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Document 52006AR0341

Stellungnahme des Ausschusses der Regionen Die demografische Zukunft Europas

ABl. C 197 vom 24.8.2007, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

24.8.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 197/1


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen „Die demografische Zukunft Europas“

(2007/C 197/01)

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

betont die dringende Notwendigkeit, die demografischen Entwicklungen auf den Ebenen der Regionen und der Städte und Gemeinden differenziert zu betrachten, da sich auch innerhalb der Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Entwicklungen gleichzeitig vollziehen und auf der anderen Seite bestimmte typische Muster der Entwicklung in verschiedenen Regionen Europas zu erkennen sind. Eigene politische Strategien und Leitlinien der Regionen sowie der Städte und Gemeinden müssen sich künftig auf realistische Bevölkerungsprognosen stützen;

ist der Auffassung, dass die demografische Entwicklung ein Querschnittthema der Politik sein muss, damit den langfristigen Risiken rechtzeitig entgegengesteuert werden kann und die Chancen erkannt und genutzt werden können. Hierzu ist es notwendig, sich auch unbequemen Wahrheiten zu stellen und in der öffentlichen Debatte alle Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Erst wenn Politik und Öffentlichkeit neben der gesamtgesellschaftlichen Alterung auch die Schrumpfung der Bevölkerungszahl als unumkehrbare strukturelle Tatsache akzeptiert haben, können angemessene Reaktionen entwickelt werden;

betont, dass die demografische Herausforderung keinen Grund für eine einseitig negative Betrachtung gibt. Einerseits werden weniger Kinder geboren, als für die Reproduktion der Bevölkerungszahl notwendig sind — das wird langfristig zu einem Problem der europäischen Gesellschaften, für das eine Lösung gefunden werden muss. Gleichzeitig werden Menschen aber auch älter und bleiben länger gesund — das ist eine gute Botschaft. Außerdem können ältere Menschen einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten, was im Rahmen dieser Debatte Anerkennung finden sollte. Weiterhin profitieren wirtschaftlich prosperierende Ballungsräume von Zuzugsbewegungen, welche die Geburtendefizite derzeit noch ausgleichen können.

I.   Politische Empfehlungen

Mitteilung der Kommission: „Die demografische Zukunft Europas — von der Herausforderung zur Chance“

KOM(2006) 571 endg.

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

Generelle Anmerkungen zur Mitteilung der Kommission

1.

begrüßt ausdrücklich die Initiative der Kommission, die Diskussion um das Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels — eine neue Solidarität zwischen den Generationen“ fortzuführen und den Perspektivwechsel von der Herausforderung zur Chance zu betonen. Der Ansatz der Kommission, über einen Austausch der Erfahrungen und die Organisation einer europäischen Diskussion zum Umgang mit dem demografischen Wandel, die im zweijährigen Abstand auf einem „Forum über die demografische Entwicklung Europas“ zusammengefasst werden soll, ist ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Die Schaffung und Unterstützung von Netzwerken der Regionen auf der europäischen Ebene und die Nutzung und Propagierung von Best-practice-Beispielen wird einen erheblichen Beitrag zu einer konstruktiven und zukunftsgerichteten Diskussion dieses Themas leisten;

2.

unterstützt die generellen Strategien der Kommission, ein Europa zu schaffen,

das die demografische Erneuerung begünstigt, indem Familien unterstützt werden, ihren Kinderwunsch zu realisieren und Beruf und Privatleben miteinander zu vereinbaren;

das die Arbeit aufwertet, das vorzeitige Verlassen der Arbeitswelt nicht fördert sondern vielmehr durch Strategien des lebenslangen Lernens, des Verbots der Altersdiskriminierung und der Unterstützung von altersadäquaten Formen der Arbeitsorganisation mehr Beschäftigung und ein längeres aktives Leben mit hoher Qualität unterstützt;

das die Grundlagen für höhere Produktivität und Leistungsfähigkeit der Europäerinnen und Europäer legt, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas auch in Zeiten des demografischen Wandels zu sichern. Eine veränderte Alterzusammensetzung der Gesellschaft bedeutet nicht nur die Gefahr der wirtschaftlichen Schrumpfung sondern beinhaltet auch die Chance der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, die neue Märkte erschließen können;

das auf die Aufnahme und Integration von legalen Migrantinnen und Migranten vorbereitet ist, welche einerseits dazu beitragen, den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften zu decken und andererseits einen Beitrag zur Sicherung der Sozialsysteme leisten;

das mit gesunden öffentlichen Finanzen in der Lage ist, den sich ändernden Anforderungen an die sozialen Sicherungssysteme gerecht zu werden und vermeidet, zunehmende Lasten einseitig auf die Schultern der kommenden Generationen zu verlagern;

3.

ist der Auffassung, dass die demografische Entwicklung ein Querschnittthema der Politik sein muss, damit den langfristigen Risiken rechtzeitig entgegengesteuert werden kann und die Chancen erkannt und genutzt werden können. Hierzu ist es notwendig, sich auch unbequemen Wahrheiten zu stellen und in der öffentlichen Debatte alle Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Erst wenn Politik und Öffentlichkeit neben der gesamtgesellschaftlichen Alterung auch die Schrumpfung der Bevölkerungszahl als unumkehrbare strukturelle Tatsache akzeptiert haben, können angemessene Reaktionen entwickelt werden;

4.

betont, dass die demografische Herausforderung keinen Grund für eine einseitig negative Betrachtung gibt. Einerseits werden weniger Kinder geboren, als für die Reproduktion der Bevölkerungszahl notwendig sind — das wird langfristig zu einem Problem der europäischen Gesellschaften, für das eine Lösung gefunden werden muss. Gleichzeitig werden Menschen aber auch älter und bleiben länger gesund — das ist eine gute Botschaft. Außerdem können ältere Menschen einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten, was im Rahmen dieser Debatte Anerkennung finden sollte. Weiterhin profitieren wirtschaftlich prosperierende Ballungsräume von Zuzugsbewegungen, welche die Geburtendefizite derzeit noch ausgleichen können. Andererseits vollzieht sich jedoch der demografische Wandel in vielen ländlichen Gebieten deutlich schneller, was auf die massive Abwanderung jüngerer Menschen sowie teilweise auf einen Zuzug älterer, pensionierter Menschen zurückzuführen ist. Diese Entwicklungen verschärfen aber die Probleme der schrumpfenden Herkunftsregionen;

5.

teilt die Auffassung der Kommission, dass die Rechte jeder Generation gewahrt werden müssen, wie dies auch ausdrücklich in der Mitteilung der Kommission „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“ vom 10. Mai 2007 anerkannt wird. Kinder und Jugendliche brauchen die Chance einer Teilhabe an der Gesellschaft im umfassenden Sinne. Dazu gehören die Unterstützung ihrer Familien, die Schaffung und der Unterhalt hochwertiger Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, Berufsausbildung und berufliche Perspektiven; die mittleren Generationen brauchen Hilfe und Unterstützung bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder, aber auch bei der Pflege und Versorgung der älteren Generation. Die ältere Generation schließlich braucht Hilfe für eine möglichst unabhängige und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben im Alter;

6.

sieht die von der Kommission genannten Faktoren, welche die demografische Entwicklung bestimmen, als grundlegend an. Der Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau, der steigende Anteil alter und sehr alter Menschen an der Gesamtbevölkerung, die gestiegene und weiter steigende Lebenserwartung und der nur teilweise Ausgleich dieser Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur durch Immigration sind generelle Kennzeichen der europäischen Entwicklung. Die auf der Ebene der Mitgliedsstaaten aggregierten Daten lassen aber nur eine beschränkte Aussage über die tatsächlichen Entwicklungen zu;

7.

betont die dringende Notwendigkeit, die demografischen Entwicklungen auf den Ebenen der Regionen und der Städte und Gemeinden differenziert zu betrachten, da sich auch innerhalb der Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Entwicklungen gleichzeitig vollziehen und auf der anderen Seite bestimmte typische Muster der Entwicklung in verschiedenen Regionen Europas zu erkennen sind. Eigene politische Strategien und Leitlinien der Regionen sowie der Städte und Gemeinden, mittels derer allen Menschen Chancengleichheit gewährt werden soll, müssen sich künftig auf realistische, kleinräumige Bevölkerungsprognosen stützen;

8.

erneuert seine Auffassungen, die er in seiner Stellungnahme zum Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels — eine neue Solidarität zwischen den Generationen“ zum Ausdruck gebracht hat. Er sieht in den Darlegungen der Kommission „Die demografische Zukunft Europas — Von der Herausforderung zur Chance“ und „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“ wesentliche Aspekte seiner Stellungnahme aufgenommen;

Zu den Schlussfolgerungen der Kommission

9.

teilt die Auffassung der Kommission, dass die konkreten Reaktionen auf die demografische Herausforderung vor allem in die Verantwortung der Mitgliedsstaaten fallen. Er betont aber die besondere Verantwortung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Die Städte und Gemeinden sind von den Folgen des demografischen Wandels in besonderem Maße betroffen;

10.

unterstützt die Europäische Kommission nachdrücklich darin, einen neuen Generationen-Pakt zu erreichen. Das heißt:

Die Rechte und Interessen jeder einzelnen Generation müssen gewahrt bleiben. Partizipationsmöglichkeiten an Bildungssystemen, Arbeitsmarkt und gesellschaftlichem Leben der einzelnen Generationen gewinnen an Stellenwert. Insbesondere Kinder und Jugendliche, deren proportionaler Anteil an der Bevölkerung zurückgeht, brauchen gute und verlässliche Teilhabemöglichkeiten in einer alternden Gesellschaft. Die Arbeit für einzelne Altersgruppen ist insgesamt zu verstärken, wiederum mit besonderem Blick auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, aber auch durch die Verankerung neuer und differenzierter Bilder vom Alter.

Der Austausch von Erfahrungen, Kompetenzen und Unterstützung zwischen den Generationen ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklungsfähigkeit und solidarisches Zusammenleben. Dieser Austausch findet vorrangig in der Familie statt. Aufgrund von Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen etwa im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt sowie einer größeren Zahl von Alleinlebenden gewinnen die Generationenbeziehungen auch außerhalb von Familie im demografischen Wandel an Bedeutung. Dies muss auch auf europäischer Ebene künftig mehr Beachtung finden. Denn durch generationsübergreifende Handlungsansätze können vorhandene Potenziale besser als bisher für die Gestaltung des demografischen Wandels genutzt werden. Netzwerke und Initiativen, die generationsübergreifende Handlungsansätze realisieren, sollten daher künftig mehr Unterstützung und Förderung erfahren.

Von europäischer Ebene aus sollte der neue Generationen-Pakt darum zum Thema eines kontinuierlichen Wissens- und Erfahrungsaustausches mit „Best Practice Modellen“ zur gesellschaftlichen Entwicklung im demografischen Wandel gemacht werden. Dies gilt auch für die Fortsetzung des 'Forums über die demografische Entwicklung Europas'. In diesem transparent und offen geführten Dialog sollen die repräsentativen Verbände der Zivilgesellschaft bestmöglich einbezogen werden;

11.

hält es für notwendig, auf die bereits auf nationaler und auf europäischer Ebene eingeleiteten Reformen hinzuweisen, wie die erneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Strategie der nachhaltigen Entwicklung, die Kohäsionspolitik und die offene Koordinierungsmethode auf dem Gebiet des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung. Er weist aber darauf hin, dass der Hinweis darauf, die Bemühungen müssten engagiert weiter verfolgt werden auch im Zusammenhang mit der Nennung der fünf politischen Grundausrichtungen bei weitem nicht ausreicht, Rahmenbedingungen für die notwendigen Ansätze auf der europäischen, der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene zu schaffen;

12.

vermisst in der Mitteilung der Kommission eine Beschreibung der Rolle der nationalen sowie der regionalen und lokalen Politiken. Demografische Entwicklungen sind in besonderem Maße regionale und lokale Entwicklungen. Der in der Mitteilung durch die Aggregierung der Daten auf nationaler und europäischer Ebene entstehende Eindruck, die Fragen seien vorrangig auf diesen Ebenen zu lösen, ist aus Sicht des AdR irreführend. Vielmehr wird dadurch die Wahrnehmung der wachsenden regionalen Disparitäten — einschließlich derer, die durch Wanderungsbewegungen innerhalb der Mitgliedstaaten entstehen — verhindert;

13.

begrüßt die Absicht der Kommission, im zweijährigen Abstand ein Europäisches Demografieforum zu organisieren, dessen Ergebnisse Aufnahme in ein Kapitel des jährlichen Fortschrittsberichts finden soll. Er hält aber die einseitige Konzentration auf die Frage der längeren Lebenserwartung für nicht sachgerecht. Vielmehr ist es notwendig, die unterschiedlichen Aspekte der demografischen Veränderungen gleichrangig in den Blick zu nehmen;

14.

hebt hervor, dass der demografische Wandel erhebliche Chancen bietet, durch neue Produkte und Dienstleistungen die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern und so in Europa neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern. Betroffen sind alle Handlungsfelder, die das unabhängige und aktive Leben älterer Menschen fördern: in Handwerk, Industrie, Handel und Sozialverbänden, so u.a. in den Branchen Tourismus, Kultur, haushaltsnahe Dienstleistungen, Mobilitätsdienste oder Finanzdienstleistungen;

15.

unterstützt, dass die Bedürfnisse älterer Menschen und die Chancen der sog. „silver-economy“ auch auf EU-Ebene stärker integriert werden, dazu gehört auch eine Einbindung in die Lissabon-Strategie;

Anregungen und Forderungen des AdR

16.

stellt fest, dass die generellen Trends der Demografie auf der europäischen Ebene eine hochdifferenzierte regionale Ausformung erfahren. Dabei überlagern sich die Entwicklungen und führen dazu, dass es Gewinner (z.B. die Großräume London und München) und Verlierer (z.B. Ostdeutschland oder die westpolnischen Regionen) unter den Regionen Europas gibt. Im Ergebnis dieser Trends wird die territoriale Kohäsion gefährdet. Neben den demografischen Veränderungen beeinflussen Migrationsbewegungen von außerhalb der Gemeinschaft die Entwicklung der Bevölkerung. Die Binnenmigration innerhalb der EU verstärkt die großräumigen Trends, wobei insbesondere prosperierende städtische Ballungsräume eine zunehmende Anziehungskraft ausüben. Folge dieser unterschiedlichen Entwicklungen ist ein Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen;

17.

teilt die Auffassung der Kommission, dass der Zusammenhang zwischen Innovationsfähigkeit und Qualifikation im demografischen Wandel noch wichtiger wird. Frauen, insbesondere Müttern, sollte es künftig ermöglicht werden, ihre Qualifikationen entsprechend den eigenen Wünschen und Bedürfnissen einbringen zu können. Zudem müssen sich Bildungssysteme und Betriebe schon heute sukzessive auf eine wachsende Zahl von Älteren und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einstellen und in enger Kooperation neue Formen des lebensbegleitenden Lernens zur Praxis machen;

18.

sieht in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rahmenbedingung für die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte, die auch mit der Europäischen Beschäftigungspolitik gestärkt werden soll und die gerade im Rahmen der Strategieentwicklung für ein Europa, das die demografische Entwicklung begünstigt, eine wichtige Rolle spielt;

19.

begrüßt in diesem Zusammenhang die von der Kommission vorgelegte Mitteilung „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“. Der AdR warnt jedoch davor, Maßnahmen zur Förderung der Familien und zur Vereinbarung von Privat- und Berufsleben als einzige politische Reaktion auf den demografischen Wandel vorzusehen. Viele Regionen müssen auf die demografische Entwicklung sehr konkret reagieren, indem sie Leistungen oder Infrastruktur anpassen — Maßnahmen zur Familienpolitik beeinflussen die demografische Entwicklung nur langsam, so notwendig sie auch sind. Darüber hinaus ist in vielen Regionen die Abwanderung qualifizierter junger Menschen ein größeres Problem als die eigentliche Geburtenrate von denjenigen, die in der Region verbleiben;

20.

begrüßt den Ansatz zur Ausgestaltung der in der Mitteilung „Die Solidarität zwischen den Generationen fördern“ erwähnten „Allianz für Familien“, um den notwendigen Austausch bewährter Praktiken und umfassender Informationen zu fördern; rät jedoch dringend, diese „Allianz für Familien“ nicht ausschließlich im Hinblick auf eine Steigerung der Geburtenraten zu sehen, sondern als Instrument einer umfassenden Reaktion auf die demografische Entwicklung. Der Ausschuss der Regionen und die mit ihm verbundenen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sollten in die Arbeiten der Allianz voll eingebunden werden und unterstreichen ihre Bereitschaft, konstruktiv mitzuarbeiten und Vorschläge zur weiteren Ausgestaltung europäischer Generationenpolitik zu machen;

21.

betont die regionale Ungleichheit der demografischen Entwicklung. Wachsende Regionen gewinnen vor allem junge und weibliche Bevölkerung und Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei nehmen in diesen Regionen die sozialen Differenzen durch Segregationsprozesse zu, was einerseits zu erhöhten Integrationserfordernissen und andererseits zu erhöhten Anstrengungen zum Aufbau und der Verbesserung einer altengerechten Infrastruktur führt, um soziale Exklusion nicht übermäßig zuzulassen;

22.

erkennt an, dass die Integration von Zugewanderten entscheidend für die Zukunft der Gesellschaft ist. Er geht davon aus, dass trotz der gebotenen verstärkten Bildungsanstrengungen zur besseren Nutzung des Potenzials der nachwachsenden Generation ein Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften aus Staaten außerhalb Europas gegeben ist. Der wichtige Wettbewerb um hoch qualifizierte Arbeitskräfte wird jedoch nur eingeschränkte Auswirkungen auf die demografische Entwicklung entfalten;

23.

weist darauf hin, dass schrumpfende Regionen nicht nur Bevölkerung abgeben, sie verlieren vor allem junge (vor allem der Gruppe der 20 bis 30jährigen) und weibliche Bevölkerung und sie verlieren gut ausgebildete Menschen. Schrumpfende Regionen werden nicht Zielregionen von Migration, anders als wachsende Regionen. Dadurch entstehen in den europäischen Regionen sehr unterschiedliche Problemlagen im Rahmen gleicher Trends auf der Makroebene;

24.

macht in diesem Zusammenhang auf das Problem der Zukunft der Pflege aufmerksam. Schrumpfende Regionen verlieren überproportional aktive Bevölkerung. Die „Old Age Dependency“ nimmt nicht gleichmäßig zu. Vielmehr verschärft, gerade vor dem Hintergrund der privaten Leistungen in der häuslichen Pflege, die Problematik der Abwanderung junger Menschen die Problematik der zukünftigen Unterstützung pflegebedürftiger Menschen. Damit wird gerade in schrumpfenden Regionen die Bedeutung in öffentlicher oder in freier Trägerschaft erbrachter Sozialleistungen zunehmen;

25.

hält es für notwendig, die sehr gegensätzlichen Entwicklungen auf der regionalen Ebene in den Blick zu nehmen und die entsprechenden Datengrundlagen für eine Beurteilung dieser Entwicklungen zu schaffen. Dabei müssen die lokalen, regionalen und nationalen Daten vergleichbar dargestellt werden. Dies sollte in Form eines „sozio-demografischen Monitoring“ zu einer ständigen Aufgabe gemacht werden;

26.

betont die besondere Entwicklung in den Mittel- und Osteuropäischen Mitgliedsstaaten und den Neuen Ländern in Deutschland. In diesen Regionen werden die Wirkungen von Geburtenrückgang und strukturellen Veränderungen der demografischen Faktoren derzeit schon am deutlichsten, darüber hinaus vollzieht sich die Entwicklung nahezu im Zeitraffertempo. Diese Regionen befinden sich in einer Entwicklung, die in der Mehrheit der europäischen Regionen erst später oder nicht in dieser Schärfe eintritt. Der AdR sieht in der Unterstützung dieser Regionen, zum Beispiel im Rahmen der Initiative der Kommission „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“, die Möglichkeit, angemessene Instrumente zur Bewältigung des demografischen Wandels für ganz Europa zu entwickeln;

27.

verweist auf die Probleme der Minderheiten innerhalb der Mitgliedstaaten, deren Kultur und Sprache aufgrund der Herausforderungen durch Wanderungsbewegungen und den demografischen Wandel besonders gefährdet ist. Veränderungen der Zusammensetzung einzelner Bevölkerungsgruppen und Familien ziehen Veränderungen ihrer Gewohnheiten und ihres Sprachgebrauchs mit sich, worauf sie vorbereitet sein müssen;

28.

stellt heraus, dass die derzeitige demografische Herausforderung einmalig in der europäischen Geschichte ist. Es gibt deshalb keine fertigen und erprobten Rezepte, wie die europäischen Gesellschaften angemessen auf diese Entwicklung reagieren sollten. Weltweit hat bisher nur Japan entsprechende Erfahrungen gemacht. Deshalb begrüßt der AdR den offenen Zugang der Kommission zu diesem Thema;

29.

sieht in der Mitteilung der Kommission eine zu starke Konzentration auf die Frage der Erhöhung der Lebenserwartung der Menschen und ihrer Folgen. Das ebenso wichtige Thema der Bewältigung der Folgen der Schrumpfung der Bevölkerungszahl und der damit verbundenen Fragen des Umbaus in den betroffenen Regionen wird nicht beschrieben. Auch wenn diese Fragen eher auf der nationalen und der regionalen Ebene zu lösen sind, so sind sie doch dort, wo Infrastruktur betroffen ist, auch Gegenstand einer notwendigen Diskussion des Einsatzes der Strukturfonds;

30.

sieht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, die einseitige Orientierung der europäischen Strategien auf Wachstum zu überprüfen. Regionen mit schrumpfender Bevölkerung müssen sich auf veränderte Entwicklungskonzepte einstellen, Infrastruktur muss für eine geringere Bevölkerung bezahlbar und erhaltbar bleiben, regionale Entwicklungskonzepte müssen Bedürfnisse einer geringeren Zahl von Menschen angemessen berücksichtigen. Dies bedeutet aber nicht, dass weniger investiert werden muss, vielmehr muss anders investiert werden. Die Fragen der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft bei schrumpfender Bevölkerungszahl und starken regionalen Disparitäten sind qualitative und nicht in erster Linie quantitative Fragen. Die bedeutet, dass das bisher alleinige wachstumsorientierte Politikverständnis durch ein Paradigma der Schrumpfung und des Umbaus zu ergänzen ist;

31.

stellt fest, dass für die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels folgende politische Rahmenbedingungen notwendig sind:

Die Förderung einer unproduktiven Konkurrenz zwischen Städten und Regionen um mehr Einwohner muss vermieden werden. Größere und stärkere Städte und Regionen ziehen durch ihre Attraktivität oder durch Gewährung von Vorteilen Menschen an. Dies geschieht jedoch auf Kosten der anderen Städte und Regionen, wodurch sich dort die demografische Lage weiter verschlechtert.

Die jeweils höheren Verwaltungsebenen müssen bei der Suche nach Lösungen frühzeitig einbezogen werden. Stärker als bisher werden die Regionen gemeinsam übergreifende und auf Kooperationen aufbauende Strategien entwickeln müssen.

Die gesamte Gesellschaft muss frühzeitig durch Information über die Folgen des demografischen Wandels einbezogen werden, damit alle gesellschaftlichen Akteure die Leitlinien ihres Handelns auf diesen Wandel ausrichten können.

Die Regierungen müssen durch die Schaffung geeigneter Bedingungen dafür sorgen, dass sich die Geschwindigkeit, mit der sich der demografische Wandel vollzieht, verringert. Alle Mitgliedstaaten müssen in ihren verschiedenen Politikbereichen die Bedürfnisse junger Frauen berücksichtigen, die Karriere und Familie miteinander vereinbaren wollen, und die hierzu notwendigen sozialen Unterstützungsstrukturen ausbauen. Ähnliche Strukturen muss es auch für ältere Menschen geben, die die Möglichkeit zu einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung haben sollten;

32.

hält es deshalb für notwendig, regional angepasste und differenzierte Strategien zu unterstützen, die einen möglichst guten Zugang der Bevölkerung zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, zu IKT-Diensten und zu Bildung gewährleisten;

33.

betont, dass der demografische Wandel einen neuen Blick auf die Erwerbsbiografien erfordert. Es wird in der Wirtschaft und in den Verwaltungen darauf ankommen, die Erfahrungen älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stärker zu nutzen. In den letzten Jahren ihres Arbeitslebens sollten ältere Menschen unbedingt über größere Flexibilität verfügen. Heimarbeit, flexible Arbeitszeiten und ein schrittweiser Übergang in den Ruhestand sind grundlegende Optionen, die unbedingt angeboten werden sollten. So können ältere Arbeitnehmer ermutigt werden, länger berufstätig zu bleiben. Die europäischen Gesellschaften und vor allem die Tarifpartner sollten veränderte Modelle der Verteilung der Lebensarbeitszeit entwickeln, um einerseits bessere Beschäftigungsperspektiven für jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu ermöglichen und andererseits altersadäquate Beschäftigung zu fördern;

34.

fordert eine Stärkung des Lebenslangen Lernens als Recht des Bürgerinnen und Bürger und als Anforderung an die Bürgerinnen und Bürger, um sich den ständig verändernden Anforderungen der Wirtschaft und der Gesellschaft stellen zu können;

35.

stellt fest, dass in schrumpfenden Regionen die Notwendigkeit entsteht, Daseinsvorsorge, Infrastruktur und gesellschaftliches Leben der Bevölkerungszahl und der sich verändernden und reduzierenden Nachfrage bedarfsgerecht anzupassen. Die Herausforderungen in den Mittel- und Osteuropäischen Staaten der letzten Beitrittswelle und im Osten Deutschlands zeigen, dass auf Rückbau und Umbau von Infrastruktur orientierte Politikkonzepte zu einer Frage der zukünftigen Konkurrenzfähigkeit der Regionen werden;

36.

hält es für notwendig, die Strukturfonds und den ELER generell in Bezug auf die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels zu überprüfen. Er begrüßt deshalb die Ankündigung der Kommission, in der bis Ende 2008 zu verabschiedenden Mitteilung mit Vorschlägen, wie die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung sinnvoller berücksichtigt werden können, der potenziellen Rolle der Strukturfonds in diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit zu widmen;

37.

regt in diesem Zusammenhang an, die Rolle der Strukturfonds und des ELER auch daraufhin zu überprüfen, ob die Notwendigkeiten der wachsenden und schrumpfenden Regionen in den Instrumenten ausreichend berücksichtigt werden. Weiterhin bittet der AdR darum, diese Überprüfung zeitlich so zu gestalten, dass die Ergebnisse noch in der ersten Hälfte der Förderperiode vorliegen. Der AdR erwartet von der Kommission, dass in den Schwerpunkten für die Ziel-3-Programme/Interreg IVc das Thema „Demografischer Wandel“ an prominenter Stelle auftaucht;

38.

macht darauf aufmerksam, dass städtische Regionen mit hoher Zuwanderung vor erheblichen Problemen bei der Integration der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen stehen. Demografische Effekte betreffen Gruppen in der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße. Die Frage der Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund wird zu einer Zukunftsfrage der europäischen Gesellschaften. Dabei sind insbesondere die städtischen Regionen damit konfrontiert, dass sich die demografische Zusammensetzung der verschiedenen Gruppen der Bevölkerung rasant verändert;

39.

schlägt vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse vor, auf der europäischen Ebene typische regionale und lokale Problemlagen und Entwicklungen zu identifizieren, die jeweils unterschiedliche Antworten und Strategien erfordern. Einen Beitrag zu dieser Identifikation sollen die im Anhang dargestellten Fallbeispiele leisten.

Brüssel, den 6. Juni 2007.

Der Präsident

des Ausschusses der Regionen

Michel DELEBARRE

II.   Verfahren

Titel

Mitteilung der Kommission: Die demografische Zukunft Europas — von der Herausforderung zur Chance

Referenzdokument

KOM(2006) 571 endg

Rechtsgrundlage

Artikel 265 Absatz 1 EGV

Geschäftsordnungsgrundlage

 

Befassung durch die Kommission

12.10.2006

Präsidiumsbeschluss

25.4.2006

Zuständig

Fachkommission für Wirtschafts- und Sozialpolitik (ECOS)

Berichterstatter

Dr. Gerd Harms, Bevollmächtigter des Landes Brandenburg für Bundes- und Europaangelegenheiten und Staatssekretär in der Staatskanzlei (DE/SPE)

Analysevermerk

14.12.2006

Prüfung in der Fachkommission

2.2.2007

Annahme in der Fachkommission

30.3.2007

Abstimmungsergebnis

mehrheitlich angenommen

Verabschiedung auf der Plenartagung

6./7.6.2007, Sitzung vom 6. Juni

Frühere Ausschussstellungnahme

Stellungnahme zum Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandelseine neue Solidarität zwischen den Generationen“

CdR 152/2005 fin  (1)— KOM(2005) 94 endg.


(1)  ABl. C 115 vom 16.5.2006, S. 61.


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