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Document 52005DC0626

    Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Ergebnisse der Konsultation zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und über künftige Initiativen der Kommission {SEC(2005) 1572}

    /* KOM/2005/0626 endg. */

    52005DC0626

    Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Ergebnisse der Konsultation zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und über künftige Initiativen der Kommission {SEC(2005) 1572} /* KOM/2005/0626 endg. */


    [pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

    Brüssel, den 6.12.2005

    KOM(2005) 626 endgültig

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT

    über die Ergebnisse der Konsultation zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und über künftige Initiativen der Kommission{SEC(2005) 1572}

    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT

    über die Ergebnisse der Konsultation zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und über künftige Initiativen der Kommission

    In dieser Mitteilung berichtet die Kommission über die Stellungnahmen zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern[1] und stellt die von ihr ins Auge gefassten Folgemaßnahmen vor.

    I. HINTERGRUND

    1. Der politische Kontext

    Im Zuge der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) haben die Mitgliedstaaten begonnen, die Europäische Union als Handlungsrahmen zu nutzen, um die Entwicklung ihrer militärischen Fähigkeiten zu koordinieren, die Effizienz ihrer Verteidigungsausgaben zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer wehrtechnisch-industriellen Basis zu verbessern. Die Einrichtung der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency - EDA) im Juli 2004 war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

    Im März 2003 hatte die Europäische Kommission parallel zu den Bemühungen der Mitgliedstaaten eine Initiative für einen europäischen Markt für Verteidigungsgüter (EDEM)[2] auf den Weg gebracht, die eine Reihe von Maßnahmen in Zuständigkeitsfeldern der Gemeinschaft beinhaltete (beispielsweise Vergabewesen, innergemeinschaftliche Verbringung von Waren, Normung, Forschung).

    Die Aktionen, die die Beschaffung von Verteidigungsgütern betreffen, sind mithin Teil einer Gesamtinitiative auf gemeinschaftlicher und zwischenstaatlicher Ebene.

    2. Die Merkmale des Verteidigungsmarktes

    Verteidigungsmärkte sind besondere Märkte.

    Die Verteidigungshaushalte aller Mitgliedstaaten zusammengenommen belaufen sich auf etwa 169 Milliarden Euro, von denen ca. 82 Mrd. € für die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen aufgewendet werden. 85 % der Verteidigungsausgaben und 90 % der Verteidigungsgüterindustrie innerhalb der EU entfallen auf die sechs größten waffenproduzierenden Länder [3].

    Die Verteidigungsmärkte umfassen eine breite Waren- und Dienstleistungspalette, von Gütern wie Büromaterial und Catering, die keine Militärgüter im eigentlichen Sinn sind, bis hin zu Waffensystemen und hochsensibler Technik wie Verschlüsselungsanlagen oder atomare, biologische und chemische Ausrüstungen (ABC). Bei vielen Waffensystemen handelt es sich um komplexe Hightech-Ausrüstung, die gezielt für einen sehr kleinen Kundenkreis entwickelt wird und häufig mit langen Entwicklungszeiten und Lebenszyklen sowie hohen einmaligen Kosten verbunden ist. Das wiederum zwingt die Produzentenländer, einen Großteil der Forschungs- und Entwicklungskosten zu schultern. Die Bedeutung von Verteidigungsgütern für die Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten kann je nach politischen und militärischen Gegebenheiten sehr unterschiedlich sein. In der Regel steigt sie jedoch mit der technischen Komplexität und der strategischen Wichtigkeit.

    Aufgrund der Besonderheiten vieler Verteidigungsgüter spielt der Staat sowohl als Kunde als auch als Regulierer eine dominierende Rolle. Gleichzeitig hält er von jeher enge Verbindung zu den Lieferanten, da Vertraulichkeit und Versorgungssicherheit eine besonders wichtige Rolle spielen.

    Da Aufbau und Funktionsweise der Verteidigungsmärkte eng mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten verknüpft sind, sind diese Märkte in der EU nach wie vor national zersplittert. Diese Fragmentierung ist das hervorstechendste Merkmal des Marktes, sowohl was die Nachfrage (25 nationale Kunden) als auch was den gesetzlichen Rahmen (25 unterschiedliche Regelwerke und Verfahren) angeht.

    3. Der Rechtsrahmen für die Beschaffung von Verteidigungsgütern und seine Anwendung

    Auch das Vergaberecht, und insbesondere seine Anwendung tragen ganz erheblich zur Zersplitterung der Rüstungsmärkte bei. Dieser Aspekt ist daher Hauptthema des Grünbuchs und dieser Mitteilung.

    Nach geltendem EU-Recht unterliegen Aufträge für Verteidigungsgüter den Binnenmarktvorschriften. Für Beschaffungen öffentlicher Auftraggeber im Bereich der Verteidigung gilt also die Richtlinie 2004/18/EG[4] über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge („Vergaberichtlinie“), vorbehaltlich des Artikels 296 des Vertrags[5] („Artikel 296“). Artikel 296 ermöglicht den Mitgliedstaaten, bei der Beschaffung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial das gemeinschaftliche Vergaberecht außer Acht zu lassen, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen berührt werden. Hingegen fällt die Vergabe von Aufträgen für andere Güter als Waffen, Munition und Kriegsmaterial und für Waffen, Munition und Kriegsmaterial, die keine wesentlichen Sicherheitsinteressen berühren, unter die Gemeinschaftsvorschriften.

    Da der Begriff der wesentlichen Sicherheitsinteressen jedoch recht vage ist, ist die Anwendung von Artikel 296 seit jeher sehr problematisch. Der Rat hat 1958 eine Liste von Waffen, Munition und Kriegsmaterial festgelegt, die unter die Ausnahmeregelung fallen. Auf diese Liste wird in Absatz 2 des Artikels verwiesen. Weil sie jedoch recht allgemein gehalten ist, ist nicht immer klar, welche Vorschriften auf welche Verteidigungsaufträge anwendbar sind.

    An einem Ende des Spektrums finden sich Güter, bei denen es sich nicht um Kriegsmaterial handelt. Diese sind nicht in der Liste nach Artikel 296 aufgeführt und berühren (normalerweise) keine wesentlichen Sicherheitsinteressen. In diesen Fällen gilt folglich die Vergaberichtlinie. Am anderen Ende stehen hochsensible Verteidigungsgüter, die in der Liste von 1958 aufgeführt sind und zweifelsfrei wesentliche Sicherheitsinteressen berühren. In ihrem Fall ist die Inanspruchnahme von Artikel 296 gerechtfertigt. Die Mitgliedstaaten kaufen aber auch Waren und Dienstleistungen ein, bei denen es sich zwar um Verteidigungsgüter handelt, die aber nicht (zwangsläufig) von wesentlicher Bedeutung für die Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen sind. Diese Kategorie bildet eine breite „Grauzone“, bei der die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit von Artikel 296 nicht so klar ist.

    In der Praxis machen die Mitgliedstaaten bei nahezu jeder Beschaffung von Verteidigungsgütern mehr oder weniger automatisch von der Ausnahmeregelung des Artikels 296 Gebrauch, häufig ohne die im Vertrag und vom Gerichtshof hierfür festgelegten Voraussetzungen zu beachten[6]. Gerade einmal 10 % der von den Verteidigungsministerien vergebenen Aufträge werden ausgeschrieben , während der Durchschnittswert für die Aufträge der Zentralregierungen ca. 20 % beträgt (25% ohne Verteidigungsaufträge)[7]. Die meisten Aufträge im Verteidigungsbereich werden folglich auf der Grundlage der einzelstaatlichen Vergabevorschriften vergeben, die von Land zu Land sehr unterschiedliche Auswahlkriterien, Bekanntmachungsverfahren usw. vorsehen. Die Mitgliedstaaten tun dies zum Teil, weil sie finden, dass die Vergaberichtlinie nicht immer für die Beschaffung von Verteidigungsgütern geeignet ist.

    Es herrscht generell Einigkeit darüber, dass die unterschiedlichen einzelstaatlichen Vergabevorschriften und ihre praktische Anwendung Transparenz und Wettbewerb auf den Verteidigungsmärkten beeinträchtigen. Das wiederum wirkt sich nachteilig aus auf das erzielte Preis-Leistungs-Verhältnis, auf die militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten und auf die Wettbewerbsfähigkeit der wehrtechnisch-industriellen Basis Europas (EDITB) aus.

    Mit dem Grünbuch sollten Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft zur Verbesserung dieser Situation ausgelotet werden.

    4. Das Grünbuch

    Zwischen Januar und April 2004 veranstaltete die Kommission mehrere Workshops mit Regierungssachverständigen und Vertretern der Wirtschaft, bei denen Informationen für die Vorbereitung des Grünbuchs zusammengetragen und die Erwartungen der Betroffenen ermittelt wurden.

    Am 23. September 2004 verabschiedete die Kommission das Grünbuch und setzte die öffentliche Konsultation in Gang, d. h. sie forderte alle Betroffenen auf, darzulegen, wie die Regelungen für Wehrbeschaffungen in der EU aus ihrer Sicht verbessert werden könnten. Das Grünbuch enthält Vorschläge für die Marktsegmente, die nicht unter Artikel 296 und damit unter die Gemeinschaftsvorschriften fallen.

    Die Kommission stellt zwei Gemeinschaftsinitiativen zur Wahl:

    - eine Auslegungsmitteilung, in der die Rechtslage erläutert wird, insbesondere die Grundsätze, die für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nach Artikel 296 gelten;

    - eine Richtlinie mit neuen, flexibleren Vorschriften für Beschaffungen von Waffen, Munition und Kriegsmaterial, die keine wesentlichen Sicherheitsinteressen berühren. Dabei sollten alle Besonderheiten solcher Aufträge berücksichtigt werden.

    Die beiden vorgeschlagenen Optionen schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Übrigen hat die Kommission klargestellt, dass die Mitgliedstaaten sich bei jedem in Frage kommenden Szenario stets auf Artikel 296 berufen können, solange die im Vertrag dafür festgelegten (und durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigten) Bedingungen strikt eingehalten werden.

    Außerdem würden beide Optionen nur staatliche Beschaffungen von Verteidigungsgütern im europäischen Binnenmarkt betreffen. Der Waffenhandel mit Drittländern unterfiele weiterhin den WTO-Regeln, insbesondere Artikel XXIII des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement - GPA). Dieser erlaubt den Mitgliedstaaten, von den Regeln des Übereinkommens abzuweichen, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen betroffen sind.

    II. DIE ERGEBNISSE DER KONSULTATION

    1. Informationsrücklauf

    Während des sechsmonatigen Konsultationszeitraums fanden eine Reihe von bilateralen Treffen, Seminaren und Arbeitsgruppensitzungen statt, bei denen die Kommission ihre Initiative erläutern und sich ein klareres Bild von den Interessen und Anliegen der Betroffenen verschaffen konnte. Bis zum Abschluss der Konsultation gingen 40 Beiträge aus 16 Mitgliedstaaten, verschiedenen Institutionen und der Wirtschaft ein[8]. Da es sich um ein ausgesprochen brisantes Thema handelt und die Zahl der betroffenen Akteure relativ gering ist, hält die Kommission dies für eine gute Resonanz.

    2. Meinungen

    In allen Stellungnahmen wird das Grünbuch begrüßt und das Ziel der Kommission befürwortet, mit geeigneten Regeln für Beschaffungen im Verteidigungsbereich einen Beitrag zur Überwindung der Marktfragmentierung und zur Steigerung des innereuropäischen Wettbewerbs zu leisten.

    Die große Mehrheit der Antwortenden teilt die Einschätzung der Kommission. Sie räumt zum einen ein, dass Artikel 296 oft falsch interpretiert wird, und ist zum anderen der Meinung, dass die geltenden Vergaberichtlinien sich trotz der kürzlich erfolgten Anpassungen in vielen Fällen nicht für Wehrbeschaffungen eigenen. Die Hauptschwierigkeiten, die genannt werden, sind:

    - Offene, auf eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union gestützte Ausschreibungsverfahren sind nicht mit den Geheimhaltungsauflagen vereinbar.

    - Die Möglichkeiten zur Anwendung des einzig angemessenen Verfahrens – des Verhandlungsverfahrens - – sind zu eingeschränkt und nicht hinreichend definiert.

    - Die Auswahlkriterien stellen ausschließlich auf technische, wirtschaftliche und finanzielle Faktoren ab, während für die Auswahl von Bietern im Verteidigungsbereich maßgebliche Faktoren wie Versorgungssicherheit, Vertraulichkeit und Dringlichkeit außen vor bleiben.

    - Die Vorschriften über Leistungsbeschreibungen, Fristen und Folgeaufträge sind untauglich.

    Fast alle Interessenträger sprechen sich für eine Initiative der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Wehrbeschaffungen aus und halten Untätigkeit für falsch. Die Meinungen über die vorgeschlagenen Instrumente waren dagegen sehr unterschiedlich:

    2.1 Auslegungsmitteilung

    (1) Die Mehrzahl der Antwortenden hält eine Mitteilung zu Auslegungsfragen für nützlich. Für eine solche Mitteilung werden folgende Argumente vorgebracht:

    - Da es sich um eine nicht-legislative Maßnahme handelt, könnte sie schnell ausgearbeitet werden.

    - Eine detaillierte Erläuterung der vom Gerichtshof festgelegten Grundsätze für die Anwendung des Artikels 296 könnte die Gefahr von Fehlinterpretationen verringern und somit eine bessere Anwendung des geltenden Rechts durch die Mitgliedstaaten (und einen regelmäßigeren Rückgriff auf Ausschreibungsverfahren) gewährleisten.

    - Ohne weitere gesetzgeberische Maßnahmen hätte die Kommission damit eine klarere und besser fundierte Rechtsgrundlage für die Anwendung der Vergabevorschriften.

    (2) Nur eine Minderheit äußert sich skeptisch zu einer Mitteilung oder lehnt sie ab. Die Gegenargumente:

    - Da die Mitteilung keinerlei Änderung des geltenden Rechts bewirken würde, könnte sie nicht zu einem einheitlicheren Rechtsrahmen beitragen.

    - Die im Vertrag festgelegten Grundsätze und die einschlägige Rechtsprechung sind klar genug und sollten allen Betroffenen hinreichend bekannt sein. Deshalb sind keine zusätzlichen Erläuterungen nötig.

    - Eine solche Mitteilung würde nur klarstellen, wie Artikel 296 anzuwenden ist, aber nicht für welche Aufträge, da sie weder klären könnte, was unter „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ zu verstehen ist, noch die Liste aus dem Jahr 1958 präzisieren könnte (für beides sind ausschließlich die Mitgliedstaaten zuständig). Die Unsicherheit in Bezug auf den Geltungsbereich des Artikels 296 bliebe mithin bestehen.

    - Ob Beschaffungen von Verteidigungsgütern wesentliche Sicherheitsinteressen berühren, ist eher eine politische als eine juristische Frage. Ein rigides, rein legalistisches Herangehen an ein politisch begründetes Definitionsproblem könnte noch mehr Verwirrung stiften und die Zahl der rechtlichen Auseinandersetzungen über die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Artikel 296 sogar erhöhen.

    - Eine Mitteilung zu Auslegungsfragen würde die Zurückhaltung der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Anwendung der geltenden Vergaberichtlinien auf Wehrbeschaffungen nicht ausräumen. Ihre transparenzschaffende und wettbewerbssteigernde Wirkung wäre daher weitgehend auf Güter beschränkt, bei denen es sich nicht um Kriegsmaterial handelt. Das könnte zwar einige Kosteneinsparungen in Randbereichen der Verteidigungsmärkte bringen, das Hauptziel der Initiative (d. h. das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Wehrbeschaffungen zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der wehrtechnisch-industriellen Basis zu erhöhen) würde indessen verfehlt.

    2.2 Eine Richtlinie speziell für Beschaffungen von Verteidigungsgütern

    Bei dieser Frage ist das Meinungsbild komplexer:

    (1) Die Mehrheit der Antwortenden hält eine solche Richtlinie für nützlich. Als Hauptvorteile werden genannt:

    - Eine Richtlinie würde durch die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für bestimmte Teile des Verteidigungsmarktes eine einheitlichere Rechtsgrundlage in der EU schaffen.

    - Da sie rechtlich bindend wäre, könnte eine Richtlinie für mehr Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Gleichbehandlung in bestimmten Segmenten des Verteidigungsmarktes sorgen.

    - Sie könnte neue, flexiblere und speziell angepasste Vorschriften beinhalten für die Beschaffung von Rüstungsmaterial , das nicht unter Artikel 296 fällt und für das die Regeln der geltenden Richtlinien zu starr oder unzulänglich sind.

    - In einer solchen Richtlinie könnte den Besonderheiten von Wehrbeschaffungen, die in den geltenden Richtlinien nicht oder nicht hinlänglich berücksichtigt werden, Rechnung getragen werden, u. a. durch:

    - ein geeignetes zentralisiertes System für die Bekanntmachung;

    - die generelle Anwendung des Verhandlungsverfahrens (das es den Auftraggebern ermöglichen würde, nach der Ausschreibung die ausgewählten Firmen zu konsultieren und mit ihnen die Vertragsbedingungen auszuhandeln);

    - die Möglichkeit für die Auftraggeber, in bestimmten, genau definierten Fällen das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung anzuwenden, beispielsweise bei dringenden Beschaffungen für militärische Zwecke;

    - neue sachgerechte Auswahlkriterien für die Bewertung der Angebote, beispielsweise Vertraulichkeit und Versorgungssicherheit;

    - Klauseln, die einen hinreichenden Wettbewerb über die gesamte Lieferkette sicherstellen, vor allem um den Marktzugang für kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern;

    - Klauseln zur Vereinheitlichung von Kompensationsgeschäften (Offset).

    - Eine Richtlinie würde das Problem der Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Artikel 296 zwar nicht lösen, sie könnte aber so flexibel gestaltet werden, dass sie eine wirkliche Alternative zu einzelstaatlichen Verfahren bieten würde. So könnte das Problem der Wahl zwischen den Gemeinschaftsvorschriften und Artikel 296 entschärft werden.

    (2) Die Meinungen über Zeitrahmen und Bedingungen gehen unter den Richtlinien-Befürwortern indessen auseinander:

    - Einige schlagen vor, jetzt mit der Arbeit anzufangen.

    - Andere sind der Meinung, man solle abwarten und sehen, ob eine Klarstellung des geltenden Rechts nicht ausreicht.

    - Einige sind der Meinung, dass vor Beginn der Arbeiten an einer Direktive zunächst die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in anderen Bereichen geschaffen werden müssen (beispielsweise Struktur der betreffenden Industriezweige oder Mentalität der Auftraggeber), damit ausländische Zulieferer unter gleichen Ausgangsbedingungen antreten können.

    - Andere wiederum gehen davon aus, dass die Arbeit an der Richtlinie Reformen in genau diesen Bereichen beschleunigen würden.

    (3) Nur wenige Betroffene sprechen sich ausdrücklich gegen eine Richtlinie aus; ihre Gründe sind sehr unterschiedlich:

    - Da es sich um eine gesetzgeberische Maßnahme handelt, könnte sie wahrscheinlich nicht schnell durchgeführt werden.

    - Die geltende Richtlinie bietet genug Flexibilität, daher besteht keine Notwendigkeit für ein neues Rechtsinstrument, das nur die Regelungsdichte weiter erhöhen würde.

    - Eine Richtlinie hätte nur begrenzte Wirkung, weil ihre Verabschiedung und Umsetzung zu lange dauern würde oder weil sie nicht auf große Aufträge anwendbar wäre (die in der Regel wesentliche Sicherheitsinteressen berühren und daher weiterhin unter die Ausnahmeregelung des Artikels 296 fallen würden).

    - Es würden drei eigenständige Vergabeverfahren mit neuen Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Marktsegmenten geschaffen. Damit würden unter Umständen die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Artikel 296 eingeschränkt und gleichzeitig die Schwierigkeit erhöht, den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie gegen den der Richtlinie für Wehrbeschaffung abzugrenzen.

    Auch wenn es sehr schwer ist, ein allgemeines Fazit zu ziehen oder einen allgemeinen Trend auszumachen, lässt sich doch sagen, dass offenbar eine Mehrheit der Betroffenen eine Auslegungsmitteilung befürwortet, ohne eine Richtlinie abzulehnen. Unterschiedliche Meinungen gibt es über den Zeitplan für eine Richtlinie.

    Die Trennlinien bei den Präferenzen für eine Auslegungsmitteilung bzw. eine Richtlinie verlaufen nicht nach dem klassischen Muster zwischen kleinen und großen, waffenproduzierenden und nicht waffenproduzierenden Mitgliedstaaten, auch nicht in der Frage des Timings. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft, wobei allerdings Unterschiede zwischen europäischen und einzelstaatlichen Verbänden und zwischen Verbänden der Rüstungswirtschaft und anderen Industrieverbänden auszumachen sind. Das Europäische Parlament hat sich klar für eine umfassende Herangehensweise ausgesprochen, die eine Auslegungsmitteilung mit einer neuen Richtlinie kombiniert, die auf die Besonderheiten des Verteidigungssektors abgestimmt sein wird (zusätzlich sollte ein Verhaltenskodex auf zwischenstaatlicher Ebene erarbeitet werden - siehe unten)

    Alle Interessenträger haben die Kommission um eine enge Einbindung bzw. die aktive Beteiligung an der Erarbeitung und Umsetzung der von ihnen befürworteten Lösungen gebeten.

    3. Ausweitung der Diskussion

    Im Laufe der Konsultation wurden von mehreren Betroffenen Optionen vorgestellt, die über diejenigen des Grünbuchs hinausgehen.

    - Viele fordern mehr Transparenz und Wettbewerb, und zwar auch in den unter Artikel 296 fallenden Bereichen. Die Verteidigungsminister haben, teilweise als Reaktion hierauf, die Europäische Verteidigungsagentur (European Defence Angency - EDA) beauftragt, Möglichkeiten für einen zwischenstaatlichen Verhaltenskodex zur Förderung des innereuropäischen Wettbewerbs auch in diesem Marktsegment zu prüfen. Solche Verhaltensregeln wären politisch, nicht aber rechtlich bindend. Sie würden das Gemeinschaftsinstrumentarium ergänzen und in einem anderen Segment des Verteidigungsmarktes dasselbe Ziel verfolgen. Denkbar wäre auch, dass dieser Kodex ein Meldesystem für die Inanspruchnahme des Artikels 296 einführt.

    - Andere halten ein zwischenstaatliches Instrument für eine Übergangslösung/Zwischenstation auf dem Weg zu einer Gemeinschaftsrichtlinie. Obwohl die beiden Instrumente sich auf unterschiedliche Marktsegmente beziehen würden, wäre es unter diesem Gesichtspunkt ratsam, die Angleichung der Vergabepolitik der Mitgliedstaaten voranzutreiben, bevor man ihre Vergabevorschriften koordiniert.

    - Es gibt aber auch Akteure, die ein zwischenstaatliches Instrument dieser Art als Alternative zu gemeinschaftlichem Vorgehen auffassen. Aus ihrer Sicht wäre eine Richtlinie nur dann akzeptabel, wenn sich der Verhaltenskodex als unwirksam erwiese.

    Im Übrigen haben fast alle Antwortenden hervorgehoben, dass das Beschaffungswesen nur ein Aspekt bei der Schaffung eines europäischen Rüstungsmarktes ist. Sie weisen darauf hin, dass alle vergaberechtlichen Gemeinschaftsinitiativen Begleitmaßnahmen in anderen Bereichen erfordern. Das sei eine notwendige Voraussetzung für einen effizienten Verteidigungsbinnenmarkt und die Schaffung von Chancengleichheit für die Unternehmen. Genannt werden in diesem Zusammenhang die Bereiche Versorgungssicherheit, Transfer und Transit, Harmonisierung der Exportpolitik, staatliche Beihilfen, Kompensationsgeschäfte und die vollständige Privatisierung aller europäischen Rüstungsfirmen.

    Es wird auch Besorgnis hinsichtlich des Zuganges zum EU-Markt zum Ausdruck gebracht, insbesondere im Hinblick auf Ungleichgewichte in Bezug auf bestimmte Drittländer. Alle Maßnahmen auf EU-Ebene müssten den Marktzugang auf Gegenseitigkeitsbasis begünstigen, insbesondere im Verhältnis zu den USA. Mit Nachdruck wird ferner die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen auf dem Weltmarkt gefordert.

    III. BEWERTUNG DER KOMMISSION UND KÜNFTIGE INITIATIVEN

    Der gesamte Konsultationsprozess hat gezeigt, dass der gegenwärtige Rechtsrahmen für die Beschaffung von Verteidigungsgütern aus den dargelegten Gründen in der Praxis nicht zufriedenstellend funktioniert. Es muss deshalb etwas getan werden, um die Situation, die fast einhellig als unbefriedigend empfunden wird, zu verbessern. Die Kommission ist bereit, ihren Teil dazu beizutragen.

    (1) Zum einen ist die Trennlinie nicht klar zwischen der Beschaffung von Verteidigungsgütern, die wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 296 berühren, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, oder sie wird zumindest nicht von allen Mitgliedstaaten in gleicher Form wahrgenommen. Deshalb bleibt die Anwendung der Ausnahmeregelung problematisch.

    Die Kommission wird daher 2006 eine Mitteilung zur Anwendung des Artikels 296 EGV auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern vorlegen. Darin wird sie, gestützt auf die EuGH-Rechtsprechung, die Grundsätze für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung in Erinnerung rufen und erläutern, nach welchen Kriterien die Mitgliedstaaten entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind oder nicht.

    Eine Auslegungsmitteilung wird mehr Rechtssicherheit und Orientierungshilfe für die Mitgliedstaaten bringen, ohne den bestehenden Rechtsrahmen zu ändern. Sie wird einfach den geltenden Rechtsrahmen erklären und erläutern, um zu einer einheitlicheren Anwendung zu gelangen.

    Gemäß dem Grundsatz der besseren Rechtsetzung wird eine Folgenabschätzung für die Auslegungsmitteilung erfolgen, um festzustellen, ob tatsächlich Vorteile davon zu erwarten sind.

    Da die Auslegungsmitteilung auch den freien Warenverkehr betreffen wird, könnte sie weiterreichende Konsequenzen haben, z. B. für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern. Das wird bei der Ausarbeitung der Mitteilung gebührend berücksichtigt.

    (2) Zum anderen reicht eine einfache Erläuterung unter Umständen nicht aus. Die Konsultation hat nämlich auch bestätigt, dass die geltende Vergaberichtlinie, trotz der jüngsten Anpassungen, möglicherweise für viele Aufträge im Verteidigungsbereich untauglich ist, weil sie einige Besonderheiten dieser Aufträge außer Acht lässt.

    Deshalb hält die Kommission eine Richtlinie zur Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren für die Beschaffung von Verteidigungsmaterial (Waffen, Munition, Kriegsmaterial) und -dienstleistungen für das geeignete Instrument zur Verbesserung der beschriebenen Situation. Eine solche Richtlinie könnte alle besonderen Erfordernisse dieser Beschaffungen berücksichtigen und neue, flexiblere Regeln setzen für die Beschaffung von Wehrmaterial, auf das die Ausnahmeregelungen des Artikels 296 nicht anwendbar sind.

    Gemäß dem Grundsatz der besseren Rechtssetzung wird auch im Fall der Richtlinie zunächst eine Folgenabschätzung vorgenommen, bevor ein Vorschlag unterbreitet wird. Diese Folgenabschätzung soll 2006 abgeschlossen werden.

    Die Kommission wird auch die Erarbeitung des Verhaltenskodex durch die EDA sehr aufmerksam verfolgen. Diese freiwillige, nicht bindende Selbstverpflichtung hätte mehr Transparenz und Wettbewerb in einem anderen Marktsegment zum Ziel, da sie gelten würde, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 296 erfüllt sind. Eine solche zwischenstaatliche Initiative würde die Initiativen auf Gemeinschaftsebene sinnvoll ergänzen.

    [1] KOM (2004) 608 vom 23. September 2004.

    [2] Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einer Verteidigungsgüterpolitik der Europäischen Union“ vom 11. März 2003.

    [3] UK, FR, DE, IT, ES, SV.

    [4] Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge Diese Richtlinie ersetzt ab 31. Januar 2006 die Richtlinien 92/50/EWG, 93/37/EWG und 93/98/EG. Die Ausnahmeregelungen des Artikels 296 bleiben im Wesentlichen in ihrer jetzigen Form erhalten.

    [5] Absatz 1 dieses Artikels bestimmt :„a) Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht;

    b) jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.“

    [6] Siehe Urteil Johnston , Rechtssache 222/84, Kommission gegen Spanien , und Rechtssache C-414/97.

    [7] Quelle: Datenbank TED.

    [8] Alle Beiträge sind in der Originalsprache auf folgender Website zu finden: http://www.europa.eu.int/comm/internal_market/publicprocurement/dpp_de.htm

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