicht in einer Änderung der grundlegenden Steuervorschriften liegt. Sie ist aber dennoch bereit, Vorschläge für ergänzende oder sogar alternative Instrumente zu prüfen. Da Deutschland und Österreich der Auffassung sind, dass ihre derzeitigen MwSt-Systeme Schwächen aufweisen, wird die Kommission weitere Arbeit investieren, um zu sehen, ob allgemeinere Maßnahmen im Rahmen der Sechsten MwSt-Richtlinie notwendig sind.

    Aus diesen Gründen ist nach Auffassung der Kommission Artikel 93 des Vertrags die korrekte Rechtsgrundlage, die es den Mitgliedstaaten gestattet, sehr weit reichende Maßnahmen einzuführen, um MwSt-Betrug und Steuerhinterziehung zu verhindern.

    Somit kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Anträge Deutschlands und Österreichs nicht unter Artikel 27 der Sechsten MwSt-Richtlinie fallen, und spricht sich daher gegen die beantragten Ausnahmeregelungen aus .

    [1] ABl. L 145 vom 13.6.1977, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/18/EG (ABl. L 51 vom 22.2.2006, S. 12).

    [2] Abhängig von den eingeräumten Zahlungszielen und der Periodizität der MwSt-Erklärungen müssen die Steuerpflichtigen die MwSt häufig bereits abführen, bevor sie sie von ihren Kunden zurückerhalten.

    [3] KOM(2005) 89 vom 16.3.2005.

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